mit dem Befestigen der Umzäunung und ihrer Bewachung beschäftigt. Wir haben jetzt einen hauptberuflichen Funker und Direktverbindung zur Flugzeugträger

Kampfgruppe. Per Funk hat man uns bezüglich der Lage

im Golfvon Mexiko und an der Ostküste auf den neuesten Stand gebracht. Wir empfangen sogar tägliche Warnmeldungen aus einigen Gebieten, die auf Bewegungen großer Untatenschwärme hinweisen.

Ich wollte wissen, wie der Flugzeugträger an den Prcr

viant für über dreitausend Mann Besatzung und die

Notbesatzung herankommt. Von einem jungen Marineinfanteristen bekam ich zu hören, dass an Bord von Versorgungsschiffen Marine-Kampfgruppen stationiert

sind, die mit Schlauchbooten zur Infiltration und Exfiltration eingesetzt werden, um regierungsamtliche Versorgungszentren im Küstenraum zu identifizieren, damit größere Frachthubschrauber dorthin einfliegen und den Proviant rausholen können.

Heute habe ich dem Kampfgruppenfunk mehrere Stunden lang gelauscht. Ich habe die Flugkommunikation der Navy und Air Force überwacht, und besonders den

Sprechfunkverkehr einer U-2-Aufklärungsmaschine über

der Ostküste. Ich wollte wissen, wie sie es wohl schaff..

112

ten, die DRAGON LADY mit ihrer happigen Wartung

und den langen Rollbahnen, die sie brauchte, in der Luft

zu halten.

Allem Anschein nach war die US Army nicht sonderlich gut in Schuss. Laut einer Meldung, die vorgestern reinkam, hat sie in den kontinentalen us-staaten über

siebzig Prozent ihrer Bodentruppen verloren. Auf den

Schiffen war einfach nicht genug Platz für alle. Da Seeleute und Marineinfanteristen einfach Priorität genossen, hatte man das Heer an Land lassen müssen, damit es sich dort selbst verteidigte. Natürlich war es vor dem

Einsatz der Atomwaffen gewarnt worden, aber die verstrahlten Untoten hatten sie bei ihrem Auszug aus den verseuchten Gebieten einfach überrannt.

Laut einigen Sprechfunkverbindungen, die ich mithörte, gab es noch immer Einheiten, die auf dem Festland nach militärischen Überlebenden suchten. Ein spezielles Kommunique, das wir empfingen, stammte von einem Suchflugzeug am Himmel von Virginia, das nach

einem verschollenen Panzerkonvoi Ausschau hielt. Dem

Anschein nach hatte der Konvoi sein Ende gefunden,

nachdem eine Überführung unter dem schweren Gewicht

eines Führungspanzers eingestürzt war. Die ganze Konstruktion der ausgebesserten Überführung hatte nachgegeben und vier Panzer in die Tiefe gerissen. Der Konvoi war von Tausenden »heißer« Untoter verfolgt worden,

und es dauerte nur ein paar Stunden, bis die Meute sie

eingeholt hatte. Drei Panzer waren bei dem Absturz unbrauchbar geworden. Die Besatzung hatte man in ihren 113

metallenen Gräbern dem Tod überlassen, denn zahllose

Untote hatten auf die schwere Panzerung eingeschlagen und waren über die Geschütztürme gewimmelt wie Maden über einen WildunfalL

Die restlichen Panzer hatten sich in alle Windrichtungen zerstreut und ihr Heil in der Flucht gesucht. Ihre jetzige Position war unbekannt.

Die Mannschaft am Heck der Maschine meldete über

Funk, die Besatzung der havarierten Panzer habe wahrscheinlich aufgrund der schieren Anzahl der an ihnen klebenden Untoten hohe Strahlendosen aufgenommen.

Ihre Sensoren deuteten an, dass die Horden am Boden

tödliche Mengen ausstrahlten. Nach der Lageanalyse und

der Meldung, sie sei auf Reserve, kehrte die Maschine zu

ihrer Basis zurück.

Eins ist sicher. Die Anzahl der neuen Stützpunktbewohner wird uns bald zwingen, einen Wassertank zu suchen, der unsere Tanks wieder bis an den Rand auffüllt.

Als ich heute mit meiner Waffe auf die Tankwand klopfte,

hat sich ergeben, dass er nur noch zu einem Achtel gefüllt ist. Wir rationieren das Wasser schon jetzt. Wir müssen rings um den Stützpunkt Tonnen aufstellen,

um Regenwasser zu sammeln, damit wir wenigstens das

Nötigste haben.

Heute ist ein Techniker eingeflogen. Er hat sich im

Kommandozentrum gemeldet, um meinen Dienstausweis neu zu programmieren. In die Karte ist ein Chip eingebettet. Der Techniker hat sie in ein mit einem La�

top verbundenes Lese-/Schreibgerät gesteckt und mich

114

angewiesen, eine mindestens sechs Zeichen lange PIN

Nummer einzugeben. Ich habe mir eine Zahl ausgedacht,

die ich nie vergessen werde und sie eingegeben. Der Techniker sagt, ich hätte nun völlige Kontrolle über alle heiklen Stützpunktsysteme - sobald ich die Karte in einen Computerterminal im Kommandozentrum schiebe und

die bewusste Zahl eingebe. Er wies mich auch darauf

hin, dass ich bis zu meiner Ablösung der Einzige bin,

der diesen Zugriff hat. Ich erkundigte mich, wieso dies

wichtig sei. Er erwiderte, er wüsste es auch nicht, aber

seine Instruktionen aus dem Hauptquartier besagten, er

solle dem höchsten Offizier dieses Stützpunkts diesen

Zugriff ermöglichen. Die einzige Möglichkeit, meine Privilegien auf einen anderen zu übertragen, ist die: Ich muss meine Karte im Kommandozentrum dazu verwenden, um die entsprechende Erlaubnis zu bitten, über die dann wiederum eine höhere Instanz entscheidet. Geht

meine Karte oder meine PIN-Nummer verloren oder wird

vernichtet, dauert es neunzig Tage, eine neue zu programmieren, da das System über eine zeitgebundene Störungssicherheit verfügt, die unautorisierte Machtübertragung verhüten soll.

Als der Techniker hinausging, sagte er lässig: »Schade,

dass Ihr Lager leer ist. Mit dieser Autorisierung können

Sie Raketen abfeuern. Obwohl ich natürlich darauf verzichten könnte.«

115

lb. Juu

111..11 u�p,

Ich bin mir einfach nicht sicher, ob es eine gute Idee ist,

die Männer an der Oberfläche Wache schieben zu lassen. Sie feuern alle vierundzwanzig Stunden fünfzig Schuss ab, was meiner Meinung nach gefährliche Verschwendung ist. Gestern Abend habe ich sie reinbefohlen, um zu sehen, ob es zu mehr Aktivität der Untoten in unserer Gegend führt. Es schien besser zu klappen.

Heute Morgen waren zehn Untote am Zaun. Es ist besser, zehn zu töten, als auf fünfzig zu schießen. Die Männer setzen Bajonette ein, um die Untoten am Zaun zu erledigen, dann schleifen sie sie mit einem Netz an

einem ATV fünfzig Meter weiter zu den Bäumen, damit

sie sich nicht versehentlich an den leblosen Körpern verletzen.

Kommunikation mit dem Flugzeugträger findet nur

hin und wieder statt, da unsere Bodeneinheit im Vergleich mit dem, was der Rest unseres Militärs am Hals hat, nur ein unbedeutendes Quäntchen ist. Andrews

und D. C. wurden (dem Funkverkehr zufolge) dem Anschein nach nicht bombardiert. Dort ist gegenwärtig ein Scout-Team zugange, das rauskriegen will, was man

braucht, um das Gebiet rings um die Hauptstadt zurückzuerobern. Eine weitere momentan diskutierte Option ist der Umzug der Hauptstadt nach Westen, doch es ist

nur wenig über die Lage in dieser Region bekannt. Die

Kommunikation mit anderen Marineinfanteristen ist

116

beständig und stabil, und der Wachhabende hat stündlich aufzukreuzen.

Ich habe Sergeant Handley verdeutlicht, dass es sicher

keine schlechte Idee ist, die restlichen Soldaten und Zivilisten näher an unsere Position zu verlegen. Heute habe ich wieder versucht, mich ins Internet einzuklinken.

Vergebens. Dabei wäre es doch, da unser Hauptfeind weder

lesen noch einen Computer bedienen kann, ein tolles

Mittel der Fernverständigung mit anderen Ländern und

militärischen Einheiten.

Unser Wasservorrat ist gefahrlieh geschrumpft. Wir

stellen ein Team zusammen, das noch in die Lage eingewiesen werden muss, bevor es morgen aufbricht. Ich werde dabei sein.

Unser kleiner Wassersuchtrupp ist am Morgen des 27. aufgebrochen. john ist der zeitweilig ernannte Zivilführer, der im Hotel 23 für die Einhaltung der Gesetze sorgt. Er

hat versprochen, sich um unsere Leute kümmern, während wir nach H20 suchen. Der Weg hat uns nach Norden geführt, seitlich zu den Randgebieten der verstrahlten Zonen. Wir sind mit drei Panzerspähwagen und dreizehn Mann unterwegs. Wir hatten ein einfaches Ziel.

Wir wollten die Interstate rauf, um einen Wasserlaster

oder einen Tankwagen aufzuspüren, mit dem sich Was-

117

ser transportieren lässt. Die Tanks im Hotel 23 sind fast

leer, und wir brauchen ungefähr 38.000 Uter, um unser

Reservoir bis zum Rand zu füllen. Ich bin Tage zuvor

über den Standort des ursprünglichen Lagers der Marineinfanteristen informiert worden. Unser Weg führte uns etwa sechzig Kilometer an ihren Standort heran. Das

sind hin und zurück hundertzwanzig Kilometer, weswegen ein Besuch dort nicht infrage kam.

Nachdem wir eine Stunde lang Autowracks beiseite

gezogen und Trümmerhaufen ausgewichen waren, erreichte unser Konvoi schließlich das, was von der Interstate 100 noch vorhanden ist. Damit war der Spaß vorbei, bevor er überhaupt begonnen hatte. Ich tu’s ums Verrecken ungern. Ich sah eine Gruppe Untoter, die um die verlassenen Fahrzeuge herumlatschten und sich zwischen

ihnen bewegten. Sie waren vierhundert Meter entfernt,

und als ich mich konzentrierte und meine Fantasie spielen ließ, konnte ich mir für einen Moment einreden, dass sie gar nicht tot waren. Bald nahm der Wind unseren Geruch (konnten die uns überhaupt wittern?) auf und trug ihn zu ihnen hinüber, und dann kamen sie

langsam, aber zielgerichtet auf die Lebenden zu.

Es war für mich wie ein Balanceakt. Manchmal stelle

ich mir die Lebenden und die Toten als Chromosomen

vor, wobei die Toten die Dominanten sind. Was man

auch anstellen mag, diese Welt bringt nur noch braun

äugige Kinder hervor. Wenn ihre Anzahl es bestimmt,

werden sie dominieren. Und heutzutage scheint es genauso zu sein.

118

Dean wäre gern mit uns gekommen. Sie kann sich bestimmt selbst verteidigen, aber ich habe sehr schnell eine andere wichtige Aufgabe für sie gefunden, um ihr

nicht sagen zu müssen, dass ich ihr Vorhaben für keine

gute Idee halte. Tara und ich werden inzwischen sicher

als Einheit gesehen. Ich glaube, ich habe gewusst, dass

es so kommt. Das wiederum ist aber eine andere Geschichte. Vielleicht schreibe ich sie eines Tages nieder.

janice, William, john und Tara weisen die Marineinfanteristen im Hotel 23 in die grundlegende Funktionsweise des Stützpunktes ein und zeigen ihnen die Fluchtwege

für den Fall, dass es zum Äußersten kommt.

Als wir die Interstate erreichten, dachte ich an Tara …

Ich hatte auf der Straße etwa zweihundert Meter zurückgelegt, als ich ein umzingeltes Fahrzeug sah. Es erinnerte mich an sie. An dem Tag, an dem ich sie an der Pier gefunden hatte, hatte ich sie wirklich für tot gehalten. Wir fuhren näher ran, um uns anzuschauen, was sich in dem Wagen befand. Auf der unserem Konvoi zugetanen Seite erkannte ich eine von untoten Händen eingeschlagene Scheibe. Arme griffen in das Auto hinein, wurden aber am Ellbogen von dem nicht ganz offenen Fenster aufgehalten.

Ein Panzerspähwagen fuhr ein Störmanöver und schob

die Gruppe von dem Wagen fort, damit wir einen Blick

hinein werfen konnten. Natürlich klappte es. Das Bordmessgerät meldete, dass diese Gegend so gut wie strahlungsfrei war. Leichte Reststrahlung war aber vorhanden und würde auch in einigen Jahrhunderten noch vorhan-119

den sein, falls hier niemand saubermachte. Wir waren

dem Wagen nun näher. Die Männer gaben mir Feuerschutz. Ich sprang mit zwei Marines ab und näherte mich dem Fahrzeug.

Es freute mich, in einem sicheren Nest auf dem Rücksitz eine Vogelmutter und ihre zwitschernden Kleinen vorzufinden. Ich war mir sicher, dass die Untoten es

dem Vögelchen extrem schwierig machten, den Wagen

zu verlassen, damit es Futter für den Nachwuchs heranschaffen konnte. Aber es schien ihnen gut zu gehen. Mir kam die Idee, die Scheibe ein Stück höher zu drehen,

um es den Kreaturen zu erschweren, in den Wagen hineinzugreifen, aber zu meinem Frust wurden die Fenster elektrisch bewegt, und die Batterie war natürlich längst

leer. Es sah ganz so aus, als müsste ich die Sache der unnatürlichen Auslese überlassen.

Wir funkten dem herumstromernden Spähwagen, er

solle sich eineinhalb Kilometer östlich unserer ursprünglichen Position mit uns treffen. Der Highway wimmelte von Untoten, aber die Fahrt in unseren leistungsfähigen

Fahrzeugen brachte ein beruhigendes Gefühl von Sicherheit mit sich. Wir hatten jede Menge Waffen und Munition, denn ansonsten wäre es zu gefährlich gewesen.

Wir suchten östlich an der Interstate entlang, bis wir

den Außenbezirken Houstons gefährlich nahe kamen.

Houston war während der Offensive vor einigen Monaten nicht bombardiert worden, so dass es im Stadtzentrum bestimmt noch von wandelnden Leichnamen wimmelte. Wir stießen aufviele Schwerlaster mit Treib-120

stoffanhängern, die vermutlich voll mit Benzin waren.

Wie schade es doch ist, dass man Sprit nicht trinken

kann. Das erinnerte mich an die wirkliche Welt, bevor

all dies passiert war: als eine Flasche Wasser mehr kostete als die gleiche Menge Benzin. Nun j a, wir fanden dann auch einen Tankwagen voller Wasser, wobei ich

mir leicht dämlich vorkam, weil ich nicht früher auf

diese Idee gekommen war.

Ich weiß auch nicht, warum wir nicht einfach zur

nächsten Kleinstadt-Feuerwache fuhren, statt unseren

Hals auf der In tersta te zu riskieren. Ich ließ mich jedoch

nicht darauf ein, dies vor den Männern laut zu denken.

So wäre es aber auf alle Fälle sicherer gewesen.

Vor uns stand ein hübsches (schmutziges) Auto mit

der Aufschrift »Feuerwehr San Felipe«. Der Laster war

zwar groß, aber nicht der größte, den ich bisher gesehen

habe. Wir machten einen Versuch, ihn zu starten. Pech

gehabt. Es erwies sich als schwierige Aufgabe, den Wagen

zu wenden und an einen Panzerspähwagen zu koppeln.

Es war so schwierig, dass ich dabei um Jahre alterte.

Fortsetzungfolgt bald.

121

Das · Feuerwehrauto war ein Grab. In ihm lagen zwei

wirklich tote Feuerwehrleute, die sich nicht mehr bewegten. Ich war noch nicht nahe genug an ihnen dran, um zu wissen, dass sie sich das Leben selbst genommen und

sich so der Wiederauferstehung entzogen hatten, aber

allem Anschein nach hatten sie Erfolg gehabt. Die Interstate wimmelte von Untaten, doch sie gehörten nicht zu der ultra-tödlichen Art, die man eher in der Umgebung

der verstrahlten Zone westlich unserer Position fand.

Die einzige andere Möglichkeit neben dem Abschleppen des Wagens wäre der Versuch gewesen, die Batterie mit dem Erhaltungsladegerät aus einem der Panzerspähwagen zu laden.

Zuerst mussten wir lautlos die unmittelbaren Gefahren in der Umgebung beseitigen. Von meinem Aussichtspunkt am Bordgeschütz des Panzers Nr. 2 zählte ich achtunddreißig Untote. Ich funkte Handley an, der behauptete, er zähle neununddreißig.

Bei der Abfahrt von Hotel 23 waren die Marines mit

normalen M+ und M-16-Gewehren bewaffnet, was in etwa

das Zeug war, das wir auch in unserer Waffenkammer

gefunden hatten, die wir vor Monaten geöffnet hatten.

Ich wusste, dass diese Einheit nicht mehr aus ihren ursprünglichen Angehörigen bestand.

Der Sergeant hatte mir in den Tagen nach seiner

Ankunft mitgeteilt, seine Truppe bestünde aus überlebenden Marineinfanteristen mehrerer Einheiten, die Funksprüchen gefolgt und so in Texas gelandet waren. Natürlich waren nicht alle so auf das noch existierende 122

militärische Kader gestoßen, denn oft, wenn die Einheit

draußen gewesen war, um Proviant und andere Dinge

zu suchen, hatte man auch andere Überlebende gefunden. Diese Überlebenden waren sehr oft Soldaten oder Ex-Soldaten gewesen. Was die Waffen erklärte, die sie

nun aus Panzer Nr. 1 holten. Vier Mann, von denen ich

wusste, dass sie Taucher- und Sprungabzeichen auf dem

Brustkorb gehabt hatten, zogen schallgedämpfte H & K

MPSer hervor. Ach, wie gern hätte ich eine von diesen

Waffen in den ersten Wochen nach dem Weltuntergang

gehabt.

Ich hob die Faust, um anzuzeigen, dass sie sich zurückhalten sollten, und unterhielt mich zugleich über Funk mit Handley. Ich fragte ihn, über wie viele schallgedämpfte Waffen die Einheit verfügte. Wie ich erfuhr, hatten die Marine-Aufklärer, bevor sie ausgebüxt waren,

ihre örtliche Waffenkammer geknackt und alle schallgedämpften Waffen mitgenommen, die sie tragen konnten, vermutlich zur Vorbereitung eines lautlosen Guerilla-Feldzuges.

Ich funkte Panzerspähwagen Nr. 1 an und erteilte den

Männern die Erlaubnis, schallgedämpft auf die Untaten

zu schießen, die das Feuerwehrauto umgaben. Ich hatte

den Befehl kaum gegeben, als ich auch schon das gespenstische Geräusch hörte, das schallgedämpfte Maschinenpistolen von sich geben. Ein Untoter nach dem anderen fiel auf die Nase. Die Marines schossen oft daneben. Während des Schießens las Handley meine Gedanken und informierte mich, dass schallgedämpfte 123

9-mm-Waffen nicht annähernd so genau waren wie ein

M-16 - aber eben leise, weswegen sie keine unerwünschte

Beachtung auf sich zogen.

Das Geräusch war in etwa vergleichbar mit dem, das

man beim wiederholten Ladegriffziehen einer normalen M-16 erzeugt. Ich hörte nur ein leises Ploppen. Wir brauchten vier Minuten, um den Platz rings um das

Feuerwehrauto zu säubern. Wir parkten die Panzerspähwagen um das Fahrzeug herum und stiegen aus. Die Marines hatten die schallgedämpften Waffen schon wieder verstaut, denn wenn man sie zu oft abfeuerte (so ging

jedenfalls die Sage), wurde der Schalldämpfer auf lange

Sicht wirkungslos. Acht Mann bauten zwischen den Panzern einen Verteidigungszaun auf. Ich trat an das Feuerwehrauto heran und griff nach oben, um die Tür zu öffnen. Sie war verschlossen. Von untoten Ffoten erzeugte Eiterschlieren waren an beiden Türen präsent und deuteten an, dass die toten Feuerwehrleute bis zu ihrem offensichtlichen Freitod in dem aufgegebenen Wagen ausgeharrt hatten.

Mit einem langen Schraubenschlüssel, den ich einem

der Werkzeugbeutel des Fahrzeugs entnahm, sowie besonders breitem Klebeband schlug ich lautlos die Scheibe ein, so dass ich die Fahrertür aufbekam. Ich griffhinein,

um das Türschloss zu öffnen - und einer der Feuerwehrleute packte mein Handgelenk. Ich versuchte mein Bestes, um die Hand wieder durch das Loch in der Scheibe zu ziehen. Das Ding war mit dem Mund beinahe an meinem Gelenk, als ein Marineinfanterist das Feuer eröff..

124

nete und den Schädel des Angreifers in Fetzen schoss.

Wir hatten beide Feuerwehrleute für tot gehalten. Das

laute Geräusch musste die Kreatur aus einer Art Untoten

Winterschlaf geweckt haben.

Der Feuerwehrmann auf dem Beifahrersitz war wirklich tot. Der größte Teil seines Oberkörpers und sein Kopf fehlten. Beides verrottete vermutlich in Schlund

und Magen der anderen Kreatur. Nachdem ich die Tür

geöffnet und den Ghoul auf dem Fahrersitz zu Boden

gerissen hatte, stieß ich den Toten auf dem Beifahrersitz mit dem Lauf meines Gewehrs an. Er rührte sich nicht. Er klammerte sich noch immer an eine blutbefleckte Axt.

Der Vorteil, von Angehörigen einer unterschiedlich ausgebildeten und befähigten Einheit umgeben zu sein, wurde mir offensichtlich, als ich mir klarmachte, dass

ich nichts von Großfahrzeugen verstand. Ein Mechaniker machte sich an die Arbeit, knackte die Motorverkleidung und schaute nach, was noch zu retten war. Seine Prognose: Der Karren ist knapp an Öl, die Batterie tot,

der Tank leer. Treibstoff war kein Problem. Wir entnahmen den Reserven unserer Panzer ein wenig Sprit, um den Tank teilweise aufzufüllen. Öl würde warten müssen, denn ohne uns die Zeit zu nehmen, das Handbuch zu lesen, wusste weder ich noch der Mechaniker, welches Öl man brauchte. Lesen war nun aber keine Option, denn ich hörte die uns beschützenden Soldaten schon

wieder auf ein Untotengrüppchen schießen, das der Lärm

der Exekution des Feuerwehrmanns angelockt hatte.

