DAS BUCH

Die Welt ist verwüstet, bereits seit sechs Monaten streifen die

Toten durch die zerstörten Städte, und ihrem Hunger nach

Menschenfleisch sind keine Grenzen gesetzt. Eine kleine

Gruppe Überlebender ist jedoch fest entschlossen, den seelenlosen Kreaturen nicht kampflos das Feld zu überlassen. Von ihrem Stützpunkt aus, einem verlassenen Bunker mitten in

der texanischen Wüste, rüsten sie zum Gegenangriff und versuchen das zu retten, was von der Menschheit noch übrig ist.

Aber wie lange können sie durchhalten, wenn die Apokalypse

Tag für Tag aufs Neue über sie hereinbricht?

DER AUTOR

J.L. Bourne, geboren in Arkansas, arbeitet hauptberuflich als

Offizier der U.S.-Marine und widmet jede freie Minute dem

Schreiben. Seine Romanserie Tagebuch der Apokalypse ist in den

USA. bereits zum Kultbuch avanciert.

Weitere Informationen erhalten Sie unter:

www.jlbourne.de

J. L. Bourne

TAGEBUCH DER

APOKALYPSE 2

Roman

Deutsche Erstausgabe

WILHELM HEYNE VERLAG

MÜNCHEN

Titel der amerikanischen Originalausgabe

DAY BY DAY ARMAGEDDON: BEYOND EXILE

Deutsche Übersetzung von Ronald M. Hahn

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Verlagsgruppe Random House FSC-DEU.()100

Das für dieses Buch verwendete

FSC111-zertifizierte Papier Holmen Book Cream

liefert Holmen Paper, Hallstavik, Schweden.

Deutsche Erstausgabe 07/2011

Redaktion: Sven-Eric Wehmeyer

Copyright© 2010 ]. L. Boume

Copyright© 2011 der deutschen Ausgabe

und der Übersetzung by

Wilhelm Heyne Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Printed in Germany 2011

Umschlaggestaltung: Animagic, Bielefeld

Satz: C. Schaber Datentechnik, Wels

Druck und Bindung: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 978-3453-52819-2

www.heyne-magische-bestseller.de

Tagebuch der Apokalypse gewährte uns tiefe Einblicke in

das Bewusstsein eines überlebenden Militäroffiziers, der

zum neuen Jahr den Vorsatz fasste, ein Tagebuch zu

schreiben. Er hat den Vorsatz gehalten und uns in täglichen Einträgen vom Niedergang der Menschheit erzählt.

Seine Notizen zeigen uns, wie man von ei.nem normalen

Leben in eine Existenz wechselt, in der angesichts heranflutender Horden von Toten, die nicht sterben wollen, nur der Kampf um das persönliche Überleben zählt. Wir

sehen, wie er blutet. Wir sehen ihn Fehler machen. Wir

werden Zeugen seiner Entwicklung.

Nach zahlreichen Widrigkeiten und Mühsalen entgehen er und sein Nachbar john der regierungsamtlich befohlenen atomaren Vernichtung der Stadt San Antonio (Texas). Nach vielen Abenteuern verschanzen sich die

beiden in einer verlassenen Rak.etenabschussbasis. Frühere Bewohner haben ihr den Namen Hotel 23 gegeben.

Nach der Ankunft fängt man einen schwachen Funkspruch auf: Eine Familie, die ebenfalls überlebt und Zuflucht in einer Dachkammer gefunden hat, ist von einer riesigen Horde Untoter umzingelt. Außer William, seiner Frau janet und ihrer kleinen Tochter Laura hat in 5

ihrem Heimatort niemand überlebt. Nach einer wunderbaren Rettungsaktion tun sich diese drei um des Überlebens willen mit John und dem Erzähler zusammen. Doch reicht dies aus in einer toten, gnadenlos postapokalyptischen Welt, in der ein einfacher Kratzer - von den vielen Millionen Untoten ganz zu schweigen- einen Menschen

töten und zum Bestandteil der überwältigenden Untatenpopulation machen kann?

Die Lage hat in manchen Menschen das Schlimmste

hervorgebracht …

Plötzlich werden die Bewohner von Hotel 23 von einer

gnadenlosen Banditenhorde angegriffen, die in dem militärischen Stützpunkt mit seinen riesigen Vorräten neue Möglichkeiten für sich sehen. Sie wollen töten,

um die Basis zu übernehmen. Es gelingt den Verteidigern zwar in letzter Sekunde, die Angreifer abzuwehren, doch nun müssen sie befürchten, dass diese- falls sie

nicht vorher den vielen Millionen hartnäckigen Untoten

zum Opfer fallen - irgendwann in größerer Zahl zurückkehren.

Dieses Buch beginnt dort, wo Tagebuch der Apokalypse

endete: bei unserem Erzähler und den wenigen Überlebenden einer unvorstellbaren weltweiten Umwälzung, die im Hotel 23 Zuflucht gefunden haben. Folgen wir ihnen

durch den zweiten Teil ihrer Reise in die Apokalypse. Stellen Sie sich kurz vor, Sie wären einer dieser Menschen.

Auf ein Neues, aber verrammeln Sie die Türl

j. L. BOURNE

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Nachwi rkunge n

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Am 21. fühlte ich mich langsam besser. Der Angriff der

Banditen hatte mir wirklich zugesetzt. Ich stand auf,

trank (im Zeitraum mehrerer Stunden) einige Liter Wasser und reckte mich ein bisschen. Dann erkundigte ich mich bei John, wie es an der Oberfläche aussah. Da er in

dieser Hinsicht nicht sehr redselig war, fölgte ich ihm in

den Kontrollraum hinauf und überzeugte mich selbst.

In der Nacht zuvor hatte er sich ins Dunkle hinausgeschlichen, von einer Kamera den Sack abgezogen und war zurückgekehrt. Es waren Untote in der Gegend, deswegen war er nicht scharf darauf, allzu lange im Freien zu sein.

Weitere Untote bevölkerten die Ecke, an der die Umzäunung beschädigt war. Die lebenden Leichen waren wie Wasser. Sie strömten immer dorthin, wo der Widerstand am geringsten war.

Meine schmerzhaften Brandverletzungen heilen inzwischen, aber allzu schlimm waren sie ja nun auch nicht.

Ich hatte nur ein paar Blasen im Gesicht und anderswo.

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Unser Sieg bei der letzten Begegnung mit den Plünderern war größtenteils auf Glück zurückzuführen. Angenommen, sie wären nicht mit einem Tankwagen übers Land gefahren? Dann wären wir jetzt vielleicht alle tot,

denn gegen diese Überzahl hätten wir uns nicht wehren

können. Nicht nur die Untoten waren uns zahlenmäßig

überlegen, sondern auch jene, die uns den Tod wünschten. Ich fürchtete diese Leute fast ebenso wie die wandelnden Leichen. Zumindest theoretisch wären sie uns strategisch überlegen gewesen; sie hätten nur die Köpfe

zusammenstecken und sich angemessene Schweinereien

ausdenken müssen, um uns wn diesem Landstrich zu vertreiben. Wir wissen nicht, wie viele von diesen Banden sonst noch existieren, aber ich bin mir sicher, dass wir

im Gegensatz zu ihnen nur eine kleine Minderheit sind.

Kamera Nr. 3 zeigte mir verkohlte Leichen, die um die

Wracks des Tanklasters und des Wohnmobils herum torkelten.

Menschen, die ich getötet hatte.

In dieser Nacht gingen wir raus und machten sie kalt.

Um Mündungsfeuer zu vermeiden, schlich ich mich im

Dunkeln mit dem Nachtsichtgerät wn hinten an sie ran,

schaltete meine Waffe auf Einzelfeuer und verpasste

ihnen eins in den Hinterkopf. Ich war so nahe an ihnen

dran, dass ich jeden einzelnen Schädel fast mit dem

Lauf berührte. Jedes Mal, wenn ich den Abzug betätigte,

sah ich sie auf den Krach reagieren und sich in der Dunkelheit blind auf das Geräusch zu bewegen. Obwohl die meisten Untoten nichts mehr hatten, was Ohren ähnelte,

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konnten sie immer noch hören. Das Verfahren wiederholte ich siebzehnmaL Schließlich hatten sich alle zur Ruhe begeben.

Uns fiel auf, dass drei Fahrzeuge bei der kürzlich erfolgten nächtlichen Treibstoffexplosion nicht besonders stark beschädigt worden waren: ein Land Rover, ein Jeep

und ein relativ neuer Ford Bronco. Die Fahrzeuge standen gut hundert Meter von der abgebrannten Wiese entfernt. John und ich gingen vorsichtig zu ihnen rüber.

Eine nähere Untersuchung ergab, dass die beiden Vorderreifen des Jeeps geplatzt waren. Die Windschutzscheibe sah aus wie ein gewölbtes Spinnennetz.

Der Land Rover und der Ford standen etwa fünfzig

Meter von ihm entfernt. Als ich mich dem Rover näherte,

stellte ich fest, dass er in einem sehr guten Zustand war.

Sein Inneres wurde nicht mehr von seinen früheren Besitzern bewohnt. Wie schön. Wir näherten uns der Tür.

Ich öffnete sie und begutachtete eingehend das Innere

des Fahrzeugs. Es roch nach Tannenzweigen, was vermutlich mit dem Bäumchen zu tun hatte, das am Rückspiegel hing. Wir stiegen ein, zogen die Türen vorsichtigerweise aber nur so weit zu, dass das Schloss gerade eben fasste. Ich drehte den Zündschlüssel. Der Motor

sprang brüllend an. In einer Welt wie dieser hätte ich

den Schlüssel vermutlich ebenfalls stecken lassen. Ich

schaute mir den dünnen Plastikanhänger an und las:

Nelms Land Rover, Texas.

Ich nehme an, die Banditen haben sich das Fahrzeug

unmittelbar nach der ganzen Katastrophe in Nelms Auto-

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handel unter den Nagel gerissen. Der Tank ist dreiviertel voll, der Tacho zeigt 4.500 km an. Der Wagen war noch nicht mal eingefahren. Ich legte den Gang ein und

raste rückwärts auf die Geländeumzäunung zu. Als wir

die von den Banditen mit Säcken verhüllten Kameras

erreichten, stiegen wir aus. Wir wechselten uns beim

Entfernen der Säcke ab, wobei der eine dem anderen Deckung gab.

Die Lücke in der Umzäunung war ungefähr so groß

wie der Land Rover lang. Mir war nicht danach zumute,

heute Abend Zäune zu flicken, also frischte ich meine

Einparkkenntnisse auf, indem ich den Wagen in die Lücke

manövrierte. Mir lag daran, unsere kaltblütigen Freunde

daran zu hindern, hinter die Umzäunung zu gelangen.

john stieg an der Beifahrerseite aus. Ich kletterte über

den Schaltknüppel hinweg und tat es ihm gleich. Ich

drückte das Knöpfchen, warf die Tür ins Schloss und

steckte den Schlüssel ein. Wozu das nützlich sein sollte?

Ich lasse auch heute noch aus Prinzip keinen Wagenschlüssel stecken.

Ich bin vor ein paar Stunden wach geworden - nach einer

erneut schmerzhaften, größtenteils schlaflosen Nacht.

Meine Blasen platzen allmählich, was ganz schön wehtut. Ich habe ein paar Blasen an den Augen, dort, wo die Nomex-Klamotten meine Haut nicht geschützt haben.

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Die Beule am Hinterkopf schrumpft langsam, und seit

kurzem juckt es mich beträchtlich mehr als nach dem

kleinen Unfall mit dem Tanklaster. Das ist ein gutes Zeichen. Ich gesunde.

Das Internet habe ich aufgegeben. Dort tut sich absolut nichts mehr. Die Webseiten, auf denen ich früher zugange war, um zu sehen, wie die Lage anderswo aussieht, sind alle tot. Damit meine ich die Militärbasen in den vier Ecken der Vereinigten Staaten. Internet-Aktivitäten: keine. Man kann mit Sicherheit davon ausgehen, dass es keine Rolle mehr spielt, ob da draußen noch jemand ist, der sich ins Netz einloggt. Das Netz-Rückgrat ist gebrochen, und es sieht so aus, als hätten sich alle

Typen aus der IT-Branche für die nächsten hundert Jahre

zur Mittagspause abgemeldet.

Der Land Rover ist mit einem GPs-Navigationssystem

ausgerüstet. Ich war draußen, um das Ding zu überprüfen, und es hat den Anschein, dass das GPS zur Positionsbestimmung nur drei Satelliten empfängt. Ich weiß nicht, wie lange die Satelliten noch in der Umlaufbahn bleiben,

wenn die Bodenstationen, die sie steuern, nicht mehr

existieren -und ohne die Vögel, die ihnen bisher die

Aufnahmen geliefert haben. Wir nähern uns schnell der

Eisenzeit. Ich wehre ständig ein geistiges Verlangen nach

autodestruktivem Verhalten ab. Ich meine nicht die Gelenkaufschlitzmethode; vermutlich spüre ich lediglich das Verlangen, mehr Risiken einzugehen, weil ich es leid

bin, in diesem Dilemma zu leben … Aber da es den anderen nicht anders ergeht, bleibe ich eben. Ich geh nur ein 11

Weilchen mit john raus. Wir wollen versuchen, die umgefahrene Umzäunung zu f licken.

Wir haben den Zaun mit Schrott und Teilen repariert,

die von den Trümmern des Banditenangriffs übrig geblieben sind. Wir haben uns auch den Ford Bronco gekrallt. Im Kofferraum lagen vier volle Spritkanister. Ich habe .den Rover-Tank mit einem Kanister aufgefüllt; kann

ja sein, dass wir ihn irgendwann brauchen. Ich weiß

nicht, wieso ich nicht schon früher daran gedacht habe,

aber im Verlauf der ganzen Angelegenheit hatte ich

unser Flugzeug völlig vergessen. Es fiel mir erst wieder

ein, als john mit dem Bronco kam. Wir sind dann zum

Wäldchen gegangen, um zu sehen, ob sich jemand an

der Kiste zu schaffen gemacht oder sie bei dem Brand

vielleicht durch Funkenflug was abgekriegt hat. Sie sah

so aus, wie wir sie zuletzt gesehen hatten. Das Laubwerk, mit dem ich. sie getarnt hatte, war derart verschrumpelt und braun, dass sie sich erkennbar vom Rest der Vegetation unterschied. john und ich haben weitere

Zweige gesammelt und die Tarnung etwas aufgefrischt,

dann haben wir die Maschine wieder allein gelassen.

Die Untoten aus unserer Gegend haben sich zerstreut.

Die Banditen haben viele von denen ausgeschaltet, weil

sie sie über unser Grundstück gejagt haben. Die Kame-

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ras zeigen nur ein paar Nachzügler an der vorderen Sicherheitstür. Der Beknackte mit dem Stein wankt noch immer hier rum, wie schon vor mehr als einem Monat.

Er schlägt gegen die Sicherheitstür und marschiert zum

Rhythmus seiner eigenen Trommel. Das leere Raketensilo ist die reinste Sauerei. Wir haben nicht die geringste Lust, uns darum zu kümmern. Ich weiß nicht, was diese

Dinger dazu treibt, nach dem Tod wieder aufzustehen

und herumzulaufen, aber ich möchte auf keinen Fall da

unten rumschlurfen und mich versehentlich an einem

infizierten Kieferknochen verletzen. Hätte ich einen Betonmischer, würde ich das verdammte Loch zuschütten und einfach vergessen.

Wir leben noch, aber unser Szenario spiegelt das jener

Menschen, die vor dem Weltuntergang in Krankenhäusern an Maschinen angeschlossen waren. Sie lebten mit geborgter Zeit und waren zum Untergang verurteilt. Uns

geht es kein bisschen anders. Irgendwann wird der Mit·

telwert auch mich erwischen. Es ist nur eine Frage des

Wann.

Ich hätte nichts dagegen, noch einen Tanklaster in die

Hände zu bekommen (statt ihn in die Luft zu jagen).

Dann hätten wir Treibstoff für Expeditionen, die wir

vielleicht unternehmen müssen. Ich würde ihn in siehe-

1:5

rem Abstand von uns abstellen, denn aus dem Fehler der

Banditen habe ich etwas gelernt. Ein üppiges Spritlager

wäre ein solches Risiko wert. Ich weiß nicht genau, wie

viel so ein Tankwagen laden kann, aber ich bin mir

ziemlich sicher, dass die Spritmenge unsere beiden Fahrzeuge eine ganze Weile über versorgen könnte. Einen Tankwagen aufzutreiben dürfte kein Problem sein. Wir

brauchen nur einen auf der Interstate aufzulesen, die

ein paar Kilometer von hier nach Norden führt.

ti.OS u�p.

Wieder kodiertes Gerede aus dem Funkgerät. Diesmal

wechseln sie jede Minute die Frequenz. Ich bin sicher,

dahinter steckt ein Plan. Braves COMSEC.

Ich kann nicht einschlafen. Tara und ich haben uns heute

mehrere Stunden lang unterhalten. Ich komme mir ziellos vor und empfinde nicht allein so. Viele von uns vermissen das Normale; das Gefühl, eine Stempeluhr zu drücken und eine berufliche Tätigkeit als langweilig

zu empfinden. Vor dem Untergang hatte ich wenigstens

einen Beruf und Ziele. jetzt habe ich nur noch ein einziges Ziel: am Leben zu bleiben. Die Erwachsenen haben 14

sich heute im Fitnessraum versammelt, Rum getrunken

und sich vergnügt. In meiner vom Alkohol erzeugten Euphorie habe ich unsere Lage fast vergessen. Seit wir hier sind, ernähren wir uns von den abgepackten Fertiggerichten des Stützpunktes. Ich würde gern mal was anderes essen, aber Einkaufsfahrten sind tagsüber gefährlich.

Etwa eineinhalb Stunden lang hatten wir Volkstrauertag. Tara und ich waren gestern draußen und haben in einer Art stillem Gedenken an alle, die von uns gegangen sind, texanisehe Wildblumen gepflückt. Es schmerzt mich unsäglich, wenn ich mir vorstelle, dass meine Eltern

als Untote über die Hügel unseres Landes wandern. Ich

bin fast versucht heimzukehren, nur um mich davon zu

überzeugen und sie, wie es sich für einen anständigen

Sohn geziemt, zur Ruhe zu betten.

Lauras Einschulung steht ebenfalls an. Janice hat mich

gebeten, ihr ein wenig Weltgeschichte nahezubringen,

da mir so etwas in meinem früheren Leben als Offizier

Spaß gemacht hat. Lauras Augen wurden groß, als sie

hörte, wie die Vereinigten Staaten entstanden und einst

Menschen auf dem Mond herumspaziert sind und dergleichen. Sie hat nie eine Welt ohne Smartphones, HTIV

oder Internet gekannt und ist noch viel zu jung, um je

Schoolhouse Rock gesehen zu haben. Ich würde fast alles

dafür geben, nochmal an einem Samstagmorgen in den

frühen Achtzigerjahren bei uns im Wohnzimmer zu sitzen und zu singen, »nur ein Bill auf dem Capitol Hill« zu sein. Irgendwie bereitet es mir ein schlechtes Gewissen,

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dass Laura keine Gleichaltrigen kennt und kein kleiner

Bengel bei uns ist, der im Unterricht an ihren Zöpfen

zieht.

Ich brauche wirklich Schlaf. John und ich wollen morgen einen Ausflug mit der Maschine machen. Wir wollen Treibstoff für die Kiste aufspüren und uns ein wenig in der Gegend umsehen. Um keinen Beschuss auf uns zu

ziehen, wollen wir diesmal weniger tief fliegen. Ich habe

noch die Karten von unserem Trip zur Insel Matagorda.

Auf ihnen sind auch die Flugplätze der Gegend verzeichnet. Ich würde gern irgendein synthetisches Tarnnetz auftreiben, um die Maschine besser vor neugierigen Blicken verbergen zu können.

16

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1. Ju…,.

I.J.l.O u�p.

Gestern Morgen sind John, William und ich in aller Frühe

nach Westen aufgebrochen. Bevor die Sonne im Osten über

den Horizont kam, waren wir bereits zum Flugzeug gepirscht. Wir haben es auf den Grasstreifen geschoben, um dort abzuheben. In der Feme sahen wir ein paar untote

Nachzügler herumlatschen. Dann waren wir auch schon

in der Luft. Dass William dabei war, hatten wir in letzter

Minute entschieden. Er wollte unbedingt mitfliegen. Wir

konnten mit dem VHF-Funkgerät der Cessna Verbindung

mit Hotel 23 aufnehmen. Falls die Frauen in Schwierigkeiten gerieten, konnten wir mit ihnen kommunizieren.

Wir hielten Ausschau nach einem großen Flugplatz

außerhalb großstädtischer Ballungsräume. Bevor ich

mich in der Nacht zuvor zum Schlafen gezwungen hatte,

hatte ich den William P. Hobby Airport ausgewählt. Er

befand sich im Süden Houstons, außerhalb des Stadtzentrums.

