hl’i seiner Tätigkeit zu. Es versuchte tatsächlich, zu mir

rauf zu klettern. Ich wollte nicht zweimal den gleichen

Fl’hler begehen. Dieser Angehörige des gebildeten Zehntl’ls der Untaten musste verschwinden. Ich schaltete den Anzeiger meiner Waffe ein und schoss der Kreatur ins

Gl’sicht, so dass sie auf der Stelle nach hinten fiel. Vor

1hrem Ableben hatte sie viel Lärm gemacht, deswegen

wurde es Zeit für mich, Abschied zu nehmen.

Bevor ich ging, durchsuchte ich die Kreatur nach etwai-

1-:l’ll Dingen von Wert. Und ob man’s glaubt oder nicht,

223

es besaß eine zerschrammte Uhr mit einem Plastikarmband. lch riss sie mir unter den Nagel und begutachtete das Display, bevor ich sie und das Beil im Rucksack verstaute. Da stand 7.10. und 12.23 Uhr.

Ich ging weiter nach Südwesten und passierte eine

Szene des Verfalls nach der anderen. Wie lange war es

nun her, seit ich den ersten Untaten gesehen hatte? Ich

schritt aus und stellte mir vor, wie es wäre, mich mit jemandem zu unterhalten. Allmählich überkam mich ein Gefühl der Einsamkeit. Seit mein Überleben anstand,

war dieses Empfinden meine bisher ernsteste Emotion.

Es mag bei jedem Menschen anders sein, aber für mich

ist das Gefühl, einsam zu sein, am stärksten mit Furcht

verbunden.

Ich schob zwar fortwährend alle Gedanken an Untote

beiseite, aber woran ich dachte, konnte ich nicht bestimmen. Der Alptraum brachte mich in ein offenes Gelände, das ich durchquerte, um zu einem Waldgebiet zu gelangen. Wie in einer Kriegsfilmszene lag das Gelände gerade halb hinter mir, als ein ganzes Heer verstrahlter Untoter auf einer Hügelkuppe auftauchte. Sie liefen sofort auf mich zu. Noch bevor ich die Fäulnis in ihren Augen

sah, kam ich zu mir und marschierte weiter. Ich hörte

kein Geräusch. Nur der leise Wind, der über mein Gesicht strich, sagte mir, dass ich mich wieder in der Wirklichkeit aufhielt.

224

: Caddo Lake i

Gestern bin ich marschiert, bis ich an einen See kam. Auf

den Schildern, die seine Existenz meldeten, stand ) Caddo

Lake Bootssteg - Gera«. Die letzten Buchstaben des »Geradeaus« hatte vor langer Zeit eine Schrotflinte zerschossen.

Gegen 14.00 Uhr erreichte ich den See, deswegen musste

ich sofort anfangen, für die Nacht Vorbereitungen für ein

sicheres Verkriechen zu treffen. Ich machte mich vorsieht ig zum Bootshafen auf, wobei mir Matagorda Island einfiel und wozu die dortige Lage am Ende geführt hatte.

Viele Boote waren noch vertäut, doch einige hatten sich

der Tiefe ergeben und einen Teil des Kais gleich mit hin

;abgezogen. Zwei Segelboote ansehnlicher Größe dümpelten auf dem Wasser und waren festgemacht. Das eine wirkte jedoch unbrauchbar. Der Eigner hatte die Segel an

I >eck belassen, wo sie Wind und Wetter monatelang aus

)tl’Setzt gewesen waren. Die Segel des anderen, schätzungs

Wl’ise sieben Meter langen Bootes, waren, wie ich annahm,

wrstaut, so dass man es verwenden konnte. Auf der Vor

‘rhiffreling sah ich einen aufgebockten betriebsbereiten

Anker und eine Kette mit einer Handkurbelwinde.

225

Ich war nur dreißig Meter von dem Boot entfernt. Nahe

genug, um anzuhalten und die Umgebung zu begutachten. Mit dem Proviant und dem Wasser, das ich bei mir hatte, konnte ich das Boot klauen, auf den See hinaus

fahren und heute Nacht endlich richtig schlafen.

Mein Ziel war Südwesten: Hotel 23. War der See zu

meinem Vorteil geformt, konnte ich auf der Sicherheit

des mich umgebenden Gewässers eine Menge Land gewinnen. Ich ging näher an das Boot heran, sah aber nichts, was mir gefährlich werden konnte. Da ich kein

Risiko eingehen wollte, schaute ich mich beim Gehen

ständig nach allen Seiten um. Wäre das Glück nicht auf

meiner Seite gewesen und das Mistvieh mit dem Beil

näher an mich rangekommen, läge ich jetzt vielleicht tot

oder abkratzend auf der Motorhaube des gelben Busses.

In einem nervösen Augenblick zog ich erneut den

Schlitten meiner Waffe zurück, um mich zu versichern,

dass ich einen Schuss im Lauf hatte. Dabei fiel eine

9-mm-Patrone auf den Boden. Ich hob sie auf und schob

sie in die Tasche. Ich ging näher an das Boot heran …

Hatte ich eine Kugel im Lauf?

Ich fragte es mich schon wieder. Ich verdrängte meine

Furcht und ging weiter. Ich war im Freien. Jeder konnte

mich sehen. Ich kam ans Boot. Es wirkte verlassen. Die

Nylontaue an Deck waren angeschimmelt und voller

Vogelkacke. Die Vorhänge der Kabine unter Deck waren

vorgezogen und erlaubten keinen Blick ins Innere.

Ich überprüfte nochmal meine Umgebung, dann sprang

ich rüber auf den Steuerbordlaufsteg. Als ich mich zum

226

Heck durchquetschte, sah ich Überbleibsel von blutigen

Abdrücken nackter Füße. Sie führten ganz nach Achtern. Ich setzte meinen Weg fort und sorgte dafür, dass das gefahrliehe Ende meine Waffe in alle toten Winkel

zeigte. Ich folgte den Abdrücken, bis sie vom Heck aus

ins Wasser führten.

Meine nächste Aufgabe bestand darin, mich zu versichern, dass mich in der Kabine unter Deck keine Überraschung erwartete. Ich schaltete das Lämpchen an der Waffe ein und schob die Tür auf. Kein Geruch. Ich arbeitete

mich in die Eingeweide des Segelbootes vor und duckte

mich, damit mein Kopf nicht gegen den Kram stieß, der

an der Decke hing. Wenn man vom vertrauten Geruch des

Alten absah, war das Boot verlassen. Ich untersuchte Segel.

Anker und die gesamte Takelage, weil ich sicher sein

wollte, dass der Kahn mich über den Caddo tragen konnte.

Die Segel waren angeschimmelt, aber noch brauchbar. Der Motor würde vermutlich nie wieder laufen, deswegen hielt ich es für überflüssig, ihn auch nur auszuprobieren. Das Einzige, was wirklich zählte, waren Segel, Anker und Ruder. Ich durchsuchte die Vorratskammer.

Da war nichts außer vergammeltem alten Trockenfleisch,

zwei Flaschen trübem Wasser und einem Stück Seife. In

einem kleinen Laderaum fand ich ein aufblasbares kleines Rettungsboot. In einem Netz arn Schott im Laderauminneren hing ein Marinefernglas der Marke Steiner.

Das kam mir gut zupass und wird mir, bevor ich wieder

an Land gehe und mich auf den Weg nach Süden mache,

gute Dienste leisten.

227

Nach einem weiteren Blick durchs Bullauge setzte ich

die Segel, damit ich auf den See hinaus fahren konnte,

um mich endlich zu entspannen und auszuschlafen. Da

mir der Gipfel des Mount Everest und die Internationale

Raumstation (arme Hunde) nicht zugänglich waren, war

dies der sicherste Ort, den ich mir gegenwärtig wünschen

konnte. Meine Segelstunden lagen zwar schon eine Weile

zurück, aber ich wusste noch, wie man den Baum schwingt

und Segel setzt und einholt. Dass der Wind ganz auf

meiner Seite war, machte mich zum zweiten Mal in

achtundvierzig Stunden zu einem Glückskind. Ich bin

mir aber sicher, dass die nächste Scheiße schon irgendwo auf mich wartet.

Ich stieß mich, am Bug stehend, vom Kai ab und begann meine Reise nach Südwesten, vom kleinen Zufluss fort in die Seemitte. Die Segel fingen den mäßigen Wind

ein und schoben mich mit flotten drei Knoten meinem

Ziel entgegen. Ich fühlte mich sauwohl, vergaß meine

gegenwärtige Lage und stellte mir vor, ich segelte vor

dem Weltuntergang auf dem Beaver Lake. Ich tat so, als

hätte ich Heimaturlaub; als sei ich auf Besuch bei meiner Familie und freute mich schon auf Omas Braune Bohnen.

Am Ufer war keine Spur von Untaten zu erkennen,

aber ich war ja auch ein ordentliches Stück vom Land

entfernt. Ich achtete sorgfaltig darauf, in der Mitte des

schmalen Kanals zu bleiben, der sich zum See hin öffnete. Als ich mich der Zuflussmündung näherte, stellte ich das Ruder fest und lief rauf, um die Segel zu reffen.

228

Ich wollte weit genug vom Land entfernt sein, um mich

sicher zu fühlen, aber auch nahe genug an ihm dran,

um problemlos ans Ufer schwimmen zu können, falls irgendwas mit meiner schwimmenden kleinen Zuflucht schiefging.

Als das Boot in die sichere Zone kam, die ich mir ausgesucht hatte, stand die Sonne schon niedrig. Ich warf den Anker und schätzte die Tiefe des Sees aufvielleicht

achtzehn Meter. Ich packte mein ganzes Zeug aus und

hängte alles Feuchte zum Trocknen auf. Dann schaute

ich mich nochmal überall im Boot um und nahm mir

den Bug und die Kombüse vor. Genießbarer Proviant war

nicht zu finden, aber ich stieß auf einen Putzeimer aus

Zinn und einen alten Grillrost, der nach der letzten Benutzung gereinigt und vor langer Zeit verstaut worden war. Am Bug fand ich einen ZeitschriftenstapeL ich wollte

ihn als Klopapier verwenden, wenn das echte zur Neige

ging.

Ich hatte vielleicht noch eine Stunde Tageslicht, also

nahm ich den Putzeimer und tauchte ihn ein, um Wasser an Bord zu holen. Dann nahm ich die Seife und den Grillrost und verwendete letzteren als Waschbrett, um

mein ganzes dreckiges Zeug zu reinigen. War zwar nicht

so gut wie eine Miele, aber besser als nichts. Meine Socken und meine Unterwäsche rochen allmählich auch nicht mehr so toll, und in den Achselhöhlen und im

Schritt fängt es an zu jucken. Ich verbrachte den Rest des

Tageslichts mit Waschen und Wringen und verwendete

ein Stück Nylonschnur, das ich am Heck in einer Truhe

229

fand, unterhalb des Schutzgeländers als Leine, damit

der Wind nichts über Bord wehte.

Als die Sonne am Ufer hinter den Baumwipfeln verschwand, zog ich mich in die Kabine zurück. Ich war nur in die grüne Wolldecke eingewickelt, die ich in dem

alten Farmhaus requiriert hatte. Hoffentlich wurde ich

nicht nackt in ein Feuergefecht verwickelt. Zum ersten

Mal seit geraumer Zeit habe ich den Eindruck, dass ich

mich sorglos zum Schlafen hinlegen kann.

Ich habe bis 8.30 Uhr geschlafen. Ein leichter Ostwind

hat das Boot in die Brise geschoben. Die Fäden an meiner Stirn haben gejuckt. Ich wusste, es war an der Zeit, sie zu ziehen. Mit dem Spiegel vom Bug und der Nadel,

die ich benutzt hatte, um die Wunde zu nähen, habe

ich einen Faden nach dem anderen entfernt. Nach etwa

fünf Minuten hielt ich inne, denn mir kam die Idee, es

sei vielleicht ganz gut, die Wunde mit etwas heißem

Wasser zu säubern. Dann überlegte ich es mir anders,

denn mir wurde klar, wie gefahrlieh es werden kann,

mitten auf einem See auf einem Boot, auf dem mein

ganzes Zeug ausgebreitet lag, Feuer zu machen. Ich hatte

Visionen von einem Leuchtfeuer, das allen Untoten und

sonstigem Lumpenpack im Umkreis von dreißig Kilometern anzeigte, wo ich war. Ungefahr zehn Minuten später war ich fertig. Ich reinigte die Wunde, so gut es

230

ging, und behandelte sie mit einer kleinen Menge des

abgelaufenen Dreifach-Antibiotikums.

Gegen Mittag waren meine Klamotten trocken. Am

westlichen Horizont bildeten sich einige Wolken. Es sah

nach Regen aus. Ich brachte mein Zeug in die Kabine,

legte es, so gut ich konnte, zusammen und packte es in

der Reihenfolge ein, von der ich annahm, dass ich sie

brauchte. Bevor ich mich für den Tag anzog, tauchte ich

den Putzeimer nochmal ins Wasser und nahm eine Art

Schwammbad, bei dem ich eine Socke als Waschlappen benutzte. Es war zwar keine heiße Dusche, aber ich fühlte mich anschließend sehr viel besser als in meinem

vorherigen verdreckten Zustand. Ich trocknete mich mit

der Wolldecke ab und wollte mich gerade anziehen, als

ich sie in der Ferne hörte. Der Wind trug ihr Geschrei zu

meiner Zuflucht, und ich wurde wieder mal daran erinnert, dass ich nicht auf einem Campingausflug oder l’iner Vergnügungswanderung den Appalachian Trail

hinab war. Ich nahm an einem tödlichen Spiel teil.

Ich konnte nicht erkennen, wie weit sie entfernt waren,

aber es spielte auch keine Rolle. Mit dem erbeuteten

Fernglas suchte ich den Uferrand ab. Nördlich von mir

bewegte sich etwas am Ufer entlang. Aus der Entfernung

hätte es auch ein Hirsch sein können. Ich ging genau in

dem Moment unter Deck, als es anfing zu regnen. Ich

überprüfte nochmal mein Zeug. Am Waschbecken fand

ich etwas Motorenöl, das ich dazu verwendete, einige

kritische Teile meiner Waffen einzuölen. Meiner Meinung

nach muss etwas, das für eine Maschine gut ist, auch

2 3 1

gut genug für eine Waffe sein. Meine Kanonen hatten in

den vergangenen Tagen ein bisschen arbeiten müssen,

deswegen dachte ich, es könnte nicht schaden.