125

Das Letzte, worum wir uns kümmern mussten, war

das Aufladen der Batterie. Der Mechaniker wusste nicht

genau, in welchem Zustand die Batterie sich befand,

denn sie war ungeprüft ein halbes Jahr lang den Elementen ausgesetzt gewesen. Wir starteten den Versuch, sie zu laden. Die Warterei ging los. Es sollte eine halbe

Stunde dauern, um eine derart große Batterie so weit

aufzuladen, dass ihr Saft genügte, um den stillstehenden Motor anzuwerfen. Bis dahin standen wir - bis auf den am Feuerwehrauto arbeitenden Mechaniker - alle

aufWache. Dem Mechaniker war auch die Aufgabe übertragen worden, die Abschleppkette anzubringen, falls sich ergab, dass die Batterie unbrauchbar war.

Wir feuerten einen Schuss nach dem anderen ab. Es

gab praktisch unbegrenzten Untaten-Nachschub. Die Stadt

war am Horizont sichtbar. Da niemand den Bränden

Einhalt gebot, stiegen noch überall Rauchsäulen zum

Himmel auf. Ich fragte mich, zu welcher Feuersbrunst

unser Wagen hatte fahren wollen. Das Haus war bestimmt längst niedergebrannt. Wieder ein Schuss … und noch einer …

Sie kamen näher … in größeren Massen … und schneller. Nur noch zehn Minuten … Das Summen wurde immer lauter. Der Wind trug Gestöhne und die periodisch auftretenden Klänge von Metall heran, das in der Ferne

gegen irgendetwas schlug oder zu Boden fiel, sobald

ein Untoter über irgendwelche auf der Straße liegenden

Trümmer stolperte. Wenn ich nach hinten blickte, sah

ich den Mechaniker, der die Ketten an der Unterseite des

126

Wagens befestigte. Er schleppte das andere Ende aber

nicht zu dem wartenden Panzerspähwagen, sondern legte

die Kette einfach um die an die Frontstoßstange des

Feuerwehrautos geschweißten Aufhänger. Dann hörte

ich das Spucken des anspringenden Motors. Es hatte geklappt. Der Motor lief und fügte unseren Problemen noch eine weitere Lärmvariable hinzu. Als ich zurücksah, quoll Rauch aus dem Auspuff. Der riesengroße rote Behemoth erwachte und kam in einer Welt zu sich, die

sich sehr von der unterschied, durch die er früher gefahren war.

Der Mechaniker grinste. Ich warf ihm einen lobenden

Blick zu und befahl den Männern, in ihre Fahrzeuge zurückzukehren. Ich sprintete zum Panzer Nr. 2 hinüber, winkte die Besatzung an mir vorbei, sprang hinein und

rief: »Letzter!«

Hinsichtlich der mechanischen Verlässlichkeit des

Feuerwehrautos war ich mir alles andere als sicher. Ich

sagte dem Mechaniker über Funk, er solle in unserem

Konvoi den dritten Platz einnehmen. Die Formation bestand aus Panzer Nr. 1, Nr. 2 (in dem ich saß), dem Feuerwehrauto und Panzer Nr. 3. Ich wollte nicht, dass der große Laster liegenblieb und für eine weitere arme Seele

zum Grab wurde. Ich wusste, dass der Wagen wahrscheinlich in einem guten Zustand war. Ihm war lediglich auf der Interstate der Sprit ausgegangen, deswegen war er

im Stau stecken geblieben. Die armen Feuerwehrleute

waren von Untoten umzingelt gewesen und hatten keinen Ausweg gesehen. Der Rest ist reine Spekulation.

127

Wir waren wieder auf Achse und fuhren in Richtung

Hotel 23. Während der Fahrt fielen Sergeant Handley

und mir zahlreiche Tankwagen auf. Wir markierten ihre

Standorte auf der Karte. Irgendwann brauchten wir eine

ordentliche Ladung Dieselöl. Wir wollten uns später

darum kümmern. Ich glaube nicht, dass der kürzlich erfolgte Bevölkerungszuwachs daheim sich auf den Energieverbrauch auswirkt. Die Generatoren laufen am Tag nur wenige Stunden, um die Batterien für die Beleuchtung, Luft, Wasserzirkulation und gelegentliches Kochen aufzuladen. Wir haben von Anfang an mit Einmannrationen und in begrenztem Umfang mit Trockennahrung überlebt, die allmählich alt wird, aber ich weiß, dass Marines diese Dinge unter normalen Umständen in

Friedenszeiten weitaus regelmäßiger und länger als wir

verzehrt haben.

Wir erreichten die Stelle, an der wir auf die Interstate abgebogen waren. Der tiefe Stand der Sonne war der Auslöser für das Furchtbare, das dann geschah. Das

Feuerwehrauto blieb stehen. Ich schickte zwei Mann aus

meinem Panzer, die die Kette an unserem Schleppknauf

befestigen sollten. Unser Fahrzeug hatte hinsichtlich seines Drehmoments kein Problem. Ich war mir sicher: Einer der j ungen Marines kannte garantiert jede Mutter

und Schraube dieser Karre. Aber ich wusste: Die Sache

war haarig.

Die lange Stahlkette zerrte und knallte jedes Mal, wenn

die Zugspannung das Gewicht des schweren Rettungsfahrzeugs, das wir abschleppten, nicht ausbalancieren 128

konnte. Ich spürte, dass unser Panzer ins Schwimmen

geriet und das Automatikgetriebe anfing zu arbeiten, um

die Zugkraft auf das Rad zu verteilen, das sie brauchte.

Es wimmelte hier von Untoten. Man konnte kaum bis

fünf zählen, ohne zu hören, dass unser Panzer j emanden mit einem lauten Klatschen plattmachte.

Ich blickte durch die dicke Panzerglasscheibe und sah

sie von uns abprallen. Einige Gestalten flogen sechs, sieben Meter weit in die zugewachsenen Straßengräben.

Wir waren nur noch eine halbe Stunde von H23 entfernt, als ich den Mechaniker anfunkte und ihn bat, den Wasserstand des Lasters zu prüfen. Er konnte die Anzeige nicht ablesen, weil das Bedienungsfeld ohne Strom war. Ich hoffte, der Wagen hatte wenigstens so viel Wasser, um so lange durchzuhalten, bis wir den Laster repariert und eine andere Quelle gefunden hatten. Ich war sicher, dass unser Wasser im Stützpunkt jeden Moment

zu Ende ging, falls es nicht schon zu Ende gegangen war.

Unter Einsatz der Nachtsichtanlage des Panzerspähwagens machte ich die Kameralichter von Hotel 23 ausfindig. Wir waren auf dem richtigen Kurs und brachten den Laster im Schlepptau nach Hause. Er fasste fünfzehntausend Liter und war zu einem Viertel voll. Es würde reichen, bis wir eine neue Wasserquelle aufgetan hatten. Dank der Erste-Hilfe-Kästen im H23 und dem Zeug, das die Marines mitgebracht haben, können wir das Wasser mit Jod bestimmt reinigen. Es wäre wohl auch klug, in den Vorstädten gelegentlich ein paar Türen einzutreten und Reinigungsmittel einzusacken.

129

Aus dem Hauptquartier treffen fortwährend Meldungen ein. Die meisten rufen uns jedoch nicht zu Taten auf, sondern sollen uns informieren. Ich musste einen

Lagebericht in Sachen Austin, Texas, formulieren. Die

hohen Tiere auf dem Flugzeugträger brauchen die Daten

zur Aktualisierung ihrer hochnotwichtigen Lagepläne.

Ich habe das Gefühl, man könnte uns bald in ein verstrahltes Gebiet schicken, damit wir auch darüber einen Lagebericht schreiben. Vermutlich werde ich diese Brücke genau in dem Moment überqueren, in dem sie unter mir zusammenbricht.

130

: Kut t e r i

.

-

-

-

�- Aut:Ju-s-r

13So u�p.

Ich im Hotel 23. Eingeschlossen. Tote Marineinfanteristen klopften von außen an die Tür des Umwelt-Kontrollraums. Ich schob den Gucklochdeckel beiseite und sah sie … Tara war auch dabei, blutig, tot, gierig. John war

hinter ihr und kratzte an der Tür. Ich hatte vergessen,

wie ich in diesen Raum geraten war. Ich wusste nur: Ich

war hier. Um die mir vertrauten Gesichter herum: Marineinfanteristen. Viele waren von tödlichen Gewehrkugeln durchlöchert. Auch mein Funker. Er trug noch immer sein Headset auf dem Kopf … und … redete. Der

tote Funker redetel »Sir«, sagte er, »wachen Sie auf … Ich

habe wichtige Informationen für Sie.«

Ich bin mir der Qualität der Botschaft, die gestern

Nacht eintraf, während ich schlief, nicht sicher. Ich erwachte, weil der Funker an meine Tür klopfte. Die Nachricht besagte, dass wir an die Küste kommandiert wurden, um einem havarierten Kutter der Küstenwache zu helfen. Die Besatzung ist nicht in unmittelbarer Gefahr.

Sie ankert vor der texanischen Küste; nur hundertzwan-

131

zig Kilometer von der Ecke entfernt, an der die Bahama

Mama wahrscheinlich noch immer auf dem Strand liegt.

Als ich die Botschaft gelesen und ihren Inhalt mit Handley besprochen hatte, entschieden wir, es sei das Beste, heute Abend aufzubrechen.

Noch ziemlich aufgelöst von dem Traum erzählte ich

Tara, was meine Vision mir gezeigt hatte. Da sie für

mich mehr als nur eine Freundin war, meinte ich, ich

könnte ihr alles erzählen. Dean war ein ebensolcher

Edelstein. Ihre Klugheit half mir, mit den Dämonen fertig zu werden, die meine Seele in dieser Zeit alle Nase lang quälten.

Das Gefühl war mit dem vergleichbar, das man hat,

wenn man aus einem langen Urlaub zurückkehrt und

feststellt, dass die Arbeit sich während der Abwesenheit

gestapelt hat. Während ich dies schreibe, legt der Stellvertreter meines Stellvertreters gerade den Kurs fest, der uns übers Land zu unserem Rendezvous mit dem tot im

Wasser liegenden Kutter bringen soll. In jeder anderen

Situation wären wir längst aufgebrochen, doch da die

Männer an Bord sich in relativer Sicherheit befinden,

nehmen wir uns die Zeit, um die Reise aus Sicherheitsgründen eingehend zu planen und uns zu bevorraten.

Ich wollte die Exkursion auf maximal achtundvierzig

Stunden beschränken, denn es steht noch immer allerhand an, um beide Lager miteinander zu verschmelzen.

Wir können zwar nicht alle Leute im Hotel 23 unterbringen, aber ich habe das Gefühl, dass wir, passendes schweres Werkzeug und einige Interstate-Betontrenn-132

wände vorausgesetzt, eine hohe Mauer vor dem Maschendrahtzaun aufbauen können. Auch wenn es vielleicht Monate dauert, die dazu nötigen Trennwände heranzuschaffen - es könnte sich lohnen.

Noch eine Notiz: Danny hat sich heute beim Spielen

mit Laura im Freien verletzt. Sie haben Annabelle durch

die Botanik gejagt, und da ist Danny in ein kleines Bodenloch gerutscht und hat sich den linken Knöchel verstaucht. Neuerdings sind die Kinder öfters im Freien, aber die Marines haben, wenn sie oben sind, strengste

Anweisung, ihre Sicherheit ständig im Auge zu behalten. Meine Ausrüstung habe ich bereits in den Panzer Nr. 2 gebracht. Ich habe ihn liebevoll (und insgeheim)

»Hummel-Thunfisch« getauft. Warum , weiß ich nicht,

aber aus irgendeinem merkwürdigen Grund passt der

Name zu ihm.

Es ist heute sehr heiß draußen, deswegen nehmen wir

mehr Wasser mit als sonst, damit wir feucht genug und

lebendig bleiben. Ich weiß, dass unser Trinkwasserstatus nicht so gut ist, wie er sein sollte, und das Gleiche auch für den Treibstoff gilt. Dies ist ein Problem, das wir

neben unseren offiziellen Pflichten lösen müssen. Ich

bin in gewisser Weise froh, dass Hotel 23 nur ein kleines

Rädchen im Getriebe des Oberkommandos darstellt. Auf

diese Mission nehme ich dieselben Marines mit wie

zuvor. Keiner ist mir bei unserem letzten Unternehmen

als inkompetente Pfeife aufgefallen, deswegen sehe ich

nicht ein, dass ich auf einer so kurzfristig angesetzten

Mission etwas reparieren soll, das keinerlei Schaden oder

133

Mängel aufweist. Vielleicht tausche ich sie auf der übernächsten Mission aus, falls es eine geben sollte.

11. Aut:su�“f

11.1� u�p.

Die Abfahrt von Hotel 23 verlief ereignislos. Es war sehr

schwül draußen. Als wir die Luke öffneten, die vom Stützpunkt aus nach oben führt, war es, als beträte man eine Sauna. Die Fahrzeuge waren bereits betankt und reisefertig.

Die Straßen brauchten dringend Wartung, die sie aber

nie mehr erhalten werden. Der Beton ist aufgebrochen.

So schlechte Straßen habe ich seit meinem Dienst im

Land des schadhaften Lächelns nicht mehr gesehen.

Wir fuhren nach Osten, zur Küste, bis wir etwas erreichten, das einst eine bedeutende Fahrbahn gewesen war. Nun ähnelte sie eher einer Wiese, auf der sich Autowracks in Richtung Osten aneinanderreihten. Ich war an diesen Anblick nicht gewöhnt. Die rostenden Karosserien waren der einzige Hinweis auf den tatsächlichen Verlauf der Straße.

Wir krochen in allgemeiner Richtung des Straßenverlaufs an den Wracks vorbei, wobei wir sorgfältig darauf achteten, ihnen nicht zu nahe zu kommen, denn auf

Probleme waren wir nicht scharf. Die Untoten waren

zwar nicht intelligent, und dies war keine bekannte strah·

lenverseuchte Zone, aber die wogenden texanischen Hügel

134

konnten Scharen von Kreaturen in den Tälern zwischen

unserem Stand- und Zielort leicht verbergen.

Etwas, an das ich ebenfalls ständig denken musste,

war die Andersartigkeit des Gesamtbildes. Früher gab es

nur eine Handvoll Tiere, die einem einen tödlichen Biss

zufügen konnten; etwa gewisse Schlangenarten. Jetzt ist

das Pendel der für den Menschen schädlichen tödlichen

Geschöpfe in die andere Richtung geschwungen. Wurde

man früher von einer Viper gebissen, hatte man wenigstens eine Chance, zu überleben. Laut den Geschichten, die ich von den Marines höre, gibt es aber gegen die Biester,

die gegenwärtig die Welt plagen, kein Antidot. Handley

sagt, er hat Hunderte von - starken - Männern gesehen,

die innerhalb von sechsunddreißig Stunden nach einem

Biss oder einem Kratzer in die Knie gegangen waren. Es

gibt sogar dokumentierte Fälle von Opfern, die bei einer

zufälligen Übertragung von Speichel in eine offene Wunde

infiziert worden waren.

Irgendwas an diesen Geschöpfen ist mir unheimlich.

Was gibt ihnen Kraft? Obwohl sie tot sind, scheinen sie

über unbegrenzte Mengen an Energie zu verfügen. Ich

hoffe insgeheim, dass irgend wo jemand oder eine Expertenkommission daran arbeitet, ihre Stärken und Schwächen einzuschätzen. Sie sind uns in den USA vermutlich millionenfach und im Ausland milliardenfach überlegen.

Dies waren so ungefähr die Gedanken, die mir durch

den Kopf gingen, als wir unterwegs waren, um den Kutter Reliance zu retten, der kaputt im Wasser trieb. Wir waren noch eine ganze Reihe von Kilometern von unse-135

rem Zielort entfernt, als die ersten Gruppen von Untoten in unseren NSGs auftauchten.

Ich legte die Schlachtvorschriften unserer Einheit

sorgfaltig dar. Die Männer wussten: Wir gehen nur dann

mit Gewalt vor, wenn es absolut unvermeidlich ist. Die

lauten Motoren unserer vier Panzerspähwagen ließen

die Untoten auf dem Absatz herumfahren und sich in

unsere Richtung begeben. Sie waren konditioniert und

wussten: Jedes laute Geräusch wies eindeutig auf Pressbares hin.

Ich musterte sie wütend vom Geschützturm aus und

blickte dann in die Nacht. Das NSG taugte zwar einiges,

kam aber im Gegensatz zum unbewaffneten Auge im

Hellen über eine bestimmte Reichweite nicht hinaus. Es

ist ungefahr so, als leuchtete man mit einer ellenlangen Taschenlampe achthundert Meter weit in die Nacht hinaus.

Es war wie gehabt. Leichnam auf Leichnam wanderte

in der Umgebung seines jeweiligen Ablebens herum.

Wenn man mit einem Vierachser unterwegs war, hatte

dies Vorteile. Solange wir nicht auf Brücken oder Überführungen stießen, kamen wir neben der Straße gut voran. Wenn wir uns aber solchen Bauwerken näherten, bedeutete dies, dass wir die verstopften Arterien des Highways entweder von ihn blockierenden Fahrzeugen

befreien oder in die Tiefen von Flussbetten hinabsteigen

mussten. Manchmal war es aber kein Flussbett, was sich

unter einer Überführung befand, sondern ein Autobahnkreuz oder ein darunter verlaufender kleinerer High-136

way. Und ein solcher war es, auf den wir in der Nacht

unseres Trips zum Kutter stießen.

Panzer Nr. 1 funkte zweihundert Meter vor Erreichen

des Beschlusspunkts nach hinten. Die Besatzung wusste,

dass sie nie anhalten sollte. Man fuhr im Leerlauf weiter,

als die knisternde Stimme des Funkers bei uns ankam.

>>Wir nähern uns einer Überführung, Sir. Die Straße ist

verstopft. Was wollen Sie tun?«

»Was für Fahrzeuge verstopfen die Überführung?«,

fragte ich.

»Ich sehe ein paar Neunachser, Sir«, lautete die Antwort.

Ich hatte keine andere Wahl, als die Männer auf die

Uferböschung fahren zu lassen, die zu der darunterliegenden Straße führte. Ich wies sie an, diagonal nach unten zu fahren und keinesfalls anzuhalten. So ungern

ich auch darüber nachdachte: Unseren Fahrzeugen mangelte es noch immer an einer von Fachkräften durchgeführten Werkstattwartung, da sie bei mehr als einer Gelegenheit plötzlich gespuckt hatten und dann abrupt

stehen geblieben waren.

Als Spähpanzer Nr. 1 fünfzig Meter vor mir in einem

Abgrund verschwand, meldete sich das Funkgerät, das

aber nur Rauschen von sich gab.

Ich aktivierte mein Mikrofon und fragte an, was los

sei.

Panzer Nr. 1 meldete sich wieder. »Geben Sie lieber

Bleifuß, Sir, und umfahren Sie diese Ecke. Hier liegt ein

Schulbus; er wimmelt nur so von diesen Dingern.«

137

Ich bedankte mich für die Warnung und bat den Sergeant, mich auf dem Laufenden zu halten. Wir waren nun fast auf der Hügelkuppe und hatten Panzer Nr. 1 im

Blickfeld.

Das Funkgerät knisterte erneut. »Sir, der Geigerzähler

schlägt aus … «

Ich erstarrte kurz. Wir waren weiter von allen verstrahlten Gebieten entfernt als Hotel 23. Wieso schlugen unsere Geigerzähler so weit vom Schuss an?

Als der Bug von Panzer Nr. 2 über den Grat kippte, den

Abgrund hinunterholperte und sich zum Rendezvous

mit dem Highway bereit machte, sah ich den Schulbus.

An ihm war zunächst nichts Besonderes zu erkennen,

doch dann schaute ich genauer hin.

Der Bus war kampfbereit. Seine Fenster waren seitlich

mit angeschweißtem Maschendraht versehen. Vorn war

ein behelfsmäßiger Schneepflug befestigt. Als wir uns

dem großen gelben Fahrzeug näherten, meldete sich

unser Geigerzähler. Der Bus strahlte eine hohe Dosis Radioaktivität ab. In ihm hielten sich zahlreiche Untote auf. Noch beunruhigender war, dass ich fast ein Dutzend wirklich toter Leichen auf dem Dach erspähte.

Ich konnte nicht mal darüber spekulieren, was hier

los gewesen war. Der Bus war heiß, doch die ihn umgebenden Untoten waren nicht mal annähernd auf dem gleichen Level. Der Geigerzähler zeigte an, dass der Bus

eine Dosis abgab, die jeden tötete, der ihr längere Zeit

ausgesetzt war. Einige Insassen schienen äußerst traumatisierende Wunden davongetragen zu haben, andere 138

hingegen wirkten unversehrt. Die Geräusche, die unsere

an ihnen vorbeifahrenden Fahrzeuge machten, versetzten sie in einen aufgeregten Zustand. Mein letzter Blick auf den Bus traf das zweitletzte Fenster an der rechten

Seite. Ein kleiner junge hing am rechten Bein aus dem

Fenster. Sein linkes Bein war nichts als Knochen und

sein Gesicht voller krankhafter Gewebeveränderungen

und Blasen. Er schien weder tot noch untot zu sein.

Unter Aufrechterhaltung des Funkkontakts gelang es

uns schließlich, den Trümmerhaufen zu umfahren. Wir

wichen den Untoten aus, indem wir den Hügel hinauffuhren, um unseren nach Osten führenden Kurs wieder aufzunehmen. Etwas an dem Bus hatte mich verstört.

Ich fragte mich, ob er vielleicht mit Überlebenden gefüllt war, die versucht hatten, sich auf sicheres Gelände zu flüchten. Sie kamen allem Anschein nach aus einem

verstrahlten Gebiet und wussten, dass Bleiben ihren sicheren Tod bedeutete.

Wie waren die Gestalten auf dem Dach wohl ins Freie

gelangt? Ich hatte keinerlei Waffen bei ihnen gesehen.

Es dauerte mehrere Stunden, bis ich endlich wieder an

andere Dinge denken konnte. Wir fuhren weiter durch

die Nacht, schleppten uns gegenseitig ab, umfuhren bestimmte Gegenden und mieden andere gänzlich. Wir hielten nur noch einmal an, als wir einen Treibstoff-Tankwagen erreichten, der in sicherer Entfernung von allen Engpässen, Auffahrunfallen und Verkehrsstaus stand.

