Wenn ich vormittags gehackt, vielleicht auch gelesen oder geschrieben hatte, nahm ich meistens ein zweites Bad im Teich, schwamm hinüber nach einer der Buchten (das war mein "Deputat"), wusch den Arbeitsstaub von meinem Körper, glättete die letzten Falten, die das Nachsinnen dort zurückgelassen hatte und war dann für den Nachmittag vollkommen frei. Nicht selten schlenderte ich zum Dorf, um etwas Klatsch zu hören. Er wurde dort beständig fabriziert, ging entweder von Mund zu Munde oder von Zeitung zu Zeitung und wirkte, in homöopathischen Dosen genossen, auf seine Art ebenso erfrischend wie das Rascheln der Blätter oder das Geschwätz der Frösche. Wie ich in die Wälder spazierte, um die Vögel und Eichhörnchen zu sehen, so spazierte ich ins Dorf, um Männer und Frauen zu betrachten. Statt Waldesrauschen hörte ich hier Wagengerassel. Nach der einen Seite von meinem Hause aus befand sich eine Kolonie Bisamratten auf den Wiesen nahe am Fluß, nach der anderen Seite lag fern am Horizont unter Ulmen und Sykamorenwipfeln das Dorf voll geschäftiger Menschen; sie erregten meine Aufmerksamkeit in demselben Maße wie Präriehunde, die vor dem Eingang ihrer Höhle sitzen oder zum Nachbar laufen und klatschen. Ich ging oftmals dorthin, um ihre Gewohnheiten zu beobachten. Das Dorf war für mich ein großer Novitätenladen. Auf der einen Seite wurden, um Geschäfte zu machen, wie einst bei Redding & Comp. an der Hauptstraße, Rosinen, Nüsse, Salz, Mehl und andere Kolonialwaren zum Kauf angeboten. Es gibt Leute, die einen solch gesegneten Appetit auf die soeben erwähnten Leckerbissen, d. h. auf die Neuigkeiten, und solch vortreffliche Verdauungsorgane haben, daß sie immerdar auf offener Straße sitzen können, ohne sich zu rühren. Sie lassen sich von dem, was sie hören, umsäuseln und einlullen wie von Passatwinden; sie atmen gleichsam Äther ein, der nur Betäubung und Unempfindlichkeit gegen Schmerz hervorruft – denn sonst müßte das Anhören doch bisweilen Schmerz verursachen – ohne das Bewußtsein zu trüben. Wenn ich durch das Torf schlenderte, konnte ich fast immer mit Sicherheit voraussagen, daß eine Anzahl dieser Prachtexemplare mit vornüber gebeugtem Körper und, mit Augen, die gierig von Zeit zu Zeit bald nach rechts und bald nach links die Straße absuchten, auf einer Leiter sitzen würde, um sich zu sonnen, daß andere karyatidengleich – die Hände in den Hosentaschen – gegen einen Stall sich lehnen würden, als ob sie ihn stützen müßten. Diese Sorte, die meistens im Freien lebt, weiß immer "was los ist". Sie sind die gröbsten Mühlen; durch sie wird der Klatsch aufgeknackt und zerstampft, um alsdann den feineren, zarteren Trichtermühlen daheim überliefert zu werden. Ich erkannte, daß die treibenden Kräfte des Dorfes der Kramladen, die Gastwirtschaft, die Post und die Bank waren; unbedingt erforderlich waren für den Betrieb eine Glocke, eine Kanone und eine Feuerspritze. Die Säuser waren so angeordnet, daß man die Menschen nach Herzenslust genießen konnte. Reihenweise lagen sie einander gegenüber, so daß jeder Wanderer Spießruten laufen mußte, Männer, Weiber, Kinder ihn verhauen konnten. Natürlich bezahlten diejenigen, welche die ersten Plätze in dieser Reihe innehatten, wo sie am meisten sehen und gesehen werden und die ersten Prügel verabfolgen konnten, die höchsten Preise für ihre Positionen; die wenigen verstreuten Menschen, die an der Peripherie des Dorfes wohnten, dort wo die Reihen schon große Lücken aufwiesen, wo der Wanderer über eine Mauer springen oder auf einem Kuhpfad entwischen konnte, zahlen nur eine ganz geringe Grund- und Fenstersteuer. Überall waren Aushängeschilde angebracht, um ihn anzulocken. Einige appellierten an seinen Appetit – das "Hotel" und das Wirtshaus; andere an seine Augen – der Kleiderhändler und der Goldschmied; und wieder andere an das Haar, die Füße oder den Rockzipfel – Barbier, Schuster und Schneider. Außerdem bestand aber eine noch schrecklichere, permanente Einladung, in allen Häusern vorzusprechen, wo um diese Zeit Besuch erwartet wurde. Meistens entging ich all diesen Gefahren auf wunderbare Weise, indem ich entweder kühn und ohne Zaudern aufs Ziel hinmarschierte – das rät man bekanntlich denjenigen, die Spießruten laufen müssen – oder indem ich meine Gedanken auf erhabene Dinge richtete wie Orpheus, "der laut zu seiner Leier das Lob der Götter singend, den Sirenengesang übertönte und der Gefahr entrann." Manchmal lief ich plötzlich davon, und niemand wußte, wo ich war, denn auf Anmut legte ich nicht viel Wert und zögerte nicht über einen Zaun zu springen. Ja, in einige Häuser, wo ich einer guten Aufnahme sicher war, pflegte ich sogar Einfälle zu machen; und wenn ich dort die Quintessenz und das letzte Ergebe nis der Neuigkeits-Durchsiebung, die Aussichten auf Krieg und Frieden und auf den Fortbestand der Welt, erfahren hatte, ließ man mich zur Sintertür hinaus; ich aber eilte wieder in den Wald.
Hatte ich bis zu später Stunde im Dorf verweilt, so machte es mir besondere Freude, nach dem Verlassen eines hellerleuchteten Empfangs- oder Lesezimmers durch die Nacht dahin zu wandern – hauptsächlich wenn sie dunkel und stürmisch war. Auf der Schulter einen Sack Roggen oder Maismehl tragend, steuerte ich, wenn an Bord alles niet- und nagelfest, und ich mit einer munteren Mannschaft von Gedanken unter Deck gegangen war, meinem friedlichen, verborgenen Hafen im Walde zu. Nur mein äußerer Mensch blieb am Steuer, oder selbst das Steuer wurde festgesetzt, wenn das Fahrwasser frei war. Ich hatte auf meiner Fahrt viel gute Gedanken bei meinem Kajütenfeuer. Ich wurde niemals verschlagen noch durch böses Wetter geängstigt, obwohl ich gegen manch schweren Sturm zu kämpfen hatte. Es ist selbst in gewöhnlichen Nächten dunkler im Wald als man gewöhnlich annimmt. Ich mußte häufig nach der Öffnung der Bäume über dem Pfad emporsehen, um meinen Weg zu finden, dort, wo es keine Fahrstraße gab, mit meinen Füßen die leichte Spur, die von mir selbst herrührte, fühlen oder durch den mir bekannten Abstand gewisser Bäume, welche ich mit den Händen fühlte, leiten lassen. So fand ich jedesmal, selbst in schwärzester Nacht zwischen zwei Fichten, die mitten im Walde nur ungefähr achtzehn Zoll von einander entfernt standen, mit Sicherheit meinen Weg. Wenn ich manchmal in finsterer, nebeliger Nacht, während meine Füße den Pfad fühlten, den meine Augen nicht sehen konnten, träumend und gedankenverloren den ganzen Weg zurückgelegt hatte, und erst durch das Heben der Hand zum Niederdrücken der Türklinke aufgeweckt wurde, dann war ich nicht imstande, mich auch nur an einen Schritt meines Heimweges zu erinnern. Dann kam mir der Gedanke: Dein Körper würde vielleicht allein den Heimweg finden, wenn sein Herr ihn verlassen würde. Es findet ja auch die Hand ohne Hilfe den Weg zum Munde. Mehrfach mußte ich diesen oder jenen Besucher, der zufällig bis zum Abend geblieben war, in dunkler Nacht bis zur Fahrstraße hinter meinem Hause geleiten, und ihm die Richtung, die er einzuschlagen hatte, angeben. Wollte er sie einhalten, mußte er sich mehr von den Füßen als von den Augen leiten lassen. In einer finsteren Nacht wies ich solchermaßen zwei junge Leute, die im Teich gefischt hatten, auf den Weg. Sie wohnten ungefähr eine Meile entfernt jenseits des Waldes und waren mit dem Weg vertraut. Einige Tage später erzählte mir einer von ihnen, daß sie den größten Teil der Nacht nahe bei ihrer Wohnung herumgetappt und erst gegen Tagesanbruch heimgelangt seien, völlig durchnäßt durch mehrere heftige Regenschauer und durch den beständigen Tropfenfall von den Blättern. Viele Leute sollen sich sogar in den Dorfstraßen verirren, wenn die Dunkelheit so dicht ist, daß man sie schneiden kann, wie man so zu sagen pflegt. Manche, die nicht weit außerhalb des Dorfes wohnten und zu Wagen hereingekommen waren, um Einkäufe zu machen, konnten in der Nacht nicht zurückkehren, ja einige Frauen und Männer, die irgend jemand besucht hatten, machten einen Umweg von einer halben Meile. Sie tasteten den Bürgersteig mit den Füßen entlang und wußten nicht, wann sie sich seitwärts zu wenden hatten. Verirrt man sich zu irgend einer Zeit im Walde, so wird man um eine ebenso überraschende und merkwürdige wie wertvolle Erfahrung bereichert. Tritt man in einem Schneesturm selbst bei Tage auf eine wohlbekannte Landstraße hinaus, so ist es nicht selten unmöglich zu sagen, in welcher Richtung das Dorf liegt. Wenn man auch auf derselben Straße tausendmal gewandert ist: jetzt erscheint sie einem so fremd, als ob sie in Sibirien wäre. Bei Nacht ist die Verwirrung natürlich bedeutend größer. Auf unseren Alltagswegen steuern wir beständig, wenn auch unbewußt, wie die Lotsen mit Hilfe von wohlbekannten Blinklichtern und Vorgebirgen, und selbst wenn wir vom gewohnten Kurse etwas abweichen, erinnern wir uns noch, wo irgend ein bekanntes Kap liegt. Erst dann, wenn wir völlig verloren oder herumgedreht sind – der Mensch braucht nämlich in dieser Welt nur ein einziges Mal mit geschlossenen Augen herumgedreht zu werden, um verirrt zu sein – lernen wir die Unermeßlichkeit und das Wunderbare der Natur schätzen. Beim Erwachen aus dem Schlaf oder aus irgend einer Abstraktion muß der Mensch jedesmal die Himmelsrichtungen von neuem lernen. Erst wenn wir verloren sind, mit anderen Worten, wenn wir die Welt verloren haben, fangen wir an uns selbst zu finden und einzusehen, wo wir sind und wie endlos weit unsere Verwandtschaft reicht.
Als ich gegen Ende des ersten Sommers eines Nachmittags zum Torf ging, um beim Flickschuster einen Schuh zu holen, wurde ich verhaftet und ins Gefängnis geführt. An anderer Stelle habe ich davon erzählt; ich hatte dem Staat eine Steuer nicht bezahlt, die Autorität des Staates nicht anerkannt, jenes Staates, der Männer, Frauen und Kinder wie ein Stück Vieh vor den Toren seines Senatsgebäudes kauft und verkauft. Es ist einerlei, wohin ein Mann geht: überall verfolgen ihn die Menschen, klammern sich an ihn mit ihren schmutzigen Institutionen und zwingen ihn, ihrer verzweifelten Maffia beizutreten. Ich hätte allerdings mit mehr oder weniger Erfolg gewaltsam Widerstand leisten, gegen die Gesellschaft "Amok" laufen können. Ich zog's jedoch vor, die Gesellschaft gegen mich "Amok" laufen zu lassen, denn sie ist die verzweifelte Partei. Ich erhielt übrigens am nächsten Tage meine Freiheit und kurz hernach meinen Schuh zurück und kam noch zu guter Stunde im Walde an. um mein aus Heidelbeeren bestehendes Mittagessen auf dem Fair Haven-Hügel einnehmen zu können. Die einzigen Personen, die mich je in meinem Leben belästigten, repräsentierten den Staat. Nur am Schreibtisch, der meine Papiere enthielt, hatte ich Schloß und Riegel. Im übrigen gab es selbst über dem Türgriff und über den Fenstern keinen Nagel. Niemals schloß ich meine Tür, weder bei Tag noch bei Nacht, auch nicht, wenn ich mehrere Tage fortzubleiben beabsichtigte, ja selbst dann nicht, als ich im zweiten Herbst meines Aufenthaltes vierzehn Tage in den Maine-Wäldern zubrachte. Und doch wurde mein Haus mehr respektiert, als wenn es von einer Anzahl Soldaten bewacht worden wäre. Der müde Wanderer konnte sich an meinem Feuer ausruhen und wärmen, der Gelehrte sich mit den wenigen Büchern auf meinem Tisch unterhalten, der Neugierige meinen Wandschrank öffnen und sehen, was vom Mittagessen übrig geblieben war und wie die Aussichten aufs Abendbrot waren. Und wenn auch viele Menschen aus allen Gesellschaftsklassen zum Teiche kamen: nennenswerte Unannehmlichkeiten wurden mir dadurch nicht bereitet. Auch kam mir nichts weiter abhanden, als ein kleines Buch, ein Band Homer, der – wohl unpassenderweise – vergoldet war, und der hoffentlich inzwischen schon wieder von einem Soldaten unseres Lagers gefunden ist. Ich bin überzeugt, daß Diebstähle und Räubereien unbekannt sein würden, wenn alle Menschen so einfach leben würden wie ich. Diebstähle und Räubereien kommen nur in Gemeinwesen vor, wo der eine mehr als genug, der andere nicht genug hat. Die Homere Popes würden bald richtig verteilt sein. –
"Nec bella
fuerunt
"Faginus astabat dum scyphus ante dapes."
"Kriege kannte man nicht,
"Als im Buchenholzbecher den Trank man kredenzte."
"Ihr, die Ihr die öffentlichen Angelegenheiten leitet, wozu wollt Ihr Strafen anwenden? Liebt die Tugend, und das Volk wird tugendhaft sein. Die Tugenden des Hochgestellten gleichen dem Winde; die Tugenden des gewöhnlichen Menschen gleichen dem Grase. Wenn der Wind darübergeht, neigt sich das Gras."
Die Teiche
Manchmal, wenn mich der Ekel packte vor der Gesellschaft und vor dem Geschwätz der Menschen und all meine Freunde im Dorf nur Phantomen glichen, verließ ich meine Wohnung und wanderte noch weiter gen Westen, zu noch weniger besuchten Teilen des Landbezirks, wo "frisch die Wälder, neu die Weiden" waren; oder ich verzehrte beim Sonnenuntergang als Abendbrot meine Heidelbeeren und Blaubeeren auf dem Fair Haven-Hügel und legte einen Vorrat für mehrere Tage zurück. Wer Früchte kauft oder sie zum Verkaufe großzieht, weiß nicht wie hold sie duften. Es gibt nur einen Weg, sich an ihrem Aroma zu erfreuen, und die wenigsten benutzen diesen Weg. Willst Du wissen, wie Seidelbeeren duften, so frage den Kuhhirten oder das Rebhuhn. Wenn man glaubt, daß derjenige, der nie Heidelbeeren pflückte, weiß wie sie schmecken, so ist das ein großer Irrtum. Nach Boston ist noch nie eine Heidelbeere gekommen. Hort wuchsen sie vor langer, langer Zeit auf den drei Hügeln, und seitdem kennt man sie dort nicht mehr. Im Wagen, der sie zu Markte fährt, erstickt ihr Duft: der ambrosische, spezifische Charakter der Frucht geht zugrunde. Hernach ist sie nichts weiter als Futter. Solange die ewige Gerechtigkeit herrscht, kann keine einzige, unschuldige Heidelbeere von den Hügeln des Landes in die Stadt gebracht werden.
Wenn ich mit dem Hacken für den Tag fertig war, suchte ich bisweilen einen ungeduldigen Mitmenschen auf, der seit Tagesanbruch im Teich schweigend und bewegungslos wie eine Ente oder ein schwimmendes Blatt, fischte; um die Zeit, wo ich zu ihm kam, hatte er bereits alle philosophischen Systeme auf die Probe gestellt und war zu dem Schluß gekommen, er gehöre zu der alten Sekte der Coenobiten. Ein anderer, älterer Mann, ein ausgezeichneter Fischer und vielseitig erfahrener Weidmann, fand sich auch manchmal dort ein; er sah mit Vergnügen mein Haus als ein zur Bequemlichkeit der Fischer errichtetes Gebäude an, und ich meinerseits sah ihn mit Freude auf meiner Schwelle sitzen und seine Angelschnüre in Ordnung bringen. Ab und zu fuhren wir zusammen auf den Teich hinaus; er saß am einen Ende des Bootes, ich am anderen. Viele Worte wurden allerdings nicht zwischen uns gewechselt, denn er war in den letzten Jahren taub geworden, doch bisweilen summte er einen Psalm vor sich hin, und das harmonierte ganz trefflich mit meiner Philosophie. Unser Verkehr erfreute sich infolgedessen einer nie getrübten Harmonie, und ich erinnere mich an ihn mit größerer Freude, als wenn er durch Gespräche aufrecht erhalten wäre. War niemand da, der mir Gesellschaft leisten konnte – das war gewöhnlich der Fall – dann weckte ich das Echo auf, indem ich mit dem Ruder an eine Seite des Bootes schlug. Wie der Menageriebesitzer die wilden Tiere, so erweckte ich die benachbarten Wälder, erfüllte sie mit Klängen, die immer weiter ihre Kreise zogen, bis ich schließlich jedem Waldtal und Hügelhang ein brummiges Knurren entlockt hatte.
An warmen Abenden saß ich oft im Boot, spielte die Flöte und sah wie der Barsch, der von mir bezaubert schien, um mich herumschwamm und wie der Mond über den gerippten, mit Waldestrümmern bedeckten Grund dahinwanderte. Einst pflegte ich voll Abenteuerlust mit einem Kameraden in dunklen Sommernächten nicht selten zu diesen Teich zu wandern. Wir zündeten dann nahe am Ufer ein Feuer an und glaubten, es würde die Fische anlocken,. Mit einem Bündel Würmer, die auf Fäden gezogen waren, fingen wir dann Bricken. Waren wir tief in der Nacht damit fertig, dann warfen wir die Feuerbrände wie Raketen hoch in die Luft und wenn sie in den Teich niederfielen, erloschen sie mit zischendem Laut, so daß wir uns plötzlich in tiefster Finsternis befanden. Dann pfiffen wir uns eins und zogen heim zu den Nestern der Menschen. Jetzt aber stand mein Haus am Teichesrand.
Manchmal blieb ich in der besten Stube bei Bekannten im Dorf so lange, bis die ganze Familie sich zurückgezogen hatte, kehrte dann heim in den Wald und widmete einige Stunden der tiefen Nacht – teilweise mit Rücksicht auf das nächste Mittagessen – bei Mondschein im Boot der Fischerei, während Eulen und Füchse mir ein Ständchen brachten und von Zeit zu Zeit der knarrende Schrei eines unbekannten Vogels ganz in meiner Nähe erklang. Solche Erlebnisse waren denkwürdig und von hohem Wert für mich ... Unbewegt lag das Boot auf dem vierzig Fuß tiefen Wasser, ungefähr fünfundsiebzig bis hundert Meter vom Ufer entfernt. Am mich herum tanzten Tausende kleiner Barsche und Weißfische, die mit ihren Schwänzchen im Mondlicht die Wasserfläche kräuselten, während ich mit einer langen, flächsernen Schnur mit geheimnisvollen nächtlichen Fischen, die vierzig Fuß tiefer wohnten, Bekanntschaft anknüpfte. Oder ich zog, wenn das Boot vor dem leichten Nachtwinde dahintrieb, eine sechzig Fuß lange Angelschnur durch den Teich und fühlte ab und zu, wie ein leises Zittern an ihr entlang lief, welches mir anzeigte, daß sich ans Ende der Schnur ein Stück Leben voll stumpfen, Ungewissen und blinden Begehrens heimlich heranschlich und schwerfällig einen Entschluß faßte. Mit seltsamem Erschauern spürte ich, zumal in dunklen Nächten, wenn die Gedanken mit unergründlichen und kosmogonischen Problemen in andere Sphären gewandert waren, dieses leichte Jucken, das meine Träume unterbrach und mich wieder mit der Natur verband. Ich dachte, daß ich meine Angel ebensogut in die Luft hinauswerfen könne, wie hinein in das kaum dichtere Element. So fing ich zwei Fische mit einer Angel.
Die Landschaft, die den Waldenteich umgibt, ist bescheiden und läßt sich, obwohl sie große Schönheiten aufweist, doch nicht als erhaben bezeichnen. Auch vermag sie den Menschen, der sie nicht häufig besucht oder am Ufer gewohnt hat, nicht sonderlich zu interessieren. Der Teich aber ist wegen seiner Tiefe und Klarheit so merkwürdig, daß er eine besondere Beschreibung verdient. Er ist eine klare und tiefe, grüne Quelle, welche eine halbe Meile lang ist, einunddreiviertel Meilen im Umkreis mißt und ungefähr einundsechzig und einen halben Morgen bedeckt: eine dauernde Quelle zwischen Tannen und Eichenwäldern, ohne Zufluß und ohne Abfluß außer durch Wolken und Verdunstung. Die umliegenden Hügel steigen vom Wasser aus steil bis zur Höhe von vierzig oder achtzig Fuß empor. Nur im Osten und Südosten erreichen sie innerhalb einer Viertel- oder Drittelmeile eine Höhe von ungefähr hundert bis hundertundfünfzig Fuß. Alle sind mit Wäldern bedeckt. All unsere Gewässer in Concord zeigen wenigstens zwei Farben; die eine erkennt man am besten aus der Ferne, die andere, natürlichere, besser in der Nähe. Die erste hängt mehr vom Licht ab und ist dem Himmel verschwistert. An klaren Sommertagen sehen die Gewässer in der Nähe, hauptsächlich wenn sie bewegt sind, blau aus, in größerer Entfernung stehend bemerkt man jedoch keinen Unterschied zwischen ihnen. Bei stürmischem Wetter haben sie bisweilen eine dunkle Schieferfärbung. Man behauptet übrigens, daß die See an einem Tage blau, am anderen grün aussieht, ohne daß eine wahrnehmbare Veränderung in der Atmosphäre sich ereignet hätte. War die Landschaft mit Schnee bedeckt, dann sah das Eis und das Wasser unseres Teiches fast so grün wie Gras aus. Einige glauben, daß "blau die Farbe des reinen Wassers, des flüssigen oder des festen sei". Sieht man jedoch vom Boot aus direkt in unsere Gewässer hinein, so bemerkt man, daß sie sehr verschiedene Farben besitzen. Der Waldenteich ist, von demselben Ort aus betrachtet, das eine Mal blau und das andere Mal grün. Da er zwischen Himmel und Erde liegt, vereint er die Farben der beiden in sich. Sieht man ihn von einer Hügelkuppe aus, dann spiegelt er die Himmelsfarbe wieder; in der Nähe gesehen, zeigt er unmittelbar am Ufer, dort wo man den sandigen Grund erkennen kann, eine gelbliche Färbung; dann folgt ein Hellgrün und dieser Farbenton geht allmählich nach der Teichmitte zu in ein gleichmäßiges Dunkelgrün über. Es gibt jedoch Beleuchtungen, wo er, auch von einer Hügelkuppe aus gesehen, nahe am Ufer lebhaft grün gefärbt ist. Man hat dies Phänomen oft auf die Spiegelung der grünen Pflanzenwelt am Ufer zurückgeführt. Er ist aber gerade so grün dort, wo am Ufer der sandige Eisenbahndamm sich erstreckt, gerade so grün im Frühling, wenn die Blätter sich noch nicht entfaltet haben. So ist diese Erscheinung wohl nur das Resultat einer Mischung des kräftigeren Blau mit dem Gelb des Teichsandes. Also so sieht seine Iris aus! Das ist auch die Stelle, wo im Frühling das Eis, wenn es durch die vom Grunde zurückgestrahlte und von der Erde fortgepflanzte Sonnenglut erwärmt wurde, zuerst schmilzt und um die noch zugefrorene Mitte einen schmalen Kanal bildet. Wie unsere übrigen Gewässer zeigt der Teich bei klarem Wetter und bei lebhafter Brise, wenn die Oberflächen der Wellen den Himmel im rechten Winkel spiegeln können, oder weit mehr Licht sich mit ihm vereint, ein tieferes Blau als der Himmel selbst. War ich zu einer solchen Zeit auf dem Teich und sah mit geteiltem Blick hinein, um gleichzeitig die Reflexe wahrzunehmen, so bemerkte ich manchmal ein wunderbares, unbeschreibliches Hellblau, das blauer war wie der Himmel selbst – Moiré- oder Changeantseide oder eine Degenklinge können vielleicht für einen Augenblick einen solchen Farbenton hervorzaubern – und dieses Blau, welches mit dem ursprünglichen Grün der entgegengesetzten Seite abwechselte, war so leuchtend, daß das Grün relativ stumpf anmutete. Es war, soweit ich mich erinnern kann, ein glasartiges Grünblau, und glich jenen wolkenlosen Stellen, die man am Winterhimmel westwärts bisweilen vor Sonnenuntergang sieht. Im Glasgefäß erscheint jedoch dieses Teichwalser gegen das Licht gehalten geradeso farblos wie die gleiche Menge Luft. Man weiß, daß eine dicke Glasplatte einen grünen Farbenton besitzt (die Fachleute sagen: "der Körper ist grün"), daß aber ein kleines Stück dieser Platte farblos ist. Wie stark der "Körper" des Waldenwassers sein muß, um grüne Färbung anzunehmen, habe ich nie erprobt. Das Wasser unseres Flusses ist, wenn man unmittelbar von oben hineinsieht, schwarz oder tief dunkelbraun; es verleiht, wie das Wasser der meisten Teiche, dem Körper des darin Badenden einen gelblichen Ton. Dieses Wasser ist jedoch so kristallklar, daß der Körper des Badenden – weiß wie Alabaster leuchtet. Gas sieht noch unnatürlicher aus und macht, da die Gliedmaßen drinnen vergrößert und verzerrt erscheinen, einen geradezu monströsen Eindruck. Ein Michelangelo könnte hier passende Studien machen. Das Wasser ist so durchsichtig, daß der Grund ohne Mühe bei einer Tiefe von fünfundzwanzig bis dreißig Fuß gesehen werden kann. Beim Rudern erblickt man viele Fuß unter der Oberfläche Scharen von Barschen und Weißfischen, die meistens nur einen Zoll lang sind. Trotzdem kann man die Barsche leicht an ihrer Querstreifung erkennen. Fische, die hier ihre Nahrung finden, müssen Asketen sein, so dachte ich bei mir. Ich hatte einst vor vielen Jahren im Winter Löcher ins Eis gehackt, um Grashechte zu fangen. Als ich hierauf ans Ufer ging, stieß ich zufällig gegen meine Axt, die auf das Eis fiel und wie von einem bösen Geist getrieben, sechzig bis neunzig Fuß weit darüber hinglitt, um alsbald in einem der Löcher – dort, wo das Wasser fünfundzwanzig Fuß tief war – zu verschwinden. Neugierig legte ich mich auf das Eis nieder und sah so lange in die Öffnung hinein, bis ich die Axt auf der einen Seite entdeckte. Sie stand auf dem Kopf und streckte den Stiel, der mit dem Puls des Teiches leicht hin und her schwankte, in die Höhe. Da hätte sie nun stecken und hin und her pendeln können, bis der Stiel vermodert wäre, wenn ich mich nicht eingemischt hätte. Unmittelbar über ihr machte ich ein zweites Loch – ich hatte einen Eismeißel bei mir – schnitt mit meinem Messer die längste Birke, die ich in der Nähe finden konnte, ab, befestigte an ihrem Ende eine Fadenschlinge, tauchte dieses Instrument behutsam in die Flut, ließ die Schlinge über den Kopf des Stieles gleiten, zog sie zu und holte meine Axt an der Birke herauf.