Als ich die SMG abrieb, härte ich erneut ein leises

Summen. Ich fühlte mich an das Wasserrohr erinnert,

an dem ich mich Tage zuvor aufgehalten hatte. Das Geräusch schien mir mechanischen Ursprungs zu sein.

Ich hatte genug Tageslicht, um mich im Boot hinzusetzen und einen Plan auszutüfteln. Ich wusste: Hotel 23

lag südsüdwestlich von mir. Pi mal Daumen betrug die

Entfernung dreihundert Kilometer. Meine allgemeine

Richtung müsste 220 bis 230 Grad betragen. Bei dreihundert Kilometern, deren größten Teil ich zu Fuß zurücklegen würde, musste ich bei fünfzehn Kilometern am Tag grob gerechnet einen Monat unterwegs sein. Mein

Plan lautet - falls irgendjemand dies findet - wie folgt.

Ich folge der groben Richtung von Caddo Lake nach

Nada, Texas, bis ich den Stützpunkt erreiche. Mein erstes Ziel sind der Einbruch in eine Tankstelle und der Raub einer Straßenkarte. Vielleicht finde ich auch eine

in einem der vielen verlassenen Autos, die am Wegesrand stehen.

Wenn ich erst mal Straßenkarten habe, kann ich mir

einen besseren Weg suchen und Städte und Ortschaften

umgehen, statt blindlings in sie reinzustolpern. lch werde

mir was zu beißen erjagen, um meinen verderblichen

Proviant zu ersetzen, und nach Möglichkeit nur bei Nacht

unterwegs sein. Meine Prioritäten sind Wasser, Proviant,

Medikamente, Batterien und Munition. Komisch, wie die

232

Prioritäten wechseln. Ganz am Anfang hätte Munition

bei mir an erster Stelle gestanden.

Auf diesem See haben Geräusche merkwürdige Eigenschaften, als würden absonderliche Parabolantennen die Laute der Toten regelrecht anziehen, bis direkt zum Mast

des Segelbootes. Ich höre ihr Stöhnen und Röcheln. Es

ist schrecklich. Bei dem Gedanken an die Untaten holte

ich mein Notfunkgerät heraus und startete einen neuen

Versuch. Ohne Erfolg. Ich nahm mir nochmal das Fernglas und suchte das Ufer ab. Ich konnte sie überall am Ufer sehen. Sie schwärmten wie Möwen am See entlang.

Ich erkenne jede Änderung ihrer Bewegungen am Ufer.

Eher früher als später werde ich wieder an Land gehen

und meinen Weg nach Süden fortsetzen müssen. Ich bin

nicht wild darauf, einen 300-Kilometer-Marsch durch eine

von Untaten wimmelnde Landschaft zu absolvieren und

dabei fast dreißig Kilo Gepäck zu schleppen.

Immer wenn ich über mein gegenwärtiges Leben nachdenke, kann ich nicht fassen, was hier läuft. Die Selbstmordquote unter Überlebenden muss in den letzten Monaten in die Höhe geschossen sein wie eine Rakete. Es 233

vergeht kein Tag, an dem ich nicht daran denke, hier

und jetzt Schluss zu machen. Der Kalender kennt keine

rot angekreuzten Tage mehr. Es gibt keine Ruhetage

mehr, an denen man sich einfach hängen lassen kann.

Selbst hier auf dem Boot träume ich, dass sie es schaffen, irgendwie an Bord zu kommen und mich zu packen. Nun, da mein Kram sicher zentralisiert ist, sieht es aus, als könnte ich mir heute Abend eine Dose Chili mit

abgekochtem Seewasser gönnen. Ich kann nur hier rumsitzen, den sich ankündigenden Sonnenuntergang genießen und das unheimliche Gebell in der Ferne überhören.

I 0. p� 1ll�EP.

b.3o u�p,

Ich fühle mich gut ausgeruht und genügend erholt, um

übers Wasser nach Südwesten zu fahren. Ich habe die

Absicht, mein Zeug dreimal zu überprüfen und die Segel

zu setzen, um ans Ufer zu gelangen. Die absolute Leere

des Sees verstärkt meine Einsamkeit noch mehr. Mir fallt

ein, dass ich vor ein paar Jahren mal in einer Jugendherberge im australischen Brisbane war. Um zu verhindern, dass ich beklaut wurde, hatte ich mir ein Einzelzimmer

genommen. Ich blieb drei Tage lang dort, weil ich einen

Tag brauchte, um den Kater zu kurieren, den ich mir an

den ersten beiden Tagen geholt hatte. Irgendwie erinnert mich die Zeit des Alleinseins in Brisbane an das, 234

was ich jetzt empfinde. Vielleicht ist es die Tatsache,

dass ich ohne jede Gesellschaft reise und das Einzige,

um das ich mich kümmern muss, mein Rucksack und

meine Waffen sind.

1…1….oo u�p.

Als ich etwa eine Stunde lang an den Segeln rumgepfuscht hatte, holte ich den Anker ein und fuhr sehr langsam nach Südwesten. Ich weiß, dass die Dinger das

Segel sehen. Ich wusste nur nicht, inwiefern der Anblick

von etwas, das sich auf dem Wasser bewegt, ihre Entscheidung beeinflusst, der Sichtung zu folgen. Mein Plan war, das Boot auflaufen zu lassen, um Zeit zu sparen. Ich

konnte es mir zeitlich nicht leisten, ordentlich anzule

�en und das Boot zu vertäuen. Ich hatte eine Reise ohne

Rückfahrt im Sinn, denn wenn das Boot einmal aufgelaufen war, brauchte man ein zweites - mit Motor -, um l’S wieder ins Wasser zu ziehen. Mit dem Fernglas suchte

ich das Ufer nach Anzeichen dafür ab, dass die Untoten

auf meine Gegenwart reagierten.

Ich befestigte ein mit Knoten versehenes Tau am Bug,

damit ich, wenn es so weit war, problemlos von Bord gel;mgen konnte. Mich achtsam unter dem Schwingen des Sl·gels bewegend, legte ich meine drei 9-mm-Magazine

lür die MP-5 dorthin, wo ich leicht an sie rankam, und

das vierte mit 29 Schuss gespickte Magazin in die Kanone selbst. Ich wollte keinen Fehler machen, denn dies 2 3 5

war nicht die Normandie von 1944, sondern der Caddo

Lake der Gegenwart, an dem sich vermutlich mehr Ghoule

als deutsche Soldaten herumtrieben - und ein einzelner

Mann, der ihnen ihre Grenzen aufzeigen musste.

Ich hätte es gern gesehen, wenn das Schiffchen langsamer als fünf Knoten hätte fahren können. Ich wollte mich dem Land etwas vorsichtiger nähern. Nachdem

ich den Bug über zwei Stunden hinweg von Back- nach

Steuerbord gerichtet hatte, hatte ich endlich gute Aussicht auf den Landkopf, den ich mir vorknöpfen wollte.

Eine erste Zählung ergab ein Dutzend am Ufer stehende,

mich mit eisigen Blicken messende Untote. Mit dem Aufsplitterungsverfahren, das das Militär mich gelehrt hatte, unternahm ich einen jämmerlichen Versuch, die Vorstellung, in Stücke gerissen zu werden, aus meinem Hirn zu vertreiben.

Da ich wusste, dass mein Boot einen Tiefgang von mindestens eins neunzig hatte, erwartete ich, wenn die Segel es schoben und der Kiel auf das felsige Ufer krachte,

einen ziemlich heftigen Aufschlag. Als ich mich dem

Land näherte, band ich den Baum los und legte mich,

die Füße an die Bugreling gedrückt, auf den Rücken.

Als ich an Deck lag, versuchte ich das geistige Bild der

Untoten aus meinen Gedanken zu verdrängen, indem

ich zum Mast und zu den Wolken am Himmel hinaufschaute. Dann kam der Aufschlag …

Das Boot wankte heftig nach Backbord. Ich hörte, dass

unter Deck alles aus den Regalen fiel und auf die Planken knallte.

2:56

Ich sprang auf, schulterte den schweren Rucksack und

entsicherte die MP. Meiner Schätzung nach waren etwa

zwanzig Untote in meine Richtung unterwegs. Es konnten aber potenziell Tausende werden, wenn ich nicht schnell abhaute. Mit der kurzläufigen MP knipste ich

fünf Gestalten aus, was mir genügend Zeit verschaffte,

um an dem verknoteten Tau zum Ufer hinabzuklettern.

Ich hatte noch etwa neunzehn Schuss im Magazin, denn

mit der SMG kam ich nur auf ein fünfzigprozentiges

Kopftreffer-Verhältnis. Ich wusste, dass meine Glock geladen und als Ablösung einsatzbereit war, als ich am Ende des Taus aufWasser traf. Ich suchte sorgfältig nach

Lücken in der etwa noch zehn Nasen zählenden Gruppierung und verärgerte sie, indem ich erneut die sich durchs Öhr schiebende Nadel gab und ihre Reihen so

schnell wie nur was durchbrach.

Wenn ich diese zehn Viecher nicht abhängte, würden

hundert aus ihnen werden. Also beschloss ich, so schnell

wie möglich und für alle sichtbar am Ufer entlangzurennen, bis sie sich an mich hängten. Nach knapp eineinhalb Kilometern wurde mir das Laufen mit dem Rucksack so gut wie unmöglich. Ich wandte mich um neunzig Grad nach rechts, zum Waldrand außerhalb der Sichtweite meiner Verfolger, und bewegte mich danach

etwa eine Stunde lang nach dem System »zwanzig Schritte

gehen, zwanzig Schritte laufen«. Dann hatte ich die Ontoten erfolgreich abgehängt und erreichte die offene Prärie einer Gegend, die ich in eher schwacher Überzeugung für Texas hielt. Bis ich eine zuverlässige Landkarte 237

dieser Gegend auftreibe, will ich nach Westen gehen,

um einen zweispurigen, von Norden nach Süden verlaufenden Highway zu finden. Dem folge ich dann nach Süden, bis zu der Interstate, die von Osten nach Westen

geht und nach Dallas führt. Natürlich habe ich nicht

vor, Dallas einen Besuch abzustatten. Niemals. Ich folge

einfach nur dem zwischenstaatlichen Highwaynetz in

die allgemeine Richtung nach H23, indem ich die Beschilderung als Navigationshilfe verwende.

Als ich, die Sonne im Rücken, nach Westen wanderte,

kam ich mir trotz der schmerzhaften Blasen an den

Füßen viel kräftiger vor. Was hätte ich nicht alles für

etwas Moleskin-Baumwolle gegeben. Vielleicht versuche

ich -es mit Klebeband. Am späten Nachmittag stieß ich

auf einen einsamen zweispurigen Highway und schritt

vorsichtig nach Osten aus. Mein Wasservorrat war auf

eine halbe Kamelblase geschrumpft, deswegen hielt ich

es für das Beste, an der Brücke anzuhalten, die über den

nächsten Bach führte, und meinen Vorrat zu ergänzen.

Ich musste fast zwei Kilometer neben der Straße her laufen, bevor ich ein metallenes Abflussrohr sah, das unter dem Feld, über das ich ging, zur Straße hin verlief.

Das Steiner-Fernglas war sein Gewicht schon deswegen wert, weil es mir half, Wasser zu finden. Als ich mich dem Rohr vorsichtig von Nordwesten her näherte,

sah ich ein halbes Dutzend toter Rinder - beziehungsweise das, was noch von ihnen übrig war. Die Läufe fast aller Kadaver lagen auf dem Feld verstreut, was den

Anschein erweckte, dass die Untoten die Tiere gef<illt

238

hatten. Ich hätte auch verwilderte Hunde oder Kojoten

dafür verantwortlich gemacht, wenn ich keinen wandelnden Leichnam mit einem Hufabdruck im Gesicht und dem Mund voller weißhaariger Kuhhaut gesehen

hätte. Das Tier hatte anscheinend einen Untoten umgerannt und ihm dann einen tödlichen Tritt versetzt. Egal.

Die Untoten hatten die Rinder vermutlich wie Amazonas-Piranhas umschwärmt. Ich konnte mir das Ereignis lebhaft vorstellen. In den ersten Monaten war allerhand

los gewesen.

Ich ließ das Feld hinter mir und begab mich zum Wasser. Ich hörte es tröpfeln, als es aus dem Rohr unter dem Highway herauslief. Der Rohrdurchmesser entsprach

etwa dem eines 150-Liter-Fasses. Ich zog die Wasserblase

raus und hatte gerade angefangen, sie zu füllen, als aus

dem Rohrinneren ein schleifendes Geräusch an mein

Ohr drang. Als ich in die Finsternis hineinblickte, erkannte ich den Umriss eines Menschen und dachte natürlich sofort, es müsse eins der Dinger sein. Ich schaltete die Taschenlampe an und entdeckte den teilweise verwesten Leib einer Kreatur, die zwischen Abflussgeröll

feststeckte und nicht in der Lage war, das Rohr zu verlassen.

Der Kopf des Dings war in einer Position gefangen, in

der es mich nicht sehen konnte. Es wusste aber, dass

ich da war. Ich schüttete das vergiftete Wasser aus und

trocknete das Innere der Kunststoff-Wasserblase, so gut

ich konnte, mit einem sauberen Unterhemd. Ich überließ den armen Hund dem Verfaulen und zog wieder 239

los, um Wasser zu suchen. Nun, da ich gezwungen war,

aufmeinen gesamten Wasservorrat zu verzichten, wurde

mein Durst noch größer.

Ich folgte dem zweispurigen Highway nach Süden.

Das Fernglas zeigte mir, dass ich in Richtung Highway

59 ging. Ich gönnte mir ein paar Minuten, um es ins

Tagebuch zu kritzeln. Dann suchte ich wieder nach grünen Schildern, die die Entfernung zum nächsten Ort verkündeten.

