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»Da haben Sie ja gehandelt, als hätten Sie Ihr Leben lang nichts anderes gemacht!« sagte Horst Heilig, und Werner Frettien nickte zustimmend.

Das Lob der beiden freute mich. Ich hatte zwar im vollen Bewußtsein meiner Verantwortung und wohlüberlegt gehandelt und hätte mein Verhalten auch gegen jeden Vorwurf verteidigt, aber man mag so selbstbewußt sein wie man will – dem Urteil der anderen steht niemand gleichgültig gegenüber.

Ich hatte Horst Heilig gleich nach meiner Rückkehr in großen Zügen berichtet, und er hatte verlangt, daß ich alles aufschrieb – die Gespräche sogar möglichst wörtlich. Nun hatten wir eben alle noch einmal das Schriftstück studiert.

»Hat sich schon etwas ergeben mit dem Wagen?« fragte Horst Heilig, und ich erfuhr nun, daß die anderen inzwischen auch nicht untätig gewesen waren.

»Er wurde von einem ausländischen Touristen gemietet«, erklärte Werner Frettien. »Er kam am Vorweihnachtstag früh aus der ČSSR in die DDR und verließ sie am Abend gegen zwanzig Uhr in Warnemünde.«

»Gut. Nehmen wir also an, es sei alles so gelaufen, wie es sich jetzt unseren Blicken darstellt. Was folgt daraus? Erstens – der Gegner benutzt an der Peripherie seiner Gruppe im jetzigen Stadium die Touristik als Deckmantel. Agenten, die durchreisen und die jeweils nur eine winzige Detailaufgabe lösen. Das deckt sich mit unseren bisherigen Vorstellungen, konkretisiert sie aber. Und das ist ein Pluspunkt.«

»Zweitens«, meinte Werner Frettien, »weiß er nicht, daß wir es wissen – noch ein Pluspunkt.«

»Drittens«, sagte ich, »können wir einen von ihnen identifizieren. Mit Hilfe der Fingerabdrücke. Noch ein Pluspunkt.«

»Entschuldigt«, sagte Horst Heilig, »ich weiß, ich hab’ damit angefangen, aber wir wollen mal lieber nicht Punkte zusammenzählen – da verrechnet man sich zu leicht. Die Fingerabdrücke zum Beispiel dürften im Moment überhaupt keine Rolle spielen, allenfalls können wir sie später noch mal gebrauchen. Sicherlich hat der Gegner ein Dutzend solcher Figuren eingesetzt, und nicht nur bei uns hier, es gibt ja noch mehr neue Objekte. Sicherlich sind aber auch noch mehr Mitarbeiter verfolgt worden. Wir können also feststellen: Der Gegner hat unsere Spur gefunden, und wir wissen das. Er weiß noch nicht genau, daß es unsere Spur ist, aber wir wissen es genau. Also wissen wir mehr, und das ist gut so. Wir lassen ihn auch in dem Glauben, daß wir seine Tätigkeit noch nicht bemerkt haben. Aber zweifellos dürfte Doktor Tischner für den Gegner die interessanteste Spur sein, weil er über ihn am meisten weiß. Überlegen wir also mal genau, was der Agent für Informationen erhalten hat.«

»Wir müssen annehmen«, sagte Werner Frettien, »er weiß, daß er einem Mann gefolgt ist, der aus einer Zweigstelle der Jenenser Universität kam.«

»Und in der Wohnung fand er ein Bild, das diesen Mann, also mich, als Offiziersschüler vor einer Truppenfahne darstellt. Der Name der Offiziersschule ist zu erkennen.«

»Und der Gegner«, schloß Horst Heilig, »weiß natürlich, daß solch ein Bild eine Auszeichnung ist. Und im Kleiderschrank hängt vermutlich mindestens eine Uniform?«

»Ja allerdings.«

»Mit Auszeichnungen?«

»Für treue Dienste – fünf Jahre.«

»Also ein Oberleutnant, offenbar aktiver Offizier, ausgezeichnet, der von einer zivilen Dienststelle kommt.«

»Stop«, sagte Werner Frettien, »es ist natürlich ebenso möglich, daß dieser Oberleutnant dort nur auf einer Dienstreise war. Vielleicht zu einer Besprechung. Vielleicht hat er aber auch nur in der Gegend zu tun gehabt und dann anschließend dort einen Verwandten oder Bekannten besucht.«

»Richtig«, sagte Horst Heilig, »und folglich muß der Gegner versuchen, das genau herauszukriegen.«

»Ja«, ergänzte Werner Frettien, »wenn er nicht schon durch eine andere verfolgte Person Klarheit über uns gewonnen hat. Denn dann würde er Doktor Tischner erst mal links liegenlassen.«

»Demnach«, meinte Horst Heilig, »wird sein Verhalten zu Doktor Tischner für uns zum Gradmesser dafür, wie genau der Gegner im Bilde ist. So, jetzt haben wir’s im Griff.« Er wandte sich direkt an mich. »Was haben Sie für Nachbarn?«

»Sie meinen, die laufen noch mal meine Wohnung an?«

»Was würden Sie denn tun – an Stelle des Gegners?«

Ich überlegte. Dann stimmte ich zu. »Ich würde warten, bis niemand in der Wohnung ist, und dann bei den Nachbarn klingeln. Und mich vielleicht als alten Kumpel von der Offiziersschule ausgeben. Unsere Nachbarin hat Zwillinge, ein halbes Jahr alt, sie hat mit der Arbeit für zwei Jahre ausgesetzt und ist immer da.«

Horst Heilig legte mir die Hand auf den Arm. »Wegen Ihrer Frau brauchen Sie nicht besorgt zu sein. In diesem Stadium wird der Gegner sich hüten, sich bemerkbar zu machen. Er wird Ihre Frau nicht mal ansprechen.«

Ich nickte. »Wollen wir ihn beobachten?«

Werner Frettien schüttelte den Kopf. »Wie wollen Sie in einem fünfstöckigen Haus jeden Mann beobachten, der hineingeht und irgendwo klingelt? Wir müßten dann schon die Nachbarin einweihen, und das kommt wohl kaum in Frage. Wir wollen ja dem Gegner auch nicht auffallen.«

»Aber wie wär’s denn«, fragte Horst Heilig, »wenn Sie mich zum kommenden Wochenende zu einem Besuch einladen?«

Und als ich nicht gleich antwortete, fügte er hinzu: »Ich werde natürlich im Hotel wohnen!«

»Natürlich gern«, antwortete ich. »Ich war nur etwas überrascht. Ist das nicht zu riskant? Ich meine, wenn der Gegner dann gleich zwei von uns sieht?«

Horst Heilig schüttelte den Kopf.

»Er wird sich auf jeden Fall im Laufe der Woche Gewißheit verschaffen. Er wird von Ihrer Nachbarin erfahren, daß Sie nicht mehr in Ihrer alten Dienststelle sind, sondern Anfang Dezember versetzt wurden und nur am Wochenende nach Hause kommen, aber immer in Zivil, das haben Sie früher nie gemacht… Und dann ist der Fall für den Gegner klar, oder doch fast klar. Und Sie sind damit erst mal uninteressant. Denn für eine Kontaktaufnahme sind Sie ja wohl die denkbar ungeeignetste Person.«

Wir entschlossen uns, so zu verfahren. Trotzdem war immer noch nicht ganz klar, warum der Inspektor mich besuchen wollte. Denn die Nachbarin würde ja von allein kommen und sagen: »Ach, da war doch gestern ein Genosse von Ihnen, kurz auf der Durchreise, wie hieß er denn gleich…« Aber ich wollte ihn auch nicht direkt fragen, das hätte ja ausgesehen, als wäre mir sein Besuch nicht lieb, während ich mich, doch im Gegenteil freute.