Da uns die Zeit fehlte, uns einen Reim auf das Fahrzeug zu inachen oder auch nur einen Versuch zu unter-139

nehmen, es zum Laufen zu bringen, banden die Männer

einfach eine mit Stoff umwickelte Kette an das Ventil und

rissen es vom Tank. Dieselöl ergoss sich auf den Boden. Wir

alle wussten, dass Diesel nicht besonders leicht verdampft

und keine echte Bedrohung darstellt, solange man klug

damit umgeht. Mit einem Messer schnitten wir einen der

Gummischläuche von der Seite des Tankwagens ab und

klebten ihn mit dem breiten Klebeband an das kaputte

Ventil. Es sah zwar nicht schön aus und war auch nicht

wasserdicht, reichte für unsere Zwecke aber aus. Wir füllten die Fahrzeuge und Reservetanks mit Diesel. Ein Mechaniker prüfte das Zeug und meinte, dass es zwar noch brauchbar sei, aber ohne Zusatz in einem Jahr zerfiele.

Wir verstopften das kaputte Ventil mit Stoff, den wir

aus den Sitzen des Tankwagens schnitten, einem riesigen Trinkbecher und einem Stück Seil.

Der Wagen tröpfelte ein wenig, aber es würde Jahrhunderte dauern, bis er ausgelaufen war. Für den Fall, dass wir auf der Rückfahrt Sprit brauchten, trugen wir

ihn als potenzielles Tanklager in unsere Karten ein. Die

Aussicht, über ein Spritdepot zu verfügen, führte dazu,

dass ich mich etwas besser fühlte. Die schludrige Wartung unserer Fahrzeuge, zu der noch die fragwürdige Qualität des Treibstoffs kam, dämpfte meine positiven

Gefühle allerdings gleich wieder.

Bei Sonnenaufgang erreichten wir Richwood, Texas.

Das Schild, auf dem der Name der Stadt und die Zahl

ihrer Einwohner standen, war teilweise von einem Graffito übermalt - einem X. Ich roch salzige Luft. Der Golf 140

war nicht mehr fern. Während der ganzen Nacht hatten

wir versucht, den Kutter per Funk zu erreichen. Ohne

Erfolg. Die Männer waren müde, und tagsüber war jede

Bewegung ein Risiko. Wir durchfuhren ein Industriegebiet, und so brauchten wir nicht lange, bis wir eine eingezäunte Fabrik fanden, in der wir uns verstecken

und übernachten konnten.

Die Firma hieß PLP. Wenn man nach der Gerätschaft

gehen konnte, die vor dem Hauptgebäude lag, hatte sie

etwas mit Industrieröhren zu tun. Ein Marineinfanterist

schlug das Torschloss mit der Axt entzwei, die an der

Außenwand von Panzer 3 befestigt war. Wir fuhren auf

das Gelände, schlossen das Tor wieder hinter uns und

befestigten die Kette mit Klebeband und Ersatz-Zeltstangen. Wir stellten die Panzer hinter dem Gebäude ab und bastelten einen Wachtplan. Mittels der überall herumliegenden Röhrenhaufen bauten wir eine Verteidigungsumgrenzung auf.

Wir bekamen an diesem Tag kaum Schlaf, da es im

Inneren der Fabrik unaufhörlich knallte. Die untoten Arbeiter wussten, dass wir hier draußen waren und wollten ebenfalls an die frische Luft. Als wir aufwachten und die schweren Röhrenstapel beiseiteschafften, hatten wir

am Zaun in der Nähe unseres Gebiets Publikum. Es waren

nicht viele, aber genug. Einer ist schon zu viel. Und noch

ein willkürlicher Gedanke … Wie viele Menschen kann

einer von denen infizieren, wenn sie nacheinander an

ihm vorbeispazieren und zulassen, dass er sie beißt? Eine

unbegrenzte Anzahl? Fünfzig?

141

Wir schickten vier Mann aus, um das untote Publikum abzulenken, damit wir das Tor öffnen und vom Fabrikgelände verschwinden konnten. Die Sonne stand

niedrig. Seit unserer letzten Rast waren dreizehn Stunden vergangen. Wir brauchten mehr Zeit, damit sich alle mal ausschlafen konnten. Hätten wir zugelassen,

dass alle gleichzeitig schlafen, hätten wir vier Stunden

eingespart, aber das wäre tollkühn gewesen. Wir ließen

die Gegend schnell hinter uns und machten uns auf den

Weg zur Küste.

Ich war lange nicht am Meer gewesen. Der vertraute

Geruch erinnerte mich an längst vergessene Dinge -

etwa an den Duft eines alten Rasierwassers, das man

ganz hinten in einem Medizinschränkchen findet.

Erneut versuchten wir Verbindung mit dem Kutter

aufzunehmen. Unsere UHF-Funkgeräte konnten bei ordentlicher Einstellung mit Hotel 23 locker Kontakt halten. Deswegen hätten wir den Kutter viel besser erreichen müssen. Das Einzige, was mir dazu einfiel, war ein Signalaufpraller, ein Phänomen, mit dem Funker bestens vertraut sind. Ist man dem anvisierten Empfänger eines Funkspruchs zu nahe oder zu fern, kann das Signal in eine Position geraten, die über den empfangenden Funkantennen abprallt. Der Himmel war bewölkt, und manchmal war gerade dies ein Faktor bei diesem

Problem.

Wir meldeten uns bei John und dem Rest der Ur-Hotelbewohner. Ich erzählte von dem Schulbus, dem Tankwagen und der Röhrenfabrik Ich erkundigte mich, ob 142

Tara zugegen war, doch er erwiderte, sie wäre es nicht.

Dann bat ich ihn, ihr zu sagen, sie solle sich keine Sorgen machen. Außerdem solle er ihr bloß nichts von dem Schulbus erzählen. Ich hatte mich hauptsächlich gemeldet, um eine aktuelle Positionsmeldung des Kutters zu erhalten. John sagte, er würde den Funker eine Botschaft

senden lassen und sich innerhalb einer Stunde wieder

melden.

Wir zockelten dem Ozean entgegen, und bald kam das

Meeresgrün in Sicht. Die riesige Ausdehnung des Golfs

lag vor uns. Die Reaktionen der Männer verrieten mir,

dass auch ihnen der Anblick eines offenen Gewässers gefehlt hatte. Als wir uns dem Jachthafen näherten, meldete John sich wieder über Funk und übermittelte uns die Antwort des Flugzeugträgers. Die dortigen Aufklärer

hatten vor einer halben Stunde die letzte Link-11-Datenaktualisierung empfangen. Der Kutter befand sich in Position 28-SO.ON 096-16.4W. Unseren Karten zufolge musste er somit sechs Kilometer vor der Küste dümpeln.

Wir waren dem Jachthafen nahe genug, um Einzelheiten erkennen zu können. Dort waren nur kleine Segelboote zurückgeblieben. Die Gegend erinnerte mich an das Örtchen Seadrift. Warum auch nicht? Es lag nicht

weit von hier. Ich fragte mich, ob die eingelegten Zwiebeln noch an Deck der Mama standen. Sie lag ebenfalls nicht weit von hier.

Da wir eine Weile brauchen würden, um unsere amphibische Rettungsmission zu planen, fuhr unser aus drei Fahrzeugen bestehender Konvoi auf den Parkplatz

143

des Fair-Winds-Schwimmstegs. Ich funkte John nochmal

an und bat ihn, eine Botschaft ans HQ zu schicken und

für den Fall, dass die Position des Kutters sich um mehr

als einen Kilometer änderte, Aktualisierungen anzufordern. Er bat mich, vorsichtig zu sein, und meinte, wir würden uns in ein paar Tagen sehen.

Da es keine Verständigung zwischen unserem Konvoi

und dem Kutter gab, fragte ich mich, ob wir uns hier

wirklich auf einer Rettungs- und Bergungsmission befanden. Das Knallen von Schüssen ließ mich zusammenzucken und riss mich aus meinen Gedanken. Ich fluchte leise und fragte mich, wer unser wichtigstes Gebot gebrochen hatte. Ich schnappte mir ein Mikrofon, schaltete es ein und erkundigte mich, wer geschossen hatte und warum. Der höchste Dienstgrad auf Panzer Nr. 3

antwortete und bat mich, das Periskop direkt auf sechs

Uhr zu richten. Ich sollte mir anschauen, was da im Anmarsch war.

Ich tat ihm den Gefallen und sah ungefähr fünfzig

wandelnde Leichname, die sich aus dem vielleicht vierhundert Meter entfernten Stadtgebiet in unsere Richtung ergossen. Da mir fünfzig von denen lieber waren als fünftausend, machte ich mir keine übertriebenen

Sorgen. Der Sergeant feuerte nicht auf die Untoten, die

fünfhundert Meter von uns entfernt waren, sondern

auf die, die an seine Hintertür klopften. Ich weiß nicht

warum, aber die aus vier Untoten bestehende Gruppe

hinter Panzer Nr. 3 kam mir bekannt vor. Ich wusste

nicht, wo ich sie hinstecken sollte. Seit es diese Dinger

144

gab, hatte ich Tausende gesehen. Vielleicht war ich auch

einfach nur paranoid.

Ich signalisierte den Männern, die Fahrzeuge auf amphibische Fahrt vorzubereiten. Die Marinepanzer waren so seetüchtig wie ein Schiffchen. Sie waren groß, schwer

und langsam, konnten sich aber im Wasser bewegen.

Sie besitzen am Heck zwei kleine Schrauben, mit denen

man sie auf fast zehn Knoten beschleunigen kann. Wir

eröffneten das Feuer aufjene Viecher in unserer unmittelbaren Nähe und die zwischen uns und dem Meer auftauchende Untotenmeute. Unser Weg war frei, unsere Panzerspähwagen waren bereit, also brausten wir in den

Golfvon Mexiko, während Scharen von Untoten uns verfolgten.

Das mir ins Gesicht spritzende Wasser war warm. Es

spritzte schließlich sogar bis zu den Männern hinein.

Ich warf Sergeant Handley einen besorgten Blick zu. Er

meinte lächelnd, ich solle mir keine Sorgen machen.

Wenn das Ding anfinge zu lecken, würde er sich Sorgen

machen. Ich vertraute ihm und schob den Kopf wieder

ins Freie, um die Aktivitäten am Ufer zu beobachten.

Ich wies die anderen Panzer an, auf Leerlauf zu schalten

und hundert Meter vor dem Schwimmsteg eine Linie zu

bilden. Auf dem Boden meines Fahrzeugs stand das Wasser fünf Zentimeter hoch, doch es sah nicht so aus, als wolle es sinken.

Ich kletterte ins Freie und schaute den Untoten zu,

die sich wie Ameisen am Ufer entlang versammelten. In

diesem Moment piepste das Funkgerät, und eine neue

145

Meldung traf bei uns ein. Es war der vertraute Klang

einer geheimen Abstimmung. Irgendwie hört es sich immer wie ein altes Computer-Modem an, bis man endlich irgendwann die Stimme erkennt. John war dran. Er hatte

eine neue Positionsmeldung des Kutters. Zwar hatten

wir nur bei einem Abtrieb von mehr als einem Kilometer um eine Aktualisierung gebeten, aber man war im HQ der Meinung, auch die Nachricht, dass der Kutter

sich nicht bewegt habe, könne uns dienlich sein. Ich

musste zustimmen. Das Schiffhatte sich seit dem Augenblick, in dem die letzte automatisierte Positionsbestimmung über die Antenne auf dem Schiffsmast versandt worden war, nicht wesentlich vom Fleck gerührt.

Das Stöhnen der Toten wurde weit übers Wasser getragen und auch von meinem Mikrofon aufgenommen. Ich härte Tara etwas sagen, dann schienen sich auf unserem

Stützpunkt zwei Menschen um das Mikro zu raufen.

Dann war Tara dran und fragte, ob bei uns alles in Ordnung sei. Ich erläuterte ihr unsere gegenwärtige Lage und informierte sie, dass wir keiner direkten Gefahr ausgesetzt seien. Dann bat ich sie, mir John nochmal zu geben, was sie zögernd tat. Ich teilte john mit, dass wir

jetzt aufs offene Meer hinausfuhren, um den Kutter zu

suchen. Allmählich wurde es dunstig. Das Licht des Mondes und die Kälte des Abends verstärkten die Furcht, die wir alle verspürten.

Wir ließen die Schar der Untoten am Ufer zurück und

fuhren die Koordinaten, die uns die Flugzeugträger

Kampfgruppe übennittelt hatte. Je näher wir ihnen kamen,

146

umso mehr verblasste hinter uns das Gestöhne, bis wir

unseren Gegner schließlich vergaßen. Ich bemühte mich,

nicht an jene Untaten zu denken, die auf dem Meeresboden lauerten oder mit null Schwungkraft dicht unter der Wasseroberfläche trieben. Ich wünschte ihnen die

Pest an den Hals, denn sie fürchtete ich am meisten.

Die Bordoptik des Panzerspähwagens war viel besser

als mein NSG, also eilte ich wieder nach unten und setzte

die Sensoren ein. Ich konnte die Küste noch sehen. Die

Untaten waren noch da. Sie schwärmten wie Ameisen

umher. Ich schwang den Betrachter wieder zum Bug des

Panzers herum. Meine Füße waren nass vom Salzwasser,

das entweder von oben oder von unten in die Kabine eingedrungen sein musste.

Wir waren nun eineinhalb Kilometer von der Küste

entfernt, und ich sah am Horizont einen kleinen glänzenden Gegenstand. Er sah beinahe wie eine Kerze aus.

Nach drei zurückgelegten Kilometern erwachte das Funkgerät mit einer neuen Positionsmeldung zum Leben.

John behauptete, der Kutter der Küstenwache sei seit der

letzten Aktualisierung an seiner alten Position geblieben.

Ich hatte nichts dagegen. Je weniger wir auf dem offenen Meer nach dem Kahn suchen mussten, desto besser.

Ich entnahm einem Überlebenssatz eine Stroboskopleuchte und klammerte sie oben am Frachtnetz fest. Bevor ich einen Versuch machte, an Bord zu gelangen, wollte ich möglichst sichergehen, dass die Crew noch am Leben

war. Ich konnte die Umrisse des Kutters noch immer

nicht sehen. Wir waren nun fast fünf Kilometer von der

147

Küste entfernt. Die Quelle des Kerzenlichts war nicht

mehr zu übersehen. Es war die Flamme einer vor der

Küste liegenden Ölbohrinsel. Der Kutter befand sich an

ihrem Sockel. Er schien an der südöstlichen Tragesäule

der Insel verankert zu sein. Aus dieser Entfernung war

kein Lebenszeichen auszumachen.

Als wir uns der Plattform näherten, konnte ich in

der Ferne die Stimmen lebendiger Menschen hören. Sie

schienen zu rufen. Ich war mir ziemlich sicher, dass die

Stroboskoplampe von einem Aussichtspunkt an Bord

des Schiffes sichtbar war. Als wir näher kamen, wurde

mir allmählich klar, dass die Stimmen nicht von dem

Schiff kamen, sondern von der Ölbohrinsel. lch lauschte

und ging wieder rein, um die Panzeroptik einzusetzen.

Auf der Plattform wurden grün umrissene Menschen

sichtbar, die die Arme schwenkten. Dann waren wir nahe

genug an ihnen dran, um zu verstehen, was sie riefen.

Sie sagten, wir sollten nicht an Bord des Kutters gehen.

Er war übernommen worden.

Ich fragte mich, wie sich ein mechanischer Defekt an

Bord eines Kriegsschiffes zu einer Seuche hatte auswachsen können. Handley und ich waren die Ersten, die die Leiter der Ölplattform ergriffen. Auf dem Weg nach oben

konnte ich auf dem Kutter Gestalten ausmachen. Es war

ein langer Aufstieg, noch länger als die Leiter im Raketenabschusssilo von Hotel 23. Als ich auf der obersten Sprosse stand, halfmir jemand von der Mannschaft auf

die Beine. Ich zählte auf der Plattform ungefähr dreißig

Mann. Sie schienen alle gesund zu sein.

146

Ich fragte, wer die Leitung hatte, und einer erwiderte:

»Lieutenant junior Barnes, Sir.«

Ich bat darum, mit dem Lieutenant sprechen zu können, aber die Männer informierten mich schnell, dass er sich in einem Abteil des Kutters verrammelt hatte und

es keine Möglichkeit gäbe, es zu verlassen. Ich hatte den

Eindruck, dass man meine nächste Frage schon erwartet

hatte, denn kaum dass ich mich erkundigte, wie, zum

Henker, es diesen verwesenden Drecksäcken gelungen

war, ein Kriegsschiff zu kapern, wurde mir die Lage in

allen Einzelheiten erklärt.

Ich unterhielt mich mit einem Bootsmann. Er gehörte zu den Computertechnikern des Kutters und war für automatisierte Systeme und Netzwerke zuständig. Er

machte einen fahigen Eindruck. Der Fähnrich erklärte,

sie seien in der Nähe der Ölbohrinsel aufgelaufen. Die

aktualisierten Karten, die sie normalerweise an Bord

hatten, waren nicht greifbar gewesen, und sie hatten

nicht genau gewusst, wie tief die hiesigen Gewässer

waren. Es war nicht schlimm, aber bei dem Versuch,

sich von der Sandbank zu befreien, war die Schiffsschraube beschädigt worden. Das Schiff war zwar fahrtüchtig, aber nur unter großer Belastung von Maschine und Welle, da die Schraube nicht hundertprozentig funktionierte.

Für eine Rückeroberung des Schiffes gab es keine bessere Zeit als die Nacht. Ich wusste aus erster Hand, dass die Dinger im Dunkeln nicht besser sehen als ein durchschnittlicher lebendiger Mensch.

149

Trotz der Erklärung des Fähnrichs, warum und wie

sie im Wasser beinahe draufgegangen waren, blieb noch

eine nicht unwichtige Frage übrig: Warum waren auf

dem Kutter in ausreichender Anzahl Untote präsent, um

die Mannschaft zu bewegen, ihn aufzugeben? Ich befahl

dem Fähnrich, mir dies zu erklären. Zuerst zögerte er.

Dann erklärte ich ihm, wer ich war und unter wessen

Befehl ich stand.

Er senkte den Blick, bis seine Augen unter dem Schirm

seiner Mütze verschwanden, und sagte: »Wir hatten Anweisung von oben, Musterexemplare der Dinger zu schnappen und zu Forschungszwecken zum Flugzeugträger zu bringen.«

Was für ein Irrsinn! Oder etwa nicht? Wollten die Herren ganz oben diese Dinger ungeachtet der heiklen Forschungslage wirklich an Bord ihres Flaggschiffes sehen?

Sie an Bord eines Kutters zu bringen war ja vielleicht

noch zu verantworten, aber auf das Flaggschiff des us

Militärs?

Ich weiß, dass der Flugzeugträger über einen qualifizierten medizinischen Stab und bestens ausgestattete Forschungseinrichtungen verfügt, aber Forschungen dieser Art kann man auch anderswo betreiben, nicht unbedingt auf einem militärischen Flaggschiff. Meiner Ansicht nach wurde unser aktives Militärpersonal allmählich knapp.

»Warum im Golfvon Mexiko?«, fragte ich.

»Weil das Oberkommando verstrahlte Exemplare haben

wollte«, antworte der Bootsmann.

150

Ich hätte den Mann am liebsten spontan zusammengestaucht, weil er dieser Anweisung nachgekommen war, aber ich riss mich am Riemen, und so erzählte er mir,

dass man viele kleinere Schiffe mit Entführungsteams

in die verstrahlten Gebiete geschickt hatte, um Untote

dieser Art als Studienobjekte zu finden. Innerlich fand

ich die Absicht durchaus in Ordnung, aber mit den

Mitteln und der Unterbringung der Versuchstoten war

ich keineswegs einverstanden. Warum brauchte man

Exemplare aus verschiedenen Gegenden? Der Fähnrich

kannte die Antwort auf diese Frage nicht, und ich wettete, dass die Einzigen, die sie kannten, sich auf dem Flugzeugträger befanden. Ich fragte ihn, wie viele verstrahlte Leichen an Bord waren. Er berichtete, sie hätten fünf Stück im heißen Gebiet von New Orleans eingesammelt.

Ich fragte ihn, wie nur fünf Untote den Kutter außer

Gefecht gesetzt hatten. Der Fähnrich stierte eine geraume

Weile in die Nacht hinaus und schien nicht zu wissen,

was er sagen sollte. Ich schnippte mit den Fingern vor

seinen Augen und riss ihn aus seiner Trance. Dann erzählte er mir, was ich schon befürchtet und vermutet hatte.

»Sie haben sich verändert, Sir. Sie zerfallen nicht wie

die anderen. Sie sind stärker und schneller. Manch einer

sagt auch, dass sie mehr auf dem Kasten haben. Ich verstehe es einfach nicht. Die Strahlung hat irgendwas mit ihnen angestellt. Sie scheint sie zu konservieren. Die Mediziner auf dem Flugzeugträger halten die Strahlung für 151

irgendeine Art Katalysator, der ihre motorischen Funktionen erhält und ihre abgestorbenen Zellen nachwach�

sen lässt. Eigenartigerweise sind die regenerierten Zellen aber auch tot. Die Mediziner verstehen es niCht.

Niemand versteht es. Man will es zwar nicht zugeben,

aber eins weiß ich: Es war ein Fehler, unsere Großstädte

mit Atomraketen zu beschießen.

Die Biester, die wir an Bord hatten, haben ihre Fesseln

zerrissen und drei Wachen getötet. Die haben sich dann

gegen uns gewandt, so dass wir nur noch die Brücke

sichern und das Schiff an dieser Plattform verankern

konnten, um nicht gefressen zu werden.«

Er schätzte, dass sich inzwischen ungefähr fünfzehn

Untote an Bord aufhielten.

Ich ging davon aus, dass nun Handeln angesagt war.

Ich drückte dem Bootsmann mein Mitgefühl darüber

aus, dass der Flugzeugträger nie in den Besitz der erbeuteten Musterexemplare gelangen würde. Die würden wir nämlich endgültig töten.

Wir haben bei dem Angriff einen Mann verloren. Es

dauerte nur eine Dreiviertelstunde, dann gehörte das

Schiff uns. Es war finster. Es wäre reiner Selbstmord gewesen, wenn unser ganzer Trupp an Bord gegangen wäre.

Ich nahm Handley und einen erfahrenen Staff Sergeant

mit. Er wollte unbedingt dabei sein. Gerade habe ich erfahren, dass er in seinem alten Lager eine Frau hat. Ich kann sagen, dass er tapfer gekämpft und Handley und

mir wahrscheinlich das Leben gerettet hat.

152

Wir gingen vorsichtig an Bord des Kutters, indem wir

über die Ankertaue aufs Wetterdeck sprangen. Staff Sergeant »Mac« trug unsere einzige schallgedämpfte Waffe.

