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Verdrossen stieg Woleg in die Basisfähre, um den ortsfesten Verbindungssatelliten und danach gleich den ersten von drei Beobachtungssatelliten auf ihre Umlaufbahnen zu bringen. Sonst war das immer ein kleines Fest, ein Höhepunkt im Alltag der Basisarbeiten. Und gerade in diesem Fall hätte es sogar ein großes Fest sein können. Immerhin war es keine Kleinigkeit gewesen, trotz der Zerstörungen den Termin zu halten. Denn nur die Meß- und Funkgeräte waren den Beständen der Basistechnik entnommen, also von der Erde mitgebracht, die Satellitenkörper waren in Keimbauweise fertiggestellt worden, teils aus dem Sand des Bodens, teils aus den Abfallstoffen der Energieträgerproduktion.

Woleg hätte also zufrieden sein müssen, daß er jetzt den Verbindungs- und den ersten Beobachtungssatelliten parken konnte und daß die beiden restlichen Beobachtungssatelliten ebenfalls im geplanten Abstand folgen würden. Doch der Streit mit der CE hatte ihn verärgert. Plötzlich hatte sie die gesamte Meßkapazität der drei B-Satelliten für sich verlangt, dabei steht die der Basis zu, die ja wissen muß, was auf dem Planeten vor sich geht!

Der Streit war fast in Gezänk ausgeartet, in Schacherei, nicht nur von ihrer, sondern auch von seiner Seite aus, und wie meist in solchen Fällen war er nun hinterher unsicher, ob er sich richtig verhalten hatte. Denn die Basis war ja nun mal zum Dienst an der wissenschaftlichen Aufgabe bestimmt, und wenn die Aufgaben eben mehr Meßkapazität verlangte, als man vorhergesehen hatte... Aber Woleg wußte von sich, er neigte dazu, alles schnell einzusehen, die Argumente der anderen schienen ihm immer besser als seine, vor allem, wenn die anderen Wissenschaftler waren, und er würde meist ohne ein weiteres Wort zustimmen, wenn nicht die Erfahrung ihn gelehrt hätte, daß zu schnelles Nachgeben keiner Seite dienlich ist. Das wieder trieb ihn an, seiner eigenen Einsichtigkeit nicht zu trauen, und in solchen Fällen hatte er jedesmal das Gefühl, den Boden unter den Füßen zu verlieren... Verdammte Unsicherheit!

Freilich, mit den Jahren hatte sich dieser Verdruß gemildert, Woleg hatte gelernt, ihn als ein notwendiges Übel anzusehen, aber Verdruß blieb es doch, auch wenn er mit dem Ergebnis zufrieden sein konnte, so wie heute. Denn selbst diese Zufriedenheit war nicht ohne Stachel: Wenn er es nun zu Unrecht so durchgesetzt hatte, wenn die Regelung objektiv falsch war - oder nicht optimal? Ein Glück, die Praxis pflegte sowieso hinterher jede Regelung zu korrigieren, und am besten machte man auch vor sich selbst nicht soviel Gewese darum...

So, die Troposphäre mit der verminderten Gravitation lag unter ihm, das Programm, das die Fähre steuerte, erhöhte den Schub, Woleg sah es an den Anzeigen. Was willst du denn, läuft doch alles ordentlich, sagte er zu sich selbst, Schluß jetzt mit der Nörgelei! Die Basis erhält je eine multispektrale Bildfolge vom Planeten, das muß eben reichen.

Woleg durchdachte noch einmal das Satellitensystem: Die drei B-Satelliten sollten in einer Höhe von einigen hundert Kilometern parken, Bahngeschwindigkeit fünfunddreißig Kilometer in der Sekunde, Umlaufzeit achtzig Minuten. Die Bahnen überstrichen den ganzen Planeten und waren so angelegt, daß die drei dasselbe Gebiet jeweils im Abstand von dreiunddreißig Stunden, also in einem Drittel des Planetentages, überflogen. Der Verbindungssatellit dagegen kam in eine Höhe von etwa sechzehn Planetenradien, über

vierhunderttausend Kilometern. Dort war seine

Winkelgeschwindigkeit genauso groß wie die
Rotationsgeschwindigkeit des Planeten, so daß er scheinbar unbeweglich über der Basis stand und ihr fast ununterbrochen Funkkontakt zum Raumschiff und zu den B-Satelliten ermöglichte.

Der Himmel war nun schon dunkel geworden, die Sterne traten hervor, erst blaß, dann stärker leuchtete die Riesenscheibe des Beteigeuze. Woleg hatte das Gefühl, die könne unmöglich da oben hängenbleiben, sondern müsse jeden Moment herabstürzen. Merkwürdig, dachte er, wie selbst viele Jahre Raumfahrt die irdische Prägung der Gefühlsurteile nicht aufheben, sondern eher noch festigen. Der Anblick eines Körpers von der visuellen Größe des Mondes am schwarzen Himmel löst in dieser Beziehung gar nichts aus, aber ein Körper, dessen Bild viel kleiner oder viel größer ist, ruft den Eindruck des Steigens oder Fallens hervor.

Die Fähre schwenkte auf die Parkbahn des ersten B-Satelliten ein, die Geschwindigkeit lag jetzt bei fünf Kilometern in der Sekunde, ein Siebentel der Parkbahngeschwindigkeit erst, aber es wurde Zeit, das Manöver einzuleiten.

Woleg schaltete alle Antriebe aus. Eine Schleuse öffnete sich, sanft wurde der Satellit hinausgeschoben. Vor der Fähre hing er jetzt scheinbar bewegungslos im Scheinwerferlicht.

Vorsichtig drehte Woleg die Fähre hin und her, bis sie in vorbestimmter Position zum Satelliten stand, dann zündete er in der Mitte zwischen Fähre und Satellit das Antriebsfeld - es übte auf jeden der beiden Körper die gleiche Kraft aus, die massereichere Fähre wurde schwach gebremst, der viel kleinere Satellit stark beschleunigt, bis auf die Parkbahngeschwindigkeit.

Nun der V-Satellit - über eine Stunde Flugzeit lag vor Woleg. Gewiß hätte er den Satelliten auch von hier aus starten können, aber er wollte beim Justieren in der Nähe sein und notfalls eingreifen können. Bei der riesigen Entfernung des Raumschiffs - sie betrug zur Zeit schon zehn Lichtstunden - war der Verbindungssatellit wertlos, wenn er nicht auf die tausendstel Winkelsekunde genau eingestellt war.

Woleg nutzte die Zeit, um noch einmal die Systeme des Satelliten nacheinander zu prüfen. Dieser Verbindungssatellit war keine einfache Plastkugel mit ein paar Geräten drin und dran wie die B-Satelliten; der hier sträubte nach allen Seiten Antennen, Kollektoren und anderes technisches Gefieder, jedes davon viele Male größer als der eigentliche Körper des Satelliten.

Selbstverständlich blieb die Prüfung ergebnislos, aber die Stunde war vergangen, der Punkt über der Basis erreicht, in dem die Bahngeschwindigkeit des Satelliten genau so groß war, daß er mit der Rotation des Planeten Schritt hielt.

Woleg war in den Leitstand der Fähre zurückgekehrt und wartete, bis die Steuerautomatik ein gewisses Restschlingern der Fähre völlig ausgeglichen hatte. Dann ging er in die Schleuse mit dem Satelliten zurück, schloß das Helmvisier, ließ die Luft ab und öffnete den Schleusendeckel - oder richtiger: das Schleusentor - in voller Breite. Jetzt ergriff er vorsichtig mit beiden Händen den Satelliten, schob ihn

hinaus, sich selbst hinterher, trug ihn, nur durch die Magnetschuhe gehalten, bis an die Spitze der Fähre, streckte sich dort in die Höhe, wartete, bis der Satellit ruhig lag und ungefähr in der richtigen Lage, und ließ ihn dann los.

In den Leitstand zurückgekehrt, maß er nach: Ja, der Satellit lag ruhig. Also schaltete Woleg die Lageautomatik ein. Die Korrekturen, die der Satellit vornahm, waren winzig und mit bloßem Auge nicht zu erkennen. Auf seinen Geräten jedoch konnte Woleg verfolgen, daß der Satellit nur eine halbe Minute für die nötigen Feinkorrekturen brauchte. Das war eine gute Zeit.

Vorsichtig manövrierte Woleg die Fähre von dem Satelliten weg. Als der sich einige Kilometer entfernt hatte, schaltete er den Betriebsteil des Satelliten hinzu.

Der Betrieb begann mit einem Eichprogramm; entsprechende Signale wurden an den B-Satelliten, das Raumschiff und an das

Satellitenfunkgerät in der Basis abgesandt und dort beantwortet. Nun, die Antwort vom Raumschiff würde erst in etwa zwanzig Stunden eintreffen, aber die anderen Antwortsignale kamen sofort, und - verdammt! - irgendwas mußte ja schiefgehen; auf diesem Planeten läuft nichts glatt!

Der Satellit wiederholte mehrmals das Eichsignal an den B-Satelliten, obwohl von dort eine Antwort gekommen war. Doch als

Woleg die Antwort auf den Schirm holte und entzerrte, stellte er fest, daß sie verwischt war, überlagert von fremden Schwingungen, das also war der Grund, warum der V-Satellit wiederholte.

Woleg war ratlos. Was tun? Warten? Aber wie lange? Doch die Frage entschied sich von selbst. Der V-Satellit hörte auf, Eichsignale

abzusenden, und als Woleg die letzte Antwort des B-Satelliten prüfte, fand er sie in Ordnung. Ganz traute er dem Frieden nicht - aber was sollte er im Augenblick unternehmen? Allenfalls eins: nachdenken.

Er schaltete die Verbindung zum V-Satelliten endgültig ab. Von jetzt ab konnten sie ihn nur noch mit dem Basisfunkgerät erreichen, das am Boden geblieben war.

Woleg mochte nicht an einen Funktionsfehler glauben, sie hatten mit aller Sorgfalt gearbeitet und getestet. Nun, vielleicht ließ sich aus der Art der Verwischung etwas ableiten, wenn man nachher unten das gestörte Antwortsignal untersuchte. Ach ja, und dann müßte man die gleichzeitig gelieferten MS-Bildfolgen untersuchen, ob da alles in Ordnung war. Und weiter blieb einem nichts übrig, als zu warten, bis das Raumschiff nach dem Eichsignal die Meßprogramme durchgegeben und die ersten Messungen der Satelliten erhalten hatte. Dann würde man sehen, ob da alles funktionierte. Also zehn Stunden Eichsignal hin, zehn Stunden Eichsignal und Programm zurück, zehn Stunden erste Meßergebnisse hin, zehn Stunden Antwort zurück - vierzig Stunden. Vierzig Stunden, ehe man genau wußte, ob da eine weitere Pleite auf die Basis zukam.

Aber Woleg dachte gar nicht daran, passiv zu warten. Er hatte das Eichsignal, und er hatte die ersten Bilder, und er wollte nun nicht einmal mehr warten, bis er gelandet war, wozu denn, die Zeit konnte sinnvoll genutzt werden. Er rief Elber an und bat ihn, am Basisfunkgerät die MS-Bilder durchzusehen, die in der fraglichen Zeitspanne vom Satelliten aufgenommen worden waren, dazu reichte die primitive Technik unten, und er, Woleg, nahm sich das Antworteichsignal vor, oder vielmehr die verschiedenen Antworten, die er gleich bei der Übernahme gespeichert hatte.