Der nächste Tag war im Arbeitsplan rot umrandet. Die Storos waren montiert worden, und nun sollte die Arbeit des ZR, des Zentralrechners, mit der des Aktionszentrums koordiniert werden, das ja bisher getrennt von den Köpfen gemeinsam mit den Rümpfen trainiert worden war.

Dazu war alles umgruppiert worden – die Mannschaft, die Storos, die Räume. Jetzt war für jeden Storo eine Gruppe verantwortlich, in der die verschiedenen Richtungen gemeinsam arbeiteten, die Unterrichts-, Arbeits- und Speicherpädagogen. Gerda Sommer, die den widerspenstigen Caesar betreute, hatte für sich die Leitung der Gruppe beansprucht und auch durchgesetzt, und jeder Storo hatte nun seinen eigenen Raum, in dem er bis zur vorletzten Etappe bleiben würde, denn es war vorgesehen, daß die Storos keinen Kontakt miteinander haben durften, keine Erfahrungen mit ihresgleichen sammeln sollten. Es war einfach so, daß die Kooperation mehrerer Storos, die direkte Kooperation meine ich, ein Problem darstellte, das in keiner Weise theoretisch berechenbar war, solange nicht genügend Erfahrungsmaterial über die Arbeit einzelner Storos vorlag. Deshalb hatte man die Erforschung und Erschließung dieses Problems auf ein späteres Jahrzehnt verschoben und die strenge Trennung angeordnet.

Ich hatte mich zu der Zuschauergruppe gesellt, die – gemeinsam mit der Arbeitsgruppe – aus einem Nebenraum durch ein großes Panzerglasfenster die Arbeiten an Caesar beobachtete. Im eigentlichen Versuchsraum befand sich nur Nora Siebenstein – ein merkwürdiges Paar, der häßliche Roboter und das schöne Mädchen.

Dieser Raum hatte nur noch einen Bildschirm, und auch der würde später durch andere Geräte ersetzt werden. Vorerst wurde er aber noch gebraucht, denn Schirmbilder waren das einzige, mit dem der ZR bisher Erfahrungen hatte. Von anderen Anlagen war noch nichts zu sehen, nur Schrauben, Halterungen und ähnliches ragten aus dem Gestein. Dicht neben dem Bildschirm war noch eine Art Stern zu sehen, der jetzt probeweise aufleuchtete – das war alles.

»Bist du bereit?« fragte Gerda Sommer.

»Alles klar!« tönte die Stimme von Nora Siebenstein über Lautsprecher zu uns herüber. Dabei lächelte sie, als müßte sie uns Mut machen und nicht wir ihr.

»Halt dich in der Nähe der Tür auf!« mahnte Gerda Sommer.

»Ich sage doch – alles klar!«

»Akkus einführen!«

Nora Siebenstein holte aus einer Ecke, die außerhalb unseres Blickfeldes lag, eine Art Kassette und steckte sie irgendwo in den Rumpf des Storo. Dann machte sie drei schnelle Schritte rückwärts…

Alle warteten gespannt, aber nichts geschah. Das entsprach auch den Erwartungen, denn es gab nichts, woran Caesar eine Aufgabe hätte entdecken können. Außer dem – jetzt noch dunklen – Bildschirm gab es nichts Bekanntes für ihn.

Auf dem Bildschirm erschien jetzt links eine Gruppe von drei blauen Kreisen, rechts eine Gruppe von zwei roten Dreiecken. Gleichzeitig, das wußte ich, wurde ihm direkt das Signal für zwei rote Dreiecke übermittelt.

Wiederum geschah nichts.

»Er ist ja ganz friedlich«, hörte ich Nora sagen. »Ich glaube, wir können es jetzt versuchen.«

»Warte noch!« befahl Gerda Sommer.

Mehrmals wechselten die Bilder. Immer waren es zwei Zeichengruppen, und jeweils für eine davon wurde das Signal übermittelt. Aber Caesar rührte sich nicht.

»Völlig programmgemäß«, sagte Nora. »Wir wollen nicht Zeit verlieren!«

»Gut, dann los jetzt!« sagte Gerda Sommer.

Wieder erschien die erste Konstellation auf dem Bildschirm.

Nora näherte sich von der Seite und ergriff den rechten Arm des Storo. Langsam führte sie den Arm vorwärts auf den Bildschirm zu, bis die Hand genau auf die zwei roten Dreiecke zeigte.

Dann ließ sie los und trat zurück.

Ich glaube, wir hatten alle den Atem angehalten. Jetzt ging ein leises Stöhnen durch den Raum – Erleichterung. Natürlich, nach Menschenermessen bestand kaum eine Gefahr, selbst wenn der Storo rasche unkontrollierte Bewegungen ausgeführt hätte. Aber man mag technisch so gebildet sein wie man will, irgendwelche sonderbaren Gefühle beim Anblick solcher Mensch-Maschine-Paarung hat doch jeder, wenigstens in unserer Generation noch. Später wird auch das sicherlich einmal alltäglich werden.

Das Bild erlosch jetzt, und wie erwartet zog Caesar den Arm langsam in die Ausgangsstellung zurück.

»Wir wiederholen den Vorgang in der festgelegten Reihenfolge mit anderen Symbolen«, sagte Gerda Sommer. »Sobald du bei ihm Bewegungsaktivität spürst, verläßt du sofort den Raum!«

»Klar!«

Noch zweimal führte Nora die Storohand nach vorn, an den Bildschirm. Beim drittenmal kam ihr Caesar zuvor. Kaum war das Bild erschienen, da bewegte sich sein Arm, aber nicht nach vorn, sondern in die Höhe.

»’raus!« kommandierte Gerda Sommer.

Nora Siebenstein nickte uns zu und ging betont langsam und lässig aus dem Raum.

Einige Sekunden hielt Caesar den Arm hoch – dann zog er ihn wieder an. Erneut ging der Arm hoch, aber auf halbem Wege bog er zur Seite ab, blieb stehen, ruckte ein Stück nach vorn, nach unten, zur Seite, wieder nach vorn – die Rucke wurden immer kleiner, immer mehr näherte sich die Hand dem Bildschirm und blieb schließlich vor dem richtigen Bild stehen.

Beim nächsten Versuch waren die Bewegungen schon etwas flüssiger, wenn auch noch nicht direkt zum Ziel führend. Es sah aus, als fuchtele der Storo mit dem Arm aufgeregt in der Luft herum.

Dann wurden von Versuch zu Versuch die Bewegungen zielklarer und sicherer. Anfangs wurden sie auch schneller, dann aber wieder langsamer. Es schien so, als passe sich Caesar dem Tempo der Bilder an. Auf jeden Fall war aber die erste Kooperation zwischen ZR und Aktionszentrum erfolgreich vollzogen.

»Zeit?« fragte Gerda Sommer.

»Fünfzehn Minuten!« sagte jemand.