Der Flug dauerte nicht lange. Wir passierten unterwegs

zahlreiche Örtchen, d�ren Straßen ausnahmslos mit wan-

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deinden Toten gesprenkelt waren. Nach nicht mal einer

Dreiviertelstunde kam der Flugplatz in Sichtweite. Ich

hielt es für sicher, runterzugehen, weil man dann vielleicht auch Menschen sah, die uns vom offenen Rollfeld aus beschießen wollten .. Als wir uns der langen Bahn näherten, erspähte ich ein neues TodessymboL

Auf der Landebahn stand eine Boeing 737. Ihr Rumpf

war heftig zerknittert, was auf eine schwere Bruchlandung hinwies. Sie war das einzige Großflugzeug auf dem Gelände. Ich sah zwar andere, kleinere Kisten - Privatjets und Propellermaschinen ähnlich der Cessna -.

aber die 737 war das letzte große Passagierflugzeug auf

dem Hobby Airport. Wir umkreisten den Platz ein weiteres Mal, um uns vor der Landung zu versichern, dass wir die Lage richtig eingeschätzt hatten. In der Feme,

nicht weit entfernt von einem der Hangars, konnte

ich einen Tankwagen erkennen. Im Vergleich zu den

anderen war der Hangar groß und sehr wahrscheinlich eher für Boeings statt für jene Maschinen gedacht, die nun, für immer nutzlos, auf dem Rollfeld herumstanden.

Die Neugier trieb uns an. Wir beschlossen, in der Nähe

der 737 zu landen, um rauszukriegen, ob sie vielleicht

Dinge enthielt, die wir brauchen konnten. Es war ein

Vorteil, dass sie im Freien stand und nicht an einem Gebäude, das uns für jemanden (oder etwas) zu einer leichten Beute machte, wenn er oder es sich an uns heranschleichen wollte. William sollte draußen, in der Nähe unserer Kiste, Posten beziehen, während wir eine Einstiegs-18

möglichkeit suchen wollten. Sämtliche Sichtblenden der

737 waren unten, was aber keine Rolle spielte, da die Bullaugen ohnehin gute fünf Meter über dem Boden lagen.

Die Notausgänge über den Schwingen waren gesichert,

so dass uns bei dem Versuch, sie zu öffnen, kein Glück

beschieden war: der verzogene Rumpf hatte sie auch

noch heftig verklemmt. So blieb uns nur der Notausgang des Kopiloten auf der Steuerbordseite des Cockpitfensters.

Ich schaute auf der rechten Cockpitseite gute drei

Meter hoch in die Luft und wusste, wie wir uns Zutritt

zu der Maschine verschaffen würden. Mit einem Enterhaken, den William und ich kürzlich mit einem Seil und etwas Metall gebaut hatten, das von der Tankerexplosion im letzten Monat übrig geblieben war, konnte ich zum Fenster hinaufklettern. Zuerst stützte ich johns

Gewicht auf meinen Schultern, als er nach oben zur Notluke griff, um die luftdicht abschließende Cockpitversiegelung zu lösen.

Ich hätte ihn beinahe fallen gelassen, als er sorglos

ein loses Stück Cockpitscheibenglas ins Innere der Maschine schlug. Als mir klarwurde, was er getan hatte, stieß ich einen Fluch aus, grunzte unter seinem Gewicht

und fragte ihn, ob der von ihm veranstaltete Lärm im

Inneren der Maschine irgendwelche vernehmbaren Reaktionen erzeugt habe. William verneinte, erwiderte aber, dass der aus dem Flugzeug kommende Geruch grässlicher als grässlich sei und die Cockpittür nicht offen stünde. Unter Zuhilfenahme der Pitotrohre, die aus der

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Aluminiumhaut der 737 hervorragten, klettertejohn von

meinen Schultern, und wir fassten einen Beschluss.

Mir reichte es. Ich hatte nicht vor, meinen Hals zu riskieren. Ich wollte meinen Arsch nicht durch die enge Luke schieben und ihn mir bei dem Versuch, das Gleichgewicht zu halten, abbeißen lassen. Die Maschine war ein Grab und würde es bleiben. Ich kann mir nur ausmalen, welches Grauen in dem Ding auf uns gewartet hätte.

Angeschnallte Passagiere, die hin und her hampeln, um

sich von ihren Gurten zu befreien, und tote Flugbegleiterinnen, die vorsichtig durch·die Gänge schreiten und ihre Pflicht auch im Leben nach dem Tod erfüllen.

Wir kehrten zu unserer Kiste zurück und besprachen

unser Vorhaben erneut: Wir wollten Treibstoff und jene

Dinge erbeuten, die wir brauchten. Unser Ziel war der

Hangar. Ich bezweifelte, dass es uns gelingen würde, den

Tankwagen dorthin zu bewegen, wo unser Flugzeug stand,

also stiegen wir wieder ein und fuhren dem Hangar und

dem Treibstofflager entgegen. Je näher wir unserem Ziel

kamen, umso mehr wertschätzten wir die Aufklärung

aus Erster Hand. Durch die Fenster unserer Kiste nahmen wir im Inneren des Flughafengebäudes Bewegungen wahr. Sie wurden ausnahmslos von Untoten ausgeführt. Ich dachte nicht weiter über sie nach, als ich das Grauen aus dem offenen Hangar strömen sah, dem wir

uns zügig näherten.

Ich hielt an. Ich ließ den Motor laufen und sprang,

das Gewehr in der Hand, ins Freie. john war ebenfalls

schnell draußen, und William war gleich neben mir. Er

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wollte an mir vorbei, doch ich streckte den Arm so aus,

wie meine Mutter mich immer zurückgehalten hatte,

wenn unser Auto im Begriff war, urplötzlich abzubremsen. William war so auf die Untoten fixiert, dass er beinahe in den rotierenden Propeller unseres Flugzeugs gelaufen wäre.

Wir wichen zurück und beschäftigten uns damit, sie

zu beseitigen. Ich nahm etwa zwanzig Gestalten wahr. Ich

konnte die Schatten ihrer Bewegungen unter dem Bauch

des Tankwagens tanzen sehen. Ich überbrüllte den Motor,

damit meine Freunde zuerst jene ausschalteten, die sich

dem Propeller näherten, denn an einem Maschinenschaden war mir nicht gerade gelegen. Wir brauchten den Treibstoff und mussten den Motor laufen lassen, bis sie

keine Gefahr mehr für uns darstellten. Es war eine Zwickmühle. Ich begann zu feuern. Meine Freunde taten es mir gleich. Ich erledigte fünf. Nummer sechs weigerte sich,

zu Boden zu gehen. Ich verpasste ihr zwei Kopfschüsse.

Trotzdem ging sie weiter. Ich vergaß ihren Kopf und

schoss ihr die Beine unter dem Hintern weg.

John und William machten mit den anderen Untoten

kurzen Prozess. Ich knöpfte mir währenddessen die restlichen hinter dem Tankwagen vor. Für den Moment waren wir sie los. Ich schaute mir den Tankwagen an, um’ nachzusehen, ob er fahrtüchtig war, und schlug mit dem Kolben meines Gewehrs gegen den Tank. Das Geräusch, das ich vernahm, deutete auf Treibstoff im Inneren. Eines

kam mir allerdings komisch vor. Warum stellte jemand

ein Tankwägelchen für Propellerflugzeuge vor einem

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Boeing-Hangar ab? Allmählich schwante mir, dass ich

seit dem Ende der Welt wohl nicht der einzige Pilot war,

der sich auf diesem Flugplatz umgeschaut hatte. Ich

fragte mich, ob der Laster kürzlich verwendet oder wiederverwendet worden war oder ich einfach nur zu viel nachdachte.

Bevor ich die Tür öffnete, stieg ich zur Fahrerseite

rauf und lugte durchs Fenster. Es gab nichts zu sehen.

Der Zündschlüssel steckte. Der Laster war in einem guten

Zustand. Ich betätigte den Schlüssel. Der Motor erwachte

beim ersten Versuch hustend zum Leben. Entweder hatte

jemand den Wagen gewartet, oder wir hatten hinsichtlich seiner Batterie unglaubliches Glück. Ich legte die Pumpenschalter um und stieg aus. Bevor ich den Flugzeugmotor abschaltete, prüfte ich die Umgebung, um sicher zu sein, dass uns niemand überfallen konnte. Als der Propeller langsamer wurde und der Motorenlärm

nachließ, fing mein Gehör das nervtötende Klicken von

Schmuck auf, das einige Hundert Meter von uns entfernt gegen die Scheiben des Flughafengebäudes schlug und meine Aufmerksamkeit auf sich zog. Die Untaten

erweckten den Eindruck, gegen den Treibstoffdiebstahl

zu protestiem. Sie sahen uns vom Gebäude aus zu und

schlugen auf die Scheiben ein. Ihre Armbanduhren,

Ringe und Armreife klangen aus der Feme wie ein lauter Regen auf Sekuritglas.

Ich schraubte die Tankdeckel ab und ging zum Tankwagen hinüber. Als ich den Schaltkasten öffnete, um den Schalter zu betätigen, fiel ein etwa briefbogengro-22

ßer gelber Zettel heraus, den der Wind davontrug. Ich

lief hinter ihm her, erwischte ihn mit einem Stiefel. faltete ihn auseinander und las: Familie Davis

Flugplatz Lake Charles, Louisiana, 14. 5.

Eine ganze Familie von Überlebenden. Wie klug, die Nachricht im Inneren des äußeren Treibstoffpumpen-Schaltkastens zu hinterlassen. Mit dieser einfachen Geste hatte Davis sich als Mensch mit Grips erwiesen. Er hatte seinen Namen und seinen Wohnort nicht in riesengroßen Buchstaben aufs Rollfeld gesprüht, sondern seine Botschaft an einem Ort hinterlegt, an dem nur ein anderer Pilot sie finden würde. Autofahrer können mit Flugbenzin nichts anfangen; was also soll sie zu einem Flugzeugtankwagen locken? Ich schob den Zettel in die Tasche. Auf dem Weg zur Maschine fiel mir auf, dass john und William auf heißen Kohlen saßen. Ich behielt sie im

Auge und füllte die Tanks bis zum Rand. In Erwartung

dessen, was ich als Nächstes sagen würde, schien William schon im Voraus leicht zu erblassen.

Es war Zeit, den Hangar zu überprüfen.

Ich weiß nicht, warum sie sich fürchteten. Die Hangartore standen weit offen. Alles, was uns anspringen wollte, brauchte nur herauszukommen und es versuchen. Nach

der ganzen Ballerei war ich mir ziemlich sicher, dass

sich in diesem Hangar keine Untoten mehr befanden. Ich

hatte Recht.

2:5

Als wir zu dritt über die Schwelle des riesigen Hangar-Rolltors traten, hätte ich mir beinahe in die Hose geschifft. Irgendetwas rauschte aus der Dunkelheit heran und hätte mich beinahe am Kopf getroffen. Allem

Anschein nach hatte eine Schwalbenfamilie ihr Sommernest genau über dem Eingang gebaut, und die Mutter wollte mich nicht in der Nähe ihrer jungen sehen.

Ich hörte sie über mir zwitschern und fragte mich,

wie viele Untatenaugen sie in den vergangeneo Wochen herausgepickt hatte. Ich hielt mich von dem Nest fern und arbeitete mich nach hinten zu den Vorräten

durch.

Der Hangar verfügte über zahlreiche Oberlichter aus

Plexiglas. Es war ein schöner, sonniger Tag. Der Geruch des Todes lag in der Luft, doch der Verwesungsmief war den Untoten bei ihrem durch die Hände unseres

kleinen Teams besorgten Ableben ins Freie gefolgt. Es

dauerte nicht lange, bis wir die Tür des großen Lagerraums fanden.

Ich öffnete sie langsam - mit einer langen Stange, die

man normalerweise dazu verwendet, nicht leicht erreichbare Flugzeugbullaugen zu putzen. Abgesehen von Mottenkugelgeruch wehte uns nichts entgegen. Der Raum war sauber. An den Geruch der Untoten war ich gewöhnt,

aber wenn es nicht nach ihnen roch, erkannte ich das

genauso sicher. Der Lagerraum war beinahe ein kleines

Lagerhaus. Die Regale wimmelten von Ersatzteilen für

Flugzeuge und anderen Ausrüstungsgegenständen. Wir

waren im Wartungshangar der Boeing. Ich suchte aber

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nicht nach Ersatzteilen für Düsentriebwerke, sondern

nach Funkgeräten und sonstigem Zeug.

Dann fand ich etwas, das ich unbedingt nach Hause

mitnehmen wollte. Zwei Reihen schwarzer Gerätschaften,

die Aktenmappen ähnelten und auf denen »Inmarsat«

stand. Wir waren auf Luftfahrt-Satellitentelefone gesto

ßen. Ich hatte keine Ahnung, ob sie noch funktionierten. Vier der Dinger, sie standen auf der rechten Seite des Regals, waren noch in Kunststoff gehüllt. Wir nahmen sie mit und trugen sie zur Tür. Bei der Fortführung unserer Lagerhallenexpedition fanden wir zahlreiche tragbare Notfunkgeräte, aufblasbare Rettungsflöße und andere nützliche Dinge. Wir nahmen die Satellitentelefone und tragbaren VHF-Notfunkgeräte und gingen hinaus.

Unsere Kiste war voll betankt. Wir besaßen vier neue

Satellitentelefone, mehrere tragbare Funkgeräte und hatten zudem die überraschende Entdeckung gemacht, dass eine Familie vor einigen Wochen zu einem Flugplatz in

Louisiana aufgebrochen war. Es wurde Zeit, also luden

wir alles ein und machten uns auf den Rückflug. Diesmal blieben wir so lange auf einer Höhe über 7000 Fuß, bis sich Hotel 23 beinahe genau unter uns befand. Ich

wollte nicht das Risiko eingehen, von verirrten Kugeln

abgeschossen zu werden. Als wir uns dem Stützpunkt

näherten, funkte ichjan und Tara an und meldete: »Navy

One- Bug- und Hauptfahrwerk ausgefahren und eingerastet.« Ich fragte mich, ob jemandem das Rufzeichen der Präsidentenmaschine auffiel, aber niemand raffte

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es. Davis würde es bestimmt raffen. Wir landeten und

versteckten die Kiste wie zuvor. Als wir in den Bunkerkomplex zurückkehrten, dachte ich an die Familie Davis.

Ob sie den Flugplatz in Louisiana überhaupt erreicht

hatte?

26

‘ Charles’

l1. Juu1

tl..tl u�p.

Ich habe mich in den vergangenen drei Tagen mit der

Gruppe über die Frage auseinandergesetzt, ob ich versuchen soll, die Familie Davis am Lake Charles zu finden.

Ich habe das Kartenmaterial überprüft und festgestellt,

dass Lake Charles so weit nicht entfernt ist. Natürlich

muss ich, sollte ich den Plan verwirklichen, nicht nur

die Entfernung, sondern auch den für die Strecke nötigen Treibstoff genau berechnen. Die anderen glauben wohl, dass das Risiko den Nutzen, die Davis’ zu finden,

bei weitem überwiegt. john hält sich raus, doch jan,

Tara und William vertreten hartnäckig den Standpunkt,

ein solcher Flug könne rasch zu einer Reise ohne Wiederkehr werden.

Obwohl es uns gelungen ist, die Satellitentelefone aufzuladen, gibt es, wie wir feststellen mussten, leider niemanden, den man damit anrufen kann. Sie scheinen aber gut zu funktionieren, wenn wir sie dazu verwenden,

sie untereinander anzuwählen. Es hat nicht lange gedauert, ihre Funktionsweise zu verstehen, aber wir haben 27

keine Ahnung, wer die Rechnung kriegt. Ich weiß, dass

die Telefone den Fluggesellschaften gehören und weiß

auch, dass niemand mehr da ist, der für die Nutzung der

Satelliten Rechnungen verschicken kann; ich habe aber

die Sorge, es könne eine Art automatische Systemabschaltung geben, wenn so ein Telefon eine gewisse Minutenzahl in Betrieb war.

Im Moment interessiert es mich brennend, was die

Leute am Lake Charles gerade tun. Haben sie gehofft,

dass jemand ihre Nachricht findet? Ich habe das Bedürfnis, mich mit ihnen zu unterhalten, selbst wenn es bedeutet, dass ich ein Satellitentelefon an einem selbst gebastelten Fallschirm aus der Maschine werfen muss. Das wäre wenigstens etwas. Dann könnten wir mit ihnen

kommunizieren, mehr über sie erfahren und Ideen austauschen.

Ich breche heute Morgen auf. John und die anderen bleiben hier für den Fall, dass ich jemanden mitbringe. Ich möchte die Maschine nicht überbelasten. Ich hoffe, die

Familie Davis hat sich nicht zu weit vom Flugplatz am

Lake Charles entfernt. Während ich hier sitze und den

gelben Zettel begutachte, der fast einen Monat alt ist,

frage ich mich, ob sie überhaupt noch leben oder vielleicht belagert werden, wie John und ich damals im 28

Tower. William hat mich fast angefleht, ihn mitzunehmen, aber wie gesagt: Es könnte sein, dass ich den Platz für andere Menschen brauche. Ich habe keine Ahnung,

was mich erwartet, deswegen kann ich das Risiko nicht

eingehen, die Kiste zu überladen.

Neben der üblichen Ladung- einer Pistole mit 50 Schuss

9-mm-Munition und dem Gewehr mit mehreren Hundert Schuss- nehme ich zwei aufgeladene Satellitentelefone mit. Wasser und Proviant für mehrere Tage sollen ebenfalls im Laderaum der Maschine heimisch werden.

Ich habe immer gedacht, mir würde, wenn ich irgendwann meine letzten Worte in dieses Tagebuch schreiben muss, etwas Prägnantes und Bedeutendes einfallen. Da ich

aber weder prägnant noch bedeutend bin, leihe ich mir

einen Satz eines bedeutenden, längst (wirklich und endgültig) verstorbenen Menschen aus: »Bis zum Letzten ringe ich mit dir; aus dem Herzen der Hölle steche ich auf

dich ein; um des Hasses willen spucke ich mit dem letzten Atemzug nach dir.« (Herman Melville/Kapitän Ahab).

Und auf geht’s zur Pequod.

11..01 u�p.

Zweihundertsiebzig Kilometer in gerader Linie, das war

die Entfernung zum Lake Charles. Es sollte aber kein gerader Schuss für mich werden, da ich mir vorgenommen hatte, nochmal über dem Hobby-Flugplatz zu kreisen,

um nachzusehen, ob der Tankwagen - für den Fall, dass

29

ich ihn auf dem Rückflug brauchte - noch dort stand.

Ich konnte knapp neunhundert Kilometer zurücklegen,

bevor meine Kiste vorn Himmel fiel.

Als ich in sechshundert Meter Höhe über den Flugplatz

düste, sah ich den Tankwagen dort stehen, wo wir ihn

hatten stehen lassen. Ich konnte auch erkennen, dass

eine Scheibe des Flughafengebäudes zerschlagen war

und zahlreiche Untote aus der neuen Öffnung aus dem

Gebäude heraus- und hineinströmten. Sie führte auf ein

Dach, das knapp sechs Meter über dem Rollfeld lag.

In der Nähe des Tankwagens sah ich niemanden. Ich

weiß allerdings, dass Untote keine Höhenangst und nichts

dagegen haben, einfach in den Abgrund zu laufen, wenn

sie glauben, aufgrund ihrer Bemühung winke ihnen

eine Mahlzeit. Zufrieden mit dem, was ich sah, flog ich

nach Nordosten zum Lake Charles. Die Sonne stand hoch

arn Himmel. Sie leuchtete mir genau in die Augen, als

ich in 7000 Fuß Höhe die Horizontale verließ. Eine halbe

Stunde später konnte ich in der Feme die Überreste der

Stadt Beaurnont ausmachen. Ich beschloss, tiefer zu

gehen und nach möglichen Überlebenden Ausschau zu

halten. Laut meinem Kartenmaterial war Beaurnont ein

mittelgroßer Ort.

Rauch und Feuer urnwirbelten die höheren Gebäude.

aber auch das Innere der Häuser. Sie sahen aus wie

Streichhölzer unterschiedlicher Länge. Jedes wies seine

eigene Form von Feuer und Rauch auf. Wenn das Satellitenfotosystem unseres Bunkers ordentlich funktioniert hätte, hätte ich mir den Ausflug sparen können. Wir

30

hatten den Passierschein nach Louisiana (den Satellitenfußabdruck) zwei Wochen zuvor verloren. Ich hätte die Koordinaten von Lake Charles sehr gern eingegeben und

mir Antworten geholt, ohne das Haus zu verlassen.

In diesem Gebiet gab es keinen Strom mehr. Die roten

Antikollisionsleuchten auf den hohen Funktürmen waren

allesamt ausgeschaltet, was mir noch mehr Spaß bereitete. Ich flog niedrig und langsam und schaute mir die noch nicht in Flammen stehenden Straßen und Gebäude

genau an. Doch sosehr ich meine Augen auch anstrengte:

Überlebende sah ich nicht. Das Einzige, was sich an diesem schönen Sommertag da unten bewegte, waren sie …

Die, die nicht zu uns gehören.

Nachdem ich dreimal etwas überflogen hatte, das ich

für das Stadtzentrum hielt, war ich überzeugt, dass hier

niemand mehr lebte. Jedenfalls war kein Schwanz da,

der mir ein Zeichen gab. Der Flugplatz von Lake Charles

lag knapp achtzig Kilometer östlich von Beaumont. Bei

meinem gegenwärtigen Tempo würde ich ihn in 28 Minuten erreichen. Dies erwies sich als sehr lange Wartezeit.

Hinsichtlich meiner Begegnung mit den Überlebenden

war ich besorgt. Ich wusste ja nicht, was mir bevorstand.