HWY 5‘1

Die Sonne ging unter, weswegen ich trotz meines Durstes entschied, die mir noch verbleibende Tageslichtstunde zu nutzen, um mir ein sicheres Nachtquartier zu suchen. Zwar standen in der Nähe der Straße auch Häuser, doch fehlte mir die Zeit, vor Sonnenuntergang einzubrechen und sie ordentlich zu durchsuchen. Ich blieb also ständig in Bewegung und hielt alle Nase lang mit dem

Fernglas Ausschau, bis ich einen geeigneten Ort zum

Schlafen fand - ein relativ leicht erklimmbares Dach.

Ich hielt auf einem Feld an und überprüfte meinen

Rucksack, denn ich wollte sicher sein, dass alles an Ort

und Stelle war, wenn ich die Straße überquerte und zu

meinem Zielhaus ging. Ich legte die erbeutete Wolldecke oben drauf, um sie leicht erreichen zu können, und schob 9-mm-Munition in die mit Reißverschlüssen

versehenen Täschchen auf der Rucksackklappe. Dann

warf ich die Magazine der MP5 und der Glock aus, um

240

zu sehen, ob sie voll beladen waren - fünfzehn plus eins

in der Glock und neunundzwanzig plus eins in der MPS.

Die Waffen im Anschlag. die MPS auf Einzelschuss geschaltet und den Rucksack neu gepackt, ging ich zum Gebäude meiner Wahl. einem zweistöckigen Eigenheim

am Rand einer kleinen Ortschaft.

Sonne und Temperatur standen bereits ziemlich niedrig, als ich so schnell wie möglich auf den Zaun zulief.

Ich warf den Rucksack über den Stacheldraht und stieg

h inüber, wobei ich sorgfältig darauf achtete, mich nicht

zu verletzen. Nachdem ich den Rucksack wieder hochgewuchtet hatte, schaute ich in beide Richtungen der Straße. In der Ferne waren auf beiden Seiten untote Bewegungen zu erkennen. Ich überquerte langsam und besonnen die Straße und nutzte einen einsamen alten Wagen als Deckung. Auf der anderen Straßenseite kniete

ich mich hin und schaute im schwindenden Licht mit

dem Fernglas nach vorn. Die Luft schien rein, also lief

ich zum Haus hinüber. Ich hatte es mir wegen der Leiter ausgesucht, die am Geländer der vorderen Veranda lehnte. Sie war mir schon vor vierhundert Metern aufgefallen.

Ich erreichte das Haus und positionierte die Leiter

so, dass ich problemlos aufs Dach steigen und dort die

Nacht verbringen konnte. Bevor ich dies tat, untersuchte

ich die Umgebung, wobei mir auffiel. dass die Haustür

von außen zerhackt und die Hausfront und die hölzernen Stützen der Veranda von Kugeln durchsiebt waren.

Noch ein Ort. an dem man sich erfolglos verschanzt hatte.

241

Die gesamte Umgebung war von dem bedeckt, was ich

Eiterschlieren nenne - Spuren von untoten Körpern und

deren aggressiven Versuchen, irgendwo einzudringen.

Die Fenster im oberen Stock waren mit Brettern vernagelt, aber die meisten waren abgerissen und sämtliche Scheiben von außen eingeschlagen worden. Dieses Haus

wäre eine grässliche Wahl zum Nächtigen gewesen. Aber

ich wollte ja nur auf ihm schlafen. Da ich nun wusste,

dass das Gebäude baufällig und nicht wert war, näher

erkundet und untersucht zu werden, kletterte ich vorsichtig über die Leiter aufs Dach. Als ich das Verandavordach erreicht hatte, zog ich die Leiter raufund ging dann aufs Dach.

Ich hatte von dort oben eine verdammt gute Aussicht

und auch noch genügend Licht, um mein Lager aufzuschlagen. Ich legte meine Decke aus und band den Rucksack an einem Schornsteinrohr fest. Mit dem Bauchgurt des Rucksacks befestigte ich das gesicherte Teil an meinem Arm, damit ich im Schlaf nicht vom Dach rollte. Es gelang mir auch, einen Teil des Rucksacks als Kissen zu

verwenden. Daher ist es hier oben gar nicht so ungemütlich, zumal ich dick angezogen bin und unter meiner Wolldecke liege. Gute Nacht.

242

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Kalter Regen weckte mich. Ich warf einen Blick auf meine

Uhr, die 5.20 Uhr anzeigte, und erkannte anhand meiner nervend klappernden Zähne schnell, dass meine Körpertemperatur rapide sank. Ich war wahnsinnig durstig und kämpfte mich durch die Kälte, um in meinen Rucksack zu greifen und ihm einen alten, etliche Tage zuvor erbeuteten Einmann-Ration-Kunststoffbeutel zu entnehmen. Nachdem ich die Wolldecke um meinen kalten Leib gewickelt und meinen Fuß in einen Rucksackgurt

geschoben hatte, beugte ich mich übers Dach und hängte

den Beutel am Rand auf. wo das Wasser ununterbrochen

auf den Vorbau des ersten Stocks hinablief.

Als er voll war, trank ich das nach Schindeln schmeckende Wasser gierig. Als er leer war, füllte ich ihn ein weiteres Mal. Ich kämpfte gegen die Kälte, die mich derart zittern ließ, dass ich beinahe vom Dach fiel, und sammelte so lange Wasser, bis die Blase wieder aufgefüllt war. Ich packte meinen Kram (ohne die Wolldecke) erneut

um, ließ den Trinkschlauch der Blase aus dem Rucksack

243

hängen und überlegte, ob ich mich wieder auf den Weg

machen sollte. Soweit ich es vom Dach aus sah, waren

keine Untoten in der Nähe. Mit dem Messer ritzte ich die

Wolldecke auf und zog sie mir wie einen Poncho über

den Kopf. Da sie aus Wolle bestand und nass war, wäre

es Unsinn gewesen, sie zu verstauen. Schließlich speichert

auch nasse Wolle Wärme.

Dann versuchte ich die Leiter für meinen Abstieg auf

das Vorderdach in Position zu bringen. Als ich sie nach

unten gleiten ließ, rutschte sie mir ein Stück aus den

Händen und schlug mit einem lauten Knall auf dem Vordach auf. Ich schob sie dorthin, wo ich sie haben wollte, schulterte meinen Rucksack und machte mich an den

Abstieg. Als ich nach unten kletterte, schien der Regen

stärker zu werden. Am Ende der Leiter angekommen

wäre ich vor Schreck fast in die Tiefe gesprungen. Eine

Kreatur, die der Krach der Leiter angelockt hatte, drückte

ihre Nase an eine Fensterscheibe im zweiten Stock.

Das Ding sah mich. Ich positionierte die Leiter schnell

am Boden, um hinabzusteigen. Das Ding schlug auf die

Scheibe ein, um sie zu zertrümmern und sich auf mich

zu stürzen. So wie es klang, waren die Schläge jedoch

nicht stark genug, um das Glas zu zerschlagen. Ich wollte

eigentlich nicht darüber nachdenken, aber die Bilder

und Erinnerungen, die ich im Kopf hatte, als ich unten

ankam, betrafen keinen erwachsenen Leichnam, sondern

ein Kind.

Ich ließ die Leiter stehen, wo sie stand, und machte mich

zur Straße auf, über die ich gekommen war. Der Regen

244

führte dazu, dass ich mich elend fühlte. Ich wünschte

mir nichts sehnlicher, als irgendwo ein Feuer anzünden

und meine Klamotten zum Trocknen aufhängen zu können. Ich dachte an Zentralheizungen und Klimaanlagen, und mir wurde bewusst, wie abhängig wir von elektrischem Strom sind, um als Gesellschaft existieren zu können. Ich wette, bei Hitzewellen haben wir jeden Sommer Tausende alter Menschen verloren.

Da es schon eine Weile her war, seit ich das Funkgerät

ausprobiert hatte, beschloss ich, einen neuen Versuch

zu machen und sandte auf der voreingestellten Notfrequenz einen Hilferuf aus. Nach drei erfolglosen Versuchen schaltete ich das Gerät in den Peilimpulsmodus und nahm mir vor, es einige Minuten so laufen zu lassen. Ich folgte dem Verlauf des Highways, aber der Regen hörte nicht auf. Mir fiel ein, dass ich die Straße am Tag

zuvor als Highway 59 identifiziert hatte.

Als der Regen leicht nachließ, hörte ich wieder das

mir bereits vertraute Summen des fernen Motors. Seit

dem Absturz und den hinter mir liegenden Seen und Kilometern hatte ich das Geräusch mehrmals vernommen.

Manchmal glaubte ich, es sei vielleicht eine Folge meiner Kopfverletzung und der sich anschließenden Entzündung. Ich rieb über die Stelle, an der Tage zuvor noch die Naht gewesen war. Ich spürte die Wunde praktisch

nicht mehr. Sie war auch nicht länger empfindlich.

Ich folgte der Straße weiter - dem Gefühl nach endlose Kilometer weit. Gegen 8.00 Uhr wurde es wärmer.

Der Regen wurde zu einem schwachen Nieseln. Dichter

245

Dunst schwebte über der Landschaft. Da und dort war

es wegen der Feuchtigkeit und der Wärme der aufgehenden Sonne nebelig. Ich schritt durch Schlamm, denn ich hielt noch immer einen gewissen Abstand zum Highway 59.

Einige Hundert Meter weiter musste ich um neunzig

Grad abbiegen und mich dem Highway nähern, denn

nun sah ich, dass der Schlamm nichts mit dem Regen

zu tun hatte. Ich näherte mich einem Sumpfgebiet. Die

Straße führte nun leicht bergauf. Als ein Nebelstreifen

an mir vorbeiwehte, sah ich kurz, dass der Highway

etwa vierhundert Meter vor mir auf niedrigen Stelzen

über Marschland führte. Er schien sich endlos ins Nichts

hinein zu erstrecken. Ich war nicht darauf aus, mir

etwas zu holen, denn wenn man bis zum Bauch in kaltem Schlamm marschiert, können Sumpfbakterien oder Unterkühlung einen so schnell umbringen wie Untote.

Außerdem schürten die verschiedenen Wunden, die ich

mir beim Absturz und auf der Flucht vor den Untaten

zugezogen hatte, meine Angst noch stärker. Zwar waren

sie inzwischen verkrustet, doch war dies nichts, was ein

paar Stunden in sumpfigem Wasser nicht aufweichen

konnte.

Ich hatte keine Wahl. Ich musste von dort aus über die

Straße gehen, wo sie anstieg und sich durch Dunst und

Nebel über das südliche Sumpfgebiet fortsetzte. Die Sichtweite war jämmerlich; ich sah vielleicht hundert Meter weit voraus, und das auch nur, wenn der Nebel etwas

weiter in der Ferne kurz aufriss. Nachdem ich zwanzig

246

Minuten lang marschiert war, sah ich auf beiden Seiten

noch immer kein Anzeichen für festes Land. Dann hörte

ich es wieder … das Geräusch eines irgendwo in der Ferne

laufenden Motors. Vielleicht kam es auch von oben? Ich

wusste nicht genau, wo es herkam. Meine Konzentration

wurde von einem metallischen Laut unterbrochen. Er

kam von vorn und klang so, als zöge jemand Ketten über

Beton. Ich lauschte angestrengt und versuchte das Kettengeklirr von dem mechanischen Motorenbrummen zu trennen. Es ging nicht.

Beide Geräusche wurden belanglos, als ich einen Untaten über eine alte Stoßstange stolpern sah, die auf der Überbrückung vor sich hin rostete. Ich ging zu ihm hin

über und schoss ihm mit der SMG in den Hinterkopf. Als

ich über den Leichnam hinweg in die Ferne schaute, aus

der ich gekommen war, bemerkte ich im Nebel weitere

schattenhafte Gestalten. Es sah aus, als pirschten sich

mehrere Untote an mich heran. Sie waren aber noch einige Minuten entfernt.

Ich wandte mich um und schritt weiter - schneller in die Richtung aus, aus der die klirrenden Geräusche ertönten.

Ich hängte die Verfolger ab und nahm mein altes System wieder auf. Zehn Schritte rennen, zehn Schritte gehen. Wieder das Geräusch von Metall auf Beton. Ich

wurde langsamer, denn ich wusste, dass die Untaten nun

gute zehn Minuten hinter mir waren. Keins der einsamen Autos, an denen ich vorbeikam, war bemannt. Alle wiesen Eiterschlieren aufwie das Haus, auf dem ich die

2 47

letzte Nacht verbracht hatte. Ich huschte weiter. Das metallene Klirren wurde lauter. Es machte mich langsam verrückt.

Es schien beinahe, als flaue es nur ab, um sein grausames Spiel anschließend noch intensiver zu spielen und mich in den Wahnsinn zu treiben. Dass ich nichts sah,

machte es nur noch schlimmer. Ich wusste, dass das Klirren von vorn kam und keine hundert Meter entfernt sein konnte, doch angesichts des an dieser Stelle erhöhten Highways und seiner Leitplanken konnte es auch aus viel weiterer Ferne kommen.

Obwohl es unmöglich war, versuchte ich den Gedanken an die Kreaturen hinter mir zu verdrängen und eilte mit zusammengekniffenen Augen, als könne man im

Nebel so besser sehen, weiter voran. Dann wurde der

Lärm so laut wie nie zuvor, und ich hörte vor mir die Geräusche von Untaten-Aktivitäten. Nun musste ich meine Wahl treffen. Entweder kehrte ich um und stellte mich

meinen Verfolgern, oder ich ging weiter und nahm es

mit den lauten Untaten vor mir auf. Die dritte Option

war, in der Hoffnung, dass festes Land nicht fern war, in

den kalten Sumpf zu springen - ohne Untote, die mich

in Empfang nahmen. Da der Norden nicht mein Ziel war

und ich mir den Arsch nicht abbeißen lassen wollte, beschloss ich, auf dem Highway 59 nach Süden zu gehen dem metallischen Klirren entgegen.

Der Nebel blieb weiterhin dicht, aber die Sicht reichte

aus, um überraschungsfrei voranzukommen. Wenn ich

nach meinem Tempo urteilte, mussten meine Verfolger

248

mich in fünfbis sieben Minuten einholen. Ein Stück weih·r sah ich mindestens dreißig Untote in hellroten Latzhosen. COUNTY stand in Leuchtbuchstaben auf ihren Kücken. Die meisten Angehörigen dieser Gruppierung

waren mit Beinfesseln und Ketten miteinander verbunden.