Es dauerte gar nicht lange, bis ihn die Analyse einer einzigen Eichantwort zu einem Ergebnis geführt hatte, das sich dann auch als zutreffend erwies für die anderen Antwortsignale, soweit sie verwischt waren. Nur war das, was er erhalten hatte, ein sinnloses Ergebnis, ja, mehr noch, eigentlich technisch unmöglich. Aber zugleich war es so eindeutig, daß man es nicht gut als zufällige Begleiterscheinung einer anderen Störung bezeichnen konnte. Das Antwortsignal interferierte mit sich selbst, oder richtiger mit seiner Wiederholung, gegeben im Abstand von einer Millisekunde, und da das Signal selbstverständlich länger dauerte, überlagerten sich die beiden. Es war gewissermaßen ein Echo, das noch während der Dauer des verursachenden Signals einsetzte. Nur daß hier kein Echo möglich war; Sender und Empfänger waren Lasergeräte.

Aber so seltsam das alles anmutete - geradezu ungeheuerlich war das Ergebnis, mit dem Elber sich nun meldete.

In Minutenabständen nahm eine automatische Kamera des Satelliten je ein Bild vorwärts oder zurück in Bahnrichtung auf. Da diese Bilder der Bahnjustierung und vor allem der genauen Lokalisierung der MS Bildfolge dienten, wurden sie zusammen mit den Multispektralaufnahmen kodiert und gesendet. Elber hatte sie isoliert. Sie hatten ein sehr grobes Raster, aber es war unzweifelhaft zu erkennen: Vor und hinter dem Satelliten waren plötzlich Körper von gleicher Größe aufgetaucht, das heißt einer vor und einer hinter ihm, zwei also, und dann, nach einiger Zeit, waren sie wieder verschwunden. Und der Zeitvergleich ergab, daß diese Erscheinung und das verwischte Eichecho gleichzeitig aufgetreten waren, als sich der Satellit in der Nähe des Nordpols befand. - Nun mußte Gleichzeitigkeit nicht zwangsläufig einen Zusammenhang bedeuten, legte diesen aber immerhin nahe.

„Also wenn das Foto nur einen fremden Körper gezeigt hätte, würde ich ja denken, da war wirklich etwas“, sagte Elber. „Aber so - zwei fremde Körper und ein fremdes Signal...“

ja, auch wenn es unmöglich erscheint“, Woleg seufzte, „es muß wohl doch irgendwo ein Fehler stecken! Nach meiner Landung sehen wir weiter!“

Zwei Stunden lang forschten sie nach Fehlerquellen, und dann mußten sie sich eingestehen, daß sie nur eins genau wußten: Es war keine wie immer geartete Erscheinung innerhalb des Satelliten denkbar, die gleichzeitig gerade diese beiden Teilsysteme störte und alle anderen ungestört ließ. Wenn man also annahm, daß die beiden Störungen ohne gemeinsame Ursache, also zufällig gleichzeitig und in gleicher Richtung aufgetreten wären - ja, dann war die Wahrscheinlichkeit für ein solches Zusammentreffen so verschwindend klein, daß diese Annahme eigentlich auch nichts erklärte.

„Und wenn da nun doch etwas war?“ fragte Elber leise, fast ein bißchen zaghaft.

Überraschenderweise wies Woleg seine Vermutung nicht direkt zurück. „Dann werden wir es beim zweiten Satelliten sehen“, antwortete er.

Hirosh war mit Uni, dem Dackel, zum Wald gegangen, in der festen Absicht, zum erstenmal die Luft des Planeten zu atmen, und er wollte

das dort tun, wo sie nicht von der Basisproduktion beeinflußt war. Und wie immer folgte ihnen Fox - so war der kleine Kerl getauft worden, der Hirosh und Uni selten von der Seite wich.

Bisher waren alle Tests auf unverträgliche Stoffe und Mikroorganismen hin negativ verlaufen, und was für Hirosh beinahe noch aussagekräftiger war: Nach Unis Analysen hatte der Planet ein ganz ähnliches Duftspektrum wie die Erde.

Trotzdem blieb ein Risiko. Aber sie würden noch Wochen hier leben und arbeiten müssen, und das immer im Schutzanzug, mit geschlossenem Helm - höchstens die Stunden ausgenommen, da mal der eine oder andere in der Fähre zu tun hatte -, das war eine so große Belastung, daß sie den zunächst einmaligen Versuch, die Luft dieses Planeten zu atmen, rechtfertigte.

Es war ein für die hiesigen Verhältnisse schöner Tag, den Hirosh sich für sein Wagnis ausgesucht hatte. Rot leuchtete die Stelle, wo

hinter der Dunstschicht der Beteigeuze stand; ringsherum strahlte der Himmel weiß, und zum Horizont hin schimmerte er grünlich. Es war die hellste Beleuchtung, die Hirosh bisher hier erlebt hatte, und das kam seinen Wünschen sehr entgegen, denn die beschränkten sich selbstverständlich nicht auf das Offnen des Helmvisiers.

Zunächst aber wenigstens das! Er stand am Rand der kleinen Grassteppe, die er neulich entdeckt hatte, als er den Helm öffnete.

Ach - welch eine Flut von Gerüchen! Fremdartig und doch vertraut, vertrauter jedenfalls als die sterile Helmluft, aber vor allem:

Welch ein Genuß! Und wie das die Phantasie anregte! Hatte er nicht

schon bei den letzten Gerichten alarmierende Zeichen bei sich entdeckt, schwindende Empfindlichkeit der Geschmacksorgane,

sinkendes Schöpfertum in der gastronomischen Komposition - nun

ja, noch nicht direkt Einfallslosigkeit, so tief war er noch nicht gesunken, es hieß ja, bei den Vorfahren solle es so etwas mitunter

gegeben haben, aber dieser Art Überlieferung traute Hirosh nicht so ganz. Also Einfallslosigkeit noch nicht, aber ein kleiner Schritt in dieser Richtung, den jetzt zu diagnostizieren war sicherlich nicht falsch. Vor allem motivierte ihn das für die Suche nach Gewürzen, die er sich vorgenommen hatte. Eine Viertelstunde wenigstens wollte er die Luft atmen, und das würde auch für die ersten Entdeckungen reichen - denn wenn er selbst in der Lage war zu riechen, konnte er natürlich auch Uni ganz anders führen.

Hirosh hatte sich angewöhnt, mit dem Hund menschliche Sätze zu sprechen, obwohl der wie ein echter Hund nur auf Reizworte reagierte und - als Computer - zusätzlich auf Zahlen.

„Uni“, sagte er, „da ist was in der Luft wie Salbei, aber mit einer Beimengung von siebzehn bis achtzehn rechts, such mir das mal!“

Der Dackel drehte den Kopf hin und her, dann verschwand er im Gras. Hirosh konnte nur seine Schwanzspitze verfolgen, die er hocherhoben trug und in der eine helle Lampe leuchtete.

Dann bellte es im Helmfunk, Hirosh ging los und fand Uni vor einer Pflanze, die dem irdischen Bärlapp nicht unähnlich war. Hirosh riß sie ab und führte sie an die Nase. Ja, das war der Geruch, den er gemeint hatte. Köstlich, wunderbar, er dachte sogleich an ein Dutzend Gerichte, die ihm ohne dieses Gewürz unvollständig erschienen, aber irgend etwas störte ihn doch, das bemerkte er jetzt, nachdem die erste Begeisterung abgeklungen war. Er holte das große Duftbesteck hervor und verglich - tatsächlich, die Beimengung war nicht siebzehn oder achtzehn, sondern fünfzehn rechts, aber Uni hatte es doch gefunden, sollte Hirosh nun beschämt sein wegen seines Irrtums oder stolz auf Uni, der ja wesentlich auch sein Werk und Werkzeug war? Sie ergänzten sich eben.

Das Kraut stand hier in Büscheln, Hirosh pflückte einiges davon und verpackte es luftdicht. Dann ging er zwanzig Schritte weiter, um nach anderen Gerüchen zu fahnden.

Aber wieder bellte Uni. Hirosh blickte sich um. Dort, wo der Dackel stand, erhob sich eine Wolke von Insekten. Und er sah auch, daß der kleine Fox vor dieser Wolke in eine respektvolle Entfernung flüchtete. Zum erstenmal bemerkte Hirosh hier so viele Insekten an einer Stelle. Rasch zog er das Helmvisier zu. Wenn er auch schon viel Zutrauen zu diesem Planeten hatte, was seine Ähnlichkeit betraf - von einem Insektenschwarm überfallen zu werden, wollte er doch nicht riskieren. Was für Fox schädlich war, schadete sicherlich auch ihm.

Dann trat er näher. Nichts Besonderes zeichnete die Stelle aus, wo der Schwarm kreiste. Halt, doch - hier war es etwas feuchter. Diese Tatsache und auch die Art, wie sich der Schwarm bewegte, erinnerte ihn an die irdischen Mücken. Er nahm sich vor, eine Falle zu bauen und später einige dieser Insekten zu fangen und zu studieren.

Inzwischen mußte er sich mit Überlegungen begnügen. Wenn er also bisher keinen solchen Schwarm gesehen hatte, mochte das am Wetter gelegen haben - es war heute wärmer als bisher. Es konnte aber auch sein, daß hier eine neue Generation von Insekten geschlüpft war. Oder durchliefen die hier keine Metamorphose? Sahen sie bloß äußerlich irdischen Insekten ähnlich? Das war zu überprüfen. Wenn es stimmte, war die Generationsfolge unterbrochen worden - und wodurch? Dann wohl durch die Gravitationsschwankung. Vor allem geflügelte Insekten würden eine solche Erhöhung ihres Gewichts kaum überleben. Auch das konnte er feststellen, in der Fähre experimentell - oder direkt beim nächsten Gravitationsanstieg.

Er war im Grunde überzeugt, daß der nächste Anstieg kommen würde, irgendwann. Zu vieles deutete darauf hin. Auch der, den sie erlebt hatten, war ja nicht der erste gewesen. Übrigens teilte er diese Überzeugung mit Woleg und Elber und selbstverständlich mit den Zwillingen, die sich in solchen Dingen kaum eigene Gedanken machten, sondern die der anderen annahmen oder, wenn es Streit gab, einfach warteten, wer recht behielt. Woleg hatte bereits ein Verfahren ausgearbeitet, wie die Anlagen eine solche Schwankung ohne Zerstörung überstehen konnten. Man brauchte nur noch vorher zu wissen, wann sie kam.

Ein bißchen hatte Hirosh mit der Möglichkeit gespielt, einen biologischen Indikator dafür zu finden, aber diesen Gedanken, das sah er jetzt ein, mußte er wohl fallenlassen - dazu kannte er die Organismen dieses Planeten zuwenig. Einfache Analogieschlüsse, aufs Irdische bezogen, würden sicher in die Irre führen. Außerdem würde er den Indikator am ehesten im Wasser finden, das ja den Schall bedeutend schneller transportierte. Im Wasser fände er wohl auch die Organismen am wenigsten verändert. Er war sich dessen bewußt, aber - ins Wasser konnte er seinen Dackel nicht mitnehmen, dazu war der nicht konstruiert.

Es war besser, er wandte sich wieder seinen Gewürzen zu - schließlich wollte er die andern bald mit dem Originalaroma des Planeten überraschen. Obwohl - wer hätte sagen können, ob das wirklich das ursprüngliche Aroma war, das er jetzt wieder wahrnahm, als er das Heimvisier öffnete. Konnte nicht die Folge von Gravitationsschwankungen, die die Natur weitgehend verändert hatten, auch das Aroma verändert haben? Oder war es stabil gegen ökologische Veränderungen...?

„Uni, Achtung! Es gibt hier etwas, das riecht ein bißchen so wie Dill, mit Beimengungen von links Mitte aus der Skala, könntest du mal versuchen, ob du das findest?“

Diesmal war Elber mit aufgestiegen. Im übrigen verlief der Start des zweiten Beobachtungssatelliten genau wie der des ersten.