Die anderen hatten wir für den Fall zu Hause gelassen, dass unsere Kameraden sie zur Selbstverteidigung brauchten.

Da ich mit der Waffe nicht vertraut war, überließ ich

sie Mac. Ich hätte zwar gern mehr NSGs mitgenommen,

aber leider verfügten wir nur über drei. Mac erledigte

die beiden Gestalten auf dem Wetterdeck. Sie hatten

früher zur Schiffsmannschaft gehört. Wir stapelten sie

auf dem Vordeck und machten uns daran, das Schiff zu

säubern. Unter Verwendung der 21MC-Interkornanlage

des Kahns konnten wir Verbindung zu den sechs überlebenden Mannschaftsangehörigen aufnehmen, die in der Kornbüse verschanzt waren. Die Lautsprecher übertrugen auch das Hintergrundgetöse der Untoten, die pausenlos auf die stählernen Kombüsen-Rollläden einschlugen.

Die Trennwand war das Einzige, was die Kochkünstler und den Kornmandanten daran hinderte, gefressen zu werden.

Die Eingeschlossenen berichteten, dass sie einen verstrahlten Untoten mit einem Feuerlöscher und einer Axt niedergernacht hatten. Einer der daran beteiligten Männer hatte sich übergeben und war geschwächt. Vermutlich hatte er etwas abbekommen. Die Seeleute hatten in der verstrahlten Zone in New Orleans Strahlenschutzanzüge getragen, weil es dort sehr radioaktiv und ge-153

fahrlieh war. Der Lieutenant berichtete, dass zwei weitere außerhalb der Kombüse waren und auf die Schotts einschlugen. Er nahm an, dass sich ein großer Teil der

untoten Crew bei ihnen befand, wusste aber nicht genau,

ob sie sich alle auf der anderen Seite aufhielten. Wir lcrochen durch einen Gang und stiegen steile Leitern hinab.

Die Kombüse lag mittschiffs tief unter der Wasserlinie.

Als wir das Hauptdeck erreichten, sagte Mac leise, eine

der hellen Durchgangsleuchten zerstören zu wollen,

damit wir auch weiterhin die Oberhand behielten. Er

schoss die Lampe aus, und diese Veränderung der Atmosphäre verführte eins der Dinger dazu, genau vor seine Waffe zu treten.

Mac knipste es mit zwei Schüssen aus. Die erste Kugel

traf die linke Schulter des Untoten, was verfaultes schwarzes Blut gegen die Wand hinter ihm spritzen ließ. Der zweite Schuss traf das Ding voll auf die Nase und vernichtete vermutlich genug Hirnmasse, denn danach rührte es sich nicht mehr.

Wir schleiften es in eine Gangecke und fesselten seine

Arme und Beine mit Kabelbindern, um ganz sicher zu

gehen. Dann schlichen wir weiter durch die Finsternis.

jedes Geräusch kam mir wie ein Donnern vor. jedes LED

Blinken war ein Gewitterblitz. Das Schiffverströmte den

vertrauten Geruch von Mottenkugeln und den Hauch

des Todes. Wir kamen an eine Sperre. Es war eine hohe

Stahltür, die im Fall eines Angriffs oder Notfalls verhindern sollte, dass die benachbarten Räume von Wasser überflutet wurden. In der Tür befand sich anstelle eines

154

Gucklochs ein Bullauge aus dickem Glas und dem ungefahren Durchmesser einer Thermoskanne. Ich schaute hindurch. Die Notbeleuchtung des Schiffs war eingeschaltet. Ein gespenstisches rotes Licht enthüllte den kleinen Raum hinter der Tür. Ich berührte den Türgriff

und bemühte mich, so leise wie möglich zu sein. Ich bewegte ihn ganz vorsichtig. Wir zuckten alle zusammen, als die Verriegelung aufgrund mangelnder Wartung

plötzlich losquietschte. Ich hielt inne und schaute ein

weiteres Mal durch das Bullauge. In den Raum dahinter

kam Bewegung. Ein lauter Bums schallte durch unseren

Raum, als etwas Starkes die Tür traf. Der Druck hätte sie

beinahe aufgestoßen, doch zum Glück hatte ich den Griff

noch nicht vollständig in die Offen-Stellung bewegt.

Die Kreatur auf der anderen Seite verdeckte das rote

Licht hinter seinem Rücken. Ein Gesicht presste sich an

die dicke Glasscheibe, dann schlug ein Schädel in dem

sinnlosen Versuch, die Tür zu durchdringen, gegen sie.

jede Zelle meines Körpers riet mir zur Flucht sowie

dazu, die dicke Stahltür nicht zu öffnen. Noch konnten

wir uns umdrehen und überleben. Da unten aber waren

Menschen. Ich wusste, dass sie mit j eder Stunde, die sie

in der Enge dort verblieben und sich den verstrahlten

Untaten aussetzten, dem Tod eine Stunde näher rückten. Ich gab Mac zu verstehen, dass ich die Verriegelung aufreißen würde. Er sollte die Reißleine betätigen, die

ich an der Tür befestigte.

Da es nun sinnlos war, leise zu sein, pfiff ich auf jede

Vorsicht und schob den Griff in Öffnungsposition. Zack.

155

Mac zog an der Leine. Die Tür flog auf. Das Ding kam

uns entgegen. Zu unserem Glück war es nicht an das

Leben auf einem Schiff gewöhnt, so dass es prompt über

seine eigenen Staken stolperte und aufs Pressbrett fiel.

Da ich davon ausging, dass es eine Weile brauchen würde,

um wieder auf die Beine zu kommen, ließ ich mir Zeit

zum sorgfaltigen Zielen. Aber ich hatte mich getäuscht.

Das Ding war schnell wieder auf den Beinen, weil es zu

den eingelegten Toten aus dem Raum New Orleans gehörte. Es stürzte sich auf mich. Meine Augengläser knisterten wie ein lokaler TV-Sender spät in der Nacht kurz nach dem Abfahren der Nationalhymne. Das Letzte, was

ich sah, war eine knochige Klaue, die nach mir griff,

dann wurde ich von starkem Licht geblendet und hörte

das schallgedämpfte Schnarren von Macs H & K.

Ich spürte schließlich Bewegung in der Luft und vernahm ein lautes Plumpsen, mit dem etwas auf das stählerne Deck fiel. Ich nahm das Nachtsichtgerät ab. Als meine Augen sich an die Helligkeit anpassten, stellte ich

fest, dass der Strahl von Macs bornbensicherer Taschenlampe den Raum ausleuchtete. Unter Verwendung von zwei Mops aus einem in der Nähe liegenden Eimer schoben Mac und ich das Ding in eine Ecke und bemühten uns nach bestem Wissen und Gewissen, es mit schweren

Gegenständen zu bedecken, um es »für alle Fälle« kampfunfähig zu machen. Da es zu stark verstrahlt war. wollten wir es nicht mit Kabelbindern fesseln. Wir machten uns schnell davon und drangen weiter ins Innere des

Kutters vor. Vermutlich war jeder Ort, an dem das Ding

156

gewesen war, ungesund für uns. Ich weiß, dass ich es mir

nur einbildete, ungefähr so, wie einem der Kopf j uckt,

sobald jemand von Läusen spricht, aber ich konnte die

Hitze der Strahlung auf meinem Gesicht und im Nacken

wirklich spüren.

Die nächste Abteilung war sauber. Nun trennte uns

nur noch eine Stahltür vom KombüsenareaL Wir sahen

uns zwei Problemen gegenüber: Erstens flimmerten unsere NSG aufgrund irgendeiner elektromagnetischen oder radiologischen Interferenz, und zweitens stand die schwere

Stahltür tatsächlich eine Spur weit auf. Die einzigen

echten Hindernisse, die uns von der Untatenmeute an

der Kombüse trennten, waren ein langer dunkler Gang

und eine halb offene Stahltür. Durch den Spalt konnte

ich ihre Schatten hinter der Tür umherhuschen sehen.

Von der Stelle, an der wir standen, war die Tür knapp

zehn Meter entfernt.

Wir konnten nur eins tun: Reinstürmen und sie über

den Haufen schießen. Keine besondere Taktik, kein ausgeklügeltes Manöver. Es gefiel mir nicht. Ich wünschte mir, es gäbe eine bessere Methode. Wir gingen zur Tür.

Ich wies Handley und Mac an, anzuhalten. Wir überprüften unsere Waffen. Kein Kondom, keine Hemmungen. Wir hatten zusammen siebenundachtzig Kugeln.

Und natürlich Ersatzmunition. Sollte es jedoch so weit

kommen, dass wir nachladen mussten, würden wir ohnehin abkratzen.

Wir überprüften unsere Kleidung und bemühten uns,

so viel Haut wie möglich zu bedecken. Nach meiner Ein-

157

schätzung hielten sich da drin mindestens zehn Untote

auf. Mindestens drei waren vom speziellen Typ. Die Tür

ging nach außen auf, weg von uns, auf sie zu. Ich gab

das Zeichen. Handley trat die Tür auf. Sie knallte gegen

die Wand und blieb dort kleben. Im Inneren des Raums:

elf wandelnde Tote. Sie schlugen allesamt auf eine Metallwand ein und bemerkten uns erst, als ich den ersten Schuss abgab. Ich konnte drei erledigen, bevor es den anderen auffiel. Ich hoffte, dass einer von denen, die ich erledigte, zum New-Orleans-Typ gehörte. Wir eröffneten

das Feuer und gaben immer drei Schüsse hintereinander ab. Gliedmaßen. Kinnladen, Schultern und Zähne flogen in alle Richtungen. Ich gab mir Mühe, nicht in

Richtung Trennwand zu schießen, falls einer der Seeleute ihr zu nah stand. Wir hatten bis auf drei alle umgelegt, als ich rechts von mir einen lauten Schrei hörte.

Es war Mac. Er blutete im Gesicht. Eins der Dinger, das

hinter ihm stand, versuchte ihn zu beißen.

Ich sah nochmal hin … Es war das gleiche Wesen, das

wir zwei Abteilungen zuvor erschossen hatten. Eben das,

das wir nicht angefasst, aber kampfunfähig gemacht

hatten. Es war nicht tot. Ich leerte den Rest meines Magazins in den Schädel der Bestie. Sie fiel zu Boden. Von ihrem Kopfwar nicht mehr viel übrig. Als ich mich Mac

zuwandte, wurde ich vom letzten Untaten beinahe überrannt, doch Handley kümmerte sich um ihn.

Der Biss war nicht schlimm. Die Wunde befand sich

an seinem Ohr. Das Mistviech hatte einen Teil davon abgefressen. Mac atmete schwer und war in einem Zu-158

stand, den ich als Schock beschreiben würde. Ich bat

Handley, sich um ihn zu kümmern und machte mich

auf, nach den Überlebenden in der Kombüse zu sehen.

Wir hatten keine Zeit zu verschenken. Auf dem Kutter

waren wir nicht sicher. Außerdem musste man ihn abschrubben, bevor er wieder für den normalen Einsatz verwendbar war. Ich schlug auf den eisernen Fensterladen des Kombüsentresens und fragte, ob noch jemand am Leben sei. Ich hörte metallisches Klicken, dann wurde

die Tür neben dem Fensterladen geöffnet, und sie strömten heraus … lebendig. Ein Seemann sah übel aus. Es war der, der die körperliche Auseinandersetzung mit der

Kreatur aus New Orleans gehabt hatte.

Der Leitende Offizier des Schiffes war präsent. Ich informierte ihn über die Lage. Er kannte sie und gab es nur ungern zu. Aber er hatte keine andere Wahl, als sein

Schiff zu verlassen und auf der Ölbohrinsel auszuharren, bis es uns gelungen war, die Unterstützung des HQ

auf dem Flugzeugträger zu gewinnen. Wir gingen schnell

von Bord, wobei Mac und der kranke Seemann höchste

Priorität genossen. Mac war ein toter Mann. Der Seemann

war nicht gebissen worden, er musste lediglich dekontaminiert werden. Ich wusste nicht genau, ob es bereits zu spät dafür war. Auf dem Weg ins Freie hielt ich in einer

Latrine an und riss den Seifenspender von der Wand. Ich

nahm ebenfalls eine Rolle Papierhandtücher mit. Schließlich waren wir wieder oben. Draußen war es noch immer dunkel. Es war erst 3.00 Uhr. Mac und der Seemann waren

zu erledigt. um zur Plattform hinaufzusteigen, wo die

159

anderen Überlebenden warteten. Wir bastelten ein Geschirr für sie zusammen und zogen sie nacheinander hinauf. Obwohl ich Mac nie richtig kennengelernt hatte,

ändert dies nichts an meiner aufrichtigen Trauer um

ihn. Als Kommandant unserer Einheit war es meine

Pflicht, in das Camp zu fahren, in dem seine Frau lebte,

und ihr die Nachricht zu überbringen. Denn Mac ist ein

Marineinfanterist der Vereinigten Staaten und wird es

immer sein.

Zwei Stunden nach unserer Rückkehr auf die Plattform schoss Sergeant Handley Mac in den Hinterkopf.

Mac war aufgrund der Infektion bereits ohnmächtig. Bis

zu seiner Wiederauferstehung hätte es nicht mehr lange

gedauert.

Unsere Mission endete am nächsten Tag, als wir wieder Funkkontakt mit der Flugzeugträger-Kampfgruppe hatten. Ich übermittelte der Leitstelle über den Funker

im Hotel 23 eine Nachricht und informierte sie über

die hiesige Lage und die Position der Überlebenden. Mit

Salzwasser aus dem Golf, Seife und Handtüchern versuchten wir Bootsmann Tompost zu dekontaminieren.

Wir ließen den Seeleuten unseren gesamten Proviant

und unser Wasser Und verließen die Plattform, sobald

wir wussten, dass ein Rettungskommando unterwegs

war. Außerdem überließen wir ihnen ein funktionsfähiges Funkgerät für den Fall, dass die Helfer nicht aufkreuzten. Das Beste, was wir für uns selbst übrig hatten, waren ein paar Kanister Diesel und die Markierung auf

unserer Karte, wo wir auftanken konnten. Die Rückreise

160

dauerte zwei Tage. Wir nahmen den in Leinwand gehüllten Mac mit nach Hause, indem wir ihn an die Außenwand von Panzer Nr. 2 banden. Auch wenn ich dafür gesorgt hatte, dass er nicht wiederkehrte: seine Frau hatte es nicht verdient, dass wir ihn in den Golf von Mexiko

warfen. Ein ordentliches Begräbnis stand ihm zu.

1 9 . Aut:su-s1

2.3So u�”’”’

Vorgestern habe ich den letzten Ausflug zum Basislager

der Marineinfanterie gemacht. Dies ist einer von vielen

Gründen, weswegen ich aufunserem Stützpunkt nur sehr

ungern den höchsten Dienstgrad einnehme. Ich bin mit

vier Mann, Sergeant Handley inklusive, in einem Panzer

hingefahren. Korrektur, es waren fünf Mann. Mac war,

in ein Sternenbanner gehüllt, in einer Kiste aus Kiefernholz dabei. Es war nicht einfach, an die Flagge heranzukommen. Es hat mich vierzig Schuss Munition und (gefühlte) zehn Jahre meines Lebens gekostet, sie zu organisieren. Es war das Mindeste, was ich tun konnte.

Tara wollte mitkommen, um Macs Witwe zu trösten. Ich

habe natürlich erwidert, dass dies keine gute Idee sei.

Abgesehen davon ist die Welt voll von Tod und Untergang. Mrs Mac ist zwar nicht die Einzige, die jemanden verloren hat, aber ich fühle trotzdem mit ihr. Hier in der

Apokalypse gibt es nicht mehr viele Beziehungen, die

aus der Zeit davor herübergerettet wurden.

1 6 1

Ich besaß keine richtige Uniform, und der nächstgelegene Uniformladen hatte den Geschäftsbetrieb eingestellt.

Ich wusste, dass es im Grunde keine Rolle spielte. Es war

ein feierlicher Augenblick, als ich der Witwe die zerfranste Flagge reichte. lch wusste nicht wirklich, was mich erwartete. Ich hatte nie zuvor die Ehre gehabt, so etwas

zu tun. In Filmen nimmt die Witwe den Typen, der ihr

die Flagge überreicht, immer in die Arme, und dann erleben sie einen gemeinsamen und irgendwie einenden Moment der Niedergeschlagenheit. Doch ich wurde mit

einem kalten Blick und Hass belohnt. Wie kann ich es

der Frau verübeln? Wenn ich ihren Gefühlen ein Ventil

biete, soll mir das recht sein. Ich weiß, dass ich mich angesichts dessen, was passierte, miserabel fühle. Er war ein guter Mann.

Ruhe in Frieden, Staff Sergeant Mac.

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BETR: VERTRAULICHER LB

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EMPFÄNGER ZWECKS RETIUNG VON ZUV. AUSGEL. KOORD. IN

MARSCH GESETZT. KUTIER VON W/03 VERSTRAHLTEN UNTOTEN

GEKAPERT AUFGEFUNDEN. SÄMTL. UNTOTEN VERNICHTET,

SCHIFF VERSENKT, REifUNGSSTELLE KONTAKTIERT.

EMPFEHLEN VERSTR. UNTOTE AUFGRUND UNZUR. RÄUMLICHK.

NICHT AUF MARINESCHIFFEN FESTZUHALTEN. DIESE EINHEIT

RÄT NICHT ZUR UNTERBRINGUNG VERSTR. TOTER AN BORD VON

FLAGGSCHIFF. BmE DIESE NACHRICHT QSL UND BERATEN.

BT

AR

#N0234

1 6 3

Das Hauptquartier hat meine jüngste Verlautbarung nicht

beantwortet. Ich habe per Funk die Anweisung gegeben,

dass das bisherige Lager die Evakuierung vorbereiten soll.

Nach einer 36-Stunden-Woge von Untoten in der Umgebung des Lagers ist dies vonnöten. Man wird zwei Tage brauchen, um mit den Frauen und Kindern zu uns zu

gelangen. Hier im Hotel 23 sind wir damit beschäftigt,

Materialien zu finden, damit wir unsere sichere Grenze

ausweiten können, um die neuen Bewohner anzusiedeln.

Es ist unmöglich, sie alle im Inneren der Anlage unterzubringen; sie wurde einfach nicht für so viele Menschen gebaut. Das alte Camp hat seit meinem Befehl, bei uns

ein Kontingent zu stationieren, acht Menschen verloren.

Ich weiß nichts Genaues, aber ich glaube, es gibt Animositäten. Offenbar wurde einem der Zivilisten letzte Woche erlaubt, auf Hirschjagd zu gehen. Als er zurückkam,

hatte er nichts als die Bisswunde eines Untoten zu bieten. Der Mann hat die Wunde aus Angst vor Quarantäne oder einer schnellen Exekution verborgen. Drei Tage später war er im Schlaf gestorben und hatte zwei andere

Zivilisten getötet - oder sogar drei, wenn man die junge

Frau mitzählt. die nach seinem Biss erkrankte und exekutiert wurde. Sie wurde aber nicht wie ein Tier abgeschossen, sondern erhielt eine Morphium-Überdosis. Nach dem Herzstillstand wurde über ihrem linken Ohr ein

kleines Loch in ihren Kopf gebohrt, um jede Möglichkeit

einer Wiederbelebung auszuschließen.

164

Wenn solche Dinge passieren, kann ich nicht mehr

schlafen. Ich weiß, dass in den letzten Monaten Millionen Menschen aufviel schlimmere Weise ums Leben gekommen sind, aber es schmerzt mich immer wieder, ein Kind in den Klauen dieser Krankheit zu sehen. Ich weiß

auch jetzt noch nicht, ob es überhaupt eine Krankheit

ist. Manche scheinen es zu glauben.

Bei der Überwachung des täglichen Nachrichteneingangs, der über unseren steinzeitliehen Nadeldrucker reinkommt, habe ich eine erwartete Botschaft gelesen.

Das Raketen-U-Boot, das vor Ausbruch der Seuche geraucht ist, war gestern zum Auftauchen gezwungen. Das war das letzte Schutzgebiet echten, endgültigen Tods.

Es war der letzte bekannte Ort unseres Planeten, an

dem Menschen in Frieden sterben konnten … bis es aufrauchte.

Der auf natürliche Weise verstorbene und tiefgekühlte

Soldat war nach nur zwei Stunden wieder da gewesen.

Zum Glück hatte man ihn an eine Kiste mit Rindfleisch

minderer Qualität gebunden. Der Schiffskoch hatte ihn

gefunden. Er war in den Kühlraum gegangen, um die

letzten Proviantvorräte zu holen. Als er an der Leiche

vorbeispaziert war und bemerkt hatte, dass sie sich im

Kühlraum zähneknirschend nach ihm umdrehte, hatte

ihn beinahe ein Herzschlag niedergestreckt.

Das U-Boot will sich der Kampfgruppe anschließen,

bis es genug Proviant aufnehmen kann, um eine zweckdienliche Zeitspanne unter Wasser zu bleiben. Statt ausländische Großstädte in die Luft zu jagen, besteht seine 165

Aufgabe nun darin, Küstengebiete auszukundschaften

und Hochseepiraterie zu unterbinden. Die wöchentlich

gesendeten Zustandsmeldungen besagen, dass die meisten atombetriebenen Schiffe in frühestens zwanzig Jahren (oder später) wieder »betankt« werden müssen. Über die Zeit danach will niemand eine Wette abschließen.

Meiner Ansicht nach haben wir nicht mal in hundert

Jahren genügend qualifiziertes Personal, das dies bewerkstelligen könnte.

Morgen schicke ich all unsere Panzerspähwagen hinaus. Sie sollen sich mit den anderen Überlebenden auf halber Strecke treffen und den Rest des Wegs hierherbegleiten. Von nun an bedarf es jedes Mannes, jeder Frau und jedes Kindes, unsere sicheren Grenzen auszudehnen.

Wir werden keine andere Wahl haben. Wir werden auch

gefährliche Ausflüge zu den Interstates in der Nähe machen müssen, um Betontrennwände heranzuschaffen, mit denen wir unseren Stützpunkt befestigen können.

Tara und ich haben seit meiner Rückkehr vom Golf

von Mexiko mehr Zeit miteinander verbracht als je zuvor. Dean wurde zur offiziellen Stützpunkt-Lehrerin ernannt. Natürlich haben wir bis jetzt lediglich zwei Schüler, aber bald werden es mehr sein. Annabelle wurde erlaubt, am Unterricht teilzunehmen, aber nur unter

der Auflage, dass sie nicht bellt oder den Unterricht

stört. Gestern Abend habe ich als Gasthörer an einer Unterrichtsstunde teilgenommen. Laura entwickelt sich zu einer Multiplikationskanone. Danny ist noch ein bisseben besser, aber schließlich auch älter. Laura lernt ge-166

rade die Siebenerreihe beim kleinen Einmaleins. Danny

kann schon Teilen und Bruchrechnen.