»Zweiter Versuch.«

Der entscheidende Versuch – wenigstens für heute, sicherlich aber auch für eine ganze Etappe das wichtigste Ereignis: Der Storo sollte seine erste selbständige Handlung ausführen.

Bisher war ihm der Strom direkt zugeführt worden. Zum erstenmal arbeitete er heute mit seinen Akkus, die allerdings nur für etwa zwanzig Minuten aufgeladen waren. In wenigen Minuten oder sogar nur Sekunden mußte er Strommangel »verspüren«.

Mehrfach war der Stern, den ich vorhin schon erwähnte, mit ihm simuliert worden. Auf dem Bildschirm war der leuchtende Stern gezeigt worden, dabei die Stromzufuhr gedrosselt, dann ein Bild, wie eine Storohand in das Zentrum des Sterns gesteckt wurde, gleichzeitig wurde die Stromzufuhr wieder erhöht.

Heute nun hatte der Storo seine Hand gesehen. Gleich würde er auch Strommangel verspüren – man müßte all das Sehen und Spüren in Anführungszeichen setzen, aber das wäre zu umständlich, ich kann den Leser nur bitten, immer zu bedenken, daß es sich nicht um menschliches Sehen und Spüren handelte.

Darum konnte auch niemand voraussagen, wie dieser Versuch ausgehen würde. Man hoffte, es würde klappen, aber man war auch darauf gefaßt, endlos wiederholen oder sogar Hilfestellung geben zu müssen.

Der Stern leuchtete auf.

Wir warteten.

Die Zeit schien davonzufliegen. Wie lange? Was, erst eine Minute? Da, jetzt – nein, ein Irrtum. Doch, doch, jetzt, der Kopf! Ganz langsam drehte Caesar den Kopf – aber in die falsche Richtung! So mußte der Stern aus seinem Blickfeld verschwinden, statt ins Zentrum zu rücken.

Und dann ging etwas los – man hätte es einen tollen Tanz nennen können, wenn die Bewegungen nicht so langsam gewesen wären. Caesar schien alle Gelenke auszuprobieren, er nahm bizarre Haltungen an, drehte sich um sich selbst – und erstarrte plötzlich, als der Stern wieder in sein Blickfeld geraten war. Sein Rumpf stand schief im Raum, der Kopf war verdreht, die Arme hingen irgendwo in der Luft. Danach bewegte er nur die Arme, den rechten in Richtung auf den Stern, den linken ziellos, aber das reichte nicht, er war noch zu weit weg. Langsam begann sich der Körper wieder zu bewegen, und alles begann von vorn, er krach durch den Raum, die Beine waren ja blockgesteuert und konnten sich auch ohne Training zweckmäßig bewegen, aber die Bewegung führte ihn noch weiter vom Stern weg.

Und dann erlahmten die Bewegungen plötzlich.

Es mag lächerlich klingen, aber ich empfand fast so etwas wie Qual. Ich hatte die Vision eines Wesens, das irrsinnig vor Durst eine Quelle, die ganz in seiner Nähe war, suchte und nicht finden konnte. Natürlich war das dumm, es lag auf der vom Professor so bekämpften Linie der Vermenschlichung der Storos, aber ich war sicher, es ging mir nicht allein so. Auch Gerda Sommers Stimme schien etwas gepreßt zu klingen, als sie sagte: »Nora, du mußt noch mal ’ran, die Akkus wechseln. Er schafft es nicht!«

Mit den zweiten Akkus, die nur etwas über die Mindestgrenze aufgeladen waren, fuhr der Storo fort, den Weg zum Stern zu suchen.

Er zeigte jetzt sogar so etwas wie Taktik. Mehrmals gelang es ihm, den Stern ins Blickfeld zu bekommen. Dann probierte er langsam und vorsichtig die verschiedensten Bewegungen aus – und plötzlich kam eine Serie schneller Bewegungen, bei denen er ihn wieder verlor. Beim nächstenmal machte er diesen Fehler nicht wieder. Er sortierte jetzt gewissermaßen die verschiedenen Freiheitsgrade, machte winzige Bewegungen und vollführte dieselben Bewegungen sofort in entgegengesetzter Richtung, wenn dadurch der Stern aus dem Blickfeld zu geraten drohte. So gelang es ihm schließlich, sich etwas näher an die Stromquelle heranzumanövrieren.

Aber noch einmal mußten die Akkus gewechselt werden – endlich erreichte er das Ziel.

Und nun begann alles noch einmal von vorn: das Zeigen auf dem Bildschirm, das Suchen nach der Quelle, noch einmal das Zeigen auf dem Bildschirm – und da passierte es: Caesar zeigte nicht nur, er marschierte dabei auf den Bildschirm zu und zerstieß ihn mit der Hand.

»Scherben bringen Glück!« sagte jemand.

»Wir brechen hier ab«, sagte Gerda Sommer. »Ich gratuliere uns allen. Caesar ist ein Prachtkerl! Wollen wir mal gucken, wie es bei den anderen aussieht?«

Bei Anton und Berta sah es ähnlich aus, sie waren noch nicht so weit, hatten noch nicht wiederholt, und auch die Bildschirme waren noch ganz. Wir warnten die Genossen, und so wurden auch dort die Versuche abgebrochen.

Zufällig verließ ich zugleich mit Nora Siebenstein den Stollen.

»Na, wie hat Ihnen die Vorstellung gefallen?« fragte sie.

»Sie haben Mut bewiesen!« sagte ich.

»Mut«! Sie lachte. »Dazu gehört doch kein Mut. Aber –«, sie wechselte das Thema – »ich muß mit Ihnen reden. Haben Sie jetzt Zeit?«

»Ach, dazu gehört Mut?« fragte ich.

Sie warf mir einen vernichtenden Blick zu. »Halten Sie sich für so gefährlich?«

»Das nun wieder nicht. Und Zeit habe ich natürlich auch. Kommen Sie!«

»Also«, sagte sie, zögerte noch ein bißchen und fuhr entschlossen fort: »Es hat sich jemand um meine Bekanntschaft bemüht. Ein ausländischer Student. Sicher hat das nichts zu bedeuten, ich – nun ja, ich bin das gewöhnt. Aber weil neulich in der Versammlung…«

Sie beendete den Satz, indem sie die Hände hob und die Handflächen auf die Tischplatte legte.

»Danke«, sagte ich. »Das ist sehr wichtig für uns. Ich suche schnell mal Genossen Heilig.«

Während ich vergeblich versuchte, telefonisch Genossen Heilig zu erreichen, fielen mir die Telefonbeispiele aus meinem Vortrag ein. Ich suchte also den Inspektor, aber überall war er gerade weggegangen, und schließlich erwies sich das Glück als zuverlässiger. Er kam von selbst zur Tür herein.

Er setzte sich zu uns, ich informierte ihn, worum es sich handelte, und er – holte seine Pfeife hervor und begann sie zu stopfen.

»Sie haben doch nichts dagegen?« fragte er Nora Siebenstein.

Sie schüttelte den Kopf.