Nur an zwei Stellen des Ufers befinden sich Sandbänke. Im übrigen wird es von einem Gürtel glatter, runder, weißer Steine eingefaßt, die Pflastersteinen gleichen, und ist so steil, daß einem an vielen Stellen schon beim ersten Sprung das Wasser über den Kopf reicht. Wäre der Teich nicht so außerordentlich klar, so könnte man von seinem Grund von hier aus nichts mehr erkennen bis dorthin, wo er am entgegengesetzten Ufer sich wieder zu erheben beginnt. Manche halten den Teich für unergründlich tief. Er ist nirgends schlammig und ein oberflächlicher Beobachter könnte behaupten, daß keine Pflanzen in ihm wachsen. Auch bei genauer Untersuchung findet man (ich sehe von den kleinen Wiesen, die erst kürzlich überschwemmt wurden, ab) keine bemerkenswerte Pflanzen, keine Schwertlilien und Flatterbinsen, nicht einmal gelbe oder weiße Wasserlilien, sondern nur einige Herzblätter, Potamagetonen und vielleicht ein paar Exemplare von Brasenia pellata.
Diese Pflanzen sind jedoch so klar und durchsichtig wie das Element, in dem sie wachsen; drum würde sie der Badende kaum bemerken. Die Steine erstrecken sich ungefähr sechzehn bis dreißig Fuß weit in das Wasser hinein, dann beginnt reiner Sandboden. Nur an den tiefsten Stellen findet sich gewöhnlich etwas Bodensatz, wahrscheinlich aus den Zerfallsprodukten der Blätter gebildet, die im Herbst gar manches Jahr in den Teich geweht wurden. Eine hellgrüne Wasserpflanze wird selbst mitten im Winter mit dem Anker heraufgebracht.
Es gibt einen anderen Teich, der diesem genau gleicht: White Pond im Nine-acre-corner. Er liegt ungefähr zwei und eine halbe Meile westlich. Doch wenn ich auch fast alle Teiche im Umkreis von einem Dutzend Meilen kenne, so weiß ich doch keinen dritten zu nennen, der diesen reinen, quellenartigen Charakter hat. Manches Volk trank daraus, bewunderte ihn, maß seine Tiefe und schwand dahin, und noch immer ist sein Wasser so grün und durchsichtig wie je. Das ist keine intermittierende Quelle! Vielleicht war an jenem Frühlingsmorgen, als Adam und Eva aus dem Paradies vertrieben wurden, der Waldenteich schon vorhanden! Vielleicht plätscherten schon damals im leisen Frühlingsregen, bei Nebel und Südwind seine Wellen, und trugen Tausende von Enten und Gänsen, die nichts vom Sündenfall wußten und noch an solch reinen Gewässern ihre Freude hatten! Schon damals hatte er begonnen zu steigen und zu fallen, hatte seine Wasser geklärt und ihnen jenen Farbenton gegeben, den sie noch heute tragen. Der Himmel hatte ihm ein Patent verliehen, daß er der einzige Waldenteich sein und den Tau des Himmels destillieren solle. Wer kennt die vielen verschollenen Völker, in deren Literatur er der kastalische Quell war? Wer die Nymphen, die im goldenen Zeitalter über ihn herrschten? Ein Edelstein von reinstem Wasser schmückt Concords Krone!
Vielleicht haben die Menschen, die zuerst zu diesem Quell kamen, schwache Spuren ihrer Fußstapfen hier zurückgelassen. Ich war erstaunt, als ich rund um den Teich herum – selbst dort, wo hart am Ufer ein dichter Wald vor kurzem erst den Äxten weichen mußte – einen schmalen Bergpfad am steilen Abhang entdeckte, der, bald steigend, bald fallend, bald nahe am Wasser, bald mehr abseits liegend, vielleicht so alt ist wie das Menschengeschlecht hier. Ihn schufen die Füße der eingeborenen Jäger und instinktiv wird er noch heute von den Bewohnern des Landes von Zeit zu Zeit benutzt. Wenn man im Winter, gerade nach einem leichten Schneefall, mitten auf dem Eise steht, dann ist dieser Pfad vollkommen deutlich als weiße Wellenlinie sichtbar; er wird dann nicht durch Unkraut und durch Zweige verdeckt, sondern tritt gerade dort, wo man ihn im Sommer und in geringerer Entfernung nicht zu lokalisieren vermag, klar hervor. Der Schnee gibt ihn in neuer Auflage heraus, druckt ihn in klaren weißen Hochrelief-Typen. Vielleicht werden die kunstvoll angelegten Gärten der Landhäuser, die man dereinst hier errichten wird, ein Stück von ihm bewahren.
Der Teich steigt und fällt; ob dies regelmäßig und innerhalb welcher Periode es geschieht, weiß jedoch kein Mensch, wenn auch natürlich viele behaupten, es zu wissen. Meistens ist er im Winter höher, im Sommer niedriger, doch lassen sich hieraus auf Regen oder Trockenheit keine Schlüsse ziehen. Ich kann mich erinnern, daß er einmal zwei Fuß niedriger, ein anderes Mal fünf Fuß höher war als zu der Zeit, wo ich an seinem Ufer wohnte. Eine schmale Sandbank erstreckt sich in ihn hinein; an ihrer einen Seite ist das Wasser sehr tief. Dort – ungefähr neunzig Fuß vom Hauptufer entfernt – half ich im Jahre 1824 einen Kessel voll Chowder kochen. Das wäre in den folgenden fünfundzwanzig Jahren unmöglich gewesen. Andererseits machten meine Freunde ungläubige Gesichter, wenn ich ihnen sagte, daß ich einige Jahre später vom Boot aus in einer abgelegenen Waldbucht, ungefähr 240 Fuß von dem einzigen, ihnen bekannten Ufer entfernt, zu fischen pflegte, an einer Stelle, die jetzt längst in eine Wiese verwandelt ist. In den letzten zwei Jahren ist der Teich jedoch beständig gestiegen und jetzt im Sommer 1852 genau um fünf Fuß höher wie damals, als ich dort wohnte; er hat also die gleiche Höhe wie vor dreißig Jahren und wieder einmal wird auf der Wiese gefischt. Das macht eine maximale Differenz von sechs oder sieben Fuß. Da jedoch die umliegenden Höhen als Wasserscheide kaum in Betracht zu ziehen sind, so muß dieser Hochstand auf Ursachen zurückgeführt werden, welche den tieferen Quellen entstammen. Gerade in diesem Sommer hat der Teich wieder angefangen zu fallen. Es ist interessant, daß diese Schwankung – einerlei, ob sie periodisch ist oder nicht – sich im Verlauf so vieler Jahre abspielt. Ich habe ein Steigen und ein zweimaliges, teilweises Fallen beobachtet, und ich vermute, daß nach weiteren zwölf oder fünfzehn Jahren das Wasser wieder so tief stehen wird, wie ich es einstens sah. Flints Teich, der eine Meile östlich liegt, sympathisiert, auch wenn man die durch Zuflüsse und Abflüsse hervorgerufene Niveauschwankung in Rechnung zieht, gerade wie auch die kleineren dazwischen liegenden Teiche mit dem Waldensee; er erreichte kürzlich seine höchste Höhe zu derselben Zeit wie sein westlicher Nachbar. Das gleiche kann man, soweit meine Beobachtungen reichen, vom Whiteteich sagen.
Das Steigen und Fallen des Waldenteiches, das in langen Zwischenräumen vor sich geht bringt wenigstens einen Vorteil: Wenn das Wasser ein Jahr oder länger seinen Hochstand beibehält, wird der Spaziergang um den See allerdings etwas erschwert, die Sträucher und Bäume aber, die am Uferrand seit seinem letzten Steigen emporsproßten, die Harztannen, Birken, Erlen und Espen und manche andere sterben ab, – ein freies Ufer bleibt zurück. So kommt es, daß sein Ufer im Gegensatz zu manchen Teichen und allen Gewässern, die täglich Ebbe und Flut aufweisen, am reinsten ausschaut, wenn das Wasser am tiefsten steht. An der einen Seite des Teiches wurde eine Anzahl Harztannen, die fünfzehn Fuß hoch waren, getötet, wie mit einem Hebeeisen umgelegt und so ihren wachsenden, widerrechtlichen Übergriffen auf fremdes Gebiet ein Ziel gesetzt. Ihre Größe deutet indessen darauf hin, wieviele Jahre seit dem letzten Ansteigen bis zu diesem Hochstand verflossen sind. Durch diese Niveauschwankungen betont der Teich sein Hoheitsrecht über den Uferwall; der Wall wird verwüstet und Bäume nicht an ihm geduldet. Diese Ufer sind die Lippen des Sees, auf dem kein Bart wächst. Er leckt sich von Zeit zu Zeit den Mund ab. Wenn das Wasser am höchsten steht, dann schicken Erlen, Weiden und Ahornbäume eine Menge faseriger, roter Wurzeln, die mehrere Fuß lang sind, von allen Seiten ihres Stammes in das Wasser hinein bis zu einer Tiefe von drei bis vier Fuß über dem Boden, um mit aller Kraft ihren Platz zu behaupten. Ich beobachtete, daß Blaubeerenbüsche, die gewöhnlich keine Früchte zeitigten, unter diesen Umständen reichliche Ernte lieferten.
Manche Leute suchen mit Eifer zu ergründen, warum das Ufer so regelmäßig gepflastert ist. Im ganzen Landbezirk kennt indessen ein jeder die Überlieferung, die den ältesten Einwohnern bereits in ihrer Jugendzeit erzählt wurde. In grauer Vorzeit sollen nämlich die Indianer auf diesem Hügel, der so hoch zum Himmel emporragte wie der Teich jetzt in die Erde sinkt, einen Pow-wow veranstaltet haben, wobei es ein arges Lästern und Fluchen gab. So erzählt die Legende, obwohl die Indianer diese Untugend niemals kannten. Da habe der Hügel plötzlich gebebt und sei versunken. Nur eine alte Squaw, Walden mit Namen, sei entkommen und nach ihr sei der See genannt. Man hat nun angenommen, daß bei dem Erdbeben Steine den Hügelhang hinunterrollten und das jetzige Ufer bildeten. Jedenfalls ist mit Bestimmtheit anzunehmen, daß einst kein Teich hier vorhanden war, und daß jetzt einer vorhanden ist. Und somit widerspricht die indianische Legende in keiner Weise der Erzählung des vorher erwähnten alten Ansiedlers: er konnte sich noch recht gut daran erinnern, daß ein leichter Dampf vom grünen Erdboden emporstieg, als er mit seiner Wünschelrute hier ankam. Und da die Rute vom Haselnußbaum beständig auf den Boden deutete, beschloß er hier eine Quelle zu graben. Allerdings glauben noch manche, daß die Anordnung der Steine kaum durch die Wirkung der Wellen auf diesen Hügel zustande gebracht sei. Ich habe jedoch beobachtet, daß die umliegenden Hügel ganz besonders reich an Steinen gleicher Art sind, so daß man sie dort, wo die Eisenbahn nahe am See verläuft, zu beiden Seiten des Dammes mauergleich aufschichten mußte. Und noch einen Umstand möchte ich hervorheben: Die meisten Steine befinden sich dort, wo das Ufer am steilsten ist. Es liegt also für mich hier – leider – kein Problem vor. Ich kenne den Pflasterer. Wenn der Name nicht von irgend einer englischen Ortsbezeichnung abgeleitet ist, z.B. von Saffron Walden, so ist vielleicht die Annahme berechtigt, daß der Teich ursprünglich Walled-in-Pond – eingemauerter Teich – geheißen hat.
Der Teich war meine, für mich gegrabene Quelle. Vier Monate im Jahr ist das Wasser so kalt wie es zu allen Zeiten klar ist; dann ist es meiner Ansicht nach ebenso gut, wenn nicht besser, als irgend ein anderes im ganzen Bezirk. Jedes Wasser, welches der Luft ausgesetzt ist, hat im Winter niedrigere Temperatur als vor Luft geschütztes Quellwasser. Die Temperatur des Teichwassers, das in dem Zimmer aufbewahrt wurde, in welchem ich von fünf Uhr vormittags bis zum Mittag des nächsten Tages verweilt hatte, betrug am 6. März 1846, während das Thermometer inzwischen auf 65 bis 70° Fahrenheit gestiegen war (hauptsächlich, weil die Sonne aufs Dach schien), 42°, war somit um einen Grad niedriger als die Temperatur des kältesten Quellwassers im Dorf, das gerade geschöpft war. Die Temperatur der Boilingquelle, deren Wasser hier als das wärmste gilt, betrug an demselben Tage 45°, obwohl ihr Wasser im Sommer kälter ist als das aller anderen mir bekannten Quellen, wenn, nebenbei bemerkt, seichtes und stagnierendes Oberwasser nicht zufällig mitgeschöpft wurde. Übrigens ist im Sommer das Waldenwasser wegen seiner großen Tiefe nie so warm, wie das der meisten Gewässer, welche der Sonne ausgesetzt sind. An warmen Tagen stellte ich meistens einen Eimer voll in meinen Keller, wo es während der Nacht abkühlte und tagsüber so blieb. Doch nehme ich auch eine Quelle in der Nähe in Anspruch. Das Wasser war nach 8 Tagen noch gerade so frisch, wie an dem Tage, wo ich es schöpfte und schmeckte nicht nach der Pumpe. Wer im Sommer eine Woche lang am Teichufer verweilt, braucht nur einen Eimer mit Wasser ein paar Fuß tief im Schatten seines Lagers einzugraben, um den Luxus des Eises entbehren zu können.
Im Waldenteich hat man sieben Pfund schwere Grashechte gefangen. Von dem Exemplar, das die Fischschnur mit größter Schnelligkeit ablaufen machte und das vom Fischer mit Bestimmtheit auf acht Pfund veranschlagt wurde – weil er es nicht sah – will ich ganz absehen. Außerdem fängt man Barsche, Bricken; die mehr als zwei Pfund wiegen, Weißfische und Rochen (Leuciscus pulchellus), sehr selten Brasse und ab und zu Aale, wovon der eine vier Pfund schwer war. Ich berichte darüber so genau, weil das Gewicht des Fisches meistens der einzige Anlaß ist, ihm ein Loblied zu singen, und weil dies die einzigen Aale waren, von denen ich hier gehört habe. Ich selbst erinnere mich indessen dunkel an einen kleinen, ungefähr fünf Zoll langen Fisch, dessen Seiten silberglänzend, dessen Rücken grünlich war; er glich in seinem Aussehen etwas dem Weißfisch und ich erwähne ihn hauptsächlich deshalb hier, um all den Fischerlegenden eine Tatsache gegenüberzustellen. Im großen und ganzen ist der Teich nicht allzu fischreich. Die Grashechte, die auch nicht in übergroßer Menge vorhanden sind, machen seinen Hauptstolz aus. Ich habe einmal, der Länge nach auf dem Eise liegend, wenigstens drei verschiedene Arten dieses Fisches beobachtet: einen langen, schmalen, stahlfarbigen, der mit dem Flußhecht viel Ähnlichkeit hatte, einen hellgoldenen, mit grünlichen Reflexen, der ganz in der Tiefe schwamm, er gehört zu der Art, die hier am häufigsten ist, und einen dritten, goldfarbigen, der wie der zweite gebaut war, aber an den Seiten kleine dunkelbraune oder schwarze Flecken aufwies, die, ähnlich wie bei der Forelle, mit blutroten Tupfen untermischt waren. Für diese Sorte paßt der eigentliche Name "reticulatus" nicht, "guttatus" wäre richtiger. All diese Fische sind fest gebaut und wiegen mehr, als ihre Größe verspricht. Die Weißfische, Bricken und auch die Barsche, ja, alle Fische, die diesen Teich bevölkern, sind reiner, schöner und von festerem Fleisch als diejenigen im Flusse und in anderen Teichen, weil das Wasser reiner ist. Man kann sie daher leicht von anderen unterscheiden. Ichthyologen würden wahrscheinlich einige von ihnen als neue Spielarten beschreiben. Auch ein sauberes Geschlecht von Fröschen und Schildkröten und einige zweischalige Muscheln gibt es im Teich. Bisamratten und Nörzwiesel lassen hier Spuren zurück und gelegentlich besucht ihn eine wandernde Schlammschildkröte. Wenn ich frühmorgens mein Boot ins Wasser schob, störte ich ab und zu ein großes Exemplar dieser Tiere auf, das sich während der Nacht darunter verborgen hatte. Im Frühjahr und im Herbst besuchten Enten und Gänse den Teich, die weißbrüstige Schwalbe ( hirundo bicolor) schwebt über ihn dahin und die Sumpflerchen ( totanus macularius) "wippen" während des ganzen Sommers am steinigen Ufer. Manchmal scheuchte ich einen Fischadler auf, der auf einer Weißtanne über dem Wasser saß; im übrigen glaube ich kaum, daß der Waldenteich wie Fair Haven je durch die Flügel einer Möve entweiht wurde. Er duldet höchstens einmal im Jahre einen Taucher. Und damit sind alle wichtigen Tiere, die ihn häufig zu besuchen pflegen, genannt.
Bei ruhigem Wetter sieht man vom Boot aus nahe am sandigen, östlichen Ufer, wo das Wasser acht bis zehn Fuß tief ist, und auch an anderen Stellen des Teiches einige kreisrunde Haufen, deren Durchmesser sechs Fuß und deren Höhe einen Fuß beträgt. Diese Haufen bestehen aus kleinen Steinen, die kaum so groß sind wie ein Hühnerei, während ringsherum nur Sand liegt. Im ersten Augenblick fragt man sich voll Erstaunen, ob diese Steine vielleicht von Indianern zu irgend einem Zweck aufs Eis gelegt wurden und hernach, als das Eis schmolz, zu Boden gesunken sind. Dem widerspricht jedoch die allzu regelmäßige Anordnung und einige dieser kreisrunden Haufen sehen auch tatsächlich zu frisch aus. Sie ähneln denen, die man in Flüssen findet. Da aber Sauger und Lampreten hier nicht vorkommen, so weiß ich nicht, welcher Fisch sie baut. Vielleicht sind sie die Nester des Chivin, des Döbel. Sie verleihen dem Grunde etwas Geheimnisvolles, Anziehendes.
Das Ufer ist unregelmäßig genug, um nicht monoton zu wirken. Klar sehe ich es vor meinem inneren Auge liegen: tiefe Buchten im Westen, im Norden fast grotesk, im Süden lieblich ausgezackt, dort wo eine Hügelspitze eine andere, vor ihr liegende, überragt und den Gedanken an unerforschte Buchten zwischen waldigen Hügeln erweckt. Nie hat der Wald eine solch herrliche Fassung, nie tritt seine Schönheit so klar hervor, als dort, wo man ihn von der Mitte eines kleinen Teiches aus zwischen Hügeln sieht, die vom Uferrande emporsteigen. Denn nicht nur die Fluten, in denen der Wald sich spiegelt, bilden in diesem Falle den Vordergrund, nein, auch die Wellenlinien des Ufers stellen seine natürlichste und anmutigste Grenze dar. Keine plumpe und unvollkommene Linie ist an seinem Rand zu sehen, wie dort, wo die Axt eine Lichtung schuf, oder dort, wo ein bebautes Feld ihn begrenzt. Für die Bäume ist genügend Raum vorhanden, sich nach dem Wasser hin auszubreiten und dorthin sendet ein jeder seinen kräftigsten Zweig. Hier erblickt das Auge einen natürlichen Saum, den die Natur gewoben hat und der von den niedrigsten Sträuchern bis zu den höchsten Bäumen harmonisch ansteigt. Von Menschenhänden gibts hier nur wenige Spuren. Das Ufer wird vom Wasser gerade wie vor tausend Jahren bespült.
Ein See ist der schönste, strahlendste Schmuck einer Landschaft. Er ist der Erde Auge. Wer hineinschaut, mißt die Tiefe seines eigenen Wesens. Die Bäume, die das Ufer umrahmen, sind seine schlanken Wimpern, die waldigen Hügel und Klippen gleichen den schützenden Augenbrauen.
Wenn ich an einem ruhigen Septembernachmittag auf dem ebenen, sandigen Ufer am östlichen Ende des Teiches stand, während ein leichter Dunsthauch die Konturen des gegenüberliegenden Ufers verschleierte, dann erkannte ich, woher der Ausdruck "glasige Oberfläche eines Teiches" stammt. Wendet man den Kopf zur Seite, so gleicht der See einem feinsten Sommerfaden, der über das Tal hinweggespannt ist, sich glitzernd vom gegenüberliegenden Tannenwald abhebt und eine Luftschicht von der anderen trennt. Man glaubt, daß man trockenen Fußes darunter zu den gegenüberliegenden Hügeln wandern könne, daß die Schwalben, die darüber hin flattern, sich auf ihm ausruhen werden. Manchmal tauchen sie auch, wie aus Versehen, unter die Oberfläche, um sofort eines Besseren belehrt zu werden. Will man gen Westen über den Teich blicken, so muß man die Augen mit beiden Händen beschatten zum Schutz gegen die wirkliche Sonne und gegen ihr Spiegelbild, denn beide sind gleich blendend. Betrachtet man zwischen diesen beiden Sonnen die Oberfläche scharf, so ist sie tatsächlich so glatt wie Glas, nur dort nicht, wo die Wasserläuferinsekten, in gleichmäßigen Zwischenräumen über den ganzen Teich verteilt, durch ihre Bewegungen die denkbar feinsten Glanzlichter im Sonnenschein hervorbringen, auch dort nicht, wo eine Ente ihr Gefieder putzt oder eine Schwalbe so niedrig fliegt – ich erwähnte das schon –, daß ihre Flügel die Fluten berühren. Weit vom Ufer entfernt beschreibt bisweilen ein Fisch einen Bogen von drei bis vier Fuß durch die Luft: ein heller Blitz zuckt an der Stelle auf, wo das Tier emportaucht, ein zweiter, wo es das Wasser wieder berührt. Bisweilen wird der ganze Silberbogen deutlich sichtbar. Hier und dort schwimmt ein Stückchen Distelwolle auf dem Wasserspiegel. Fische schießen pfeilschnell darauf los, so daß die Wellen leicht sich kräuseln. Wie geschmolzenes, erkaltetes aber nicht erstarrtes Glas liegt der Teich da. Die wenigen Stäubchen darauf sind so klar und schön wie die Unvollkommenheiten im Glase. Manchmal kann man auch ein noch glatteres, dunkleres Wasser entdecken: ein unsichtbares Spinngewebe dient hier als Hafenbaum, um den Ruheplatz der Nymphen von dem übrigen Wasser abzugrenzen. Von einer Hügelspitze aus sieht man fast überall die Fische springen. Denn weder ein Grashecht noch ein Weißfisch erhascht auf dieser glatten Oberfläche ein Insekt, ohne das Gleichgewicht des ganzen Teiches zu stören. Es ist wundervoll, wie genau diese einfache Tatsache nach allen Richtungen hin verkündet wird – dieser Mörder in Fischgestalt kann nichts heimlich tun – und von meiner hohen Warte kann ich in der Ferne die Wellenkreise unterscheiden, wenn ihr Durchmesser auch neunzig Fuß beträgt. Ich kann sogar eine Wasserwanze (Gyrinus) aus der Entfernung von einer Viertelmeile sehen, die unaufhörlich über den glatten Spiegel dahinläuft, denn diese Tiere furchen das Wasser leicht, ein feines Gekräusel zeigt sich auf der Oberfläche, das von zwei divergierenden Linien begrenzt wird. Die Wasserläufer aber gleiten dahin, ohne das Wasser wahrnehmbar zu bewegen. Ist der See nicht ganz ruhig, dann gibt es weder Wasserläufer noch Wasserwanzen auf ihm. An windstillen Tagen dagegen verlassen sie ihren Hafen, fahren voll Abenteuerlust mit kurzen Stößen vom Ufer ab, bis sie scharenweise den ganzen Teich bedecken. Es wirkt beruhigend, wenn man, wie ich, an einem jener schönen Herbsttage, wo man die Sonnenwärme vollauf zu schätzen weiß, hoch oben auf einem Baumstumpf sitzend den Teich überblickt und die Wellenkreise beobachtet, die ohne Unterlaß auf die sonst unsichtbare Oberfläche zwischen dem Spiegelbild des Himmels und der Bäume gezeichnet werden. Auf dieser weiten Fläche wird jede eintretende Störung sogleich mild besänftigt und beseitigt: ein Glas mit Wasser ward geschüttelt, zitternd suchten die Kreise das Ufer – und unbewegt ist alles wie zuvor. Ob ein Fisch springt oder ein Insekt in den Teich fällt: leichtes Gekräusel zieht seine Kreise und gibt hiervon Kunde in Linien voll Schönheit, gemahnt an einen ewig fließenden Quell, an den leisen Pulsschlag seines Lebens, an das Heben und Senken seiner Brust. Der Freudenschrei und Schmerzensschrei sind nicht zu unterscheiden. Wie friedlich ist des Teiches Leben! Wieder leuchten die Werke der Natur wie zur Frühlingszeit. Ja! Jedes Blatt und jeder Zweig, jeder Stein und jedes Spinnengewebe glänzt jetzt mitten am Nachmittage, als läge überall eines Frühlingsmorgens Tau. Jede Bewegung eines Ruders oder eines Insektes erzeugt einen Lichtblitz. Und wenn ein Ruder eintaucht – wie hallt das Echo so hold!