Janice ist noch immer die Stützpunktkrankenschwester und hilft oft aus, wenn die Männer mit Beulen, Kratzern und Schrammen zurückkehren. John und ich haben uns in letzter Zeit nicht oft gesehen. Mir f::illt ein, dass

er am Anfang der Einzige war, den ich hatte. Das werde

ich nie vergessen. Manchmal sehe ich ihn, wenn ich vor

mich hin träume, mit der Thermoskanne und dem langen Gummiband auf dem Dach seines Hauses. Mein geistiges Auge zeigt es mir immer in Schwarz-Weiß, als

wäre es Jahrhunderte her.

Ich frage mich, wie wohl die Antwort des Flugzeugträgers lauten wird, nun, da man an Bord weiß, dass wir die Untoten vernichten mussten, um den Rest der Mannschaft zu retten.

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Sechzig Prozent. Das ist die Anzahl der Überlebenden,

die vom anderen Marine-Außenposten zu uns gekommen sind. Viele sind Zivilisten. Es war ein konstanter Kampf, sie zu uns zu holen. Das Gebiet hinter dem das

Raketensilo umgebenden Maschendrahtzaun wimmelt von

Behelfszelten und Menschen. Der Stützpunkt Hotel 23

ist so überfüllt, dass man die Abläufe in seinem Inneren

kaum noch organisieren kann. Nach der vor zehn Tagen

167

erfolgten Ankunft der Neulinge wurde ein Zählappell

durchgeführt. Das Ergebnis: 113 Seelen. Die Marines, die

ich den Menschen entgegengeschickt hatte, sind ungeheurem Widerstand begegnet. Um die zu Fuß gehenden Zivilisten nicht zu überfordern, hat sich der Konvoi nur

langsam voranbewegt. Viele Menschen saßen auf erbeuteten Fahrrädern, um mit den gepanzerten Fahrzeugen, die vor und hinter ihnen fuhren, Schritt zu halten.

Frauen und Kindem wurde das Mitfahren gestattet. Die

Masse der Verluste ist ein Resultat der Angriffe, die von

der Seite her auf die Formation erfolgten.

Die Untaten kamen aus dem dichten Gestrüpp und erledigten mit nichts als ein paar Kratzern und Bissen etliche Männer. Die meisten hielten durch und trugen trotz der ihnen auferlegten Todesstrafe zur Sicherheit des

Konvois bei. Andere verschwanden im Gestrüpp und begingen Selbstmord. Als der Konvoi bei uns ankam, war er knapp an Munition. Die Leute hatten sich den ganzen

Tag über in einem Feuergefecht befunden und die Woge

der kalten Hände zurückgedrängt, die über die Fahrzeugbrüstungen griffen. Der Konvoi hat sein Bestes getan, die Untaten von Hotel 23 fortzulocken, um dann auf Umwegen zu uns zurückzukehren. Die Taktik hat offenbar funktioniert, aber seit der Ankunft der Neuen registriere

ich eine ständige Aktivitätszunahme. Ich war gezwungen, Männer in Marsch zu setzen, um uns die Zaungäste vom Hals zu schaffen. Je mehr sie werden, umso leichter wird es ihnen fallen, den Maschendrahtzaun niederzutreten. Hauptsächlich deswegen habe ich ein Team 168

für Aktionen auf der Interstate zusammengestellt. Die

festgefahrene Unendlichkeit der Betontrennwände ist

der Schlüssel zu unserem gegenwärtigen Überleben. Wir

haben viele Hundert Trennwände von dort gebraucht,

um unsere Grenzen zu befestigen, damit unsere neuen

Bürger sicher innerhalb des umzäunten Gebiets leben

können.

Der schwierigste Teil bestand darin, die Gerätschaften

zu organisieren, die man für den Transport der Trennwände braucht. Wir benötigten Tieflader und Gabelstapler. Nur wenige Männer auf dem Stützpunkt haben schon mal einen Gabelstapler gefahren. In einem Holzlager an

der Interstate trieben wir vier mit Propan angetriebene

Gabelstapler auf. Wir haben darüber hinaus zwei Tieflader-Zugmaschinen zum Transport der Trennwände ergattert und repariert. Seit das Unternehmen angelaufen ist, sind erst zwei Ladungen hier eingetroffen. Es geht

langsam, aber beständig voran. Ich schätze, der Zaun

hält auch fünfReihen von Untoten stand. Ein paar mehr

könnten den Zaun eintreten. Unsere neuen Bürger würden es gewiss ausbaden müssen. Ich habe meinen Lebensraum an Frauen und Kinder abgetreten. Ich erlaube nur den Frauen, die sich freiwillig melden, an der Oberfläche zu bleiben. Tara hat darauf bestanden, bei mir zu bleiben. Ich habe nichts dagegen. Schließlich kann ich

anderen Frauen nicht erlauben, über sich selbst zu bestimmen, und es ihr verwehren.

Vergangene Woche habe ich offiziell darum gebeten,

dass man uns einen mit Antipersonenwaffen und einem

169

Piloten bestückten Hubschrauber zuteilt, der uns helfen

soll, die Umzäunung des Stützpunktes von dem hohen

Untoten-Zustrom zu reinigen. Ich habe die Sache etwas

schlimmer ausgemalt, als sie ist, da ich sicher sein will,

dass unserer Bitte entsprochen wird. Für die Sicherheit

und Aufklärung dieses Gebiets brauchen wir Luftunterstützung. Starrflügelmaschinen können wir nicht gebrauchen, da sie uns mehr Probleme als Nutzen bringen.

Sie müssen gewartet werden und brauchen ein eineinhalb Kilometer langes Rollfeld. Mal sehen, was passiert.

170

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Heute Morgen kam die Nachricht, dass ein Drehflügler mit einem Piloten und einem Flugingenieur zum Hotel 23 versetzt worden sind. Die Nachricht sagt nicht,

um was für ein Modell es sich handelt, aber die Maschine soll morgen früh hier ankommen. Sie wird nicht nur unsere Grenzverteidigung verbessern. sondern es

uns auch erleichtern, nach lebenswichtigen Dingen zu

suchen. Je nach Reichweite der Maschine möchte ich

nach Norden, um mir unverstrahlte Städte anzusehen.

Ich werde den Leuten über und unter der Erde sagen, sie

sollen eine Liste aller Dinge erstellen, an denen es ihnen

am meisten mangelt.

Bestimmte Arzneien, Brillen und Hygieneartikel für

die Damen fallen mir spontan ein. Die Vorstellung, mich

wieder in die Lüfte zu schwingen, ist aufregend. Ich

bin seit Ewigkeiten nicht mehr geflogen. Die am Feldrand geparkte Cessna ist möglicherweise nicht mehr llugsicher. lch weiß, dass eine der Bremsen nicht richtig

funktioniert und der Motor einer genauen Inspektion

17 1

bedarf, die er höchstwahrscheinlich nie mehr erhalten

wird.

Mir ist fast so, als verteile ich das Fell des Bären, bevor

er erlegt ist. Aber mir fallen zahllose Dinge ein, die man

mit einem Hubschrauber anstellen kann. Dabei ist er

noch gar nicht hier.

John und ich haben heute im Kontrollraum eine schöne

Partie Schach gespielt. Dean unterrichtet nun eine ansehnliche Klasse junger Männer und Frauen. Einschließlich ihrer Urschüler sind es nun vierzehn Personen, denen sie etwas beibringt. Annabelle ist allerdings nicht

über alle Kinder erfreut, die Dean unterrichtet. Dean

wird ihre Zeit aufmehrere Altersgruppen verteilen müssen, da sogar mir auffällt, dass das ABC für einige ältere Kinder eine zu geringe Herausforderung darstellt. Heute

habe ich dem Unterricht zugeschaut und Mazartklängen gelauscht.

Die Kinder haben der Musik aufmerksam zugehört.

Wer hätte das gedacht? Vor einem Jahr hätte die Klasse

nur laut gemault. Denkt man an den Schrecken, den die

Kinder bisher erlebt haben … Die Schönheit der Musik

hat sie tatsächlich zum Lächeln gebracht. Ich dachte an

den Tag, an dem ich Mazart zum letzten Mal gehört hatte.

Ich verweilte allerdings nicht lange bei diesem Gedanken.

Sicherer Raum steht im Stützpunktinneren hoch im

Kurs, und Janice hat ihr Sanitärzelt oben aufgebaut. Nur

echte Kranke oder Verletzte dürfen sich in die stählerne

Sicherheit des Untergrundes begeben. Kein übles System.

In letzter Zeit muss sie nur noch mit kleinen Schnittwun-

172

den und Abschürfungen fertigwerden. Ich habe bis auf

Widerruf den Befehl ausgegeben, über alle Verletzungen

informiert zu werden, die unserer Sanitätetin gemeldet

werden. Ich habe die Urbesatzung des Stützpunktes beauftragt, eine Hausordnung für Hotel 23 zu verfassen.

Natürlich gelten auch die Vorschriften der Militärgesetzgebung. obwohl ich meine, dass dieser Stützpunkt eigene Regeln haben sollte, denen die Bewohner folgen. Dass

man in der heutigen Zeit Vorschriften braucht, klingt

albern. Ich komme mir beinahe vor, als wäre ich im

Begriff, auf unserem Gelände eine neue Regierung zu

installieren. Natürlich werden alle Regeln, die wir hier

aufstellen und in Kraft setzen, streng auf der Verfassung

der Vereinigten Staaten aufbauen.

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Heute ist ein MH-60R-Hubschrauber vom Typ Seahawk

hier eingetroffen. Das uns angekündigte Personal war

ebenfalls an Bord. Der Pilot, ein pensionierter Commander der Navy, heißt Thomas Baham. Sein Techniker, ein noch im aktiven Dienst stehender Unteroffizier, soll den

Ingenieur vom Dienst spielen, der die Kiste flugtauglich

hält, bis weitere Teile und weiteres Personal eingeflogen

werden können.

Meine erste Aktion war eine Anfrage über den Zustand

des Hubschraubers, da ich vorhatte, in den kommenden

173

Wochen einen Aufklärungsflug durchzuführen. Commander (a. D.) Baham war freiwillig zu uns gekommen. Er hatte seinen sicheren Job bei der Flugzeugträger-Kampfgruppe aufgegeben, um nach Südost-Texas vorzustoßen und für das Hotel 23 zu arbeiten. Obwohl er mit Ende

fünfzig schon zum älteren Semester gehört, hat er noch

immer Feuer und Schwung im Blick. Ich hatte mir insgeheim gewünscht, er wäre noch im aktiven Dienst und könnte mir so als höherrangiger Offizier das Kommando

über Hotel 23 abnehmen. Die Seahawk war ein ziemlich

großer Hubschrauber. Der Unteroffizier meinte, die Reichweite des Hubschraubers betrüge über 600 Kilometer.

Auf dem Weg zu unserem Stützpunkt waren die beiden

an zahlreichen aufgegebenen Militärflugplätzen vorbeigekommen, auf denen es vermutlich einiges an JP-5 gab, einem gebräuchlichen Flugzeugtreibstoff.

Flugbenzin dieser Art hat seine Vorteile, da es nicht so

schnell verdirbt wie konventionelles. Findet man es in

Tankwagen, ist es noch zu gebrauchen. Sobald der Hubschrauber sich bei uns gemeldet hatte, ließ ich eine Botschaft ans HQ senden. Ich bedankte mich für die Kiste, forderte aber auch mehr Ersatzteile und Personal für

die Instandhaltung an. Morgen möchte ich mit Baham

und seinem Ingenieur gern eine Runde drehen, um die

nähere Umgebung etwas gerrauer unter die Lupe zu nehmen.

174

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1.3.SL1. u�s:r.

Der heutige Tag markiert ein weiteres Jubiläum des Tages,

von dem ich glaubte, Schlimmeres könne nicht mehr

kommen. Zeiten wie diese sind vermutlich daran schuld,

dass ich den Wunsch verspüre, in die Vergangenheit zu

reisen, in der die Menschen noch nicht wussten, was

Terror ist. Die Bewegungen der Untoten in unserer Gegend mehren sich. Ich habe den Eindruck, dass momentan in keiner größeren Stadt irgendjemand noch eine Überlebenschance hat. In den mit Atomraketen beschossenen Städten lebt ohnehin niemand mehr. Mein Gedankengang ist simpel. Die Untoten strömen in mobilen Massenformationen aus den Großstädten. Ich bin sicher,

dass die noch intakten Städte voller Untoter sind, die

seit etlichen Monaten nichts mehr in ihre verfaulten

Mägen füllen konnten. Vielleicht hat dies sie veranlasst,

die heimischen Gefilde zu verlassen und Beute zu suchen.

Vielleicht ist meine Annahme aber auch völlig falsch.

Laut Baham ist seine Kiste für Aufklärungsflüge bereit.

Wir haben über die Gebiete gesprochen, von denen wir

annehmen, dass sie gute Kandidaten für einen Forschungsflug abgeben. Wir haben alle bombardierten Zonen ausgelassen und beschlossen, uns nach Nordnordost zu wenden. Texarkana soll unser Ziel sein. Dies ist, wenn

man Untote und verstrahlte Städte meiden möchte, das

sicherste der zu erforschenden Gebiete. Laut unseren

Karten war Texarkana nicht sonderlich dicht bevölkert.

175

Von dort aus gesehen ist Dallas, Texas, die nächste bornbardierte Stadt. Somit halten wir knappe 200 Kilometer Sicherheitsentfernung.

Leider werden wir aufgrund dieser Entfernung unterwegs Treibstoff auftreiben müssen. Von hier nach Texarkana sind es fast 450 Kilometer.

15”. �EPI’EMP.>EP.

tt-1‘3 u�p.

Beim heutigen Aufklärungsflug hat die Maschine sehr

gut mitgespielt. Die lange Reise nach Norden und Texarkana haben wir verschoben, aber dafür einen geeigneten Ort gefunden, um den Hubschrauber aufzutanken.

Wir sind nach Norden geflogen, nach Shreveport in Louisiana. Außer dem Inertial Navigation System (INS) konnte uns nichts den Weg weisen. Das INS ist ein geschlossenes gyroskopisches Navigationsinstrurnent, das in der Flugnavigation nicht auf Informationen von außerhalb

angewiesen ist. Solange man dem INS vor dem Abheben

den richtigen Längen- und Breitengrad einspeist, behält

es während des gesamten Fluges eine akkurate gyroskopische Position bei. Da die GPS-Satelliten längst abgeschmiert sind, wäre es fast unmöglich, die Luftwaffenbasis Barksdale in Shreveport ohne INS zu finden. Der Sprit wäre uns lange vor Erreichen des Ziels ausgegangen. Als wir über der Basis waren, hatten wir nur noch Treibstoff für fünfundvierzig Minuten.

176

Der Zaun war zwar hier und da beschädigt, stand aber

noch. Eine Untotenschar hatte sich an der Nordseite des

Hauptzauns versammelt. Als wir uns dem Parkplatz näherten, sah ich zahlreiche B-52-Bomber. Sie standen sauber aufgereiht vor den Hangars. Unter manchen Maschinen lagen die Bomben noch auf ihren Karren. Ich war mir zwar nicht sicher, hatte aber das Gefühl. dass diese

Bomben keine gewöhnlichen Bomben waren. Die Piloten hatten nur nie die Chance erhalten, zu starten und die ihnen zugewiesenen Ziele anzufliegen. In unserer

gegenwärtigen Lage sind die Maschinen jedoch nutzlos

für uns. Eine Menge Treibstoffund ausführliche Wartung

wären nötig, um sie überlebensdienlich herzurichten.

Hätten wir einen Piloten, der qualifiziert oder selbstmörderisch genug ist, ein Bombenflugzeug zu fliegen, könnten wir ihn von seiner Fracht befreien und nach

Übersee schicken. Aber das wäre ein Flug ohne Wiederkehr, denn ich bin mir sicher, dass die Kiste nach einem solchen Flug professionelle Wartung benötigt.

Als ich all den stillen Zerfall unter mir betrachtete,

bekam ich einen Schub von Patriotismus. Ich fragte mich,

ob eine der Maschinen schon mal über das Hanoi Hilton

geflogen war, um den Gästen ein wenig Bequemlichkeit

zu bescheren. Wir schwebten über einem vergessenen

Stück amerikanischer Diplomatie. Nun waren die »Grol�en Kumpane von der gemeinen Fraktion«, wie man die Maschinen auch nannte, vergammelnde Museumsstücke.

Auf dem Flugplatz zählten wir siebenundzwanzig Leichen. Wir sichteten zwei Tankwagen. Der eine war mit 177

JP-5, der andere mit JP-8 beschriftet. Beide standen auf

dem Mittelstreifen zwischen Rollbahn und Fahrweg. Um

Sprit zu sparen, waren wir nur mit dem nötigsten Personal geflogen: dem Piloten, dem Ingenieur, Sergeant Handley und mir. Der Sergeant und ich deckten den

Flugingenieur (FI), während er den Hubschrauber auftankte. Dies war ein Unternehmen, das einen laufenden Motor erforderte. Zwar ist dies nicht die normale Verfahrensweise, aber wir wollten nichts dem Zufall überlassen. Als wir dem Hubschrauber Treibstoff zuführten, kamen ein Dutzend Untote auf uns zu. Der Lärm der

sich drehenden Rotoren hatte sie angelockt.

Die Triebwerke machten großen Krach, und der Sergeant und ich mussten uns allein auf unsere Augen verlassen, um die Untoten auszumachen und auszuschalten. Ich stand in einer sicheren Entfernung vom hinteren Rotor am Heck, der Sergeant nahm die vordere Position

ein. Unsere Schüsse waren wegen des Motorenlärms und

der sich drehenden Propeller kaum hörbar. Ich trug meinen Helm und hatte das Visier unten. Der Helm diente an Bord und am Boden mehreren Zwecken. Einerseits

trug er dazu bei, meine Ohren vor Dezibel zu schützen,

die in mein unmittelbares Umfeld eindrangen, andererseits bewahrte er meine Augen davor, Fokus-Objekt-Abstand zu fliegen. Die meisten Untoten konnte ich mit einzelnen Schüssen erledigen. Keiner bewegte sich mit

dem Tempo seiner verstrahlten Genossen. Der Sergeant

setzte die MPSSD ein. Ich konnte die Waffe wegen ihrer

Treffsicherheit und mangelnden Mannstoppwirkung nicht

178

ausstehen, aber ihre Verschwiegenheit war uns nützlich.

Den einzigen anderen Vorteil, den sie hatte, war ihre

Fähigkeit, auch die Munition aus der Pistole Handleys

schlucken zu können.

Als ich den letzten Untaten ausknipste, der sich meiner Stellung näherte, ging ich nach vorn, um Handley gegen die steigende Anzahl dort aufmarschierender Leichname beizustehen. Meine Waffe war aufgrund ihrer Reichweite besser zum Töten geeignet. Ich nutzte diesen Vorteil, um jene Untaten auszuschalten, die noch hundert Meter von uns entfernt waren. Der Ingenieur hob einen

Daumen, um uns zu signalisieren, dass er fertig und die

Maschine erfolgreich betankt war. Ich fragte mich, wie

er den Tankwagen überhaupt ans Laufen gekriegt hatte

und erfuhr später, dass er einen tragbaren Anlasser mitgenommen hatte. Er war schon mal in einer solchen Situation gewesen und hatte sich vorbereitet.

Als der Ingenieur sicher an Bord des Hubschraubers

war, stöpselte ich meinen Helm wieder ins Kommunikationssystem der Maschine ein und informierte den Piloten, dass der Sergeant und ich die nähere Umgebung nach irgendwelchen nützlichen Dingen oder Informationen absuchen wollten. Ich bat ihn, die Augen aufzuhalten, bis wir zum Abheben wieder da seien. Der Pilot aktivierte sein Mikro und meinte, der Ingenieur und er

könnten, während wir fort seien, für die nötige Sicherheit sorgen, und dass sie starten und bis zum letzten Benzintropfen über dem Flugplatz kreisen würden, falls

wir in einer Stunde nicht zurück seien.

179

Ich sicherte die Seitentür und winkte, dann eilten der

Sergeant und ich zu einem der größeren Gebäude in der

Nähe unserer Position. Es war nicht besonders beschriftet und nur eins von vielen farblosen Gebäuden im Regierungsbesitz, das seinen Zweck nicht preisgab. Als wir uns ihm näherten, war uns bewusst, dass es Selbstmord

bedeutete, es zu durchsuchen. An fast allen Fenstern

waren die Rollos aus den Wänden gerissen und stellten die Bewohner der Räumlichkeiten zur Schau. Einige Fenster sahen aufgrund der Strapazen, denen sie in den

vergangenen Monaten ausgesetzt gewesen waren, reichlich mitgenommen aus. Im Inneren des Gebäudes waren zu viele Untote, um sie zu zählen.

Da wir nun nicht mehr leise sein mussten, hob ich

meine Waffe und gab aufs Geratewohl einen Schuss auf

eine Gestalt im obersten Stockwerk ab. Das Ding schlug

mit beiden Fäusten auf die· Scheibe ein, bis meine Kugel

sie durchlöcherte. Zwar verfehlte ich die Kreatur, doch

sie begutachtete das Loch mit der Neugier einer Katze,

die einen Laserpointer angafft. Ich musterte das Ding

missmutig, dann kehrten der Sergeant und ich zum Hubschrauber zurück. Als wir uns umdrehten, hörte und sah ich den FI mit dem seitlich installierten MG auf eine

sich nähernde Untatengruppe ballern. Eine tolle Waffe

für den Naheinsatz.

Der Rückflug verlief ereignislos, aber wenn ich in der

Luft bin, geht es mir immer gut. Ich habe sogar einige

Zeit im Kopilotensitz verbracht. Es erfordert natürlich

viel mehr. eine solche Maschine zu fliegen. Der Flug er-

180

wies sich als der Härteste meiner bisherigen Laufbahn.

Ich kam mir wie ein Idiot vor, als ich versuchte, den Hubschrauber in der Luft zu halten. Baham musste alle Nase lang eingreifen.

L.S �EP1EIVIBEP..

·

19.oo u�p..

Es ist endlich passiert. Ich habe allerdings nicht vor,

mein Erlebnis herabzuwürdigen, indem ich es zu Papier

bringe. Der gestrige Abend war schön. Ich komme mir

menschlicher vor. Ein Teil meines Ichs würde gern glauben, dass sie mir schon in dem Moment gefiel. in dem ich sie von Untoten umzingelt in dem kaputten Auto fand.