Elber hatte es übernommen, den gesamten Prozeß mit dem zeitlichen Ablauf des ersten Starts zu vergleichen. Vor dem Start freilich hatten sie eins verändert: Der Satellit war in der Erprobung doppelt so lange wie der erste gelaufen, also weit über die Zeit hinaus, nach der beim ersten diese seltsamen Abweichungen aufgetreten waren.

Im übrigen aber vollzog sich alles genauso: Der Satellit wurde auf dieselbe Parkbahn wie sein Vorgänger gebracht, er sollte ja in einem bestimmten zeitlichen Abstand dieselben Gebiete aufnehmen; ebenso später der dritte. Die Bahn war übrigens so angelegt, daß die Satelliten dieselbe Stelle erst nach Monaten wieder überfliegen würden, praktisch also gar nicht, denn beim Abflug würden sie sie selbstverständlich wieder einsammeln. Man hinterließ nicht Schrott auf fremden Planeten.

Jetzt aber wurde ihre Beobachtung gestört durch eine Botschaft der CE, die sie so gesendet hatte, daß sie sie jetzt erreichen mußte, während des geplanten Starts des zweiten B-Satelliten. Es war eigentlich gar keine Botschaft, sondern eine ironische Kritik, die Woleg traurig stimmte. Sie endete damit, daß sie hoffte, die Abweichung würde nun nicht noch einmal auftreten, denn dann müsse sie annehmen, es handele sich um einen seriellen Baufehler, einen Konstruktionsfehler also...

Woleg sah, daß Elber zornig war und antworten wollte, er tippte ihn an, schüttelte den Kopf und wies auf die Instrumente. Und die zeigten an, daß sich genau wiederholte, was sie beim ersten B-Satelliten irritiert hatte. Nun brauchten sie diesmal nicht zu analysieren und zu suchen, das taten Programme für sie, die sie inzwischen ausgearbeitet hatten. Wieder das doppelte Eichsignal und die Bilder von zwei Körpern. Und wieder verschwanden sie nach einiger Zeit.

„Wir landen jetzt wieder“, sagte Woleg und schaltete den Schirm ab.

„Warum sollte ich denn nichts sagen?“ fragte Elber. „Wir haben doch gesucht, und ein serienmäßiger Fehler kann es auch nicht sein, weil eben nicht die gleiche Zeit seit Inbetriebnahme vergangen ist.“

„Das weiß die ja auch alles“, erwiderte Woleg, „und was sie noch nicht weiß, das erfährt sie aus den Tagesberichten.“

„Und wenn sie die nicht liest?“

„Die liest jedes Komma, das in die Speicher geht“, sagte Woleg. ja, aber“, fragte Elber ein wenig fassungslos, „warum sagt sie dann so was?“

„Sie scheint wohl der Meinung zu sein, daß wir nicht gründlich genug arbeiten.“

„Und warum denkt sie so schlecht von uns? Wer gibt ihr das Recht dazu? Oder was?“

„Das weiß ich auch nicht“, sagte Woleg, „ich weiß, daß es mich ärgert.“

„Und was machen wir jetzt? Alles noch mal von vorn?“

„Kommt gar nicht in Frage!“ Woleg schüttelte den Kopf. „Erst einmal werden wir jetzt die Aufnahmen der Satelliten auswerten, damit wir mehr über unseren Planeten wissen, das ist für die Arbeit der Basis wichtiger. Mit dem Satellitenprogramm befassen wir uns wieder, wenn wir den dritten starten, mir schwebt da schon etwas vor.“

Sechsundvierzig Stunden multispektralen Film hatten sie schon zu untersuchen, fünfundvierzigeinhalb Stunden vom ersten und eine halbe Stunde vom zweiten Satelliten. Jetzt mußte sich zeigen, daß sie mit der hart erkämpften Information wirklich etwas anfangen konnten.

Selbstverständlich war es unmöglich, den gesamten Film einfach ablaufen zu lassen - soviel Zeit hatten sie nicht, ganz abgesehen davon, daß ihnen dann nur die Normallichtkombination etwas genutzt hätte und die zweihundertvierundfünfzig anderen nichts, die sich alle aus den acht Aufnahmebereichen zusammensetzen ließen. Die Hauptarbeit hatte also, wie bei allen Signalauswertungen, der Computer zu leisten, und speziell für diese Aufgabe der Planetenerkundung lagen hinreichend vorgefertigte Programme vor: solche zur Kartographierung der Oberfläche, klimatischer und anderer Parameter - alles das konnte man bei Bedarf abfragen.

Das wichtigste Problem jedoch war: Wie erhielt man Informationen über G-Schwankungen? Denn das war mit keinem traditionellen Programm direkt erfaßbar.

Sie einigten sich darauf, zuerst eine Kombination zu betrachten, in der die Struktur der Dunstschicht in der Tropopause erkennbar werden mußte, wo sie also weder ganz durchsichtig noch undurchsichtig war. Wenn es zur Zeit irgendwo auf dem Planeten Stellen mit G-Schwankungen geben sollte, würde dort die Grenze zwischen normaler und gesenkter Gravitation am ehesten sichtbar werden.

Freilich konnten sie sich auch hier nicht einfach den ganzen Streifen vorspielen lassen, vielmehr mußte der Computer nach ungewöhnlichen Abweichungen gefragt werden und außerdem nach Stellen, an denen sich die Aufnahmen des ersten von denen des zweiten Satelliten unterschieden.

Das Material, das daraufhin vor ihnen abgespielt wurde, war immer noch recht umfangreich. Sie sahen eine gute halbe Stunde Film, aber was heißt Film: eine rosige Fläche, auf der bisweilen dunkle Muster spielten, mal in grünen, mal in braunen Tönen, und das, wie gesagt, eine halbe Stunde lang. Als der Bildschirm erlosch, stöhnten beide. „Das ist ja das reinste Augenpulver!“ sagte Elber. „Ja“, stimmte Woleg ihm zu, „und vor allem so mitreißend...“

„Also dann wollen wir mal sehen“, sagte Elber, „die grünen Markierungen stammen vom ersten, die braunen vom zweiten Satelliten. Damit steht schon mal fest - wir wissen zwar nicht, was wir da gesehen haben, aber wir wissen, es bewegt sich.“

„Richtig“, Woleg stimmte dem Eifer des Jüngeren zu. „Du berechnest die Geschwindigkeit, und ich sehe mir von den fraglichen Stellen ein paar andere Kombinationen an, vielleicht wird da etwas sichtbar!“

Es dauerte aber doch noch zwei Stunden, bis sie ganz sicher wußten: Da war eine G-Schwankung, sie hatte offenbar in der Äquatorgegend begonnen, sich nach beiden Seiten um insgesamt einen Viertelkreis ausgedehnt und war dann abgeebbt - wenige Breitengrade von ihnen entfernt.

Das alles war schon sehr wichtig zu wissen. Aber was noch wichtiger war: Sie konnten jetzt dem Computer ein Programm eingeben, das ihn befähigte, diese Erscheinungen selbsttätig zu registrieren, ein Programm, das sicherlich später noch verfeinert werden würde, das sich aber schon jetzt mit einem Signalgeber verbinden ließ für den Fall, daß so ein Schwankungsbereich in ihrer Nähe auftauchte.

Delawara wollte sich immer noch nicht eingestehen, daß sie enttäuscht war - von der Expedition, von Atacama, von sich selbst auch, denn sie hatte doch gewußt, daß so ein Unternehmen vor allem aus Kleinarbeit besteht, aus immer gleichbleibender, präziser Meßtätigkeit; sie war doch nicht unerfahren, hatte keine pseudoromantischen Vorstellungen von diesem Auftrag gehabt, warum also fühlte sie sich so unausgelastet, ja überflüssig? Sie hatte kein Recht dazu, sich so zu fühlen, und keine Veranlassung. Genau so hatte sie sich die Arbeit vorgestellt, und wenn es ihr nicht reichte, was sie zu tun hatte - niemand hinderte sie daran, sich selbst etwas zu suchen.

Und so begann sie denn mit einer Arbeit, an die sie in der letzten Zeit schon öfter gedacht hatte, auf die auch Elber sie hingewiesen

hatte, und wenn es sich herausstellen sollte, daß sie ihm damit

wirklich helfen konnte, dann würde es wenigstens einen Zufriedenen in dieser Expedition geben. Genaugenommen nahm sie die

Untersuchung nur wieder auf, um zu prüfen, ob die rhythmischen Stauchungen und Dehnungen, die das Raumschiff innerhalb der D-Schicht erfahren hatte, irgendeine verschlüsselte Information enthielten.

Dela hatte sich in der Zwischenzeit auch weiter um die Vermessung der D-Schicht gekümmert, deren Ausmaße und sonstige

Parameter waren jetzt bekannt. Die Schicht hatte tatsächlich die Form eines Ellipsoids und hüllte das gesamte System ein. Doch das festzustellen hatte zu Delas normaler Arbeit gehört. Was sie sich jetzt vornahm, lag schon auf der Ebene der Phantastereien.... auf Elbers Ebene also.

Bisher waren die Impulse nur als zeitliche Folge daraufhin untersucht worden, ob sich eine Bedeutung darin finden lasse. Dela

war die Idee gekommen, daß es sich um Bilder handeln könne, wobei jeder Impuls die Helligkeit eines Bildpunktes bedeutete, woraus dann folgte, daß man die Impulse in Zeilen und Spalten ordnen mußte. Dela versuchte stundenlang, mit den verschiedensten Aufteilungen, Tricks und Kniffen etwas herauszuholen, aber niemals fügten sich die hellen Punkte zu einem Bild.

Schließlich, als sie für diesmal Schluß machen mußte, weil es ihr nicht nur an Zeit fehlte, sondern auch an einer Idee, wie es

weitergehen könnte, und als sie sich müde, aber zufrieden reckte - da

wurde ihr mit einem Schlage klar, daß sie von ihrer eigentlichen Arbeit eben doch enttäuscht war, denn der hatte sie sich schon lange

nicht mehr so hingegeben. Und es war wohl besser, sich das einzugestehen, besser jedenfalls als der Versuch, sich selbst zu täuschen.

Zum Start des dritten Satelliten hatte Woleg sich einiges einfallen lassen. Sie starteten diesmal die Fähre nicht senkrecht, sondern gingen sozusagen auf einen ausholenden Kurs; das bedeutete, sie würden den Satelliten an einem früheren Punkt seiner Bahn starten, so daß die Eichungen abgeschlossen waren, wenn der Satellit den Bahnabschnitt erreichte, an dem seine Vorgänger mit ihren Abweichungen aufgewartet hatten.

Wolegs Plan war, mit der Fähre im rechten Winkel auszuscheren, wenn der Satellit auf seiner Bahn war, damit das Radar der Fähre ihn von der Seite her auffassen konnte, sobald er nach einer dreiviertel Umkreisung den betreffenden Bahnabschnitt erreichte.

Außerdem hatte Woleg den Satelliten vorn und hinten mit je einer feststehenden Fernsehkamera ausgerüstet, deren geringe Sendeleistung die anderen Geräte nicht störte, aber doch ausreichte, um von der Fähre empfangen zu werden.

Der Start verlief denn auch anders als die beiden vorangegangenen - keine Abweichungen, kein Echo der Eichsignale, keine Anzeigen des Umgebungsradars nach der üblichen Stundenfrist.