Es waren Häftlinge in Grüppchen, die aus drei bis

fünf Mann bestanden. Dem Anschein nach waren nur

wenige der Gestalten bewegungsunfahig. Eine war an

den Rest eines verschrumpelten Menschenbeins geketlet. Die Gestalt ging herum und schleifte das Bein hinler sich her. Die Dinger konnten mich nicht sehen, also nutzte ich die fünf Minuten, bis die anderen aufholten,

um auszutüfteln, wie ich an der Sträflingskolonne vorbeikam. Etwa dreißig Gestalten waren sichtbar. Während ich mir noch listenreiche Möglichkeiten überlegte, ihnen auszuweichen, indem ich auf Autos sprang oder

an ihnen vorbeilief, tauchte hinter mir im Nebel mein

erster Verfolger auf. Da ich der Meinung war, dass Denken momentan nichts brachte, schoss ich ihm ins Gesicht und rannte los.

Als ich die Kettensträflinge fast eingeholt hatte, wählte

ich die linke Straßenspur für einen Ausbruchsversuch.

Auf der rechten Spur bewegten sich mehr Angehörige

der unbehinderten Art. Meine Taktik war einfach. Ich erledigte die Untaten am Anfang und am Ende des jeweiligen Trupps, so dass die in der Mitte buchstäblich an ihnen hängen blieben. Wenn ich nur fünf Figuren erledigte, hatte ich mein Ziel erreicht. Ich verbrauchte ein ganzes Magazin.

249

Ich weiß nicht genau, was mich so nervös machte: die

schlechten Sichtverhältnisse; das Wissen, umzingelt zu

sein; oder die Tatsache, dass ich eine riesige Bande untoter Verbrecher am Hals hatte. Jedenfalls rastete ich aus und schoss mir den Weg mit Gebeten und Kugeln gleich·

zeitig frei. Als ich mir einen Weg am Gros der Bande vorbeibahnte, musste ich ein leeres Magazin in einer Beintasche verstauen und ein neues einlegen.

Obwohl drei der Fünf-Mann-Teams nun in ihrer Bewegung behindert waren, latschten sie weiter, und die unbehinderten Teams marschierten an ihnen vorbei,

um mir zu folgen. Das Klirren der über den Highway 59

schrammenden Ketten j agte mir eine solche Heidenangst ein, dass ich die Beine in die Hand nahm. Doch die Sträflinge waren dort draußen nicht die einzige Bedrohung. Als ich ihnen entkommen war, passierte ich weitere fünfzig Untote. Mein Rucksack war so schwer wie nie zuvor, als ich wieder zu meinem alten System (Laufen und Gehen) zurückkehrte. Vor mir begann sich der Nebel zu lichten …

Ich lief weiter. Als ich später in klarere Verhältnisse

zurückschaute, sah ich drei- bis vierhundert Meter hin·

ter mir mindestens hundert Gestalten. Sie waren mir

auf den Fersen. Ich erzeugte einen Untoten-Schneeballeffekt. Sie erzeugten genug Lärm, um eine Kettenreak·

tion zu bewirken … Jedes Wolfsrudel lockte mit seinem

Geheul ein weiteres an.

Das Geräusch von Metall und Untoten kam näher, als

ich erneut das Brummen hörte. Ich konnte dieses Tempo

250

nicht ewig beibehalten. Ich glaubte auch nicht, dass man

‘ich mal eben um die hundert Untote vom Hals schafll·n kann. Als ich mich dem Ende des Stelzenabschnitts dl’S Highway 59 näherte und zurückblickte, sah ich viel

mehr als hundert Gestalten.

Ich warf einen Blick aufmeine Armbanduhr. 9.50 Uhr.

kh war einen stundenlangen Umweg gelaufen. Als ich

den Blick hob, sah ich in der Mitte der Untoten eine

Explosion. Ich hielt mir instinktiv die Ohren zu und

setzte mich auf den Boden. Als mein Hintern den Asphalt

berührte, traf mich das überwältigende Geräusch der

Explosion wie ein Hieb in den Magen und warf mich

um. Ich sprang aufund stellte fest, dass die Explosion in

der Verfolgermeute beträchtlichen Schaden angerichtet

hatte. Ich hinterfragte nicht, was die Explosion bewirkt

hatte oder warum ich den verfluchten Sträflingen begegnet war. Ich nahm alles einfach hin und machte mich schnellstens vom Acker.

Nach einer kurzen Frühstückspause, die ich mir im Trockenen unter der hochgeklappten Hecktür eines Kleinbusses gönne, werde ich an der Straße entlang weiter nach Süden ziehen, und Sümpfe, starke willkürlich erfolgende

Explosionen und untote Kettensträflinge meiden.

2 5 1

Am heutigen Abend habe ich auf einem alten Raffineriegelände pausiert, das hohe Maschendrahtzäune in verschiedene Abschnitte zerteilen. Die Ölpumpen rühren sich schon lange nicht mehr. Die meisten dieser Gerät·

schaften sind von Unkraut überwachsen: andere bieten

nistenden Vögeln ein Zuhause. Das kleine abgezäunte

Gelände war fest mit einer Stahlkette und einem Vorhängeschloss gesichert, so dass ich gezwungen war, über den Zaun zu steigen. Nachdem ich den Rucksack hinübergeworfen hatte, legte ich die Wolldecke über einen Zaunabschnitt, von dem ich annahm, mein Klettermanöver würde ihn nicht kaputt machen.

Obwohl der Zaun oben nicht mit Stacheldraht versehen

war, ist es für mich halb Gewohnheit und halb Sicherheitsbedürfnis, über Decken zu steigen, um mich nicht zu verletzen. Ich kann das Risiko nicht eingehen, mir eine

Infektion zuzuziehen - es gibt nirgendwo eine Möglich·

keit, sich eine Tetanusspritze abzuholen. Als ich erst mal

auf dem umzäunten Gelände war, ging ich vorsichtig

am Zaun entlang und hielt Ausschau nach Löchern, durch

die wilde Hunde oder Untote kriechen konnten. Zufrieden, keine gefunden zu haben, suchte ich mir eine Rafft·

neriepumpe als Nachtlager aus. Gegen 15.00 Uhr hatte der

Regen endlich aufgehört und mir die Gelegenheit eingeräumt, zu trocknen, bevor ich hier angekommen war.

Einiges von meinem Zeug war nass, also beschloss ich,

es zum Trocknen auf die horizontalen Metallrohre der

252

Pumpe zu hängen. Wegen des Regens war es draußen

etwas kalt gewesen, aber keineswegs so schlimm wie gerade jetzt. Ich habe über die heutigen Ereignisse und die mysteriöse Explosion nachgedacht. Ich habe auch über

Kettensträflinge nachgedacht und glaube mich irgendwie daran zu erinnern, dass es sie schon Jahre vor der Katastrophe nicht mehr gab. Wenn die Gesellschaft ausl’inanderbricht und man nicht genug Justizvollzugsbeamte hat, um Knastbrüder zu bewachen, ist es vermutlich das Beste, sie aneinanderzuketten. Die armen Schweine. Das Grauen will ich mir gar nicht vorstellen.

Wenn ein Sträfling infiziert ist und die anderen sich

gegen ihn wehren müssen … Oder noch schlimmer: vier

sind infiziert, einer hat sie am Hals. Kein Wunder, dass

sie schließlich alle befallen waren.

Ich habe mich auch gefragt, ob das untote Kind im

l’rsten Stock des Hauses noch immer an die Scheibe klopft.

So grässlich meine Gedanken bezüglich der Sträflinge

u nd des Kindes auch sind … Was war das für eine Explosion? Eine alte, auf der Überführung zurückgelassene Tretmine?

Ich habe nicht die geringste Ahnung, was ich davon

halten soll. Als die Sonne unterging, suchte ich das Ge

Unde nach nützlichen Dingen ab, fand aber nur einen

otbgenutzten alten Phillips-Schraubenzieher. Er lag halb

vergraben im verschmutzten Boden zu meinen Füßen.

l hn meinen haltbaren Proviant aufzusparen, habe ich

otm Zaun eine der Rattenfallen aufgestellt. Mit dem Rest

des mir verbleibenden Tageslichts nahm ich eine Inven-

2 5 3

tur meiner Munition vor und zählte 210 Schuss vom Kaliber 9 mm. Der Kampf gegen die Straflinge hat mich dreißig Kugeln gekostet.

Als die Sonne dann hinter dem Horizont versank,

ging ich nochmal vorsichtig, um die Falle nicht zu berühren, am Zaun entlang. Am Highway 59, in der Ferne, bewegte sich etwas; wahrscheinlich das, was von der

Meute noch übrig ist, die mich seit der schlammigen

Überführung verfolgt. Ich fühle mich relativ sicher und

glaube nicht, dass einer von ihnen weiß, wo ich bin.

Trotzdem werde ich heute Nacht mit einem offenen Auge,

einem offenen Ohr und dem Finger am Abzug schlafen.

Bevor ich mich ausstrecke und einschlafe, setze ich das

NSG auf. Dann brauche ich es, falls nötig, nur noch einzuschalten.

254

1 1. PII,;(O�EP.

co.oo u�p.

Stunden bevor ich - wieder mal - mit regennassem Gesicht erwachte, versank mein Bewusstsein in eine Tagtraumphase. Mir wurde kalt. Meinen Knochen haftete eine Kälte an, die ich seit dem Überlebenslehrgang in

Rangeley, Maine, nicht mehr empfunden hatte. Meine

Erinnerung wanderte zurück zum Kriegsgefangenenlager und der Belastungsimpfung.

Die Kälte ließ mich des Weiteren an Rudyard Kipling

denken. In meiner winzigen Zelle wurde Kiplings Gedicht

»Stiefel« pausenlos abgespielt. Der Sprecher hatte einen

starken russischen Akzent und sagte immer wieder: Bein

Bein-Bein-Bein prügelt auf Aftika ein - Stiefel-Stiefel-Stiefel-Stiefel kennt den Weg von allein.

Nachdem ich ihm stundenlang zugehört hatte, konnte

ich den Text auswendig. Noch jetzt höre ich die krächzende Stimme des Russen: Pausenlos, in endloser Abfolge zwischen den Ausbildungsperioden. Ich wachte im kalten Regen auf und rezitierte es endlos vor mich

hin.

255

Mit dem von der Ölpumpe laufenden Regen ergänzte

ich meinen Wasservorrat und trank mich satt. Dies wiederholte ich, bis ich nicht mehr trinken konnte, ohne daran zu denken, mich zu übergeben. Nach kurzer Zeit

ging ich zur Falle hinüber, um zu sehen, ob sie noch leer

war. Ich musste auch Wasser lassen. Die Falle war leer,

was bedeutete, dass ich etwas von meinem kost- und

haltbaren Proviant verzehren musste. Als der Regen nachließ, nahm ich mir vor, ein Feuerehen anzuzünden und eine der Chilidosen zu erhitzen, die ich seit endlosen

Kilometern mitschleppte.

Mit dem Beil sammelte ich hinter dem Zaun ein wenig

Holz und zerkleinerte es, bis man es handhaben konnte.

Dann grub ich in sicherer Entfernung von der Ölpumpe

ein Loch und machte mit dem trockensten Holz aller

Zeiten ein Feuer. Ich bezweifle, dass Feuermachen mir

je schwerfallen wird, da die Menschen so viel Kram herumliegen lassen. Mit dem Multitool bohrte ich einige Löcher in den Deckel der Chilidose, um sie zum Erhitzen übers Feuer zu hängen. Während das Chili sich erwärmte, suchte ich mit dem Fernglas die Umgebung ab.

Auf dem fernen Highway und den anderen drei Seiten

der Umzäunung rührte sich nichts.

Ich nahm das Notfunkgerät, um einen Spruch ins Blaue

abzusetzen. Seit dem Absturz habe ich streng darauf geachtet, die Batterie nicht zu erschöpfen. Als ich es nun herausholte und per Hand auf 282.8 einstellte, bemerkte ich, dass ich es am Tag zuvor versehentlich im Peilmodus hatte stehen lassen. Die Batterie war leer. Ersatz 256

hatte ich nicht. Ich holte die Batterie aus dem Gerät. Sie

ist wohl ein Markenartikel. und ich bezweifle, dass ich

je einen Ersatz für sie finde. Ich notierte Ausgangsleistung und Batterietyp in meinem Tagebuch und warf die Hatterien über den Zaun, damit ihr Gewicht mich nicht

belastet. jeder, der schon mal eine gewisse Strecke mit

einem vollen Rucksack zurückgelegt hat, weiß, dass

jedes Gramm Gewicht eine Daseinsberechtigung haben

muss.

Das Gerät will ich behalten. Kann ja sein, dass ich irgendwann die richtigen Batterien finde. Ich bin nun von j edem abgeschnitten, der die Notfrequenzen abhören

könnte.

Nach der morgendlichen Erinnerung an den Überlebenslehrgang sinnierte ich über das Überleben im Allgemeinen nach. Ich weiß, dass es noch einige Überreste der OS-Regierung gibt. Flugzeugträger, möglicherweise

auf der Flucht befindliche Panzerkonvois, abgelegene

Militärflugplätze und Einrichtungen wie Hotel 23. Es

muss hier irgendwo jemanden geben, der mir helfen

kann, nach Hause zu kommen. Die Kommunikation mit

dem Flugzeugträger war vor dem Hubschrauberabsturz

unterbrochen. Fügt man dies mit der blöden Idee zusammen, verstrahlte Tote zu untersuchen und aufs Flaggschiff zu bringen, könnte man auf die Idee kommen, dass auch Flugzeugträger gekapert werden können.