Auf dem Zettel in meiner Tasche stand zwar eindeutig »Familie Davisc, aber ich wusste noch immer nicht, ob sie sich als Freund oder Feind erweisen würde. Verdammt nochmal, das Datum betraf den 14. des vergangenen Monats. Ich hatte nicht mal eine Garantie, ob die Leute noch auf den Beinen standen - beziehungsweise

noch welche hatten.

3 1

Nach nicht allzu langer Zeit konnte ich einen vor dem

Bug meiner Maschine größer werdenden sicheiförmigen

See erkennen. Auf der Landkarte lag er nur ein Stückehen südwestlich meines Zielortes. Ich musste diese Leute fmden. Für meine Freunde konnte sich, falls mir etwas zustieß, ein zweiter Pilot als sehr nützlich erweisen. Allein Davis’ Anwesenheit war eine Art Versicherungspolice.

Die Sonne stand noch immer hoch am Himmel. Es

war fast 14.00 Uhr, als ich den Flugplatz erreichte. Ich

musste einen kleinen Schaufensterbummel machen, um

ihn unter mir in dem Qualm und Durcheinander des

Stadtgebietes zu finden. Ich ging mit dem Bug runter, verlangsamte auf 70 Knoten und leitete den Landeanflug ein. In der Nähe des Rollfeldes sah ich zahlreiche Gestalten.

Aus meiner Höhe betrachtet schien es da unten jede

Menge Überlebende zu geben. Sogar aus der Ferne konnte

ich ihre hellen bunten Klamotten erkennen, die sich

gänzlich von dem dreckigen zerrissenen Zeug der Untaten unterschieden. Ich hatte sogar den Eindruck, dass die Leute arbeiteten, denn ich sah jemanden, der eine

Kelle mit einem Blinker trug, die man auf Flugplätzen dazu verwendet, Maschinen in ihre Parkposition zu lotsen.

Ich weiß nicht, was mich dazu brachte, Dinge zu sehen,

die ich sehen wollte, aber ich merkte schnell, dass ich

mich getäuscht hatte. Der Flugplatz war in der Hand der

Untaten. An der Westseite des Geländes fehlte ein gro

ßes Stück Zaun; die wandelnden Leichen hatten sich auf

das Gelände ergossen. Ich zog den Bug wieder hoch und

wollte am Kontrollturm vorbeifliegen - für den Fall, dass

die Familie Davis darin verbarrikadiert war.

Es war niemand darin. Außer den Untoten. Sie waren

überall, auch im Inneren des Towers. Als ich ans andere

Ende der Rollbahn kam, sah ich unter mir ein Kleinflugzeug stehen. Die Türen standen offen; rings um den Flieger lagen Leichen am Boden. Es waren so viele, dass ich mit dem Zählen nicht mitkam. Einige Leichen lagen

rings um die Propellersektion der Kiste - als wären sie

genau auf den Propeller zugegangen und auf der Stelle

in Scheiben geschnitten worden. Ich sah auchjede Menge

Gliedmaßen, meist Arme. Sie lagen um den Vorderabschnitt herum.

Als ich höher ging, bestätigte sich mein Verdacht. Fast

genau in dem Moment, in dem ich den Schluss zog, dass

es an der Zeit war, nach Hause zurückzufliegen, sah ich

sie. Zwei Personen winkten mir aufgeregt von dem Laufsteg aus zu, der um den Hauptwassertank des Flugplatzes herumwand. Sie winkten um ihr Leben. Ein junge und eine Frau.

Ich zog an ihnen vorbei und ließ die Schwingen wippen, damit sie wussten, dass ich sie sah. Neben den beiden lagen ein Schlafsack und einige Kisten auf dem Wasserturm. Ich konnte kaum fassen, dass sie auf dem Turm festgesessen und doch überlebt hatten. Sie mussten Gott

weiß wie lange den Elementen ausgesetzt gewesen sein.

Ich war zu schnell, um sie mir genau anzuschauen, aber

langsam genug, um zu erkennen, dass sie lebten.

:n

Der Wasserturm stand abseits vom Flugplatz, auf der

anderen Seite des kaputten Maschendrahtzauns. Hätte

seine untere Hälfte nicht im Schatten von Bäumen und

Gesträuch gestanden, hätte ich sie wegen der Untatenschar, die an den Säulen kratzte, auf denen der Turm stand, eher gefunden. So sah ich die ihre Arme unermüdlich in die Höhe reckenden Untoten erst, als ich genau über dem Wasserturm kreuzte.

Auf dem Rollfeld konnte ich unmöglich landen. Bei

dem Loch im Zaun wären die Untoten, die die Überlebenden belagerten, sofort aufmich zugeströmt. Der Motorenlärm hätte sie angezogen. Noch dazu hätte ich eins der Viecher beim Start touchieren können, mit katastrophalen Folgen für meine Maschine. Ich hätte gern eine Möglichkeit gefunden, den Leuten mitzuteilen, dass ich

zurückkehren würde, aber da das Adrenalin angesichts

der Aussicht, die Untoten am Hals zu haben, in mir raste,

fiel mir keine ein.

Ich ging höher, ließ den Flugplatz hinter mir und

suchte eine passende Landebahn. Ich flog so niedrig wie

möglich nach Osten und hielt im Umkreis von fünfzehn

Kilometern Ausschau nach einem Platz, an dem ich runtergehen konnte. Laut meiner Karte und der Aussicht aus der Kanzel flog ich genau über der Interstate 10. Auf

der nach Osten führenden Spur sah ich überall Fahrzeuge. Die nach Westen führende Spur war hingegen relativ frei. Ich notierte mir geistig die Zeit und das Tempo, mit dem ich flog, damit ich den Rückweg zum Wasserturm besser berechnen konnte.

34

Während meine Kopfberechnungen sich in meinem

Schädel überschlugen, entdeckte ich am Boden eine weitere postapokalyptische Odyssee. Ein großes Stück der 1-10 war verschwunden, ebenso wie eine an sie grenzende Überführung. Dort war neben einem Krater ein grünes Militärfahrzeug abgestellt. Mehrere Schilder mit

der Aufschrift GEFAHR! umgaben die Stelle. Ich nehme

an, der Highway wurde nach dem Untergang bewusst gesprengt, oder die Brücke war zusammengebrochen, und chronische Erosion hat den Rest des Highways mitgerissen. Wie auch immer: Es war die Gelegenheit, die ich nutzen musste. Ich setzte zur Notlandung auf der Interstate an. Mir fiel ein, dass ich vor zwei Jahren über dieses Stück Highway gefahren war, nachdem man mich zu

einer militärischen Ausbildung abkommandiert hatte.

Nun wollte ich ein Flugzeug dort landen.

Die Straße war frei. Ich sah zwar in der Feme Trümmer, doch bevor sie zum Problem wurden, würde ich längst am Boden sein. Ich brachte die Maschine runter, wenn auch nicht ohne Komplikationen. Nach dem Aufsetzen trat ich auf die Bremse, um die Geschwindi,gkeit zu verringern. Ein, zwei, dann vier Untote schlurften aus dem von hohem Gras bewachsenen Mittelstreifen. Es waren weniger als ich erwartet hatte. Als ich etwas fester auf die Bremse trat, spürte ich ein Rucken in den Pedalen. Die Maschine drehte sich jäh nach rechts. Eine der Bremsen war im Eimer. Ich hatte

keine andere WahLich musste das Ruder auf der anderen Seite einsetzen, um die Kiste auf geraden Kurs zu

bringen, damit sie ausrollte, bis der Luftwiderstand sie

stoppte.

Die Trümmer, die ich bisher für kein Problem gehalten hatte, wurden plötzlich zu einem sehr großen. Ich trat auf die funktionstüchtige Bremse und bewegte das

Gegenseitenruder, um nicht vom Kurs abzukommen.

Dabei küsste ich leider jedes Mal die rechte Seite des

Highways. Hätte ich nicht kurz vor den Trümmern angehalten, wäre es wahrscheinlich zu einem verhängnisvollen Zusammenstoß gekommen. Der Schrott, der meinen Weg fünfzig Meter weiter blockierte, bestand aus einem

grünen Army-Laster und einer eingesackten Überführung.

Ich bezweifelte, dass zwei Überführungen zufallig so zusammenkrachen konnten. Sie waren wahrscheinlich das Ergebnis eines professionellen Abrisses. Ich hatte kaum

genug Platz, die Maschine zu wenden und für einen Start

in Position zu bringen. Vorausgesetzt natürlich, ich kam

überhaupt zu ihr zurück. Ich schaltete den Motor ab, behielt die kleine Anzahl der in meine Richtung latschenden Untoten im Auge und stellte meine Expeditionsausrüstung zusammen.

Ich griff auf den Rücksitz und nahm mein Gewehr und

die Magazine an mich. Die Reservemagazine stopfte ich

in meinen Tornister, dann noch vier weitere in leicht erreichbare Taschen. Meine Handfeuerwaffe hing bereits am Gurt. Ich packte des Weiteren vier Flaschen Wasser und

zwei Einmann-Rationen in den Tornister. Ich wusste nicht,

wie lange die beiden schon auf dem Turm waren und ob

sie überhaupt noch über Essen und Trinken verfügten.

36

Ich machte die Tür der Maschine zu, drehte mich um

und zuckte angesichts der fauchenden und verwesenden Visage einer Kreatur zusammen. Ich schlug mit dem Gewehrkolben gegen ihre Schläfe und trat ihr so fest

vors Knie, dass sie zu Boden ging. Das Ding war weder

eine Kugel noch das unerwünschte Nebenprodukt des

lauten Knalls wert. Als ich mich von der Maschine entfernte, rührte es sich nicht mehr.

Ich ging rechtwinklig zur Interstate in den Wald. Ich

wollte der Straße von dort aus folgen, weil ich dort vor

dem stets suchenden, ständig wachsamen Blick der Kreaturen sicher war. Ich konnte sie im Vorbeigehen hin und wieder zwischen den Bäumen erspähen. Sie kamen mir

verwirrt vor und schienen zu ahnen, dass sich in ihrer

Nähe etwas Interessantes tat, wussten aber nicht, wie sie

davon profitieren konnten. Es war heiß und schwül, aber

ich ging weiter. Meine Seele hatte keine Wahl. Schließlich gelangte ich an den Ort, an dem es zu den ersten Überführungseinstürzen gekommen war.

Beim Überfliegen war mir der untote Soldat nicht

aufgefallen. Er hatte sich hinter dem Laster in einem

toten Winkel befunden. Es war leicht zu erkennen, was

ihm passiert war. Der hintere Teil seines grünen Mantels

war in die Fahrertür eingeklemmt und verhinderte, dass

er sich bewegen konnte. Sein Reißverschluss war bis zum

Brustkorb hochgezogen. Er trug einen Stahlhelm, der mit

einem Riemen unter seinem Kinn befestigt war. An seiner Schulter und seinem Hals fehlten große Fleisch- und Muskelbatzen. Es war offensichtlich, dass er aus dem

‘37

Laster gestiegen war, den Mantel eingeklemmt und die

Katastrophe geradezu eingeladen hatte. Ich schätze, der

Gewinner des Darwin-Preises stand für diesen Monat fest.

Mich ihm zu zeigen hätte nichts gebracht. Er hätte

lediglich wie ein Blöder auf den Wagen eingeschlagen

und weitere seiner Art angelockt. Ich musste ihn so zurüci.dassen, wie er war. Ein Teil meines Ichs hätte ihn gern von seinem Elend erlöst, denn als Soldat war er

mein Kamerad. Ich ging leise zur Beifahrerseite des riesigen Lasters und schaute hinein. Auf dem Sitz lag eine Pistole vom Typ M-9. Das Fenster war hochgedreht; auf

meiner Seite war die Tür verschlossen.

Ich hatte nur mein Gewehr und eine Pistole und hielt

es für eine gute Idee, wenn auch die Leute, zu denen

ich unterwegs war, eine Waffe besaßen, mit der sie sich

während der Rettungsmission verteidigen konnten. Also

änderte ich meine Ansicht und beschloss, den Soldaten

im Tausch für die Waffe auszuschalten. Ich ging vom

Trittbrett runter und begab mich ans Heck. Der Laster

hatte eine mit Leinwand bedeckte Ladefläche. Ich lugte

hinein, konnte aber nichts Brauchbares sehen. Da waren

nur Holzkisten voller Sonstwas. Vielleicht Sprengstoff.

Aber auf diesem Gebiet kannte ich mich nicht aus.

Ich hob einen dicken Brocken Interstate aufund warf

ihn auf den Beton vor die Füße des Untaten, damit er,

wenn ich mich ihm näherte, in eine andere Richtung

schaute. Es klappte. Ich erreichte ihn schnell und schob

die Mündung meiner Waffe unter seinen Helm, damit

ich an dem Kevlar vorbeikam, der seinen Schädel schützte.

38

Ich gab nur einen Schuss ab. Der untote Soldat erschlaffte

und hing in seinem Mantel, bis ich die Wagentür öffnete. Ich durchsuchte seine Taschen. Nichts von Wert.

Ich nahm die M-9 an mich und machte mich davon.

Ich hatte nicht viel Zeit, mir etwas auszudenken, um

die Untoten vom Wasserturm fortzulocken. Wir mussten

vor Sonnenuntergang weg sein. Die Neutralisierung der

Untoten war keine Option. Ich hatte zwar den Vorteil

eines Hirns und meiner Feuerkraft, aber sie waren einfach zu viele.

Ich musste es anders anstellen. Es sah aus, als gäbe es

nur eine Möglichkeit: schießend oder brüllend auf sie

zustürzen, um sie vom Turm wegzulocken. So ähnlich

hatte ich es auch bei der Rettung der Familie Grisham

gemacht. Es war natürlich auch gefährlich, denn diesmal hatte ich kein funktionierendes Auto, um sie abzulenken. Mangelhafte Planung. Ich hatte eigentlich nur bei Lake Charles landen, Kontakt aufnehmen und mögliche Überlebende zum Hotel 23 bringen wollen. Auf eine neue lebensgefährliche Rettungsaktion war ich nicht

vorbereitet.

Der Wasserturm kam in mein Blickfeld. Ich sah eine

Gestalt auf dem Laufsteg. Ich winkte und gab Zeichen,

aber es kam keine Reaktion. Allmählich fing ich an, meinen Plan zu hinterfragen. Hatte ich vielleicht all diese Mühen nur auf mich genommen, um zwei Leichen zu

retten? Doch dann fanden meine Mühen Bestätigung.

Ich sah eine kleine männliche Gestalt am Rand des Geländers, die auf die Untoten hinunterpinkelte. Obwohl 39

ich sie in dem Gebüsch nicht sah, wusste ich, was der

junge tat. Er zielte zweifellos aufihre Köpfe.

Ich lachte leise vor mich hin, wurde dann aber wieder ernst. Der Wasserturm war nur etwa zehn Meter von dem Zaun entfernt, hinter dem der Flugplatz lag. Der

obere Rand des Zauns war nicht aus Stacheldraht und

daher leicht zu überklettern. Ich lief also ein Stück, bis

ich außer Sichtweite der Belagerer war, und stieg hin

über. Sobald ich den Boden berührte, rannte ich auf den

Hangar zu. Ich sah eine Reihe strombetriebener Gepäckkarren, die hinter dem Hangar in eine Ladestation gestöpselt waren. Ich ging langsam zu ihnen hinüber. Da ich nicht wusste, wie lange diese .Gegend schon ohne

Strom war, wusste ich auch nicht, ob die Karren noch

funktionierten. Ich entriegelte einen Karren und zog

ihn zur Hangarseite, um einen ausgiebigen Blick aufihn

zu werfen. Ich hatte die Neugier eines Leichnams hinter

dem Zaun auf mich gezogen. Er hatte mich offenbar

klettern sehen.

Die Gepäckwägelchen funktionierten ohne Schlüssel.

Ich nehme an, man wollte vermeiden, dass sie, falls jemand sie verlor und sie auf dem Rollfeld landeten, Schäden an Flugzeugtriebwerken hervorriefen. Ich schaltete das Wägelchen ein, nahm Platz und gab Gas. Der Elektromotor fing an zu rumpeln, doch der Karren bewegte sich nicht. Ich versuchte einen anderen. Es gab mehrere,

sie standen in einer Reihe hinter dem Gebäude. Beim

dritten Karren hatte ich Glück. Der Motor schnurrte los.

Ich schwang mich rauf und fuhr auf die Zaunlücke in

40

der Nähe des Wasserturms zu. Mitten auf dem Rollfeld

hielt ich an und sprang ab, ohne das Wägelchen abzuschalten. Ich legte mit dem Gewehr an, feuerte auf den unteren Teil des Turms und nietete so viele Untote um,

wie ich konnte. Schließlich blickte jedes untote Auge im

Umkreis von drei Kilometern in meine Richtung.

Ich feuerte so lange auf sie, bis sie massenhaft und

mit ausgebreiteten Armen durch die Zaunlücke strömten, sichtlich scharf auf mich. Ich wartete, bis sie auf fünfzig Meter heran waren, dann schwang ich mich wieder auf das Wägelchen, gab Gas und lockte die Untoten vom Wasserturm weg. Als ich über das Rollfeld fuhr,

lud ich meine Waffe nach. Ich weiß es zwar nicht genau,

aber es waren schätzungsweise zwei- bis dreihundert von

denen hinter mir her.

Ich erreichte das Ende des Rollfeldes, stieg ab und nahm

sie erneut unter Beschuss. Sie waren etwa dreihundert

Meter weit entfernt. Ich hatte also noch Zeit. Jene, die

sich schon innerhalb der Flugplatzumzäunung befanden, zog ich zuerst aus dem Verkehr. Dann knöpfte ich mir nach und nach diejenigen aus der Masse vor, die am

weitesten entfernt waren. Dies würde mir mehr Zeit verschaffen, bevor sie aufholten, wenn ich zum Turm zurückkehrte.

Sie waren nun auf zweihundert Meter herangekommen. Die Meute wurde von so vielen Fliegen umschwärmt, dass mir beinahe übel wurde. Das kollektive Summen

der Insekten war lauter als das Ächzen der Untoten. Das

Schlimmste an ihnen waren meiner Meinung nach ihre

4 1

ausgedörrten, verwesenden Gesichter. Ihre Zähne waren

zu einem permanenten Fauchen gefletscht und ihre knochigen Klauen ständig nach Beute ausgestreckt.

Es war an der Zeit, die Kurve zu kratzen. Ich sprang

auf den Karren und umkreiste die Meute, ohne den

Fuß vom Gas zu nehmen. Da das Wägelchen aus Sicherheitsgründen ein bestimmtes Tempo nicht überschreiten konnte, machte ich bestenfalls 15-20 Stundenkilometer.

Als ich den Wasserturm erreichte, rief ich den Leuten

dort zu, sich bereitzuhalten.

Ich hatte keine Ahnung, ob sie mich hörten oder nicht.

Der Hauptteil der Meute war fast einen Kilometer entfernt. Wir hatten Zeit, aber ich musste mich auch noch um ungefahr ein Dutzend Gestalten kümmern, die am

Fuß des Turms zurückgeblieben waren. Die Batterie des

Wägelchens zeigte erste Anzeichen von Erschöpfung.

Ich erreichte das Loch im Zaun. Buschwerk behinderte

meine Sicht, deswegen konnte ich nicht genau erkennen, was mich dahinter erwartete. Ich eröffnete das Feuer, als ich einen Kopf zu sehen glaubte. Ich gab diese

Taktik auf und drang vorsichtig ins Gestrüpp unter dem

Wasserturm vor. Die hier zurückgebliebenen Untoten

waren vermutlich taub, denn sie befanden sich in einem

fortgeschrittenen Verwesungsstadium. Möglicherweise

hörten sie nicht mal mein Gewehrfeuer. Viele waren ein

äugig oder sahen gar nichts mehr. Sie gaben ein leichtes

Ziel ab. Es dauerte nicht lange, bis die Gegend rund um

den Turm sauber war. lch rief zu den Überlebenden hinauf, sie sollten so schnell wie möglich runterkommen.

42

Ich höre eine gebieterische Frauenstimme sagen: »Tu,

was der Mann sagt, Danny.«

»Ja, Oma«, erwiderte der Junge nervös.

Er kam zuerst. Er war etwa zwölf Jahre alt und hatte

brünettes Haar, dunkelbraune Augen und einen hellen

Teint. Dann kam die Frau. Sie war vielleicht Ende fünfzig oder Anfang sechzig. Sie hatte lockiges rotes Haar und war leicht übergewichtig. Sie trugen ihre paar Habseligkeiten bei sich und schauten mich fragend an, als sie vor mir standen.

Mein Selbstbewusstsein schien wie die Batterie des

Gepäckwägelchens schwächer zu werden, nachdem ich

so viele Untote gesehen hatte. Ich besann mich meiner

gesamten schauspielerischen Fähigkeiten (im Kindergarten durfte ich mal Abraham Lincoln geben), täuschte den beiden jede Menge Zuversicht vor und begab mich

zum Wägelchen.

Die Meute der Verfolger war vielleicht noch sechshundert Meter entfernt und kam rasch näher. Ich stieg auf den Gepäckkarren und schaltete den Rückwärtsgang

ein. Ein lautes Warnpiepsen ertönte. Mit einem Kabelbinder band ich das Pedal fest, damit es Gas gab, bis der Karren gegen etwas knallte oder die Batterie leer war.