Mit vollen Antrieben setzte Woleg die Fähre seitlich vom bisherigen Kurs ab. „Wieviel Zeit haben wir noch?“ fragte er. „Vier Minuten siebzehn Sekunden.“

Beide schwiegen. Elber war es nach alldem klar, daß auch der CB nicht mehr an ein Versagen irgendwelcher Geräte in den Satelliten glaubte. Woran man aber statt dessen glauben sollte, das wußte er in diesem Falle auch nicht zu sagen, und deshalb war es schon das beste, zu schweigen und sich zu sammeln für das Kommende. Denn daß da irgend etwas kommen würde, davon war Elber felsenfest überzeugt.

„Es reicht, ich setze Parallelkurs, der Winkel ist groß genug“, sagte Woleg schließlich.

Als er die Steuerung sich selbst überließ, war Elber an der Reihe. Er schaltete. „Schirm eins zeigt: Radarbild von der Fähre aus.“ Der Satellit wurde sichtbar. „Schirm zwei und drei: vordere und hintere Fernsehkamera am Satelliten.“ Die Schirme blieben leer, nur an ihren unteren Rändern wurde der Planet sichtbar, eine helle, waagerechte Kante. „Noch fünfzehn Sekunden - zehn - sieben - fünf, vier, drei...“

Beide atmeten tief durch. Auf dem Radarbild der Fähre waren plötzlich zwei Körper zu sehen, beide in Satellitengröße. Wo der zweite hergekommen war - keiner von beiden Männern hatte es bemerkt. Sie konnten nicht einmal sagen, welches der echte und welches der zusätzliche war.

Und dann erst, einen Augenblick später, wurde ihnen das Bestürzende, das absolut Widersinnige dessen, was sie sahen, bewußt: Auf den Schirmen zwei und drei war je ein Satellit zu sehen, jede der beiden Fernsehkameras zeigte einen Satelliten, aber die Kameras hingen ja am Satelliten, konnten ihn also nicht zeigen, und folglich gab es drei! Zwei auf dem Radar, drei zufolge der Fernsehkameras - das ging doch nicht, da war doch irgendwo ein Denkfehler, da mußte doch ganz einfach, wenn das, wenn...

Aber es blieb so, und das automatische Protokoll hielt es fest. Auch wenn sie es sich hinterher abspielen würden, hundert- oder tausendmal, würde sich nichts daran ändern. Das Radar zeigte zwei Satelliten, was dem Signalecho bei der Eichung entsprach - und die Fernsehkameras zeigten zwei Satelliten außer dem Original, das sie trug, was mit der Angabe der Rasterbilder bei den ersten beiden Satellitenstarts übereinstimmte. Und wenn man vorher vielleicht noch die Spur einer Chance gehabt hatte, dies als zufälliges Zusammentreffen zu erklären, war es damit nun vorbei.

Fassungslos saßen die beiden vor den Schirmen und warteten, daß sich irgend etwas veränderte, klärte. Aber statt dessen meldete sich die Basis.

Hirosh saß am Schirm. „Was gibt’s denn, ist euch ein Gespenst über den Weg gelaufen?“ fragte er.

„Es ist das Verrückteste, was ich bisher erlebt habe“, sagte Elber. „Der Satellit hat sich vervielfacht, das wäre an sich schon sonderbar. Aber von uns aus gesehen, hat er sich verdoppelt, und von ihm selbst aus gesehen, hat er sich verdreifacht - guck, hier die Schirme, und dann denk an die doppelte Eichantwort und an die zwei Fremdkörper auf den Rasterbildern! Nun wird die CE ja nicht mehr behaupten, daß dies ein serieller Baufehler sei.“

„Vorbei!“ rief Woleg plötzlich. Auf dem Radarschirm war nur noch ein Satellit zu sehen, die beiden anderen Bildschirme waren leer. „Sie sind weg, ohne daß zu sehen war, wie und wohin.“

„Das war ja nun der letzte Satellit“, stellte Hirosh fest, ein wenig bedauernd. „Wann kommt denn wieder mal einer durch dieses Gebiet?“

„Frühestens in vierzehn Tagen“, sagte Woleg. „Wir müssen es erst mal genau vermessen. Sie meinen also auch, es habe mit dem Gebiet zu tun?“

„Um das zu prüfen, haben Sie ihn doch früher gestartet“, sagte Hirosh lächelnd. Doch dann wurde er wieder ernst. „Da die Satelliten bisher alle einwandfrei arbeiten, prophezeie ich seitens der CE kein gewaltiges Interesse an diesem Faktum!“

Es war eben alles paradox auf diesem verrückten Planeten! Hirosh war mit Elber an den Strand gegangen - Elber und die Zwillinge hatten gedrängt, er solle das Wasser untersuchen, ob man nicht darin baden könne, ohne Schutzanzug, versteht sich. Sie hatten hier und da Proben entnommen, gemessen und getestet und bei der Gelegenheit gleich ein Unterwassermikrofon installiert, das sie warnen würde, wenn in der Umgebung G-Schwankungen auftreten sollten - der sonderbare Ton, mit dem sich die erste angekündigt hatte, war ja aus dem Meer gekommen.

Das alles war nun getan, und Hirosh und Elber hatten sich wie Sommerurlauber in den Sand gelegt. Über ihnen leuchtete der Beteigeuze, und dieser Anblick hatte Hirosh zu dem Gedanken gereizt, daß hier alles paradox sei, nicht nur diese Satellitengeschichte.

Er wollte nämlich eben die nicht sehr vielsagende Bemerkung von sich geben, daß jetzt Mittag sei, als ihm einfiel, daß das gar nicht stimmte - oder nur zur Hälfte oder nur je nachdem, wie man die Sache betrachtete. Denn der Planet kreiste um den schwarzen Zwerg, der jetzt nicht sichtbar war, weil der Planet genau zwischen dem Beteigeuze und ihm stand. Da aber der Zwerg eigentlich der Zentralstern des Planeten war und der Planet nur insofern mit dem Beteigeuze verbunden war, als der Zwerg und der Beteigeuze wiederum um ihren gemeinsamen Schwerpunkt kreisten.... na ja, insofern war, rein astronomisch betrachtet, an ihrem Standort jetzt Mitternacht. Andererseits aber empfing der Planet seine gesamte Energie vom Beteigeuze; wenn der am Himmel leuchtete, war es hell, wenn nur der schwarze Zwerg am Firmament stand, war es dunkel, sein Durchmesser schien nur ein Fünftel so groß wie der des irdischen Mondes zu sein, so daß also von den sinnlichen Eindrücken her Mitternacht war, wenn den Bahnparametern nach Mittag war, und umgekehrt.

Freilich trat dieses paradoxe Verhältnis exakt nur alle fünf Komma sieben Erdenjahre ein, wenn nämlich der Planet genau zwischen Zwerg und Beteigeuze stand... Ob da nicht die anderen Paradoxa ebenfalls...

Hirosh wollte Elber diesen Gedanken erläutern und malte zu diesem Zweck mit dem Finger eine Skizze in den Sand. Elber seinerseits diskutierte den Stand der beiden Sonnen am Planetenhimmel auf anderen Punkten der Umlaufbahn und malte dazu ebenfalls Skizzen in den Sand. Ungeduldig schaufelte er einen Klumpen beiseite, der seine Zeichnung störte. Dann aber stutzte er und nahm den Klumpen auf, strich und putzte daran herum, bis eine etwa handtellergroße Scheibe übrigblieb. Er reichte sie Hirosh. „Das scheint etwas für Sie zu sein. Eine Versteinerung wohl.“

Jetzt sah Hirosh, daß die Scheibe eine spiralige Struktur hatte. Von seinem Zentrum gingen Arme aus wie bei einem Kraken etwa, nur daß sie in gleicher Richtung gedreht waren und aneinander lagen. Von der anderen Seite sah die Scheibe genauso aus. Das verblüffte Hirosh, denn wenn das Ding ein Tiergehäuse gewesen sein sollte, dann wäre eigentlich irgendwo eine Öffnung zu erwarten gewesen. Er sagte aber nichts davon, bedankte sich nur und versprach, den Fund gleich zu untersuchen. Elber war schon wieder bei der Himmelsmechanik. „Das ist ja alles nur scheinbar paradox“, sagte er, „nur deshalb, weil wir unsere irdischen Maßstäbe anlegen. Aber die Sache mit der Verdoppelung und Verdreifachung ist doch wirklich paradox!“

„Trotzdem fällt mir da ein sehr irdischer, alter Witz ein“, sagte Hirosh, „eigentlich kein Witz, sondern mehr ein absurdes Spiel mit Worten. Das geht folgendermaßen: Drei Heringe sitzen auf dem Zaun und kämmen sich die Haare...“

„Was ist ein Zaun?“ wollte Elber wissen.

„Egal, irgendwas, wo man früher drauf gesessen hat, unterbrich mich nicht, sondern hör dir’s erst fertig an. Also: Drei Heringe sitzen auf dem Zaun und kämmen sich die Haare. Sagt der erste Hering: ‘Ich möchte eine Schwalbe sein, dann könnte ich fliegen.’ Sagt der zweite Hering: ‘Ich möchte zwei Schwalben sein, dann könnte ich hinter mir herfliegen.’ Sagt der dritte Hering: ‘Ich möchte drei Schwalben sein, dann könnte ich sehen, wie ich hinter mir herfliege!’“

Von Elber kam keine Reaktion.

„Was ist, gefällt er dir nicht?“ fragte Hirosh.

„Ich versuche, darüber nachzudenken“, antwortete Elber, „aber ehrlich, er verwirrt mich nur noch mehr. Die Schwalben sind die Satelliten, die Heringe wir, so weit komme ich mit, aber dann hört’s auf.“

„Junge, das ist doch keine Gebrauchsanweisung, um das Problem zu lösen“, sagte Hirosh und erhob sich, „das soll nur ein bißchen das Denken auflockern.... obwohl...“

„Obwohl?“ fragte Elber gespannt.

„Darüber muß ich selbst erst mal nachdenken!“ antwortete Hirosh ausweichend. „Gehen wir, ich muß Essen machen.“

Vor dem Essen, genauer, bevor er die neuen Gewürze hinzutat, die er inzwischen schon an sich selbst ausprobiert hatte, fand Hirosh noch Zeit, sich Elbers Fund anzusehen. Selbstverständlich verwandte er dazu berührungsfreie Methoden, er konnte ja nicht wissen, ob es sich um einen sehr seltenen Fund handelte, und darum vermied er alles, was ihn hätte beschädigen können.

Das war aber nun wirklich merkwürdig, was er da an einzelnen Aussagen herausfand. Zunächst bestand die Scheibe nicht, wie er vermutet hatte, aus Kalk oder irgendeinem Material, das einst ein Außenskelett hätte gebildet haben können, sondern ausschließlich aus Sand, das heißt aus Silikaten in der Zusammensetzung, wie sie im Ufersand vorlagen. Denn der Fund zeigte andererseits eine kristalline Struktur, die die Einwirkung gewaltiger Kräfte vermuten ließ.

Nun war Hirosh freilich zuwenig Physiker, als daß er weitreichende Schlußfolgerungen daraus hätte ziehen wollen.

Mochte sein, daß die CE als Astrophysikerin da mehr herauslesen konnte, aber die würde sich wohl kaum damit abgeben. Der Biologe jedenfalls mußte sagen: Von der Substanz des Lebewesens war nichts geblieben, höchstens sein äußerer Abdruck - falls es sich überhaupt um ein Lebewesen gehandelt hatte. Aber worum sonst?

Das war wieder so eine Frage, wie sie hier anscheinend zum täglichen Brot wurden. Was sonst? Wie sonst? Worum und wodurch und womit sonst?

Hirosh zuckte mit den Schultern und wandte sich den Gewürzen zu. Die effektivste Methode, den Würzgehalt zu extrahieren, hatte er

schon gefunden, es kam nun nur noch auf die Dosierung an. Er verwendete, so viel Zeit darauf, daß er sich beinahe mit dem Essen verspätet hätte, zumal er ja vorhatte, die andern zu überraschen. Noch war aber keiner gekommen.