Die die Erde umkreisenden Satelliten sind wahrscheinlich nicht mehr zu gebrauchen und haben ihre Kreisbahn verlassen. Dass die GPs-Satelliten nicht mehr funk-2 57

tionieren, weiß ich. Seit dem Absturz habe ich trotz

vieler zurückgelegter Kilometer keine lebende Seele gesehen. Wenn die Gegend, die ich durchquert habe, für den Rest meines Reisewegs repräsentativ ist, stehen mir

ernstliche Kümmernisse bevor. Selbst wenn nur ein Prozent der Bevölkerung überlebt hat, müsste mich inzwischen jemand gesehen haben. lch nehme mir vor, ein Zeichen zu hinterlassen, dass in die Richtung deutet, in

die ich gehen will.

lch werde mit Steinen oder etwas anderem, das mir

zur Verfügung steht, einen großen Pfeil auf den Boden

machen, um potenziellen Fliegern meinen Reiseweg zu

zeigen. Das einzige Problem ist, dass die Mannschaft, die

ihn zu sehen kriegt, vielleicht den Schluss zieht, dass

der Pfeil alt ist. Wie dem auch sei, ich muss jede Chance

ergreifen, die mich aus diesem Katastrophengebiet retten kann.

Die Explosion auf dem Highway geht mir nicht aus

dem Kopf. Dass ich sie erlebte, habe ich als Glücksfall gesehen, doch je länger ich darüber nachdenke, umso klarer wird mir, dass die Möglichkeit der Explosion alten Wehrmaterials gerade in dieser Zeit eher unwahrscheinlich ist. Nach der Explosion war auch das Brummen wieder da, das ich fortwährend höre.

In dem Gebiet hier sind einige Hirsche unterwegs. Die

Chancen, dass sie den Untoten längere Zeit entgehen,

sind eher gering. lch nehme mir vor, einen zu erlegen,

damit mein haltbarer Proviant auf dem Weg nach H23

noch länger hält. Der Regen hat aufgehört, aber der Hirn-

258

mel ist noch bedeckt. Der Wärme wegen trage ich wieder meinen Wolldeckenponcho. Ich will den Weg nach Süden am Highway 59 entlang heute wieder aufnehmen.

Bevor ich zu weit im Süden bin, muss ich noch ein

paar Dinge auftreiben. Damit ich mich nicht verlaufe,

brauche ich einen Straßenatlas. Jodtabletten oder eine

andere Methode zur Reinigung von Wasser sind auch

keine schlechte Idee. Betrachte ich meine gegenwärtige

Route, so habe ich keine Ahnung, ob die Straße genau in

eine mittelgroße Stadt hineinführt oder zu einer Interstate-Kreuzung. Ich muss meinen Kram neu verpacken, um schneller ans Fernglas ranzukommen. Bevor ich - in

etwa einer Stunde - aufbreche, reibe ich meine Waffen

mit Öl und dem Lappen vom Segelboot ein. Kommt mir

so vor, als wäre es schon eine Ewigkeit her.

Im Krieg wird niemand entlassen! (Sagt Kipling.)

259

11.. P�t.10�EP.

1.1.oo u�”’

Als ich heute Morgen abmarschierte, war mein Zeug

gut verpackt, und ich hatte die Riemen meines Rucksacks für den langen Marsch nach Süden ideal justiert.

Mir fiel auf, dass meine Kleider etwas lockerer saßen

als vor ein paar Wochen. Ich weiß auch, dass ich ständig Hunger habe, weil ich pausenlos in Bewegung bin.

Zum Glück ist dieses Gebiet der Vereinigten Staaten

vergleichsweise flach. Ich wäre vermutlich draufgegangen, hätte ich die Rocky Moutains mit meinem geringen Proviant überqueren müssen. Nachdem ich eine Stunde

langsam nach Süden geschlendert war, sah ich etwa

hundert Meter entfernt durch das Glas einen Hirschbock.

Der Hunger lenkte mich, als ich kniend in Stellung

ging und den Rucksack lautlos an einem alten Baumstumpf absetzte, der leicht wiederzufinden war. Ich pirschte an den Hirsch heran und hielt mich dabei, um

eine Entdeckung zu vermeiden, dicht an den Bäumen.

Es ist fast unmöglich, mit einer 9-mm-MP etwas zu er-

260

schießen, das hundert Meter von einem entfernt ist. Ich

musste auf zwanzig Meter heran, damit mein Schuss

etwas brachte. Ich näherte mich dem Bock, ohne dass er

mich bemerkte. Aus fünfzig Metern Entfernung musterte ich ihn nochmal durchs Fernglas, um mich zu versichern, dass er ein vernünftiges Ziel bot. Ich versuchte ihn einzuschätzen, um in Erfahrung zu bringen, dass

die Untoten ihn nicht verletzt hatten. Ich sah aber keine

Bissstellen, und er machte einen relativ gesunden Eindruck. Seine Muskeln spannten sich beim Gehen und Grasen. Er erschien mir weder zu mager noch zu alt. Die

Anzahl seiner Geweihspitzen konnte ich wegen des es

einhüllenden Laubes nicht zählen. Ich schaute hinter

mich, um sicherzugehen, dass ich nicht von Untoten beobachtet wurde und meinen Rucksack am Baumstumpf noch sah. Ich war etwa dreißig Meter an den Hirsch rangekommen, als er die Lauscher aufrichtete und spürte, dass etwas passierte. Vielleicht war es der Geruch eines

lebendigen Menschen - oder vielleicht war ich auch

nicht so leise wie beabsichtigt.

Ich hob die Waffe und legte auf den Hirsch an. Mit

dem Daumen prüfte ich, ob die Waffe auf Einzelschuss

gestellt war. denn ich hielt es nicht für notwendig. Munition an meine Beute zu vergeuden. Für mich hieß es jetzt oder nie, denn ich hatte die dunkle Vorahnung, dass

der Hirsch sich gleich erschrecken und abhauen würde.

Ich gab zwei Schüsse ab und erwischte ihn am Hals

und hinteren Schädel. Der Hirsch fiel auf die Seite, stand

wieder auf und fing an zu laufen. Ich lief hinterher, ver-

2 6 1

wünschte mich - halb stumm und halb laut vor mich

hin. Wie blöd war ich doch; wie gierig und leichtsinnig.

Ich konnte es nicht ausstehen, Tiere zu töten, es sei denn,

es war absolut nötig, um nicht zu verhungern, doch jetzt

hatte ich das Tier vielleicht umsonst getötet und verloren. Ich folgte eine Zeit lang seiner Blutspur. Es kam mir wie eine Stunde vor, wobei ich sorgfältig die Entfernung

von meinem Zeug und dem Highway schätzte, um mich

nicht zu verlaufen.

Die Blutstropfen führten mich in ein kleines Tal und

hinter ein Hügelchen. Ich lief das Hügelehen sorglos

hinab und drum herum und dachte nur an meinen

knurrenden Magen. Dann kam ich aus dem Buschwerk

heraus und landete mitten in einem Rudel von dreizehn

Untoten, die sich an meiner Beute labten. Sie knieten

vor dem gefallenen Hirsch und kratzten und bissen in

sein Fell. Einer hatte das Tier an der Stelle aufgerissen,

an der meine Kugel eingeschlagen war. Mein schlechtes

Gewissen und mein Zorn übermannten mich, als ich

sah, wie sie das Tier verschlangen. Die Augen des armen

Viehs waren offen, und als mein Blick über die um es

versammelten Untoten schweifte, hatte ich den Eindruck, dass es mich anschaute und sagte: »Dafür hast du mich erlegt?«

Ich war nur drei Meter von den Untoten entfernt. Ich

wollte mich rückwärts aus dem kleinen Tal zurückziehen. Eine der Kreaturen schaute zu mir hin, wobei Blut und Fleisch des Hirsches aus ihrem verwesenden Maul

troffen. Schon streckte sie die Arme aus, um nach mir

262

zu greifen. Sie stöhnte, dann schauten zwei andere auf

und taten das Gleiche. Ich drehte mich um, um der Blutspur zu meinem Gepäck zu folgen. Die Distanz zwischen mir und den Toten vergrößerte sich. Im Lauf sah ich

eine unglaublich magere Hauskatze, die in der Nähe des

Hirsches von einem Baum sprang. Sie verschwand auf

einem Feld in der Nähe.

Beim Anblick der Kreaturen wurde mir erneut bewusst, wie nahe mir der Tod war. Da ich sie schon so oft gesehen hatte, hätte ich eigentlich an sie gewöhnt sein

müssen, doch jeder Einzelne ist ein Picasso des Entsetzens, der mich daran erinnert, dass ich mich so lange im Krieg befinde, bis sie alle in der Erde verrotten, aus der

wir gekommen sind.

Ich rannte und drehte mich alle fünf Sekunden um,

wobei ich mich noch immer stumm verwünschte, weil

ich so dumm gewesen war, mit einer solchen Waffe bei

dieser Entfernung auch nur den Versuch zu machen,

auf ein Tier zu schießen. Als ich dem Baumstumpf nahe

genug war, um mein dort deponiertes Gepäck sehen zu

können, vernahm ich wieder das Brummen. Ich schaute

mich um und konzentrierte mich, da ich wissen wollte,

woher es kam. Der Himmel war zu stark bedeckt, um

über den Baumwipfeln irgendetwas zu sehen. In einem

l’rnsten Konzentrationszustand begann ich das Knacken

von Zweigen in der Ferne wahrzunehmen. Die Hirschjäger waren auf der Fährte eines neuen Opfers. Ich packte mein Zeug und stellte die Tragegurte meines Rucksacks

neu ein. Ich war zwar dankbar dafür, dass ich noch lebte,

263

bedauerte aber zutiefst, ein anderes Lebewesen verurteilt zu haben, von diesen verfluchten Anomalien gefressen zu werden. Mir war fast so zumute, als hätte ich für die gegnerische Mannschaft ein Tor geschossen. Der

Hirsch lebt auf Erden, damit bedürftige Lebewesen ihn

verspeisen, aber doch keine Toten.

Ich wich den Kreaturen aus, indem ich vorsichtig den

Highway überquerte und seinem Verlauf auf der Gegenseite folgte. Diese Seite bot mir jedoch viel weniger Deckung als die andere, da sie während der nächsten Kil�

meter hauptsächlich aus einem großen Feld bestand,

das nur alle paar hundert Meter spärliche Deckung bot.

Ich nahm mir vor, bei der ersten sich bietenden Gelegenheit wieder auf die andere Seite zu wechseln.

Den Rest des Tages verbrachte ich damit, langsam

nach Süden zu marschieren und nach Möglichkeit nicht

an den Proviant in meinem Rucksack zu denken, den

ich unbedingt bewahren wollte. Den größten Teil des

Tages nieselte es. Das Wetter war allgemein ziemlich

jämmerlich, doch ich ging davon aus, dass mir in Zeiten

wie diesen auch ein Sonnentag jämmerlich erschienen

wäre. Ich hatte das Brummen heute in zufallsbedingten

Augenblicken dreimal gehört. Nun nahm ich mir vor,

die Tageszeiten und jeweilige Dauer des Geräuschs geistig zu notieren.

Ich schaute auf meine Armbanduhr, um abzuschätzen, wie viel Tageslicht mir noch blieb, dann begann ich meine Strategie für einen sicheren Schlafplatz zu formulieren. Um 15.00 Uhr erkannte ich in der Ferne die 264

Umrisse einer Ortschaft. Dies motivierte mich, nach Stragenschildern Ausschau zu halten, die mir sagten, auf was ich mich einließ. Ich wollte nicht in die Nähe der

Stadt gehen, wenn die Einwohnerzahl mehr als 30.000

betrug. Allerdings brauchte ich Lebensmittel, einen Stra

ßenatlas und vielleicht auch Munition. Aber nicht um

den Preis, eine halbe Million Untote auf den Hals zu

kriegen. Selbst wenn einer reicht, um einen Menschen

kalt zu machen: Man weicht einem Biss leichter aus,

wenn man es mit weniger Bevölkerung zu tun hat. Auch

wenn ich es nicht wissenschaftlich belegen kann: Es

�eht einem besser, wenn man seine Grenze in den Sand

�ezogen hat.

In ein paar Stunden würde es dunkel werden. Mir war

etwas unbehaglich zumute. Am Boden wollte ich um

keinen Preis schlafen. Wenn ich vor Einbruch der Nacht

kein Quartier fand, wollte ich die ganze Nacht wach und

in Bewegung bleiben. Nach dem Absturz hatte ich ursprünglich nur bei Nacht marschieren wollen, aber die Knappheit an NSG-Batterien und die Vorstellung, tags

über zu schlafen, wenn man gesehen werden kann, hatten meine Meinung geändert. Dass Untote im Dunkeln nichts sehen, war mir neulich nachts wieder aufgefallen, als ich mich aus dem oberen Stockwerk des Farmhauses abgesetzt hatte. Sie reagierten zwar auf meine Geräusche, konnten mich aber nicht sehen.

Da meine Möglichkeiten mit jeder Minute geringer

wurden, schaute ich am Highway nach einem Ort aus, an

dem ich meine Automatik aufhängen konnte. Mir stan-

2 6 5

den einige Möglichkeiten offen. Da stand ein Wohnmobil vom Typ Winnebago, doch das schloss ich aus, weil es für den Fall, dass es umzingelt wurde, keinen Fluchtweg bereithielt. Die nächste Möglichkeit, die ich erreichte, war ein umgekippter UPS-Laster. Auch diesmal hatte ich das Gefühl, dass er für meine Zwecke zu klein

war, denn auch er war leicht zu umzingeln. Die nächste

sich mir bietende Möglichkeit war eine große Zugmaschine mit einem langen Aufleger.

Ich begutachtete den Laster durchs Fernglas und suchte

nach Anzeichen von Tod. Die Fensterscheiben der Zugmaschine waren hochgedreht. Die Kiste war hoch genug über dem Boden, so dass die Dinger nicht auf die Kühlerhaube klettern konnten. Hinten im Fahrerhaus war eine Schlafkabine. Auf der Fahrertür stand »Boaz Trucking,

Inc.« Zwei Reifen aufmeiner Seite waren platt, deswegen

stand das Fahrzeug leicht schief. Ich hielt es für das

Beste, mich nicht sofort auf den Wagen zu stürzen, sondern zunächst mal die Umgebung im Auge zu behalten, bis ich wusste, dass mir keine Gefahr drohte. Ich lauschte

und beobachtete die Umgebung eine halbe Stunde lang,

dann nahm ich meinen Rucksack ab und ging zu dem

Laster. Als mein Fuß den Asphalt berührte, konnte ich

die Straße gut rauf- und runterschauen.