Ich sprang und rollte mich ab, um Verletzungen zu vermeiden. Der Karren düste laut piepsend davon, und zwar genau auf die Untatenmeute zu. Wir liefen auf dem Weg,

den ich gekommen war, zu meinem Flugzeug zurück,

wobei wir, als wir uns schwerfällig eine Bahn durchs Gestrüpp an der 1-10 schlugen, sorgfältig darauf achteten,

nicht gesehen zu werden. Hinter uns, aus Richtung Flugplatz, war lautes Stöhnen zu vernehmen. Obwohl ich zugegebenermaßen noch nie einen Untoten so genau untersucht habe, um zu wissen, ob sie überhaupt atmen, nehme ich an dass sie uns irgendwie wittern.

,

Als wir uns durch den Wald in die ungefähre Richtung der Maschine schlugen, reichte ich der Frau die zuvor aus dem Army-Laster entwendete M-9. Sie stellte

sich als Dean und den jungen als ihren Enkel Danny vor.

Ich schüttelte beiden die Hand und zog den auf dem

Hobby-Flugplatz im Tanklaster gefundenen gelben Zettel aus der Tasche.

Die Frau las die Nachricht. Dann füllten sich ihre rot

umrandeten Augen mit Tränen. Sie hielt kurz inne und

sah mich an Dann nahm sie mich in die Arme, drückte

.

mich und weinte. Mein erster Gedanke war, Mr. Davis

wäre ein guter Freund oder Familienangehöriger gewesen und der Zettel die schmerzliche Erinnerung an dessen vorzeitiges Ableben.

,Ich weiß, dass Sie unglücklich sind, aber wir müssen

weitere, sagte ich. »ln dieser Gegend sind viele von denen,

und der Karren wird sie nicht lange in die Irre führen.«

Sie beharrte darauf, ein bis zwei Minuten zu pausieren, um sich zu orientieren. Was hätte ich sagen sollen?

Hätte meine Mutter je erfahren, dass ich älteren Menschen meinen Respekt versagte, hätte sie mir einen Arschtritt verpasst.

Ich fragte die Frau, was Mr. Davis und seiner Familie

passiert sei.

44

»Danny und ich sind die Familie Davis«, erwiderte

sie. »Ich habe den Zettel vor einem Monat auf dem

Flugplatz hinterlassen - kurz bevor wir hierhergeflogen

sind.«

Verdattert und mit dem Gefühl eines leichten Stichs

von sexistischem Neid im Hinterkopf erkundigte ich mich

demütig, wer die Maschine denn geflogen hätte.

Sie lächelte ein knappes Sekündchen und sagte dann:

»Ich. Ich habe einen Pilotenschein. Weil ich in einer Zeit

Pilotin war, in der ein solcher Schein noch etwas bedeutete.«

Um mich nicht als Vollidiot zu erkennen zu geben,

suchte ich die Umgebung nach Gefahren ab und unterhielt mich weiter mit der Frau namens Dean. Danny saß zu ihren Füßen auf dem Boden. Sein Köpfchen war ständig in Bewegung, denn auch er hielt nach Gefahren Ausschau.

Als ich mich mit ihr unterhielt, empfand ich friedliche und behagliche Gefühle; als wäre sie die letzte Großmutter auf dem Planeten; als wollte ich nichts anderes, als ihren Geschichten zu lauschen.

Nur hatten wir dafür jetzt keine Zeit.

Ich hatte die Pause hauptsächlich deswegen einlegen

wollen, um den beiden nach allem, was sie auf dem

Wasserturm erlebt hatten, eine emotionale Rast zu gewähren. Obwohl Dean in jeder Hinsicht fähig schien, für sich selbst zu sorgen, war sie nicht mehr die jüngste,

und ich hatte das Gefühl, dass sie eine kurze Kampfpause gut gebrauchen konnte. Dean zeigte offensichtli-4 5

ehe Anzeichen von Unterernährung. Lose Haut hing von

ihren Armen und Beinen herab und bewies die Liebe,

die sie für ihren Enkel empfand. Danny sah zwar auch

nicht gerade toll aus, aber ich erkannte, dass da jemand

zu seinen Gunsten auf Nahrung verzichtet hatte.

Mit schlechtem Gewissen und leichter Besorgnis in

der Stimme schlug ich vor, uns wieder in Bewegung zu

setzen, um so schnell wie möglich zu meinem Flugzeug

zu gelangen. Wenn wir gezwungen wurden, am Abend

zu fliegen, würde es nämlich nicht einfach sein, den

Tankwagen am Hobby Airport zu finden. Als wir gingen,

lenkte ich Dean von den Ereignissen des heutigen Tages

ab, indem ich sie fragte, warum sie Fliegen gelernt hatte.

Sie war gern bereit, darüber zu reden. Während sie leise

erzählte, schaute ich an ihr vorbei ständig in die Lücken

zwischen den Bäumen, die dann und wann die Interstate enthüllten. Von Zeit zu Zeit sah ich während unseres Marsches zum Flugzeug auch Untote.

Während wir gingen, berichtete sie leise, dass sie vor

ihrer Pensionierung als Pilotin für die Feuerwehr von

New Orleans gearbeitet hatte. Das Fliegen fehlte ihr sehr,

zumal sie es immer als ihre Berufung empfunden hatte,

Menschen in Not beizustehen. Während des Gesprächs

nannte sie auch ihr Alter, als sie zur Sprache brachte,

vor zehn Jahren, mit fünfundfünfzig, in Rente gegangen

zu sein. Ich konnte kaum fassen, dass es ihr und dem

Jungen gelungen war, so lange in dieser Welt zu überleben. Ich war voller Ehrfurcht und Respekt vor dem Überlebenswillen dieser Frau.

4 6

Zwischen dem Flugplatz und uns hielten sich an der

Interstate nur wenige Kreaturen auf. Ihr Gestöhne war

bei dieser Entfernung nur noch mit viel Fantasie wahrzunehmen. Ich schilderte Dean, wie ich bei der Landung die linke Radbremse verloren hatte sowie meine Hoffnung, den Start nicht wegen eines schönen großen grünen Armee-Lastwagens, der am Ende dieses Teils der Interstate auf uns wartete, abbrechen zu müssen. Sie schien darüber nicht besorgt und stellte keine Fragen bezüglich meiner Flugkenntnisse. Sie war offenbar nur dankbar, am Leben zu sein.

Als wiT den Flieger erreichten, öffnete ich die Tür und

ertappte mich dabei, Dannys Blick von der Leiche des zuvor von mir erledigten Untaten abzuschirmen. Warum eigentlich? Der junge hatte wahrscheinlich mehr Untote

bepisst, als ich je gesehen hatte.

Nach der Inspektion der Maschine schnallten wir uns

an und gingen die Checkliste durch. Damit wir uns verständigen konnten, setzten Dean und ich Headsets auf.

Sie half mir bei der Checkliste, da sie über zweihundert

Flugstunden in einer Kiste dieses Typs verbracht hat

(also weit mehr als ich). Der Motor sprang problemlos

an. Ich gab Gas und rollte vorwärts. Es war unnötig, die

Bremse zu testen. Das Gebiet war frei. Ich bretterte mit

50 Knoten voraus. Ein einzelner Untoter näherte sich

dem Beton der Interstate vom mit Gras bewachsenen

Mittelstreifen aus, der die nach Osten und Westen führenden Spuren teilte. Ich war mir nicht sicher, ob er es schaffen würde.

4 7

Dann spürte ich, dass das Steuerhorn der Maschine

zu mir zurückgezogen wurde. In meinem Headset sagte

Deans Stimme: »Diesen Steigflug schaffen wir.« Ich war

fassungslos. Unser Steigflug war noch steiler als der, bei

dem john und ich von dem unbefestigten Streifen hatten starten müssen, bevor die Raketen San Antonio ausgelöscht hatten. Es waren nicht die Triebwerke, die mich in den Sitz drückten, es war die Schwerkraft. Wir hatten

den wandelnden Leichnam verfehlt und waren fast dreihundert Meter vor der Stelle in die Luft gegangen, an der ich vom Boden abgehoben hätte. Ich musste mich

zusammenreißen und mir eingestehen, dass Dean beim

Fliegen dieser Kiste mehr draufhatte als ich.

Als wir den Laster, den Krater und die Überführung

passierten, kam der Flugplatz wieder in Sicht. Aus purer

Neugier bat ich Dean, uns nochmal dorthin zu bringen.

Als wir über das Gelände hinweg flogen, sah ich jede

Menge Untote, die sich am anderen Ende des Platzes um

den Elektrokarren scharten. Er hatte sich im Zaun verkeilt und piepste vermutlich noch immer, weil die Untoten sehr daran interessiert waren, ihn in Stücke zu rei

ßen. Vielleicht lag es an seinem Geruch, vielleicht an

den Geräuschen, die er von sich gab; vielleicht aber auch

an beidem.

Dean fragte nach unserem Ziel. Ich bat sie, ihren

Tankwagen anzufliegen. War kein Problem für sie.

Da ich wissen wollte, wie sie auf den Wasserturm gelangt war, stellte ich ihr, nun in der Luft und in Sicherheit, ein paar Fragen. Sie waren am Abend des 14. Mai 48

beim Lake Charles gelandet. Dean erwähnte zwar keine

Einzelheiten, begann jedoch, heftig mit den Händen zu

zittern, als sie erzählte, wie Danny und sie aus ihrem

Flugzeug gestürzt waren und sich so schnell wie möglich zum Wasserturm durchgeschlagen hatten, um nicht gefressen zu werden. Auf dem Turm hatten sie nur das

gehabt, was sie tragen konnten. Ich fragte, warum sie

nicht mit dem Augzeug abgehauen waren. Sie antwortete mit einer Gegenfrage: »Haben Sie den Leichenberg vor dem Bug unserer Kiste nicht gesehen?«

Ich erkannte, dass es ihr Unbehagen bereitete, über

diese Sache zu reden.

Dean erzählte, dass sie ihr Bettlaken benutzt hatte,

um an Wasser für Danny und sich herankommen zu

können. Am sechsten Tag, als ihre Trinkwasserrationen

zu Ende gegangen waren, war sie über den seitlichen

Laufsteig auf den Turm gestiegen. Irgendwie hatte sie

den Dachstöpsel aufgeschraubt, durch den das Wasser

im Tank normalerweise geprüft wurde. Es war ihr gelungen, das Laken etwa zwanzig Zentimeter tiefins Wasser zu versenken, ohne es zu verlieren. Danny und sie hatten fast einen Monat lang von »frisch gepresstem Louisiana-Lakenwasser« gelebt und sich währenddessen das pausenlose Stöhnen der sie belagemden Toten angehört.

Als Dean davon erzählte, begann sie erneut zu weinen.

Über dem Hobby Airport wurde unser Sprit knapp. Wir

hätten es mit einem Rest heißer Luft vielleicht noch bis

Hotel 23 geschafft, aber ich hielt es für unnötig, dieses

Risiko einzugehen. Ich wusste, dass der Tanklaster funk-

49

tionsfähig war. Ebenso wusste ich, dass er eine Menge

Treibstoff enthielt. Als wir über dem Flugplatz kreisten

und ein Auge riskierten, näherte sich die Sonne dem

westlichen Horizont. Es befanden sich Untote auf dem

Dach neben dem zerbrochenen Terminalfenster, und ich

sah auch ein paar auf dem Boden vor dem Dach. Einige

Kreaturen hatten sich aufgrund ihres Absturzes selbst

zur Unbeweglichkeit verurteilt. Tja, die Schwerkraft ist

‘ne Sau.

Ich brachte die Maschine runter, fuhr gefahrlieh nahe

an den Tankwagen heran und bat Dean, an Bord zu bleiben. Meine Idee gefiel ihr nicht, denn sie wollte helfen, aber ihr Blick sagte mir, dass sie mir Recht gab. Nach

einem Monat auf dem Wasserturm, auf dem sie Kohldampf

geschoben hatte, von der Sonne gebraten und von der

Kälte geschüttelt worden war, war sie nicht hundertprozentig auf dem Damm. Deswegen hatte ich, trotz der vielen Flugstunden ihrer aktiven Zeit, meine Hände in der Nähe der Kontrollen gelassen. Auch wenn sie ein besseres

Gefühl für die Kiste hatte als ich: Sie war fix und fertig.

Ich ließ, wie immer in solchen Situationen, den Motor

laufen und ging zum Tankwagen hinüber. Binnen kurzer Zeit hatte ich die Tanks gefüllt und das Flugzeug zu einem neuen Start positioniert. Am Wartestreifen des

Hobby-Rollfelds wurde mir bewusst, dass ich mich seit

fast zehn Stunden nicht im Hotel 23 gemeldet und die

Headsets nicht auf VHF-Funk eingerichtet hatte. Dean

und ich hatten uns auf dem Flug zum Hobby Airport unterhalten, und da wir ohnehin außerhalb der H23-Reich-50

weite waren, hatte ich das VHF-Gerät nach dem Start

von der Interstate ausgeschaltet, um Störgeräusche zu

vermeiden. Um uns in die Luft zu bringen, benutzte

Dean wie zuvor, als wir dem wandelnden Leichnam ausgewichen waren, den Kopiloten-Knüppel, um nötigenfalls einzugreifen. Ich legte meine Hände auf den Steuerknüppel und behielt Deans Hände im Auge.

Als wir abhoben und ich die Funkgeräte einstellte, um

mit Hotel 23 Verbindung aufzunehmen, sah ich aus den

Augenwinkeln eine Leiche, die aus dem Cockpitfenster

der Boeing heraushing, die John, William und ich Wfr

eben zuvor hatten erforschen wollen. Sie klemmte allem

Anschein nach fest, denn sie ruderte in dem vergeblichen Versuch, sich aufs Rollfeld zu stürzen, mit den Armen. Alle kürzlich erfolgten Aktivitäten auf diesem

Flugplatz hatten die in dem riesigen Multimillionendollar-Sarkophag eingesperrten Untaten offenbar in einen Erregu1;1gszustand versetzt.

Ich sprach ins Mikrofon: »H23, hier ist Navy One, Ende.«

john meldete sich sofort. Obwohl er ein Nervenbündel

war, vergaß er nicht, die Funkdisziplin zu wahren, und

verriet weder Namen noch Orte. »Navy One, hier ist H23.

Wir versuchen dich seit Stunden zu erreichen. Eine Landung bei H23 ist im Moment nicht angeraten.« Ich fragte, was los sei, denn ich machte mir auf der Stelle Sorgen

um einen neuerlichen Angriff des einzigen Feinds, der

gefährlicher war als die Untaten.

John erwiderte, es sei an unserem Landeplatz und auf

dem Gebiet, das die hintere Umzäunung umgab, kürzlich

5 1

zu einem Untoten-Andrang gekommen. Es sei gefährlich,

dort zu landen, da sich dort inzwischen über hundert

mehr oder weniger kaputte Figuren versammelt hatten.

Ich erkundigte mich, ob er eine Möglichkeit sah, das

Gebiet freizuräumen, da außer mir »noch zwei Seelen

an Bord seien«. john erwiderte, es sei zu dunkel, um in

zwanzig Minuten etwas zu bewirken.

Da hatte er Recht. Es war reiner Selbstmord, am Abend

hinaus zu gehen und zu versuchen, sie zu vertreiben.

Und selbst dann gab es keine Garantie für eine sichere

Landung. Wenn ich mit einer Geschwindigkeit von achtzig Knoten aufsetzte, musste mir nur eins dieser Dinger vor den Propeller laufen, und alle an Bord könnten draufgehen. Wir mussten also für heute Nacht einen anderen Ort finden, und zwar schnell.

Der Flugplatz Eagle Lake kam aus offensichtlichen

Gründen nicht infrage. Ich war auch nicht bereit, das

Risiko einzugehen, die Maschine auf einem mir unbekannten Acker zu landen. Es musste ein Flugplatz sein.

Ich nahm mir die Karten vor und suchte mögliche Kandidaten. Ich fand eine schmale Rollbahn namens Stoval: sie lag etwa 22 Kilometer südwestlich von H23. Sie musste reichen. Wenn wir dort ankamen, würde die Sonne

untergegangen sein, also stand mir eine weitere Nachtsichtgerät-Landung bevor.

Diesmal wollte ich die Triebwerke nicht abschalten,

denn wir hatten keine garantierte Zuflucht, wenn die

Sache schiefging. Wir mussten das Risiko mit dem Motorenlärm eingehen. Ohne·Deans Reaktion einschätzen 52

zu können, bat ich Danny, in meinen Tornister zu greifen und den grünen Behälter aus Hartplastik herauszuholen. Er tat es. Dean saß am Steuerlmüppel. Ich erklärte ihr, was Danny tun sollte, und dass wir in dieser Hinsicht eigentlich keine andere Wahl hatten. Ich bat

sie, die Antikollisionsbeleuchtung abzuschalten und sich

darauf vorzubereiten, mir die Steuerung zu übergeben,

wenn es für sie zu dunkel war, um am Boden Einzelheiten zu erkennen. Ich zeigte ihr das Rollfeld, auf dem wir landen wollten. Dean änderte den Kurs um eine Spur,

und wir nahmen es aufs Korn.

Ich nahm das NSG aus der Schachtel und setzte es auf.

Um sicherzugehen, wollte ich meinen Augen genügend

Zeit geben, sich an die Lage anzupassen. Ich drehte die

Helligkeit so weit runter, dass die Brillengläser eher zu

einer Augenbinde statt zu einer Sehhilfe im Dunkeln

wurden. Draußen wurde es sehr dunkel. Ich justierte die

Bildverstärker des NSG und bat Dean um die Steuerung.

Unter uns erwachte die Landschaft wieder zum Leben,

in der vertrauten grünen Farbe, die ich inzwischen so

gut kannte.

Ich suchte den Flugplatz. Er war nicht da. Ich suchte

ihn überall und prüfte erneut die Karte. Ich hielt nach

einer Rollbahn mit Kontrollturm Ausschau. Ich brauchte

zwanzig Minuten, bis ich begriff, dass wir mehrmals

genau über ihn hinweg geflogen waren. Der Flugplatz

war verlassen, und er hatte gar keinen Tower. Als wir

landeten, fuhren wir durch Gras, das so hoch war, dass

unser Propeller es fast hätte mähen können. Ich konnte

5 3

allerdings noch den Beton der einstigen Rollbahn erkennen. In dieser Gegend des Flugplatzes gab es außer einem einsamen Hangar rein gar nichts mehr. Ich flog

nahe an ihn heran, um zu sehen, ob das Tor offen stand.

Es schien hier sicher zu sein. Ich wendete nochmal und

ging dann runter. Inzwischen hatte ich mich an das

NSG-Tiefenwahmehmungsproblem gewöhnt und kam

besser unten an als bei früheren Versuchen. Ich positionierte die Maschine für den Start am nächsten Tag, schaltete den Motor aus und blieb wachsam.

Dean und Danny schlafen jetzt. Wir sind um 21.00 Uhr

gelandet. Ich habe john angefunkt und ihm unsere Koordinaten durchgegeben. Er hat gesagt, dass er und die anderen sich Morgen mit dem Rover unserer Gäste annehmen werden; ich solle mir keine Sorgen machen. Er hat gelacht und gemeint, ich solle nicht vergessen, morgen früh den Funk einzuschalten; er würde auf alle Fälle die ganze Nacht über wach bleiben. Ich habe ihn gefragt, wie es Tara geht. Er hat erwidert, dass sie neben ihm sitzt. Sie hätte gesagt, dass ich ihr fehle.

Ich sehe Bewegungen am äußeren Flugplatzrand. Keine

Ahnung, was es ist. Die Kabinentüren sind verschlossen.

Ich bin zwar müde, werde aber keinesfalls einnicken.

Dean ist wach. Ich sage ihr nicht, was ich gesehen habe.

54

Die Bewegungen in der Ferne haben sich als Hirschrudel

erwiesen. Dass es sich um Lebewesen handelte, konnte ich

an den spiegelartigen Reflektionen ihrer Augen erkennen, die man im Nachtsichtgerät deutlich wahrnimmt.

Augen von Untoten sehen anders aus.

Die Sonne ist aufgegangen, das Funkgerät eingeschaltet.

Ich habe bereits mit john gesprochen. Er will mir im

Laufe der nächsten Stunde grünes Licht geben. Hier

rührt sich nichts; die Hirsche haben sich verzogen. Dean

und Danny haben schon einen Großteil meiner Wegzehrung verputzt. Kann’s ihnen nicht verübeln.

1.ao u�p.

Habe angerufen. Bei John ist alles klar. Wir heben in

Kürze ab.

5 5

11. Ju�1

� . ll.o u�p.

Wir haben Hotel 23 am Morgen des 9. ohne Zwischenfall

erreicht. Janice blieb über VHF-Funk mit uns in Verbindung und teilte uns johns und Williams Position mit, während die beiden den untoten Mob von unserem Landeplatz weglockten. Bevor wir sicher bei H23 landeten, habe ich Dean gesagt, sie solle nicht allzu viel von unserer Zuflucht erwarten, und dass wir nun (mit Annabelle) neun sind. Danny saß hinten und trug ein Headset. Es

war ihm zu groß, und ich fand es ziemlich erheiternd,

wie es fortwährend aufseinem Kopf herumrutschte, als

er fragte, wer Annabelle �ei. Ich erzählte ihm, dass wir

im Hotel 23 ein Hündchen haben, das Annabelle heißt

und auf kleine Jungs steht. Bei der Vorstellung, bald

etwas wirklich Liebenswertes berühren zu können und

sich keine »hässlichen Menschen«, wie er sie nennt,

mehr anschauen zu müssen, traten Danny Tränen in die

Augen.