Er servierte auf einem Tisch vor seinem Zeltgebäude, den er schon vor Tagen errichtet hatte, und rief dann über Funk die anderen. Sie kamen und stutzten.

„Wie sollen wir denn hier essen?“ fragte Vivi, und Ke ergänzte: „Immer Helm auf, Löffelchen rein, Helm wieder zu?“

Hirosh wartete, bis alle da waren, er hatte diesen Zeitpunkt abgepaßt, an dem die Schichten so lagen, daß alle zugleich zum

Essen erscheinen konnten. Dann sagte er: „Ab heute dürft ihr mit

offenem Visier herumlaufen und arbeiten, und zum Essen dürft ihr den Helm sogar absetzen.“ In den ausbrechenden Jubel hinein fuhr er

fort: „Wenn wir eine zuverlässige Vorwarnung bekommen, mit Hilfe unserer Satelliten, dann geht es vielleicht völlig ohne Schutzanzug, aber das muß der CB entscheiden.“

Das Essen im Freien, ohne Schutzhelm, bewirkte, daß alle ungewöhnlich vergnügt wurden. Das war kein Wunder, schließlich

hatten sie eine Menge Schwierigkeiten überwunden und trotzdem die

Satelliten termingemäß auf die Parkbahn gebracht, so daß sie von nun an mit weniger Mühe und besseren Bedingungen rechnen

konnten, wovon Hiroshs Verheißungen nur einen kleinen Teil darstellten. Basisleute sind immer darauf eingestellt, daß sie in der ersten Hälfte ihres Einsatzes hart ranmüssen, dafür aber in der zweiten Hälfte sehr viel Zeit für ihre Nebeninteressen haben, während die armen Hunde im Raumschiff immer das gleiche machen müssen. Aber dafür ernten die ja auch den Ruhm - wenn mal welcher zu ernten ist.

Das Vergnügen steigerte sich so, daß schließlich die Zwillinge Hirosh baten, er möge ein paar von seinen alten Witzen erzählen, dabei würde es ihnen immer so schön historisch gruseln. ja, bitte“, sagte auch Elber und fügte hinzu: „Vielleicht noch mal den von vorhin, und diesmal mit Pointe - die hat er mir nämlich vorhin unterschlagen!“

„Irrtum“, entgegnete Hirosh, „nicht die Pointe... oder doch? Ich weiß nicht...“

„Äußerst spannend“, sagte Vivi, und „Höchst geheimnisvoll!“ assistierte ihr Kerala.

„Darf man erfahren, worum es geht?“ fragte auch Woleg.

„Es ist die Geschichte mit der Verdoppelung und Verdreifachung des Satelliten“, sagte Hirosh, „dabei fiel mir ein altes Witzwort ein, das geht so: Drei Heringe...“ Und er erzählte noch einmal die Geschichte, diesmal mit mehr Erfolg, die Zwillinge lachten begeistert, auch Woleg machte sie Spaß, und deshalb schmunzelte dann auch Elber.

„Und weiter?“ fragte Woleg, als sich die allgemeine Heiterkeit gelegt hatte.

ja, merkwürdigerweise hatte ich schon immer das Gefühl, daß an diesem Witz irgend etwas nicht stimmte, und inzwischen ist mir auch klargeworden, was. Nämlich die Forderung des dritten Herings ist genaugenommen schon dem zweiten Hering erfüllt.“

Die Zwillinge lachten auf, verstummten aber schnell wieder, denn sie merkten jetzt, was ihnen entgangen war, daß nämlich Hirosh in einem ganz anderen Ton sprach, sehr nachdenklich und durchaus ernst.

„Versucht mal mitzudenken“, fuhr er fort. „Also der zweite Hering wollte zwei Schwalben sein, mit dem Ziel, daß er hinter sich herfliegen könne. Nehmen wir an, sein Wunsch sei erfüllt, was natürlich Unsinn ist, aber nehmen wir es trotzdem an; es handelt sich ja hier um ein Gedankenspiel. Er ist also zwei Schwalben, die hinter sich herfliegen. Er ist also die hintere Schwalbe, die vor sich eine

Schwalbe sieht. Er ist aber zugleich auch die vordere Schwalbe, die eine Schwalbe hinter sich herfliegen sieht. Außerdem sieht noch jede Schwalbe sich selber. Da er beide Schwalben ist, sieht er sich selbst, eine vor und eine hinter sich, er sieht sich also als drei Schwalben fliegen.“

„Hilfe!“ rief Vienna, und Kerala sagte: „Ungefähr ab Mitte der Erläuterungen hatte ich das Gefühl, in der Zentrifuge zu sitzen.“

„Seid doch mal ruhig, ihr Gänse.“ Elber sprang auf und ging hin und her, hochgespannt, mit eckigen Bewegungen und mit Gesten, denen man ansah, daß er versuchte, das Gehörte zu rekapitulieren. Dann warf er die Arme hoch und bat: „Bitte noch mal, ich bin auch beim erstenmal nicht richtig mitgekommen.“

„Die Denkschwierigkeit“, erklärte Hirosh, „besteht darin, daß wir gewöhnt sind, bei der Verdoppelung eines Gegenstandes zwei

Gegenstände zu denken, also zwei verschiedene, die höchstens

gleich, aber nicht identisch sein können. Machen wir die Konzession, daß die zwei Gegenstände miteinander identisch sind, ich weiß, das

ist absurd, weil der Begriff identisch das eben gerade verbietet, aber

machen wir’s mal - dann lösen sich alle Probleme. Lassen wir mal die Heringe und Schwalben beiseite - angenommen, der Satellit wird

an einem Punkt seiner Bahn plötzlich in zwei identische Satelliten

verdoppelt und später ebenso plötzlich wieder vereinfacht. Dann ist erst mal die Frage gelöst, woher die Doppel- und Dreifachgänger

kommen. Und nun weiter: Von außen gesehen, also für unser Radar oder für den Eichempfänger des Raumschiffs, sind zwei Satelliten da. Jede Messung vom Satelliten aus wird aber zweimal gemacht,

vom vorderen und vom hinteren, und beide gelten wegen der Identität als Messungen des Satelliten. Alles andere, Sterne, Planet,

ist zu weit weg, als daß der Meßunterschied sichtbar werden könnte, aber vor sich selbst tritt jeder der beiden identischen Satelliten als Sehender und als Gesehener auf, als Sehenden erfassen wir ihn einmal, als Gesehenen aber zweimal, vorn und hinten, im ganzen also dreimal.“

„Das fand ich ja nun noch weniger verständlich“, sagte Woleg, nachdem alle eine Weile geschwiegen hatten. „Aber trotzdem habe ich es jetzt, glaube ich, kapiert. Was meint ihr?“

Elber war offensichtlich in Gedanken versunken, die Zwillinge drückten sich um eine klare Antwort, so fuhr Woleg fort: „Das ist ja alles ganz schön und gut, aber ob uns das nun weiterhilft, wenn wir zwei verrückte Beobachtungen durch eine verrückte Vermutung erklären?“

„Soll ich’s noch mal versuchen zu erklären?“ fragte Hirosh mit scheinheiliger Naivität. Aber er ließ es nicht erst zu Protesten kommen. „Ich wollte ja keine Theorie aufstellen“, sagte er, „ich wollte euch bloß was zum Nachdenken geben, na ja, und nachdenklich seid ihr doch geworden - oder?“

Mit dieser Geschichte allerdings hatte Hirosh sich etwas eingebrockt, was er in den folgenden Tagen nur mit Mühe auslöffeln konnte. Alle Basisleute suchten ihn auf und ließen sich das eine oder andere noch einmal erläutern, so daß Hirosh schon selbst anfing, sich in den Gedanken und Ableitungen zu verheddern, und als die Zwillinge in ihren Fragen die Heringe mit den Schwalben verwechselten, weil sie gar nichts verstanden hatten, tat es ihm beinahe leid, daß er überhaupt davon angefangen hatte.

Dann aber kam Elber noch einmal. „Laß mich den Gedanken mal weiterspinnen“, bat er, „und sag mir, wenn ich einen Denkfehler mache. Also angenommen, der Satellit ist zweimal da, aber identisch. Dann ist auch jedes Teil des einen mit dem entsprechenden Teil des anderen identisch. Richtig? - Gut. Das gilt also auch für die Kameras, die wir außen angebracht haben. Jetzt passiert also folgendes: Die vordere Kamera am vorderen Exemplar nimmt den leeren Himmel auf, die vordere Kamera am hinteren Exemplar nimmt das vordere Exemplar auf, und daher sehen wir auf dem Schirm nur den Satelliten. Wenn beispielsweise vor den beiden Satelliten ein Haifisch schwimmen würde, würden wir den Satelliten und den Haifisch sehen, teilweise ineinanderfließend. Richtig?“

„Ja, falls der Haifisch nicht auch verdoppelt wird.“

„Jetzt etwas anderes. Bisher haben wir das Ganze als Gedankenexperiment angesehen, und wir haben uns also eine vollständige Identität gedacht. Praktisch aber brauchte die Identität nicht vollständig zu sein, sondern nur so weit zu gehen, daß sie uns als solche erscheint. Also so weit, daß sie für unsere Meßgenauigkeit als Identität erscheint. Konkret: Nehmen wir das automatische Protokoll oder die Bilder der Fernsehkameras, dann braucht die Identität der übermittelten Signale nur so weit zu gehen, daß eventuelle Abweichungen von der Computerbearbeitung als Unschärfe korrigiert werden. Richtig?“

„Ich glaube, ich weiß, worauf du hinauswillst...“, sagte Hirosh. Aber er bekam darauf eine solche Antwort, daß er sich innerlich schüttelte.

„Das glaube ich nicht“, sagte Elber, „und diesmal bin ich es, der seine Gedanken noch ein wenig für sich behalten will!“ Als er gegangen war, dachte Hirosh lange nach - weniger über das, was Elber gesagt hatte, mehr über seine letzte Äußerung.

Arroganz? Ja, es hatte unglaublich arrogant geklungen, aber für Hirosh mehr unglaublich als arrogant. Was mochte sich dahinter verstecken? Oft deckte Arroganz nur Unsicherheit zu. Vielleicht war Elber in irgendeiner Hinsicht unsicher? Aber warum behielt er es dann für sich? Hirosh kam zu dem gar nicht so seltenen Schluß, daß sich hier überhaupt nichts schließen lasse und man eben abwarten müsse - wenn die Sache reif wäre, würde der Junge schon damit herausrücken.

Dela hatte die Arbeit an den Stauchsignalen der D-Schicht eine Weile unterbrechen müssen - die Eichungen der Satelliten, die Organisierung der Meßserien auf der neuen, erweiterten. Grundlinie Raumschiff - Satelliten und ihre Auswertung hatten alle Besatzungmitglieder voll beschäftigt. Und dann kam man auch dem nachlaufenden Librationspunkt des schwarzen Zwerges näher, und da gab es manches vorzubereiten.

Niemand erwartete den Librationspunkt so ungeduldig wie Atacama. Denn in den Librationspunkten, vor allem im vor- und im nachlaufenden, findet sich immer Staub, der, einmal dorthin gelangt, wie in einer Falle eingeschlossen ist. Daher ist dieser Staub immer so etwas wie ein strahlungshistorisches Protokoll, aus dem man viele entscheidende Daten über die Entwicklung des Systems gewinnen kann.