An solch einem Nachmittage im September oder Oktober ist der Waldenteich ein vollkommener Waldspiegel, umrahmt von Steinen, die mein Auge so entzücken, als ob davon nur wenige von hohem Wert auf dieser Welt vorhanden wären. Vielleicht ist auf Erden nichts so schön, so rein und zugleich so groß wie der See. Himmelswasser! Es braucht keinen Schutz. Völker kommen und Völker gehen, ohne es zu trüben. Es ist ein Spiegel, den kein Stein zertrümmert, dessen Quecksilber nie sich abnutzt, dessen Vergoldung die Natur beständig ausbessert, ein Spiegel, dessen allzeit klare Fläche kein Sturm, kein Staub je trüben kann, in dem alles Unreine, was mit ihm in Berührung kommt, zu Boden sinkt, ein Spiegel, den die Sonne mit ihrem dampfenden, schimmernden Staubtuch säubert und putzt. Kein Hauch, der auf ihm sich niederschlägt, bleibt haften, nein, er sendet vielmehr den eigenen Atem empor, damit er als Wolke hoch über ihm schwebe und in seinem Schoß sich noch wiederspiegele.
Eine Wasserfläche verrät den Geist, der in der Luft ist. Von oben her erhält sie stets neues Leben und neue Bewegung. Sie ist ihrer Natur nach ein Mittelding zwischen Himmel und Erde. Auf dem festen Lande wogen nur Gras und Bäume, das Wasser selbst wird jedoch vom Winde bewegt. Lichtstreifen und Lichtblitze verkünden mir, wie die Brise über den See streicht. Es ist seltsam, daß wir auf seine Oberfläche herniederblicken können. Wir werden vielleicht eines Tages auch auf die Oberfläche der Luft herniederschauen und die Stelle sehen, wo ein noch feinerer Geist darüber hin schwebt.
Die Wasserläufer und Wasserwanzen verschwinden Ende Oktober, wenn die heftigen Nachtfröste beginnen, gänzlich. Dann ist, gerade wie an windstillen Novembertagen, meistens nichts vorhanden, was die Oberfläche kräuseln könnte. An einem Novembernachmittag bemerkte ich während der Windstille, die mehrtägigen Regenstürmen folgte, bei bedecktem Himmel und nebeliger Luft eine außerordentliche Glätte des Teiches. Seine Oberfläche war daher nur mit Mühe zu erkennen, obwohl er nicht mehr die leuchtenden Farben des Oktobers, sondern die dunkelen Novemberfarben der umliegenden Hügel wiederspiegelte. Trotzdem ich so behutsam wie nur möglich auf ihm dahinruderte, dehnten sich doch die kleinen Wellen, die mein Boot verursachte, fast so weit wie ich sehen konnte aus, und verliehen den Spiegelbildern ein geripptes Aussehen. Und als ich über die Oberfläche hinsah, bemerkte ich hier und dort ein schwaches Leuchten. Ich dachte, daß einige Wasserläuferinsekten, die dem Frost entgangen waren, sich dort versammelt hätten, oder daß vielleicht die jetzt so glatte Oberfläche verraten wolle, wo am Grund eine Quelle springe. Langsam ruderte ich nach einer dieser Stellen und sah mich dort zu meinem Erstaunen von Myriaden kleiner, ungefähr fünf Zoll langer Barsche von tiefer Bronzefarbe umschwärmt, die in der grünen Flut sich vergnügten, fortwährend zur Oberfläche emporstiegen, leises Gekräusel daselbst verursachten und manchmal Bläschen dort zurückließen. Auf solch durchsichtigem und scheinbar bodenlosem Wasser, das die Wolken wiederspiegelt, glaubte ich in einem Ballon durch die Lüfte zu schweben; das Schwimmen der Fische schien mir ein Fliegen, ein Schweben zu sein. Sie glichen einem dichten Schwarm von Vögeln in ihnen, die rechts und links gerade unter meiner Gondel dahinzogen. Ihre ausgebreiteten Flossen machten auf mich den Eindruck von Flügeln. Solche Schwärme gab es in großer Anzahl im Teich. Sie nutzten augenscheinlich nach besten Kräften die kurze Zeit aus, ehe noch der Winter seine Fensterladen aus Eis über ihr breites Oberlicht zog. Manchmal sah es aus, als ob eine leichte Brise über den Wasserspiegel lief oder einige Regentropfen auf ihn niederfielen. Wenn ich mich unvorsichtig einem Schwarme näherte, dann verursachten die Tiere mit ihren Schwänzen ein plötzliches Aufspritzen und Gekräusel des Wassers, daß man glauben konnte, jemand habe mit einem buschigen Zweig darauf geschlagen. Dann verschwanden sie sofort in der Tiefe. Endlich erhob sich ein Wind, der Nebel nahm zu, die Wellen begannen zu wachsen und die Barsche sprangen höher denn zuvor. Hunderte von schwarzen, drei Zoll langen Punkten befanden sich gleichzeitig über der Oberfläche. Selbst am fünften Dezember sah ich noch einmal einige Tüpfelchen über dem Wasserspiegel. Da die Luft nebelig war und ich glaubte, es würde sogleich ein heftiger Regen niederfallen, ergriff ich schleunigst die Ruder und begann heimzufahren. Der Regen schien auch wirklich bald ärger zu werden, obwohl ich ihn noch nicht an meinen Wangen spürte, und ich machte mich schon auf eine gehörige Durchnässung gefaßt. Doch plötzlich verschwanden die Tüpfelchen: Barsche, die durch das Geräusch der Ruder in die Tiefe verscheucht wurden, hatten sie verursacht. Undeutlich konnte ich noch gerade erkennen, wie ihr Schwarm in der Tiefe verschwand. So verbrachte ich doch noch einen trockenen Nachmittag.
Ein alter Mann, der vor sechzig Jahren den Waldenteich häufig besuchte, zu einer Zeit, wo die dichten umliegenden Wälder dem See noch ein dunkeles Aussehen gaben, erzählte mir, daß er ihn in diesen Tagen mit Enten und anderen Wasservögeln dicht bedeckt fand, und daß es hier viele Adler gegeben habe. Er kam hierher, um zu fischen, und benutzte ein altes Baumkanoe, das er am Ufer fand. Es bestand aus zwei ausgehöhlten und miteinander verbundenen Weißtannenstämmen und war an den Enden rechtwinkelig. Wenn auch recht plump, tat es viele Jahre lang seine Dienste. Dann wurde es leck und sank wahrscheinlich auf den Grund. Den Eigentümer kannte er nicht: es gehörte dem Teich. Um ein Ankertau zu haben, pflegte er Streifen von Walnußbast zusammenzubinden. Ein anderer alter Mann, ein Töpfer, der vor der Revolution am Teichufer wohnte, hatte ihm erzählt, auf dem Grund liege eine eiserne Kiste, er habe sie selbst gesehen. Sie tauche manchmal auf und treibe dem Ufer zu, wenn man aber sich ihr nähern wolle, dann kehre sie ins tiefe Wasser zurück und verschwinde. Ich hörte mit Freuden von dem alten Baumkanoe, das dazu diente, ein anmutigeres und aus dem gleichen Material verfertigtes Fahrzeug der Indianer zu ersetzen. Dieses alte plumpe Kanoe war anfangs vielleicht ein Baum am Teichesrand, der fiel gleichsam ins Wasser hinein, um dort ein Menschenalter lang zu schwimmen, – kein Schiff paßte je besser hierher! Ich erinnere mich, daß ich beim ersten Blick in die Tiefe des Sees undeutlich viele große Stämme auf dem Boden liegen sah, die entweder früher vom Sturme hineingeweht oder auf dem Eis zurückgelassen waren, damals beim letzten Holzschlag, als das Holz noch billiger war. Doch jetzt sind sie zum größten Teil verschwunden.
Als ich zum erstenmal mein Boot auf dem Waldenteich dahintrieb, war er völlig von dichten und hohen Fichten- und Eichenwäldern umgeben, ja, in einige Buchten hatten sich Ranken über die nahe am Wasser stehenden Bäume geschlungen und schattige Laubdächer gebildet, unter welchen ein Boot fahren konnte. Die Hügel, welche sein Ufer bilden, sind so steil und die umrahmenden Wälder waren damals so hoch, daß man glauben konnte – hauptsächlich wenn man an seinem westlichen Ende stand – ein Amphitheater für irgend ein Waldschauspiel vor sich zu sehen. In jungen Jahren ließ ich mich manche Stunde lang, nachdem ich mein Boot zur Mitte des Sees gerudert hatte, vom Zephyr über die Fluten treiben. Dann lag ich an Sommervormittagen, quer über die Bänke ausgestreckt, auf dem Rücken und träumte wachend, bis das Boot auf Sand stieß, und ich, hierdurch erweckt, um mich blickte, um zu erfahren, an welches Ufer mein Schicksal mich verschlagen habe. An solchen Tagen war Müßiggang die einladendste und fruchtbringendste Betätigung. Wie häufig schlich ich mich heimlich fort, weil ich es vorzog, den wertvollsten Teil des Tages auf diese Weise zu verbringen! Denn ich war reich, wenn nicht an Geld, so doch an sonnigen Stunden und Sommertagen. Sie pflegte ich mit vollen Sünden auszugeben. Auch reut es mich nicht, daß ich sie nicht auf dem Katheder oder in der Werkstatt verschwendete. Doch seitdem ich dieses Ufer verließ, haben die Holzhauer noch ärger an ihm gewütet, und jetzt wird für viele Jahre kein Wanderer hier durch den Waldesdom gehen, und kein Durchblick auf das Wasser ihn von Zeit zu Zeit erfreuen können. Möge man meiner Muse verzeihen, wenn sie jetzt schweigt. Wie kann man erwarten, daß die Vögel singen, wenn man ihre Bäume fällt?
Jetzt sind die Stämme auf dem Boden, das alte Baumkanoe und die dunklen Wälder ringsum dahin! Jetzt wollen die Dorfbewohner, die kaum noch wissen, wo der Teich liegt, sein Wasser, das mindestens so heilig sein sollte wie das des Ganges, in einem Rohr zum Dorf leiten, um ihr Eßgeschirr damit zu reinigen! Sie wollen ihren Walden mühelos genießen, indem sie einen Hahn umdrehen oder einen Stöpsel herausziehen! Dieses teuflische, eiserne Pferd, dessen ohrenzerreißendes Wiehern durch den ganzen Stadtbezirk gehört wird, hat die Boilingquelle mit seinen Hufen getrübt und alle Wälder an Waldens Rand aufgefressen! Dieses trojanische Pferd mit tausend Menschen in seinem Bauch, das geldgierige Griechen herbeischleppten! Wo ist der Held des Landes, wo der Moore von Moore Hall, der bei dem Deep Cut mit ihm zusammentrifft und dieser Pest die Lanze in die aufgedunsene Seite stößt?
Und doch ist von allen Charaktern, die ich kenne, vielleicht der Walden am meisten sich selber treu geblieben. Er hat seine Reinheit wohl am besten bewahrt. Viele Menschen sind mit ihm verglichen worden, nur wenige waren dieser Ehre würdig. Wenn auch die Holzhauer erst dieses und dann jenes Ufer verwüsteten, wenn auch hernach die Irländer dort ihre Dreckhütten bauten und die Eisenbahn seinen Rahmen in Stücke schlug, wenn auch die Eisleute einmal hier Raub verübten: er blieb sich gleich, das Wasser ist noch dasselbe, das einst meine jugendfrischen Augen erblickten. Ich allein habe mich verändert. Zog er auch oft die Stirne kraus – keine Runzel blieb dauernd zurück. Seine Jugend währet ewig und wie damals kann ich auch heute beobachten, wie eine Schwalbe ein Insekt auf seiner Oberfläche erhascht. Heute Abend wieder machte er einen so tiefen Eindruck auf mich, als ob ich ihn nicht zwanzig Jahre lang täglich vor Augen gehabt hätte. Ja! Das hier ist der Walden, derselbe Waldsee, den ich vor so vielen Jahren entdeckte. Wo man im vorigen Winter Bäume fällte, da sprossen jetzt an seinem Ufer neue empor, so kraftstrotzend wie je. Noch immer quillt der gleiche Gedanke zur Oberfläche des Teiches empor. Er hat an sich selbst die gleiche ungemischte Freude und Glückseligkeit, die er seinem Schöpfer bereitet. Ja, er kann sie auch auf mich übertragen. Er ist das Werk eines edlen Mannes, der keine Arglist kannte. Und dieser rundete das Wasser in seiner Hand, vertiefte und klärte es in seinen Gedanken und gab es Concord zum Geschenk. Ich kann's auf seinem Antlitz lesen: er hat den gleichen Gedanken wie ich. Fast könnte ich zu ihm sagen: Walden, bist Du es?
Da liegst Du still vor dem erstaunten
Blick!
Kein Sang vermag Dich nach Gebühr zu preisen.
Vertrauter sind mir Gott und Himmel nicht
Als Du, vielteurer See!
Ich bin Dein stein'ges Ufer und der Wind,
Der Deine Fluten sanft bewegt.
In meiner hohlen Hand
Halt ich Dein Wasser, Deinen Sand,
Und Deine Tiefe lehrt mich
Nach dem Höchsten streben.
Da der Zug hier nicht hält, bekommt kein Reisender Gelegenheit den Teich zu betrachten. Ich bilde mir jedoch ein, daß die Lokomotivführer, Heizer und die Passagiere, welche eine Dauerkarte haben und ihn oft sehen, durch seinen Anblick zu besseren Menschen werden. Der Lokomotivführer (oder vielleicht seine Seele) vergißt in der Nacht nicht, daß wenigstens einmal am Tag diese Vision voll heiteren Friedens und Reinheit an seinem Auge vorüberzog. Und wenn er sie auch nur einmal sah: Maschinenruß und Straßenschmutz waren weggewaschen. Es hat jemand vorgeschlagen, den See Gottestropfen zu nennen.
Ich habe bereits erwähnt, daß Walden keinen sichtbaren Zufluß oder Abfluß besitzt, doch ist er auf der einen Seite entfernt und indirekt mit dem etwas höher gelegenen Flintteich durch eine Anzahl kleiner Teiche verbunden, die nach dieser Richtung hin liegen. Auf der anderen Seite sieht er direkt und augenscheinlich mit dem etwas tiefer liegenden Concordflusse ebenfalls durch eine Reihe von Teichen in Verbindung. In einer früheren geologischen Periode mag der Waldensee vielleicht durch sie hindurch geflossen sein, ja würde man etwas durch Graben nachhelfen – Gott möge es verhüten! – könnte es wieder geschehen. Wen würde es nicht schmerzen, wenn der Waldensee, der so viele, viele Jahre im Verborgenen, wie ein Einsiedler in den Wäldern, ein ernstes Dasein führte, und dadurch wunderbar sich selber läuterte, einst mit dem verhältnismäßig unreinen Wasser des Flintteiches in Berührung käme, oder seine süße Frische an des Meeres Wellen verschwenden würde?
Der Flint- oder Sandyteich, unser größter Binnensee in Lincoln, liegt ungefähr eine Meile östlich vom Walden. Er ist viel größer, auch fischreicher und soll einhundertundsiebenundneunzig Morgen bedecken. Er ist jedoch verhältnismäßig seicht und nicht besonders rein. Ein Spaziergang dorthin durch die Wälder hat mich oft erquickt. Das war schon deshalb lohnend, weil einem der Wind frisch um die Wangen blies und weil man durch die rollenden Wogen ans Seemannsleben erinnert wurde. An windigen Herbsttagen ging ich zum Kastaniensuchen hinüber: die Früchte, die ins Wasser fielen, wurden mir vor die Füße gespült. Eines Tages kroch ich an seinem schilfbewachsenen Ufer entlang, während kühler Gischt in mein Gesicht wehte. Da stieß ich auf das Wrack eines Bootes, dessen Teile bereits vermodert waren. Kaum mehr als der Abdruck seines flachen Rumpfes war zwischen dem Schilf zurückgeblieben. Seine Umrisse waren indessen noch scharf ausgeprägt, glichen gewissermaßen einem großen, verwelkten Lilienblatt mit deutlich sichtbaren Adern. Es machte einen so tiefen Eindruck auf mich wie ein Wrack am Meeresufer und lehrte eine ebenso gute Moral. Allmählich ist es ganz zu Erde geworden, und keine Spur am Teichufer weist noch darauf hin. Jetzt wachsen dort Binsen und Schwertlilien. Stets hatte ich meine Freude an der gerippten Zeichnung des sandigen Bodens, der durch den Wasserdruck fest und für die Füße des Watenden unnachgiebig geworden war – an den Binsen, die hintereinander im Gänsemarsch wuchsen, und getreulich sich den Wellenlinien der Bodenzeichnung anpaßten, gerade als ob die Wellen sie gepflanzt hätten. Dort habe ich auch in beträchtlicher Zahl merkwürdige Bälle gefunden, die augenscheinlich aus zartem Gras, aus Wurzeln, vielleicht aus Pfeifenkraut bestanden. Ihr Durchmesser schwankte zwischen einem halben und vier Zoll. Sie waren vollkommen rund. Beim ersten Anblick hätte man glauben können, daß sie durch die Wirkung der Wellen geformt wären, ähnlich wie glatte Kiesel. Doch selbst die kleinsten, einen halben Zoll starken Bälle waren aus dem gleichen, groben Material gebildet und wurden nur zu einer bestimmten Jahreszeit sichtbar. Im übrigen vermute ich, daß durch die Wellen solche Stoffe, die schon eine gewisse Konsistenz besitzen, eher abgenutzt als zusammengesetzt werden. Wenn man diese Kugeln trocknet, so behalten sie ihre Form dauernd.
Flints Teich! Wie arm ist unser Wortschatz! Was berechtigte den unsauberen und beschränkten Bauer, der dieses Ufer grausam verwüstet hatte, dessen Farm an dieses Himmelswasser grenzte, ihm seinen Namen zu geben? Wer gab einem gewissen Herrn Flint, einem Filz, das Recht dazu, ihm, dem doch die spiegelnde Fläche eines Dollar oder eines glänzenden Cent, in der er sein eigenes, unverfrorenes Gesicht betrachten kann, weit besser behagt? Ihm, dem sogar die wilden Enten auf dem Teich als Einbrecher galten, dessen Finger sich infolge der langjährigen Gewohnheit des harpyenhaften Greifens und Raffens zu krummen hornigen Krallen entwickelt hatten! Nein, ich heiße den Teich nicht so! Ich pilgere nicht zu seinem Ufer, um von Herrn Flint etwas zu sehen oder zu hören. Der sah den Teich nie; er badete nicht darin, er liebte und schützte ihn auch nicht, sprach nie ein gutes Wort über ihn und dankte auch dem Herrgott nicht, daß er den See erschuf. Eher soll dieser Teich nach den Fischen genannt werden, die darin schwimmen, nach dem Geflügel und den Vierfüßlern, die ihn aufsuchen, nach der wilden Blume, die an seinem Ufer wächst, nach irgend einem Indianer, nach einem Kind, dessen Lebensfaden mit diesem Teich verwoben ist. Doch nicht nach Flint, der kein anderes Recht auf ihn geltend machen konnte als seinen Vertrag, den er von einem ebenbürtigen Nachbar oder von einer Regierung erhalten hatte, die seiner würdig war; der im Teich nur ein Geldobjekt sah, und dessen Gegenwart allein vielleicht dem ganzen Ufer zum Unheil gereichte. Nicht nach Flint, der das Land ringsum aussaugte und am liebsten auch das Wasser darin ausgepumpt hätte, der lebhaft nur darüber sich betrübte, daß der Teich keine Heuwiese, kein Preißelbeerenfeld sei – irgend eine Eigenschaft, die hierfür entschädigen konnte, gab es natürlich für seine blöden Augen nicht – nicht nach Flint, der dazu imstande gewesen wäre, ihn abzulassen, nur um den Schlamm auf seinem Grunde zu verkaufen. Er konnte seine Mühle nicht damit treiben und sein Anblick erregte in ihm kein Glücksgefühl. Ich achte nicht die harte Arbeit, nicht die Farm jenes Mannes, für welchen alles seinen Preis hat, der womöglich die Landschaft, seinen Gott selbst zu Markte trägt, wenn man ihm nur irgend einen Preis dafür zahlt. Er geht ja seines Götzen wegen sowieso zu Markte. Ich achte nicht den Mann, auf dessen Farm nichts frei wächst, dessen Felder keine Ernte, dessen Wiesen keine Blumen, dessen Bäume keine Früchte tragen, sondern nur Dollars, der nicht die Schönheit seiner Früchte liebt, der seine Früchte erst dann für reif erklärt, wenn er sie in Dollars verwandelt hat. Gebt mir die Armut, die wahren Reichtums sich erfreut! Je ärmer ein Farmer ist, desto mehr Achtung und Aufmerksamkeit zolle ich ihm. Armselige Farmer! Eine Musterfarm! Seht, da steht das Haus wie ein Pilz auf einem Misthaufen, und für Menschen, Pferde, Ochsen und Schweine gibts dort Räumlichkeiten, die, gereinigt oder ungereinigt, alle miteinander zusammenhängen. Mit Menschen vollgepfropft! Ein großer Schmutzfleck, der nach Mist riecht und nach Buttermilch. Und dieser hohe Kulturzustand! Man düngte hier ja mit Herzen und Hirnen von Menschen, pflanzt gleichsam Kartoffeln auf einem Kirchhof! Das heißt eine Musterfarm!
Nein, nein! Wenn die schönsten Naturlandschaften schon nach Menschen genannt werden müssen, dann suche man aus der Menschheit die edelsten und würdigsten heraus! Unsere Seen sollen Namen bekommen, die wenigstens so viel Anspruch auf Wahrheit machen können wie der des ikarischen Meeres, "dessen Ufer noch gar kühnes Wagnis kündet".
Der kleine "Gänseteich" liegt auf dem Weg zum Flintteich. Fair Haven, eine angeblich siebenzig Morgen bedeckende Verbreiterung des Concordflusses, liegt eine Meile weit nach Südwesten. Der vierzig Morgen große "Weißsee" liegt anderthalb Morgen jenseits Fair Haven. Das ist mein Seenland! Das sind zugleich mit dem Concordflusse meine Wasserprivilegien, und bei Nacht und bei Tag, Jahr aus und Jahr ein mahlen sie die Früchte, die ich zu ihnen trage.
Seitdem die Holzhacker und die Eisenbahn und ich selbst Walden entweiht haben, ist der Weißsee vielleicht der anziehendste, wenn auch nicht der schönste von all unseren Seen. Er ist der Edelstein unserer Wälder. Doch Weißsee! was für ein abgenutzter Name, einerlei, ob der Teich wegen der Reinheit seines Wassers oder wegen der Farbe seines Sandes so genannt wurde. In dieser und in manch anderer Hinsicht ist er übrigens der kleinere Zwillingsbruder des Walden. Sie gleichen einander so sehr, daß man an einen unterirdischen Zusammenhang zwischen ihnen glauben möchte. Er hat das gleiche steinige Ufer, und seine Fluten zeigen die gleiche Färbung. Wie bei Walden ist die Farbe seines Wassers grünlichblau oder graublau, wenn man an schwülen Hundstagen durch die Wälder auf eine seiner Buchten niederblickt, die wegen ihrer geringen Tiefe durch die Reflexe des Bodens farbig leuchten. Vor vielen Jahren fuhr ich oft dorthin, um ganze Wagenladungen voll Teichsand zu holen, der zur Herstellung von Sandpapier verwendet wurde. Seit der Zeit habe ich ihn oft besucht. Ein häufiger Gast an seinem Gestade schlug den Namen Grünsee für ihn vor. Vielleicht könnte man ihn Gelbtannensee nennen, und zwar aus folgendem Grunde: Vor ungefähr fünfzehn Jahren konnte man die Spitze einer Pechtanne – hierorts sagt man Gelbtanne, obwohl sie keine besondere Abart repräsentiert – aus tiefem Wasser über die Oberfläche hinausragen sehen, viele Klafter vom Ufer entfernt. Man schloß sogar aus dieser Tatsache, daß der See durch eine Erdsenkung entstanden sei und daß diese Tanne dem Walde angehört habe, der einst hier stand. In der "topographischen Beschreibung der Stadt Concord", die von einem Bürger daselbst herrührend in der Sammlung der historischen Gesellschaft von Massachusetts aufbewahrt wird und bis zum Jahre 1792 zurückreicht, fand ich eine bemerkenswerte Angabe. Der Verfasser spricht zunächst über den Walden- und Weißsee und fährt dann fort: "In der Mitte des Weißsees sieht man bei sehr niedrigem Wasserstand einen Baum, dessen Stellung den Eindruck macht, als sei er an der Stelle, wo er sich jetzt befindet, gewachsen, obwohl seine Wurzeln sich fünfzig Fuß tief unter dem Wasserspiegel befinden. Die Spitze dieses Baumes ist abgebrochen und die Bruchstelle besitzt einen Durchmesser von vierzehn Zoll." Im Frühling 1849 unterhielt ich mich mit einem Mann, der ganz nahe am Teich in Sudbury wohnte. Der erzählte mir, daß er es gewesen sei, der diesen Baum vor zehn oder fünfzehn Jahren herausgeholt habe. Soweit er sich erinnern konnte, befand sich derselbe ungefähr zweihundert bis zweihundertundvierzig Fuß vom Ufer entfernt, dort wo das Wasser eine Tiefe von ungefähr dreißig bis vierzig Fuß hatte. Es war Winter. Vormittags hatte er Eis gehauen und sich entschlossen, nachmittags mit Hilfe einiger Nachbarn die Gelbtanne herauszuziehen. Er sägte gegen das Ufer hin einen Kanal in das Eis und begann mit einigen von den Nachbarn geliehenen Ochsen den Baum erst durch den Kanal hindurch und dann aufs Eis hinaufzuheben. Doch kaum hatte er sein Werk begonnen, da bemerkte er schon, daß das falsche Ende des Baumes nach oben stand, daß alle Aststumpfen nach unten zeigten, daß das dünne Ende fest im sandigen Boden steckte. Am dicken Ende betrug der Durchmesser ungefähr einen Fuß. Der gute Mann hatte gehofft, den Baum zu brauchbaren Brettern zersägen zu können, doch fand er das Holz so vermodert, daß es – wenn überhaupt – höchstens zur Feuerung benutzt werden konnte. Unter einem Wetterdach lagerten noch Reste davon. An dem einen Ende konnte man Spuren von einer Axt und von Spechten bemerken. Der Mann glaubte, der Baum sei bereits abgestorben gewesen, als er noch am Ufer stand und sei schließlich in den See geweht. Die Spitze habe sich dann mit Wasser vollgesogen, während das breite Ende noch eine Zeitlang trocken und mithin leicht blieb. Dann sei er allmählich in den See hinausgetrieben und versunken, die Wurzeln nach oben streckend. Selbst der achtzigjährige Vater dieses Mannes konnte sich an keine Zeit erinnern, wo der Baum nicht dortgewesen sei. Mehrere große Stämme kann man wohl noch jetzt auf dem Boden liegen sehen, wo sie infolge der Wellenbewegung an der Oberfläche wie sich ringelnde Riesenwasserschlangen wirken.