Nördlich von mir, in der Ferne, stand ein wrackes Ambulanzfahrzeug. Im Süden sah ich ein grünes Schild, von dem ich glaubte, dass es die Entfernung zum nächsten Ort anzeigte. Ich begab mich zum Trittbrett des Lasters. Die Tür auf der Fahrerseite war verschlossen, die 266

andere hingegen nicht. Im Inneren des Wagens deutete

nichts auf Gefahren hin. Ich sprang ab, lief zur anderen

Seite und öffnete die Tür. Der alte Laster roch nach unter

den Sitzen deponierten Fast-Food-Tüten. Das von der Sonne

verbrannte Armaturenbrett sagte mir, dass seit sehr langer Zeit niemand mehr hier drin gewesen war.

Ich stieg ein und schaute in die Schlafzone hinter den

Vordersitzen. Das Bett war nicht gemacht, aber benutzbar. Im Führerhaus wirkte alles normal - bis auf die verblassten Fast-Food-Tüten auf dem Armaturenbrett. Zufrieden mit den Sicherheitskonditionen des Wagens stieg ich wieder aus, um meinen Rucksack zu holen. Als ich

zurückkam, war es schon zu dunkel, um das Schild in der

Ferne lesen zu können, also traf ich ohne Umschweife

Vorbereitungen für die Nacht. Ich stellte den Rucksack

auf den Fahrersitz und zog die Vorhänge zu, damit ich

nicht so ohne weiteres zu sehen war. Bei verschlossenen

Türen suchte ich das Führerhaus nach nützlichen Dingen ab. Ich fand ein Wegwerffeuerzeug und eine Dose Wiener Würstchen sowie einen hübschen Tintenfüller

und einen Marker von Sharpie. Ich verschlang das Dosenfleisch. Um die Taschenlampenbatterien zu schonen, nahm ich mir vor, den Rest des Fahrzeugs nach Sonnenaufgang zu erforschen. Die Türen sind verschlossen, und die Fenster, nehme ich an, lassen sich ohnehin nicht

mehr öffnen.

267

13 p”’ ‘fi>BEP.

·

‘0 .tt u�p.

Obwohl ich kurz vor dem Einschlafen draußen etwas gehört habe, habe ich letzte Nacht gut geschlafen. Ich war ziemlich erschossen und fiel in einen Tiefschlaf, der erst

heute Morgen um 6.30 Uhr zu Ende war. Licht schien

durch die Vorhänge ins Führerhaus. Ich zog sie nicht

beiseite, als ich in die Stiefel glitt, sie schloss und mir

etwas Wasser ins Gesicht spritzte. Ich rutschte auf den

Beifahrersitz und lugte durch den Vorhangspalt, um mir

die Umgebung anzusehen. Weit im Süden schien sich

etwas zu bewegen. Ich schnappte mir das Fernglas und

überprüfte es. In der Ferne wanderte ein einzelner Leichnam zwischen verlassenen Autos umher. Eine nähere Bedrohung sah ich nicht. Ich zog die Vorhänge auf, ließ

die Sonne rein und durchsuchte das Führerhaus eingehender.

Im Handschuhfach fanden sich lediglich eine vor sechs

Monaten abgelaufene Versicherungskarte und das Foto

eines Mannes und seiner Familie vor den Mauern von

Alamo. Ich dachte an San Antonio zurück und an das

Schicksal von Alamo. Das Gebiet wurde mit Atomraketen

beschossen und ist nun eine Ödnis, in der nur verstrahlte Untote »leben«. Ich würde es nicht mal mit tausend AC-130-Kampfhubschraubern im Rücken betreten.

Auf der Rückseite des Fotos war der Dezember letzten

Jahres vermerkt. Ich betrachtete es und wünschte mir,

Zeitreisen wären möglich. Ich würde eine Menge dafür

268

geben, um nochmal einen normalen Tag wie früher zu

erleben. Hinter der Familie waren andere Menschen zu

sehen. Sie lachten und freuten sich ihres Lebens. Sie hatten keine Ahnung, wie die Welt dreißig lumpige Tage nach dem Knipsen dieses Fotos aussehen würde.

269

: Tot e r- Brie i’ka �ten \ I

13. P�t,;(l)gEp,

15’.33 u�.�P.

Es gibt so viel zu berichten und zu verarbeiten, dass ich

nicht weiß, wo ich anfangen soll.

Nachdem ich heute Morgen aus dem Laster gestiegen war, zog ich weiter nach Süden und schaute mir das Schild an, das ich tags zuvor gesehen hatte. Besonders nahe brauchte ich nicht ranzugehen. Auch diesmal ließ mich das Fernglas Zeit und Kraft sparen. Auf dem

Schild stand »Marshall 9 km«. Da ich von der texanischen Stadt Marshall schon gehört hatte, nahm ich an, dass allein diese Tatsache darauf hinwies, dass Marshall zu groß war, um mich dort ungestört umsehen zu können. Als ich zu meinem üblichen Highway-Nebenweg zurückkehrte, härte ich wieder das Brummen. Der Himmel war klar, also richtete ich das Fernglas sofort nach oben und suchte ihn ab. Erfolglos. Ich ging nach Südosten weiter und kam vom Highway ab, so

dass ich Marshall umrunden konnte, statt sein Zentrum

zu durchqueren. Dies bürdete mir natürlich einen ansehnlichen Umweg auf. Nach etwa einer Stunde ertönte 270

das lauteste Geräusch, das ich seit der Explosion gehört

hatte.

Aus der Ferne erscholl der unmissverständliche Lärm

von Klangködern. Ich erinnere mich an die deutlichen

Töne, weil man sie am Anfang der Untoten-Plage eingesetzt hatte, um die Dinger dorthin zu locken, wo die Raketen einschlagen sollten. Mein spontaner Gedanke war: Werde auch ich bald im Dunkeln leuchten?

Offensichtlich leuchte ich (noch) nicht, denn sonst

würde ich dies hier jetzt nicht schreiben. Der Lärm war

deswegen nicht betäubend, weil er so weit von meinem

Standort entfernt war. Er schien aus dem Osten zu kommen und war nicht mal annähernd so laut wie die Klangköder, die ich vor den Raketeneinschlägen gehört hatte.

Nervös und verwirrt schritt ich weiter nach Südosten

aus, bis ich die unmissverständlichen Klänge sich herannahender Flugzeugmotoren hörte. lch schaute zum östlichen Himmel hoch und sah den Umriss einer sehr niedrig auf mich zufliegenden Maschine. Ich griff sofort

nach meinen Leuchtraketen, doch bevor ich den Raketenwerfer auf meine Knarre schrauben konnte, zog die Maschine hoch und setzte zu einem Steilflug an, bis sie

mit Himmel verschmolz und unsichtbar wurde. Ich war

drauf und dran zu heulen, doch dann wurde ich beinahe von einer großen Palette erschlagen, die an einem großen grünen Fallschirm zur Erde sank. Die Ladung

landete sechs, sieben Meter neben mir auf dem Boden

und warf mir Erde und Grasbüschel ins Gesicht. Der

Fallschirm sank zu Boden, und ich lief schnell zu der

271

Ladung hin und raffte ihn zusammen, bevor er den an

ihm hängenden Scheiß über den ganzen Acker schleifte. Nachdem ich den Schirm von seiner Fracht gelöst hatte, faltete ich ihn planlos zusammen und bedeckte

ihn mit einem dicken Stein. Die Ladung war in ziemlich dicke Kunststoffschichten verpackt und maß etwa 1,20 x 1,20 x 0,90 Meter.

Ich zückte mein Randall-Messer und zerschnitt die

Plane. Auf eine Verpackung hatte jemand »OGA 2b« gesprüht. Ich entfernte sie, klickte Karabinerhaken auf und zog Gurte ab, die die Ladung zusammenhielt. Auf

einer Kunststoffpalette waren zahlreiche verschieden

große Hartplastikbehälter befestigt. Ganz oben befand

sich ein hellgelber Behälter mit der schlichten Aufschrift 01. 1ch prüfte die Umgebung, nahm den Behälter und schnippte Riegel auf. Als sich der Deckel öffnete,

sah ich zuerst ein Mobiltelefon. Anband der langen Antenne an der Seite des Geräts erkannte ich, dass es kein normales Handy war. Auf dem Gehäuse stand »Iridium«.

Ich nahm das Gerät aus dem Behälter und drückte den

Menü-Knopf. Es erwachte zum Leben, zeigte volle Batteriestärke an und meldete »Verschluss entriegeln«. Ich legte das Telefon beiseite und inspizierte den gelben Behälter in aller Gründlichkeit. Auf dem Deckel befand sich ein Diagramm, das zu besagen schien, Iridium-Satelliten-Orbitalpfade für diese Region müssten in diesem Monat mit 80 Prozent Satellitenausfallen rechnen. Laut

Diagramm standen täglich nur zwei Stunden für Satellitenverbindungen zur Verfügung.

272

Diese Stunden waren, je nach atmosphärischer Lage,

auf die Zeit zwischen 12.00 und 14.00 Uhr - plusminus

siebzehn Minuten - festgelegt. Ein Sternchen warnte:

Die Verfügungsbereitschaft bei gegenwärtiger Satellitenkonfiguration werde sich pro Jahr um zwei Minuten und zwölfSeirunden nach hinten verschieben. In dem Schaumstoff unter der Einbuchtung, in der das Telefon gelegen hatte, befand sich ein kleines Solarladegerät. Als ich mir

den nächsten Behälter vornahm, um mir seinen Inhalt

anzuschauen, klingelte das Telefon …

Ich saß einige Sekunden wie vom Donner gerührt da,

dann drückte ich auf den Sprechknopf und sagte »Hallo?«

Das Rauschen veränderte sich zur soliden Verbindung

eines Digitalmodemschrillens. Eine langsame mechanische Stimme wurde hörbar. »Dies ist eine Remote Six

Aufzeichnung. Bitte Textschirm beobachten.«

Ich las wie angewiesen den nun auf dem Schirm erscheinenden Text.

Noch 6 Minuten Satelliten-Übertragungszeit

Befehlshabender Offizier, vor 12 Tagen über Funk von

Abschussbasis FM Nada als vermisst gemeldet. Seither wurden

verbliebene Luftaufklärungskapazität sowie Global Hawk und

Reaper-Drohnen genutzt, um Aufenthaltsort ausfindig zu

machen. Suche wurde zunächst eingestellt, bis zur Entdeckung

Funkbake. Funkbake Lange genug vernehmbar, um genauen

Standort für Reaper-Drohneneinsatz festzulegen. Remote Six

gehört zu * unverständlich* -zehn Einricht- *unverständlich*

-lung- Aufgabe: Kommando und Kontrollfunktion für

273

*unverständlich* -regier- * unverständlich*. Wartung

*unverständlich* -lung- berichtet Beeinträchtigung des

Flugbetr- *unverständlich* bei meisten bemannten

Flugeinheiten. Von 60 Iridium-Satelliten im Erdumlauf_

*unverständlich* noch Mittel und Rechnerkapazität zur

Beibehaltung der Umlaufbahnen sowie Algerhythmen zur

Datenkompression für 2 Std.jTag.

Noch 3 Minuten Satelliten-Übertragungszeit

Experimentelle Reaper-Drohnen in Mengen * unverständlich*

Unterstützungssysteme: Wir haben Mittel für spezielle

Luftüberwachung von 12 Std.jTag. Remote Six-Drohnen sind

mit 2 lasergesteuerten 500-Pfund-Bomben * unverständlich*

bestückt und werden täglich mit kompletten E0/10-optischen

Türmen ausgerüstet. In C-120-Abwurffinden Sie Gerät

zur Auslösung von LGB-Waffen sowie energiesparendes

Signalfeuer. Gebrauchsanweisungen liegen bei. Zielbestimmung muss in Zeittor des Reaper-Betriebs und dessen unmittelbarer Nähe erfolgen. laserziel 10 Sekunden lang

halten *unverständlich.* Unter 10 Sekunden resultiert in

Abbruch. Energiesparendes Signalfeuer außen an Kleidung

tragen, um Geleitschutz zu gewährleisten. Luftfahrzeug wird

verharren 10 Engel *unverständlich* akustische Untaten

Erkennung vermeiden.

Noch 1 Minute Satelliten-Übertragungszeit

Textblock auf Mobilteil zur Beantwortung folgender Frage(n)

verwenden:

Hören Sie einen hohen Ton?

274

Ich gab Ja ein.

Der Schirm des Satellitentelefons leerte sich. Der Klangköder in der Ferne schien leiser zu werden, bis ich ihn kaum noch hörte. Nun schien er überall um mich herum

zu ertönen … aber eben kaum hörbar.

Auf dem Schirm erschien eine neue Frage:

Hören Sie einen hohen Rauschton?

Ja.

Das Geräusch verschwand aus meiner Wahrnehmung,

bis ich es gar nicht mehr hörte. Dann wurde ich wieder

gefragt:

Hören Sie einen hohen Ton?

Meine Antwort: Nein.

Text bitte wiederholen.

Nein.

Auf dem Bildschirm stand nun:

Projekt Hurrikan variable Lärmdämpfung dreidimensional

aktiviert. Alle infizierten vari *unverständlich* werden

aus Zentrum abfließen. Ihnen bleiben bei Batteriebetrieb

noch zwan *unverständlich* Stunden variabler Dämpfung.

Verschlechterung der Iridium-Satellitenübertragung bevorste

275

Anscheinend war das Gerät, das man verwendete, um

Untote in den nuklearen Untergang zu locken, auch zur

Erschaffung eines sicheren Radius geeignet, indem es

sie von dem geschützten Zentrum des jeweiligen Areals

fort lockte. Passenderweise nannte man das Ganze, entsprechend der turbulenten Orkanmauer und dem ruhigen Auge eines echten Wirbelsturms, Projekt Hurrikan.

Die Telefonstimme vor der Textübertragung hatte zwar

mechanisch geklungen, aber das ganze Unternehmen

kann unmöglich vollständig automatisiert sein. John muss

den Hubschrauber bereits im Moment unserer Überfälligkeit als vermisst gemeldet haben.