Das Raumschiff näherte sich dem Librationspunkt bei voller Bremsung rückwärts, das Bremsfeld zwischen sich und dem Punkt, wobei keine exakte Messung möglich war, solange die Antriebe in Gang waren; die zu erwartenden Werte waren zu schwach, so schwach, daß das Bremsfeld sie verschlucken mußte. Außerdem wollte man den Staub direkt einfangen, deshalb war ja der Kurs so festgelegt worden, daß an diesem Punkt die Relativgeschwindigkeit zum Zwerg gleich Null war.

Kurz davor wurden die Antriebe ausgeschaltet. Mit kleiner Geschwindigkeit glitt das Raumschiff dem geometrisch genau zu fixierenden Punkt zu; einige tausend Kilometer danach würde auf Null gebremst und dann wieder etwas beschleunigt werden, so daß sie das Gebiet noch einmal durchflogen, dann schon in Richtung auf den Planeten - und hoffentlich mit Ergebnissen. „Sucht jetzt!“ befahl Atacama.

Dela, Rila und Gibralt hingen an den Geräten, speziellen Staubradars, und tasteten die Umgebung ab.

Dela wußte so genau wie die CE, was von den nächsten Minuten abhing. Bisher hatten alle Messungen versagt, nirgends hatten sich auch nur geringfügige Restschwankungen in der Strahlung des Beteigeuze gezeigt. Fand man hier etwas, so würde das auf jeden Fall die weitere Arbeit der Expedition bestimmen. Fand man aber nichts, geriet die Expedition in eine Krise. Dela hatte in den letzten Tagen gespürt, wie die CE unter der Belastung litt, es hätte dazu nicht der ständigen besorgten Blicke Kilimans bedurft. Auch Dela machte sich Sorgen um Atacama, und dieses Gefühl war ein wenig bitter, denn in einem Punkt stimmte sie nicht mehr mit ihrem großen Vorbild überein, und das war Atas Optimismus, hier etwas zu finden. Sie, Dela, erwartete nicht, im Librationspunkt irgend etwas zu entdecken, und sie hoffte es trotzdem, der CE wegen.

Aber als sie nun wirklich nichts fand, keinen Staub, keine Spur von Staub, wollte sie es doch nicht glauben. Sie variierte die Frequenzen, suchte noch einmal und noch einmal... Und dann stand plötzlich Atacama hinter ihr und sagte: „Laß mich mal ran!“

Sofort machte Dela ihr bereitwillig Platz und wartete nun gespannt, was die CE tun würde, irgendeine Idee mußte sie doch haben, sonst

hätte sie sie nicht weggeschickt, aber Dela bemerkte nichts von einer neuen Idee, Atacama tat dasselbe, was sie getan hatte, und da begriff sie allmählich: Es war Ungeduld gewesen, vielleicht auch das Gefühl, nur wenn sie es selbst machte, sei sie vor Fehlern sicher - das hatte die CE getrieben!

Dela war nicht ärgerlich, sie verstand die CE, die mußte sich jetzt mit Betriebsamkeit über ihre Enttäuschung hinwegarbeiten. Ja, Dela

begriff sie voll und ganz, leider konnte sie die Enttäuschung nicht mit gleicher Intensität spüren, und so mischte sich ein wenig Mitleid in das Verständnis. Und Dela war sich plötzlich darüber klar, daß dieses Mitleid die CE in ihrer Vorstellung vom Sockel des großen Vorbilds herunterhob.

Der Durchflug in entgegengesetzter Richtung brachte keine anderen Ergebnisse. Die CE bemühte sich, niemanden etwas merken

zu lassen, aber das gelang ihr allenfalls dem jungen Paar gegenüber, das sowieso nur füreinander Augen und Ohren hatte. So endete diese Gemeinschaftsarbeit in einer gedrückten Stimmung.

Dela, deren Schicht noch nicht beendet war, hatte wenig zu tun, und sie hatte ganz gewiß keine Lust, in diesem Augenblick die Konsequenzen zu durchdenken. Sie wandte sich statt dessen noch einmal den Stauchsignalen zu.

Eigentlich hatte sie schon alle Möglichkeiten untersucht und nichts gefunden, was auf einen semantischen Gehalt der Impulse schließen

ließ. Als eindimensionale Zeichenreihe, als zweidimensionales Bild

und als dreidimensionale Figur hatte der Computer sie in Hunderten von Varianten durchgerechnet, und nichts hatte sich ergeben. Es war

ja auch ein zu verrückter Gedanke... Andererseits, falls wirklich den Impulsen eine Bedeutung aufgeprägt war, dann wohl in einer einfach entschlüsselbaren Form; sie sollte ja nicht verborgen werden.

Aber was waren denn einfache Formen? War einfach für irgendwelche anderen Intelligenzen das gleiche wie für die Menschen? Hatten nicht schon die Menschen dieses Jahrhunderts ganz andere Vorstellungen von Einfachheit als die, sagen wir, des Mittelalters? Nehmen wir das zweidimensionale Bild. Was ist einfach? Die einfachste Figur in der Ebene ist die Gerade, die im Winkel von fünfundvierzig Grad durch Null geht: y gleich x. Aber damit läßt sich kein Bild zeichnen. Und außerdem, das gilt ja nur für das kartesische Koordinatensystem. In Polarkoordinaten ist die einfachste Figur Rho gleich Phi, die Spirale, und damit kann man auch kein... Doch, damit kann man ein Bild zeichnen! Und eine Spirale hatte Elber da auf dem Planeten gefunden. Das war weitere Versuche wert!

Sicherlich würde die Spirale, wenn sie zur Bildherstellung benutzt wurde, enger gewickelt sein als Rho gleich Phi, die einfachste archimedische Spirale; man mußte also Phi einen Faktor kleiner eins beigeben und diesen Faktor auf dem Computer gleiten lassen.

Die Schwierigkeit lag in diesem Fall nicht in der Programmierung, wirklich kompliziert war es für Dela, in den sich verändernden Schwarzweißverteilungen auf dem Ausgabeschirm den flüchtigen Moment zu erkennen, wo sich vielleicht ein Bild zeigen sollte. Da sie aber nicht wußte, was dieses Bild darstellen würde, konnte sie also nicht nach etwas Bestimmtem suchen.

Nach fünf Minuten schaltete sie das Aggregat ab - Pause, vor ihren Augen flimmerte alles. Das war also nichts. Oder war da doch etwas gewesen? Das Bild hatte zwischen fast gleichmäßigem Grauton und der Ausbildung zusammenhängender heller Flächen geschwankt, mehrmals geschwankt - gab es da eine Periode? Wenn ja, könnte man sich darauf beschränken, nur die Bilder mit zusammenhängenden Hellflächen zu betrachten, und die etwas genauer.

Die Periode existierte, sie war schnell festgestellt. Dela ließ nun nacheinander die Bilder im Periodenabstand auf den Schirm geben und etwas länger stehen. Und da wurde ihre Suche belohnt. Fast hätte sie aufgeschrien: Auf dem Schirm zeichnete sich deutlich das Bild einer Galaxie ab, ähnlich der M 31, aber doch nicht gleich, wie sie bei längerem Hinsehen bemerkte. Augenblicklich war sie überzeugt: Das war kein Zufall, das konnte kein Zufall sein, nicht die Wirkung blinder Naturkräfte, das war eine Nachricht von gesellschaftlichen Wesen für gesellschaftliche Wesen. Nur von wem und für wen und was sie eigentlich besagte - das war noch zu klären.

Es gab jetzt kaum noch einen Teil der Planetenoberfläche, der nicht von einem der Satelliten überflogen worden war, und das bedeutete allerhand Material, selbst für den Computer, war doch die Oberfläche etwa sechzehnmal so groß wie die der Erde. Es war also an der Zeit, mit der Bearbeitung der spektralen Bildoktette zu beginnen.

Die Ziele, die die Basisleute damit verfolgten, waren, an der Fülle des Materials gemessen, äußerst bescheiden; sie würden gewiß nur Tausendstel oder Zehntausendstel der vorliegenden Information benötigen, alles andere blieb der späteren Aufbereitung auf der Erde vorbehalten. Das leidige Paradoxon des Planetologenberufs zeigte sich auch hier: Neunzig Prozent seiner Arbeit wurden auf der Erde ausgeführt.

Was die Basis brauchte, waren Messungen klimatischer und verwandter Ereignisse, also alles, was die Produktion beeinflussen konnte. In erster Linie war Klarheit zu gewinnen über diese G-Schwankungen, wenn schon nicht über ihre Herkunft und Ursache, so wenigstens über Gesetzmäßigkeiten ihres Auftretens und über Begleiterscheinungen, die eine rechtzeitige Warnung ermöglichen würden.

Das war anfangs eine mühselige Arbeit. Dem Computer konnte man, da man ja nicht genau wußte, wonach man suchen sollte, nur die Grobarbeit überlassen, er mußte alles bereitstellen, was den bereits beobachteten Begleiterscheinungen einer G-Schwankung auch nur im geringsten ähnlich sah.

„Sobald wir feststellen, daß irgendwo eine G-Schwankung beginnt, sollten wir mit der Fähre hinfliegen und den Ausbreitungsprozeß kontinuierlich aufnehmen“, rief Elber. Er war glücklich über diesen Einfall, nach dem er so lange gesucht hatte, und nun wartete er gespannt, ob Woleg zustimmen würde - wenn ja, würde diese Arbeit normalerweise ihm, Elber, als dem Vorschlagenden zufallen, vorausgesetzt, er wünschte das. Und wie er das wünschte!

Woleg sah Elber durchdringend an, als ahne er etwas von dessen Gedanken. In Wirklichkeit rechnete er nur im Kopf nach, wie die Möglichkeiten dafür aussahen.

„Vier Stunden müßte man die Fähre schon mal entbehren können, wenn wir so weit vorarbeiten, daß die Speicher der Vorverdichter leer sind“, sagte er. „Schaffst du das allein?“

„Na klar“, erwiderte Elber mit klopfendem Herzen.

„Gut“, sagte Woleg. „Gib dem Computer eine Alarmschaltung - sobald er aus dem laufenden Material eine beginnende G-Schwankung heraussiebt, soll er uns alarmieren. - Und was ist das hier?“

„Ach“, antwortete Elber etwas verlegen, „ein zusätzliches Suchprogramm, nicht umfangreich, keine besondere Belastung.“

„Und wonach?“

„Nach spiralförmigen Anordnungen auf den Bildern“, sagte Elber. „Du weißt doch, Dela hat eine Galaxis entdeckt in den Staubimpulsen, ich habe eine Spirale gefunden - vielleicht spielen hier die Spiralen eine besondere Rolle?“

„Warum muß ich so was erst erfragen“, entgegnete Woleg, „warum sagst du mir das nicht von dir aus?“

„Hast ja recht“, gab Elber zu, „aber weiß ich denn, ob du es mir genehmigst?“

„Du weißt genau, was ich als CB vertreten kann, das genehmige ich auch!“

„Ist doch kein Mißtrauen gegen dich“, sagte Elber. „Bloß bei dieser Expedition weiß ich nie genau, was du noch darfst und was nicht, und deshalb bringe ich dich lieber nicht in Verlegenheit.“

Woleg schüttelte den Kopf. „Überleg dir das noch mal genau“, sagte er, „mit dieser Einstellung kann man nicht arbeiten. Aber etwas anderes - sag mal, deine Spiralen da, du warst doch der Meinung, daß hier eine Zivilisation den Planeten auf Grund einer ökologischen Katastrophe verlassen hat. So hast du das doch in deinem Memo geschrieben, nicht wahr? Suchst du jetzt doch Bewohner?“

„Ich muß ja nicht recht gehabt haben damals.“

„Das ist auch wahr“, erwiderte Woleg.