Laura hielt ich als seine Überraschung zurück. Ich versuche mir seine Freude über eine gleichaltrige Spielgefährtin auszumalen. Auch wenn ich es nur alle Jubeljahre mal empfinde und der vertraute Geruch einer alten Kiste aus Zedernholz mit Andenken immer nur für Sekunden über mich kommt … Ich habe noch nicht vergessen, wie es ist, ein Zwölfjähriger zu sein.

5 6

lll. Ju�1

l.Lll1 u�p.

Wir haben heute eine Konferenz abgehalten. l.aura, Danny

und Annabelle haben ihr zwar keine Beachtung geschenkt,

aber zumindest daran teilgenommen. Während wir uns

unterhielten, spielten sie leise in einer Ecke. Dean sieht

schon viel besser aus. Ich habe sie über die jüngsten Ereignisse am Hotel 23 und die Banditen aufgeklärt und ihr erzählt, wer wir sind und wie wir zueinandergefunden haben.

Auch sie hatte ein paar Geschichten auf Lager. Wir erfuhren, wie Danny und sie überlebt und die Monate vor ihrer Gefangenschaft auf 1Charles’ Wasserturm• verbracht

hatten. Wir hörten, wie es den beiden in New Orleans ergangen war; dass sie die Warnung gehört hatten, laut der die Stadt ein Bombardierungsziel war. und dass sie sich

mit ihrer Maschine in die nächstgelegene sichere Zone

aufgemacht hatten. Sie hatten sie j edoch nie erreicht

und Monate damit verbracht, von einem Flugplatz zum

anderen zu fliegen und Proviant, Wasser und Treibstoff

zu organisieren, bis das Glück sie schließlich verließ.

57

Dean ist nun unsere Oma vom Dienst, die sich um die

Kinder kümmert und uns berät. Gestern war sie sogar

privat bei mir, um mir zu sagen, dass sie sehen kann,

dass Tara in mich verknallt ist. Ich weiß es zwar schon

seit einer ganzen Weile, doch war ich immer zu sehr mit

Überleben beschäftigt, um aus meinem Wissen etwas

zu machen. Dean fragte mich, welchen Sinn das Überleben hat, wenn man niemanden liebt, von dem man ebenfalls geliebt wird. Die Frage konnte ich nicht beantworten. Ich war für Gefühle nicht in Stimmung. Wir waren noch immer in ernsthaften Schwierigkeiten, und

meiner Ansicht nach hatte ich für Liebe und Romantik

keine Zeit.

Ich habe Dean gefragt, ob sie bei den Flügen von einem

Flugplatz zum anderen nie auf Überleb�nde gestoßen

ist. Daraufhin hat sie mir eine weitere grässliche Geschichte erzählt. Danny und sie hatten versucht, zwei Menschen zu retten, die ihnen von einem Feld aus gewunken hatten. Sie waren von Hunderten von Untoten umgeben gewesen, die sie aber selbst nicht sahen, weil

sie sich hinter einem Hügel befanden. Dean hatte versucht, die Leute zu warnen, doch es war bereits zu spät gewesen. Als sie kapierten, was um sie herum vor sich

ging, waren die Untoten schon auf der Hügelkuppe aufgetaucht. Deren schiere Anzahl hatte von den zwei Leuten nichts als sauber abgenagte Knochen übrig gelassen.

Dean hatte deswegen ein schlechtes Gewissen gehabt.

Sie hatte sich oft gefragt, ob die beiden nur auf dem Feld

gestanden hatten, um Danny und ihr ihre Anwesenheit

58

zu signalisieren. Ich versuchte sie zu trösten, indem ich

erwiderte, sie wären wahrscheinlich schon dort gewesen, als Dean das Feld zufällig im richtigen Augenblick überflog. Natürlich bestand auch die Möglichkeit, dass

die beiden ihr Versteck verlassen hatten, um ihren potenziellen Rettern zu winken, aber was hätte es gebracht, Dean mit diesem furchtbaren Gedanken zuzusetzen?

Ich bin in letzter Zeit recht gut in Schuss. Seit dem

Angriff der Banditen hat sich die Anzahl der unseren

Komplex belagernden Untaten stark reduziert. Im Kontrollraum habe ich ein Reck aufgebaut. Ich habe es aus Schrott gebastelt und mit Schnüren an Deckenbalken

aufgehängt.

John überwacht zwar ständig die Funkgeräte, hat aber

weder verschlüsselte Meldungen noch irgendwelchen

Tratsch gehört. Dean glaubt wohl, dass wir, solange wir

die Umgebung im Auge behalten, hier sicher sind. Ich

habe sie informiert, dass mehr als ein Einstieg in diesen

Komplex existiert. Habe mir vorgenommen, sie in den

nächsten Tagen durchs gesamte Hotel 23 zu führen. Sie

weiß übrigens auch mit Schusswaffen umzugehen, und

ich glaube, dass sie sich, wenn es sein muss, auch zu

wehren weiß. Sie ist zähes altes Mädel; Produkt einer altmodischen Erziehung. Ihren Mann hat sie Jahre vor dem Auftreten der Untaten verloren. Der Tod ist ihr nicht

fremd. Wandelnde Tote allerdings schon.

11. JUlJI

11.o(, u�s:r.

Das Globale Positionsbestimmungssystem hat den Abschied eingereicht. Ich bin mir zwar sicher, dass noch Satelliten um die Erde kreisen, aber ohne Einwirkung

der sie regelmäßig kalibrierenden Bodenstationen können sie nicht richtig senden, und ich bekomme keinen Empfangsmodus. Das interne DVD/GPS.Navigationssystem im Rover ist nutzlos. Weil wir kein GPS mehr haben, wollte ich unbedingt die Satellitentelefone testen. Sie

funktionierten gut. John und ich haben sie mit nach

oben genommen, und ich habe die Nummer des Geräts

gewählt, das john in der Hand hielt. Sie war an der Seite

auf einen Barcodestreifen gedruckt. Es klingelte. john

hat danach das Gleiche mit meinem Telefon gemacht.

Obwohl diese Dinger ein ausgezeichnetes Verständigungsmittel sind, sind sie nicht unbedingt zuverlässig. Das gilt übrigens auch für jede andere Form der Kommunikation, sofern sie auf die Mitwirkung komplizierter Drittmechanismen angewiesen ist.

Ich schlafe nun im Umweltkontrollraum, weil ich mein

Quartier an Danny und Dean abgetreten habe. Die neue

Unterkunft ist etwas kühler. Zwar gibt es hier jede Menge

andere Buden, unter denen ich wählen könnte, aber

ich bin halt gern in der Nähe der anderen. Es gibt hier

sogar einen ziemlich großen Schlafsaal mit Spinden

und Klappbetten. Ich nehme an, er sollte ursprünglich

dazu dienen, im Fall eines nuklearen Schlagabtausches

60

zivile Überlebende unterzubringen. Ich wünsche mir

nur, ich könnte neben dem allgemeinen Ziel. einfach

am Leben zu bleiben, auch irgendwas Nützliches und

Positives leisten.

Ich habe heute meine Brieftasche aus meinem persönlichen Kram gefischt und einen Blick auf meinen Truppenausweis geworfen. Der Mann, der da beschrieben wird, sieht mir überhaupt nicht ähnlich. Na schön, er hat mein

Gesicht, meinen Namen und meine Sozialversicherungsnummer, aber … Sein Blick ist ganz anders. Die Augen auf dem Foto schauen anders in die Welt als die des

Typen, den ich nun im Spiegel sehe. Ich werde den Ausweis behalten. Ich behalte ihn als Andenken an das, was ich mal war; ein Rädchen im Getriebe einer größeren

Sache. Es ist nun sechs Monate her, seit ich dem ersten

Untoten gegenüberstand. Es läuft mir noch immer kalt

den Rücken runter. Ver.mutlich wird sich daran nichts

ändern.

10. JUl.JI

13 .o� u�p.

Im Moment haben wir starken Regen. Das Wetter wirkt

sich sehr heftig auf unser internes Fernsehprogramm

aus. Es rauscht und führt zu Verlust an vertikalem Bildfang. Die Untoten in der Umgebung haben sich zwar ziemlich zerstreut, aber wenn es ordentlich blitzt, kann

man sie noch immer sehen. Über Funk kommt auch

61

nichts rein, was die Stimmung heben könnte. Da drau

ßen ist niemand mehr - zumindest nicht in unserer

Reichweite. Ich habe, um während des Gewitters die Zeit

totzuschlagen, das Tagebuch des Wächters durchgeblättert. Aufgrund der Ereignisse, die Hotel 23 in jüngster Vergangenheit in Atem hielten, hatte ich es völlig vergessen.

Als ich gestern Abend nochmal in meinem alten Quartier war, um meinen restlichen Kram zu holen, tauchte es wieder auf. Dean hatte meine Sachen in einen Pappkarton gepackt und bedankte sich, weil ich Danny und ihr meinen Raum überließ. Sie meinte, sie hätte mein

Tagebuch gefunden, aber nicht gewagt, einen Blick hinein zu werfen. Ich erklärte ihr, dass es nicht mein Tagebuch ist, sondern einem Mann gehörte, der hier früher stationiert war. Ich erklärte ihr, dass ich es für ihn aufbewahren wollte. Sie verstand, bändigte es mir aus und versuchte sich darüber klarzuwerden, ob sie etwas Falsches gesagt hatte.

Ich nahm das Tagebuch mit einem beruhigenden Lächeln an mich, warf es in den Karton und begab mich in meine neue Unterkunft im Kontrollraum. Erst heute

Nacht habe ich Captain Bakers Tagebuch wieder aufgeschlagen. Der 10. Januar ist mit einem Eselsohr markiert. Mir fiel ein, dass ich auf dieser Seite zuletzt geschmökert hatte. Ich blätterte weiter und las seinen Eintrag vom ll. januar.

62

II. )AUJAp.

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�,..p,A,..I!.� A�� PE”’ u�A z.Ä�o�L’f·

Ansonsten befand sich auf der Seite nur eine gekritzelte

Rakete, die durch die Luft über etwas hinweg zischte,

das die Vereinigten Staaten darstellen sollte.

1.3. JUlJI

l.ISO u�p.

Ich habe grässliche Kopfschmei”Zen. Normalerweise zwinge

ich mich, genug Wasser zu trinken, um nicht auszutrocknen, aber heute ist es mir einfach nicht gelungen. Ich habe Kopfschmerzen, weil ich zu wenig getrunken habe, aber auch noch so viel Wasser wird daran nichts ändern. Ich muss es ausbaden. Am Morgen des

21. sind John, William und ich rausgegangen, um die

Lage zu peilen. Statt in Richtung der Kreuze zu gehen,

haben wir uns nach Westen aufgemacht, in Richtung

einer kleinen Ortschaft namens Hallettsville. Da wir

leise sein und nicht entdeckt werden wollten, sind wir

nicht mit dem Land Rover gefahren. Es ist ja nicht auszuschließen, dass sich noch Banditen in der Gegend aufhalten.

64

Wir sind über Felder und brachliegendes Farmland

marschiert. Es ist mehr als sechs Monate her, seit sich

der letzte Mensch um das Land gekümmert hat, deswegen war es keine Überraschung, als wir über sie stolperten. Wir waren gerade mal wieder über einen Zaun auf ein anderes Stück verwildertes Farmland gehüpft, als

wir die Wächtersymbole amerikanischer Gier und Macht

sahen: das Gelände einer großen Raffinerie und die skelettartigen Kolosse riesiger Erdpumpen, die regungslos in der Landschaft hockten. Überall um sie herum spross

hohes Gras. Man sah deutlich, dass hier seit Monaten

alles tot war.

Ich schätze, die gute Nachricht für den zwar lebenden,

doch vernichteten Teil der Bevölkerung besteht darin,

dass unsere Ölvorräte nun noch einige Jahrtausende

lang reichen. Der schlechte Teil der Nachricht ist natürlich der, dass niemand mehr da ist, der sich in der Kunst versteht, aus Rohöl brauchbaren Treibstoff zu machen,

so dass es nun so nutzlos ist wie eine Schnurrbartbinde.

john und ich haben seitdem lange darüber diskutiert,

dass wir technische Handbücher für alles brauchen, von

Landwirtschaft über Medizin bis hin zu Dingen wie dem

Raffinieren von Rohöl. Die Informationen, die wir brauchen, stehen in zahllosen verlassenen Bibliotheken im ganzen Land. Sie zu finden und zum H23 zu bringen,

könnte sich allerdings als äußerst tödlich erweisen.

Als wir die zweite große Ölpumpe passierten, machte

ich noch eine makabre Entdeckung. Als die Welt im

Januar endete, haben die Pumpen wahrscheinlich noch

6 5

eine Weile gearbeitet. Es sieht aus, als hätte der Pendelarm der Pumpe einen dieser Scheißkerle zerquetscht und seinen unteren Torso in der Maschinerie festgehalten. Ich konnte nicht erkennen, ob er noch zuckte. Als ich an ihm vorbeiging, wollte ich auch nicht darüber

nachdenken. Allem Anschein nach hatten Vögel das ihrige zu der verrottenden Monstrosität beigetragen.

William musste sich zwingen, den Blick von der Kreatur abzuwenden. Wir gingen weiter und entdeckten keine Anzeichen von Leben. Unsere Taktik bestand darin, Gefahren zu umgehen, da wir keine Schalldampfer aufunsere Waffen geschraubt hatten. Wir wollten nur schie

ßen, wenn unser Leben in Gefahr war. Bevor wir uns

wieder auf den Heimweg machten, wichen wir auf dem

Feld drei Untoten aus. Sie waren ziemlich mobil, aber

noch immer zu langsam, um mit uns Schritt zu halten.

Sie würden uns aber garantiert verfolgen. Ich bezweifle,

dass es ihnen gelingt, über die vielen Zäune zu klettern,

die unser Gelände von den Ölfeldern trennen. john und

ich haben uns weiter darüber unterhalten, einige Handbücher auftreiben zu müssen, also werden wir in nächster Zeit wohl ein neues Unternehmen planen.

66

-

-

1._(, . Juut

1 ‘6 .5‘3 u�s:r.

Während der Routineüberwachung des Geländeparkplatzes bemerkten wir auf dem Weg dahinter Bewegungen. Es sah so aus, als handele es sich um einen leichten vierachsigen USMC-Panzerspähwagen. Es war nur einer.

Er fuhr mit hoher Geschwindigkeit parallel zu uns nach

Nordosten. Ich hätte gern eine Aufnahme des Fahrzeugs

gemacht, um sie später nach Möglichkeit zu vergrö

ßer,n und den Kanonier deutlicher erkennen zu können. Ich kann nur einen Schluss ziehen. Es handelt sich um einen Späher, der vorausgeschickt wurde, um dem

Führer seiner Einheit Bericht zu erstatten. Ich könnte

aber auch völlig falschliegen. Es könnte auch ein Deserteur sein, der mit seinem Fahrzeug das Land unsicher macht. Ich weiß nicht viel über Amphibienfahrzeuge

dieser Art. Ich habe bisher nur einmal eines gesehen.

Sie stecken Beschuss aus normalen Gewehren weg wie

nichts.

Es könnte ein letzter Überrest des Marinekorps in dieser Gegend sein. Wer weiß, ob sie noch zur Verfassung 67

stehen? Stünde ich noch zu ihr, würde ich dies hier nicht

schreiben.

Nach der Sichtung des amphibischen Panzerspähwagens waren Dean und ich mit den Kindern ein paar Stunden lang zum Spielen oben. Ich habe ihr von meinem Plan erzählt, mich mitjohn einem Stadtrand zu nähern,

um einige überlebenswichtige technische Handbücher

zu ergattern. Sie hält es wohl für eine gute Idee. Sie hat

allerdings auch gesagt, dass sie bereits von meinem Vorhaben wusste. Tara hat ihr nach einem Gespräch mit john davon erzählt. Tara hält unseren Plan wohl für ziemlich verrückt. Mir gegenüber hat sie ihre Gefühle zwar noch nicht geäußert, aber mit Dean kann sie anscheinend

über alles reden. Dean hat mich gewarnt: Tara könnte es

mir verübeln, wenn ich die Sicherheit des Stützpunkts

wegen so trivialer Dinge wie Bücher verlasse. Nach Sichtung des Militärfahrzeugs heute Morgen weiß ich nicht mehr genau, was ich machen soll. lch weiß nur, dass wir

ganz sicher medizinische Handbücher brauchen, denn

zu uns gehören zwei Kinder und eine ältere Dame. Ich

bin kein Mediziner. janice kommt einer solchen Fachkraft noch am nächsten.

68

Gestern Abend fing alles an. Es begann als simples Funkgebrabbel. In der Nacht kam dann mehr. Ich hörte eine aufgeregte Stimme. Das Knallen automatischer Waffen

überlagerte sie. Ich verstand nur einzelne Worte. Bei Einbruch der Dunkelheit verstummte es. In der Nacht, als john Wache schob, ging es wieder los. Es war 23.00 Uhr.

Die Häufigkeit des Geballers und seine Lautstärke hatten nachgelassen. Ich fühlte mich an Popcorn in der Mikrowelle erinnert - in der abnehmenden Knallphase.

Die Stimme identifizierte sich als Lance Corpora! Rarnirez vorn 1. Bataillon der 23. Marines.

Rarnirez und seine Truppe saßen nicht nur voll in der

Scheiße, sondern in ihrer Karre auch in der Falle. Laut

ihm hatte er sechs Seelen an Bord. Ihr Fahrzeug hatte

eine mechanische Fehlfunktion erlitten, und jetzt waren

sie mitten in einem Meer von Untaten gestrandet. Im

Hintergrund schrie jemand, aber ich konnte nicht ausmachen, ob jemand verletzt war oder einfach nur durchdrehte. Diese Marines waren höchstwahrscheinlich mit der Einheit identisch, die gestern an unserem Stützpunkt

vorbeigedüst war.

john rief mich an dieser Stelle in den Kontrollraurn, so

dass ich beschloss, mit den Marines Kontakt aufzunehmen.

Ich schaltete das Mikrofon ein und sagte ganz ruhig und

gelassen: »An die Marineeinheit, die das Notsignal sendet … Übermitteln Sie Längen- und Breitengrad. Ende.c 69

Nach einigen Sekunden statischen Rauschens erhielten wir die Antwort. »Unidentifizierte Station, wir brauchen dringend Unterstützung und müssen abgeschleppt werden. Bitte, wiederholen Sie … Ende.«

Ich wiederholte meine Frage viermal, erst dann übermittelte der Funker die gewünschten Daten. ,sendestation, unsere Position müsste N29-52, W097-ü2 sein. Wir empfangen Sie sehr schwach und wirklich kaum verständlich. Wir haben keine Munition mehr für unsere schweren Waffen. Die Luke unseres Fahrzeugs ist geschlossen.

Die Lage ist verheerend. Bitte, stehen Sie uns bei.«

Ich hatte wirklich keine Wahl. Ich konnte die Leute

nicht im Regen stehen lassen. Zwar konnten die Untaten nicht zu ihnen rein, aber die Marines konnten nicht raus.

Ich markierte die Position auf der Landkarte, dann

nahmen john, William und ich eiligst Vorbereitungen

in Angriff. Wir gingen in dieser Nacht so früh wie möglich raus, um den Vorteil der Dunkelheit zu nutzen.

Ich griff mir ein tragbares Kurzwellen-HF-Funkgerät, die

M-16 mit dem M-203-Granatwerfer, meine Glock und das

NSG. Ich zeigte meinen Freunden auf der Karte, wohin

wir fahren würden. William schlug vor, einen Geigerzähler mitzunehmen. Ich war einverstanden. Bevor wir gingen, bat ich john, mir zu helfen, meine Schulterklappen abzuschneiden. Ich konnte nicht riskieren, dass die Männer erfuhren, dass ich Soldat bin (oder war). Außerdem packten wir für den Fall, dass wir sie mitnehmen mussten, mehrere Kopfkissenbezüge ein.

70

Wer nachts mit einem Nachtsichtgerät ein Flugzeug

landen kann, kann wohl auch einen Land Rover steuern.

Das einzige Problem, dem ich mich gegenübersah, bestand darin, dass ich, um nicht stecken zu bleiben, mich auf dem Asphalt halten musste. Das Fahrzeug war zwar

tauglich für Geländefahrten, aber im Gegensatz zu dem

Ding, in dem die Marines festsaßen, war es nicht dazu

gebaut, den Fäusten und blutigen Stümpfen von Untatenscharen standzuhalten, falls es liegen blieb.

Um 0.30 Uhr traten wir ins Freie und eilten zu unserem nordwestlich gelegenen Treffpunkt. Beim Verlassen des Geländes griff ich an meine linke Schulter und riss

die mit einem Klettverschluss an meiner Jacke befestigte os-Flagge ab. Auch jetzt wollte ich das Risiko nicht eingehen, erkannt und für eine fruchtlose (oder noch

schlimmere) Sache in den aktiven Dienst gezwungen zu

werden - oder gar in den Knast zu wandern. Mit dem Beschluss, meine Einheit zu verlassen und· zu überleben, hatte ich mein Schicksal selbst besiegelt. Außer mir lebt

wahrscheinlich keiner mehr. Ein Sieg über unseren Gegner war unmöglich. Wir konnten ihn nur aussitzen.