Trotz ihres alles andere als glamouräsen Lebens im Wagen

war Tara selbst damals sehr schön.

L 9 �EP1EIVIBEP..

·

1.. 1._.39 u�p..

Die Zeit steht fest. Morgen früh werden der Sergeant,

der Fl, Commander a. D. Baham und ich mit dem Hubschrauber noch einmal in Richtung Shreveport fliegen.

Wir wollen die Gegend um die Luftwaffenbasis Barksdale erforschen, da es dort eine reichliche Menge Hubschraubertreibstoff gibt. Dieses Mal soll Texarkana nicht das Ziel unserer Expedition sein. john hat darum gebe-181

ten, mich begleiten zu dürfen, weil er sehr gern mal für

ein paar Tage aus dem Stützpunkt herauskommen möchte.

Ich hatte ihm versichert, dass ich ihn wirklich zur Bemannung des Kontrollzentrums und zur Grundorganisation der Zivilisten brauchte. Er ist zwar kein Soldat, aber die Männer respektieren und wertschätzen ihn, weil er sich mit Basissystemen auskennt. Nach dem

Abendessen bestand ich darauf, dass er eine Reihe von

Codeworten auswendig lernt, damit ich meine jeweilige

Position im Klartext mit Buchstaben und Zahlen übermitteln kann.

Annabelle vergnügt sich mit beinahe allen neuen Stützpunkt-Kindern. Der Sergeant und ich überlassen das militärische Kommando einem seiner dienstältesten Untergebenen. Die zivile Leitung hat john. Wir haben Regeln, die besagen, wer auf dem Stützpunkt welche Autorität

hat. Die Militärs wissen sehr gut, dass ihr verfassungsmäßiger Auftrag darin besteht, Zivilisten zu beschützen statt rücksichtslos über sie zu bestimmen, weil sie über

die dazu nötige Feuerkraft verfügen.

An der neuen Umzäunung arbeitet ein Team von Männern. Täglich kommen Laster mit neuen Betontrennwänden hier an und fahren wieder zurück. Seit dem offiziellen Beginn des Unternehmens liegen unsere Verluste bei Null. Die Männer haben ein System zur Fahrzeugformation und einen bestimmten Weg ausgetüftelt, der die Anziehungskraft der Untoten zum Hotel 23 verringert.

Die meisten der Männer haben wenigstens eine Irakoder Afghanistanreise absolviert, aber sie waren die Ers-182

ten, die zugaben, dass die gegenwärtigen Konvoifahrten

gefahrlicher sind als die, die sie in diesen Kriegen erlebt

haben. Der Sergeant besteht noch immer auf der H & K,

während ich weiterhin auf arnerikanischern Eisen beharre. Wir werden mit leichtern Gepäck unterwegs sein, um Sprit zu sparen, und nur für drei Tage Proviant mitnehmen.

183

1 lkarus ;

:

- - _I

30. �EP1’EMBEPtei1’/P…_1’: U�Bel.t.“A��1’

Die Lage: übel. 24 Stunden überleben

Ohne den Kopf zu heben, aber doch. Muss weitere Aufz.

machen. Der Flug ging wie geplant, bis Achtern Aufblende und Bewusstsein verloren. Kopf geschwollen. Ohr blutet. Blutige Hände.

Lege jetzt was nieder für den Fall, dass ich abkratze.

Schreibe mehr, wenn’s mir besser geht … Wichtig.

Wir hatten Shreveport überflogen und beschlossen, weiter nach Norden vorzustoßen, da wir genug Sprit hatten und wussten, wo wir auftanken konnten. Da Baham die

Kiste steuerte, achtete ich nicht auf die Instrumente. Auf

der Hauptwarntafel ging ein Licht an. Es war die Chip-

184

leuchte. Baham wechselte sie gegen eine andere aus, um

zu sehen, ob es sich nur um einen Kurzen in der Schalttafel handelte. Sie ging wieder an, was bedeutete, dass im Öltank der Maschine Metallstückehen entdeckt worden waren. Normalerweise hätten wir auf der Stelle runtergehen müssen, aber keiner von uns war darauf aus, in der bekanntermaßen feindlichen Gegend zu landen,

über der wir schwebten.

Kurz darauf verloren wir kostbaren Strom an die Rotoren, und Baham fing an, im Kreis Richtung Boden zu fliegen. Der Höhenmesser drehte sich, als wären wir

im Landeanflug. Der Sergeant und der FI waren am

Heck der Kiste nebeneinander angeschnallt. Ich saß

ebenso im Kopilotensitz. Das Letzte, woran ich mich erinnere, war ein ohrenbetäubender Krach und das Geräusch zerreißenden Metalls. Dann Wasser und Staub, der über die Kiste hinwegflog und mir ins Gesicht

schlug.

Ich weiß nicht, wie lange ich weg war. Ich habe geträumt … Ich war an einem netten Ort. Tara war bei mir, aber es war nicht auf dem Stützpunkt. Ich war in

der Vergangenheit, in der Zeit, in der die Welt noch

lebte. Es fühlte sich alles sehr echt an. Dann klopfte

etwas verzagt an meine Schulter … zupfte an meinem

Ärmel. Irgendjemand weckte mich aus dem Gefühl der

Stille auf. Mein Kopf meldete sich allmählich zurück.

Ein starker Schmerz machte sich in meinen Schläfen

bemerkbar. Bei jedem Herzschlag spürte ich, wie mein

Blut in schmerzhaften Wellen durch meinen Schädel

185

strömte. Mein Blick war verschleiert. Ich war wieder im

Hubschrauber, hatte die Fantasiewelt verlassen.

Alles war unscharf … Ich schaute nach links, zum Pilotensitz. Ich erkannte Baham. Er schaute mich an, schüttelte meine Schulter mit der rechten Hand und sagte etwas. Warum zerrte er an mir herum? Ich warf einen

Blick nach hinten und sah Handley und den Fl, die beide

die Arme nach mir ausstreckten, als wollten sie mir helfen. Ich hatte den Eindruck, sie durch eine Wasserlache zu sehen. Der Schmerz stach erneut zu, doch mein Blick

wurde langsam klarer.

Ich schaute zu Baham hinüber. Als ich seinen Brustkorb sah, schoss Angst durch meinen Körper. Ein Teil des Rotors hatte seine Brustplatte durchbohrt. Baham

lag nicht im Sterben … er war bereits tot. Sein Zerren

und Stupsen und das, was ich für Gerede gehalten hatte,

waren kein Versuch gewesen, mich zu wecken. Er hatte

mich töten wollen. Er steckte in seinem Geschirr fest

und konnte mich nicht erreichen. Ich saß eine Weile

wie gelähmt da, dann warf ich einen erneuten Blick

nach hinten und sah mir Handley und den FI nochmal

an. Ich war der einzige Lebende an Bord des Hubschraubers. Ich griff mir an die Stirn und spürte einen Stich.

Ein Rotorsplitter hatte meinen Fliegerhelm durchschlagen und steckte in meinem Kopf. Wie tief? Ich wusste es nicht. Ich wusste nur, dass ich noch lebte und geistig

einigermaßen beisammen war.

Ich tastete nach meinem Gewehr, damit ich den Rest

der Mannschaft erledigen und dieses Grab sicher verlas-

186

sen konnte. Als ich die Waffe anlegen wollte, stellte ich

fest, dass der Lauf um mindestens neunzig Grad verbogen war und sich zwischen den Pedalen zu meinen Füßen verfangen hatte. Ich ließ sie mit einem Fluch fallen und

schaute mich im Inneren des Hubschraubers nach etwas

anderem um. das man verwenden konnte. Handleys MP

lag hinter meinem Sitz auf dem Boden.

Ich zog mein Messer und benutzte es dazu, die MP so

weit heranzuziehen, dass ich sie mit den Händen greifen konnte. Ich lud durch und zielte auf Baham. Seine gefletschten Zähne und seine schlaffe alte Haut ließen

ihn in seinem gegenwärtigen Gesundheitszustand nicht

gerade schöner wirken. Er kannte mich nicht mehr.

Dies galt auch für die Männer hinter mir. Ich wollte mir

Handley als Letzten aufsparen.

Ich hob die Waffe, und Baham begann, den Schalldämpfer zu ohrfeigen, als wisse er irgendwie, was nun kommen würde. Ich machte ihn kalt. Eine Sekunde später verpasste ich dem FI einen Kopfschuss. Er gab seine Frankenstein-Pose auf, und seine Arme erschlafften, als

sei er schon immer tot gewesen. Ich sprach ein paar

Worte für die Männer und erwies dem Sergeant dann

meinen vollen Respekt, indem ich ihm eine Kugel in die

Stirn verpasste. Ich nehme an, er hätte das Gleiche für

mich getan.

Als ich aus dem Fenster schaute, erkannte ich, dass wir

mindestens seit einigen Stunden hier waren. Die Sonne

hatte am Tageshimmel fast ihren Höhepunkt erreicht.

Wir befanden uns mitten in irgendeinem kleinen, bis an

187

den Bauch reichenden Ententeich. Als mir bewusst wurde,

dass Baham hier möglicherweise unsere größte Überlebenschance gesehen hatte, empfand ich einen Anflug von schlechtem Gewissen. Ich hatte ihm seine Weitsicht

mit einer schnell ausgeführten Bleivergiftung vergolten.

Der Teich war ein guter Ort für eine Notlandung, denn

die Backbordluke war abgerissen und stellte das Innere

des Hubschraubers zur Schau. Zahlreiche Untote umkreisten neugierig den Teich. Das Wasser stieß sie anscheinend ab. Ich schaute sorgfältig in die Runde und bemerkte eine Lücke zwischen ihnen. Ich schnappte mir

mein Zeug und alles, was ich sonst noch tragen konnte.

Als ich zur Luke ging, um das Wrack zu verlassen, riss ich

die Klettflagge von meiner linken Schulter und knallte

sie dem toten Sergeant in die Hand.

Als ich aus der Kiste sprang. landete ich in tiefem Wasser. Dies erschwerte es mir. mich schnell zu der Lücke zu begeben, um abzuhauen. Ich musste mehr oder weniger

zum Ufer des Teichs schwimmen. Als ich trockenen

Boden unter den Füßen hatte, rannte ich los. Kurz danach verlor ich die Besinnung. Vor vier Stunden bin ich wach geworden. Ich sitze jetzt in der Pressekabine des

Sportplatzes einer Highschool - ich auf der Gastgeberseite, glaube ich. Die Nacht bricht herein, ich habe Hunger und schrecklichen Durst. Vor einer Stunde habe ich an mir selbst eine kleine Operation vorgenommen und

mit der Spitzzange meines Multitools den Eisensplitter

aus meinem Kopf entfernt. Mit dem Spiegel aus dem

Tarnfarbenbeutel und Nadel und Faden aus dem Tomis-

188

ter habe ich mich genäht. Der Splitter ist über meiner

linken Schläfe gut drei Millimeter tief in meinen Kopf

eingedrungen. Im Moment weiß ich noch nicht, ob die

Verletzung lebensbedrohlich ist. Mein Proviant und mein

Wasser sind begrenzt, aber ich spare so viel, wie ich kann.

weil ich so lange wie möglich über die Runden kommen

will. Es könnte auch das Ende für mich sein. Auf der

nicht überdachten Metalltribüne unter mir sind Schritte

zu hören.

I . P�.t.1‘0BEP.

l.e11’: U�&Eiot.A��1’

Stückweise fallt mir alles wieder ein. Ich erinnere mich

schwach daran, gegen drei Untote gekämpft zu haben.

Sie haben wohl gesehen, dass ich die Tribüne rauf bin,

und sind mir gefolgt. Als ich wach wurde, lag ich von

Glas umgeben auf dem Rücken in einer Blutlache der

Pressekabine. Als ich den Kopf heben und die Tür überprüfen wollte, fiel mir das splitterfreie Glas auf. So wie es aussieht. habe ich wohl durch die Scheibe geschossen,

um die Dinger zu erledigen, aber sie verfehlt. Neben den

Kugellöchern sind größere Löcher zu sehen. An den Rändern der größeren Löcher in der kaputten Scheibe kleben Haut- und Stofffetzen, was wohl bedeutet, dass sie versucht haben, nach mir zu greifen. Ich sehe auch eine

diagonale Linie von Einschusslöchern, die am Türknauf

anfangen und zum unteren linken Rand der Tür führen.

189

Nach Überprüfung der Waffe habe ich ausgerechnet,

dass ich fünfzehn bis zwanzig Schuss abgegeben habe.

Ich zwang mich auf die Beine und stolperte zur Tür.

Als ich durch die kaputte Scheibe blickte, entdeckte ich

auf der Tribüne vier Leichen. In der Ferne, noch hinter

dem Tor, machte ich zwei weitere Untote aus, die auf der

Suche nach Beute herumschlenderten. Mein Erinnerungsvermögen ist nach wie vor voller Löcher, aber ich weiß noch, dass ich wenigstens eins der Dinger aus nächster

Nähe erschossen habe - durch die Scheibe. Es war auf

der Stelle mausetot.

1._. P�“fi)�EP.

�A· l b .O O U�P.

Bin heute Morgen aufgewacht, weil ich einen Hund heulen hörte. Es könnte auch ein Wolf gewesen sein, aber aufgrund der Knappheit an lebenden Menschen in Nordamerika bin ich mir sicher, dass alle domestizierten Hunde inzwischen verwildert sind. Ich frage mich, ob sie mich

wohl auf den ersten Blick als Lebenden erkennen oder

sich sofort auf mich stürzen, wie bei den Untoten. Ich

habe beobachtet, dass Hunde die Untoten nicht mögen.

Erinnert mich irgendwie daran, dass Hunde etwas gegen

Uniformen haben. Annabelle kann diese Kreaturen auch

nicht ausstehen. Sobald sie nur wittert, dass sich einer

in unsere Richtung bewegt, sträuben sich ihr die Haare.

Aufmeinern Gesicht klebt überall getrocknetes Blut. Ich

190

bewohne weiterhin dieses Krähennest über dem verwilderten Sportplatz. Den einzigen Beweis dafür, dass man hier je Ball gespielt hat, bilden die Tore und die Tribüne.

Ich bin fix und fertig und fühle mich zerschlagen. Hat

der Absturz mich ernsthaft verletzt? Die Gegend, in der

sich meine Nieren befinden, ist jedenfalls äußerst empfindlich. Langes Stehen fällt mir schwer. Die Tornister, die ich aus dem Hubschrauber mitgenommen habe, enthalten dreihundert Schuss 9-mm-Munition, fünf Einmann-Rationen und eine Rolle Klebeband. Dass ich daran gedacht habe, meinen Tornister mit dem Multitool mitzunehmen, dazu sieben Liter Wasser, das Nachtsichtgerät und anderen überlebenswichtigen Kleinkram, verleiht mir neuen Mut.

Ich will versuchen, nicht mehr als einen Viertelliter

Wasser am Tag zu verbrauchen. Wenn ich mich nicht

überanstrenge, habe ich vielleicht genug Wasser, um

wieder so weit gesund zu werden, dass ich mich auf den

Weg machen kann. Ich habe auch noch die Ausrüstung,

die beim Absturz unter meinem Harnisch an die Weste

geschnallt war (Pistole, Überlebensmesser, Leuchtraketen, Kompass). Die Nähte auf meiner Stirn erzeugen ein sehr unbehagliches Gefühl. Es wäre mir lieber gewesen,

ich hätte etwas Besseres als Nähgarn gehabt. Eine Pulle

Wodka oder ein anderer hochprozentiger Fusel wäre

jetzt hilfreich. Ich habe ein tragbares PRC-9ü-Notfunkgerät, das ich schon dazu verwendet habe, um auf den Frequenzen 2828 und 243 mit Hotel 23 zu kommunizieren. Bisher erfolglos. Entweder bin ich außer Reichweite, 191

oder das Funkgerät ist beschädigt. John kennt zwar unsere Flugroute, aber selbst wenn alle Marineinfanteristen mit sämtlichen Fahrzeugen und Waffen aufbrechen, um mich zu suchen, werden sie niemals so weit nach

Norden gelangen wie ich. Zwischen uns sind einfach zu

viele Untote. Im Moment habe ich nicht das Gefühl, es je

wieder nach Hause zu schaffen.

3. P“‘1QBEP.

�A- IC). oo u�P.

Es wird Zeit, einen Plan auszuarbeiten. Ich habe nur noch

4,5 Liter Wasser, und die Anzahl der Untoten auf dem

Sportplatz und an seinem Rand scheint zuzunehmen.

Angesichts meiner Schmerzen fällt mir das Denken schwer.

Ich rede mir fortwährend ein, mich an die einfachen

Dinge zu halten. Der Mensch braucht Nahrung, Wasser

und Unterkunft. Für die gegenwärtigen Umstände ist das

allerdings leider nicht genug.

Genau jetzt sehe ich von meinem Aussichtspunkt aus

sechs Kreaturen. Sie scheinen nicht zu wissen, dass ich

hier bin. Bisher hat noch keiner den Versuch unternommen, die Tribüne hinaufzusteigen. Bei der Reichweite und Zielgenauigkeit der MP-5 wage ich keinen Versuch,

sie auszuknipsen, und bei dem körnigen grünen Bild,

das mein NSG mir liefert, schon mal gar nicht. Die Kopfschmerzen machen mich rasend. Ich habe schon mehrmals daran gedacht, einfach aus der Pressekabine raus-192

zugehen, auf den Platz runter zu latschen und sie alle

von hinten mit dem Messer kaltzumachen. Der Schmerz

lässt nach, die Vernunft kehrt zurück, und mir wird bewusst, was für ein Scheißplan das ist. Beim Pinkeln habe ich ein wenig Blut im Urin entdeckt. Ich habe es gesehen, als ich mir versehentlich über die Hand schiffte.

Als der Hubschrauber zu Boden ging, muss meinen Nieren irgendwas zugestoßen sein.

Zuerst muss ich genau wissen, wo ich überhaupt bin.

Wenn ich es weiß, muss ich rauskriegen, wohin ich gehen

kann, um bessere Ausrüstung aufzutreiben und zu versuchen, mit Hotel 23 Kontakt aufzunehmen. Inzwischen bin ich mir sicher, dass man dort weiß, dass wir nicht

mehr in der Luft sind. Ich werde mich ausruhen und erholen, bis ich nur noch einen Liter Wasser habe. Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass ich draufgehen könnte,

wenn ich dann noch hier bleibe. Es wird nachts kalt hier

draußen, besonders dann, wenn man nur zwei Schichten Kleidung trägt und hinter einer Tür mit so viel unerwünschter Ventilation lebt wie ich. Ich verfluche mich, weil ich mich so an die Gesellschaft anderer Menschen

gewöhnt habe.

Meine Armbanduhr ist kaputt. Unter den Zeigern, die

sich nicht mehr bewegen, zeigt sie lediglich noch das

Datum an. Ich muss die genaue Tageszeit kennen, damit

ich die Sonne auf- und untergehen sehen kann. Vor fast

neun Monaten wurde die letzte Armbanduhrbatterie

hergestellt. Ich wette, dass sie im Regal ein anständiges

Leben führen, also könnte ich mir auch eine Digitaluhr

193

greifen, solange ich noch eine brauche. Es ist eine Schande,

dass ich in meinem Zustand über solchen Scheiß nachdenke.

ll.. P�ot.1ogEP.

�A· t.o o u�P.

Schon wieder ist um Mittemacht eins dieser Dinger zur

Tribüne raufgekommen. Ich habe mein NSG aufgesetzt

und darauf geachtet, beim Einschalten kein Grünlicht

nach außen dringen zu lassen. Ich habe den Untaten

fünf Minuten lang beobachtet. Er stand am oberen Tribünenrand, vor der Tür … dann haben die Batterien meines NSG langsam den Geist aufgegeben. Da sich in meinem Tornister keine AA-Batterien mehr befinden, war ich gezwungen, in meinem Entsetzen auszuharren, als

die Hände des Untaten über die kaputte Scheibe fuhren.

Jede zu Boden fallende Scherbe kam mir wie ein Donnern vor. Ich war nahe daran, meine Taschenlampe einzuschalten, aber ich hielt das Verlangen in Schach, weil ich weiß, dass ich damit nur noch mehr von denen anlocke. Ich fühlte mich an eine Szene aus einem Saurierfilm erinnert, in dem ein Mädchen unfähig ist, seine Taschenlampe auszuschalten, um zu verhindern, dass

es von einem Tyrannosaurus gefressen wird. Der einzige

Unterschied war, dass ich das verängstigte Mädchen war,

das das Licht nicht einzuschalten wagte.

Unsere Art wird aussterben.

194

Nach einer etwa halbstündigen mentalen Folter ist das

Ding ausgerutscht und die Treppe hinunter gefallen.

Seitdem habe ich es nicht mehr gesehen. Mein erster Gedanke war, dass der Lärm seines Sturzes andere anlocken würde, doch dafür gibt es bislang keine Anzeichen.

Wenn ich demnächst wieder einen Einkaufsbummel

mache, muss ich mir unbedingt Batterien besorgen. Im

Moment habe ich nur das winzige rote Leuchtwerkzeug am Reißverschluss meiner Fliegerkombination. Das Schreiben bei Rotlicht hat offenbar keine Auswirkungen

auf meine Nachtsicht, und Rotlicht lockt die Untoten

n icht an. Sie gibt so wenig Licht ab, dass die Kreaturen,

seit ich schreibend hier sitze, noch nicht einmal reagiert

haben.

�A· b.OO U1-1p,

Die Sonne lugt über die Bäume hinweg. Das Morgenlicht

t•rhellt die Umgebung und enthüllt Untote, die unter

mir herumeiern, ungefähr dort, wo die Fünfzig-Meter

Linie sein müsste. Die Windsäcke an den Toren schweben im Morgenwind. Ich bin erst vor drei Stunden eingenickt, aber trotzdem bei jedem Geräusch aufgewacht, das das Holz der von der Sonne erwärmten Tribüne erzeugt.

In der Pressekabine riecht es allmählich ziemlich übel.

Der Eimer in der Ecke füllt sich schnell, und der Genich

geht mir verdammt auf den Geist. Mir ist aber aufgefal-

195

len, dass sich in meinem Urin keine Blutspuren mehr

fmden. Meine Nierengegend schmerzt noch immer, aber

weniger schlimm als vor zwei Tagen. Mir fehlt mein Zuhause. Wo ist es überhaupt? Im schwelenden und brennenden San Antonio? Oder in Arkansas? Oder im Hotel 23?