Dieser Weißsee wurde selten durch ein Boot entweiht, denn er enthält wenig, was einen Fischer locken könnte. Statt der weißen Lilie, die Schlammboden verlangt, oder des gewöhnlichen Kalmus wächst, wenn auch spärlich, rund um das steinige Ufer herum im reinen Wasser die blaue Schwertlilie (Iris versicolor). Zu ihr kommen im Juni die Kolibris, und die Farbentöne ihrer bläulichen Blätter und Blüten (besonders deren Reflexe) harmonieren prächtig mit dem bläulichgrünen Wasser.
Weißsee und Walden sind große Kristalle auf der Oberfläche der Erde. Seen von Licht! Wären sie dauernd erstarrt und klein genug, um mit den Händen ergriffen zu werden, dann würden sie vielleicht, wie kostbare Steine, von Sklaven geraubt, um Kaiserkronen zu schmücken. Doch da sie flüssig sind, weithin sich erstrecken, uns und unsern Nachkommen für alle Zeiten zugesprochen wurden, schätzen wir sie gering und laufen dem Diamant Kohinoor nach. Sie sind zu rein, um einen Marktpreis zu haben. Sie enthalten nichts unreines. Wieviel schöner sind sie als unser Leben, wieviel durchsichtiger als unser Charakter. Von ihnen haben wir nichts Niedriges gelernt. Um wieviel reiner sind sie als der Sumpf vor des Farmers Haus, auf dem die Enten schwimmen. Hierher kommen echte Wildenten. Die Natur hat keinen Einwohner, der sie zu würdigen weiß. Der Vögel Gefieder und Gesang harmoniert mit den Blumen. Doch welcher Jüngling, welches Mädchen versenkt sich mit Inbrunst in die wilde, wonnige Schönheit der Natur? Sie blüht meistens im Verborgenen, fern von den Städten, wo die Menschen wohnen. Schwätzt vom Himmel – Ihr entweiht die Erde!
Baker Farm
Manchmal wanderte ich durch Fichtenhaine, die wie Tempel oder wie Seeschiffe in die Lüfte ragten, bis obenhin geschmückt mit wogenden Zweigen, mit zitternden Lichtern, so sanft und grün und schattig, daß die Druiden ihre Eichenhaine verlassen haben würden, um hier Gottesdienst abzuhalten. Ich ging auch in den Zedernwald hinter dem Flintteich, wo die Bäume, würdig Walhalls Eingang zu schmücken, mit stahlblauen Beeren bedeckt, höher und höher ihre Wipfel hoben, und wo des Wacholders früchteschwere Ranken den Erdboden verdeckten. Oder ich wanderte zum Moore hinaus, wo Usneaflechten wie Blumengewinde von den Weißtannen herniederhingen, wo Krötenstühle – der Sumpfgötter runde Tische – am Boden wuchsen und wo noch viel schönere Pilze, Schmetterlingen, Muscheln oder Schnecken gleichend, manch alten Baumstumpf schmücken, wo der Maibusch und Hartriegel wächst, wo die roten Erlenbeeren wie Koboldaugen funkeln, und wo selbst an das härteste Holz sich die Liane klammert, um es mit ihrer Umarmung zu ersticken – wo der wilden Stechpalme Beeren in all ihrer Schönheit den Beschauer Haus und Hof vergessen machen, wo er geblendet und gelockt wird durch andere, namenlose, wilde, verbotene Früchte, die allzu schön sind, als daß er sie pflücken und kosten möchte. Anstatt mich zu einem Professor zu begeben, machte ich häufig Besuche bei eigenartigen Bäumen, die man nur selten in dieser Gegend antrifft und die weit entfernt auf einer Weide, in Waldestiefen, im Moore oder auf einem Hügel standen. Ich pilgerte zur Schwarzbirke, von der hier einige schöne, zwei Fuß im Durchmesser starke Exemplare vorhanden sind, oder zu ihrer Verwandten, der Gelbbirke, die in ihrem losen, goldenen Gewand so lieblich duftete wie jene. Zur Buche ging ich hin, deren zierlichen Stamm, vollendet in jeder Einzelheit, malerische Flechten schmückten. Abgesehen von einigen verstreuten Exemplaren, kenne ich im ganzen Stadtbezirk nur einen einzigen kleinen Hain ansehnlicher Buchen. Tauben, die man einst mit Bucheckern hier in der Nähe fütterte, sollen ihn, so erzählt man, gepflanzt haben. Es ist der Mühe wert, dies Holz zu spalten, um die Silberfäden darin zu sehen. Die Linde suchte ich auf, die Hagebuche und Celtis occidentalis – die falsche Ulme. Von dieser haben wir hier nur ein schöngewachsenes Exemplar. Hier und da steht ein kräftiger Tannenstamm, ein Schindelbaum oder eine hervorragend schöne Hemlockstanne wie eine Pagode mitten im Wald. Viele andere könnte ich noch anführen. Das waren die Altäre, zu denen ich wanderte im Sommer wie im Winter.
Es geschah auch einmal, daß ich gerade in dem Ende eines Regenbogens stand, welcher die niedrigere Luftschicht erfüllte, Gras und Blätter ringsum in Farben tauchte und mich blendete, als ob ich durch gefärbtes Kristall sähe. Es war ein Meer von Regenbogenlicht, in welchem ich für kurze Zeit wie ein Delphin lebte. Hätte dieses Farbenspiel länger gedauert – meine Beschäftigung und mein Leben wären dadurch vielleicht getönt worden. Wenn ich auf dem schmalen Pfade neben den Eisenbahnschienen dahinwanderte, wunderte ich mich oft über den Lichtkranz um meinen Schatten und gern hätte ich mich den Auserwählten zugezählt. Ein Besucher teilte mir gelegentlich mit, daß die Schatten einiger Irländer, die vor ihm her gegangen seien, diesen Lichtkranz nicht gezeigt hätten, und daß nur Eingeborene auf solche Weise ausgezeichnet würden. Benvenuto Cellini berichtet in seinen Denkwürdigkeiten, daß nach einem entsetzlichen Traum oder nach einer Vision während seiner Haft im Schlosse St. Angelo, morgens und abends ein Lichtschein über dem Schatten seines Kopfes geschwebt habe, einerlei ob er in Italien oder in Frankreich sich aufgehalten habe. Dieser Kranz sei am deutlichsten gewesen, wenn der Tau frisch auf dem Grase lag. Das war vielleicht das gleiche Phänomen, wie das vorhin von mir erwähnte. Man kann es hauptsächlich morgens, aber auch zu anderen Stunden, ja selbst bei Mondschein beobachten. Obwohl es ein konstantes Phänomen ist, wird es gewöhnlich nicht bemerkt; es kann daher bei Menschen mit solch sensitivem Gemüt wie bei Cellini leicht den Ausgangspunkt abergläubischer Vorstellungen bilden. Der Meister fügt übrigens hinzu, daß er nur wenige Bekannte darauf aufmerksam gemacht habe. Sind aber diejenigen nicht wirklich ausgezeichnet, die wissen, daß sie überhaupt beachtet werden?
Eines Nachmittags wanderte ich durch die Wälder zum Fischen nach Fair Haven, um mit meinem knappen Gemüsevorrat etwas länger haushalten zu können. Mein Weg führte mich über "die schöne Wiese", die zu Baker Farm gehörte. Dies stille Plätzchen wurde bereits von einem Dichter besungen, der also anhub:
"In keuscher Schönheit liegt vor Deinem Haus
das Feld,
"Und zwischen moosbedeckten, früchteschweren Bäumen
"Leis murmelnd hüpft des Bach's goldgelbe Welle.
"Und friedlich wohnt die Bisamratte hier bei der lustigen
Forelle."
Bevor ich mich für Walden entschied, hatte ich daran gedacht, mich hier niederzulassen. Damals "stibitzte" ich mir Äpfel, sprang über den Bach und erschreckte Bisamratte und Forelle... Es war an einem jener Nachmittage, die unendlich lang vor mir zu liegen schienen, obwohl sie häufig, wenn ich aufbrach, schon halb verflossen waren, an einem jener Nachmittage, an denen gar vieles sich ereignen kann, und die einen wertvollen Teil unseres irdischen Lebens ausmachen. Ein heftiger Regenguß ging nieder, als ich kaum meine Wanderung angetreten hatte. Ich war gezwungen eine halbe Stunde lang unter einer Tanne zu stehen, wo ich mir aus einigen Ästen und aus meinem Taschentuch ein Wetterdach schuf. Als ich schließlich meine Angel über das Hechtkraut hinweg zum ersten Male auswarf, wobei ich bis zu den Hüften im Wasser stand, schwebte plötzlich ein dunkler Wolkenschatten um mich her, während der Donner mit solchem Nachdruck zu rollen begann, daß mir nichts anderes übrig blieb als zuzuhören. Das nenn' ich einen leichten Sieg der Götter, dachte ich bei mir, wenn sie mit solch gezückten Strahlen einen armen unbewaffneten Fischer in die Flucht jagen! Ich entschloß mich, in der nächstgelegenen Hütte Obdach zu suchen. Sie war eine halbe Meile weit von jeglicher Landstraße entfernt, lag aber desto näher am Teiche. Lange Zeit hatte niemand in ihr gewohnt:
"Diese Hütte baute einst ein
Dichter!
"Doch nun ist auch für sie
"Die Sterbestunde nicht mehr fern..."
So dichtet die Muse. Einstweilen aber wohnte, wie ich sah, noch John Field darin, ein Irländer mit Frau und mehreren Kindern. Den Anfang der Reihe machte ein Knabe mit breitem Gesicht, der dem Vater bereits bei der Arbeit half und gerade jetzt aus dem Moor mit ihm dahergelaufen kam, um dem Regen zu entgehen. Den Schluß bildete das runzelige, sibyllenhafte, kegelköpfige Baby, das – gerade wie in den Palästen der Vornehmen – alsbald auf seines Vaters Knie saß und aus seinem Heim voll Nässe und Hunger heraus, von dem Vorrecht der Kindheit ausgiebig Gebrauch machte, den Fremden scharf ins Auge faßte und nicht wußte, ob es vielleicht der letzte Sproß eines edlen Stammes sei oder John Fields armseliger, hungernder Balg. Da saßen wir nun beieinander unter dem Teil des Daches, der am wenigsten undicht war, während draußen Donner und Regen wüteten. Ich hatte hier vor langer Zeit schon oft gesessen, ehe noch das Schiff gebaut war, auf welchem diese Familie nach Amerika fuhr. John Field war augenscheinlich ein ehrlicher, aber ein ratloser Mann, der schwere Arbeit tat. Auch seine Frau war eine biedere Seele, die ungezählte Mittagessen in der Nische des hohen Kamines kochte. Ihr rundes Gesicht war schweiß- und staubbedeckt, ihre Brust nicht verhüllt. Sie hoffte noch immer auf bessere Tage. Immer hielt sie einen Scheuerlappen in der einen Hand und doch war nirgends eine Spur seiner Tätigkeit zu sehen. Auch die Hühner hatten hier vor dem Regen Schutz gesucht. Sie spazierten im Zimmer auf und ab, als ob sie zur Familie gehörten und sahen mir zu "zivilisiert" aus, als daß ich sie mir gebraten hätte vorstellen können. Sie machten vor mir Halt, sahen mir in die Augen und pickten, um mir ihren Wunsch auszudrücken, gegen meine Stiefel. Inzwischen erzählte mir mein Wirt seine Lebensgeschichte. Ich erfuhr, daß er für einen benachbarten Farmer angestrengt im Moor arbeiten mußte. Er grub dort mit der Schaufel oder mit der Sumpfhacke eine Wiese um. Dafür erhielt er zehn Dollars pro Morgen und zugleich die Nutznießung des Landes (inklusive Dünger) für ein Jahr. Sein Ältester mit dem breiten Gesicht arbeitete fröhlich neben dem Vater, ohne zu ahnen, welch schlechten Handel jener geschlossen hatte. Ich versuchte ihm mit meiner Erfahrung zu Hilfe zu kommen und erzählte ihm, daß ich, einer seiner nächsten Nachbarn, wie ein Bummler aussehend, zum Fischen hierher gekommen sei, meinen Lebensunterhalt verdiene wie er selbst, und daß ich in einem wasserdichten, hellen und reinen Hause wohne, welches kaum mehr koste, als die Miete der von ihm bewohnten Ruine betrage. Ich setzte ihm auseinander, wie er sich in ein paar Monaten, wenn er nur wolle, seinen eigenen Palast bauen könne, ich betonte, daß ich weder Tee noch Kaffee, weder Butter noch Milch oder frisches Fleisch gebrauche, mich deshalb auch nicht für solche Dinge zu plagen habe. Andererseits sei eine sehr kräftige Nahrung für mich nicht notwendig, weil ich nicht hart arbeite; mein Lebensunterhalt koste mir darum so gut wie nichts. Er aber wolle Tee, Kaffee, Butter, Milch und Ochsenfleisch verzehren und müsse angestrengt schaffen, um solche Ausgaben bestreiten zu können. Die harte Arbeit verlange wieder kräftige Kost, um den Kräfteverbrauch im Körper zu ersetzen – kurzum: das alles sei so breit wie lang, oder vielmehr breiter als lang, denn er sei unzufrieden und setze obendrein seine Gesundheit bei dem Handel aufs Spiel. Als John Field nach Amerika auswanderte, hatte ihn aber gerade die Aussicht gelockt, dort an jedem Tage Tee, Kaffee und Fleisch genießen zu können. Und doch ist nur dort das echte Amerika, wo man in aller Freiheit sein Leben derart gestalten kann, daß man ohne diese Dinge auszukommen vermag, wo der Staat sich nicht bemüht, Sklaverei, Krieg und andere zwecklose Ausgaben zu unterstützen, welche direkt oder indirekt durch den Gebrauch dieser Dinge hervorgerufen werden. Ich sprach absichtlich zu ihm, als ob er ein Philosoph wäre oder einer sein möchte. Meinetwegen könnte man gern alle Wiesen der Erde in ihrem natürlichen Zustande lassen, wenn dadurch der Anfang zur Erlösung der Menschheit gemacht würde. Um zu wissen, was der eigenen Kultur am besten frommt, braucht man keine Geschichte zu studieren. Doch, o weh! Der Kultur eines Irländers muß man schon mit einer Sumpfhacke zu Leibe gehen. Ich sagte John Field, daß er für seine Arbeit im Moor dicke Stiefel und derbe Kleider gebrauche, die obendrein bald schmutzig und abgenutzt seien. Ich dagegen trüge leichte Schuhe und dünne Kleider, bezahle dafür kaum halb so viel wie er und dabei denke er vielleicht noch, ich sei wie ein Herr gekleidet! (Das war übrigens nicht der Fall!) Ich könne, so fuhr ich fort, in ein paar Stunden, wenn ich nur wolle, so viel Fische fangen, daß ich für zwei Tage daran genug hätte, und das sei obendrein keine Arbeit, sondern ein Vergnügen. Ich könne in ein paar Stunden Geld genug verdienen, um eine ganze Woche damit hauszuhalten. Wenn er mit seiner Familie einfach leben wolle, so möchte er mit Kind und Kegel im Sommer vergnüglich Heidelbeeren pflücken. Seufzend hörte John meine Worte an, sein Weib blickte, die Hände in die Hüften gestützt, starr vor sich hin und beide schienen zu überlegen, ob sie Kapital genug besäßen, ein solches Unternehmen anzufangen, oder Rechenkunst genug, um es durchzuführen. Für sie hieß es ohne Kompaß segeln. Sie konnten sich nicht vorstellen, wie sie schließlich in den Hafen einlaufen würden. Und so glaube ich denn, daß sie noch immer mutig sich durchs Leben schlagen, Angesicht gegen Angesicht, daß sie es sich blutsauer werden lassen, weil sie nicht geschickt genug sind, des Lebens starke Säule mit einem fein zugespitzten Keil zu sprengen, um dann Stück vor Stück zu bewältigen. Sie glauben, sie müßten wie bei einer Distel hart zupacken! Doch sie kämpfen unter ungeheuer nachteiligen Verhältnissen... John Field – ach! er vegetiert dahin, ohne zu rechnen, und darum gibts nichts als Mißerfolg.
"Fischen Sie auch bisweilen?" fragte ich ihn. "O ja, wenn ich mal gerade nichts zu tun habe, fange ich ab und zu eine Portion guter Barsche." "Was nehmen Sie als Köder?" "Ich fange Weißfische mit Regenwürmern und benutze die Weißfische als Köder für die Barsche." "Es wird das beste sein, wenn Du Dich gleich aufmachst", sagte sein Weib mit glänzenden, hoffnungsfrohen Augen. Doch John blieb da.
Der Regen hatte inzwischen aufgehört und ein Regenbogen über den Wäldern im Westen versprach einen schönen Abend. So nahm ich denn Abschied. Als ich aus dem Hause trat, bat ich um ein Trinkgefäß. Ich wollte einen Blick in den Brunnen tun, um mein Bild von dieser Farm abzurunden. Doch, du lieber Himmel! Der Brunnen war seicht und versandet, das Seil war zerrissen und der Eimer für ewige Zeiten verschwunden, unterdessen hatte man das passende Kochgeschirr herausgesucht, Wasser augenscheinlich abgekocht und es nach langem Warten und gründlicher Überlegung dem Durstenden überreicht. Das Wasser hatte weder Zeit gehabt sich abzukühlen, noch sich zu setzen. Diese Sorte Haferschleim dient hier als Nährmittel, dachte ich bei mir, schloß die Augen, vermied durch einen weise dirigierten Tiefstrom den schmutzigen Bodensatz und trank aufs Wohl edler Gastfreundschaft so herzhaft wie nur möglich. Ich stehe meinen Mann, in Fällen, wo es sich darum handelt, gute Lebensart zu zeigen.
Als ich nach dem Regen des Irländers Haus verlassen hatte und meine Schritte nach dem Teich hinlenkte, erschien mir, der ich Schulen und Akademien besucht hatte, mein Wunsch, Hechte zu fangen und mich dabei durch einsame Wiesen, Sümpfe und Moore, durch entlegene, wilde Gegenden durchzuarbeiten, einen Augenblick lang abgeschmackt. Doch als ich den Hügel hinabeilte, hinein in den rotglühenden Westen, als der Regenbogen über meiner Schulter stand und von irgendwoher durch die gereinigte Luft ein leises Klingen sich hören ließ, da schien mein guter Geist zu mir zu sagen: Geh, fische und jage, weit und breit, tagaus tagein, weiter und breiter und ruhe aus an manchem Bach, an manchem Herd, ledig aller Sorgen, Gedenk an Deinen Schöpfer in Deiner Jugend. Steh' auf, bevor die Sonne erwacht, sei unbekümmert und zieh auf Abenteuer aus. Der Mittag soll an anderen Seen Dich finden, und wo auch immer die Nacht Dich überrascht: dort sei Dein Heim. Herrlicher denn hier dehnen sich nirgends die Wiesen, die schönsten Spiele spielt man hier. Wachse und blühe, wild wie Deine Natur es erheischt, wild wie dieses Schilf, wie dieses Dorngebüsch, das niemals englisches Heu werden kann. Laß den Donner rollen. Was kümmert's Dich, ob er des Landmanns Ernte Unheil bringt. Nicht solche Botschaft will er Dir verkünden. Suche Obdach unter der Wolke, derweil die anderen in Wagen und Hütten sich verbergen. Und wenn Du Dir Dein täglich Brot erwirbst: heiße das nicht Arbeit, sondern Spiel. Erfreue Dich am Land, doch erwirb es nicht. Weil es dem Menschen an Mut und Vertrauen fehlt, sind sie dorthin gelangt, wo sie sind – sie kaufen und verkaufen, und führen ein Leben wie Leibeigene. O Baker Farm!
"Tiefer Landschaft holdeste Zierde
"Ist ein keuscher Sonnenstrahl..."
"Niemand eilt dorthin zum Spiel,
"Wo Gitter die Wiesen umgürten ..."
"Mit keinem Menschen brauchst Du je zu
rechten,
"Noch quälen Dich törichte Frager.
"Du bist in Deinem schlichten, braunen Wams
"Noch gerad' so demutvoll wie einst
"Als ich zum erstenmal Dich sah ..."
"Ihr, die Ihr liebt,
"Und Ihr, die Ihr haßt,
"Kinder der heiligen Taube,
"Und Ihr, Guy Faux Genossen:
"Hängt alle niedrigen Gedanken
"An dieser Bäume unbeugsame Äste!"
Vom nahen Feld oder von der Straße, wo stets das Haushaltecho spukt, kommen die Menschen am Abend matt nach Haus. Ihr Leben spinnt sich freudlos ab, weil es fortwährend seinen eigenen Atem wieder einatmet. Ihr Schatten am Morgen und Abend reicht weiter als ihre täglichen Schritte. Aus weiten Fernen sollten wir an jedem Abend heimwärts ziehen, aus Abenteuern, Gefahren und Neuland heimkehren, mit neuer Erfahrung, mit neuem Charakter.
John Field hatte inzwischen seine Pläne geändert und mich, bevor ich zum Teiche kam, eingeholt. Er war entschlossen, heute nicht mehr im Moor zu arbeiten. Und nun holte der arme Bursche nur ein Paar winzige Fische heraus, während ich eine stattliche Anzahl fing. Solches Pech habe er immer, sagte er. Als wir dann die Plätze im Boot wechselten, tat das Pech dasselbe. Armer John Field! Ich hoffe, daß er diese Erinnerungen nicht liest, es sei denn, daß sie ihm zum Vorteil gereichen würden. Er will nach einem von der alten Welt ererbten Prinzip in dieser primitiven neuen Welt leben – will Barsche mit Weißfischen fangen! Das mag bisweilen ein guter Köder sein, meinetwegen. Soweit sein Auge reicht gehört alles ihm, und doch ist er ein armer Schlucker, der zur Armut geboren ward, dessen Eltern schon, wie er, die irländische Armut, vorsündflutliche Ansichten und versumpfte Gewohnheiten erbten. Erst dann wird er oder einer seiner Nachkommen in dieser Welt auf den grünen Zweig kommen, wenn ihren watenden, patschenden, sumpfstampfenden Füßen talaria an den Fersen wachsen.
Höhere Gesetze
Die Fische auf einen Faden gereiht und die Angelrute nachschleppend, so zog ich heimwärts durch die Wälder. Es war bereits ganz dunkel geworden, als ich ein Murmeltier über meinen Pfad schleichen sah. Eine seltsam wilde Freude ließ mein Herz erbeben und ich war nahe daran das Tier zu packen und roh zu verzehren. Nicht weil ich hungrig war – nein, nur als Inkarnation der Wildheit reizte es mich. Während der Zeit, wo ich am Teichufer wohnte, ertappte ich mich mehrere Male dabei, daß ich wie ein halbverhungerter Jagdhund im Walde umherstreifte, um irgend ein Wild aufzustöbern und zu verschlingen. Die wildesten Szenen waren mir seltsam vertraut geworden. Ich weiß, daß in mir wie in den meisten Menschen ein instinktives Sehnen nach einem höheren, oder wie man so sagt, seelischen Leben wohnte und noch wohnt, und daß dieses Sehnen mit dem Verlangen nach einem primitiven und wilden Leben sich vereint. Beides achte ich gleich hoch. Ich liebe das Wilde ebenso sehr wie das Gute. Noch immer ziehe ich gern zum Fischen aus, weil mich das Grenzenlose und das Abenteuerliche dieser Beschäftigung lockt. Es macht mir bisweilen Freude, allen Instinkten im Leben freie Bahn zu geben, wie es die Tiere tun. Vielleicht wurde durch diese Vorliebe und durch die Jagd, der ich schon als Knabe oblag, meine innige Vertrautheit mit der Natur gezeitigt. Auf diese Weise werden wir frühzeitig mit solchen Landschaften bekannt und verwandt, die uns sonst in diesem Alter verborgen bleiben. Fischer, Jäger und Holzfäller, die ihr Leben in Feldern und Wäldern verbringen, die in gewissem Sinne ein Teil der Natur selbst sind, vermögen oft, wenn sie von ihrer Arbeit ausruhen, tiefer das Wesen der Natur zu erfassen als Philosophen oder gar Dichter, die sich ihr mit Erwartungen nähern. Jenen offenbart sich die Natur willig. Wer durch die Prärien wandert, ist naturgemäß ein Jäger, an den Quellen des Missouri und des Columbiaflusses ein Schlingensteller, und an dem Fall von St. Mary ein Fischer. Wer nur reist, um zu reisen, der lernt alles halb und aus zweiter Hand, der ist eine schlechte Autorität. Unser Interesse wird am meisten erregt, wenn die Wissenschaften das bestätigen, was jene Menschen schon praktisch oder instinktiv wissen. Denn dieses Wissen allein ist das Kriterium wahrer "Menschlichkeit" oder die Geschichte menschlicher Erfahrung.