Laut Landkarte lagen vor uns etwa fünfzig Kilometer

gefährliches Gelände.

Laut den mir übermittelten Informationen hielten

sich die Soldaten etwa zwölf Kilometer westlich von La

Grange, Texas, auf. Auch diesmal besagte die Karte, dass

es nur ein kleines Örtchen war. Die Marineinfanteristen

waren kaum einen Kilometer vom Colorado River entfernt. Das Gebiet lag rein technisch gesehen tief in der 7 1

verstrahlten Zone und außerdem näher an einem radioaktiven Niederschlagsgebiet als alle Gegenden, die ich seit der Rettung der Grishams betreten hatte. Dies sorgte

mich, denn mir fielen die Funksprüche des Abgeordneten aus Louisiana vom letzten März ein. Es war durchaus möglich, dass wir uns in die Höhle des Löwen begaben.

Wir hatten aus Louisiana nichts mehr gehört, und ich

hatte mich seither oft gefragt, was dort passiert war.

Hatten die von dem Abgeordneten in Marsch gesetzten

Kundschafter nur eine Legion verstrahlter Untoter zu

ihrer Stellung gelockt?

Bis zur 1-10 hatten wir keine Schwierigkeiten.

Natürlich war auch diese Landstraße ein Kriegsschauplatz. Auf dem Mittelstreifen spross hohes Gras. Hinter dem Grünzeug hätte sich ein ganzes Heer verbergen

können. All dies erzeugte in mir ein Gefühl der Unwirklichkeit und verdeutlichte mir, wie schnell alles den Bach runtergehen konnte, wenn der Mensch sich nicht

um alles kümmerte. An der Auffahrt zur 71 North stie

ßen wir auf eine von vier Vehikeln erzeugte Massenkarambolage. Es gab keine Möglichkeit, den Trümmerhaufen zu umfahren, denn eine hohe Betonmauer hatte den Schrott zwischen Scylla und Charybdis gequetscht. Wir

hatten keine andere Wahl. Wir mussten eins der Fahrzeugwracks mit dem Land Rover beiseite ziehen. Einige Wochen zuvor hatten wir aus den Heck- und Bremsleuchten alle Birnen entfernt. Bei ausgeschalteten Scheinwerfern gaben wir, so fest man auch auf die Bremse latschte, kein Licht mehr ab. Wir hatten ebenfalls die Blinker-72

birnen ausgebaut; konnte ja sein, dass einer von uns sie

beim Abbiegen aus Gewohnheit bediente.

Natürlich … mit menschlichem Versagen musste man

auch in einer untoten Welt immer noch rechnen. john und

William stiegen aus, um die Kette an einer der Schrottkarren zu befestigen. Ich sah durch mein NSG, dass William mir signalisierte, zurückzufahren. Bei der körnigen grünen Bildauflösung konnte ich nicht über ihn undjohn

hinweg bis in die Finsternis der hinter ihnen liegenden

Auffahrt sehen. Ich legte den Rückwärtsgang ein … Auf

der Stelle erzeugte das Licht der Rück- und Seitenspiegel ein starkes Schneegestöber in den Sichtgläsern. Scr sehr wir auch in die Einzelheiten gegangen waren, wir

hatten die Birne übersehen, die aufleuchtet, wenn man

rückwärtsfährt. Das Licht war so hell wie ein Phönix. Ich

riss mir das NSG vom Kopf und prüfte erneut die Spiegel.

Hinter meinen Freunden bewegte sich etwas.

Ich bezog Stellung, schaltete schnell in den Leerlauf

und zog die Handbremse. Ich rief john und William

zu, sie sollten die Kette fallen lassen und wieder einsteigen. Da ich als Einziger im Dunkeln etwas sah, war es nur logisch, dass ich deijenige war, der das sichtete, was

sich als Reaktion aufunser Licht in Bewegung setzte.

Als ich im Begriff war, das NSG wieder aufzusetzen,

hörte ich, dass john und William die Kette fallen ließen.

Ich vernahm ihre klatschenden Schritte und ein etwas

weiter entferntes Geräusch.

Ich verließ den Wagen und schob die Tür nur so weit

zu, dass sie nicht ins Schloss fiel. In der Hoffnung, durch

7‘3

das NSG die vertraute Reflektion der lebendigen Augen

eines Tiers zu sehen, trat ich vor.

Der Leichnam eines Monteurs oder Bauarbeiters kam

hinter einem Unfallwagen hervor. An seinem Ledergürtel baumelte ein Hammer. Sein restliches Werkzeug hatte er vermutlich verloren. Er sah noch nicht allzu schlimm

aus. Da er mich nicht sehen konnte und keinen Weg

durch den Trümmerhaufen fand, stand er einfach nur

da und versuchte zu erfassen, wo ich war.

Sein Haar war nicht sehr lang. Er wies kaum Gesichtsbehaarung auf. Im Allgemeinen gilt ja der Mythos, dass das Haar und die Nägel von Verstorbenen im Grab weiter

wachsen. Das ist natürlich Unsinn. Aus dem Tod kann

nichts erwachsen …

Es sei denn, man zählt den Hunger der Untoten mit.

Ich war mir nicht sicher, aber angesichts des Werkzeuggürtels, den kurzen Haaren und dem fast glattrasierten Kinn gehörte der Mann zu denen, die vor einem halben Jahr zuerst dran hatten glauben müssen.

Abgesehen von einem dicken Fleischbatzen, der an

seiner Schulter fehlte, war er sehr gut erhalten. Als

ich ihn mir näher ansah, bemerkte ich, dass an dem

Tischlerhammer Haut und Haare klebten. Wahrscheinlich hatte er den Untoten, der ihn gebissen hatte, mit dem an seinem Gürtel baumelnden Werkzeug getötet.

Da der Bursche sich nicht rührte und keine unmittelbare Gefahr darstellte, kehrte ich zum Wagen zurück und schnappte mir den Geigerzähler. Ich hatte einige

Zeit damit verbracht, Gebrauchsanweisungen zu lesen,

74

seit meine neueste Unterkunft der Umwelt- und Instrumentenraum von Hotel 23 war. Ich wusste alles über die Grenzen von MCU-2P-Gasmasken und chemischer, biologischer und radiologischer Schutzkleidung. Dem Studium des Geigerzähler-Einsatzes hatte ich sogar eine ganze Nacht gewidmet.

Ich schaltete das Gerät ein und schob mir den Stöpsel

ins Ohr. Nachdem ich ihm genügend Aufwärmzeit gegeben hatte, richtete ich das Gerät aufjohn. Es zeigte einen normalen Strahlungswert an. Das statische Klicken in

meinem Ohr war regellos. Als ich mich dem Trümmerhaufen näherte, wurde das Klicken schneller. Da wir uns innerhalb der heißen Zone befanden, wusste ich,

dass die Fahrzeuge einiges an Strahlung abbekommen

hatten. Solange man nicht über längere Zeit hinweg in

ihnen saß, war das Strahlungsniveau aber tolerierbar.

Ich schob das Gerät über die kaputte Motorhaube eines

Fahrzeugs, um zu prüfen, inwiefern der Untote strahlte.

Das, was ich hörte, erinnerte mich an das Schnurren

eines alten Einwahlmodems. Die wandelnde Leiche war

so heiß, dass es gefährlich war, sich ihr zu nähern. Ein

Blick auf die Messskala: 400 Röntgen. Ich war nicht darauf aus, mich von dem Ding umarmen zu lassen. Beim Zurückziehen meiner Hand muss der Untote wohl Witterung aufgenommen haben, denn er warf sich mit aller Kraft gegen den Wagen, so dass dieser auf den Stoßdämpfern wackelte. Im Gegensatz zu jeder anderen mir bis dahin begegneten Leiche zuckte er unberechenbar

hin und her. Ich ging seitlich an dem Wagen entlang

75

und konnte einen Blick auf die Füße meines GegenüberS

werfen. Seine Stiefel waren so gut wie abgelatscht. Vermutlich war er seit Monaten in ihnen auf Achse. Die Sohlen waren verschwunden und seine entstellten Füße

unter den Lederfetzen und um die Knöchel baumelnden

Schnürriemen sichtbar.

Das Ding war sichtlich aufgeregt - möglicherweise

aufgrund meiner Anwesenheit. Es bewegte sich wie ein

Spielzeugroboter vor und zurück. Hin und wieder bumste

es gegen die Trümmer, dann drehte es sich um und versuchte es an einer anderen Stelle. Wenn es weiterhin so verfuhr, würde es den Wrackhaufen zweifellos irgendwann umrunden. Da es in radioaktiver Strahlung ersoff, konnte ich mir keinen Kontakt mit ihm leisten. Ich hob

die Kette auf, ohne die Roboterleiche aus den Augen

zu lassen. Ich befestigte sie an der Achse des Fahrzeugs,

das wir beiseiteziehen wollten. Dann schlich ich lautlos

zum Land Rover zurück und stieg ein. Ich sagte John

und William, wie heiß es draußen war. Ich wollte den

Wagen zur Seite ziehen, die Kette wieder lösen und abhauen, ohne mich mit dem Untaten anzulegen. Ich legte den Gang ein und fuhr langsam vor. Ich spürte, dass die

Kette sich spannte, bis sie stramm war. Ich gab etwas

mehr Gas und merkte, dass der Wagen nachgab. Ich fuhr

etwa fünfzig Meter weit, dann stieg ich aus, um meinen

Plan auszuführen.

Im Freien richtete ich den Blick dorthin, wo der Wagen

zuvor gewesen war. Der Untote folgte uns. Er machte

einen Versuch zu laufen, doch anscheinend mangelte es

76

ihm an Koordination. Er fiel, stand wieder auf und ging

weiter. Er hatte zwar keine Ahnung, wohin er ging, aber

wie der Teufel es wollte, latschte er genau auf unseren

Land Rover zu. Ich löste zügig die Kette, öffnete die Hecktür und warf sie hinein. Ich hörte William fluchen, als das über vierzig Pfund schwere Ding seine Beine traf. Als

ich wieder im Wagen saß und die Türen verschloss, hörte

ich den Untoten von der Heckscheibe abprallen. Ich gab

Gas, wendete den Land Rover und bretterte durch die

Lücke, die wir im Trümmerhaufen erzeugt hatten. Im

Rückspiegel sah ich, dass der Untote, vom Motorenlärm

angelockt, den schwerfalligen Versuch unternahm, die

Verfolgung aufzunehmen.

Ich mache mir nichts vor. Ich überlegte einen kurzen Augenblick, ob es nicht besser sei, das Unternehmen abzubrechen und nach Hause zu fahren. Was konnten

wir drei schon gegen ein Heer verstrahlter Toter ausrichten?

Wir waren unserem Ziel nun näher. William versuchte

Funkkontakt herzustellen. Er schaltete das Mikro ein

und rief nach den Soldaten. Wir hörten nichts, aber

das Gerät war auch weniger leistungsfci.hig als das im

Hotel 23. Die Männer konnten noch am Leben sein. Ich

stellte mir vor, wie mir in ihrer Lage wohl zumute wäre.

Danach vergaß ich den Gedanken, das Unternehmen abzubrechen.

Wenige Minuten nach Williams erstem Versuch kam

Antwort. Auch diesmal identifizierte sich der Lance Corporal mit Namen und Einheit. Ich fuhr an den Stra-77

ßenrand und ließ mir von William das Mikro geben. Ich

fragte Ramirez, ob er seine Position aktualisieren wolle

und ob sein Fahrzeug mit irgendwelchen Handfeuerwaffen ausgerüstet sei. Er erwiderte, ihre Position hätte sich nicht geändert, und sie wären alle gut bewaffnet und

hätten auch genügend Munition und Handfeuerwaffen.

Allerdings wäre es unmöglich, aus dem Fahrzeug heraus

gezielt zu schießen, ohne die Deckenluke zu öffnen. Er

meldete auch, dass sie keine Munition mehr für das Bord

MG besaßen und dass sie die Luke aus diesem Grund

hatten schließen müssen. Ich fragte ihn, wie viele Untote

sich an seinem Standort aufhielten. Nach einer Pause

(ich hatte den Eindruck, er wollte es lieber nicht sagen),

informierte er mich, dass er Marineinfanterist wäre und

nicht so weit zählen könnte. »Dann sind es also Hunderte, Corporal?«, fragte ich.

•Ja, Sire, erwiderte er.

john und William stießen laute Verwünschungen aus

und schüttelten angesichts dessen, was sie sich auf den

Hals geladen hatten, den Kopf. Es würde ernst werden.

Wir fuhren nur drei Kilometer weit über die 1-10. Auf

der 71 fuhren wir nach Norden raus und düsten auf die

Marines zu. Die einzige Taktik, die wir vielleicht anwenden konnten, war die, die ich schon bei den Grishams angewendet und auch bei den Banditen gesehen hatte.

Wir mussten die Untoten von dem havarierten Fahrzeug

fortlocken. Unter Beibehaltung des Funkkontakts bemühte ich mich um einen lockeren Tonfall, um die Männer von dem, was sie unmittelbar umgab, ein bisschen 78

abzulenken. Ramirez informierte mich, dass sie vom Highway aus zum Fluss abgebogen waren, da die schiere Masse der Untoten auf der Straße zu aufdringlich gewesen war.

In Flussnähe hatte ihr Fahrzeug dann einen mechanischen Schaden davongetragen. Sie hatten versuchen wollen. mittels der amphibischen Fähigkeiten des Panzerspähwagens den Fluss zu überqueren, um den Untoten zu entkommen.

Es war übrigens nicht das Funkfeuer des Lance Corporals, das mich befähigte, die Männer überhaupt zu finden, sondern das unüberhörbare Stöhnen der Toten.

Ich verkündete, dass ich versuchen wollte, die Masse

der Belagerer mit der Hupe und dem Lärm unseres Fahrzeugs fortzulocken. Wir machten einen Sammelpunkt aus, und ich riet den Soldaten, aus dem Panzerspähwagen abzuhauen und zum Highway 71 zu rennen, und zwar genau dorthin. wo sie von der Straße abgebogen

waren. Sie waren einverstanden. Nach einem stummen

Gebet meinerseits fragte ich john und William, ob sie

bereit seien. Ich gab ihnen jedoch keine Zeit für eine

Antwort, sondern trat aufs Gas und raste auf den die gestrandeten Marineinfanteristen umgebenden Untoten

Belagerungsring zu.

Der Boden war schon mit jenen Leichen gepflastert,

die das Bord-MG des Panzerspähwagens angehäuft hatte.

Als ich noch etwa hundert Meter von den Belagerem

entfernt war, drehte ich die Scheibe runter und eröffnete das Feuer. john und William luden meine Waffen nach. Der Blitzdämpfer passte das Ucht meinen Augen-79

gläsern an, aber es war fast vorteilhafter, einfach nur

das Mündungsfeuer zu nutzen, um mein Ziel zu sehen.

Ich feuerte volles Rohr auf die Untoten.

Als ich um die zwanzig Gestalten von den Beinen geholt hatte, musste ich einen Ortswechsel vornehmen und fuhr hundert Meter weiter. William reichte mir ein

neues Magazin; ich zog das leere raus, gab es john und

schob das neue rein. Die Untoten kamen schnell näher,

denn das laute Knallen und die Mündungsblitze meines

Gewehrs zogen sie an. Wie der untote Bauarbeiter, dem

wir aus dem Weg gegangen waren, näherten sie sich uns

mit ruckartigen ungleichmäßigen Bewegungen. So, wie

sie aufuns zukamen, erinnerten sie an eine Polizeitruppe,

die eine Leiche suchte. Ironischer Weise war es umgekehrt. Die Leichen suchten nach Lebenden.

Ich schoss fortwährend und bewegte dabei den Wagen.

John und William versorgten mich ständig mit vollen

Magazinen. Nachdem wir unseren Standort zum vierten

Mal gewechselt hatten und ich wieder das Feuer eröffnete, sah ich Bewegung auf dem Dach des Panzerspähwagens. Ich hielt kurz inne, um meine Augen daran zu gewöhnen. Die Marineinfanteristen nutzten die Gelegenheit zur Flucht. Exakt wie geplant rannte der Trupp dorthin, wo wir ihn auflesen wollten. Ich leerte das

sechste Magazin auf die Meute, dann übergab ich William das inzwischen ziemlich heiße Eisen. Ich betätigte die Hupe und lockte die Untoten noch ein Stück weiter

von den Soldaten fort. Dann drückte ich auf die Tube

und raste zum Treffpunkt.

80

Die sechs Männer gingen in Verteidigungsstellung und

streckten ihre Waffen in die Finsternis hinaus. Sie waren

uniformiert und trugen Splitterschutzwesten und Stahlhelme.

Ich fuhr die Scheibe runter und riefihnen zu, dass sie

einsteigen sollten. Aus Höflichkeit schloss ich die Augen

und schaltete die Fahrgastraurn-Beleuchtung ein, damit

sie uns sehen konnten. Sie sprangen in den Land Rover.

Drei Mann mussten ganz hinten Platz nehmen, aber ich

bin mir sicher, dass sie nichts dagegen hatten. Wir rasten zur 1-10 zurück, dann in Richtung Hotel. Die Marineinfanteristen bedankten sich aufrichtig bei uns allen für die Rettung ihrer Leben.

Auf der Rückfahrt bat ich john, die Männer mit dem

Geigerzähler zu überprüfen, um zu sehen, ob sie in Ordnung waren. Wie sich ergab, hatten sie von der schieren Masse der Untoten ein wenig Umgebungsstrahlung a}}.

sorbiert, aber es war nicht schlimm.

Kurz vor der Stelle, an der wir den Unfallwagen von

der Fahrbahn gezogen hatten, hielt ich an. Ich drehte

mich um und fragte nach dem Gruppenführer. Ramirez

sagte, er leite den Trupp.

Ich sagte, für jemanden, der einen Spähtrupp an den

Arsch der Welt zu führen hätte, wäre sein Rang ja nicht

besonders hoch. Seine verschämte Antwort: 1Da müssen

Sie erst mal unseren kommandierenden Offizier sehen.«

Einer seiner Leute gab ihm mit dem Ellbogen zu verstehen, die Klappe zu halten. Dies war der Augenblick, in dem ich glaubte, dass es an der Zeit war, die Regeln

8 1

zu verkünden. »l..ance Corpora! Ramirez«, sagte ich, »ich

kann Sie an einen Ort bringen, an dem es Wasser, Nahrung und einen Schlafplatz gibt, aber dort müssen Sie tun, was ich sage. Sie werden keine Gefangenen sein

und können jederzeit wieder gehen.«

Im Rückspiegel sah ich Ramirez nicken. Er war bereit,

mir zuzuhören.

»Sie müssen Ihre Waffen abgeben und sich einverstanden erklären, dass wir Ihren Kopf verhüllen, bis wir in unserem Zuhause sind und weitere Beschlüsse fassen

können.«

Ramirez wies seine Kameraden nach kurzem Zögern

an, meinem Wunsch zu entsprechen.

john konfiszierte ihre Waffen und lagerte sie vorn bei

uns ein. William durchsuchte die Männer nach Handfeuerwaffen. Ich wies William an, ihnen die Messer zu lassen. Mit sechs Marineinfanteristen an Bord, die alle

einen Kissenbezug über dem Kopf trugen, raste ich los.

Hinter dem Ort der Massenkarambolage sah ich keine

Spur mehr von der radioaktiven Bauarbeiterleiche.

Die Rückfahrt zum Hotel 23 dauerte nicht lange.

Als wir aufs Gelände fuhren, leuchteten die Infrarotlämpchen der Außenkameras hell in unsere Richtung.

Die Frauen erwarteten uns. Wir stellten den Wagen ab

und führten die Soldaten durch den Zaun und die Treppe

hinab ins Großraumquartier. Dort verkündete ich, sie

sollten die Kissenbezüge nun abnehmen. Wir entnahmen ihren Waffen die Magazine und gaben sie ihnen gesichert zurück. Ich verdeutlichte ihnen, dass sie die

82

Munition zurückbekämen, wenn sie uns verlassen wollten. Es war spät. Ich zeigte ihnen, wo die Feldbetten und Decken lagerten. Ich informierte sie, dass sie sich in einem

sicheren unterirdischen Bunker befanden; dass sie beruhigt schlafen konnten und wir am nächsten Tag über alles weitere sprechen konnten.

Heute Morgen kam der Lance Corpora! in aller Frühe

an meine Tür, um mit mir zu reden. Er wollte mir zwar

nicht verraten, wo seine Einheit stationiert war, aber er

sagte, dass nicht mehr viel von ihr übrig sei. Ich erwiderte, er könne gern unsere Funkgeräte benutzen, um mit seinem kommandierenden Offizier Verbindung aufzunehmen. Natürlich konnte ich nicht zulassen, dass er erfuhr, wo wir waren. Ich machte den Vorschlag, er solle

noch einen Tag bleiben, sich alles gut überlegen und

erst mal etwas essen und trinken, bevor er den Beschluss

fasste, ob er mit seinen Leuten wieder gehen wollte. Die

Namen der anderen Marines wurden mir nur insofern

bekannt, als dass sie auf ihren Brusttaschen standen.

Im Moment spielen sie im Schlafsaal Karten. Ich habe

jemanden sagen hören, wie schön es hier im Vergleich

mit ihrer eigenen Basis ist. Ist von unserem Militär überhaupt noch etwas übrig? Irgendwie würde ich den Männern gern sagen, wer ich bin.