Im Moment kommt mir alles sehr bewölkt vor. Ich möchte

einfach nur nach Hause … Irgendwohin, wo das Leben

harmonisch verläuft, wo Tod und Zerstörung keine Rolle

spielen. Ich hätte gern schöne Träume, weil sie das Einzige sind, was einem ein zeitweiliges Entkommen aus der Gegenwart ermöglicht.

19 6

‘ Anrufe r :

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I

s. P�ot. ”’(I)BEP.

V l)p,MI1‘1’At.2t,

Ich habe kaum noch Wasser. Als der Hubschrauber abstürzte, waren wir von Shreveport aus in Richtung Norden unterwegs. Ich kenne zwar meine genaue Position nicht,

doch nach sorgfaltigem Überlegen bin ich zu dem Schluss

gekommen, dass ich mich, wenn ich zum Hotel 23 zurückwill. grob nach Südwesten halten muss. Ich brauche sauberes Wasser, um meine offene Kopfwunde zu reinigen. Sie eitert. Ich muss sie alle paar Stunden quetschen, um Druck abzulassen. Rings um den Riss ist es sehr heiß.

Immerhin weiß ich nun, dass mein Körper die Infektion

bekämpft.

Normalerweise würde ich lieber in der Nacht abhauen,

aber meine Wassersituation hat mich erneut in die Welt

der Toten hinaus gezwungen. Unter mir halten sich etwa

zehn bis zwölf Kreaturen auf. Ich weiß, dass sie mich

sehen oder hören, wenn ich die Pressekabine verlasse,

denn ich habe nicht vor, hinter der Tribüne nach unten

zu klettern und das Risiko einzugehen, mir die Beine zu

brechen.

197

Ich habe lange überlegt, ob ich alles, was passiert ist,

aufschreiben soll. Ich glaube, im Moment kann ich es

aufschieben, weil meine Rückkehr mich beschäftigt und

Schreiben sich in dieser Situation als ungesund (tödlich)

erweisen könnte. Ich muss gestehen, dass ich versucht

habe aufzuhören, aber es ging nicht lange gut. Ich schreibe,

wenn ich es kann; danach geht es mir besser. Kann sein,

dass es nur dann und wann so ist oder auch nur meine

Langeweile widerspiegelt, aber wenn ich den ganzen

Scheiß zu Papier bringe, ist es meiner geistigen Gesundheit zuträglicher.

Während ich dies schreibe, versuche ich mich an all

meine Bank-PIN-Nummern und E-Mail-Passwörter von

früher zu erinnern. Ich hatte zehn Jahre lang mit der

gleichen PIN-Nummer ein Konto bei meiner Sparkasse,

und jetzt habe ich sie vergessen. Ich musste mich wirklich konzentrieren, um mich an mein E-Mail-Passwort zu erinnern, obwohl ich es, bis die Kacke anfing zu dampfen, jahrelang jeden Tag verwendet hatte.

Ich habe meinen Tornister gepackt, die MP-5 geladen

und alle regelmäßig gebrauchten Gegenstände an den

Tornister geschnallt, damit ich schnell und bequem an

sie ran komme. Mit einer Klebebandrolle habe ich die

Messerscheide und das Überlebensmesser mit dem Griff

nach unten an den linken Schulterriemen des Tornisters

198

geklebt. Wenn es hart auf hart kommt, möchte ich es

schnell und leicht erreichen können. Ich bin nun ausgeruht genug, um zu glauben, dass ich irgendwohin komme und mit etwas Glück eine Weile überleben kann. In einer

Stunde breche ich auf.

Heute habe ich zum Kämpfen den Sportplatz betreten.

Nachdem ich den letzten Schluck Wasser getrunken hatte,

verließ ich die Pressetribüne. Mein Tornister war voll

und lag dicht am Körper an, so dass mein Kreuz leicht

schmerzte. Der erste Teilnehmer am Wettbewerb »Wer

frech wird, kriegt ‘nen Kopfschuss« war ein junger Mann

mit nur einem Halbschuh und einem dreckigen grünen

7-UP-T-Shirt. Er sah mich aus der Kabine kommen und

stolperte auf der Stelle die Treppe rauf. Da ich noch

immer nicht genau wusste, wie ich mit der Waffe umgehen sollte, ließ ich ihn ziemlich nah rankommen, bevor ich zur Tat schritt und seine Schädeldecke sich

wie eine Fliegende Untertasse in die Lüfte erhob. Er fiel

nach hinten, wobei sein Beinknochen lauter knackte als

die Kugel, die ihn erledigte. Einige seiner Art hatten mein

Tun beobachtet und kamen auf mich zu.

Wieder hatte ich ein begabtes Zehntel am Hals, ein

völlig anders begabtes Zehntel, als W. E. B. Du Bois eins

gewesen war. Bei meinen letzten Reisen und Mühsalen

war mir aufgefallen, dass etwa eins von zehn dieser Din-

199

ger entweder schlauer oder schneller war als der Rest.

Oder beides. Ich erkannte es sofort. Sie war wacher und

kam mir koordinierter entgegen als alle anderen. Sie ging

aufrecht und näherte sich mit forschem Schritt, während die anderen nur vor sich hin stolperten. Ich gewährte ihr kein Pardon, sondern schoss ihr in den Hals und den Kopf. Sie ging ebenso leicht zu Boden wie die

anderen, stammte aber vermutlich aus einer heißen Zone.

Zwar war sie nicht so verstrahlt wie die grässlichen Figuren auf dem Kutter der Küstenwache, aber ich wusste von der eigenartigen Auswirkung, die die Strahlung auf

sie hatte. Sie spielten deswegen in einer anderen Liga aber nicht in der meinen.

Ich kümmerte mich nicht um alle auf dem Sportplatz

Anwesenden. Ich habe nur so viele ausgeschaltet, dass

die Bedrohung auf überschaubarem Niveau blieb. Ich

hatte vor, alle zu töten, die ich töten musste, dann auf

die andere Seite des Platzes zu wechseln, ihn zu umkreisen und mich zurückzuziehen. Ich erledigte vier und behielt die acht anderen im Auge. Ich versuchte, einen

Blick auf ihre Handgelenke zu werfen, denn ich wäre

durchaus näher ran gegangen, um einem meiner Opfer

die Armbanduhr zu klauen. Leider war die Aussicht nicht

so gut, und ich war offen gesagt auch ein bisschen zu

ängstlich, um allzu lange auf dem Platz rumzulungern.

Schließlich verdünnisierte ich mich und marschierte

mit dem Kompass nach Südwesten, bis ich an ein Schild

kam, auf dem »Oil City, 15 km« stand. Ich befand mich

an der Kreuzung einer Landstraße und eines zweispuri-

200

gen Highways. Ich ging zehn Meter neben der Landstraße,

damit mich nichts sah. Meine in dieser Welt gesammelten Erfahrungen besagen, dass Tote nicht die tödlichsten Feinde sind. Von meinem Aussichtspunkt an der Kreuzung sah ich auf der nach Süden führenden Seite

des Highways eine alte Straßensperre und auf der nach

Norden führenden etwa vierzig aufeinander gekrachte

Fahrzeuge. Neben der Straße tröpfelte aus einem Abwasserrohr ein Bächlein dahin. Ich kam zu dem Schluss, dass mein Wasserbedarf im Moment wichtiger war als

mein Unsichtbarkeitsbedürfnis. Also wagte ich mich dorthin, wo das Wasser rauschte.

Als ich vor dem fassdicken Rohr stand, hätte ich schw�

ren können, in der Nähe der Straßensperre eine Bewegung gesehen zu haben. Ich verharrte eine ganze Minute, denn ich wollte sicher sein. Was immer es auch gewesen

war, es rührte sich nicht mehr. Ich bückte mich und

trank von dem Wasser, bis ein anderes Geräusch meine

Aufmerksamkeit erregte. Ich riss den Kopf so schnell

hoch, dass ich mit dem Schädel gegen die Oberkante des

Rohrs knallte und für einen Moment Sterne sah. Ich

schüttelte sie beiseite und lauschte erneut. Ich erkannte

das Geräusch eines schrill und rhythmisch laufenden

Motors und fühlte mich an einen elektrischen Rasenmäher erinnert. Ich versuchte in die Richtung zu schauen, aus der das Geräusch zu kommen schien, aber sosehr

ich meine Augen auch anstrengte, ich konnte nichts

sehen. Das Geräusch verstummte so schnell, wie es erklungen war. Ich hockte eine Weile da und fragte mich, 201

was ich wohl gehört hatte. Ein Motorrad? Nein. Motorräder klangen anders. Trotzdem war es mir vertraut vorgekommen.

Ich trank, bis ich nicht mehr konnte. Dann füllte ich

die Feldflasche in meinem Tornister und ging weiter,

wobei ich ständig zehn Meter von der Straße entfernt

blieb. Unterwegs sah ich jede Menge Zeug, das ein Mensch

besser nie zu sehen kriegen sollte. Rings um die Straßensperre lagen verwesende Leichen. Sie wirkten, als lägen sie in einem Bett aus Altblech; als hätte hier vor Monaten ein Heer versucht, sich seiner Fußkranken zu entledigen. Tote Menschen standen in winterschlafähnlicher Benommenheit auf dem Highway herum, als könne

nichts sie motivieren. Ich nehme an, dass sie auf diese

Weise Energie sparen. In der Ferne sah ich eine über ein

Feld hetzende Hundemeute. Der Wind kam aus ihrer

Richtung, deswegen bin ich ziemlich sicher, dass sie

nicht ahnten, wie nahe ich ihnen war. Ansonsten fand

ich nirgendwo Anzeichen menschlichen Lebens.

Die Sonne sank dem Horizont entgegen. Für mich war

es an der Zeit, ein Nachtquartier zu finden, damit meine

Nerven sich entspannen und ich mich geistig sammeln

konnte. Etwa drei oder vier Kilometer hinter der Kreuzung fiel mir ein Haus auf, das in der Ferne hinter einer Baumreihe stand. Ich ging vorsichtig näher, hielt nach

allen Seiten Ausschau und blickte öfter als nötig hinter

mich. Es war sehr still, und ich war von den Ereignissen

des Tages noch sehr aufgewühlt. Meine Nieren waren

voller Wasser; ich musste pieseln. Es erinnerte mich an

202

meine Kindheit. Immer wenn wir Verstecken spielten,

musste ich pieseln. Das Haus hatte zwei Stockwerke und

stammte aus den 1950er Jahren. Die Farbe schien vor

meinen Augen abzublättern.

Ich setzte mich hin und beobachtete das Haus sehr

lange. Ein vom Typ her neuer, doch ausgebrannter Chevrolet, der einige Meter neben dem Haus stand, fiel mir auf. Motorhaube und Karosserie wiesen Einschusslöcher

auf. Die Hausfenster im Parterre waren mit Brettern vernagelt; davor lagen menschliche Überreste. Ich lauschte und spähte aus, bis das verblassende Licht mich zwang,

eine Entscheidung zu f<i.llen. Das Haus machte einen verlassenen Eindruck. Ich umrundete es und hielt nach potenziellen Zugängen Ausschau. Vorder- und Hintertür waren ebenfalls verrammelt. Die einzige Möglichkeit,

hineinzugelangen, bestand darin, aufs Dach zu klettern

und durch ein unverrammeltes Fenster in der oberen

Etage einzusteigen.

Ich nahm all meinen Mut zusammen, hievte meinen

wehen Körper die Vorbaustützen hinaufund kletterte auf

den Überhang, der zu einem der oberen Fenster führte.

Hätte ich früher bei der Marine und auch zu Hause

nicht täglich Klimmzüge gemacht, wäre es mir nie gelungen. Oben angekommen, setzte ich mich hin, bewunderte die Aussicht und lauschte meiner Umgebung. Hinter dem Fenster war es dunkel, und zwar so dunkel, dass ich um keinen Preis in das Haus einsteigen wollte. Das

Fenster war vielleicht um zwanzig Zentimeter hochgeschoben, so dass ein Teil der weißen Gardine sich leicht 203

bewegte. Der Wind ließ sie wehen, aber vielleicht ließ

auch mein Atem sie flattern. Meinem Gefühl zufolge

brachte ich da oben Stunden zu. Ich wollte nicht rein.

Ich nahm mir fest vor, im Freien zu schlafen, doch das

ging wiederum nicht, weil ich Angst hatte, ich könnte

vom Vordach rollen und in die ausgestreckten Arme der

Untaten fallen. Das Licht der Sonne wurde von der At·

mosphäre rot gefärbt, als sie sich am westlichen Horizont verabschiedete. Ich griff in meinen Tornister und entnahm ihm die Taschenlampe.

Ich streckte den Arm zum Fenster hin aus und glaubte,

als ich es berührte, einen Stromschlag zu spüren. Ich

wollte es mit einer Hand nach oben schieben, aber es

hatte so lange in seiner Stellung verharrt, dass es nicht

nachgeben wollte. Mit Einsatz beider Hände und Beine

gelang es mir, es so hoch zu schieben, dass ich einsteigen konnte. Ich teilte den Vorhang und drehte das Endstück meiner Lampe. Der Raum kam mir so normal vor, wie ein Raum in einem verlassenen Haus nur sein kann.

Die Tür war geschlossen, das Bett war gemacht, der Boden

jedoch voller Blätter und Vogelkacke.

Ich schob den Kopf tiefer ins Zimmer hinein, um mich

zu versichern, dass er wirklich sauber war. Als ich zufrieden war, stieg ich ein. Mein erster Gedanke galt der Zimmertür und der Frage, ob sie abgeschlossen war.

Ich ging langsam zu ihr hin und spürte das Knirschen

des Holzbodens unter meinem Gewicht. Nach jedem

von mir erzeugten Geräusch verharrte ich und lauschte

nach irgendwelchen von unten oder aus dem Hausflur

204

kommenden Reaktionen. Ich hörte nichts. Ich streckte

die Hand aus und überprüfte das Schloss der Schlafzimmertür - es war abgeschlossen. Dann schaute ich leise in den Kleiderschrank, unters Bett und auch sonst überall

dorthin, wo kleine Kinder böse Männer vermuten. Auf

der Frisierkommode fand ich eine halb heruntergebrannte Kerze und eine halbe Schachtel Streichhölzer.

Ich fragte mich, ob ich die Kerze anzünden sollte, um

Taschenlampenbatterie zu sparen. Nach einigem Nachdenken zog ich die Vorhänge der Schlafzimmerfenster zu und verhängte sie zusätzlich mit Decken aus dem

Schrank. Dann zündete ich die Kerze an und wärmte

meine Hände an der Flamme. Meine Augen passten sich

an das Kerzenlicht an, und ich versank in etwas, das

kein Schlaf, aber etwas Ähnliches war.

Ich weiß nicht genau, wie lange ich gedöst habe, aber

ein Donnerschlag ließ mich schlagartig erwachen. Ich

schaute zur Kerze und stellte fest, dass sie nicht sonder-

1 ich viel kleiner geworden war. Ich ging zum Fenster

rüber, zog die Decke beiseite und schaute aufs Feld hinaus. Ein Blitzschlag erhellte in der Ferne den Umriss eines Menschen. Ich wusste nicht im Geringsten, was die

Absichten der Kreatur waren. Ich schaute fortwährend

ins Nichts hinaus und wartete auf weitere die Nacht

erhellende Blitzschläge. Schließlich wandte die Gestalt

sich ab, und ich fragte mich, ob sie überhaupt je da gewesen war.

Es regnet noch immer, und ich habe beschlossen, mich

aufs Bett zu legen. Hinter der Tür ist zwar kein Geräusch

205

zu hören, aber ich werde heute Nacht trotzdem mit der

Waffe in der Hand schlafen. Und wahrscheinlich auch

für den Rest meines Lebens.

Heute Morgen hat mich der Wind geweckt. Ich musste

etwas essen. Es sind noch drei Einmann-Rationen übrig.

Seit dem Absturz habe ich immer nur stückehenweise

etwas zu mir genommen. Ich glaube, heute ist ein guter

Tag, um etwas mehr Proviant zu verzehren. Auch mein

Kopf fühlt sich besser an. Die Nähte jucken. Ich achte

darauf. sie nicht zu berühren. Wenn ich aus dem Fenster

schaue, deutet nichts aufUntote hin. Es ist trostlos drau

ßen. Es sieht aus, als stünde mir wieder ein Unwetter

bevor.

Ich fing gerade an, mich zu recken und auf den Tag

vorzubereiten, als mir das für meine akute Lebenssituation Wichtigste einfiel: der untere Teil des Hauses. Zum ersten Mal seit langer Zeit war ich sorglos. Ich hatte vergessen, wo ich war. Obwohl ich nur eine Nacht in diesem Raum verbracht hatte, war mir, als wären es Tage gewesen. Mein Bewusstsein hatte meinem Unterbewusstsein übermittelt, ich sei sicher; hier sei mein Zuhause.

Natürlich war das nicht der Fall. Im Parterre konnte sich

ein Dutzend Untoter aufhalten. Vielleicht standen sie in

schlummernder Trance da und waren sich meiner Gegenwart noch nicht bewusst. Wenn es für sie nichts zu 206

fressen gibt oder niemand lärmt, scheinen sie in eine

Art Winterschlaf zu verfallen. Ich stellte mir eine komplette untote Familie vor, die benommen unten herumstand und darauf wartete, dass ein erstes Lebenszeichen sie weckt und in den Killermodus versetzt.

Ich wollte nicht über die Erforschung des Hauses nachdenken, bevor ich nicht etwas Rührkuchen aus meinem Tornister gegessen hatte. Nach dem Frühstück trank ich

l’twas Wasser und fing an, mir Entschuldigungen dafür

iiUszudenken, wieso ich nicht nach unten gehen und

m ich umsehen musste. Ich wusste aber, dass ich hinuntergehen musste, weil es in diesem Haus Dinge gab, die ich brauchte, um am Leben zu bleiben. Erst als die

Sonne durch die Wolken gekrochen war und hoch am

Himmel stand, fasste ich den Entschluss, ins Parterre

hinabzusteigen.

Ich überprüfte meine Waffe und befestigte mein Leuchtwerkzeug mit dem Klebeband aus dem Tornister am Schalldämpfer der MP-5. Ich zog auch den Schlitten meiner Glock zurück und überzeugte mich, dass sie geladen war.

Kein Teil meines Körpers war sichtbar, als ich die Linke

ausstreckte, um die Tür aufzuschließen. Sie klemmte,

vermutlich weil sie seit Monaten nicht bewegt worden

war. Ich musste sie mit Gewalt öffnen, was ein lautes

Klicken hervorrief. Ich legte eine Hand auf die Tür, hielt

sie fest und lauschte. Wenn das Geräusch sie zu mir

führte, wollte ich wieder abschließen und in die Hügel

11iehen.

207

Ich wartete mindestens fünf Minuten lang und glaubte

in diesem Zeitraum von Untoten über einen Rasenmäher bis hin zu einem Nebelhorn alles zu hören. Dann ließ ich die Tür los und griff nach dem Knauf, um ihn -

vermutlich zum ersten Mal seit einer Ewigkeit - zu drehen. Als ich ihn bewegte, war meine Rechte darauf vorbereitet, alles zu töten, was sich mir in den Weg stellte.

Der Schalldämpfer meiner Waffe war der erste Teil von

mir, der sich durch die Tür schob. Als ich die Waffe herumschwenkte, erhellte die Blautönung des Leuchtwerk·

zeugs den Korridor der ersten Etage.

Ich fragte mich unaufhörlich, ob ich das Magazin wirk·

lieh überprüft hatte oder mir nur einbildete, es überprüft zu haben. Ich schob den Gedanken beiseite und setzte mich in Bewegung. Ich warf einen Blick in das

Schlafzimmer, das ich gerade verlassen hatte. Die Tür

wies alte Blutflecke auf, als hätte etwas auf sie eingeschlagen und irgendwann das Interesse verloren. Diese Dinger wissen Bescheid.

Als ich mich umdrehte, fiel mir etwas Eigenartiges

auf. An der Wand gab es helle Stellen. Dort hatten Bilder

gehangen. Es kam mir fast so vor, als hätten die Hausbesitzer sie abgehängt und mitgenommen. Mir fielen ein paar Hundert Dinge ein, die wichtiger waren. Überall

auf dem Boden lagen tote Fliegen; sie waren so verbreitet wie der Staub. Der Boden im ersten Stock war mit Schichten von beidem bedeckt, doch ich sah keine Fuß.

abdrücke, die anzeigten, dass hier kürzlich jemand gewesen war. Wenn sich in diesem Haus etwas Lebendiges 208

oder Totes aufhielt, hatte es sich nie die Mühe gemacht,

sich nach oben zu begeben. Kurz darauf erkannte ich

dl•n Grund dafür. Als ich zur Treppe schlich und beinahe hinunter gegangen wäre, hielt ich an und blickte auf meine Füße. Die Treppe bestand nur aus zwei Stufen

und war dann zu Ende. jemand hatte die anderen Stufen

l’ntfernt. Unten lagen sechs Untoten-Leichen. Jede mit

l’inem Kopfschuss. Allmählich begriff ich. Die mir unbekannten Hausbesitzer hatten die Stufen wahrscheinlich l’ntfernt und sich in die obere Etage zurückgezogen.

Sie hatten die Untoten höchstwahrscheinlich erschossen

und sich dann durch das Schlafzimmerfenster davon

gemacht. So erschien es mir logisch. Das erklärte aber

noch nicht das Blut an der Tür hinter mir und ebenso

wenig. wie die Dinger ins Haus gekommen waren. Allerdings hatte ich die obere Etage ja noch nicht in Gänze untersucht.

Ich entfernte mich von dem kaputten Treppenhaus

und begab mich langsam zu den beiden geschlossenen

Türen am anderen Gangende. Der Boden knarrte bei

jedem Schritt, aber ich ignorierte das Geräusch. Meinem Gefühl nach war ich allein. Die erste Tür, die ich erreichte, führte in ein Bad. Alles war ordentlich an seinem Platz. Staubbedeckte Handtücher hingen über der Duschvorhangstange, und ein unbenutztes Stück Seife

lag in der Seifenschale des Waschbeckens. Ich schnappte

es mir und ließ es in meiner Beintasche verschwinden.

Dann ging ich zur Toilette und blickte mich um. Ich sah

nichts Ungewöhnliches außer einer bizarren Gipsfigur

209

in Gestalt eines Klodeckels, der auf dem Wassertank lag

und auf dem zu lesen war: »Falls du rieselst, wenn du

pieselst, sei ein Schatz und wisch den Platz!«

Aus irgendeinem Grund kam mir das sehr witzig vor,

so dass ich eine ganze Weile vor mich hin lachte. Bevor

ich das Bad verließ, schaute ich unters Waschbecken

und fand in einem Kunststoffbehälter ein ganzes Medizinsortiment. Ich nahm ein Röhrchen mit abgelaufenen Dreifach-Antibiotika und eine Rolle Klopapier mit und

begab mich zu Tür Nummer zwei.