Man irrt, wenn man behauptet, daß der Yankee wenige Vergnügungen kenne, weil er nur spärlich Feiertage habe und weil Männer und Knaben sich nicht soviel wie in England mit Spielen beschäftigen. In Amerika werden die naturwüchsigen, wenn auch einsamen Vergnügungen – Jagen, Fischen usw. am meisten bevorzugt. Fast jeder Neuengländer unter meinen Altersgenossen nahm, wenn er zehn bis vierzehn Jahre alt war, seine Vogelflinte in den Arm. Sein Fischereigebiet und seine Jagdgründe waren nicht begrenzt wie die des englischen Aristokraten, sondern unbeschränkter selbst als die eines Wilden. Kein Wunder also, wenn er nicht häufiger zum Spiel auf der Gemeindewiese daheimblieb. Doch schon tritt eine Veränderung zutage, die nicht so sehr auf gesteigerte Humanitätsgefühle als auf das allmähliche Aussterben des Wildes zurückzuführen ist. Der Jäger ist aber vielleicht der beste Freund des gejagten Wildes, – trotz der Tierschutzvereine.
Während ich am Teich wohnte, wünschte ich ab und zu in meine Speisekarte durch Fisch etwas Abwechselung zu bringen. Ich fischte also tatsächlich aus demselben zwingenden Grunde wie die ersten Fischer. Was ich an Humanitätsgefühlen dagegen mobil machte, war eitel Künstelei und ging mehr meine Philosophie als mein Empfinden an. Ich spreche jetzt nur vom Fischen, denn über die Vogeljagd habe ich meine Ansichten schon vor langer Zeit geändert. Meine Büchse verkaufte ich, bevor ich in den Wald zog. Ich glaube nicht weniger human zu sein als andere Menschen, ich bemerkte nur nicht, daß meine Gefühle stark in Mitleidenschaft gezogen wurden. Ich bedauerte weder die Fische noch die Regenwürmer. Das machte die Gewohnheit. Wenn ich auf die Vogeljagd ging, so entschuldigte ich mich in den letzten Jahren, wo ich eine Flinte besaß, mit dem Studium der Ornithologie. Nur auf mir unbekannte, seltene Vögel kam es mir an. Allerdings muß ich gestehen, daß ich darüber jetzt anderer Ansicht bin. Ornithologie läßt sich ja auch auf eine würdigere Weise betreiben. Diese Methode verlangt eine weitaus schärfere Beobachtung der Gewohnheiten der Vögel, daß ich schon aus diesem Grunde gern auf mein Gewehr verzichtete. Und wenn auch die Humanität Einspruch erhebt: Ich zweifle, ob diese körperlichen Übungen je durch etwas gleich Wertvolles ersetzt werden können. Drum habe ich auch einigen meiner Freunde, die besorgt mich fragten, ob sie ihren Jungen das Jagen erlauben sollten, Ja! geantwortet und zugleich mich erinnert, daß die Jagd einen der besten Teile meiner Erziehung bildete. Erzieht die Jungen zu Jägern! Mögen sie's auch anfangs nur dilettantisch betreiben, vielleicht werden sie dereinst gewaltige Jäger, denen kein Wild in diesem oder in irgend einem anderen Urwald groß genug ist: Menschenjäger und Menschenfischer. Ich stimme hierin mit Chaucers Nonne überein, die
"Für den Text gab kein gerupftes
Huhn,
"Daß Weidwert sei unheil'ges Tun!"
In der Geschichte des Individuums wie der Menschheit gibt es eine Periode, in welcher die Jäger "die besten Menschen" sind. So wurden sie von den Algonquinern genannt. Den Knaben, der nie eine Flinte abknallen durfte, kann man nur bedauern. Er wurde dadurch nicht humaner, nein, seine Erziehung wurde arg vernachlässigt. So lautete meine Antwort in betreff dieser jungen Leute, die sich nach einer Beschäftigung sehnten, über die sie, wie ich hoffe, bald hinauswachsen werden. Ein "guter" Mensch wird, wenn er über die gedankenlosen Knabenjahre hinaus ist, mutwillig kein Geschöpf töten, dessen Leben von den gleichen Bedingungen abhängig ist wie sein eigenes. Der Aase schreit in seiner Todesangst wie ein Kind. Ihr könnt mirs glauben, Ihr Mütter: mein Mitgefühl macht nicht immer die landläufigen philanthropischen Unterschiede.
Solchermaßen wird meistens der junge Mann in den Wald und in den am wenigsten bepflanzten Teil seines Ichs eingeführt. Hier ist er nur Jäger und Fischer, bis er endlich, wenn er den Samen zu einem edleren Leben in sich trägt, sein wahres Feld entdeckt und, vielleicht als Dichter oder Naturforscher, Flinte und Angelrute beiseite legt. Die große Masse der Menschen war und ist in dieser Beziehung ewig jung. In manchen Landen ist ein jagender Priester durchaus keine Seltenheit. Man kann ihn dann wohl mit einem guten Schäferhund vergleichen, ein guter Hirte aber ist er sicher nicht. Zu meinem Erstaunen mußte ich erfahren, daß, mit einer einzigen Ausnahme, die einzige Beschäftigung, die meines Wissens je am Waldensee einen halben Tag lang von meinen lieben Mitbürgern, von den Kindern und Vätern der Stadt, ausgeübt wurde, Fischerei war. Vom Eisschneiden, Holzfällen usw. sehe ich dabei natürlich ab. Hatten diese Menschen nicht eine große Anzahl Fische gefangen, so waren sie überzeugt, daß das Glück ihnen nicht hold gewesen sei, daß ihre Zeit sich schlecht bezahlt gemacht habe. Und dabei bot sich ihnen während der ganzen Zeit Gelegenheit, den See zu betrachten! Sie müssen vielleicht tausendmal dorthin gehen, bevor das Sediment des Fischens zu Boden gesunken ist und ihre Absichten sich geklärt haben. Der Gouverneur und sein Rat erinnern sich dunkel an den Teich, denn als sie noch Knaben waren, kamen sie zum Fischen hierher. Jetzt sind sie natürlich zu alt, zu würdevoll, um noch zu fischen und darum kennen sie ihn überhaupt nicht mehr. Und auch sie hoffen dereinst in den Himmel zu kommen! Die Regierung beschäftigt sich nur dann mit dem Teich, wenn es gilt, die Anzahl der Angelhaken festzusetzen, die hier gebraucht werden dürfen. Sie weiß nichts von der Angel aller Angeln, mit welcher der Teich selbst gewonnen werden kann, wobei die Regierung als Köder dient. So geht auch in zivilisierten Landen der Embryomensch in seiner Entwickelung durch das Jägerstadium.
Ich habe in letzter Zeit mehrfach gefühlt, daß ich nicht fischen konnte, ohne in meiner Selbstachtung etwas zu sinken. Ich habe es immer und immer wieder versucht. Ich bin ganz geschickt bei dieser Tätigkeit und besitze wie mancher meiner Bekannten einen gewissen Instinkt dafür, der von Zeit zu Zeit wieder auflebt. Aber hernach denke ich immer: besser wär's gewesen, Du hättest nicht gefischt. Ich glaube nicht, daß ich mich darin irre. Es ist nur ein leises Ahnen, dem ersten Lichtstreifen am Morgenhimmel zu vergleichen. Zweifellos lebt in mir jener Instinkt, welcher den niederen Wesen der Schöpfung eigen ist. Und doch werde ich von Jahr zu Jahr weniger Fischer, ohne mehr Mitgefühl oder Verstand zu besitzen. Jetzt habe ich die Fischerei gänzlich aufgegeben. Müßte ich indessen in einer Einöde leben, so würde ich aller Wahrscheinlichkeit nach wieder ein echter Fischer oder Jäger werden. Außerdem aber haftet dieser Nahrung und jeder Fleischkost etwas wirklich Unreines an, und allmählich lernte ich begreifen, wo die Hausarbeit anfängt, woher der kostspielige Wunsch stammt, jeden Tag ein neues und sauberes Äußeres zu zeigen, und das Haus gesund und frei von jedem üblen Geruch und Anblick zu halten. Da ich mein eigener Schlachter, Küchenjunge und Koch und zugleich auch der Herr war, für den alle Speisen aufgetragen wurden, so kann ich aus ungewöhnlich großer Erfahrung sprechen. Der praktische Einwand gegen animalische Nahrung war in meinem Falle ihre Unreinlichkeit. Außerdem fühlte ich mich meistens durchaus nicht gesättigt, wenn ich meine Fische gefangen, gereinigt und gegessen hatte. Es kam mir vor wie etwas Unbedeutendes, Unnötiges, das so viel Mühe nicht verdiente. Einige Scheiben Brot oder ein paar Kartoffeln hätten bei weniger Arbeit und Schmutz die gleichen Dienste geleistet. Wie manche meiner Zeitgenossen hatten viele Jahre lang kaum irgend welche animalische Nahrung, auch nicht Tee, Kaffee oder dergleichen, genossen. Nicht weil diese Dinge irgend welche unangenehme Wirkung bei mir hervorriefen, sondern weil sie meinem Gefühl, meiner Vorstellung nicht zusagten. Die Abneigung gegen animalische Nahrung resultiert nicht aus der Erfahrung, sondern wurzelt im Instinkt. Theoretisch hielt ich es für richtiger, bei einfacher Nahrung in mancher Hinsicht dürftig zu leben; und wenn ich mich auch praktisch nicht dazu entschließen konnte, wünschte ich doch meine Sinne zufrieden zu stellen. Ich glaube, daß gerade die Menschen, welche ernstlich darauf Wert legen ihre edleren oder poetischen Fähigkeiten im besten Zustande zu erhalten, animalische Nahrung und größere Nahrungsmengen irgend welcher Art überhaupt vermeiden. Es ist eine wichtige, von Entomologen festgestellte Tatsache – ich verweise auf Kirby und Spence –, daß "manche vollentwickelte Insekten, obwohl sie mit Freßwerkzeugen ausgestattet sind, keinen Gebrauch davon machen". Sie behaupten ferner, es sei eine allgemeine Regel, daß fast alle Insekten in diesem Zustand viel weniger fressen als im Larvenzustand. "Die gefräßige Raupe, die sich in einen Schmetterling verwandelte"... "und die gierige Made, welche zur Fliege wurde"..., sind mit einem oder zwei Tropfen Honig oder mit irgend einer anderen süßen Flüssigkeit zufrieden. Das Abdomen unter den Flügeln des Schmetterlings stellt noch immer die Larve vor. Das ist der Leckerbissen, der sein insektenfressendes Schicksal reizt. Wer viel ißt, gleicht einem Menschen im Larvenzustand. Es gibt ganze Nationen, die sich in diesem Zustande befinden, Nationen ohne Ideen, ohne Phantasie. Man kann sie an ihrem aufgetriebenen Abdomen erkennen.
Der Erwerb und die Zubereitung einer Diät, die so einfach und zuträglich ist, daß die Sinne nicht durch sie beleidigt werden, ist schwierig. Die Sinne aber sollen meiner Ansicht nach zugleich mit dem Körper ernährt werden. Beide sollen von demselben Tische speisen. Ist denn das unmöglich? Wenn wir Früchte in mäßiger Weise genießen, so brauchen wir uns unseres Appetites nicht zu schämen, noch zu befürchten, unsere höchsten Ziele aus den Augen zu verlieren. Fügt man aber ein Extragewürz zu einem Gericht, so wird es uns vergiften. Es lohnt sich sicherlich nicht, "feine Küche" zu führen. Den meisten Menschen würde es peinlich sein, wenn man sie bei der eigenhändigen Zubereitung jener Mahlzeit überraschte, die sie sich täglich, sei es aus vegetabilischen, sei es aus animalischen Bestandteilen von anderen herstellen lassen. Solange so etwas möglich ist, sind wir nicht zivilisiert. Mögen wir uns auch Herren und Damen nennen, wir sind trotzdem keine echten Männer und Frauen. Dies deutet sicherlich an, wo Wandel geschaffen werden muß. Warum die Sinne sich nicht mit Fleisch und Fett auszusöhnen vermögen, scheint mir eine nutzlose Frage zu sein. Mir genügt die Tatsache, daß es unmöglich ist. Der Mensch ein fleischfressendes Tier! Ist das kein Vorwurf? Allerdings: er kann leben, er lebt zum großen Teil, indem er andere Tiere verzehrt. Doch ist es ein klägliches Unterfangen, und jeder, der Kaninchen jagt oder Lämmer schlachtet, kann sich davon überzeugen. Wer aber lehrt, sich auf eine unschuldigere und zuträglichere Nahrung zu beschränken, der wird als ein Wohltäter seines Volkes betrachtet werden. Ganz abgesehen von meinem persönlichen Standpunkt zu dieser Frage bezweifle ich nicht, daß in der allmählichen Weiterentwicklung der Menschheit auch der Zeitpunkt kommen wird, wo Tiere nicht mehr verzehrt werden. Die Wilden haben aufgehört, sich untereinander aufzufressen, wenn sie mit zivilisierten Völkern in Berührung kamen.
Wer aber auf die leisen, beharrlichen und sicherlich wahren Ratschläge seines Genius horcht, der weiß nicht, bis zu welchen Extremen, ja bis zu welchem Wahnsinn sie ihn führen mögen. Und doch: wird er mutiger, treuer, dann liegt sein Weg in dieser Richtung. Ein noch so geringer aber berechtigter Einwand, den ein gesunder Mann empfindet, wird schließlich über alle Beweisgründe und Gebräuche des Menschengeschlechtes triumphieren. Noch nie ist ein Mensch durch seinen Genius irregeführt. Und mag das Resultat auch bisweilen körperliche Schwäche sein, so kann doch wohl niemand behaupten, daß man solche Folgen bedauern müsse, denn gerade sie zeitigten ein Leben, das sich auf höheren Prinzipien harmonisch aufbaute. Wenn Tag und Nacht so auf uns wirken, daß wir sie mit Freuden begrüßen, wenn das Leben duftet wie Blumen oder balsamische Kräuter, wenn es elastischer, sternenreicher, unsterblicher wird – ja dann wollen wir lieber von Erfolgen sprechen. Die ganze Natur beglückwünscht uns, und für einen Augenblick mögen wir uns getrost selig preisen. Die größten Reichtümer und Werte werden am wenigsten geschätzt. Der Glaube an ihre Existenz ist gar leicht erschüttert. Wir vergessen sie schnell. Sie sind die höchste Realität. Vielleicht teilt nie ein Mensch dem anderen die staunenswertesten, realsten Dinge mit. Die wahre Ernte meines täglichen Lebens ist etwas so völlig Körperloses und unbeschreibliches wie die Himmelsfärben am Morgen oder Abend. Ein wenig Sternenstaub, ein Stückchen Regenbogen, den ich umklammert hielt – das ist meine Ernte ... Ich persönlich war indessen nie besonders heikel. Ich konnte, wenn es nötig war, eine geschmorte Ratte mit Appetit verzehren. Ich bin aus dem gleichen Grunde froh, so lange Zeit Wasser getrunken zu haben, als ich den natürlichen Himmel dem Paradiese des Opiumrauchers vorziehe. Ich möchte gern immer nüchtern bleiben, aber es gibt so unendlich viele Grade von Trunkenheit. Ich glaube, Wasser ist das einzige Getränk für einen verständigen Menschen. Wein ist keine solch edle Flüssigkeit. Wer aber möchte die Hoffnungen am Morgen mit einer Tasse heißen Kaffees, wer die Hoffnungen am Abend mit einer Kanne voll Tee vernichten? O, wie tief falle ich, wenn sie mich zu locken vermögen! Selbst Musik kann berauschend wirken. Solch scheinbar kleine Ursachen zerstörten Griechenland und Rom, sie werden auch England und Amerika zerstören. Kann man auf schönere Weise berauscht werden als durch die Luft, die man atmet? Ich bin zu der Ansicht gekommen, daß der schwerwiegende Vorwurf gegen grobe, lang andauernde Arbeit in der Tatsache liegt, daß sie mich zwingt, in gröberem Maße zu essen und zu trinken. Doch muß ich der Wahrheit gemäß gestehen, daß ich jetzt in dieser Hinsicht weniger heikel bin. Ich bringe nicht so viel Religion zu Tische mit und spreche kein Tischgebet, nicht weil ich verständiger bin als ich war, sondern weil ich mit den Jahren stumpfer und gleichgültiger geworden bin. Vielleicht beschäftigt man sich mit solchen Fragen nur während der Jugendzeit. Bei der Poesie ist diese Annahme ja ganz landläufig. Meine Theorie ist hier, meine Praxis ist nirgends. Trotzdem bin ich weit entfernt, mich für einen jener Auserwählten zu halten, von denen es in den Veden heißt: "Wer wahren Glauben an das allgegenwärtige höchste Wesen hat, der mag essen, was existiert," das heißt, er braucht sich nicht darum zu bekümmern, woraus seine Nahrung besteht oder wer sie ihm zubereitet. Und selbst in diesem Falle – so sagt ein Hindukommentator – muß noch hinzugefügt werden, daß der Vedenausleger diesen Vorzug auf "Zeiten der Not" beschränkt.
Wer hat nicht bisweilen aus seiner Nahrung jene unaussprechliche Befriedigung gesogen; die mit dem Appetit nichts zu tun hatte? Der Gedanke, daß ich dem groben Geschmacksinn eine geistige Vorstellung verdankte, daß ich durch den Gaumen inspiriert wurde, daß ein paar Beeren, die ich am Hügelhang verzehrte, meinem Genius Nahrung waren, hat mich geradezu erschüttert. "Weil die Seele nicht über sich selbst Herrin ist," sagt Thseng-tsen, "so sieht man, aber man schaut nicht, man lauscht, aber man hört nicht, man ißt, aber man kennt den Geschmack der Speisen nicht." Wer den wahren Geschmack seiner Nahrung zu erkennen vermag, kann nie ein Schlemmer sein. Wer es nicht vermag, der ist es stets. Ein Puritaner kann seine Schwarzbrotrinde mit dem gleichen, rohen Appetit verzehren wie der Herr Stadtverordnete seine Schildkrötensuppe. Was zum Munde eingehet, das verunreinigt den Menschen nicht sondern das sinnliche Verlangen, mit dem es verzehrt wird. Nicht die Qualität oder die Quantität, sondern das Zugeständnis an die Sinnlichkeit ist verächtlich. Speisen sollen zur Erhaltung unseres animalischen und zur Erweckung unseres intellektuellen Lebens, und nicht zur Nahrung für die Würmer dienen, die uns dereinst besitzen werden. Während der Jäger ein Verlangen nach Schildkröten, Bisamratten und anderen wilden Leckerbissen dieser Art hat, wird die Weltstadtdame Kalbsfußsülze oder importierte Sardinen bevorzugen. Zwischen beiden besteht jedoch kein Unterschied: er geht zum Mühlenteich, sie zu ihrer Konservenbüchse. Zu bewundern ist allein, wie sie. Du und ich dieses schleimige, viehische Leben führen mögen – essend und trinkend.
Unser ganzes Leben ist überraschend moralisch. Nicht eine Minute gibt es Waffenstillstand zwischen Tugend und Laster. Güte ist die einzige sichere Kapitalsanlage. Sie bildet in dem Harfenklang, der die Welt umzittert, den ewigen Grundton, der uns erschauern macht. Die Harfe ist der Geschäftsreisende für die Weltallversicherungsgesellschaft, deren Statuten durch sie gepriesen werden, und unser bescheidenes Quantum Güte ist der einzige Beitrag, den wir zahlen. Und mag auch der Jüngling schließlich gleichgültiger werden, die Gesetze des Kosmos werden es nicht, sondern stehen immerdar auf der Seite dessen, der am tiefsten empfinden kann. Man soll aus jedem Zephir den leisesten Tadel hören, den er sicherlich enthält; unglücklich ist derjenige, der ihn nicht vernimmt. Wir können keine Saite berühren, kein Register ziehen, ohne daß eine bezaubernde Moral unser Innerstes durchdringt. Manch lästiger Lärm wirkt, von ferne gehört, wie Musik – eine stolze und liebreiche Satire auf die Gemeinheit unseres Lebens.
Wir wissen, daß ein Tier in uns wohnt, welches um so mehr sich regt, je tiefer unsere höheren Triebe schlummern; es kriecht am Boden, ist sinnlich und kann vielleicht nie ganz ausgetrieben werden, gleich den Würmern, die, selbst während wir gesund dahinleben, in unserm Körper hausen. Vielleicht können wir uns von ihm zurückziehen, seine Natur aber können wir nicht ändern. Ich fürchte, daß seine Gesundheit bis zu einem gewissen Grade nichts zu wünschen übrig läßt, daß wir also wohl gesund aber nicht rein sein können. Vor kurzem hob ich den Unterkiefer eines Schweines auf. Er war mit weißen, gesunden Zähnen und Hauern besetzt und bewies mir, daß es neben einer geistigen auch eine animalische Gesundheit und Kraft gibt. Dieses Geschöpf verdankt seine Erfolge nicht seiner Mäßigkeit und Reinheit. "Das, worin der Mensch sich vom Tiere unterscheidet," sagt Mencius, "ist etwas ganz Unbedeutendes. Die gemeine Herde verliert es bald genug. Höhere Menschen bewahren es sorgsam." Wer weiß, wie unser Dasein verlaufen würde, wenn wir uns zur Reinheit durchgekämpft hätten. Wenn ich wüßte, daß ein Mann lebte, weise genug, um mich Reinheit lehren zu können – ich würde sogleich aufbrechen, um ihn zu suchen. "Die Beherrschung unserer Leidenschaften und der äußeren Sinne unseres Körpers und gute Taten werden in den Veden als unerläßlich bezeichnet, um die Seele Gott näher zu bringen." Doch der Geist vermag eine Zeitlang jedes Glied, jede Funktion des Körpers zu beherrschen und zu überwachen und das, was der Form nach gröbste Sinnlichkeit ist in Reinheit und Andacht zu verwandeln. Die Zeugungskraft, die uns verweichlicht und unrein macht, wenn wir ausschweifend sind, kräftigt und inspiriert uns, wenn wir keusch leben. Keuschheit ist des Menschen Blüte, und was man Genius, Heroismus, Heiligkeit usw. nennt, sind nur die verschiedenen Früchte, die durch sie gezeitigt werden. Der Mensch fließt sofort zu Gott, wenn der Kanal der Reinheit offen ist. Bald inspiriert uns unsere Reinheit, bald drückt uns unsere Unreinheit zu Boden. Selig ist der Mensch, der weiß, daß das Tier in ihm von Tag zu Tage mehr abstirbt und das Göttliche in ihm an Kraft gewinnt. Vielleicht hat sich ein jeder wegen der niedrigen, tierischen Natur, an die er gekettet ist, zu schämen. Ich fürchte, wir sind nur Götter und Halbgötter vom Geschlecht der Faune und Satyrn, bei denen Göttliches sich mit Tierischem paart, Geschöpfe der niederen Sinnenlust; und darum fürchte ich auch, daß unser Leben bis zu einem gewissen Grade unseren Schandfleck ausmacht...
"Wie glücklich ist der Mensch, der seinen
Tieren
"Die rechten Plätze angewiesen hat,
"Und seiner Seele Dickicht lichtete!"
"Der Pferd und Ziege, Wolf und jedes andre
Tier
"Verständig zu benutzen weiß, und dabei nicht
"Des schwerbeladenen Esels Rolle für sie alle spielt
"Wie Menschen sind nicht nur die Herde Schweine,
"Nein auch die Teufel, welche diese Tiere trieben,
"Daß sie kopfüber den Hügel abwärts stürzten –
"Und noch gemeiner waren als zuvor."
Es gibt nur eine Sinnlichkeit, wenn sie auch in vielen Formen auftritt. Auch gibts nur eine Reinheit. Es ist einerlei, ob der Mensch lüstern ißt, trinkt, kohabitiert oder schläft. Wir brauchen ihn nur bei einer dieser Handlungen zu beobachten, um zu wissen, wie sinnlich er ist. Der Unreine kann mit Reinheit weder stehen noch sitzen. Wenn das Reptil an der einen Seite seines Schlupfwinkels angegriffen wird, so zeigt es sich an einer anderen Seite. Wer keusch sein will, muß mäßig sein. Was ist Keuschheit? Wie kann ein Mensch beurteilen, ob er keusch ist? Er wird es nicht wissen. Wir haben von dieser Tugend gehört, aber wir kennen sie nicht. Wir urteilen nach den Gerüchten, die über sie im Umlauf sind. Arbeit schafft Weisheit und Reinheit, Müßiggang dagegen Dummheit und Sinnlichkeit. Bei einem Denker ist Sinnlichkeit gleichbedeutend mit Geistesträgheit. Ein unsauberer Mensch ist stets auch faul; er sitzt hinter dem Ofen, schläft in den Tag hinein und ruht sich aus, ohne müde zu sein. Wer der Unreinheit und allen Sünden entfliehen will, der arbeite unverdrossen, und sei es auch beim Stallreinigen. Die menschliche Natur ist schwer zu überwinden, doch sie muß überwunden werden. Was nützt es, daß Ihr Euch Christen nennt, wenn Ihr nicht reiner als die Heiden seid, wenn Ihr Euch so wenig selbst bezwingt, wenn Ihr nicht mehr Religion besitzt? Ich kenne viele als heidnisch bezeichnete Religionen, deren Gesetze den Leser beschämen und zu neuem Ringen erwecken, mag es sich auch nur durch die Befolgung gewisser Gebräuche dokumentieren.
Nur zögernd spreche ich über diese Dinge. Nicht wegen des Gegenstandes – es ist mir einerlei, wie unzüchtig meine Worte sind – sondern weil ich nicht darüber reden kann, ohne meine eigene Unreinheit zu verraten. Wir besprechen ohne Rückhalt und Schamgefühl eine Form der Sinnlichkeit, während wir über eine andere schweigen. Wir sind so tief gesunken, daß wir nicht herzhaft über die notwendigen Funktionen des menschlichen Körpers reden können. In früheren Zeiten wurde in manchen Ländern jede Funktion ehrerbietig besprochen und durch das Gesetz geregelt. Nichts erschien dem indischen Gesetzgeber zu unbedeutend, wie ekelhaft es auch immer unseren modernen Geschmack berührt. Er lehrt, wie man essen, trinken, kohabitieren, die Exkremente und den Urin entleeren soll usw., indem er das Gemeine adelt und nicht über diese Dinge hinwegsieht, als wären sie Lappalien.
Jeder Mensch baut einen Tempel, der sein Körper genannt wird, für den Gott, zu dem er betet und nach dem Stil, der ganz seiner Individualität entspricht. Und mag der Mensch auch Werke aus Marmor schaffen, diesem Tempelbau darf er sich nicht entziehen. Wir alle sind Bildhauer und Maler, und als Materialien dienen uns das eigene Fleisch und Blut und unsere Knochen. Edle Gesinnung verfeinert sofort des Menschen Züge, während jede Gemeinheit oder Sinnlichkeit sie vertiert.