1. JuLI

tt.ut. u�P-

Corporal Ramirez und die fünf anderen Männer sind

heute Morgen abgereist. Ich habe gestern Abend mehrere Stunden lang mit ihnen geredet. Sie sind alle noch sehr jung und heißen Ramirez, Williams, Bourbonnais,

Collins, Akers und Mull. Nach Vornamen habe ich nicht

gefragt; es hätte uns ja auch nichts gebracht. Als ich

mich nach ihrem kommandierenden Offizier und der

Lage ihrer Basis erkundigte, haben sie jeden Kommentar

abgelehnt. Ramirez führte dazu an, wir wären ja auch

nicht bereit, die Lage unseres Stützpunkts preiszugeben.

Dagegen konnte ich nichts einwenden. Er hatte Recht.

Ich fragte Ramirez, wie es um die Regierung der USA

stünde und ob von ihr noch etwas übrig sei. Seine Antwort: Den letzten regierungsamtlichen Befehl von ganz oben hatte seine Einheit Anfang Februar erhalten. Ramirez glaubt nicht, dass wir noch irgendeine Art von Zivilregierung haben. Er hat Gerüchte gehört, laut denen die unterirdische Zuflucht des Präsidenten von innen

infiziert wurde. Dies erklärt vielleicht den letzten Funkspruch der First Lady nach dem Tod des Präsidenten.

Ich fragte ihn, wie eine so große Einheit wie die seine

so lange an der Oberfläche hatte überleben können.

Ramirez schmunzelte nur und sagte: »Tja, wir sind halt

Marineinfanteristen; da ist das Überleben eingebaut.c

Natürlich merkte er, dass meine Frage eine Fangfrage

war und ich lediglich herauskriegen wollte, wie groß

84

seine Einheit war. Er war jung, aber nicht blöd. Heute

Morgen gegen 10.30 Uhr sind John und ich mit den Männem in zwei Fahrzeugen aufgebrochen. Wir haben ihnen erneut Kissenbezüge übergestülpt und sie zum Land Rover

gebracht. John fuhr mit dem Bronco hinter uns. Wir

sind im Kreis gefahren und haben unser Bestes getan,

um die Sinne unserer Passagiere zu verwirren. Ich bin

mir zwar ziemlich sicher, dass wir es mit ehrlichen Kerlen zu tun haben, aber was weiß ich schon über ihren Kommandanten?

Es dauerte nicht lange, bis wir übereinkamen, sie an

einem Ort abzusetzen, von dem aus sie problemlos ihren

Weg finden konnten. Dort angekommen nahmen wir ihnen die Kissenbezüge ab und gaben die Magazine ihrer Schusswaffen zurück. John ließ den Motor des Bronco

laufen. Wir verabschiedeten uns voneinander, dann begaben sich die Soldaten zum Bronco.

Einer der jüngsten Marineinfanteristen drehte die

Scheibe runter und sagte: »Danke für die Gastfreundschaft, Sir.«

So wie er das Sir betonte, hatte ich das Gefühl, dass er

etwas ahnte. Vielleicht lag es aber auch nur an meiner

Paranoia oder an meinem schlechten Gewissen. Die restlichen Soldaten folgten dem Beispiel des jungen Mannes, und ich hätte schwören können, dass Ramirez salutierte, bevor er aufs Gaspedal trat und in der Leere des Untoten-ödlands verschwand.

85

: Jupiterlampe /

S. Juu

tt.ICJ u�sa.

Im Hotel 23 war viel los. Einen Tag nach der Abreise der

Marineinfanteristen hörten wir Geplapper auf UHF. Am

Morgen des dritten Tages fingen wir einen aus Panzerspähwagen und Humvees bestehenden Konvoi auf. Er war in die gleiche Richtung unterwegs wie Ramirez, bevor

wir ihn gerettet hatten.

Ich weiß nicht, was ich davon halten soll. Will man

den havarierten Panzerspähwagen bergen? Er ist ja ziemlich wertvoll und in einer Welt wie der unseren unersetzlich. Auch ich habe schon mehrmals daran gedacht, ihn für uns an Land zu ziehen. Aber wir mussten den Gedanken aufgeben. Das Fahrzeug wiegt Tonnen,

und es wäre unmöglich, sich mit dem Land Rover bis

zu seinem Standort durchzuschlagen, die Kette anzubringen und es in einem niedrigen Gang hierherzuschleppen. Die Marines können es schaffen. So wie der Militärkonvoi aussah, verfügten sie über einige drehmomentstarke Fahrzeuge, mit denen man es bewerkstelligen könnte.

86

Im Funkgerät ist viel los, aber was übermittelt wird,

ist stimmlos. Die Geräusche klingen wie ein altes Einwahlmodem, das Verbindung aufzunehmen versucht.

Ich bin mir ziemlich sicher, dass mit Verschlüsselung gearbeitet wird. Würde ich auch machen, wenn ich die Möglichkeit dazu hätte.

b. JuLI

10.11 u�p.

Wir sichten fortwährend Teile des Konvois, die durch

unsere Gegend fahren. Suchen sie etwas? Ich hoffe, Ramirez und die anderen haben ihren Stützpunkt erreicht.

Was eins von zwei Dingen ist, die man aus dem Aktionismus in unserer Gegend schließen kann. Entweder sucht man sie oder uns.

Haben gerade einen militärischen Funkspruch erhalten. Man ruft die Zivilisten in dem unterirdischen Stützpunkt, die die Marines gerettet haben. Immerhin wissen wir jetzt, dass sie wieder daheim sind. Man teilt uns mit, dass der kommandierende Offizier ihrer Einheit

um ein Zusammentreffen mit dem Mann im grünen

Overall bittet. Wir haben den Funkspruch nicht beant-

87

wortet, aber ich wette, dass sie ihn alle paar Kilometer

senden, um rauszukriegen, ob wir ihn empfangen. Ich

bin bezüglich der Absichten dieser Leute sehr beunruhigt, da ihre Antworten, als ich um Informationen bat, doch sehr kryptisch ausfielen. Ich weiß wirklich nicht,

mit wem wir es zu tun haben, aber ich bin mir sicher,

dass sie früher oder später auf die Idee kommen werden, dass es sich vielleicht auszahlt, das umzäunte Gelände zu überprüfen, an dem sie so oft vorbeifahren …

Hotel 23.

1 1 . Juu

11 .11 u�P.

Das Militär ist noch immer in unserer Gegend. Aus den

bisher über ungeschützte Funkverbindungen gesammelten Informationen können wir wohl davon ausgehen, dass sie hier einen Außenposten installiert haben, um

uns zu finden. Sie haben ihre Botschaft an uns aufgezeichnet und senden sie auf den meisten Frequenzen, sogar auf der Notfrequenz. Wir haben uns vor ein paar

Tagen zusammengesetzt und beschlossen, dass es für

uns das Beste ist, dem Militär aus dem Weg zu gehen

und uns nicht zu zeigen. Man könnte uns leicht aufspüren. Ich bin mir sicher, dass sie mit der gleichen Taktik wie die Banditen hier bei uns eindringen können. Wenn

sie keine Schneidbrenner besitzen, würden sie sich einfach einen Weg hinein sprengen.

88

Die Zahl der Untaten an der vorderen Sicherheitstür

nimmt allmählich wieder zu. Vor einer Woche waren es

nur zehn bis fünfzehn. Jetzt hängen mehrere Dutzend

vor dem Komplex an der schweren Stahltür herum. Nachts

schalten wir den Infrarot-Modus der Nachtsichtgeräte

aus, um die Möglichkeit zu verringern, dass das Militär

den infraroten Kamerastrahl mit eigenen Nachtsichtgeräten entdeckt. Dies hat uns gezwungen, sämtliche Aktivitäten von Lebewesen im Wärmemodus zu überwachen.

Ohne diese Möglichkeit hätten wir die kleine Militäreinheit nicht gesehen, die gestern Nacht etwa vierhundert Meter vor unserem Stützpunkt vorbeiging. Sie kommen

uns zwar näher, aber aus irgendeinem Grund sind sie

noch nicht über den Maschendrahtzaun und das offene

Raketensilo gestolpert, die Hotel 23 kennzeichnen. Irgendwas in meinem Hinterkopf sagt mir, dass sie längst wissen, was das hier für ein Ort ist und sie die Umgebung nur ausspionieren, um unsere Achillesferse aufzuspüren.

Normalerweise überwacht john nachts nur wenige

UHF-Frequenzen. Er grast sie in willkürlicher Folge ab,

so dass er vielleicht Funksprüche aufschnappt, die ihm

sonst entgehen würden. Gestern Nacht kam es zu einem

solchen Fall. Die Meldung war ziemlich wirr, aber John

schwört, dass der Begriff • Luftwaffenbasis Andrews« gefallen ist. Andrews ist ziemlich nahe am District of Columbia, also Washington, und wir hatten angenommen, der Distrikt sei zusammen mit New York bombardiert

worden.

89

Ich weiß nicht, wie lange wir hier noch bleiben können, bis das Militär uns findet. Natürlich besteht auch die Möglichkeit, dass es wieder abrückt, aber das kommt

mir eher unwahrscheinlich vor. Eine weitere Sache, die

mir zu schaffen macht, ist das Verschweigen des Namens

und Dienstgrades des kommandierenden Offiziers bei

allen aufgezeichneten Botschaften. Vielleicht möchte er,

genau wie ich, lieber anonym bleiben.

90

r

-

-

,

; �elagerungszustand \

ll.l.. JuLI

1 � . l.l. o u�p.

Das, was von der Marineinfanterie in diesem Gebiet noch

übrig ist, hat uns entdeckt. Nicht fern von uns wurden

fünfzehn Militärfahrzeuge abgestellt. Vor Hotel 23 wird

wieder aufUntote geschossen. Bisher hat noch niemand

den Versuch unternommen, unsere Kameras unbrauchbar

zu machen, weswegen wir sie sorgfältig im Auge behalten. Sechs der fünfzehn Fahrzeuge sind Panzerspähwagen.

Dazu gehören auch einige militärische Hummer-jeeps

und sogar ein ATV mit Allradantrieb. Den ATV oder das

olivfarbene Dirt Bike habe ich als Militärfahrzeuge nicht

mitgezählt. Da sie offenbar alle die typische Marinetarofarbe haben, muss es zumindest in dieser Einheit noch so etwas wie Ordnung geben.

Das Funkgerät sendet immer die gleiche Botschaft.

Ich kann nicht genau zählen, wie viele Männer .da drau

ßen sind, da immer wieder Untote zwischen ihnen auftauchen, die das Bild verfälschen.

Die Geschöpfe, mit denen die Marines sich da draußen

abgeben, haben nichts mit denen gemein, denen ich

9 1

während unserer letzten Rettungsmission aus dem Weg

gehen musste. Ich glaube, wenn ich einem großen verstrahlten Untatenheer gegenüberstünde, würde ich wahrscheinlich ihrer leicht erhöhten Mobilität oder extremen Strahlung zum Opfer fallen. Die paar Figuren, die momentan da draußen sind, dürften für die Soldaten aber kein großes Problem darstellen.

Wenn wir jetzt durch den Zweitausgang stiften gehen

und Hotel 23 für immer verlassen, werden wir nie erfahren, ob das Militär dort draußen unser Verbündeter ist. Aber wir können auch bleiben und kämpfen oder

vielleicht versuchen, uns mit den Leuten zu verständi•

gen. Wir halten die Funkstille noch immer aufrecht und

haben, solange es nicht absolut notwendig ist, nicht vor,

sie zu brechen.

Momentan machen die Belagerer noch keinen Versuch, sich Eintritt zu verschaffen. Sie haben auch noch keine Gesten in Richtung unserer Außenkameras gemacht.

Die Sonne geht in knapp zwei Stunden unter. Wenn sie

sich mit Gewalt Eintritt verschaffen wollen, werden sie

es vermutlich mitten in der Nacht versuchen.

Eins steht fest: Eine Banditenmeute mit einem Glückstreffer zu erledigen ist etwas anderes, als einige Dutzend gut bewaffnete Us-Marineinfanteristen am Hals zu haben.

9 2

11. JuLI

11.3€, u�p.

Die Anfangsverhandlungen fielen höflich aus. Dann wurde

der Ton bedrohlich und später gewalttätig. Man begann

mit Funksprüchen, die »an die Leute im Bunker« gerichtet waren. Schließlich fuhr man schwere Waffen auf. Sie wurden zwar auf uns gerichtet, aber nicht abgefeuert.

Man wollte, dass wir widerstandslos aufgaben. Als ich

sah, dass eine Kiste Sprengstoff nach der anderen ins Raketensilo hinabgelassen wurde, hatte ich keine andere Wahl, als die Funkstille aufzuheben.

Ich schaltete das Mikrofon ein und sagte (soweit ich

es noch zusammenkriege): »An die Männer, die gerade

versuchen, diesen Stützpunkt mit Gewalt einzunehmen: Stellen Sie bitte sämtliche feindseligen Handlungen ein, sonst sehen wir uns gezwungen, zurückzuschlagen.«

Ich war mir ziemlich sicher, dass die Antwort aus Gelächter bestehen würde, doch die Reaktion der anderen Seite fiel professionell aus.

»Niemand ist an Feindseligkeiten interessiert. Wir wollen nur die Immobilie. Sie befinden sich auf Eigentum der US-Regierung. Wir erheben laut den entsprechenden Bundesgesetzen und Rechtsverordnungen Anspruch auf diesen Besitz. Wir ersuchen Sie, uns Zutritt zu gewähren, dann wird niemandem etwas geschehen.«

Das war der Augenblick, in dem ich sie auslachte. Wir

hatten ein Patt. Ich musste mit dem Kommandanten

93

der Einheit reden. Ich bat darum, doch man begegnete

mir mit ausweichendem Geschwafel und üppenbekenntnissen.

»Der Kommandant ist nicht anwesend. Er hält sich im

Hauptquartier auf.«

Ich bat den Sprecher, sich zu identifizieren. Er weigerte sich.

»Im Namen welcher existierenden Autorität verlangen

Sie die Übergabe dieses Stützpunktes?«, fragte ich.

»Im Namen des Chefs der Einsatzleitung der Marine«,

lautete die Antwort.

»Meinen Sie nicht den Kommandanten des Marinekorps?c

Zuerst antwortete Schweigen, dann meldete sich das

dünne Stimmchen zurück. »Der Kommandant wird vermisst. Wir können nur vermuten, dass er sich mit seinem Kaderkameraden, dem Leiter der Vereinten Stabschefs, an einem sicheren Ort aufhält … zusammen mit den meisten … toten … Führern der Nation.«

»Dann unterstehen Sie also gegenwärtig der Einsatzleitung der Marine?«

»Wir sind das Marinekorps.c Nun wurde Gelächter hörbar.

Ich sah keinen Grund, zu verbergen, dass wir Ramirez

und seine Leute gerettet hatten.

Da die Marines vermutlich ohnehin wussten, mit wem

sie es zu tun hatten, fragte ich; »Wo sind Ramirez und

die Männer, die wir aus dem havarierten Panzerspähwagen gerettet haben?c 94

»Es geht ihnen gut. Einer von ihnen ist bei uns. Ramirez ist wieder im Basislager, wo er die Außenverteidigung wahrnimmt, aber er wollte persönlich etwas weitergeben.•

Mit so viel Ernst, wie ich am Funkgerät aufbringen

konnte, schrie ich ins Mikro: »Ich möchtejetzt mit einem

Offizier reden, Soldat!«

»Das geht nicht.•

»Wieso nicht?«

»Wir haben keine … Ähm, ich meine, es ist keiner hier.•

Der Mann hatte sich verplappert. Nun fragte ich mich

ernsthaft, wer diesen Trupp befehligte. Das Geplänkel

wogte hin und her, bis ich den Soldaten am Funkgerät

schließlich überzeugte, mich mit dem höchstrangigen

Nicht-Offizier zu verbinden, der dort war.

Artillerie-Sergeant Handley meldete sich bei mir.

»Hört zu, ihr da unten«, bellte er, »wir brauchen den

Stützpunkt als Vorposten-Kommandozentrum, weil noch

immer ‘n bisschen Hoffnung besteht. Momentan bastelt

man an einem Plan … Die Überreste des U5-Militärs sollen versuchen, den Kreaturen die Vereinigten Staaten wieder abzunehmen.«

Ich fragte ihn, wie oft er mit dem Chef der Einsatzleitung der Marine kommuniziert hätte.

»Wir haben regelmäßige, wenn auch seltene HF-Gespräche mit seinem Flugzeugträger. Aufgrund von Wartungsproblemen werden nur wenige Einsätze vom Schiff aus geflogen. Es gibt aber auch Luftaufklärung auf dem Festland, um genaue Informationen über den Zustand der 9 5

Bodentruppen zu gewinnen. Verdammt, er hat uns sogar,

als es richtig beschissen wurde, ein- oder zweimal mit

dem Abwurfvon Eisen unterstützt.«

»Dann kann ich also davon ausgehen«, sagte ich, »dass

die Marine die Pest überlebt hat?«

»Am Anfang haben sich ‘ne Menge Schiffe in schwimmende Särge verwandelt«, erwiderte Sergeant Handley.

»Als es losging, waren von zehn Flugzeugträgem im aktiven Dienst nur vier nicht infiziert und wurden auch nicht von Untoten überrannt. Es interessiert Sie vielleicht, dass wir auch noch ‘n Raketen-U-Boot haben, das sieben Monate unter Wasser war. Die Leute in dem Kahn

leben nur von Eipulver, Trockenobst und Fleisch. Dieses

Boot ist das letzte Stück normaler Lebenskreislauf … An

Bord kann man noch heute sterben, ohne dass man wiederkehrt.«

Ich fragte den Artillerie-Sergeant, was er damit meinte.

»Das Boot war schon unter Wasser, als es losging, deswegen war es von dem, was die Toten wieder aufstehen lässt, nicht betroffen. Die haben auf ‘ner sehr niedrigen

Funkfrequenz mitgeteilt, dass im Februar einer ihrer

Leute ‘nen natürlichen Tod gestorben und nicht wieder

aufgestanden ist. Nach ‘ner vierundzwanzig Stunden

langen Beobachtung hat der Schiffsarzt die Leiche in die

Kühltruhe gelegt und selbige mit Tauwerk zugebunden.

Der Tote hat sich seither nicht gerührt. Natürlich muss

das Boot irgendwann wieder auftauchen, schon wegen

des Proviants, aber im Moment ist es, soweit wir wissen,

als Einziges nicht betroffen. Alle anderen U-Boote haben

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nicht den richtigen Zeitraum erwischt, um sich vor dem

Virus zu verpissen. Vermutlich tragen wir alle irgendeine schlummernde Form dieser Pest in uns … die auf den Tag wartet, an dem unser Herz zu schlagen aufhört.

Tja, wir sitzen echt metertief im Kot, mein lieber.«

Eine beunruhigende Stille folgte. Sie wurde von einer

Salve unterbrochen, die jemand auf die Kreaturen abfeuerte.

»Wir wollen kein Riesenloch in Ihr Clubhaus ballern

und es Ihnen wegnehmen, Sire, sagte der Sergeant. »Können wir uns nicht irgendwie friedlich einigen? In unserem Lager sind auch Zivilisten, die froh sind, noch am Leben zu sein.«

»Wir werden aber in Ihrem Lager nicht glücklich sein,

Sergeant. Wir sind für so was nicht geschaffen. Wir haben

überlebt, seit es losgegangen ist und waren, bevor wir

diesen Ort gefunden haben, fast immer auf der Flucht.«

»Es ist beeindruckend, ändert aber nichts an der Tatsache, dass dieser Komplex unter die Jurisdiktion des Militärs fällt.«

»Sie haben mir noch immer nicht bewiesen, Sergeant,

dass Sie keine versprengte Militäreinheit sind, deren Handlungen keine regierungsamtliche Stelle deckt.«

»Sir, wir haben es regierungsamtlicher Führung und

regierungsamtlichem Zögern zu verdanken, dass wir bis

zum Hals in der Scheiße sitzen und kurz vor der Ausrottung stehen.«

»Tja, Sergeant, da haben Sie vielleicht nicht ganz Unrecht. Andererseits haben wir diesen Ort gefunden und 97

wollen nicht unter der eisernen Faust von wem auch

immer leben. Nicht mal dann, wenn es die Faust des

amerikanischen Militärs ist.«

Handley antwortete nur »Na schön«, dann kehrten wir

wieder zur Funkstille zurück. Dies war die Nacht des

Sechzehnten. Zwei Stunden nach dem letzten Funkspruch ging die erste Ladung im Raketenschacht hoch.

Sie hatte, wenn man von einem kaum sichtbaren Riss

in dem zwanzig Zentimeter dicken Fensterglas der Sicherheitstür absah, keinerlei Auswirkungen. Dann kam die nächste Detonation. Und die übernächste. Die zuvor

schon beschädigte Schachtkamera wurde außer Gefecht

gesetzt und gab fortan nicht mal mehr den Anflug eines

sichtbaren Signals ab. Die Explosionen hatten keine Auswirkungen.

Als ich darüber nachdachte, fragte ich mich, ob die

zivilen Banditen, hätte ich sie nicht in die Luft gejagt,

eine Chance gehabt hätten, mit ihren Schneidewerkzeugen hier einzudringen. Der mit Metall und Fiberglas verstärkte Beton, aus dem Hotel 23 bestand, war sehr stark.