Elber wußte schon seit einer Viertelstunde, daß eine Sendung von Dela für ihn eingegangen war, und er wußte sogar, worum es sich handelte. Er hatte Dela um ein Privatissimum über Zeitumkehr gebeten, da er auf diesem Gebiet kaum Kenntnisse besaß. Aber er versprach sich nicht nur Anregung davon, sondern Verwerfung oder Bestätigung seiner Gedanken. Deshalb zögerte er noch, den Bildschirm anzustellen, sammelte sich eine Weile, bis er sich bereit fühlte, seine Freundin anzuhören.

„Hallo, El!“ sagte sie, lächelte, wurde aber sogleich ernst, ihr Gesicht bekam schon etwas Dozierendes, bevor sie zu sprechen begann. „Zum Problem der Zeitumkehr, also Reise in die Vergangenheit. Es ist dir doch recht, wenn ich mich so einfach wie möglich ausdrücke? Gut. Nun, was die Vorstellung alter Phantasten betrifft, man könne in die Vergangenheit reisen und dabei am selben Ort bleiben, so sind sie unsinnig, weil Raum und Zeit eine Einheit bilden. Wo aber befand sich, sagen wir, London vor fünfhundert Jahren? Die Frage ist nicht zu beantworten, weil es kein allgemeines Koordinatensystem gibt und London sich um den Erdmittelpunkt, dieser um die Sonne, diese innerhalb der Galaxis und diese innerhalb der lokalen Gruppe bewegen und weil auch an diesem Punkt zwar mit unserem exakten Wissen, aber sicher nicht mit der Bewegung Schluß ist. Verstehst du, denselben Raumpunkt vor hundert Jahren gibt es nicht, es gibt ihn nur in bezug auf ein bestimmtes materielles System, zum Beispiel in bezug auf den Erdmittelpunkt. Aber wer innerhalb eines bestimmten materiellen Systems bleibt, der bleibt auch seiner Raumzeit unterworfen, also auch innerhalb einer bestimmten Zeit. Das ist alles, was wir heute zu dem Punkt sagen können.

Positiv können wir nur etwas sagen über einige Eigenschaften, die ein Übergang in eine entgegengesetzte Zeitrichtung haben müßte, falls es einen solchen gäbe. Die wichtigste Feststellung: Der Übergang müßte sprunghaft geschehen, nicht kontinuierlich. Das ist leicht zu erklären. Bei einem kontinuierlichen Übergang müßte jeder Körper sich selbst zerstören. Nehmen wir wieder Wells’ Zeitmaschine, stell dir vor, da steht sie, es ist jetzt zwölf Uhr dreiundzwanzig. Jetzt, fünf Sekunden später, schalte ich auf Rückwärtsgang, in fünf Sekunden ist sie also wieder da, wo sie um zwölf Uhr dreiundzwanzig war - rein zeitlich. Aber der Ort hat sich verschoben - Erdrotation, Erdbahn um die Sonne und so weiter, verstehst du? Fünf Sekunden, das war ein Beispiel - bei jedem kontinuierlichen Übergang müßte es eine kleine Zeitspanne geben, während deren der Körper sich in sich selbst bewegt und zerreißt, und zwar mit der Kraft des Universums! Schlußfolgerung also: Wenn es den Übergang überhaupt geben sollte, dann nur als Sprung.

Eine weitere Feststellung: Dieser Sprung müßte sich unter Bedingungen vollziehen, bei denen die zum Sprung vorgesehene Stoffmenge von anderen Stoffen isoliert ist, also wie bei einem Raumflugkörper. Er darf keine stoffliche Umgebung haben, die dabei in Mitleidenschaft gezogen wird.

So, das war’s, hoffentlich hat es dir geholfen. Ich wußte ja nicht, wohin du zielst.“ Sie bewegte grüßend die Hand, der Schirm erlosch.

„Ich wußte es auch nicht“, murmelte Elber, „aber ich glaube, jetzt weiß ich’s.“ Er schaltete sein Wiedergabegerät ab, zögerte einen Augenblick und trat dann ins Freie.

Draußen balgte sich der kleine Fox mit einem Knäuel aus Plastfäden, das irgend jemand für ihn zurechtgemacht hatte. Das brächte Elber auf Hirosh. Er ging zur Hütte des Kochs.

„Darf man den großen Meister im Atelier stören?“ fragte er, bevor er die Küche betrat.

„Komm herein, wir machen eine Ausnahme!“ antwortete Hirosh gut gelaunt. „Riech mal!“ Und er hielt Elber ein Pulver unter die Nase.

„Ah, superb!“ sagte Elber und fuhr dann fort: „Aber ich will ehrlich sein - mir schmeckt es immer, egal, was für Gewürze du darangibst, von der Erde, vom Mars oder von hier.“

„Banause!“

„Übrigens“, fragte Elber, „wenn ich jetzt hier dran rieche - wie schnell ist der Geruch im Gehirn? Oder der Eindruck davon? Oder - ich weiß nicht, wie ich es exakt bezeichnen soll, das ist nicht mein Gebiet.“

„Willst du’s genau oder ungefähr?“

„Ungefähr reicht.“

„Genau könnte ich es dir auch gar nicht sagen, das hängt von vielen Umständen ab, ob der Geruch überhaupt bewußt wird und wie schnell. Das liegt ungefähr in der Größenordnung von Zehntel- bis Hundertstelsekunden. Reicht dir das?“

„Ja, das reicht. Danke.“

„Und wozu willst du das wissen?“

„Ach, ich habe da so eine Idee. Was macht denn übrigens meine Spirale?“

Elber hatte Hirosh ablenken wollen, und er schaffte es tatsächlich. Der Koch sprang auf diese Frage an.

„Sie liegt da und gibt Rätsel auf“, sagte Hirosh. „Besonders, seit Dela die Galaxis entdeckt hat, ich meine das Bild davon. Ich scheue mich immer noch, das Ding mit den Händen zu bearbeiten oder mit anderen Werkzeugen, ich tu das lieber noch ein bißchen mit dem Kopf.“

„Und was hat der herausgekratzt?“

„Ich muß dauernd an die Kardaschew-Vermutung denken; die hat mir schon immer imponiert, wegen ihrer Poesie. Du kennst sie doch?“

„Ich bin im Augenblick nicht ganz sicher...“

„Also nicht. Das war ein Wissenschaftler gegen Ende des zwanzigsten Jahrhunderts, der sprach die Vermutung aus, es müsse drei Stufen der Zivilisation geben, charakterisiert durch die Beherrschung der Energiequellen ihres Planeten in der ersten, ihrer Sonne in der zweiten und ihrer Galaxis in der dritten Stufe.“

„Ja, jetzt erinnere ich mich, ich hab davon gehört - das ist doch aber längst widerlegt, wenn ich mich recht entsinne.“

„Ach, Junge“, sagte Hirosh seufzend, „unsere Mittel reichen weder aus, die Vermutung zu beweisen, noch, sie zu widerlegen. Sie ist bloß gegenwärtig gerade mal nicht Mode. Lebe noch ein bißchen länger, und du merkst, in der Wissenschaft gibt es auch Moden. Hat es schon immer gegeben. In den Briefen und Memoiren von berühmten Wissenschaftlern findest du viel darüber. In der offiziellen Wissenschaftsgeschichte weniger. Aber Spaß beiseite - es lohnt sich, auch so was mal zu bedenken.“

In Elbers Helm, den er auf dem Rücken trug, tutete es. Er setzte ihn auf. „Ich muß starten“, sagte er dann. „Fünfzigtausend Kilometer weiter westlich entwickelt sich eine G-Schwankung.“

Es war ein grandioses Schauspiel, das sich Elber bot - freilich nicht direkt seinem Blick, der nahm nur ringförmige Veränderungen in der Dunstschicht wahr, dafür aber auf dem Bildschirm, und das immerhin in dem Bewußtsein, daß sich das alles direkt unterhalb der Fähre abspielte.

Da unten war Meer - nicht das kleine, an dessen Ufern sie sich niedergelassen hatten, sondern der große Ozean. Übrigens, was hieß hier klein und groß! „Ihr“ Meer, das hier auf der Landkarte vergleichsweise klein wirkte, fast wie ein Binnenmeer, war so groß wie der irdische Atlantik, und das hier unter ihm, der Ozean, war größer als die gesamte Erdoberfläche.

Es traf sich gut, daß sich diese Schwankung über dem Meer entwickelte. Seine Oberfläche folgte den einwirkenden Kräften weit stärker als die des Landes, hier war vieles bequem meßbar und frei von störenden Einflüssen und daher von der Fähre aus zu erledigen, was auf dem Lande ein kontinentales Netz von Meßstationen erfordert hätte.

Das erste, was er anhand der Oberflächengestalt des Meeres feststellen konnte, war die Tatsache, daß sich die Schwankung in Form einer Stoßwelle ausbreitete. Auf einem ringförmigen Streifen von etwa fünfzig Kilometer Breite herrschte erhöhte Gravitation, innerhalb dieses Ringes aber wieder die normale - oder war es richtiger, zu sagen: die herabgesetzte? Dieser Ring hatte jetzt schon einen Durchmesser von über tausend Kilometern. Die Ausbreitungsgeschwindigkeit war auch leicht zu messen. Bisher hatten sie nur ungenaue Schätzungen oder richtiger solche, für deren Genauigkeit sie sich nicht verbürgen konnten und die vor allem auch darüber nichts aussagten, wie die Ausbreitungsgeschwindigkeit selbst sich verhielt, ob sie konstant war oder sich veränderte. Denn diese Schätzungen beruhten nur auf dem Vergleich verschiedener Satellitenaufnahmen. Jetzt aber zeigte sich, daß die Schätzungen gar nicht so schlecht gewesen waren: Die Geschwindigkeit lag bei zweihundert Kilometern je Stunde. Nun, er hatte knapp vier Stunden Zeit, er würde also zwischendurch mehrmals die Geschwindigkeit messen, dann würde sich herausstellen, ob sie gleichblieb.

Elber überschlug im Kopf, wie lange die Stoßwelle wohl wirksam bleiben würde - bisher hatten sie nach Satellitenbeobachtungen die größte Ausdehnung, die eine solche Schwankung hatte, mit einem Viertel der Meridianlänge festgestellt, also ungefähr mit einem Radius von zwanzigtausend Kilometern. Bei der jetzigen Geschwindigkeit würde die Stoßwelle sich also gut vier Tage lang ausbreiten. Es würde gewiß nützlich sein, gegen Ende dieser Zeit noch einmal zu starten, dann ließen sich viele Fragen genauer beantworten.

Zum Beispiel die Frage, ob die Stoßwelle bei ihrer Ausbreitung gleich stark blieb oder stärker oder schwächer wurde, ob sie allmählich verebbte oder plötzlich verschwand. Die Beantwortung dieser Fragen würde vielleicht etwas Klarheit in die undurchsichtigen Zusammenhänge bringen - oder aber im Gegenteil den Widersinn noch verstärken, was Elber für wahrscheinlicher hielt.

Im Grunde existierten nur innerhalb dieses schmalen sich ausbreitenden, kurzlebigen Ringes die normalen, naturgemäßen Verhältnisse dieses Planeten, und in der Troposphäre, sonst herrschte unnormale, herabgesetzte Schwerkraft, die aber durch irgendeinen unbekannten und unerklärlichen Mechanismus stabil gehalten wurde.

Ob die Messungen etwas über diesen Mechanismus aussagen würden, war noch nicht abzusehen, Elber glaubte aber nicht daran. Doch eine Menge anderer Dinge würden sich ausrechnen lassen: wie tief die Stoßwelle in den Boden reichte, beispielsweise, und vieles andere mehr.