»Dann berichten Sie bitte – wer, wann, wo und wie.«

Nora Siebenstein antwortete prompt im gleichen Ton: »Wer – Manuel Aleman, ein kubanischer Student. Wann – am zweiten Feiertag, nachmittags zwischen vier und sieben. Wo – im Einstein-Klub. Wie – indem er mir Komplimente machte.«

Horst Heilig blinzelte, sagte aber nichts, sondern zündete seine Pfeife an und lehnte sich gemütlich zurück. Erst dann wandte er sich, freundlich lächelnd, an Nora. »Eine präzise Auskunft. Aber wenn ich jetzt vom Telegrammstil abgehe, sind Sie bereit, mir darin zu folgen?«

»Mach ich«, sagte sie.

»Schön, da wollen wir erst mal die Umgebung aufklären. Was ist der Einstein-Klub, wer sind seine Mitglieder, wie kommt man da ’rein?«

»Schwer zu sagen. Also erst mal ist der Einstein-Klub gar kein Klub, sondern ein Spitzname. Oder ein Brauch. Das ist so: Im Café Digital hängen überall an den Wänden die Bilder großer Mathematiker und anderer Naturwissenschaftler. Unter dem Einstein-Bild, in einer Ecke, durch einen Raumteiler abgetrennt, steht ein großer, runder Tisch, an dem vielleicht acht, neun Personen Platz haben. Es haben aber auch schon fünfzehn daran gesessen. Bereits als ich zu studieren anfing, war das eine Art Treffpunkt der Assistenten und der oberen Semester, vor allem Mathe, ein bißchen Physik, hin und wieder ein Philosoph. Professoren verirren sich selten dahin, jüngere Semester haben zu viel Respekt und können auch nicht mithalten – da wird nämlich diskutiert, was das Zeug hält. Es ist also gar nichts Offizielles, nichts Organisiertes, es gibt keinen Vorsitzenden und keine Statuten, es ist auch, soviel ich weiß, noch nie einer eingeladen oder fortgeekelt worden, und trotzdem ist das an der ganzen Uni als Einstein-Klub bekannt und wird auch respektiert.«

Sie überlegte einen Augenblick und fuhr dann fort: »Ich glaube, der Reiz besteht darin, daß man immer ein oder zwei Bekannte trifft und eine Menge Leute, die man noch nicht kennt. Und interessante Debatten niveauvoll, aber ohne den thematischen Zwang eines Seminars. Und andererseits meckert niemand über Fachsimpelei.«

»Wie groß würden Sie den Kreis schätzen, der dort verkehrt?« Nora Siebenstein zuckte mit den Schultern. »Schwer zu sagen. Das kann ich wirklich nur vermuten. Vielleicht fünfzig bis sechzig Leute.«

»Und wie sind Sie dahingekommen?«

Nora lächelte. »Die FDJ-Leitung der Sektion hatte beschlossen, auch dahinzugehen. Massenverbindung. Ich war Mitglied der Leitung. Drei blieben für ständig. Ungefähr einmal in der Woche war ich da. Manchmal auch nur alle vierzehn Tage.«

»Gut.« Horst Heilig zog an seiner Pfeife. »Hat jemand gewußt oder konnte jemand wissen oder mit einiger Wahrscheinlichkeit vermuten, daß Sie am zweiten Feiertag dort auftauchen würden?«

»Nein, bestimmt nicht. Ich habe mich spontan dazu entschlossen, dorthin zu gehen.«

»Wer war dort, als Sie kamen, und wer kam später dazu?«

»Sie meinen, ob das irgendwie von jemand organisiert war? Das kann ich mir nicht denken. Als ich hinkam, saßen da zwei Assistenten von Professor Gütlich und stritten sich über ein Thema aus der Funktionentheorie.«

»Hat das was mit uns hier zu tun?« unterbrach Horst Heilig.

»Gar nichts. Ich half ihnen beim Streiten, so gut ich konnte, und vielleicht eine halbe Stunde später kamen zwei aus meiner ehemaligen Arbeitsgruppe. Die brachten Manuel mit, der jetzt bei ihnen meinen Platz einnimmt.«

»Worüber haben Sie gesprochen?«

»Es war ganz lustig. Manuel machte mir Komplimente, mit südländischem Feuer, aber in verdrehtem Deutsch, so daß ich lachen mußte – ich glaube, er tat nur so, als ob er noch nicht richtig Deutsch konnte, um des Effekts willen. Die andern versuchten, ihn zu überzeugen, daß hier nicht der Platz dafür wäre, und er versprach auch hoch und heilig, das zu unterlassen. Die Debatte ging weiter, er hielt auch wacker mit, aber ab und zu streute er doch noch ein Kompliment ein, die andern fanden das schließlich lustig und wollten es nachmachen, aber sie brachten es nicht so gut. Als wir gingen, waren wir alle aufgekratzt. Ja, das war es eigentlich. Selbstverständlich habe ich über meine Arbeit kein Wort gesagt.«

»Und es hat auch niemand gefragt?«

»Nein. Bloß…«

»Ja?«

»Da sich der Kubaner doch etwas für mich interessierte, wird er wohl die beiden anderen hinterher gefragt haben, wo ich stecke.«

»Die drei sind zusammen weggegangen?«

»Ja, sie hatten so eine Art Patenschaft über ihn. Wohl während der Feiertage.«

»Und was werden sie ihm gesagt haben?«

Nora holte tief Luft und blies sie wieder aus. Ihre Lippen wölbten sich dabei.

»Wahrscheinlich«, meinte sie, »daß ich zu irgendeiner hochwichtigen Arbeitsgruppe abgezogen wurde, über die man nichts Näheres weiß.«

Horst Heilig dachte angestrengt nach. Er hatte die Beine übergeschlagen, die Arme über der Brust gekreuzt, in der einen Hand die Pfeife und schien förmlich in sich zusammenzukriechen. Nach drei geräuschvollen Zügen fragte er: »Wo wohnt dieser Manuel?«

»Keine Ahnung«, sagte Nora. »Ich hab’ doch schon gesagt, daß die drei zusammen weggingen.«

»Nicht doch, nicht doch!« winkte Horst Heilig ab. »So hab’ ich’s ja gar nicht gemeint. Wo könnte er denn wohnen?«

»Na – sicher doch im Ausländer-Internat. Wenn er Privatquartier hätte, dann hätten sie doch nicht diese Patenschaft praktiziert.«

»Ausländer-Internat«, wiederholte Horst Heilig gedehnt. »Kubaner. Hm.«

Dann stellte er offenbar fest, daß seine Pfeife ausgeraucht war, klopfte sie aus und ging zum Fenster.

»Wird es Ihnen zu kalt, wenn wir einen Augenblick lüften?«

»Nein, im Gegenteil«, antwortete Nora, »reißen Sie das Fenster tüchtig weit auf!«

Horst Heilig tat das. Der blaue Qualm wallte in Schwaden hinaus, eisige, frische Luft strömte herein. Er sah dem Rauch nach und sagte noch einmal: »Ausländer-Internat.«

Dann drehte er sich um und fragte mich: »Was meinen Sie dazu?«

»Hört sich alles zufällig und harmlos an«, sagte ich zögernd.

»Ja«, bestätigte Horst Heilig.

»Kann ich gehen?« fragte Nora Siebenstein und stand auf.

»Ja«, sagte Horst Heilig wieder. »-Ich habe nur noch eine Bitte.«

»Und die wäre?«

»Können Sie am nächsten Wochenende wieder in den Einstein-Klub gehen?«

Nora setzte sich wieder hin.