Vor vielen Monaten hatten wir Funksprüche eines

Mannes aufgefangen, der behauptete, ein Abgeordneter

des Staates Louisiana zu sein. Abgesehen von seiner finsteren Meldung über die Auswirkungen der Strahlung auf die Untaten hatte er erwähnt, endlich Kurzwellen

Funkkontakt zu einer Regierungsbasis aufgenommen

zu haben, die über Drohnen-Prototypen und jede Menge

Sprengstoff verfügte.

Zu der bei mir eingetroffenen Lieferung gehörten zahlreiche Kartons, die ich vor Sonnenuntergang inspizieren und inventarisieren musste.

Der erste Behälter war klein. Sein Deckel zeigte ein

eingraviertes Laser-Symbol. Ich machte den Schnappverschluss auf, öffnete den Behälter und stieß auf ein rechteckiges schwarzes Instrument mit normalen Bodenmontageleisten. Dazu gehörten eine einseitig auf Kunststoff gedruckte Gebrauchsanweisung und eine Schach-276

tel CR123-Lithiumbatterien. Die Gebrauchsanweisung

bestätigte die Mitteilung des Satellitentelefons. Auch fand

ich einen kleinen Aktendeckel mit Dokumenten sowie

eine Satelliten-Hybridlandkarte von Texas mit eigenartig

nummerierten Stellen, die auf verschiedene Orte hinwiesen. Ich gönnte mir eine schnelle Sekunde, um zu prüfen, ob das Laserteil mit der MP5 kompatibel war, jedoch ohne Erfolg.

Ich fand ebenfalls einen kleinen Hex-Schraubenschlüssel, mit dem man den Laser einstellen konnte, doch laut Gebrauchsanweisung war das Gerät innerhalb von eineinhalb Metern genau vorkalibriert, wenn es auf die T6-Leiste montiert wurde. Selbst wenn ich einen justierungsversuch hätte machen wollen, hätte ich immer nur knapp fünf Sekunden zur Verfügung gehabt, bevor

eine 50ü-Ffund-LGB-Detonation irgendetwas zerstört hätte.

Ein winziges Signalfeuergerät aus Kunststoffwar mit Instruktionen, wie man es tragen sollte, am Behälterdeckel befestigt. Es hatte große Ähnlichkeit mit dem Leuchtfeuerreflektor auf meinem Ski-Anorak, der Rettungskräfte herbeirief, wenn ich einen Skiunfall hatte. Die Batterie

des Reaper-Funkfeuers hielt angeblich sechs Monate; als

dessen Zweck war Geleitschutz durch die Reaper-Drohne

und Verhinderung von Selbstvernichtung angegeben. Es

bumste also nicht, wenn man beim Wandern auf dem

Land versehentlich den eigenen Fuß laserte.

Auf der Rückseite der Gebrauchsanweisung standen

die grundlegenden Fähigkeiten und Einschränkungen

der Drohne. Laut Satellitentext verfügte ich am Tag über

277

zwölf Stunden Betriebszeit. Sie passte nicht zur ausgeschriebenen Ausdauer der Drohne, was mich glauben machte, dass Remote Six mehr als nur einige Kilometer

entfernt war. Laut Instruktion würde meine Drohne bis

heute um 18.00 Uhr und morgen wieder um 6.00 Uhr

über mir in der Luft sein.

Im nächsten Behälter waren ein M-4-Sturmgewehr mit

Leuchtpunktvisier und Surefire-LED-Leuchte, 500 Schuss

.223er Munition und fünf Magazine. An der Seite der Waffe,

dem Laserlicht gegenüber, befand sich eine Vorrichtung

für die Laseranzeige. Im Schaumstoff darunter lagen

eine 19-mm-Glock mit 250 Schuss 9-mm-Munition, drei

Magazine und ein Schalldämpfer. Außerdem enthielt

der Waffenbehälter zwei Splittergranaten. Sie waren der

Grund dafür, dass ich mich entscheiden musste, was ich

mitnehmen und liegen lassen sollte.

Im nächsten Behälter: Vakuumverpackte Trockennahrung. Zwanzig Proviantpäckchen a drei Essensportionen diverser Art. Zur Nahrung gehörte eine Plastikflasche

mit hundert Wasserreinigungstabletten.

Ich baute den neuen Proviant am Boden aufund legte

die Waffen daneben. Zwei Behälter blieben übrig. Im

nächsten fand ich ein Fläschchen mit Treibstoffzusatz.

Er war als »experimentell« bezeichnet, aber auf der Rückseite war ausdrücklich vermerkt: »1/4 Flasche auf 30 Liter.

Vor Verbrennung eine Stunde warten. Überdosierung

kann instabile und gefahrliehe Brennstoffflüssigkeit ergeben.« In dem Behälter war auch eine Handsaugpumpe, die so leicht war, dass ich kein Problem darin sah, sie

278

mitzunehmen. Mir schien, der Zweck dieses Teils der Ladung bestand darin, mich in die Lage zu versetzen, ein alternatives Transportmittel zu finden und für meine

Zwecke zu nutzen.

Im letzten Behälter befand sich ein Verdichtungssack,

in dem ein neutraler Mumienschlafsack mit sehr eigenartigem Tarnmuster steckte. Auf dem Sack waren ein Gore-Tex-Etikett und ein Schildchen mit einer NSN-Nummer, laut dem er für null Grad Celsius geeignet und wasserdicht war. Statt mit Reißverschluss war er mit Druckknöpfen versehen. Ein Pistolenholster aus Leinwand war in Hüfthöhe an die Außenseite genäht: eben dort, wo

man normalerweise eine Pistole trägt. Der Schlafsack

war so konstruiert, dass man aus dem Schlaf heraus im

Nu zum Kampf schreiten konnte.

Ich überprüfte die Umgebung. um sicher zu sein, dass

hier keine Untaten aktiv waren, nahm den Rucksack

ab und baute alles neben mir auf. Nun war es an der

Zeit, die Gegenstände nach Wichtigkeit zu sortieren: angefangen bei denen, auf die ich keinesfalls verzichten konnte, bis hin zu denen, deren Besitz nichts als freudigen Luxus bedeutete. Die Sonne verblasste gerade am Horizont, als ich den Wecker meiner Armbanduhr stellte,

damit er sich in zwei Stunden meldete.

Die MPS zu behalten war nun mehr oder weniger

sinnlos, da ich die M-4 und die schallgedämpfte Glock

als Ersatz hatte. Ich kann die MPS aber erst ausrangieren, wenn ich die M-4 im Einsatz getestet habe; andererseits kann ich bei dem ganzen mir zugelaufenen Zeug 279

nicht über längere Zeit hinweg zwei Kanonen mit mir

herumschleppen. Ich habe Platz, um meine alte G-17 als

Ersatz zu tragen, da sie kleiner ist und mit einem NSG

und einem lösbaren Dämpfer ausgerüstet ist. Die Magazine der 17 passen auch zu der 19 - ein weiterer Gewinn.

Der Mumiensack muss mitkommen. Er kann die schwere

Wolldecke ersetzen, die ich zum Poncho umgebaut habe

und trage wie einst Pancho Villa. Fünfhundert Schuss

.232er Munition wiegen schwer. Ich spiele mit dem Gedanken, morgen ein paar Kugeln zu verschießen, solange die mutmaßliche Projekt-Hurrikan-Dämpfung noch aktiv

ist. Um ganz sicherzugehen, werde ich die Schüsse erst

abgeben, wenn ich mich auf den Weg mache. Ich habe

noch 210 Schuss 9-mm-Patronen aus dem Hubschrauber

übrig. Zusammen mit den 250 Schuss der Lieferung verfüge ich nun über 460 9-mm-Geschosse für die Pistolen.

Ich werde morgen auch einige Kugeln mit der 19 verschießen, um mich von ihrer Verlässlichkeit zu überzeugen, auch wenn ich die 17 wegen ihres hohen Kosten{

Nutzen-Faktors als Gepäckgewicht behalten werde. Granaten sind, wie die Wasserreinigungstabletten und die Trockennahrung, ein wertvolles Geschenk. Ich brauche

dringend ein paar neue Socken. Dann kann ich die alten

als Granatenhalter verwenden, um sicherzugehen, dass

sich der Splint, wenn ich nach Süden unterwegs bin,

nicht versehentlich selbst abzieht.

280

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Meiner Meinung nach ist das Beste, mir das PRC-9ü-Funkgerät wegen seines Gewichts vom Hals zu schaffen; zudem besitze ich keine funktionierenden Batterien. Die Wolldecke und die MP5 stehen (vorläufig) ebenfalls auf

der Liste zu entsorgender Gegenstände .. Ich habe vor,

die Waffe und ein Magazin an einem sicheren Ort zu

deponieren und diesen auf meiner neuen Landkarte

zu markieren. Ich habe mein Zeug umgepackt. Die Munition ist der schwerste Teil des Gepäcks und erhöht 282

das allgemeine Nettogewicht um mehrere Pfund. Ohne

die MPS, die Wolldecke und das Handfunkgerät ist das

Gewicht zwar leicht, aber nicht unbedingt merklich gestiegen.

Nicht fern von mir steht ein Wohnhaus. Nun, da mein

Zeug verpackt ist, gehe ich in Stellung, um es zu beobachten, denn ich will wissen, ob es mir am Abend Unterkunft bieten kann. Die einzigen Dinge, die zurückbleiben, sind die Wolldecke, das so gut wie nutzlose PRC-9D-Funkgerät und ein halber Fallschirm. Ein Stück Schirm und Fallschirmleine habe ich für den Fall abgetrennt, mal

einen Unterstand zu brauchen. Es wird inzwischen immer

schwieriger, Fallschirmleine von militärischer Qualität

zu finden.

Ich werde mir die M-4 umhängen und der bewährten

(wenn auch qualitativ mittelmäßigen) MPS eine letzte

Patrouille gönnen, bevor sie eingelagert und auf eine kryptische Markierung auf einer Landkarte reduziert wird.

Die Sonne hatte ein letztes Stückehen Himmel übrig gelassen, als ich den Rucksack schulterte und mich vorn Acker machte. Dass er etwas schwerer war als zuvor,

spürte ich deutlich, denn das Gewehr, das ich schleppte,

betonte das Gewicht. Ich ging nach Südwesten, zu dem

Wohnhaus, das ich zuvor mit dem Fernglas beobachtet hatte. Es war zweistöckig, die Fensterscheiben waren 283

noch heil. Sie waren zwar nicht mit Brettern vernagelt,

aber zu weit vom Boden entfernt, um ohne weiteres ins

Haus einsteigen zu können. Die Fensterbank lag ungefähr auf der Höhe meines Kopfes. Bei einigen Fenstern waren die Gardinen zurückgezogen, bei anderen geschlossen. Es erschien mir ziemlich typisch und nicht bedrohlich. Ich umkreiste das Gebäude vollständig und suchte es nach Anzeichen von Kämpfen oder Eiterschlieren ab,

die belegten, dass es hier zu einer Begegnung mit Untoten gekommen war.

In der Garage stand kein Wagen. Das Gras war natürlich sehr hoch, doch die einzige Unregelmäßigkeit im Bewuchs deutete auf Kaninchen hin. Ich ging auf die

Vorderveranda, stellte meinen Kram ab, lehnte das M-4

an die Hauswand und überzeugte mich, dass die MP5 geladen war. Dann prüfte ich das Fliegengitter. Es war verschlossen, also zog ich mein Messer und zerschnitt die Leinwand, so dass ich hineingreifen und den Haken umlegen konnte, um sie zu öffnen. Als ich hineingriff, um die Tür zu öffnen, bewegte sich etwas an einem Fenster

neben der Tür. Ich zog die Hand sofort zurück, zog mir

dabei eine Schramme zu, sprang von der Veranda und

verbiss mir einen Aufschrei …

Es war nur ein vom Wind bewegter Vorhang, sonst

nichts.

Ich nahm auf der Veranda Platz, konzentrierte mich

und versuchte einen Grund zu erlauschen, der mich zwingen konnte, heute Nacht auf dem Dach statt im wärmeren Inneren des Hauses zu schlafen. Aus dem Haus hörte 284

ich nichts, und draußen rührte sich auch nichts außer

dem hohen Gras, welches das Gebäude umgab. Als ich

den zweiten Versuch unternahm, strahlte die Sonne im

orangeroten Leuchten ihres kurz bevorstehenden Untergangs. Ich hätte nie gedacht. dass es jedes Mal erheblichen Mut erforderte, einen Platz zum Schlafen, zur Reorganisation oder zum Nachdenken zu finden.

Ich ging einfach auf das leichte Fliegengitter zu

und schob die Hand durch die Leinwand, um das erste

Hindernis auf dem Weg ins Innere zu beseitigen. Ich

brauchte kaum Kraft, um sie aufzuziehen. Staub und

Dreck fielen mir auf den Kopf, bevor ich Zugang zum

Haupteingang fand. Ich griff nach dem Messingknauf

an der Tür und spürte sein kaltes Metall in der Hand.

Ich hielt ihn eine ganze Weile fest und fragte mich

dabei, in welche Richtung ich ihn drehen sollte. Vor

einem Jahr hätte ich es natürlich gewusst, doch j e länger ich unter den gegenwärtigen Umständen lebe, umso fremdartiger kommen mir die einfachsten und vertrautesten Dinge unserer Zivil�sation vor. Ich drehte den Knauf vorsichtig nach rechts, und die Tür schwang mit

einem Stoß meines Stiefels auf. Der Raum war vor langer Zeit verlassen worden und stark heruntergekommen. Hier war seit Monaten niemand mehr gewesen. Es sieht aus, als hätten sich die Menschen, die hier gewohnt haben, schon lange vor dem Ausbruch dieser Pest davongemacht.

Ich schaute mich im gesamten Parterre um und zog

alle Vorhänge beiseite, damit das Haus in seinen dunk-

285

len Ecken keine Teufeleien vor mir verbergen konnte.