An einem Septemberabend saß John Farmer nach harter Tagesarbeit vor seiner Tür und seine Gedanken weilten noch immer mehr oder minder bei seiner Arbeit. Er hatte sich nach einem Bad hierher gesetzt, um seinen geistigen Menschen zu erfrischen. Der Abend war recht kühl, und einige Nachbarn hatten Nachtfrost vorausgesagt. Er hatte die Kette seiner Gedanken noch nicht lange verfolgt, da hörte er jemand Flöte spielen, und dieser Klang harmonierte mit seiner Stimmung. Noch immer dachte er an seine Arbeit, doch seine Gedanken waren bedrückt. Er fühlte, daß alle jene Pläne, die er gegen seinen Willen im Geiste entwarf und durchdachte, ihn im Grunde sehr wenig angingen. Sie waren so unbedeutend, wie die Schuppen seiner Haut, welche beständig abgestoßen wird. Doch die Flötentöne, die sein Ohr vernahm, kamen nicht aus der Sphäre, in welcher er arbeitete und erweckten gewisse Fähigkeiten, die in ihm schlummerten, zum Leben. Leise nahmen sie die Straße fort, das Dorf und auch den Staat, in welchem er lebte, und eine Stimme sprach zu ihm: Warum verziehst Du hier und führst dieses niedrige, mühselige Dasein, wo doch ein glorreiches Leben Dir winkt? Die selben Sterne leuchten auch über anderen Feldern als diesen. Wie aber sollte er sich aus diesem Zustand befreien und wirklich dorthin wandern? Doch zu dem Einen war er fest entschlossen, einer neuen strengen Einfachheit sich zu befleißigen, seine Seele tief in den Körper zu versenken, damit sie ihn erlöse, und unermüdlich an sich selbst zu arbeiten, damit die Selbstachtung stetig wachse.
Meine Nachbarn: die Tiere
Bisweilen hatte ich einen Kameraden beim Fischen, der vom anderen Ende des Landbezirkes durch das Dorf nach meiner Wohnung kam. Dann war das Fangen des Mittagmahles ebenso sehr ein Prüfstein für die Geselligkeit wie das Verzehren desselben.
Der Eremit spricht: Wie's wohl jetzt in der Welt zugeht! Seit drei Stunden habe ich keinen Laut vernommen, selbst nicht der Grille Zirpen über dem Amberbaum. Die Tauben schlafen alle auf den Zweigen – kein Flügelschlag ist hörbar. War das eines Farmers Mittagshorn, was jenseits des Waldes gerade jetzt erklang? Heimwärts zieht der Feldarbeiter zu gekochtem, salzigem Ochsensfleisch, zu Apfelwein und Maisbrot. Warum plagen sich die Menschen so sehr? Wer nicht ißt, braucht nicht zu arbeiten... Ich möchte wohl wissen, wieviel sie geerntet haben! Wer möchte dort wohnen, wo man nicht denken kann, weil "Spitz" fortwährend bellt... Ja, dieses Haushalten! Dieses Blankputzen von des Teufels Türgriffen, dieses Säubern der Schüsseln an einem solch leuchtenden Tage! Besser ist's, man hält nicht Haus. Wie wärs mit einem hohlen Baum?... Und dann die Morgenbesuche und die Mittagsgäste... Hei! Da hämmert ein Specht!... Ach, wie einer den anderen drängt und stößt... Die Sonne ist ihnen dort zu heiß. Ich finde, sie werden schon alt geboren... Quellwasser habe ich noch im Hause, und ein Laib Brot liegt im Schrank... Horch, es raschelt in den Blättern... Ist es vielleicht ein schlecht gefütterter Dorfhund, der seinem Jagdinstinkt folgt, oder ist es das verirrte Schwein, das in diesen Wäldern sich herumtreiben soll und dessen Spuren ich nach dem Regen sah? Hastig kommt es näher... Sumach und Feldrosen zittern ... Ah, Herr Dichter, seid Ihr es?... Wie gefällt Ihnen heute die Welt?
Der Dichter spricht: Blick empor zu diesen Wolken, wie sie herniederhängen! Das ist das Herrlichste, was ich heut' gesehen habe. Nichts Ähnliches gibt es auf alten Gemälden, nichts Ähnliches in fremden Landen – es sei denn an der spanischen Küste. Das ist der echte Mittelmeerhimmel! Ich beabsichtigte zu fischen, da ich mir doch meinen Lebensunterhalt erwerben muß und heute noch nichts gegessen habe. Das ist eine des Dichters würdige Beschäftigung, das einzige Gewerbe, welches ich gelernt habe. Komm, laß uns gehen!
Der Einsiedler spricht: Ich kann nicht widerstehen. Mein Schwarzbrot geht auf die Neige. Hernach will ich Dich begleiten, zunächst muß ich einen ernsten Gedankengang beschließen. Ich glaube, ich bin fast fertig damit. So laß mich denn noch eine kurze Weile allein. Damit wir aber nicht noch mehr Zeit einbüßen, magst Du inzwischen den Köder besorgen. Regenwürmer sind hier, wo der Boden nie gedüngt wird, selten. Ihr Geschlecht ist beinahe ausgestorben. Das Vergnügen Würmer zu graben ist fast ebenso groß wie der Fischfang selbst, vorausgesetzt, daß man nicht allzu hungrig ist. Diese Beschäftigung wird heute Dir ganz allein übertragen. Ich empfehle Dir, dort unten, wo die Erdnüsse wachsen und der Beifuß im Winde schwankt, den Spaten einzustechen. Ich glaube Dir versprechen zu können, daß drei Schaufeln voll Erde je einen Wurm zutage fördern werden, wenn Du genau die Graswurzeln betrachtest – gerade wie beim Unkrautroden. Willst Du aber weiter gehen, so halte ich das für ganz gescheut, denn ich fand, daß die Qualität des Köders nahezu im Quadrat der Entfernung wächst.
Der Einsiedler allein: Laß mich sehen ... Wo war ich? Ja, so ungefähr war meine Stimmung, und aus dieser Perspektive betrachtete ich die Welt... Soll ich zum Himmel oder zum Fischen gehen? Wenn ich jetzt schon diesen Gedankengang beende, wird sich mir je wieder eine solch angenehme Gelegenheit bieten? Ich war so nahe daran, in aller Dinge Wesen mich aufzulösen, wie je in meinem Leben. Ich fürchte, meine Gedanken werden nicht wieder zu mir zurückkommen... Ich würde ihnen pfeifen, wenn das etwas helfen könnte. Wenn sie uns ein Anerbieten machen, ist es dann klug, zu sagen: Wir wollen es einmal überlegen?... Heute war die Luft trübe... Ich werde jetzt diese drei Aussprüche des Konfuzius prüfen, vielleicht sind sie mit meiner Stimmung verwandt... Ich weiß nicht, war es Schwermut oder knospensprengende Ekstase? Notabene: Es gibt nie mehr wie eine Gelegenheit zu einer Tat.
Der Dichter spricht: Wie wär's jetzt, Einsiedler? Ist's noch zu zeitig? Hier meine Beute: dreizehn Ganze, außerdem einige nicht ganz vollständige oder Magere. Die Dünnen genügen für kleinere Fische und verdecken den Angelhaken nicht so sehr. Die Dorfwürmer sind allesamt viel zu groß! Ein Weißfisch frißt sich satt daran, ohne den Haken zu finden.
Der Einsiedler spricht: Gut! Wir wollen aufbrechen. Wollen wir zum Concordfluß? Der verspricht gar viel, wenn das Wasser nicht zu hoch ist.
Warum machen gerade die Dinge, die wir sehen, eine Welt aus? Warum hat der Mensch gerade diese Arten von Tieren zu Nachbarn? Kann denn nur eine Maus diese Spalte ausfüllen? Ich glaube Pilpay und Komp. haben die Tiere am besten benutzt, denn alle sind in einer Hinsicht wenigstens Lasttiere und berufen, einen Teil unserer Gedanken zu tragen.
Die Mäuse, die in meinem Haus umherhuschten, waren nicht die gewöhnlichen, welche angeblich ins Land eingeschleppt sind, sondern gehörten zu einer wilden, eingeborenen Art, welche man im Dorf nicht findet. Ein Exemplar, welches ich an einen hervorragenden Naturforscher schickte, interessierte den Herrn sehr. Gerade dort, wo ich mein Haus baute, hatte eine Maus ihr Nest, und bis ich den zweiten Boden gelegt und die Späne entfernt hatte, kam sie regelmäßig zur Frühstückszeit ans Tageslicht, um die Brosamen zu meinen Füßen aufzufressen. Wahrscheinlich hatte sie nie zuvor einen Menschen gesehen. Bald wurde sie ganz zutraulich, lief über meine Schuhe und an den Kleidern in die Höhe. Ohne Mühe huschte sie ruckweise an den Wänden des Zimmers empor, wie ein Eichhörnchen, dem sie in ihren Bewegungen glich. Schließlich kletterte sie eines Tages, als ich, den Ellbogen auf die Bank gestützt, dasaß, an meinen Kleidern hoch, lief am Ärmel entlang und rund um das Papier herum, welches mein Mittagessen barg. Und während ich das Papier festhielt, neckte ich sie und spielte mit ihr Verstecken. Einmal hielt ich ein Stückchen Käse unbeweglich zwischen Daumen und Zeigefinger: da huschte sie herbei und knabberte daran, in meiner Hand sitzend. Nachher wischte sie sich wie eine Fliege Schnäutzchen und Pfoten und eilte fort.
Eine Phöbe baute ihr Nest in meinen Holzschuppen und ein Rotkehlchen suchte in meiner Fichte Schutz, die nahe am Hause wuchs. Im Juni führte das Rebhuhn ( Tetrao umbellus), ein äußerst scheuer Vogel, seine Zungen erst hinter und dann vor mein Haus, gluckte und lockte sie wie eine Henne und bewies durch ihr ganzes Benehmen, daß sie das Huhn des Waldes sei. Wenn man sich ihnen nähert, zerstreuen sich die Jungen auf ein von der Mutter gegebenes Zeichen schnell, als ob ein Wirbelwind sie plötzlich hinweggefegt habe. Sie gleichen übrigens dürren Blättern und Zweigen so genau, daß mancher Wandersmann, ohne es zu ahnen, seinen Fuß mitten zwischen die Jungen setzte, während er gleichzeitig das Schwirren der davonfliegenden Mutter und ihre ängstlichen Rufe hörte, oder sah, wie sie ihre Flügel nachschleppen ließ, um die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Die Mutter rollt und dreht sich manchmal mit gesträubten Federn derart, daß man anfangs nicht weiß, was für ein Tier man vor sich hat. Die Jungen drücken sich unbeweglich und flach auf den Boden, verstecken oft ihren Kopf unter einem Blatt und richten sich nur nach den Verhaltungsmaßregeln, die ihnen von der Mutter aus der Ferne zugerufen werden. Nähert man sich ihnen, so lassen sie sich nie zur Flucht veranlassen, um sich nicht zu verraten. Selbst wenn man auf sie tritt oder die Stelle, wo sie liegen, minutenlang betrachtet: man wird sie nicht entdecken. Und selbst wenn ich bisweilen ein Junges in meine flache Hand legte, war es noch immer bestrebt (der Mutter und dem eigenen Instinkt gehorsam) sich ohne Furcht und Zittern auszustrecken. Und dieser Instinkt ist so ausgeprägt, daß einmal, als ich die Jungen wieder auf die Blätter legte und dabei zufällig eins auf die Seite fiel, dieses Tierchen mitten zwischen den andern nach Verlauf von zehn Minuten noch in der gleichen Lage vorgefunden wurde. Sie sind nicht ungefiedert, wie die meisten jungen Vögel, sondern vollkommen entwickelt und frühreifer als die jungen Hühnchen. Der auffallend kluge und doch unschuldige Ausdruck ihrer offenen, klaren Augen ist fesselnd. Alle Intelligenz scheint sich in ihnen zu spiegeln. Sie erinnern nicht nur an die Reinheit der Kinderjahre, sondern auch an eine durch Erfahrung geläuterte Weisheit. Solch ein Auge wurde nicht gleichzeitig mit dem Vogel geboren, sondern ist so alt wie der Himmel, der sich in ihm spiegelt. Der Wald gebiert kein zweites Kleinod von solcher Reine. Nicht häufig blickt der Wandersmann in solch lauteren Quell. Jäger schießen oft aus Unverstand oder Spielerei die Alten um diese Zeit. Dann fallen die Jungen den Raubtieren aller Art anheim, oder sterben allmählich zwischen den welken Blättern, denen sie ja stets gleichen. Wenn sie von einem Haushuhn ausgebrütet sind, und sich beim ersten Alarm zerstreuen, so sind sie verloren, denn sie hören nicht der Mutter Ruf, der sie wieder sammeln möchte. Das waren meine Hennen und Hühnchen.
Es ist erstaunlich, wie viele Geschöpfe wild und frei, wenn auch verborgen in Wäldern leben und, nur von Jägern gekannt, in der Nähe der Städte sich zu behaupten wissen. Wie verborgen lebt die Otter hier! Sie wird vier Fuß lang, so groß wie ein kleiner Knabe, und doch wird sie vielleicht nie von Menschenaugen erblickt. Früher sah ich Waschbären in den Wäldern hinter jener Stelle, wo mein Haus errichtet wurde, und nachts höre ich auch noch ihr Winseln. Meistens ruhte ich mich um die Mittagszeit im Schatten ein bis zwei Stunden von der Feldarbeit aus, aß mein Frühstück und las ein wenig an der Quelle, welche das Moor durchtränkt und einem Büchlein Nahrung gibt. Sie sickert unter Brister's Hügel, eine halbe Meile von meinem Feld entfernt, hervor. Um dorthin zu gelangen, mußte ich erst eine Reihe grasbewachsener, welliger Niederungen durchwandern, in denen junge Pechtannen wuchsen. Dann erst kam ich bei dem Moor in einen größeren Wald. Hier gab es unter dem Dach einer Weißtanne ein abgelegenes, schattiges Plätzchen, eine saubere feste Grasbank, auf welcher man niedersitzen konnte. Ich hatte die Quelle ausgegraben und einen Brunnen mit klarem, grauen Wasser geschaffen, aus dem ich eimerweise schöpfen konnte, ohne ihn zu trüben. Im Hochsommer, wenn der Teich am wärmsten war, ging ich fast täglich zum Wasserholen hierher. Dorthin führte auch die Waldschnepfe ihre Jungen, um im Schlamm nach Würmern zu suchen. Sie flatterte nur einen Fuß hoch über den Jungen am Bachesrand, während die kleine Schar unter ihr dahinlief. Sobald sie mich jedoch entdeckte, verließ sie ihre Jungen und schwebte um mich herum, immer engere Kreise ziehend. Sie kam näher und näher – bis auf vier Fuß – an mich heran, stellte sich, um meine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, als ob sie Flügel und Füße gebrochen habe, während die Brut, den mütterlichen Anweisungen folgend, die bereits begonnene Flucht nach dem Sumpf im Gänsemarsch und unter schrillem, wenn auch schwachem Piepsen fortsetzte. Bisweilen vernahm ich auch das Piepen der Jungen, während ich nach der Mutter vergeblich ausschaute. Auch Turteltauben saßen hier über der Quelle oder flatterten auf der zarten Weißtanne von einem Ast zum andern. Besonders neugierig und zutraulich war ein rotes Eichhörnchen, welches am nächsten Zweig herunterlief. Man brauchte nur lange genug an einem schönen Platz im Walde ruhig sitzen zu bleiben, um mit allen Bewohnern der Reihe nach Bekanntschaft zu schließen.
Doch auch weniger friedliche Ereignisse konnte ich beobachten. Als ich eines Tages zu meinem Holzhaufen oder vielmehr zu meinem Baumstumpfhaufen kam, sah ich zwei große Ameisen, die in erbittertem Kampfe sich befanden. Die eine war rot, die andere, weit größere, war schwarz und fast einen halben Zoll lang. Nachdem sie einmal sich gegenseitig gepackt hatten, ließen sie nicht mehr locker, sondern kämpften und rangen und rollten auf den Holzspänen ohne Unterlaß hin und her. Als ich weiter Umschau hielt, sah ich zu meinem Erstaunen, daß die Späne mit solchen Kämpfern bedeckt waren, daß kein duellum sondern ein bellum hier stattfand, ein Krieg zwischen zwei Ameisenvölkern! Überall kämpfte eine rote gegen eine schwarze, oder zwei rote fochten mit einer schwarzen. Die Legionen dieser Myrmidonen bedeckten alle Hügel und Täler meines Holzhofes. Schon war der Boden mit roten und schwarzen Toten und Sterbenden besät. Es war das einzige Schlachtfeld, das ich je sah, das einzige Schlachtfeld, das ich betrat, als wilder Kampf wütete. Ein Kampf auf Leben und Tod! Die roten Republikaner auf der einen Seite, die schwarzen Kaiserlichen auf der anderen. Überall wurde erbittert gekämpft, ohne daß ich irgend ein Geräusch vernehmen konnte. Nie fochten menschliche Krieger so standhaft. Ich beobachtete ein Paar, das in einem kleinen sonnigen Tal zwischen zwei Holzscheiten rang und jetzt am Mittag fest entschlossen schien, bis zum Sonnenuntergang oder bis zum letzten Atemzug zu kämpfen. Der kleinere rote Krieger hielt wie ein Schraubstock fest die Vorderseite seines Gegners umklammert und bemühte sich, obwohl er mit seinem Gegner häufig auf dem Schlachtfeld kopfüber hinstürzte, unablässig, dem Kaiserlichen den einen Fühler nahe an der Wurzel abzunagen; der andere war diesem Schicksal bereits anheimgefallen. Der stärkere schwarze Soldat schleuderte seinen Gegner von einer Seite zur anderen, und als ich genauer hinsah, bemerkte ich, daß der Republikaner schon verschiedene Gliedmaßen eingebüßt hatte. Sie kämpften mit größerer Hartnäckigkeit als Bulldoggen. Keiner von beiden zeigte die geringste Neigung zur Flucht. Ihr Schlachtruf war zweifellos: Siegen oder Sterben! Inzwischen kam ein zweiter roter Krieger augenscheinlich in höchster Erregung an einem der Hügel, welche dieses Tal begrenzten, herabgeeilt. Entweder hatte er seinen Feind besiegt oder noch nicht am Kampfe teilgenommen. Da er noch ganz unversehrt war, gehörte er vielleicht zur Reserve. Jetzt hatte ihm die Mutter befohlen, mit dem Schilde oder auf dem Schilde zurückzukehren. Vielleicht war er ein zweiter Achill, der abseits seinen Grimm nährte und jetzt herbeistürmte, um seinen Patroklus zu rächen oder zu retten. Er sah den ungleichen Kampf von fern – denn die Schwarzen waren nahezu zweimal so groß wie die Roten – kam schnellen Laufes herbei und stand jetzt nur einen halben Zoll von den Kämpfenden entfernt auf der Lauer, um im günstigen Augenblick auf den schwarzen Krieger sich zu stürzen und den Angriff nahe an der Wurzel des rechten Vorderfußes zu beginnen. Mochte der Gegner unter seinen eigenen Gliedmaßen die Wahl treffen! So waren die drei dort fürs Leben vereint, als ob ein neues Bindemittel hier verwendet würde, das jedes Schloß und jeden Mörtel übertraf. Wenn ich jetzt noch entdeckt hätte, daß auf den Gipfeln der Holzscheite die Musikkapellen beider Armeen aufgestellt seien, Nationalhymnen spielend, um die matten Krieger anzufeuern, die Sterbenden zu trösten: ich hätte mich nicht gewundert. Ich selbst war so erregt, als ob hier Menschen kämpften. Und je mehr man darüber nachdenkt, desto geringer wird der Unterschied. Sicherlich ist in Concords, vielleicht sogar in Amerikas Annalen kein Kampf verzeichnet, der auch nur für einen Augenblick, sowohl in bezug auf die Streitkräfte als auch in bezug auf den entwickelten Patriotismus und Heldenmut, mit diesem verglichen werden kann. Die Masse der Truppen und das Blutbad erinnerten an Austerlitz oder Dresden! Die Schlacht bei Concord! Da gabs zwei Tote auf Seiten der Patrioten und Luther Blanchard ward verwundet! Hier aber war jede Ameise ein Buttrick... "Feuer – um Gottes Willen, Feuer!..." und Tausende teilten das Schicksal von Davis und Hosmer. Hier gab es keine Söldner. Sie fochten wie einst unsere Vorfahren zweifellos für ein Prinzip und nicht für die Aufhebung der "Dreipennysteuer" auf ihren Tee. Und die Resultate dieser Schlacht werden für die, welche hier fochten, wenigstens so wichtig und denkwürdig sein, wie die der Schlacht bei Bunker Hill.
Ich hob den Holzspan auf, an welchem die drei soeben beschriebenen Krieger kämpften, und trug ihn nach Hause. Dort stülpte ich auf der Fensterschwelle ein Wasserglas über ihn, um den Ausgang zu beobachten. Ich betrachtete die zuerst erwähnte rote Ameise mit der Lupe: ihre Brust war zerstückelt, und ihre Eingeweide waren den Bissen des schwarzen Gegners preisgegeben, dessen Brustpanzer augenscheinlich zu stark war, um durchstoßen zu werden. Trotzdem nagte sie auch jetzt noch, nachdem beide Fühler abgetrennt waren, unablässig an dem ihr zunächst befindlichen Vorderfuße des Gegners. Und in den dunkelen Karfunkelaugen der Schmerzgeplagten leuchtete eine Wildheit auf. die nur der Krieg zu entfachen vermag. Noch eine halbe Stunde lang währte der Kampf unter dem Wasserglas. Als ich hernach wieder hinsah, hatte der schwarze Krieger die Häupter seiner Feinde von ihren Leibern abgesägt. Die noch lebenden Köpfe hingen, wie grausige Trophäen am Sattelbogen, an ihm zu beiden Seiten herunter. Mit schwachen Kräften versuchte er, der keine Fühler mehr besaß, nur noch ein einziges arg verstümmeltes Bein und wer weiß wie viele andere Wunden hatte, die Köpfe abzuschütteln. Das gelang ihm auch nach einer weiteren halben Stunde. Ich hob das Glas in die Höhe und nun kroch er als Krüppel über die Fensterschwelle fort. Ob er schließlich den Kampf überlebte und seinen Lebensabend in irgend einem "Hôtel des Invalides" zubrachte, weiß ich nicht. Ich war indessen überzeugt, daß seine Tätigkeit hernach nur wenig Wert haben würde. Welche Nation siegte und welche Ursache dieser Krieg hatte, blieb mir unbekannt. Doch in den nachfolgenden Stunden dieses Tages befand ich mich in solch erregter, quälender Stimmung, als ob ich vor meiner Tür Augenzeuge eines hartnäckigen, wilden, blutigen Kampfes zwischen Menschen gewesen wäre.
Kirby und Spence berichten uns, daß Ameisenschlachten schon seit langer Zeit berühmt sind, und daß man die Daten dieser Schlachten kennt. Sie fügen jedoch hinzu, daß Huber der einzige moderne Schriftsteller sei, der sie augenscheinlich selbst beobachtet habe. Weiterhin heißt es dort: "Äneas Sylvius gibt zunächst einen sehr umständlichen Bericht über einen erbitterten Kampf, der zwischen einer größeren und einer kleineren Ameisenart auf dem Stamm eines Birnbaumes ausgefochten wurde," und fährt dann fort: "diese Schlacht fand unter dem Pontifikate Eugens des Vierten statt. Nicholas Pistoriensis, ein ganz hervorragender Advokat, war Augenzeuge und hat alle Vorgänge der Schlacht mit größter Genauigkeit geschildert." Über ein ähnliches Gefecht zwischen großen und kleinen Ameisen wird von Olaf Magnus berichtet: hier siegten die Kleinen; sie begruben die Leichen ihrer eigenen Krieger, während sie die ihrer riesenhaften Feinde als Beute für die Vögel auf dem Schlachtfeld zurückließen. Dies geschah vor der Vertreibung des Tyrannen Christian II. von Schweden. Die Schlacht, die ich beobachtete, fand statt, als Polk Präsident war, fünf Jahre bevor Websters Antrag in bezug auf "flüchtige Sklaven" zum Gesetz erhoben wurde.
Mancher Spitz im Dorf, der allenfalls noch eine Schlammschildkröte in einem Proviantkeller herumhetzen konnte, lief mit plumpen Bewegungen ohne Wissen seines Herrn zum Zeitvertreib in den Wäldern umher und schnupperte ohne Erfolg an allen Fuchsbauen oder Murmeltierhöhlen. Bisweilen diente ihm ein kleiner, schlanker, verkommener Köter als Führer, der leichtfüßig den Wald durchstreifte und den eingesessenen Bewohnern noch immer einen erklärlichen Schrecken einzujagen vermochte. Jetzt ist der Spitz weit hinter seinem Führer zurückgeblieben und bellt wie ein hündischer Stier vor einem kleinen Eichhörnchen, das sich auf einen Baum geflüchtet hat, um Umschau zu halten. Dann galloppiert er weiter, drückt das Unterholz durch sein Gewicht zu Boden und bildet sich ein, er sei irgend einem verirrten Mitglied der Jerbillafamilie auf der Spur. Einmal sah ich zu meinem Erstaunen eine Katze am steinigen Teichufer entlang schleichen; nur selten entfernen sie sich so weit von ihrem Heim. Das Erstaunen war übrigens gegenseitig. Trotzdem fühlt sich, wie es scheint, auch die verwöhnteste Hauskatze, die ihr ganzes Leben lang auf dem Teppich lag, im Walde ganz heimisch und beweist durch ihr listiges und verstohlenes Benehmen, daß sie hier besser zu Hause ist als die ständigen Bewohner. Beim Beerensuchen stieß ich in den Wäldern einmal auf eine Katze mit ihren Jungen. Alle sahen ganz verwildert aus, machten zugleich mit der Mutter einen Buckel und fauchten mich wütend an. Einige Jahre bevor ich meinen Wohnsitz in den Wäldern aufschlug, gab es in Gibian Bakers Farmhaus, in Lincoln nahe am Teich, eine sogenannte "geflügelte Katze". Als ich sie im Juni 1842 besuchen wollte, war sie gerade zum Jagen in die Wälder gewandert. Das war ihre Gewohnheit. (Da ich nicht weiß, obs ein Kater oder eine Katze war, gebrauche ich das in diesem Falle am meisten angewendete Pronomen.) Ihre Herrin erzählte mir, das Tier sei vor etwas mehr als einem Jahr im April in diese Gegend gekommen und schließlich in ihrem Haus aufgenommen worden. Sie sei dunkel-braungrau gefärbt, habe am Hals einen weißen Flecken, weiße Pfoten und einen langen buschigen Schwanz wie ein Fuchs. Im Winter würde ihr Pelz dick und hänge in zehn bis zwölf Zoll langen und zweiundeinhalb Zoll breiten Zotten an den Seiten herunter. Unter dem Kinn sähe er wie ein Damenmuff aus. Die obere Seite sei lose, die untere unregelmäßig verflochten wie ein Filz. Im Frühjahr fielen diese Anhängsel ab. Ich bekam ein Paar dieser "Flügel" geschenkt – ich besitze sie noch heute. Man sieht nichts membranöses an ihnen. Einige Leute glauben, daß diese Katze mit dem fliegenden Eichhörnchen oder mit irgend einem anderen wilden Tier verwandt ist. Das ist nicht unmöglich, denn Naturforscher berichten, daß zeugungsfähige Bastarde von Marder und Hauskatze erzielt wurden. Das wäre eine Katze für mich gewesen, wenn ich mir eine hätte halten wollen! Denn warum soll eines Dichters Katze nicht ebenso geflügelt sein wie sein Roß?