»Sie meinen, ich soll Ihnen helfen?«

»Ja, das meine ich.«

»Mit dem Kubaner anbändeln? Ihn aushorchen?« Nora schüttelte sich unwillkürlich.

»Nein, das meine ich nicht«, sagte Horst Heilig. »Ich meine, daß Sie zu allen, die sich um Sie bemühen werden und denen Sie dazu Gelegenheit geben, freundschaftliche Distanz halten – und ab und zu ein unbedachtes Wort über Ihre Arbeit fallenlassen, das wir aber hier vorher gut überlegt haben. Wären Sie dazu bereit?«

Nora zögerte.

»Überlegen Sie sich’s«, sagte Horst Heilig, »wir können später noch einmal darüber sprechen.«

»Schon überlegt«, sagte Nora.

»Und?«

»Ja.«

»Gründlich genug überlegt?«

Nora nickte.

»Es wind nicht leicht sein. Sie werden standhaft sein müssen.«

Nora schluckte. Es klang fast ein wenig bitter, als sie erklärte:

»Ich will Ihnen was sagen. Wenn man weiß, daß man den Männern gefällt, dann muß man sich frühzeitig entscheiden, ob man mit fünfzig noch jung oder schon mit dreißig alt sein will. Ich hab’ mich für das erste entschieden. Glauben Sie nicht, daß das manchmal viel Standhaftigkeit verlangt?«

Horst Heilig nickte. »Sonst hätte ich Sie nicht um Ihre Hilfe gebeten.«

»Gut. Sagen Sie mir, was ich tun soll.«

»So einfach ist das nicht«, sagte Horst Heilig und schloß das Fenster. »Wir sind nicht allwissend, und Sie sind kein blindes Werkzeug. Wir wollen das beraten. Aber vorher noch eins: Wenn der Punkt kommen sollte, wo es Ihnen zu schwer wird, gefühlsmäßig oder aus anderen Gründen, müssen Sie es sagen. Damit wir Sie da herausnehmen können.«

Sie nickte.

»Wir wollen überlegen. Wissen Sie, wir haben Grund zu der Annahme, daß der Gegner zum Teil mit jungen Ausländern arbeitet. Natürlich darf man Ihren Kubaner nicht ohne weiteres verdächtigen, ein Agent zu sein, nur weil er Sie sympathisch findet. Aber ich frage mich, was wird er tun, wenn er wieder im Internat ist, jetzt – oder nachdem er sie zum zweitenmal getroffen hat? Er wird von Ihnen erzählen. Ihr Name ist gut zu merken, vor allem für einen Ausländer, zwei einfache Worte: sieben und Stein. Er wird vielleicht sagen: Sie ist so schön wie sieben Steine, sieben Diamanten oder so etwas. Und tüchtig! Sie arbeitet an irgendeiner geheimen Sache mit… Verstehen Sie?«

»Glauben Sie?« fragte Nora.

»Was meinen Sie«, Horst Heilig lachte, »worüber sich junge Männer in einem Internat unterhalten!«

Nora winkte ab. »Schon gut, Sie brauchen das nicht näher zu erläutern. Aber wie geht die Geschichte weiter?«

»Irgendwann wird es der Gegner erfahren, und irgendwann wird er sich Ihnen nähern. Horchen, wovon Sie sprechen. Versuchen, eine unbedachte Äußerung aus Ihnen herauszulocken. Direkt fragen wird er nicht, und Gewalt anwenden schon gar nicht.« Er runzelte die Stirn. »Wenigstens jetzt noch nicht. Wenn es soweit ist, sind Sie schon nicht mehr im Spiel.«

»Ich weiß nicht…«, sagte Nora zögernd.

»Bedenken?«

»Nein, ich finde nur, dazu ist der Einstein-Klub zu klein. Zu begrenzt. Wenn einer nicht gerade Mathematiker im letzten Studienjahr ist…«

»Das stimmt«, Horst Heilig pflichtete ihr bei.

»Man müßte eine Gelegenheit organisieren«, warf ich ein. »Eine Gelegenheit, bei der viele Studenten zusammenkommen und die für jeden offen ist…«

»Studentenball!« rief Nora impulsiv dazwischen. »Anfang Februar!«

»Das ist wieder zu groß«, murmelte Horst Heilig.

»Schade«.

Der Inspektor wurde plötzlich lebendig. »Aber nicht, wenn man dem Gegner ein Zeichen gibt, wann er sich nähern soll.«

Nora Siebenstein und ich blickten ihn fragend an.

»Versuchen wir uns das mal vorzustellen«, sagte Horst Heilig. »Sicher sind Sie den ganzen Abend umschwärmt, niemand kann sich all die Leute merken, die an Sie herantreten. Und der Gegner ist in folgender Lage: Entweder er bleibt einer unter vielen, die mit Ihnen tanzen, und das nützt ihm nichts, oder aber er muß sich so intensiv um Sie bemühen, daß er sich exponiert. Daß es nicht nur Ihnen, sondern vor allem auch der Schar Ihrer Verehrer auffällt. Das wird er nicht riskieren. Wenn wir allerdings von vornherein das Gegenteil organisieren…«

Und er entwickelte einen Plan, der uns erst verblüffte und der schließlich, mit einigen Abänderungen, unsere Zustimmung fand.

Die Wochen bis zum Ball brachten nichts Neues – außer dem Ärger mit Caesar, auf den ich gleich kommen werde. Horst Heiligs Besuch bei uns zu Hause war ein voller Erfolg, wenn ich mal diesen abgedroschenen Ausdruck gebrauchen darf. Meine Frau und er freundeten sich sehr schnell an – ein weitgereister Mann mit guten Manieren und Kochrezepten aus aller Herren Länder ist überall willkommen.

Inge war einverstanden, als wir unseren Plan erläuterten. »Mache ich wenigstens mal eine Erfahrung, zu der ich sonst kaum Gelegenheit hätte!« kommentierte, sie und machte mir damit eine große Freude.

Und auch die Nachbarin hatte – wie erwartet – Besuch gehabt. Ein Oberleutnant Schmidt oder Schmitt oder Schmied (oder was es sonst noch für Schreibweisen dieses seltenen Namens gibt) hatte bei ihr geklingelt und nach mir gefragt, aber leider war er nur auf der Durchreise gewesen und hatte nicht warten können, und das hätte auch wenig Zweck gehabt, denn meine Frau kannte er nicht, und ich würde, wie ihm die Nachbarin sagte, vor Wochenende nicht greifbar sein…

Natürlich hatte es zu meiner Zeit an der Offiziersschule mehrere Schüler mit einem dieser Namen gegeben, und Horst Heilig ließ sogar nachforschen. Das Ergebnis war, wie vorauszusehen, negativ, und wir wußten nun, woran wir waren.

Ja, die Sache mit Caesar. Sie war der erste Erfolg unseres kleinen Kollektivs, das die Ausbildung in Richtung auf Funktionssicherheit der Storos kritisieren sollte – es hatte noch nicht einmal einen ordentlichen Namen. Während der Auseinandersetzungen mit dem Direktor, Professor Dr. Hetz, nannte uns jemand ironisch den Elternbeirat. Das war natürlich unpassend, aber immerhin blieb davon der Name Beirat, der sich später einbürgerte.