Elbers Gedanken wanderten schon weiter, zu dem Vorhaben, das ihn eigentlich interessierte, für das diese Messungen nur die willkommene Gelegenheit schufen. Er war sich noch nicht klar darüber: Sollte er die Sache unternehmen, ohne jemanden davon zu unterrichten? Dann konnte ihm niemand dreinreden, er riskierte nicht eine Situation, in der er gegen eine direkte Anweisung handeln müßte. Andererseits konnte ihm etwas passieren, dann würden seine Gedanken und auch die Ergebnisse seines Experiments verlorengehen, vielleicht sogar die Fähre, die sonst zur Not auch vom Boden aus zurückgeführt werden konnte.

Gut, mochten sie ihm dreinreden - hindern konnten sie ihn nicht. Gewiß war das Unternehmen gewagt, weil es andere und sogar bessere Methoden gab, seine Vorstellungen zu überprüfen. Nur wurde ihm zu regulärer Forschung kein Raum gegeben, also mußte er etwas wagen.

Als er schließlich den Rückflug antrat, stand sein Entschluß fest. Sobald er Funksicht zur Basisstation bekam, rief er Woleg an.

„Ich brauche deine Hilfe“, sagte er, „und wenn es geht, deine Zustimmung. Die Messungen habe ich alle im Kasten, sie geben bestimmt eine Menge her. Jetzt fliege ich eine kleine Schleife, dann beschleunige ich auf Satellitengeschwindigkeit und fliege in die Verdopplungszone ein. Ich bitte dich, unterbrich mich nicht, ich habe eine Theorie, ich habe festumrissene Vorstellungen darüber, wie das Satellitenparadoxon zu klären ist, die muß ich überprüfen, es geht nicht anders. Kann sein, daß es für mich etwas strapaziös wird - gefährlich für die Fähre ist es auf keinen Fall. Ich hätte das auch ganz allein auf mich genommen, aber so ist es besser, falls ich wirklich die Handlungsfähigkeit verliere, mußt du die Fähre vom Boden aus zurückführen. Aber erst, nachdem sie aus der Zone wieder raus ist, auf keinen Fall etwas ändern, solange sie in der Zone fliegt, das ist lebenswichtig, merk dir das bitte, ja?“

„Ich bin ja kein Säugling“, brummte Woleg. Eigentlich hatte er gleich widersprechen wollen, aber gerade die letzten Sätze mit ihren sehr bestimmten Verhaltensregeln hatten ihn überzeugt, daß Elber wirklich feste Vorstellungen hatte.

Elber blickte auf die Uhr. Drei Minuten trennten ihn noch von der etwa zehntausend Kilometer langen Bahnstrecke, auf der die Verdopplung wirksam war.

„Achtung, Boden“, sprach er, „in genau zwei Minuten und vierzig Sekunden fliege ich mit der Fähre in die Verdopplungszone auf der Satellitenparkbahn ein. Die Geschwindigkeit beträgt fünfunddreißig Kilometer in der Sekunde. Ich berichte dann laufend über meine Eindrücke und sende einen Leitstrahl auf der Eichfrequenz.“

Der Eintritt in die Verdopplung war für Elber der Zeitpunkt, an dem sich alles entscheiden würde. Fest hatte er den Blick auf den Bildschirm gerichtet, der den vorausliegenden Sektor zeigte. Seine Augen hatten einen möglichst hellen Stern in der Mitte des Bildschirms gesucht und blickten nun starr darauf. Und - jetzt erschien die Fähre auf dem Schirm und - ja! Der Stern blinkte durch die Fähre! Durch ihr Bild hindurch! Das war der Beweis, seine Theorie war richtig, das Experiment bewies sie. Nur, das mußte er jetzt den anderen erklären. „Ich werde versuchen zu schildern“, sagte er, „was ich sehe und erlebe, zu erklären, welche Zusammenhänge durch diesen Versuch bewiesen sind und welche sich vermuten lassen, also überprüft werden müssen. Für den Fall, daß ich die Handlungsfähigkeit verliere, wird der CB die Fähre nach Verlassen der Dopplungszone zurückführen. Während der Verdopplung würde jedes kursverändernde Manöver mit großer Wahrscheinlichkeit die Fähre zerstören.

Auf dem Vorausschirm sehe ich ein Bild der Fähre, aber zugleich einen Stern, der eigentlich durch die Fähre verdeckt sein müßte, er leuchtet scheinbar durch die Fähre hindurch. Das gleiche Bild ergibt sich übrigens optisch.“

Er stand auf, schob die Blenden der Direktfenster beiseite und blickte hinaus. „Ich bestätige noch einmal; entsprechende Ergebnisse liefert auch der Blick zurück. Auf den Protokollfilmen wird man das später im einzelnen kontrollieren können. Das bedeutet aber, daß die Fähre identisch gedoubelt ist. Ich beweise diese Tatsache zunächst und schränke sie später ein. Die beiden Exemplare, die hintereinander fliegen, was sich am Eichstrahl unschwer feststellen läßt, gleichen sich also in allem bis auf die Bilder, die die nach vorn und nach hinten gerichteten Kameras oder Blicke aufnehmen. Bleiben wir als Beispiel bei den nach vorn gerichteten. Die Kamera des vorderen Doubles nimmt den leeren Sternhimmel auf, die des hinteren aber das vordere Double vor demselben Sternhimmel. Infolgedessen sind auf dem zusammengesetzten Bild Fähre und dahinter liegende Sterne zugleich zu sehen - diese Tatsache ist der Beweis, und er wird noch ergänzt durch die gleichen Ergebnisse in rückwärtiger Richtung. Die Identität bringt es mit sich, daß ich außer der Fähre, in der ich bin, noch vor mir und hinter mir eine sehe, weil ich sie einmal als der von vorn Sehende und einmal als der von hinten Sehende erlebe. Die Klärung dieses Zwei-drei-Paradoxons entspricht genau dem Witz, den unser Koch erzählt hat.

Nun ist eine identische Verdopplung ein geradezu denkwidriges Ereignis. Ich habe deshalb alle Meßgrößen, die im Zusammenhang mit der Verdopplung der Satelliten zur Verfügung standen, genau analysiert. Dabei fiel mir zunächst auf, daß der Abstand der Doubles etwa der Strecke entsprach, die der Satellit in einer Millisekunde

durchflog, und eine Millisekunde wiederum war der Abstand zwischen den beiden Antworten auf den Eichstrahl. Bei allen

anderen Informationsprozessen zwischen den Satelliten und dem Raumschiff, davon habe ich mich überzeugt, wirkt sich die Verschiebung um eine Millisekunde nur in Größenbereichen aus, die von der Automatik als Unschärfe eliminiert werden.

Das brachte mich auf die Überlegung, daß hier eine Projektion des Raumes und seines Inhalts in sich selbst hergestellt wird, und zwar

mit einer Verzögerung von einer Millisekunde. Der zweite Körper ist

also der erste, wie und wo er vor einer Millisekunde war, folglich nicht ganz identisch. Daraus folgt: Jeder Antrieb, den der erste

benutzen würde, würde eine Millisekunde später Wirkungen auf den zweiten ausüben. Da aber noch unbekannt ist, inwieweit originaler und duplizierter Raum aufeinander einwirken, und insbesondere, was am Schluß eigentlich gelöscht wird, das Original oder das Duplikat, würde das eine unverantwortliche Gefährdung mit sich bringen.

Die genaue Untersuchung der Meßgrößen ergab, daß Zeit, Abstand und Geschwindigkeit nicht ganz übereinstimmten, bei den Satelliten,

meine ich. Aber gerade das bestärkte meine Annahme - in den duplizierten Raum müssen ja auch die Relativgeschwindigkeiten eingehen, die der Satellit gegenüber dem Zwerg, dem Beteigeuze und der Galaxis hat. Da nun diese Geschwindigkeit aus der anderen Einflugrichtung, die ich mit der Fähre genommen habe, sich auch anders addieren, konnte ich den theoretischen Abstand zwischen der Fähre und ihrem Duplikat recht genau vorausberechnen, und wie ich jetzt messe, stimmt er auf den Millimeter. Na also.

Wo die Ursachen dieser Erscheinung liegen, bleibt vorläufig im dunkeln. Eine andere Frage ist, ob es sich um eine natürliche

Erscheinung oder um eine technische handelt. Im letzteren Fall, den ich als gegeben betrachte, ist die Frage nach dem Zweck einer solchen Erscheinung sinnvoll. Ein solcher Zweck könnte darin bestehen, daß ihr ein Übertritt in ein anders gerichtetes Zeitregime folgt; Verdopplung als Startstufe sozusagen. Man könnte annehmen, die Bewohner haben über diese Startstufe den Planeten verlassen, weil eine ökologische oder sogar stellare Katastrophe drohte, und diese Startstufe läuft nun noch einige Jahrhunderte oder Jahrtausende leer, weil der letzte, der sie hätte abstellen können, ebenfalls mit abgeflogen ist. Und man könnte weiter fragen, ob die früheren Intensitätsschwankungen des Beteigeuze nicht periodische Massenstarts waren, wobei die Bewohner die Energie des Fixsterns in einer Weise zu nutzen verstanden, die wir nicht kennen. Dann könnte man annehmen, daß die Starts vor vielen Jahrtausenden begannen, soweit die Überlieferungen unserer Astronomie zurückreichen, und daß vor sechshundert Jahren der letzte Start erfolgte. Das würde auch den Zusammenhang zwischen der synodischen Umlaufzeit des Planeten und der früheren Periode des Beteigeuze erklären.

Es kann ja sein, daß das alles sehr spekulativ ist, aber vielleicht finden sich Anhaltspunkte, an denen man das eine oder andere klären kann. Schließlich ist es nicht ganz ohne Bedeutung für uns, ob die Katastrophe schon stattgefunden hat, noch bevorsteht oder ob wir uns mitten darin befinden.

Ich habe vorhin schon erwähnt, daß sich noch nichts über den Zusammenhang der beiden ineinander projizierten Räume sagen läßt. Beispielsweise nicht, ob ich als Person gespalten bin oder identisch bleibe, ob zum Beispiel die Wahrnehmungen, die ich als Vorderer oder Hinterer mache, sich im selben Kopf widerspiegeln. Dann würde der Abstand von einer Millisekunde unter Umständen zu einer Reizüberlastung führen oder zu noch schlimmeren Erscheinungen. Das muß sich nun an meiner Person als Indikator zeigen, und für diesen Fall bin ich vorbereitet, ich sprach schon davon.

Im Augenblick habe ich das Gefühl eines leichten Schwindels, aber das kann auch von der Aufregung und dem vielen Reden sein. Ich lege hier jedenfalls eine Betäubungsspritze bereit, die mich augenblicklich in Schlaf versenken wird, so daß die doppelte Reizflut unterbrochen wird.

Auf jeden Fall bitte ich die Basis, darauf zu achten, welcher Peilstrahl an der Grenze zur Normalzone verlischt, sie sind strukturiert und daher zu unterscheiden. Wenn meine Vorstellung stimmt, daß das Ganze hier Teil einer Starteinrichtung ist, dann müßte eigentlich das vordere Double, also das frühere Original, verschwinden. Wobei ich zugebe, daß das kein hinreichender Beweis wäre, höchstens ein Indiz.

Ich merke aber jetzt doch, daß in meinem Kopf etwas brummt. Wie lange noch? Zwei Minuten. Besser, ich schone mich. Wünscht mir einen guten Schlaf.“

Elber gab sich die Spritze.

Woleg wartete in einer Art kalter Erregung. Endlich trat die Fähre aus der Verdopplungszone heraus. „Ich leite die Landung ein!“ erklärte Woleg für das Protokoll.

Und dann sah er: Der vordere Peilstrahl war zuerst erloschen.