Im Herbst kam gewöhnlich der Taucher ( Colymbus glacialis), um im Teiche sich zu mausern und zu baden. Dann hallten die Wälder, noch bevor ich aufgestanden war, sein wildes Gelächter wider. Sobald das Gerücht von seiner Ankunft sich verbreitet, sind alle Sportsmänner von der Hauptstraße des Dorfes unterwegs: in Gigs oder zu Fuß, zu zweien oder zu dreien, mit Patentgewehren, konischen Kugeln und Fernrohren. Wie Herbstblätter rascheln sie durch den Wald, zehn Mann mindestens gegen einen Taucher. Die einen nehmen auf dieser Seite des Teiches, die andern auf jener Seite Stellung, denn der arme Vogel kann nicht allgegenwärtig sein. Taucht er hier unter, so taucht er dort auf. Doch da erhebt sich der freundliche Oktoberwind, rauscht in den Blättern und kräuselt die Oberfläche des Wassers, so daß kein Taucher gehört oder gesehen werden kann, obwohl seine Feinde mit Ferngläsern gierig den Teich absuchen, obwohl ihre Schüsse durch die Wälder hallen. Die hilfsbereiten Wellen steigen und stürzen ärgerlich – sie nehmen für alle Wasservögel Partei – so daß unsere Sportsmänner schon bald eiligst in die Stadt, zum Geschäft, zur unvollendeten Arbeit zurückkehren. Doch allzuoft hatten sie Erfolg. Wenn ich früh morgens einen Eimer Wasser holte, sah ich oft nur wenige Meter von mir entfernt diesen stolzen Vogel aus meiner Bucht hinaussegeln. Wenn ich mich bemühte, ihn mit dem Boot einzuholen, um zu sehen, wie er manövrierte, so tauchte er unter und wurde manchmal erst spät am Tage von mir aufs neue entdeckt. An der Oberfläche war ich ihm indessen ein gut Teil überlegen. Meistens flog er bei Regenwetter auf und davon.
Als ich an einem friedlich stillen Oktobernachmittag am Nordufer entlang ruderte, hielt ich lange vergebens über den Teich hin nach einem Taucher Ausschau, obwohl der Vogel gerade an solchen Tagen sich gern auf den Teich herabsenkt, wie der Flaum des Milchkrautes. Plötzlich sah ich, wie einer vom Ufer aus nach der Mitte des Teiches hin, kaum fünf bis sechs Meter von mir entfernt, dahinsegelte. Sein wildes Lachen wurde sein Verräter. Ich setzte das Boot in Bewegung, um ihn zu verfolgen: er tauchte unter. Als er jedoch wieder zum Wasserspiegel emporkam, war ich ihm näher wie zuvor. Er tauchte aufs neue unter. Ich verrechnete mich jedoch in der Richtung, welche er vermutlich einschlagen würde, so daß wir, als er wieder emporkam, etwa zweihundert Meter voneinander entfernt waren. Ich selbst hatte zur Vergrößerung des Zwischenraumes beigetragen. Wieder lachte er laut und lang, und mit mehr Recht als zuvor. Er manövrierte so geschickt, daß ich ihm nicht auf etwa fünfundzwanzig Meter nahe kommen konnte. Wenn er auftauchte, drehte er jedesmal den Kopf nach allen Seiten, überblickte kaltblütig Wasser und Land und nahm dann jenen Kurs, welcher ihm die weiteste Wasserfläche und die größte Entfernung vom Boot zu versprechen schien. Es war erstaunlich, wie schnell er seine Entschlüsse faßte und ausführte. Er brachte mich sofort dorthin, wo der Teich am breitesten war, und war von hier nicht wieder zu vertreiben. Während sein Gehirn einen Plan entwarf, mühte ich das meine, diesen Plan zu erraten. Es war ein gar liebliches Spiel, das auf dem glatten Wasserspiegel Mensch gegen Taucher spielte! Plötzlich verschwindet des Gegners Figur unter dem Brette! Jetzt gilt's, die eigene Figur nahe an den Platz zu bringen, wo die des Gegners wieder auftauchen wird! Bisweilen kam er gegen mein Erwarten an meiner anderen Seite in Sicht. Er war also direkt unter dem Boot hinweggeschwommen. Er war so langatmig und so unermüdlich, daß er selbst dann, wenn er die weiteste Strecke unter Wasser zurückgelegt hatte, sofort wieder untertauchte. Dann konnte man sich noch so sehr anstrengen ohne zu erraten, in welcher Richtung er durch diesen tiefen Teich unter der glatten Oberfläche wie ein Fisch dahinschoß. Denn er hatte Zeit und die Fähigkeit, den Boden des Teiches an den tiefsten Stellen zu besuchen. In den Seen des Staates New York sollen achtzig Fuß unter der Oberfläche an Angelhaken, die für Forellen ausgeworfen wurden, Taucher gefangen worden sein. Der Walden aber ist tiefer als achtzig Fuß! Man stelle sich das Erstaunen der Fische vor, wenn dieser seltsame Besucher aus einer anderen Welt mitten durch ihre Scharen dahineilt! Doch er schien seinen Kurs ebensogut unter als auf dem Wasser zu kennen und schwamm dort nur noch schneller. Ein paarmal sah ich, wenn er sich der Oberfläche näherte, ein leichtes Gekräusel. Dann tauchte nur der Kopf zum "Rekognoszieren" empor, um im nächsten Augenblick wieder zu verschwinden. Auf mein Ruder gestützt in Ruhe sein Wiedererscheinen abzuwarten, erschien mir schließlich ebensogut wie die mühsame Berechnung des Ortes, an welchem er auftauchen würde. Mochte ich auch angestrengt mit meinen Augen die Wasserfläche absuchen: immer und immer wieder erschreckte er mich plötzlich hinter meinem Rücken durch sein unirdisches Lachen. Doch warum verrät der sonst so Schlaue sich im Moment des Emportauchens beständig durch dieses laute Lachen? Verrät ihn seine weiße Brust nicht schon genug? "Du bist doch ein einfältiger Taucher," dachte ich bei mir. Meistens konnte ich auch das Geplätscher des Wassers hören, wenn er heraufkam: auch dadurch konnte ich ihn entdecken. Nach einer Stunde schien er noch gerade so frisch wie zuvor zu sein, tauchte noch gerade so gern unter und schwamm noch weiter als zuvor. Man mußte bewundern, mit welch heiterer Gelassenheit er dahinsegelte, sobald er zur Oberfläche gelangt war: seine Brust blieb unbeweglich, während die Schwimmfüße in der Tiefe die Arbeit verrichteten. Meistens ließ er dieses dämonische Lachen erklingen, welches immerhin noch an den Schrei eines Wasservogels erinnern konnte. Bisweilen aber, wenn er mich recht erfolgreich genarrt hatte und in großer Entfernung wieder zum Vorschein kam, stieß er ein langgezogenes, unirdisches Geheul aus, das eher von einem Wolf als von einem Vogel herzurühren schien. Es klang, als ob ein wildes Tier die Schnauze gegen den Erdboden preßte und bedächtig heulte. Das war sein Sang! Es war vielleicht der wildeste Klang, der je hier vernommen wurde und den die Wälder nah und fern widerhallten. Ich war schließlich überzeugt, daß der Vogel voll Vertrauen auf seine eigenen Fähigkeiten über meine Anstrengungen spottend lachte. Obwohl der Himmel allmählich sich bedeckt hatte, war der Teich so spiegelglatt, daß ich genau die Stelle sehen konnte, wo der Taucher emporkam, wenn ich auch das Geplätscher nicht hörte. Seine weiße Brust, die Windstille, die Glätte des Wassers: alles war gegen ihn. Jetzt war er ungefähr zweihundert Meter von mir entfernt, und wieder erschallte jenes langgezogene Geheul. Es klang, als ob er zum Gott der Taucher um Hülfe flehte, und sogleich erhob sich ein Wind aus Osten, kräuselte die Oberfläche und brachte Nebel mit feinem Regen. Ich aber hatte das Gefühl, als ob sein Gebet erhört worden sei, als ob sein Gott mir zürne. Darum ruderte ich heim, er aber verschwand in weiter Ferne auf wogendem Teich.
An Herbsttagen beobachtete ich stundenlang die Enten, die geschickt lavierten, vor dem Winde umwendeten und sich fern von den Sportsmännern mitten auf dem Teich aufhielten. Solche Künste brauchten sie in den Louisianabuchten weniger zu üben. Wurden sie zum Auffliegen gezwungen, dann kreisten sie bisweilen rund um den Teich und über ihm in beträchtlicher Höhe. Von dort konnten sie – schwarzen Stäubchen am Himmel gleichend – leicht die anderen Teiche und den Fluß überblicken. Und wenn ich glaubte, sie seien längst dorthin geflogen, dann senkten sie sich bisweilen, im schrägen Flug seitlich aus einer Entfernung von einer Viertelmeile kommend, auf einen entfernteren, ungestörten Teil hernieder. Was sie aber bei ihren Fahrten auf der Mitte des Waldenteiches abgesehen von der Sicherheit fanden, weiß ich nicht. Sie lieben jedoch vielleicht sein Wasser aus demselben Grunde wie ich.
Heizung
Im Oktober wanderte ich zur Weinlese nach den Wiesen am Fluß und belud mich mit Trauben, deren Schönheit und Duft köstlicher waren als ihr Geschmack. Dort bewunderte ich auch, ohne sie zu pflücken, die Preißelbeeren, den roten Perlenschmuck des Wiesengrases, die kleinen Wachsjuwelen, die der Farmer mit häßlichem Rechen abreißt, wobei er die lieblichen Wiesen zerzaust. Er mißt diesen, den grünen Matten entrissenen Raub gleichgültig nach Scheffeln und barer Münze, und schickt die Beeren nach Boston oder New York zum Verkauf. Dort werden sie gepreßt und gequetscht, um den Geschmack der dortigen Naturliebhaber zu befriedigen. So reißen Schlächter den Büffeln nur die Zunge heraus und lassen im übrigen diese wilden Pflanzen der Prärien elend zugrunde gehen. Der Berberitze gleißende Frucht diente ebenfalls nur meinen Augen als Nahrung. Doch sammelte ich einen kleinen Vorrat wilder Äpfel zum Dämpfen, die der Besitzer oder der Wandersmann übersehen hatte. Als die Kastanien reif waren, legte ich einen halben Scheffel davon für den Winter zurück. Es machte mir großes Vergnügen, die damals endlosen Kastanienwälder Lincolns zu durchstreifen – jetzt schlafen sie ihren langen Schlaf unter der Eisenbahn – den Sack auf der Schulter und den Stock in meiner Hand, mit dem ich die rauhen Hülsen entfernte, denn ich wartete nicht den Frost ab. Es rauschte im Laub und laute Vorwürfe ertönten vom roten Eichhörnchen und von der Dohle, deren halbverzehrte Nüsse ich bisweilen stahl, weil die von ihnen ausgesuchten Hülsen mit Sicherheit gute Früchte enthielten. Gelegentlich kletterte ich auch auf einen Baum und schüttelte die Zweige. Kastanien wuchsen auch hinter meinem Hause, und ein hoher Baum dieser Art, der es fast überschattete, glich zur Blütezeit einem großen Strauß, der die ganze Nachbarschaft mit Duft erfüllte. Scharenweise kamen früh morgens die Dohlen herbei und schälten die Früchte aus den Hülsen, ehe sie herausfielen. Willig überließ ich ihnen diese Bäume und besuchte die entfernter gelegenen Wälder, die nur aus Kastanienbäumen bestanden. Diese Früchte gaben mir, solange ihr Vorrat reichte, einen guten Ersatz für Brot. Doch könnte man vielleicht noch manch anderes Ersatzmittel finden. Als ich eines Tages nach Regenwürmern grub, fand ich die Erdnuß ( Apios tuberosa) an ihrem Faden, die Kartoffel der Ureinwohner, eine Art fabelhafter Frucht. Ja, ich wußte nicht einmal genau, ob man mir erzählt habe, daß ich sie in der Kindheit gegraben und gegessen habe, oder ob das nur ein Traum gewesen sei. Seitdem habe ich oft ihre gekräuselte, rote, sammetartige Blüte gesehen, die von den Stengeln anderer Pflanzen getragen wurde, ohne daß ich wußte, daß sie der Erdnuß angehöre. Inzwischen hat die Kultur sie fast gänzlich ausgerottet. Sie hat einen süßlichen Geschmack (ähnlich wie die Kartoffel, die vom Frost gelitten hat) und mundete mir gekocht besser als geröstet. Durch diese Knollengewächse schien die Natur leise zu versprechen, in Zukunft ihre eigenen Kinder großzuziehen und sie hier einfach zu ernähren. Heute, in der Epoche gemästeter Viehherden und wogender Kornfelder ist diese bescheidene Wurzel, die einst das Totem seines Indianerstammes war, ganz in Vergessenheit geraten, oder nur durch ihre blühenden Ranken bekannt. Sollte aber die Natur hier noch einmal in ungezähmter Freiheit herrschen, dann werden tausend und abertausend Feinde das zarte und üppige englische Korn vernichten. Ohne Menschenhilfe wird dann vielleicht die Krähe das letzte Saatkorn gen Südwesten zu Manito's großem Kornfeld tragen, dorthin, von wo sie einst ein Körnchen gebracht haben soll. Und dann wird die jetzt fast ausgerottete Erdnuß wieder aufleben, trotz Frost und Wildernis, als autochthon sich bewähren und ihre alte Bedeutung und Würde als Ernährerin eines Jägervolkes aufs neue betätigen. Irgend eine indianische Ceres oder Minerva muß sie erfunden und der Menschheit zum Geschenk gemacht haben. Und wenn hier das Reich der Poesie einmal beginnt, dann werden ihre Blüten und ihre Wurzelknollen auf unseren Kunstwerken vielleicht dargestellt werden.
Schon am ersten September hatte ich über den Teich hin zwei oder drei kleine Ahornbäume gesehen, welche etwas unterhalb der Stelle, wo die weißen Espenstämme auseinander wichen, nahe am Wasser gleichsam auf einem Vorgebirge standen und im schönsten Scharlachrot leuchteten. Ach, wie manche Geschichte erzählte ihre Farbe! Von Woche zu Woche kam allmählich der Charakter jedes Baumes mehr zum Vorschein, und sich selbst bewundernd blickten alle in den glatten Spiegel des Sees. Jeden Morgen ersetzte der Direktor dieser Galerie ein altes Bild an der Wand durch ein neues, das noch vollendeter war an Leuchtkraft und Farbenharmonie.
Wespen kamen im Oktober zu Tausenden nach meiner Hütte, als ob hier ihr Winterquartier sei. Sie ließen sich innen an den Fenstern und oben an der Zimmerdecke nieder, und schreckten nicht selten Besucher vom Eintritt ab. Morgens waren sie vor Kälte erstarrt, dann fegte ich einige von ihnen hinaus. Im übrigen gab ich mir nicht viel Mühe sie los zu werden. Im Gegenteil, ich fühlte mich geehrt, daß sie mein Haus als passenden Zufluchtsort betrachteten. Sie belästigten mich niemals ernstlich, obwohl sie bei mir im Bette schliefen. Allmählich verschwanden sie in – wer weiß welchen – Spalten, um dem Winter und der unsäglichen Kälte zu entgehen.
Wie die Wespen pflegte ich, bevor ich definitiv Winterquartier im November bezog, die Nordostseite des Walden zu besuchen. Sonnenstrahlen, die von dem Pechtannenwald und vom steinigen Ufer zurückgeworfen wurden, bildeten hier gleichsam den Kamin des Teiches. Es ist angenehmer und gesünder, sich so lange wie möglich von der Sonne anstatt von einem künstlichen Feuer wärmen zu lassen. So wärmte ich mich denn an der noch glühenden Asche, die der Sommer – wie ein Jäger, der fortzog – zurückgelassen hatte. Als ich mit dem Bau meines Kamins begann, studierte ich das Maurerhandwerk. Da meine Ziegelsteine aus zweiter Hand gekauft waren, mußten sie zunächst mit einer Mauerkelle gereinigt werden, Ich gewann dadurch genauere Kenntnisse über die Qualität der Ziegel und Mauerkellen, als man durchschnittlich besitzt. Der Mörtel an den Steinen war fünfzig Jahre alt und sollte angeblich noch immer härter werden. Das ist jedoch nur eine jener Phrasen, die von den Menschen mit Vorliebe nachgeplappert werden, einerlei ob sie wahr sind oder nicht. Solche Redensarten werden selbst härter und hängen sich im Verlauf der Zeit immer fester an, so daß gar manche Schläge mit der Kelle oder mit der Keule notwendig sein würden, um einen alten, superklugen Hansnarren davon zu säubern. Viele Dörfer Mesopotamiens sind aus vorzüglichen Ziegelsteinen gebaut, die aus den Ruinen Babylons, mithin aus zweiter Hand, stammten, und der Mörtel, der an diesen Steinen haftet, ist älter und wahrscheinlich noch härter. Doch abgesehen davon: ich war erstaunt über die eigenartige Stärke des Stahls, der so viele energische Hiebe austeilen konnte ohne sich abzunutzen. Da meine Ziegelsteine zuvor bei einem Kamin verwendet waren (Nebukadnezars Name war allerdings nicht auf ihnen eingemeißelt), suchte ich aus dem Vorrat möglichst viele Ziegel heraus, um Mühe und Verlust zu vermeiden, füllte die Räume zwischen den Ziegeln mit Steinen vom Teichufer aus, und gebrauchte Teichsand zum Mörtel. Wegen ihrer großen Wichtigkeit für das Haus wurde diese Feuerstelle sehr bedachtsam gebaut. Ja, ich arbeitete recht langsam daran. Obwohl ich bereits früh morgens mit dem Aufbau begann, konnte eine Reihe Ziegelsteine, die nur ein paar Zoll über den Boden sich erhob, mir während der Nacht als Kissen dienen. Soweit ich mich erinnern kann, bekam ich davon keinen steifen Hals. Der war schon älterer Herkunft. Am diese Zeit wohnte nämlich vierzehn Tage lang ein Dichter bei mir und da bot die Raumfrage die einzige und große Schwierigkeit. Er brachte sein Messer mit, obwohl ich selbst zwei besaß. Die pflegten wir zu reinigen, indem wir sie in die Erde stachen. In die Arbeit des Kochens teilte er sich mit mir. Es machte mir Freude, mein Werk allmählich so zweckentsprechend und festgefügt wachsen zu sehen, und ich dachte im stillen: Was lange währt, wird gut und dauerhaft. Der Kamin ist gewissermaßen ein selbstständiges Gebäude, das auf dem Erdboden steht und durch das Haus himmelwärts sich erhebt. Selbst wenn das Haus abgebrannt ist, steht er noch bisweilen da und dokumentiert seine Wichtigkeit und Unabhängigkeit. Der Kaminbau fand am Ausgang des Sommers statt. Jetzt war es November.
Der Nordwind hatte schon begonnen den Teich abzukühlen, doch erst nach vielen Wochen war er damit fertig, denn der Walden ist sehr tief. Als ich anfing abends ein Feuer anzumachen – damals, als das Haus noch nicht beworfen war – zog der Rauch vorzüglich durch den Kamin ab, weil so viele Spalten zwischen den Brettern sich befanden. Dennoch verbrachte ich manch fröhlichen Abend in dem kühlen, luftigen Zimmer innerhalb der ungeglätteten, braunen Bretter und unter einer Decke, deren Balken noch mit Rinde bedeckt waren. Nachdem das Haus Bewurf erhalten hatte, machte es meinen Augen nicht mehr so viel Freude, obwohl ich gestehen muß, daß es wohnlicher geworden war. Sollte nicht jedes Zimmer, in welchem Menschen wohnen, so hoch sein, daß über ihren Häuptern eine leichte Dunkelheit herrscht, wo am Abend flackernde Schatten am Gebälk ihr Spiel treiben können? Solche Gebilde wirken auf die Stimmung und die Phantasie anziehender als Freskomalereien oder die kostbarsten Möbel. Jetzt erst, da ich mein Haus der Wärme und des Schutzes wegen benutzte, fing ich wirklich an, es zu bewohnen. Ich hatte ein paar eiserne Feuerböcke, welche verhinderten, daß brennende Holzscheite auf den Fußboden vor den Kamin glitten. Es tat mir wohl zu sehen, wie der Ruß sich an der Rückwand des Kamins niederschlug. Darum schürte ich das Feuer mit mehr Recht und mehr Befriedigung als gewöhnlich. Meine Wohnung war klein und ich konnte wohl kaum ein Echo darin unterhalten, doch da sie nur aus einem einzigen Zimmer bestand und fern von den Menschen lag, erschien sie größer. Alle Annehmlichkeiten des Hauses waren in einem Raum vereinigt, welcher zugleich Küche, Kammer, Empfangs- und Wohnzimmer war. So wurde mir die Summe all jener Befriedigung zuteil, welche Eltern und Kinder, Herr und Timer durch das Wohnen im Sause genießen. Cato sagt: Der Sausvater ( pater familias) soll in seinem Landhaus haben: " cellam oleariam, vinanam, dolia multa, uti ludeat caritatem expectare, et rei, et virtuti, et dloriae erit," d. h. einen Öl- und Weinkeller und viele Fässer, damit er unbesorgt harten Zeiten entgegensehen kann. Das wird ihm Vorteil, Ehre und Ruhm eintragen." Ich hatte in meinem Keller ein Fäßchen Kartoffeln, ungefähr zwei Liter Erbsen, in denen der Kornwurm war, und im Speiseschrank ein wenig Neis, einen Krug Sirup und je ½ Scheffel Roggen- und Maismehl.
Bisweilen träume ich von einem größeren Haus, in welchem mehr Menschen wohnen. Es steht in einem goldenen Zeitalter, ist aus dauerhaftem Material ohne Pfefferkuchenornamente gebaut, enthält nur ein einziges Zimmer, eine weite kunstlose, festgefügte einfache Halle ohne Decke und ohne Bewurf. Dachsparren und Querbalken tragen gleichsam einen niedrigen Himmel über den Häuptern der Menschen und schützen vor Regen und Schnee. Die Eckpfosten stehen da wie König und Königin und nehmen den ehrfürchtigen Gruß der Besucher entgegen, welche beim Überschreiten der Schwelle bereits dem überwundenen Saturn aus einer älteren Dynastie gehuldigt haben. Ich träume von einem Höhlenhaus, wo man eine an einem Stab befestigte Fackel emporhalten muß, um das Dach zu sehen, wo die einen am Kamin, die anderen in der Fensternische oder auf Sesseln, wo die einen an dem einen Ende und die anderen am anderen Ende der Hallen, oder auch, wenn's ihnen besser gefällt, hoch oben im Gebälk bei den Spinnen sich aufhalten können, von einem Haus, in welchem man sich wirklich befindet, wenn man die Außentür geöffnet und da mit zugleich alles Zeremoniell erledigt hat; wo der ermüdete Wandersmann sich waschen und unterhalten, wo er schlafen und speisen kann, ohne weiterpilgern zu müssen. Ich träume von einem Haus, das man in stürmischer Nacht froh begrüßt, das alles notwendige Hausgerät enthält und nichts zum Haushalten, wo man alle Schätze des Hauses mit einem Blick überschaut, wo jeder Gegenstand, den der Mensch gebraucht, an seinem bestimmten Pflock hängt, von einem Haus, das Küche und Speisekammer, Empfangs- und Schlafzimmer, Magazin und Dachkammer zugleich ist; wo man etwas so Notwendiges wie ein Faß und eine Leiter, oder etwas so Bequemes wie einen Speiseschrank zu sehen bekommt, wo man den Kessel brodeln hört, wo man dem Feuer, das die Nahrung kocht, und dem Ofen, der das Brot backt, Reverenz erweisen kann; wo die notwendigen Möbel und Geräte den Hauptschmuck bilden; wo man die Wäsche nicht auswärts waschen, das Feuer nicht ausgehen und die Sausherrin nicht außer Atem kommen läßt, sondern wo man bisweilen ersucht wird, wenn die Köchin in den Keller hinabsteigen will, von der Falltür wegzutreten, wo man also ohne mit dem Fuß zu stampfen erfährt, ob der Boden unter den Füßen fest oder hohl ist. Ich träume von einem Saus, das so offenkundig sein Inneres zeigt wie eines Vogels Nest, bei dem man nicht durch die Vorderseite hinein und durch die Sintertüre hinausgehen kann, ohne einen Bewohner gesehen zu haben, wo "Gast sein" so viel heißt wie "benutze das ganze Saus nach Belieben", wo man nicht von sieben Achteln desselben ausgeschlossen und in eine besondere Zelle mit der Aufforderung eingesperrt wird, sich " hier zu Hause zu fühlen" – in Einzelhaft. Heutzutage ladet uns der Wirt nicht zu seinem Serbe ein, sondern zu jenem, den er irgendwo, rechts oder links von seinem Korridor, für seine Gäste hat errichten lassen. Für ihn ist Gastfreundschaft die Kunst, den Gast in möglichst großer Entfernung zu fesseln. Das Kochen wird so geheimnisvoll betrieben, als habe man den Plan, uns zu vergiften. Ich weiß, ich habe manches Menschen Grundstück betreten, von wo man mich mit Fug und Recht hätte fortweisen können, aber ich weiß nicht, daß ich in vieler Menschen Häusern war. Ich könnte wohl in meinen alten Kleidern einen König und eine Königin besuchen, die schlicht und einfach in einem Sause leben, wie ich es soeben beschrieb. Sollte man mich aber jemals in einem modernen Palaste antreffen, so ist's nur eines, was ich dort lernen will: wie schnell ich ihm den Rücken kehren kann. Fast scheint es, als ob selbst die Sprache in unseren Salons ihre Nerven einbüßt und gänzlich zu saloppem Geschwätz entartet, als ob unser Leben sich weit von ihren Symbolen entfernt, und als ob ihre Metaphern und Tropen gleichsam aus Versenkungen und mit stummen Dienern herbeigeschafft werden müssen. Mit anderen Worten: Unser Salon liegt zu weit abseits von Küche und Werkstatt. Selbst das Mittagessen ist meistens nur eine Parabel des Mittagessens. Vielleicht wohnt nur der Wilde nahe genug bei der Natur und bei der Wahrheit, um Tropen von ihnen entlehnen zu dürfen. Was weiß der Gelehrte, der hoch oben in Canada oder auf der " Isle of Man" haust, vom "Küchenreglement"?