Also: Caesar machte Ärger. Er löste die Aufgaben nicht richtig. Genauer, er löste sie beim erstenmal richtig, und bei der Kontrolle löste er sie falsch. Und zwar nicht in Einzelfällen, sondern ständig. Bei den andern kam ab und an eine falsche Antwort vor, aber höchstens in einem Prozent der Fälle und in der Regel auch nur beim erstenmal, nicht bei der Wiederholung.

Es gab besorgte Gesichter. Gerda Sommer, die die Arbeitsgruppe Caesar leitete, war wütend. Wir beschlossen, uns eine solche Versuchsreihe anzusehen. Dieses Vorhaben wurde dadurch erleichtert, daß Gerda und Nora Siebenstein zur Mannschaft Caesar gehörten und die anderen Mitglieder unseres (späteren) Beirats sich leicht dafür frei machen konnten.

Als die Versuchsreihe eben begonnen hatte, erschien auch noch der Professor. Ich weiß nicht, ob er von unserem Vorhaben erfahren hatte – jedenfalls, das bewies sich immer wieder, hatte er eine Nase dafür, wenn irgendwo ein Problem »gereift« war.

Die Storos wurden jetzt, nachdem sie die Bedienung von Tastaturen einfacher Struktur erlernt hatten, in den ausgesprochenen Lehrfächern von elektronischen Geräten trainiert – das ist wohl das neutralste Wort dafür, nicht so auf das Tier gerichtet wie Dressur und nicht so auf den Menschen wie Unterricht.

Heute war das kleine Einmaleins mit der Sieben an der Reihe. Zunächst erhielt Caesar die Information

1 * 7 = 7

2 * 7 = 14

3 * 7 = 21 usw.

Und zwar geschah das über Bildschirm, den er selbst durch einen Tastendruck in Tätigkeit gesetzt hatte, sobald die Akku-Kassette in seinen Rumpf eingeführt worden war.

Danach drückte er wieder die Taste, und jetzt erschien eine Kontrollaufgabe mit drei Lösungen, von denen eine richtig war, etwa:

6 * 7 = ?35 ?42 ?56

Er mußte nun eine von drei Wahltasten drücken, worauf die beiden anderen Ergebnisse erloschen. Er drückte die richtige.

So wurden in unregelmäßiger Reihenfolge alle Multiplikationen mit der Sieben abgefragt, und alle Ergebnisse waren richtig.

Eine Multiplikation wurde zum zweitenmal gefragt – ich glaube, es war vier mal sieben. Caesar antwortete: einundzwanzig. Nun wiederholte das Trainingsgerät die Aufgabe dreimal, aber immer war die Antwort falsch, und zwar kamen jetzt folgende Antworten: fünfunddreißig, einundzwanzig, fünfunddreißig.

»Als ob er uns ärgern will!« sagte jemand.

»Unsinn!« meinte der Professor. »Der Storo ist doch kein Student!«

Ich war gespannt, was nun kommen würde.

Das elektronische Trainingsgerät war offenbar für solchen Fall programmiert. Es schaltete jetzt eine Serie von Aufgaben dazwischen, die früheren Stoff in bunter Mischung wiederholten – die verschiedensten Multiplikationen aus dem Bereich des kleinen Einmaleins, einschließlich der Sieben. Nach einigen Dutzend Aufgaben wurde auch die vorhin falsch gelöste wieder gestellt. Jetzt antwortete Caesar richtig. Das Trainingsgerät schaltete sich ab. Jemand zog die Akku-Kassette heraus.

Das Licht ging an, wir setzten uns auf die Holzbänke im Beobachtungsraum.

»Ich möchte aussprechen, was sicherlich alle bewegt«, sagte Gerda Sommer. »Ich würde mich freuen, wenn ich unrecht hätte, aber mir scheint, Caesar hat Aktivitätsschwankungen. Anfangs war die Aktivität im Farbblock zu hoch, jetzt sieht es so aus, als ob die Aktivität des V-Zentrums zu niedrig ist. Daß er die richtigen Antworten hat, sie aber nicht bringt, ist für mich nicht anders zu erklären.«

»Immerhin«, warf der Professor ein, »läßt sich das offenbar durch zusätzliches Training korrigieren.«

»Ja, aber wie lange noch?« fragte Gerda Sommer fast verzweifelt. »Und wie wird es bei komplizierteren Aufgaben?«

»Also ich kann mir nicht helfen«, sagte Herbert Linzel, der BGL-Vorsitzende, »mir kommt es vor, als ob er uns ärgern will.«

Jetzt erkannte ich ihn, er hatte das auch vorhin gesagt, »Vergleiche mit dem Menschen sind, ich wiederhole das, unwissenschaftlich, ich warne davor!« antwortete der Professor.

»Aber die Angst vor Vergleichen mit menschlichem Verhalten, ist die wissenschaftlich?« fragte ich. Sofort, das spürte ich, entstand eine gespannte Atmosphäre. Das war nicht meine Absicht, und ich lenkte schnell über zu dem, was ich eigentlich sagen wollte. »Um wieder zur Sache zu kommen: Mir sind die Schlußfolgerungen von Gerda Sommer zu weitreichend. Es ist durch nichts bewiesen, daß das anfängliche Verhalten von Caesar mit dem jetzigen in Verbindung steht. Ich interessiere mich erst mal nur für das jetzige, und da fällt mir auf, daß die Fehler nicht einfach Fehler sind. Wenn, sagen wir, ein hoher Prozentsatz von Fehlern mit relativ gleichmäßiger Streuung auftreten würde, läge Gerda Sommers Vermutung nahe. Das ist aber nicht der Fall. Vielleicht kommen wir weiter, wenn wir den Charakter der Fehler näher zu ergründen suchen.

Soviel wissen wir schon: Sie treten immer an derselben Stelle auf, und zwar bei der ersten Aufgabenwiederholung. Sie sind auch nicht auf ein bestimmtes Lehrgebiet beschränkt, sondern betreffen alle Arten von Training. Das stimmt doch?«

Die andern nickten. Auch der Professor, der gegen meinen ersten Satz hatte protestieren wollen, hörte jetzt gespannt zu.

»Ich war nun heute das erste Mal dabei«, fuhr ich fort. »Mir ist an den Fehlern noch etwas aufgefallen. Es sind ja immer drei Antworten vorgegeben. Eine ist richtig, zwei sind falsch. Von zwei möglichen Fehlern hat Caesar immer den kleineren gewählt, also dasjenige falsche Ergebnis, das in der ursprünglich eingegebenen Tabelle den kleineren Abstand vom richtigen hatte. Können wir das mal systematisch überprüfen, vielleicht mit der Acht?«

Es entspann sich eine rege Diskussion, in der eigentlich alle für diesen Vorschlag waren. Unterschiedliche Meinungen gab es nur über die Frage, wie er durchzuführen sei. Schließlich einigten wir uns auf folgendes:

Der Versuch mit der Acht sollte so durchgeführt werden wie die anderen. Nur sollte bei der ersten falschen Antwort die Frage zehnmal wiederholt werden, wobei die vorgegebenen Falschergebnisse systematisch geordnet sein sollten. Bei den ersten fünf Wiederholungen sollte der Abstand der Falschergebnisse vom richtigen unterschiedlich groß sein. Wenn Caesar dabei wirklich nach dem Prinzip des kleineren Fehlers antwortete, dann müßte es einen höheren Schwierigkeitsgrad darstellen, bei fünf mal acht den kleineren Fehler aus, sagen wir, zweiundsiebzig und sechzehn herauszufinden als aus zweiundreißig und sechsundfünfzig, weil im ersteren Falle die beiden falschen Ergebnisse in der Tabelle weiter weg lagen.