Mit gezückter Waffe öffnete ich sie. Der Raum war

pechschwarz, denn dicke Vorhänge waren vor die Fenster gezogen. Ich schwenkte mein Lämpchen durch den Raum und enthüllte seinen unordentlichen Zustand. Die

Bettmatratze war umgedreht. Schmutzige Klamotten

und Müll bedeckten den Boden. Überall war Rattenkot

zu sehen, was dazu beitrug, dass der Raum nach »alten

Büchern« roch. Bevor ich eintrat, ließ ich meine Fantasie

schweifen, da ich mehr oder weniger damit rechnete,

gleich irgendetwas Grauenhaftes und Wahnsinniges zu

sehen. Ich war ziemlich froh, dass ich nicht auf eine alte

Dame stieß, die an einem Leuchtkörper hing, weil es ihr

nicht gelungen war, sich richtig aufzuknüpfen, nun hin

und her baumelte und mit schriller Hexenstimme schrie:

»Sei ein Schatz und wisch den Platz!« Gott sei Dank blieb

mir das jedenfalls heute erspart.

Das Parterre blieb unerforscht, da mir die Vorstellung

nicht gefiel, von einem cleveren Ghoul den Arsch abgebissen zu bekommen. Ich bezweifle zwar, dass sie was auf 210

dem Kasten haben, aber seit sie anfingen, nach ihrem

Tod aufzuerstehen, habe ich siejede Menge bizarre Dinge

tun sehen. Dies allein halte ich für gespenstisch.

Nach sorgfältigem Überlegen beschloss ich, den kleinen Handspiegel aus dem Badezimmer zu holen und das Klebeband zu verwenden, um ihn an einem Besenstiel

aus dem Schrank zu befestigen und mir das Parterre anzuschauen, ohne meinen Hals zu riskieren. So lag ich also zwanzig Minuten lang am oberen Rand der kaputten Treppe auf dem Bauch und schaute mich unten mit dem Besenspiegel um. Dann entschied ich, dass es vielleicht doch kein Risiko darstellte, nach unten zu gehen.

Das einzig Ungewöhnliche da unten waren die Leichen

auf dem Fußboden sowie eine offene Tür, die aussah, als

führe sie in eine Art Keller.

Meine Angst, ich könnte zwischen die Leichen fallen,

brachte mich dazu, mein Bein an das feste Geländer im

oberen Stock zu binden. Es hätte mir überhaupt nicht

zugesagt, auf einen Leichenhaufen zu stürzen, während

weitere Untote durch die offene Tür strömten und ich

mich nicht schnell wieder nach oben zurückziehen

konnte. Aus den gleichen schmutzigen Laken, mit denen

ich mein Bein festband, bastelte ich mir für den Abstieg

eine Strickleiter. Mit einer Angst, die die an meinem ersten Schultag gespürte deutlich übertraf, kletterte ich schnell nach unten und eilte sofort zur Tür hinüber, um

sie zu schließen.

Als ich mich ihr näherte, fiel mir auf, dass dort in der

Tat eine Treppe in einen finsteren Abgrund führte. Ich

211

hätte nichts dagegen gehabt, wenn sie in einen Lagerraum voller Maschinenpistolen vom Typ MP-16 oder Proviant für ein Jahr gemündet hätte, aber nach allem, was ich hinter mir hatte, wollte ich nicht runtergehen. Ich

schloss die Tür und verrammelte sie so leise wie möglich

mit einem Sofa, das ich vor sie schob. Als ich sicher war,

dass mir von der Kellertür keine Gefahr drohte, suchte

ich das Parterre systematisch nach wahrnehmbaren Bedrohungen ab. Wandschrank für Wandschrank und Ecke für Ecke stellte ich sicher, dass kein Ding sich hier unten

aufhielt. Ich schaute überall nach und versicherte mich,

dass nicht mal ein abgetrennter Oberkörper hier irgendwo unter einem Tisch oder in einer Duschkabine auf mich lauerte.

Zufrieden, weil das Haus sauber war, nahm ich die

Suche nach Dingen in Angriff, die ich brauchen konnte.

Ich durchwühlte die Küchenschubladen und fand wasserfeste Streichhölzer und drei Päckchen AA-Batterien.

Mein NSG war damit wieder einsetzbar. Weitere Ermittlungen förderten eine alte Schachtel zu Tage, die zwei große Rattenfallen enthielt. Ich nahm sie mit, da ich

den Eindruck hatte, dass sie auch groß genug waren,

um ein junges Kaninchen oder ein Eichhörnchen zu fangen, wenn meine Nahrungsreserven sich erschöpften.

Tatsächlich sollte ich jagen, um mein haltbares Zeug

aufzusparen. Vielleicht tue ich es auch, sobald ich mich

etwas kräftiger fühle.

In einem Wandschrank fand ich einen schwarzgrauen

Rucksack. In goldenen Lettern stand da »Arc’teryx Bora

212

95«. Seine Qualität war eindeutig höher als die meines

Tornisters. Er war auch bequemer zu tragen und sah

aus, als passe doppelt so viel in ihn rein. Ich ging zur kaputten Treppe rüber, wobei ich darauf achtete, die am Boden liegenden Leichen tunliehst nicht zu berühren.

Nachdem ich den Rucksack zum oberen Stock hinaufgeworfen hatte, setzte ich meine Ermittlungen fort.

Ich ging durch alle Parterreräume und begutachtete

die verrammelten Fenster und die verstärkte Haustür. Vor

dem Fenster links der Haustür lehnte ein langer Mopstiel. An seinem Ende war ein Eispickel befestigt. Das Ding war fachmännisch angebracht. Die Schnur, die es hielt,

wies komplizierte Knoten auf, die ein Muster bildeten

und den Pickel sehr fest an die selbst gebastelte Lanze

banden. Mit ihr hätte man zwar kein Tier erlegen können,

aber wenn man ein Auge oder das Weichteil eines verwesenden Schädels traf, konnte man einen Gegner ohne einen Schuss niedermachen und wertvolle Ressourcen

sparen. Ich nahm die Waffe mit und legte sie auf die

Küchenzeile. Als ich wieder in der Ecke stand, in die ich

mich abgeseilt hatte, härte ich ein Knarren. Ich hielt inne.

Es wiederholte sich. Meine Hauptfurcht war, es könne

aus dem Keller kommen. Ich ging zur verrammelten

Haustür, um einen Blick ins Freie zu werfen. Ich wollte

sicher sein, dass sie mir im Notfall einen Fluchtweg bot.

Als mein Auge auf der Höhe des Gucklochs war, sah

ich den Umriss eines Untaten.

Einen Moment lang war ich fürchterlich entsetzt. Ich

stierte ihn einfach nur an und konnte den Blick nicht

2 13

abwenden. Die skelettartige Fratze hinter der Tür war

keine dreißig Zentimeter weit entfernt. Ich hätte am

liebsten durch das Guckloch auf das Ding geschossen,

aber dann hätte ich es vielleicht verfehlt und meine

Lage durch den Lärm, den splitterndes Holz verursacht,

nur verkompliziert. Ich konnte den Blick nicht von dieser wandelnden Katastrophe abwenden. Das Gesicht war verwest, die milchigen Augen traten hervor, die Lippen

waren nicht mehr vorhanden. Das Ding schien mich

durch die Tür anzustarren.

In der ganzen Zeit, in der ich es beobachtete, bewegte

es sich nicht um einen Millimeter. Ich schätzte seine

Größe auf etwa einsachtzig. Ich stellte mich auf die

Zehenspitzen und versuchte den Gegenstand zu erkennen, den es in einer verwesenden Hand hielt. Ich konnte nicht genau ausmachen, was es war. Ich verharrte an

der Tür und blinzelte nur hin und wieder, damit meine

Augäpfel nicht austrockneten. Das Ding rührte sich nicht

vom Fleck.

Meine Möglichkeiten waren begrenzt …

Ich konnte mich entweder am Laken entlang wieder

nach oben hangeln und die Sache vergessen oder mir

das Ding auf der Stelle ein- für allemal vom Hals schaffen. Ich beschloss, leise weiter im Haus nach Dingen zu suchen, die mir nützlich sein konnten, und dann wieder

nach oben zu gehen. Ich huschte mit der Lautlosigkeit

einer Katze in die Küche zurück, um den Küchenschrank

zu filzen. Als ich die Türschwelle überquerte, verursachte

ich ein leises Knarzen. Ich blieb mehrere Minuten lang

214

stehen und lauschte … Knarz … Knarz … Es kam von der

Haustür. Ich tat die Bedrohung ab, stellte mir vor, dass

das Ding den Kopf schief legte und zu erkennen versuchte, ob es das Geräusch selbst erzeugt hatte oder ein leckerer Bissen, der sich hinter der Tür befand …

Ich schaute mir die Regalbretter an und fand sechs

Dosen fleischloses Chili, zwei Dosen mit Gemüse und

Rindfleisch und verschiedene andere Gerichte in fortgeschrittenen Stadien der Fäulnis. Ich schob die Dosen in meinen Rucksack und schaute unter dem Spülbecken

nach, ob dort noch etwas Nützliches lag. Da stand eine

alte Rattenfalle vonjener Art, von der ich mir bereits zwei

Exemplare unter den Nagel gerissen hatte. Sie enthielt

nichts als die knochigen Überreste und den Schrumpelschwanz einer vor Unzeiten gefoppten Ratte. Zufrieden mit meinem Fund packte ich den Mopstiel mit dem Eispickel, wehrte das unnatürliche Verlangen ab, einen weiteren Blick durch das Guckloch zu werfen, und begab mich über die improvisierte Strickleiter nach oben.

Mit dem Mopstiel hob ich meinen Tornister vorsieht ig ins obere Stockwerk, damit ich einfacher nach oben klettern konnte. Er war rammelvoll und zu schwer, weswegen ich leicht eierte, um ihn im Gleichgewicht zu halten. Eine Chili-Dose fiel heraus und knallte auf den Boden. Sie erzeugte einen Laut, der aus einem Artillerie

�o:eschütz hätte kommen können. Ich krümmte mich, als

irh den Rucksack ins obere Stockwerk hievte und neben

den noch leeren großen Rucksack warf. Als ich mich

bückte, um die Konservendose aufzuheben, wurde laut

215

gegen die Haustür geklopft. Das Ding schien mit irgendwas auf die Tür einzuschlagen, denn das Klopfen klang viel härter und lauter als eine bloße Faust. Ich schob

die Dose in eine Westentasche und sprang fast ins obere

Stockwerk hinauf.

Dort lag ich auf dem Boden, verwendete meinen Tornister als Kissen und schaute an die Decke, während das Ungeheuer mir Zeit verschaffte, indem es auf die Tür

einschlug. Es härte einfach nicht auf … Ich härte die Tür

splittern und nahm den Spiegel. um sie zu beobachten.

Wann immer das Ding auf die Tür einschlug, zuckte

ich zusammen. Der Spiegel in meiner Hand wackelte.

Ein sehr dünner Lichtstrahl fiel etwa siebzig Zentimeter

über der Klinke durch ein Loch in der Tür. Stumpfe Gegenstände können solche Schäden nicht bewirken. Die Tür war an drei Stellen mit Brettern vernagelt, und ich

weiß noch, dass dies auch für die Außenseite galt.

Ich zog mich in das Schlafzimmer zurück, in dem ich

zuvor genächtigt hatte, und als die Sonne dem Horizont

entgegen sank, schloss ich mich ein. Mit dem Multitool

öffnete ich eine Dose Chili; dann holte ich meinen Einmann-Rationen-Plastiklöffel hervor. Als die Sonne unterging, saß ich da und zählte die Schritte unter mir. Bei 353 hatte ich mein Chili verzehrt.

216

b · PL�…‘fl)gEp,

�PÄ1’ llJ t>EP.. NA�’-11’

Anhand der von unten kommenden Geräusche kann ich

l’l’kennen, dass das Ding so gut wie drin ist. Vor einer

knappen halben Stunde habe ich ein Brett zu Boden fallt•n hören. Natürlich habe ich nicht die geringste Ahnung mehr, wie lange eine halbe Stunde wirklich dauert.

Aus der Furcht heraus, dass das Ding noch mehr seiner

Art anlocken könnte, will ich die Dunkelheit zur Tarnung nutzen und von hier verschwinden. Ich habe den Abend mit dem Packen des neuen Rucksacks verbracht,

der mir unten in die Hände gefallen ist. Ich habe alles

neu verstaut, damit die Dinge, die ich am häufigsten

brauche, oben oder in der Nähe der Reißverschlüsse lie

�en. Es ist noch eine Menge Platz in dem Rucksack, deswegen nehme ich noch eine grüne Wolldecke aus dem Wandschrank mit.

Ich habe die Batterien überprüft, die ich unten eingesteckt habe. Das Verfallsdatum deckt noch ein halbes Jahr ab. Ich habe sie ins NSG gesteckt und es eingeschaltet. Das aus der Optik aufmeine Handfläche scheinende 2 17

Grünlicht ist ein Hinweis darauf, dass sie bestens in

Schuss ist. Es bringt allerdings nichts bei Kerzenlicht.

Ich habe des Weiteren mein Taschenfunkgerät wieder

ausprobiert, häre aber nur Rauschen. Mein Verstand

gaukelt mir vor, am anderen Ende Stimmen zu hören.

Ich habe meine Situation einfach ins Blaue hinein gesprochen, bin aber bezüglich meiner Position vage geblieben. Wenn ich weiter nach Süden gelange, kann ich vielleicht die Codes anwenden, die John mir unbedingt

einbläuen wollte. Die Nähte jucken wieder, also habe ich

versucht, sie mit antibiotischer Wundsalbe zu behandeln. Ich hoffe, dass es hilft, Infektionen abzuwehren.

Noch ein paar Tage, dann ziehe ich die Fäden.

Wird Zeit, die Kerze auszublasen.

f P.� AM Mt)p.(2E�

Ich weiß nicht genau, warum diese Dinger so sind oder

warum sie sich von den anderen unterscheiden …

Sie sind aggressiver und beharrlicher.

Als ich mich letzte Nacht aus dem Haus verzog, bin

ich durch das Fenster raus, durch das ich eingestiegen

bin. Ich habe das Bett gemacht; hauptsächlich deswegen,

weil es mir ein besseres Gefühl verschaffte, aber auch,

weil ich dadurch den Abmarsch hinauszögern konnte.

Nachdem ich das Bett gemacht hatte, schaltete ich das

Licht aus und setzte mein NSG auf. Als ich es justierte,

218

wurden meine Befürchtungen wahr, denn ich sah, dass

der Lärm, den der Untote an der Haustür veranstaltete,

t•in Dutzend weitere wandelnde Leichen aus der Umgehung angelockt hatte. jedenfalls konnte ich diese Menge von einem Fenster aus zählen. Daraufhin schätzte ich,

dass das Haus von mindestens dreißig Gestalten umzin

�otl’lt war.

Als ich aufs Dach hinausging, hörte ich die Geräusche, die diejenigen machten, die sich einen Weg durch das hohe Gras bahnten und bei der Suche nach der Ursache des Lärms im Dunkeln auf trockene Äste traten.

Alte Gewohnheiten legt man nur schwerlich ab. Ich

wusste, dass jedes meiner Magazine neunundzwanzig

Schuss enthielt, auch wenn es bei dieser Waffe keine

Rolle spielte. Ich trat vorsichtig an den Rand des Vorbaus

und schaute in die Tiefe. Zwei Gestalten standen unter

mir. Ich beugte mich vor und knipste sie aus. Den Kopf

des einen verfehlte ich. Der Getroffene fiel gegen den

a nderen und gab mir so eine zweite Chance. Ich erschoss

Nummer zwei und kletterte dort hinab, wo ich hinauf

�estiegen war. Auf dem Weg zur besten Ausweichroute

t•rledigte ich drei weitere. Bei jedem Durchziehen des

Abzugs wurde meine Umgebung von einem grünen Blitz

t•rhellt. Das NSG verstärkte den aus dem Rohr des Schalldämpfers kommenden Mündungsblitz.

Zum Rennen war ich viel zu müde. Ich bewegte mich

in einem gemäßigten Dauerlauftempo und ging den Untoten einfach aus dem Weg. Als ich fast an der Straße war, warf ich einen Blick zum Haus zurück. Eins der

219

Dinger schien mehr oder weniger in meine Richtung zu

laufen. Einen Moment lang glaubte ich tatsächlich, es

könnte mich im Dunkeln sehen. Meine Furcht ließ nach,

als ich seitlich abbog und anhielt. Ich hatte den Eindruck, dass es versuchte, Witterung aufzunehmen, denn es drehte den Kopf langsam von einer Seite zur anderen. Auch hielt es einen Gegenstand in der Hand. Irgendwie wurde ich das dumpfe Gefühl nicht los, dass es sich um das Ding handelte, das ich durchs Guckloch beobachtet hatte.

Ich nahm meinen Weg wieder auf und wandte mich

der Straße zu. Ich hatte keine Ahnung, wo ich hinging.

Ich wanderte neben einem alten gepflasterten Highway

her viele Kilometer weit nach Süden. Schilder verkündeten, dass ich mich Oil City näherte. Die Straße hätte mich vielleicht auch nach Shreveport geführt, eine Stadt, die

zu betreten ich nicht wagte. Ich brauchte für die kommende Nacht einen Schlafplatz. Ich schritt aus, bis ich ein winziges Licht am Horizont sah, was bedeutete, dass

die Sonne gleich aufging.

Vor mir, auf der Straße, machte ich einen Schulbus

aus.

Ich schätzte die Zeit auf ungefähr 4.30 Uhr. Die Kälte

war nun spürbar. Ich brauchte ein paar Stunden Schlaf,

um mich dem neuen Tag stellen zu können. Ich ging

weiter auf den Bus zu und schaute mich vorsichtig um.

Die Gegend kam mir sauber vor. Ein paar verlassene

Autos und Laster vermüllten den Straßenrand in Richtung Bus. Verrottete Skelette waren um die Fahrzeuge 220

lwrum verteilt. Untote und Vögel hatten sie sauber ab

�l·nagt.

Als ich den Bus erreichte, nahm ich froh zur Kenntnis, dass die Tür offen war, denn so wusste ich, dass im I nneren niemand festsaß, der zu blöd war, sich selbst

hinaus zu lassen. Ich näherte mich vorsichtig der Motorhaube, stieg auf die Stoßstange und kletterte rauf. Morl(l’ntau hatte den Bus schlüpfrig gemacht. Von der Haube

;nts peilte ich durch die Frontscheibe über die Sitzreihen

hinweg. Der Wagen war leer. Ich stieg auf das Dach, um

hl’sseren Ausblick über die gesamte Umgebung zu erhalll’n. Abgesehen von zwei Kaninchen im Straßengraben nahm ich nirgendwo Bewegung wahr.

Ich spielte mit dem Gedanken, sie zu erlegen, aber

sl’ibst für das leise Geräusch war mir die Dunkelheit

;r.u riskant. Ich holte die Wolldecke aus dem Rucksack

und legte ihn aufs Dach. Ich ließ mich wieder auf die

Motorhaube hinab und betrat den Bus durch die Tür.

Nachdem ich die Decke über den Fahrersitz geworfen

hatte, kniete ich mich hin und richtete meine SMG unter

die Sitze. Außer einer alten Lunchtüte sah ich nichts.

Mit der Handkurbel drehte ich die Bustür so langsam

wie möglich zu, denn ich wollte keinen Krach machen.

Bl’trüblicherweise schlafe ich nicht zum ersten Mal in

l’inem Bus.

Da mein Zeug auf dem Busdach sicher ist, kann ich,

Wl’nn ein schneller Abmarsch nötig wird, durchs Fenster

st iften gehen und ihn mitnehmen. Hätte ich den Ruck

“‘ck mitgenommen, wäre es mir vielleicht nicht gelun-

221

gen, ihn durchs Fenster zu schieben; dann hätte ich auf

der Flucht meinen ganzen Proviant und alle sonstigen

Vorräte verloren.

Ich schnitt Vinylstreifen aus den Sitzen und flocht sie

schlampig zu einem Seil zusammen. Damit versuchte

ich den Türgriff so festzubinden, dass niemand in den

Bus einsteigen konnte, ohne Lärm zu erzeugen. Zeit fürs

Bett, wenn ich so sagen darf.

Es ist noch früh. Ich sitze in der vierten Reihe rechts. Ich

habe vier dringend benötigte Stunden geschlafen. Bilde

ich mir jedenfalls ein. Mein Rucksack liegt noch auf

dem Dach. In meiner Umgebung rührt sich nichts. Viel·

leicht klettere ich gleich rauf, hole meinen Kram und

verziehe mich - sobald ich weiß, dass es draußen sicher

ist. Je mehr ich an Hotel 23 denke, als umso wichtiger

empfinde ich es, zu meiner Familie zurückzukehren.

Obwohl ich immer noch die Vorstellung pflege, dass

meine Eltern leben, weiß ich im Grunde doch, dass sie

höchstwahrscheinlich tot sind. Mein Zuhause ist kein

Bunker, und wie jedes andere in den letzten fünfzig Jah·

ren in den Vereinigten Staaten gebaute Haus wurde mein

Elternhaus nicht gebaut, um Belagerungen zu über·

dauern. Ich frage mich, wie viele Menschen wohl noch

leben würden, wären sie »vom alten Schrot und Korne

gewesen.

222

NA��IVII1‘1’Al2

No�� IMMEP.. DEP.. 1.

Als ich heute Morgen hinaufkletterte, u m meinen auf dem

Dach lagernden Kram zu holen, sah ich mich einer düsll’ren Überraschung gegenüber. Der Schweinehund vom Uaus war mir irgendwie gefolgt. Ich stand auf der Motorhaube und wollte gerade aufs Dach steigen, als ich Metall auf Metall schlagen härte. Das Geräusch erschreckte mich so sehr, dass ich beinahe von der Haube und flach

;n1f den Hintern gefallen wäre. Ich machte einen Satz

nach vorn - und knallte gegen die Windschutzscheibe,

die einen Sprung bekam. Ich schaute mich um und

wusste sofort, mit wem ich es zu tun hatte. Es war die Erscheinung, die mich durch das Guckloch des alten Hau

Sl’S angeglotzt hatte. Wie konnte dieses blöde Ding wis

Sl’n, wie man eine Spur aufnahm? Und eine noch bessere

Frage: Woher wusste es, wie man ein Beil schwingt?

Ich sprang aufs Busdach und schaute ihm verblüfft