Ich nehme an, er könnte sogar einer Atomexplosion widerstehen. Nun empfand ich doch den Anflug eines schlechten Gewissens, denn es war eigentlich unnötig

gewesen, die Banditen umzubringen. Vielleicht hätten

sie aufgegeben, wenn sie gemerkt hätten, dass der Einsatz ihrer Werkzeuge nichts brachte. Vielleicht bräuchte ich sie dann jetzt nicht als wandelnde Flammengestalten vor mir zu sehen. Die Vernunft allerdings sagt mir, dass sie es verdient haben …

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Jede Synapse klingelnde Pein.

Beim Ertönen der nächsten Explosion wischte ich den

Gedanken beiseite. Ich spürte eine leichte Druckveränderung. Sie führte dazu, dass ich mir die Nase zuhielt, den Mund schloss und blies, um den Druck zwischen

meinen Ohren auszugleichen. Die Explosion hatte die

Struktur des Stützpunkts zwar nicht beschädigt, ließ

aber das Metall so stark vibrieren, um eine schnelle Ver

änderung der inneren Druckverhältnisse hervorzurufen. janice und Tara waren bei der Vorstellung, dass man sie festnahm und in ein vom Militär kontrolliertes Lager

brachte, ziemlich wütend. So wie sie ihre momentane

Lage sahen, würde man sie als Gebärmaschinen verwenden. Dazu wollte ich es nie kommen lassen. Die Explosionen verbesserten meine Laune auch nicht gerade. Laura weinte, Annabelle jaulte vor Angst und zog bei jedem

neuen Krachen den Schwanz ein. Nach einer halben

Stunde hörten die Explosionen auf. Wahrscheinlich mussten sie erst neuen Sprengstoff besorgen.

Das Funkgerät knisterte wieder.

»Habt ihr noch nicht genug? Warum macht ihr nicht

die Tür auf und kommt friedlich raus? Euch geschieht

doch nichts!«

Ich bat Sergeant Handley, uns bis zum Sonnenaufgang

Zeit zu geben, damit wir, bevor wir aufmachten, unsere

Sachen packen konnten. Er kaufte es mir ab.

Ich rief die Erwachsenen zu einer Versammlung. Wir

legten alle Karten auf den Tisch, die wir gegebenenfalls

bei dieser Zockerei ausspielen konnten.

99

Unsere Möglichkeiten waren begrenzt. Wir konnten

wieder auf die Walz gehen und versuchen, eine neue, gut

zu verteidigende Unterkunft zu finden. Etwas, das mit

Hotel 23 vergleichbar war, würden wir aber nie wieder

finden. Man brauchte Jahre, um etwas so Sicheres und

Strapazierfähiges zu bauen.

janice schlug vor, wir sollten mit dem Flugzeug abhauen. Ich erklärte, dass die Cessna uns wahrscheinlich nicht alle tragen konnte, von unserer Ausrüstung ganz

zu schweigen. Diese Möglichkeit konnten wir gleich vergessen. Außerdem war die Kiste in keinem exzellenten Zustand: an einer Seite war die Bremse im Eimer.

Es wurde Mitternacht. Wir hatten noch sechs Stunden, um uns etwas einfallen zu lassen. Ich wandte mich an john, der normalerweise immer eine Querdenker

Antwort auf Lager hatte. Ihm zufolge gab es keine logische Antwort.

Ich wusste nicht genau, ob die Belagerer von unserem

zweiten Ausgang wussten, aber in seiner Nähe, beinahe

am Zaun, waren Fahrzeuge geparkt. Vielleicht wussten

sie von ihm. Der Haupteingang war eine gute Option,

aber dort hielt sich eine zunehmend größer werdende

Anzahl von Untaten auf, die noch immer ans Metall

klopften. Die andere Option war, den Leuten von der Marine zu vertrauen. Wenn sie Wort hielten, ließen sie uns, wenn sie den Stützpunkt übernommen hatten, einfach

ziehen.

Ich war nicht wild darauf, mich mit einer älteren Dame,

zwei kleinen Kindern und einem Hund wieder auf die

100

Flucht zu begeben. Die Klauen und Mäuler der Untoten

würden uns kaltmachen, bevor der Monat zu Ende war.

Ich wusste einfach nicht, was ich machen sollte. Ich

saß in meinem Quartier und dachte über jede mögliche

Lösung unserer prekären Lage nach. Hätte ich doch nur

irgendein Druckmittel gehabt.

Da ich Dean mein altes Quartier überlassen hatte, hatte

ich meinen Kram noch nicht eingeräumt. Eine kleine

Kiste mit Siebensachen stand noch immer in der Ecke

und wartete auf den Tag, an dem ich es leid wurde, sie

anzugaffen. Nun sah es so aus, als käme dieser Tag nie.

Ich musterte die Kiste einige Minuten lang und dachte

darüber nach, wie wir unser ganzes Zeug durch das

Land schleppen und dabei überleben sollten. Dann ging

ich zu der Kiste hinüber und nahm mir den Inhalt vor.

Zwei Ersatz-Pilotenkombinationen, Handschuhe, eine

Schreibunterlage, eine Glock-17-Handfeuerwaffe, drei

kleine Familienfotos, sechs Schachteln 9-mm-Munition

und mein anklettbares Namensschild, auf dem natürlich

auch mein Dienstgrad und die Schwingen des Marinefliegers eingewebt waren. Ich hatte es seit dem Untergang der Zivilisation nicht mehr getragen. Wozu auch?

Schließlich nahm ich meine Brieftasche aus der Kiste.

Ich warf einen Blick hinein und fand zahlreiche Ausweiskarten. Als es die NRA” noch gegeben hatte, war ich dort Mitglied gewesen. Es war noch nicht lange her. Ich

hatte auch Ausweise fast aller Videothekenketten. Ob

National Rifle Association

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man mich wohl, wenn sie den Betrieb wieder aufnahmen, von den nicht geleisteten Mitgliedsbeiträgen befreite? Ich bin mir sicher, dass der Server, der meine verbrecherisch verspätet eintreffenden Mitgliedsbeiträge verbuchte, vermutlich verrostet war, wenn das Stromnetz wieder funktionierte. Falls überhaupt.

Dann fand ich etwas, das alles veränderte. Vor einem

Monat war mir in einem Anfall von Nostalgie eingefallen, einen Blick aufmeinen Dienstausweis zu werfen. Er war noch zwei Jahre gültig. Ich stand da, schaute ihn an

und rieb mit dem Daumen über den in die Vorderseite

eingebetteten Mikrochip. Der Chip enthielt meine Daten

sowie jene, die in den Strichkode auf der rechten Kartenseite eingeprägt waren. Auch befand sich dort mein Foto. Ein glattrasiertes, einfaltig aus der Wäsche schauendes Abbild meines Ichs, das nie auf die Idee gekommen wäre, die Toten könnten wieder auferstehen.

Wenn die Männer da draußen noch immer Infanteristen der US-Marine waren und die Bekleidungsvorschriften der Militärjustiz einhielten, war ich noch immer Offizier und damit ihr Vorgesetzter. Wenn sich überhaupt noch jemand an die Rangstruktur des Militärs hielt,

dann konnte es nur ein Marineinfanterist sein. Bei den

in meiner militärischen Vergangenheit selten erfolgten

Begegnungen mit Navy-Mannschaftsdienstgraden waren

die Männer immer aufgestanden, wenn ich sie angesprochen hatte. Artillerie-Sergeant Handley hatte selbst gesagt, bei ihnen oben sei kein Offizier und er der höchstrangige anwesende Soldat.

102

Er hat die Unwahrheit gesagt, ohne es zu wissen.

Theoretisch bin ich der höchstrangige anwesende Soldat.

Als ich mit dem Rücken an der Tür stand und die

Karte in meiner Hand musterte, griff Dean zu und begutachtete sie. Sie untersuchte den Wehrpass sorgfaltig und schaute mich dann an.

»Der sieht Ihnen aber ähnlich, Seemann«, sagte sie.

Ich erwiderte ihr Lächeln. »Ja, das war ich mal.«

>>Sie sind es noch immer«, meinte sie. »Sie haben nur

die militärische Steifheit verloren und könnten außerdem eine Rasur gebrauchen.«

Mir kam kurz der Gedanke, sie könnte Recht haben.

Obwohl ich seit Januar ein paar böse Dinge getan hatte,

änderte es nichts an der Tatsache, dass es noch immer

aktive militärische Einheiten gab und ich noch immer

Offizier war. Meine Einheit war vernichtet worden. Vermutlich gab es keine Überlebenden. Das wusste ich. Ich hatte unsere Basis überflogen und es mit eigenen Augen

gesehen. Sie war überrannt und später mit Raketen beschossen worden. Das Spiel war aus. Ich war, soweit ich wusste, der einzige Überlebende.

Ich rief die Gruppe zusammen, und wir besprachen

mein Vorhaben. Schon bei der Vorstellung sank allen die

Kinnlade herab, doch schließlich stimmten alle zu, dass

es die einzige Möglichkeit war, mit der Situation fertigzuwerden.

Heute Morgen um 5.00 Uhr wachte ich aufund schaltete das Licht ein. Ich nahm mein Duschzeug und gab 103

mir alle Mühe, mich repräsentabel herzurichten. Als ich

an meinem alten Quartier vorbeikam, ging die Tür auf,

und Dean kam mit einer Schere heraus, die aus dem

Büro des Kontrollzentrums stammte. »Mit dieser Mähne

kann ich Sie nicht nach draußen lassen.«

Ich lachte und achtete darauf, dass das um meinen

Bauch geschlungene Handtuch nicht zu Boden fiel. »Sie

haben wohl Recht, Dean.«

Sie hatte schon Danny, wenn nötig, das Haar geschnitten und meinte, er hätte sich über ihr Können nie beschwert. In den letzten Monaten war mein Haar natürlich gewachsen und laut der militärischen Dienstvorschrift

viel zu lang. Ich hatte es zwar vor drei Monaten geschoren, aber seitdem nicht mehr angefasst. Eine solche Mähne war eigentlich nicht mein Stil. Das Ende der Welt

mochte zwar eine ausgezeichnete Entschuldigung liefern, aber bei Dean kam ich damit nicht durch. Wie eine gelernte Friseuse richtete sie meinen Kopf so her, dass er

den ungeschriebenen Fliegervorschriften entsprach und

mein Haar nur eine Winzigkeit länger war als das eines

gemeinen Soldaten.

Als ich die Dusche hinter mir gelassen und meine Bartstoppeln glattrasiert hatte, schaute ich in den Spiegel.

Für das, was ich vorhatte, sah ich repräsentabel genug

aus. Ich hatte zwar keine Ausgehuniform und kein

Portepee, aber es würde reichen. Mit dem Handtuch um

den Bauch kehrte ich in mein Quartier zurück. Vor der

Tür standen meine Stiefel in perfektem Glanz. Davor lag

ein Zettel mit Kinderhandschrift: »Hoffentlich gefallen

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sie Ihnen. Ich habe schon die Stiefel meines Vaters geputzt. Danny.«

Wahrscheinlich hat er sich reingeschlichen und sie

gewienert, als ich noch schlief. Ich lasse immer die Tür

offen, um hören zu können, was auf dem Gang vor sich

geht. Entweder geht allmählich meine Wachsamkeit fl�

ten, oder Danny ist ein sehr leiser Bursche. Ich dachte an

den Tag, an dem er auf die Untoten gestrullt hatte. Was

für ein kornischer Anblick.

Ich zog die saubere Fliegerkombination an, befestigte

die Schulterklappen und heftete mir das Namensschild

auf die Brust. Ich nahm die Kappe aus der Hosentasche,

in der sie das letzte halbe Jahr verbracht hatte, und setzte

sie auf. Ich verließ mein Quartier uniformiert und darauf vorbereitet, vor die Marineinfanterie zu treten. Es war 5.50 Uhr. Die Kameras zeigten, dass die Sonne aufging und die Wolken im Osten mit einem unheilschwangeren Orangeton versah.

Ich schaltete das Funkgerät ein. »Sind Sie da, Sergeant?

Ende.«

Nach einem kurzen Moment meldete sich eine müde,

beunruhigt klingende Stimme. »Ja, ich bin hier. Ich war

die ganze verdammte Nacht hier.«

»Gut. Pfeifen Sie Ihre Männer nun von der Siloöffnung

zurück. Ich komme rauf.«

»Wir erwarten sie dort … Ende.«

Nur mit einer Handfeuerwaffe versehen ging ich zu

der Luke, die in den Raketenschacht führte. John und

Williarn gaben mir mit ihren Waffen Feuerschutz. Wir

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mussten alle drei zugreifen, um das Rad zu drehen und

die Luke aufzubekommen, denn die Explosionshitze hatte

das Metall gedehnt und schließlich schrumpfen lassen.

Als die Luke aufging, flutete von oben Licht herab. Staub

stieg auf. John und William machten die Luke schnell

wieder zu.

Ich hatte das Innere des Silos seit einer geraumen Weile

nicht mehr aus der Nähe gesehen. Überall auf dem Boden

lagen verbrannte Knochensplitter, Kleiderfetzen und jede

Menge Zähne herum. Hier unten hatten sich offenbar

massenhaft Untote aufgehalten, als die Banditen angefangen hatten, sie zu verbrennen. Die Schachtwände waren von den vielen Sprengladungen, die in den letzten vierundzwanzig Stunden detoniert waren, schwarz.

Die Männer oben konnten mich noch nicht sehen,

da ich ganz unten am Schott stand. Ich trat mit kalter

Berechnung ins Licht und kletterte dann über die Leiter nach oben. Die Leitersprossen waren mit Asche verschmiert, aber ich gab nicht auf. Dann härte ich jemanden ))Gottverdammte Kacke!« sagen und wusste, dass man mich gesichtet hatte. Ich kletterte weiter hinauf,

bis ganz nach oben. Die behandschuhte Hand eines Sergeanten der USMC-Artillerie streckte sich mir entgegen und halfmir über den Rand des Raketensilos. Dann stand

ich auffestem Boden und schaute ihm in die Augen. Sergeant Handley knallte die Hacken zusammen und salutierte zackig. Ich erwiderte seinen Gruß, und er nahm die Hand runter. Er geleitete mich auf der Stelle zu seinem Zelt. Mehrere Staff Sergeants folgten uns.

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»Sir, wir hatten ja keine Ahnung … «

»Nicht nötig, Handley. Sie wussten ja nicht, dass ich

Offizier bin, und ich habe es Ihnen so lange verschwiegen, bis ich nicht mehr anders konnte.«

Danach folgte eine Frage-und-Antwort-Sitzung, auf der

ich alles berichtete, was ich vom ersten Tag an gemacht

hatte. Den Teil, in dem mein Kommandant mir befohlen hatte, mich im Stützpunktbunker zu melden, ließ ich aus. Ich erzählte, ich sei wahrscheinlich der einzige

noch lebende Angehörige meiner Staffel und hätte bei

jeder guten Gelegenheit andere Menschen aufgelesen.

Schließlich wies Handley seine Untergebenen an, das Zelt

zu verlassen.

Er beugte sich vor und sagte ganz ruhig, aber nervös

und leise: »Ich habe seit Monaten keinen Offizier mehr

gesehen, Sir. Unsere gesamten hohen Tiere wurden vor

Monaten an einen unbekannten Ort befohlen. Seither

haben wir sie weder gesehen noch mit ihnen kommuniziert. Im Grunde hat man uns hier draußen dem Krepieren überlassen. Ich habe den Männem erzählt, dass unser Kommandant lebt und mir direkt über eine sichere

Funkverbindung Befehle erteilt. Gelogen ist es eigentlich

nicht, denn ich habe j a wirklich Befehle von Admiral

Goettleman erhalten, der sich an Bord des Flaggschiffs

USS George Washington befindet. Allmählich zweifelt man

aber an meinen Worten. Ich musste schließlich die Moral

aufrecht halten. Wie soll ich die Männer dazu bewegen, dass sie kämpfen oder auch nur als Team handeln, wenn sie wissen, dass ihre Vorgesetzten sie einfach in

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der Scheiße haben sitzen lassen und vielleicht sogar

schon tot sind?«

Da saßen wir nun. Ich überlegte, was Handleys Worte

implizierten. Meine Konzentration wurde hin und wieder von Gewehrfeuer unterbrochen, wenn die Männer irgendwelche Untoten abwehrten.

»Was wollen Sie mir beibringen, Sergeant?«

»Dass Sie der erste Offizier sind, den ich seit langer

Zeit sehe, Sir, und dass wir Sie brauchen, wenn auch nur

als Sprachrohr für die Mannschaft. Ob Sie nun unser Anführer sind oder nicht, ich brauche Sie einfach, damit Sie diese Rolle spielen, sonst kommt die ganze Sache

raus, und uns fliegt die Scheiße um die Ohren.«

»In diesem Fall steht dieser Stützpunkt, der den Decknamen Hotel 23 trägt, unter meinem Kommando. Sie bleiben hier und schicken die meisten Ihrer Leute mit dem Staff Sergeant zurück, dem Sie am meisten vertrauen.«

Handley war einverstanden. Ich verkündete, ich würde

zu den Männem reden, während er entschied, wer blieb

und wer gehen sollte.

Während der nächsten halben Stunde stand ich auf

einer Munitionskiste und musterte die Gesichter der jungen Patrioten, die mich anschauten und meinen Worten lauschten.

»Ich bin der Kommandant dieses Stützpunktes und

brauche ein paar gute Männer.«

Meine Worte erzeugten begeisterten Applaus.

»Vor sechseinhalb Monaten hat etwas unsere Welt aus

der Bahn geworfen. Nun weiß zwar noch niemand genau,

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was da passiert ist, aber im Grunde ist es auch unwichtig.«

Ich war zwar nicht der Meinung, dass meine Rede

großartig war, aber die Männer sahen es anders. Sie pfiffen und klatschten.

))So wie ich es sehe, könnten uns zwar die Patronen

ausgehen, aber nicht die Knüppel. Es kann vielleicht lange

dauern, aber wir geben nicht auf. Wir werden so viele

Menschen retten, wie wir können, und was diese Dinger

angeht, so werden wir ihnen gewaltig in den Arsch treten!

Vergesst nie, dass ihr Soldaten der Vereinigten Staaten

seid, Männer! Ich möchte nicht hören, dass es die Vereinigten Staaten nicht mehr gibt. Das ist Quatsch. Unsere Verfassung liegt vielleicht noch immer in Washington rum; aber auch wenn sie verbrannt ist: Es bedeutet nicht, dass sie so tot ist wie die Dinger da draußen. Wir

werden unsere Verfassung hochhalten und bis zum Ende

verteidigen.«

Hochrufe. Die Männer applaudierten erneut. Dann

versammelte sich eine Gruppe Freiwilliger um Handley,

die im Hotel 23 bleiben wollten. Die Sonne ging an diesem Sommermorgen über den Baumwipfeln auf. Meine einfache Ansprache war beendet, und ich nahm schon

jetzt einen sichtbaren Anstieg der allgerneinen Kampfmoral wahr. Der Stützpunkt brummte vor Entschlossenheit.

))Noch eins, Sir«, sagte der Sergeant. ))Rarnirez wollte,

dass ich Ihnen das hier gebe.«

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Er reichte mir ein feststehendes Messer in einer robusten Lederscheide. Die Scheide war mit einem Täschchen versehen, die einen Wetzstein enthielt. Ich zog die Klinge

aus der Scheide und stellte fest, dass es ein Kampfmesser

mit einem schwarzen Micartagriffvon höchster Qualität

war. Die Klinge war aus rostfreiem Stahl; in der Nähe des

Griffs war auf der Seite » Randall Made Orlando FL« eingraviert. Ich musste lachen, als mir der Satz »So etwas macht heute keiner mehr« einfiel. Teufel nochmal, heute

macht überhaupt keiner mehr irgendwas.

Nachdem alles gesagt und getan war, blieben drei Panzerspähwagen, ein Laster mit Plane und zweiundzwanzig Männer bei uns, Sergeant Handley inklusive. Wir waren oben, als der Staff Sergeant mit dem Konvoi und

der Nachricht zum alten Lager zurückkehrte, dass man

einen Offizier gefunden hatte, der ihnen beistand. Zwei

mit Verschlüsselungsfunktion versehene Militärfunkgeräte wurden in den Bunker getragen und in der Kommandozentrale aufgebaut. Die Marines schlugen flink ihre Kojen unten auf.

Den Hauptteil des Nachmittags verbrachten wir damit, Hotel 23 zu einer militärischen Operationsbasis auszubauen.

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·. -

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I

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1 ‘0 . Juu

ll,.oS u�p,

Wir haben Verbindung mit der USS George Washington.

Der stellvertretende Chef der Marine-Einsatzleitung ist

momentan nicht an Bord des Flugzeugträgers, sondern

zu Planungszwecken mit einem seiner Commodores auf

einer kleineren Nussschale zu Gast. Ich bin mir sicher,

dass wir in den nächsten Tagen mehr von ihm hören

werden. Man hat mir mitgeteilt, dass jemand beauftragt

wird, beim nächsten anstehenden Versorgungsflug den

Chip auf meinem Wehrpass zu reprogrammieren, aber

ich weiß nicht, was mir dies nützen oder warum es hier

draußen eine Rolle spielen sollte.

111

1.1.. Juu

11.1.0 u�p.

Ich habe die Büchse der Pandora geöffnet. jetzt habe

ich mehr Pflichten am Hals, als ich brauchen kann. Die

zweiundzwanzig neuen Marineinfanteristen haben sich