Setzte Caesar das Prinzip des kleineren Fehlers durch, so sollte ihm das in den zweiten fünf Wiederholungen unmöglich gemacht werden: Hier sollten die Falschergebnisse immer gleichen Tabellenabstand vom richtigen haben.

Ich glaube, man kann sagen, wir waren in einem Zustand von Hochspannung. Noch wußte ich nicht, was ich mit diesem, nun ja, von mir entdeckten Prinzip des kleineren Fehlers anfangen sollte, und ob es nicht überhaupt nur ein Zufall war, eine unwesentliche Erscheinung. Würde das Experiment darauf Antwort geben?

Die erste Wiederholungsfrage war fünf mal acht. Caesar lieferte nacheinander folgende Ergebnisse (hier durch Unterstreichen hervorgehoben):

32 40 56

24 40 48

16 40 48

24 40 72

8 40 80

32 40 48

und in allen folgenden Fällen mit gleichem Tabellenabstand der Falschergebnisse den richtigen Wert. Im weiteren lief der Versuch zu Ende wie bisher.

Wieder saßen wir im Kreis und versuchten, zunächst jeder für sich, das Ergebnis zu verstehen.

Gerda Sommer begann zögernd: »Wenn das nicht schon wieder zu kühn ist, würde ich sagen: Das V-Zentrum verhindert, daß der Fehler zu groß wird. Es läßt nur dann Fehler zu, wenn sie klein sind – oder kleiner als andere, mögliche.«

»Aber es müßte Fehler überhaupt verhindern!« rief der Professor. »Also doch verminderte Aktivität!«

»Nein«, widersprach Nora Siebenstein, »die Auswahl des richtigen Ergebnisses ist einfacher als die Auswahl dessen, das weniger falsch ist. Für das letztere sind wesentlich mehr Operationen erforderlich. Also erhöhte Aktivität!«

»Vielleicht«, äußerte sich der Parteisekretär, Sepp Könnecke, unser Steiger, der ja auch zu meinem Kollektiv gehörte, »vielleicht, sind ihm die Wiederholungen einfach langweilig?«

Einige lachten, unterdrückten aber das Lachen schnell wieder. Der Professor, das sah ich, hatte auch eine Entgegnung auf der Zunge, aber er sagte nichts, wohl weil er die Ideenfindung nicht durch unwichtige Korrekturen stören wollte.

Mir aber kam dabei ein Gedanke.

»Kann ich mal die Protokolle der bisherigen Versuche sehen? Also alles, was nach der Montage und den ersten Bewegungsabstimmungen liegt?«

Gerda Sommer schaltete das Terminal ein, den Leseschirm der Datenbank, und führte die Protokolle vor – einmal, noch einmal, ein drittes Mal. Ich fand meinen Gedanken bestätigt.

»Ich glaube, ich hab’s«, sagte ich. »Das heißt, eigentlich hat der Genosse Könnicke das Wesentliche gesagt, ich hab’s mir nur in etwas exaktere Begriffe übersetzt. Paßt mal auf.

Bei den ersten fünf Versuchen hat Caesar keine Fehler gemacht. Jeder dieser Versuche dauerte zehn Minuten bei einer Akku-Ladung für zwanzig Minuten.

Beim sechsten Versuch machte Caesar in der Wiederholung einen Fehler, wir können annehmen, zufällig, wie er bei anderen auftrat. Die Folge war, daß der zweite, größere Wiederholungskomplex angehängt wurde. Der Versuch dauerte damit fünfzehn Minuten und reichte bis dicht an die Grenze, wo der Storo eine neue Aufladung braucht. Beim nächsten Versuch machte Caesar einen Fehler in der ersten Abfrage – das ist schon ungewöhnlich, denn so groß dürfte die Fehlerdichte nicht sein. Aber da er in der ersten Wiederholung richtig antwortete, fand die zweite nicht statt. Von da an macht Caesar bei jedem Versuch in der ersten Wiederholung einen Fehler, und folglich wird die zweite Wiederholung angehängt.«

Alle saßen starr da und dachten nach. Der Professor sprang auf und rief: »Sie haben recht, und ich bin ein Esel. Ich habe zu viel und zu lange darauf herumgeritten daß der Storo kein Mensch ist, was ohnehin jeder weiß und hab’ mir selbst den Blick für schlüssige Analogien genommen! Natürlich: Caesar hat gelernt, ein strategisches Spiel mit uns zu spielen, das geht: Ich mache einmal einen kleinen Fehler, dann dauert das Vergnügen länger, und im Endergebnis ist doch alles richtig!«

Gerda Sommer hatte ebenfalls sehr schnell erfaßt, was ich meinte. »Es handelt sich also gar nicht um Fehler. Caesar macht falsche Angaben im Rahmen einer zweckmäßigen Verhaltensweise. Daß sich das Erteilen von falschen Antworten für ihn als zweckmäßig erweist, ist aber unser Fehler. Künftig muß das Versuchsprogramm also genau umgekehrt laufen. Wenn er einen Fehler macht, wird der Versuch abgebrochen, wenn er keinen Fehler macht, wird die Zeit ausgefüllt. Im Grunde genommen hat uns Caesar hier zu einer Entdeckung verholfen, nämlich wie wir das jeweilige Verhalten positiv oder negativ bewerten können: Abbruch ist negative Bewertung, Weiterführung positive. Natürlich muß das alles noch durchgerechnet, verfeinert, genauer analysiert werden, aber die Probe, ob all diese Gedanken im Prinzip richtig sind, können wir gleich machen. Wir behandeln das kleine Einmaleins mit der Neun und ändern den Versuch wie folgt ab: Die erste Wiederholung wird gestrichen, es wird nach der Abfrage sofort mit der zweiten, umfassenden Wiederholung begonnen, und die wird etwas verlängert. Wenn unsere Vorstellungen richtig sind, darf dann kein Fehler mehr auftreten.«

Es dauerte einige Zeit, bis der Versuch umprogrammiert war, aber dann lief er fehlerlos durch – wir waren wieder einen Schritt weiter.

Zwei Tage vor dem Ball saßen wir noch beisammen und sprachen alles durch.

»Nun gut«, sagte Horst Heilig schließlich, »und wenn alles so läuft, wie wir uns das denken, dann sollten Sie«, er wandte sich an Nora, »hinterher die erste Information für den Gegner starten. Es muß etwas sein, das zu unserer Arbeit gehört, nichts Abwegiges. Denn natürlich hat er einen Stab von Wissenschaftlern zur Verfügung, die jeden wirklichen Unsinn sofort erkennen würden. Aber es darf auch nichts verraten, es muß seine Gedanken vielmehr in die falsche Richtung lenken.«

Nora Siebenstein zuckte ziemlich hilflos mit den Schultern. »Wie wäre es denn mit dem Begriffspaar selektiv und seriell?« fragte Horst Heilig bedächtig.

»Das ist doch längst erledigt!« rief Nora.