Es waren übrigens nur einige wenige Gäste vertrauensvoll genug, um zu bleiben und einen Schnellpudding aus Mais mit mir zu verzehren. Meistens zog man es vor, schleunigst den Rückzug anzutreten, sobald man diese Krisis herannahen sah, als ob dieselbe das Fundament des Hauses erschüttern müßte. Es überdauerte indessen eine ganze Anzahl von Schnellpuddingen.
Erst als der Frost einsetzte, begann ich den Bewurf. Zu diesem Zwecke holte ich mir von der entgegengesetzten Seite des Sees weißeren und reineren Sand im Boote herüber, und dieser Transport auf dem Wasser machte mir so viel Freude, daß ich noch viel weiter gefahren wäre, wenn die Notwendigkeit vorgelegen hätte. Mein Haus hatte ich inzwischen an allen Seiten bis zum Erdboden hin mit Schindeln bedeckt. Beim Festnageln der Bretter machte es mir Spaß, jeden Nagel mit einem einzigen Kammerschlag ganz ins Holz zu treiben, und mein Ehrgeiz war, den Mörtel vom Brett sauber und rasch an die Wand zu bringen. Dabei fiel mir die Geschichte von jenem aufgeblasenen Burschen ein, der in eleganter Kleidung im Dorfe herumzubummeln und den Arbeitern Ratschläge zu geben pflegte. Als er eines Tages seinen Worten die Tat folgen lassen wollte, schob er die Manschette in die Höhe, packte das Mörtelbrett und warf, nachdem er die Mauerkelle ohne Anfall mit Mörtel beladen hatte, die feuchte Masse mit vergnügtem Blick und mutigem Schwung nach oben gegen die Bretter. Sofort saß diese zu seinem größten Kummer und Unbehagen auf seinem gekräuselten Hemdeinsatz ... Ich bewunderte aufs neue die Billigkeit und das Zweckmäßige des Bewurfs, der die Kälte so wirksam ausschließt und dabei nicht schlecht aussieht. Auch lernte ich die verschiedenen Zufälligkeiten kennen, denen der Verputzer ausgesetzt ist. Mit Erstaunen sah ich, wie durstig die Ziegel sind. Sie hatten alle Feuchtigkeit aus meinem Mörtel gesogen, bevor ich das Glätten beenden konnte. Und wie viele Eimer voll Wasser sind nötig, um einen Herd zu taufen! Ich hatte mir im vorigen Winter zu Versuchszwecken eine kleine Quantität Kalk dadurch verschafft, daß ich Muscheln von Unio Fluviabilis, welche in unserem Fluß hier vorkommt, verbrannte. Ich wußte also, woher meine Materialien stammten. Guten Kalkstein zum Brennen konnte ich, wenn mir daran lag, wohl auch ein bis zwei Meilen weit von hier aus bekommen.
In den schattigsten und seichtesten Buchten des Teiches hatte sich inzwischen eine zarte Eishaut gebildet, einige Tage oder selbst Wochen bevor die ganze Oberfläche gefror. Das erste Eis ist besonders interessant und rein. Es ist hart, dunkel und durchscheinend und bietet die beste Gelegenheit den Grund dort, wo er seicht ist, zu untersuchen. Denn man kann sich, selbst wenn das Eis nur einen Zoll dick ist, der Länge nach darauf ausstrecken, wie ein Wasserläuferinsekt auf dem Wasserspiegel, und den Boden mit Muße in einer Entfernung von zwei bis drei Zoll, wie ein Bild unter Glas studieren. Dabei ist das Wasser selbstverständlich immer glatt. Viele Furchen gibt's in dem Sande, dort, wo ein Geschöpf denselben Pfad hin und her wandelte. Und statt mit Wracks ist der Boden mit den aus feinsten weißen Quarzkörnchen geformten Hüllen der Köcherfliegenlarven bestreut. Vielleicht haben sie den Boden gefurcht – jedenfalls liegt eine Anzahl dieser Hüllen in den ziemlich breiten und tiefen Furchen. Das interessanteste Objekt ist indessen das Eis selbst. Allerdings muß man die erste Gelegenheit benutzen, um es zu studieren. Betrachtet man es genau am frühen Morgen nach einer Frostnacht, so wird man finden, daß der größere Teil jener Blasen, die auf den ersten Blick im Eise selbst sich zu befinden scheinen, der unteren Fläche des Eises anliegen, und daß fortwährend neue vom Boden aufsteigen, solange das Eis noch relativ fest und dunkel ist, das heißt, solange man das Wasser durchsieht. Der Durchmesser dieser Blasen schwankt zwischen einem achtel und einem ganzen Zoll; sie sind so vollkommen rein und schön, daß man sein Gesicht durch das Eis hindurch in ihnen spiegeln kann, ungefähr dreißig bis vierzig solcher Blasen sind in einem Quadratzoll vorhanden. Im Eise selbst sieht man ferner schmale, längliche, senkrecht stehende und ungefähr einen halben Zoll lange Blasen, die einem spitzen Kegel gleichen, dessen Spitze nach oben zeigt. Häufiger jedoch kann man, wenn das Eis ganz frisch ist, überaus kleine, runde, rosenkranzartig übereinander gereihte Blasen bemerken. Die Bläschen im Eis sind indessen nicht so zahlreich und nicht so leicht aufzufinden wie die unter demselben. Bisweilen warf ich Steine auf das Eis, um seine Stärke zu prüfen. Brechen sie durch, so nehmen sie Luft mit sich, wodurch ausgedehnte und deutlich sichtbare weiße Blasen unter dem Eis gebildet werden. Und als ich eines Tages nach achtundvierzig Stunden wieder an diese Stelle kam, da waren diese großen Blasen noch ganz unverändert, obwohl der Durchmesser des Eises um einen Zoll zugenommen hatte. Das konnte ich deutlich an der Grenzlinie zwischen altem und neuem Eis erkennen. Da aber die letzten beiden Tage sehr warm gewesen waren, so warm wie im Spätsommer, so war das Eis jetzt nicht durchsichtig, besaß auch nicht die dunkelgrüne Farbe des Wassers und des Grundes, sondern hatte ein dunkelweißes oder graues Aussehen. Obwohl es doppelt so dick war als zuvor, hatte seine Tragkraft nicht zugenommen, denn die Luftblasen hatten sich unter der Wärmewirkung bedeutend ausgedehnt, waren ineinander gelaufen und hatten ihre regelmäßigen Formen eingebüßt. Jetzt lag nicht mehr die eine genau über der anderen, sondern wie Silbermünzen, die aus einem Sack geschüttelt wurden, bedeckten die stachen Blasen einander an vielen Stellen. Hier und da glichen sie Flocken, die kleine Ritzen auszufüllen schienen. Die Schönheit des Eises war verschwunden, zu spät war's. den Teichboden zu untersuchen. Da ich erfahren wollte, welche Lage meine großen Blasen in bezug auf das neue Eis eingenommen hatten, brach ich ein Stück davon, das eine mittelgroße Blase enthielt, heraus und drehte seine Unterseite nach oben. Das neue Eis hatte sich unter der Blase und um dieselbe herum gebildet, so daß sie zwischen den beiden Eisschichten eingeschlossen war. Sie befand sich völlig in der unteren, aber nahe an der oberen Eisschicht, war etwas abgeflacht oder leicht linsenförmig, ein viertel Zoll dick, hatte abgerundete Ecken und einen Durchmesser von vier Zoll. Zu meinem Erstaunen bemerkte ich, daß das Eis gerade unter den Blasen mit großer Regelmäßigkeit geschmolzen war, daß sich eine Art Untertasse dort gebildet hatte, die in der Mitte fünf achtel Zoll tief war, und daß nur eine zarte, ungefähr ein achtel Zoll dicke Wand Blase und Wasser noch trennte. An vielen Stellen hatten die kleinen Bläschen indessen diese schmalen Scheidewände nach unten gesprengt. Vielleicht befand sich unter den größten Blasen, deren Durchmesser einen Fuß betrug, überhaupt kein Eis. Ich folgerte daraus, daß die unzähligen Bläschen, welche ich anfangs unter der Oberfläche des Eises gesehen hatte, jetzt ebenfalls eingefroren waren, daß ein jedes in seiner Weise als Brennglas gewirkt und das unter ihr liegende Eis völlig geschmolzen habe. Das sind die kleinen Windbüchsen, die dazu beitragen, daß das Eis kracht und keucht.
Endlich setzte der Winter ernstlich ein. Gerade als ich meinen Bewurf beendet hatte, begann der Wind um das Haus herum zu heulen, als ob ihm dazu bislang die Erlaubnis verweigert worden sei. In jeder Nacht kamen die Wildgänse mit hellem Geschrei und pfeifendem Flügelschlag in der Dunkelheit herbeigepoltert, selbst als ringsum Schnee lag. Einige ließen sich auf dem Walden nieder, andere flogen dicht über den Baumwipfeln, um über Fair Haven nach Mexiko zu wandern. Manchmal hörte ich, wenn ich um zehn oder elf Uhr nachts vom Dorf heimkehrte, hinter meinem Saus die Tritte einer Schar Wildgänse oder auch Enten auf dem dürren Laub, nicht weit von einer kleinen Wasserlache, zu welcher sie gekommen waren, um zu fressen. Auch das leise "Honk" oder "Quack" des Führers konnte ich hören, wenn sie weiterflogen. Anno 1845 fror Walden in der Nacht vom 22. Dezember gänzlich zu, während Flints Teich, andere seichtere Gewässer und der Fluß bereits seit zehn Tagen oder noch länger mit Eis bedeckt waren. 1846 am 16. und 1849 am 31., 1850 ungefähr am 27. Dezember, 1852 am 5. Januar, 1853 am 31. Dezember. Der Schnee bedeckte bereits seit dem 25. November den Erdboden und umgab mich plötzlich mit einer Winterlandschaft. Ich zog mich jetzt tiefer in mein Gehäuse zurück und suchte im Innern meiner Hütte und meiner Brust ein helles Feuer zu unterhalten. Außer dem Hause beschäftigte ich mich nunmehr damit, dürres Holz im Walde zu sammeln, das ich in meinen Händen oder auf den Schultern heimtrug. Bisweilen schleppte ich auch unter jedem Arm einen abgestorbenen Tannenbaum nach meinem Unterschlupf. Ein alter Waldzaun, der seine besten Tage hinter sich hatte, war mein bester Lieferant. Ich opferte ihn dem Vulkan, denn dem Gotte Terminus konnte er nicht mehr dienen. Doch wie sehr gewinnt das Abendessen für den Menschen an Bedeutung, der noch soeben im Schnee sein Feuerholz zum Kochen aufstöberte, ja, man kann sagen, stahl! Wie köstlich munden ihm Brot und Fleisch! Es gibt genug Reisig und Holzreste aller Art in den Wäldern, um viele Feuer zu unterhalten. Aber diese Dinge dienen nicht dazu, die Menschen zu wärmen, sondern hindern nur, wie man vielfach annimmt, das Wachstum des jungen Holzes. Auch gab es Treibholz im Teiche. Während des Sommers hatte ich ein Floß aus Pechtannenstämmen, an denen noch die Rinde saß, entdeckt. Irländer, die beim Eisenbahnbau beschäftigt waren, hatten es gezimmert. Ich zog es teilweise auf den Ufersand. Nachdem es zwei Jahre lang im Wasser und dann sechs Monate lang am Ufer gelegen hatte, war das Holz desselben noch vollkommen gesund, aber so sehr mit Wasser durchtränkt, daß an ein Austrocknen nicht mehr zu denken war. An einem Wintertage machte ich mir beim Schlittschuhlauf ein Vergnügen daraus, das Floß stückweise über den Teich gleiten zu lassen: das eine Ende eines ungefähr fünfzehn Fuß langen Stammes ruhte dabei auf meiner Schulter, das andere vor mir auf dem Eise. Bisweilen band ich mehrere Stämme mit einem Birkenreis zusammen und zog sie an einer längeren Birke oder Erle, welche an einem Ende einen Haken hatte, über die Eisfläche. Obwohl sie mit Wasser durchtränkt und fast so schwer wie Blei waren, brannten sie nicht nur lange, sondern gaben auch starke Hitze. Ja, ich glaube, daß sie wegen ihres Wassergehaltes besser, und da das Pech, gerade wie bei einer Lampe, unter Abschluß sich befand, auch länger brannten.
Gilpin erzählt in seinem Bericht über englische Waldanwohner, daß "die Leute, welche gesetzwidrig fremde Wälder betraten, Häuser und Zäune am Waldesrande errichteten, sich gewaltsamer Eingriffe und einer groben Verletzung des alten Waldrechtes schuldig machten, daß sie als purprestures schwer bestraft wurden, weil sie ad terrorem terarum, ad nocumentum forestrae usw. – zum Verscheuchen des Wildes und zur Zerstörung des Waldes – beitrugen". Mir persönlich lag die Schonung des Waldes und Wildes mehr am Herzen als den Jägern und Holzfällern, ja so sehr, als ob ich "Lord Walden" selbst gewesen sei. Wenn irgend ein Teil des Waldes niederbrannte oder unglücklicherweise durch meine Schuld dem Feuer zum Opfer fiel, so betrübte mich dieses Ereignis länger und tiefer als die Eigentümer. Ja, es stimmte mich auch traurig, wenn die Besitzer selbst den Wald fällten. Ich möchte nur wünschen, daß unsere Farmer beim Abforsten eines Waldes etwas von jener ehrfürchtigen Scheu empfinden würden, welche in den alten Römern sich regte, wenn sie einen heiligen Hain lichteten, dem Tageslicht preisgaben ( lucum conlucare). Ich wünsche mit anderen Worten, daß unsere Farmer glauben möchten, der Wald sei einer Gottheit geweiht. Der Römer vollzog ein Sühnopfer und betete: Welchem Gott oder welcher Göttin auch immer Du geweiht seist, o Hain – laß deine Gnade walten über mir, meiner Familie, meinen Nachkommen ...
Es ist bemerkenswert, wie hoch selbst heutzutage in diesem neuen Lande das Holz im Preise steht, und daß dieser Preis konstanter und allgemeiner verbreitet ist als der des Goldes. Trotz aller Entdeckungen und Erfindungen will kein Mensch einen Holzstoß missen. Holz ist für uns geradeso kostbar wie für unsere sächsischen und normannischen Vorfahren. Sie machten ihre Bogen daraus, wir unsere Gewehrkolben. Michaux berichtete vor mehr als dreißig Jahren, daß der Preis für Feuerholz in Newyork und Philadelphia "sich mit dem für das beste Holz in Paris bezahlten Preis beinahe deckt, ihn bisweilen sogar übersteigt, obwohl die gewaltige Metropole jährlich mehr als dreihunderttausend Klafter verbraucht und in einer Ausdehnung von dreihundert Meilen von bebauten Feldern umgeben ist." In Concord steigt der Preis des Holzes beständig; immer handelt es sich nur darum, wieviel mehr in diesem Jahr als im Vorjahr bezahlt werden muß. Mechaniker und Handwerker, die persönlich durch keinen anderen Anlaß in den Wald gelockt werden, finden sich unfehlbar ein, wenn Holz verauktioniert wird, ja, sie zahlen sogar eine große Summe für die Erlaubnis, nach dem Holzfäller Nachlese halten zu dürfen. Schon seit vielen Jahren versorgen sich die Menschen aus den Wäldern mit Brennholz und mit Materialien für ihre Kunsterzeugnisse. Der Neuengländer und der Neuholländer, der Perser und der Kette, der Farmer und Robin Hood Goody Blake und Harry Gill, der Bauer und der Prinz, der Gelehrte und der Wilde: sie alle gebrauchen überall in der Welt ein paar Holzscheite aus dem Walde, um sich zu wärmen und um ihre Nahrung zu kochen. Auch ich konnte ohne dieselben nicht fertig werden.
Jedermann blickt gewissermaßen mit Zuneigung auf seinen Holzstoß. Ich liebe es, den meinigen vor meinem Fenster zu haben, und je mehr Späne mich an meine angenehme Arbeit erinnern, desto besser. Ich besaß eine alte Axt, auf welche niemand Anspruch erhob. Mit ihr hackte ich von Zeit zu Zeit an Wintertagen an der Sonnenseite des Hauses auf den Stümpfen, die ich aus meinem Bohnenfeld gegraben hatte, herum. Wie mir mein Rosselenker damals beim Pflügen prophezeit hatte, wärmten sie mich zweimal: zuerst als ich sie hackte und dann, als ich sie ins Feuer legte. Mehr Wärme konnte kein Brennmaterial abgeben. Was übrigens die Axt anbetrifft, so hatte man mir geraten, sie beim Dorfschmied ausbessern zu lassen. Ich besserte aber den Schmied nicht auf, machte ihr selbst einen Nußbaumstiel aus dem Walde, so daß sie wieder gebrauchsfähig wurde. Sie war zwar stumpf, aber Griff und Schneide waren wohl ineinander gefügt.
Ein paar dicke Stücke mit Pech durchtränkten Tannenholzes waren ein großer Schatz. Es ist interessant sich zu vergegenwärtigen, wieviel von dieser Feuernahrung noch in den Eingeweiden der Erde verborgen ist. In früheren Jahren hatte ich oft "Inspektionsreisen" über einen kahlen Hügelabhang hin gemacht, auf dem vor Zeiten ein Pechtannenwald stand. Die kräftigsten Wurzeln hatte ich dort herausgeholt. Sie sind nahezu unverwüstlich. Selbst die Stümpfe, die wenigstens dreißig bis vierzig Jahre alt waren, besaßen noch gesundes Mark, obwohl der Splint schon zu Pflanzenerde zerfallen war, wie durch die kreisförmigen Abschuppungen der dicken Rinde bewiesen wurde, die in gleicher Höhe mit dem Erdboden, etwa vier bis fünf Zoll vom Mark des Baumes entfernt, sich befanden. Mit Axt und Schaufel wurde diese Mine durchforscht und das markige Magazin, das so gelb wie Rindsfett aussieht oder einer Goldader tief unten in der Erde gleicht, weiter verfolgt. Gewöhnlich machte ich mein Feuer mit trockenen Blättern aus dem Walde an, die ich in großer Menge in meinem Schuppen angehäuft hatte, bevor der Schnee einsetzte. Der Holzhauer benutzt, wenn er im Walde wohnt, grüne feingespaltene Nußbaumspäne dazu. Hier und da verwandte ich auch diese. Wenn die Dorfbewohner jenseits des Horizontes ihre Feuer anzündeten, dann pflegte auch ich die verschiedenen wilden Bewohner des Waldentales durch einen rauchigen Strom aus meinem Kamin zu benachrichtigen, daß ich erwacht sei. –
"Leichtbeschwingter Rauch, ikarischer
Vogel,
"Wenn Du zu sonnigen Höhen schwebst,
"Schmelzen Deine Flügel!
"Du gleichst einer schweigenden Lerche, bist der Morgenröte
Herold,
"Und über dem Dörfchen ziehst du Deine Kreise
"Als sei's Dein Nest.
"Dem
Traume gleichst Du, der enteilt, dem Schattenbild
"Mittnächtiger Erscheinung, die ihr Gewand rafft und
entschwindet.
"In dunkler Nacht verhüllst Du mir die Sterne und bei Tag
"Verdunkelst Tu der Sonne Glanz.
"Steig' auf; mein Weihrauch, steige auf von diesem Herd
"Und fleh' die Götter an, daß sie dies helle Feuer
"In ihrer Güte mir auch künftig schenken."
Hartes, grünes, frischgefälltes Holz entsprach, obwohl ich es nur wenig benutzte, meinem Zweck besser als irgend etwas anderes. Wenn ich an Winternachmittagen meinen Spaziergang machte, ließ ich nicht selten ein tüchtiges Feuer zurück. Kehrte ich dann nach drei bis vier Stunden heim, dann war es noch am Leben und glühte. Mein Haus war nicht leer, auch wenn ich fortgegangen war. Ich hatte gewissermaßen einen freundlichen Hausgeist zurückgelassen. Ich und das Feuer – wir wohnten hier zusammen, und gewöhnlich rechtfertigte mein Hausgeist das in ihn gesetzte Vertrauen. Einmal aber, als ich gerade beim Holzspalten beschäftigt war, dachte ich doch daran, einen Blick zum Fenster hinein zu tun, um zu sehen, ob das Haus nicht brenne. Das war das einzige Mal, soweit ich mich erinnern kann, wo ich in dieser Hinsicht wirklich besorgt war. Und als ich hineinschaute, bemerkte ich, daß tatsächlich ein Funken aufs Bett geflogen war. Ich eilte sofort ins Haus und löschte das Feuer, das bereits ein Loch so groß wie meine Hand ins Bett hineingebrannt hatte. Mein Haus stand indessen an einem so sonnigen und geschützten Platze, und das Dach war so niedrig, daß ich an Wintertagen fast täglich nur bis zur Mittagstunde heizte.
Die Maulwürfe nisteten in meinem Keller, knabberten jede dritte Kartoffel an, und schufen sich dort ein warmes Bett aus einigen beim Bewurf übriggebliebenen Haaren und aus Packpapier. Denn selbst die wildesten Tiere lieben Behaglichkeit und Wärme gerade so sehr wie die Menschen und überleben den Winter nur, weil sie sich so sorgfältig darauf vorbereiten. Einige meiner Freunde redeten so, als ob ich zum Erfrieren in den Wald gezogen sei. Das Tier macht sich nur ein Bett und wärmt dieses durch seinen eigenen Körper. Der Mensch aber, der das Feuer entdeckt hat, schließt Luft in einen größeren Raum ab und wärmt, anstatt sich selbst zu berauben, dieses Zimmer, macht es zu seinem Bett, in welchem er sich, ohne schwere Kleider zu tragen, bewegen kann. So schafft er sich eine Art Sommer mitten im Winter, ja, er läßt sogar das Licht herein und verlängert mit einer Lampe den Tag. So gehen wir ein paar Schritte über den Instinkt hinaus und gewinnen etwas Zeit für die schönen Künste. Ich war nicht selten den schneidendsten Winterstürmen lange Zeit ausgesetzt, so daß mein Körper zu erstarren begann. Sobald ich aber die freundliche Atmosphäre um mich fühlte, kehrten meine Kräfte schnell zurück, so daß ich mein Leben verlängern konnte. Selbst derjenige, der die schönste Wohnung besitzt, hat in dieser Hinsicht wenig vor den andern voraus. Auch ist es nicht nötig, darüber nachzudenken, auf welche Weise das Menschengeschlecht zugrunde gehen wird. Zu jeder Zeit kann ein noch etwas schärferer Luftzug aus Norden den Faden mit Leichtigkeit abschneiden. Wir rechnen nach irgend einem kalten Wochentag oder nach einem starken Schneefall; ein etwas kälterer Freitag oder ein noch ärgeres Schneetreiben würde der irdischen Existenz des Menschen ein Ende bereiten.
Im nächsten Winter benutzte ich aus Sparsamkeit einen kleinen Kochofen, da ich ja nicht der Besitzer des Waldes war. Doch hielt sich das Feuer darin nicht so gut wie im offenen Kamin. Das Kochen war jetzt zum großen Teil kein poetisches Ereignis mehr, sondern ein chemischer Vorgang. In dieser Epoche der Kochöfen wird es bald vergessen sein, daß wir wie die Indianer unsere Kartoffeln in der Asche zu rösten pflegten. Der Ofen hat nicht nur Raum beansprucht und das Haus durchduftet – er hat auch das Feuer verborgen und darum in mir das Gefühl erweckt, als habe ich einen Freund verloren. Man kann immer ein Gesicht im Feuer sehen. Der Arbeiter, der Abends hineinschaut reinigt seine Gedanken von den Schlacken und dem Schlamm, der während des Tages sich an sie anheftete. Wenn ich aber eine Weile vor meinem Feuer saß und hineinblickte, dann kamen mir mit neuer Kraft die prächtigen Verse eines Dichters in den Sinn:
"Leuchtende Flamme, laß nimmer mir
erblassen
"Dein teures, lebenswarmes Mitgefühl!
"Nur meine Hoffnung schoß so hoch wie Du empor,
"So tief wie Du sank nur mein Glück in dunkle Nacht.
"Warum bist Du von Haus und Herd
verbannt?
"Du, die wir alle froh begrüßen, alle lieben?
"War Dein Leben für unser ödes Alltagsgrau
"Zu seltsam und Phantastisch? Hielt Dein heller Schein
"Geheimnisvoll mit unserer Seele Zwiesprach?
"Scheutest Du Dich, Dein Innerstes zu offenbaren?
"Kein flücht'ger Schatten zittert an dem Herde, wo wir sitzen
...
"Nichts kümmert, nichts erheitert uns ...
"Ein Feuer wärmt uns Händ' und Füße – das genügt!
"An diese dichte, festverschlossene Feuerstätte
"Setzt sich die Gegenwart – und schlummert ein.
"Vor Geistern, die aus früherer Zeiten Dämmerlicht
"Beim Zitterschein des alten Holzes hervor sich stahlen
"Um mit uns zu schwätzen, hat sie keine Furcht."