»Eben. Aber wie mir gesagt wurde, würde die Bevorzugung der selektiven Methode uns zeitlich sehr aufhalten.«

»Richtig«, warf ich ein, denn jetzt wurde mir klar, worauf er hinauswollte. »Wenn nun aber der Gegner den Eindruck hat, daß wir uns noch darum streiten oder sogar die selektive Methode bevorzugen…«

»… würde er versuchen, diesen Streit zu schüren«, ergänzte Nora. »Das ist mir klar. Aber wie?«

»Das würden wir schon merken«, sagte Horst Heilig lächelnd. »Und wir würden gleichzeitig daran merken, daß unsere falsche Information angekommen ist. Später müssen wir noch sorgfältiger darauf achten, daß die Kluft zwischen unseren Falschinformationen und der Wirklichkeit nicht zu groß ist, denn wir können niemals ganz ausschließen, daß er noch andere Informationsquellen hat, aber für den Anfang sollte das schon genügen. Denn aufgetaucht ist ja dieses Problem neulich tatsächlich.«

»Dann soll ich also fallenlassen, daß wir uns darüber streiten?« fragte Nora.

Horst Heilig hob abwehrend die Hände. »Um Himmels willen, nein, Sie sollen überhaupt nichts direkt sagen, er würde sofort den Braten riechen. Nein, Sie müßten in irgendeinem anderen Zusammenhang diese beiden Begriffe ein- oder zweimal erwähnen, so wie man unwillkürlich Begriffe aus dem Berufsleben, die einen gerade sehr beschäftigen, in den Alltag übernimmt. Sie könnten doch zum Beispiel bei passender Gelegenheit sagen, daß Sie auch bei den Männern die selektive Methode bevorzugen und nicht die serielle oder so etwas, das wird in diesem Kreise jeder verstehen und keiner für ungewöhnlich halten. Und der Gegner wird daraus entnehmen, falls es ihn erreicht, daß Sie sich in letzter Zeit sehr mit diesen beiden Methoden beschäftigen mußten.«

»Und außerdem stimmt’s sogar!« erklärte Nora lachend.

Ballatmosphäre. Die Phantasie der Studenten, sonst von der wissenschaftlichen Denkdisziplin streng gezügelt, war üppig an den Wänden der Räume und Säle emporgewuchert, hatte Türen und Fenster ihres sachlichen Zwecks beraubt, keine Nische ausgelassen, keine Möglichkeit zur Illusion übersehen, hier und da auch Absurdes und Geschmackloses daruntergemischt – aber bei der verschwenderischen Fülle von Erfindungsgeist gehörte das einfach dazu. Und man mußte diesen Erfindergeist um so höher schätzen, als nirgendwo auf der Welt Studenten unter einem Überfluß an materiellen Mitteln leiden. Ob einmal eine Zeit kommen wird, wo man mit zunehmendem Alter nicht verlernt, für Feiern und Feste genausoviel geistigen Aufwand zu treiben wie für die sogenannten ernsten Dinge des Lebens? Ich mußte mir unwillkürlich (und nicht ohne Selbstkritik) vorstellen, wie diese Studenten in zehn Jahren ernste und würdige Mitarbeiter in Betrieben und Institutionen sein würden – und wie wenig sie sich dann um die Ausrichtung von Betriebsfesten und anderen Feiern kümmern würden.

Vielleicht klingt das ein bißchen lächerlich, weil ich selbst erst Mitte zwanzig war, aber im Gedränge hatte mir jemand auf den Fuß getreten, mich angesehen und »Verzeihung, Opa!« gesagt – in dem Alter sind eben fünf Jahre noch ein großer Unterschied. Nora Siebenstein und ich saßen an einem Tisch mit sechs Plätzen, um uns herum Bekannte von ihr. Nicht weit, an einem anderen Tisch, saß der Kubaner, gemeinsam mit anderen Studenten seiner Gruppe, darunter wohl auch einige Ausländer. Auch einige Mitarbeiter der INSEL hatte ich schon entdeckt.

Anfangs war ich etwas gehemmt, aber in zunehmendem Maße gefiel mir die Rolle, die ich zu spielen hatte. Und ich muß sagen, Nora machte mir die Sache leicht, sie half mir zuerst über einige Verlegenheiten hinweg, nachher war das nicht mehr nötig. Wir spielten die Rolle des verliebten Pärchens, wie sich später herausstellen sollte, sehr glaubhaft.

Wir tanzten eng umschlungen, wie es damals gerade Mode war (und für Verliebte, die wir spielen sollten, eigentlich immer Mode ist), sie war einen Kopf kleiner als ich, sah zu mir auf, strahlte mich an und flüsterte: »Ein bißchen Manschetten hab’ ich ja doch!«

Ich küßte sie leicht aufs Ohr und raunte: »Na irgendwo muß ja hier unser unbekannter Freund und Helfer sitzen, dir kann also gar nichts passieren.«

»Das meine ich nicht«, flüsterte sie und rieb ihre Wange an meiner. »Ich meine, wenn deine Frau kommt!«

»Ist doch alles besprochen und abgemacht!« tröstete ich sie.

»Ja, schon«, meinte sie gedehnt.

»Wir wollen uns lieber bemühen, noch besser zu schauspielern«, meinte ich, »damit unser Freund Gutes zu berichten hat.«

Ich drückte sie fester an mich, ohne Widerstand zu spüren. »Andere werden auch berichten!« flüsterte sie und blickte über meine Schulter.

Ich suchte das Ziel, das sie angesehen hatte. Gerda Sommer beobachtete uns sehr aufmerksam.

»Das ist eben der Preis. Ist er dir zu hoch?«

Sie sah mich prüfend an, hob ganz leicht die Augenbrauen und schüttelte dann den Kopf.

In den Tanzpausen unterhielten wir uns mit den anderen, tranken und aßen auch etwas, aber ich ließ keinen Tanz aus. Ich muß zu meiner Schande gestehen, ich war nicht der brechtsche Schauspieler, der neben seiner Rolle stand, ich wuchs vielmehr zunehmend in die Rolle hinein, und Nora ging es ebenso. Ihre Augen waren blank, ihr Tanz wurde immer leichter, schwebender, wir unterhielten uns beim Tanz auch nicht mehr über unseren Auftrag, nur einmal, gegen zehn, sagte sie: »Nun muß deine Frau aber bald kommen, sonst geht etwas schief!«

Und sie kam. Mit einem Regenschirm, den ich gar nicht kannte, den sie sich eigens für diesen Zweck gekauft haben mußte. Sie stand am Rande der Tanzfläche und musterte uns mit einem eigentümlichen Ausdruck im Gesicht. Sie arbeitete sich zu uns durch, nahm mich am Kragen, haute mir mit dem Schirm über den Kopf, rief: »Das ist also deine wichtige Konferenz!« gab mir noch eine Ohrfeige und zog mich hinaus. Ich ließ alles mit mir geschehen, ein versteckter Blick zeigte mir, daß unser Auftritt zwar keine Sensation hervorgerufen hatte, aber doch bemerkt worden war. Als wir im Auto saßen, stöhnte ich: »Deine Ohrfeige war echt!«

»Du hast ja deine Rolle auch echt gespielt!« sagte sie schnippisch. Einen Augenblick lang sahen wir uns böse an und brachen dann in lautes Gelächter aus.