Nach der Überprüfung des Erdgeschosses begab ich mich

über die vermutlich am lautesten knarrende Treppe des

Planeten Erde nach oben. Ich behielt Recht. Oben angekommen sah ich, dass das Haus sauber war. Nichts reagierte auf den Krach, den ich auf dem Weg nach oben veranstaltet hatte. Trotzdem. Ich war mehr als einmal

in Todesgefahr geraten, weil ich die langsame Tödlichkeit der Ghoule unterschätzt hatte. Ich suchte das obere Stockwerk mit der gleichen Nervosität, Gründlichkeit

und Angst ab, die ich seit Monaten in meinem Inneren

bewahrte. Als ich von einem Zimmer zum anderen ging,

trieb mein Geist in finstere Alpträume jener Art ab, die

mich darüber spekulieren ließ, was ich im Falle einer

Infektion tun würde. Ich dachte sofort an Selbstmord

und daran, mit einer Kugel im Hirn zu enden. Vielleicht

würde ich eine ominöse, aber witzige Botschaft hinterlassen, wie der junge Lagerarbeiter, den ich - wie mir schien - vor Jahren getötet hatte. Wie lange war es wirklich her?

Ich schreckte aus meinen morbiden Gedanken hoch,

ging weiter von einem Raum zum anderen, überprüfte

Wandschränke und schaute unter die Waschbecken im

Badezimmer, denn ich wollte sichergehen.

Angenommen, jemand lag unter dem Bett? Angenommen, es war ein Kleinkind?

Ich musste innehalten. Hatte ich wirklich unter allen

Betten nachgesehen? Sind wir nicht vielleicht doch ein

bisschen zwanghaft? Ich durchsuchte oben alles noch

286

einmal und tat unten das Gleiche, bevor ich mein Zeug

reinholte und sämtliche Türen und Fenster im Hause

verschloss. Ich bemerkte vier Zierkerzen an verschiedenen Stellen des Wohn- und Speisezimmers. Ich brachte sie zusammen mit meinem Zeug nach oben und suchte mir das Schlafzimmer der Hausherren als Basis meiner Schlafunternehmungen aus. Auf dem Bett waren keine Laken und unter der Matratze keine toten Kleinkinder.

Ich zündete die beiden längsten Kerzen an und stellte

sie auf die leere Kommode am Fußende des Bettes. Mein

Gepäck baute ich arn Fenster auf, damit ich stiften gehen

konnte, falls sich meine Lage in der Nacht verschlechterte. Ich schloss auch die Schlafzimmertür ab und schob eine Kornmode davor, für den Fall, dass ich mir

Zeit erkaufen musste. Dann überprüfte ich das Fenster,

um zu erfahren, ob es sich im Notfall schnell öffnen

ließ. Inzwischen war es so dunkel, dass ich das NSG dazu

verwenden konnte, einen 18o-Grad-Blick aus dem Fenster zu werfen und nach Anzeichen für wandelnde Leichname Ausschau zu halten. Ich sah keine.

Als ich im Finsteren saß und dem Knarren des Hauses

im Nachtwind lauschte, dachte ich detaillierter über die

Ereignisse dieses Tages nach. Es führte aber lediglich zu

noch mehr Verwirrung.

Warum las mich die C-13Q-Frachtmaschine nicht auf

irgendeinem Flugplatz in der Nähe oder an einem gesäuberten Landstreifen auf?

Wer oder was ist Remote Six?

287

Statt Schafe zu zählen, zähle ich unbeantwortete Fragen, bevor ich, vorn flackernden Licht mich glücklich stimmender Kerzen bewacht, in einen tiefen Schlafversinke …

Kerzen, die das Gegenteil dessen tun, wozu sie da sind.

288

;_ Durchs Nadelöhr/

lll. p”” 11lgEp,

�.oo u�”’

Ich habe die letzte Nacht fest und ohne Störung geschlafen. Ich habe von den Klangködern geträumt. Vielleicht hat der Wind sich auch gedreht und mein Unterbewusstsein sie tatsächlich wahrgenommen. Die Sonne geht am östlichen Himmel auf. Ich hatte genug Zeit, um die restliche Dokumentation zu studieren, die mit der Ausrüstung vom Himmel gefallen war, und ein paar Zielübungen mit dem M-4 und dem G-19 zu veranstalten. Zur Dokumentation gehört auch eine Landkarte der anvisierten Hurrikan-Lärmunterdrückungsziele. Die drei Einheiten wurden in Shreveport (Louisiana), Longview (Texas) und Texarkana (Texas/Arkansas) eingesetzt und sind laut

der Satellitentelefon-Mitteilung unterschiedlich laut eingestellt.

Momentan halte ich mich einige Kilometer nördlich

von Marshall auf, was bedeutet, dass ich die Strecke von

Longview nach Shreveport teilen muss, um eine maximale Gefährdungsvermeidung zu erzielen. Die Lärmunterdrückung zeigt Unterdrückungsbereiche an. Rote 289

Kreise um Zielgebiete sind Gefahrenzonen. Ein sicherer

grüner Korridor stellt den zwischen den Gefahrenzonen

im Süden liegenden, empfohlenen Weg dar. Die Kreise

sind dort, wo die Lärmunterdrücker stehen, nicht ganz

rund, wahrscheinlich aufgrund des Terrains und anderer Faktoren, die Geräuschübermittlungen einschränken.

Die Landkarte wurde allem Anschein nach von einem

Computer erstellt. Interessant sind auch die orange markierten Gebiete von Dallas und New Orleans, die das internationale Strahlungssymbol zeigen. Die Flächen bedecken ein beträchtliches Gebiet um diese Städte und weisen an ihrem spitzen Ende wie Tränen nach Osten.

Es sieht so aus, als zeige das Orange die Grenzen des

radioaktiven Niederschlags unter Berücksichtigung des

Windes an.

Die Lärmunterdrückungszone von Texarkana ist aus

mir unbekannten Gründen fast um ein Drittel größer

als die beiden anderen. Der empfohlene Ausweichpfad

führt mich südöstlich an Marshall vorbei über den Highway 80 und dann nochmal dreißig Kilometer nach Südsüdosten. Die sichere grüne Zone endet etwa fünfundzwanzig Kilometer östlich von Carthage. lch weiß nicht, was passiert, wenn die Batterien der Klangköder in diesen drei Städten leer sind. Bei ihrem letzten Lauf wurden sie von atomaren Sprengköpfen in Fetzen gerissen und haben so viele Lebende wie Tote mitgenommen. Das

Beste ist wohl, davon auszugehen, dass die Toten sich

dann wieder zerstreuen und auf die Suche nach Nahrung begeben. Mit dem Zeug, das ich schleppen muss, 290

schaffe ich höchstens fünfundzwanzig Kilometer am

Tag. Wenn ich der verschwurbelten Übermittlung glauben kann, ist der mich abschirmende Lärm in zwölf Stunden zu Ende.

Zur Dokumentation gehören auch Schätzungen hinsichtlich der Infizierten und der nordamerikanischen Verluste. Laut diesen Berechnungen geht man in beiden

Fällen von ungefahr 99 % Betroffener aus. Nach der letzten Volkszählung, an die ich mich erinnere, hatten die USA etwas mehr als dreihundert Millionen Einwohner.

Da kann man sich an den Fingern einer Hand ausrechnen, dass mir etwa 297 Millionen untote Gegner gegen

überstehen. Und diese Zahl steigt fraglos mit jedem weiteren Tag. Untote können sich Fehler leisten. Sie können es sich leisten, in einen Abgrund zu stürzen, vom Blitz getroffen oder durch den Brustkorb geschossen

zu werden. Die Lebenden gebieten nicht über diesen

Luxus. Jeder Fehler, den ein Lebender macht, bringt ihn

der Wahrscheinlichkeit näher, sich hundertprozentig

anzustecken. Meine Zahlen schließen die zahllosen Untoten nicht ein, die ich ausradiert habe oder die bei den nuklearen Attacken am Jahresanfang draufgegangen

sind.

Eine große, gefaltete topographische Landkarte von

Ost-Texas gehört ebenfalls zur Dokumentation. Sie besteht aus wasserfestem Material, ist mit Illustrationen weit verbreiteter essbarer Pflanzen dieser Region versehen und erläutert verschiedene Wassersammelverfahren.

GPS ist nicht mehr. Diese Karte wird mich, im Verein

29 1

mit dem Straßenatlas, den ich noch irgendwo organisieren muss, meinen Weg nach Hause finden lassen.

Nach einer nochmaligen Überprüfung der Dokumente

ging ich hinaus und schaute mir das Gelände an, um

meine neuen Waffen zu testen. Die Umgebung war sauber, also unterzog ich das M-4 einem schnellen Belastungstest. lch sah durch die Zieloptik Mir fiel sofort auf, wie gut sie war. Ich konnte mit ihr zwar keine Nägel einschlagen, aber für einen Kopfschuss war sie allemal geeignet. Ich traf problemlos ein paar golfballgroße Steine in fünfzig Meter Entfernung und zerlegte sie zu Staub.

Nachdem ich mit der Knarre vierzig Schuss verballert

hatte, zerlegte ich sie und schaute sie mir von innen an.

Später setzte ich sie wieder zusammen und gab nochmal zehn Schuss ab, um sicherzugehen, dass alles so lief, wie es laufen musste. Ich hatte jetzt nur noch 450

Schuss von der .232-Munition, so dass ich nun auch nicht

mehr ganz so viel zu schleppen hatte.

Bevor ich den Laserkennzeichner untersuchte, klemmte

ich das Funkfeuer ans linke Schulterteil meiner Weste.

Dann schnippte ich den Kennzeichner an und drückte

den Schalter auf dem seitlichen Handschutz. Sobald

ich ihn drückte, hörte ich einen Piepton, der schneller

wurde, je länger ich drückte. Nachdem ich langsam bis

drei gezählt hatte, ließ ich den Schalter los. Ich wollte

sichergehen, dass das Ding funktionierte und in meiner

Umgebung keine Bombe fiel. Zufrieden mit der M-4,

nahm ich die Glock und feuerte dreißig problemlose Kugeln ab. Bei den letzten zehn Schüssen verwendete ich 292

den Dämpfer, um in Erfahrung zu bringen, wie er die

Zielgenauigkeit der Waffe beeinflusste. Mir fiel nichts

auf - abgesehen von der Zeit, die man brauchte, den

Dämpfer festzuschrauben. Ich weiß nicht genau, ob ich

momentan so schnell bin, wie ich es sein müsste. Auf

alle Fälle muss ich üben. Das Gewinde ist verdammt

fein; man muss den Dämpfer haargenau aufsetzen, um

ihn korrekt zu befestigen.

Unter dem Spülbecken in der Küche habe ich ein paar

Plastiktüten gefunden. Nachdem ich mich von der MPS

verabschiedet hatte, packte ich sie zusammen mit den

leeren Magazinen und einer frischen Schicht Motorenöl

von dem erbeuteten Putzlappen in die Tüten. Ich schaute

in den Kühlschrank in der Küche, aber er war schon vor

langer Zeit geleert worden. Da er nicht den geringsten

Bissen enthielt, stank er nicht mal. Ich entkleidete ihn

seiner Einlegeböden und brachte sie in die Speisekammer. Nachdem die Waffe mit dem Lauf nach oben im Kühlschrank deponiert war, markierte ich sie auf meiner Landkarte und schrieb auf einen Zettel: .>.>IL.ILP.� wA”’

�IEP.· �.:::�U IM IL.ü�L�I.t.. �JA.:::�.((

Ich legte den Zettel auf den Küchentisch und beschwerte

ihn mit der am Abend zuvor angezündeten Kerze.

293

Beim Umpacken meiner Ausrüstung fiel mir das Iridium-Satellitentelefon ein. Ich beschloss, es zu aktivieren und trotz des mir bekannten Zeitfensters auszuprobieren. Ich nahm Platz und schaute fünfMinuten zu, als es versuchte, sich in den Satelliten einzuklinken. Erfolglos. Ich stellte die Weckfunktion meiner Armbanduhr, damit sie mich an das Zeitfenster erinnerte. Ich will sicherstellen, dass das Telefon dreißig Minuten vor dem Kommunikationsfenster mit klarer Sicht auf den Himmel eingeschaltet ist.

Ich möchte in einigen Minuten aufbrechen und über

den Hurrikanpfad zwischen Longview und Shreveport

düsen, aber zuerst muss ich den Inhalt zweier Konservendosen verdrücken, um das Gewicht meines Rucksacks zu reduzieren. Eine Dose Chili und eine Dose Rindfleisch

müssten mir genug Kraft für die strapaziöse Strecke verleihen, die vor mir liegt.

13.oo u�”’

Das Gewicht des Rucksacks ist tatsächlich etwas, an das

man sich gewöhnen muss. Ich habe seit heute früh etwa

zehn bis zwölf Kilometer zurückgelegt; also etwa zwei

pro Stunde. Ich habe die Hälfte meines Wassers konsumiert, weil es mich motiviert, dass es sich im Magen leichter tragen lässt als auf dem Rücken. Seit dem Verlassen der Abwurfzone habe ich keine Bewegung gesehen. Nicht mal einen Vogel. Der Wind ist leicht und ver-294

änderlich, was den Mangel an allem Möglichen noch

beunruhigender macht. Ich weiß, dass die Klangköder

entweder tot oder dem Eingehen ziemlich nahe sind,

was zu wer weiß welchen Konsequenzen führen kann.

Hin und wieder packt mich die Angst, und dann reiße

ich die Knarre hoch und lege auf etwas an, das sich

schlussendlich als Phantom erweist. Das letzte Phantom

war ein Oberhemd, das auf einer Wäscheleine auf einem

längst verlassenen Hinterhof hing. Ich war mir ganz sicher, dass es ein Ghoul war.

Tschernobyl … Ich erinnere mich an etwas Bedeutendes aus der Vergangenheit. Ich habe mal einen Zeitungsartikel über Tschernobyl und den Bericht einer Forscherin gelesen. Laut ihr war dort alles gespenstisch still. Sie hatte ein Strahlenmessgerät mitgenommen und die tote

Stadt untersucht. Man hatte tatsächlich Reisegruppen

dorthin gefahren. Viele Touristen hatten sich aufgrund

dieser Stille schon deutlich vor dem Reiseziel verabschieden wollen. Nun ist der größte Teil des Kontinents tot und wird es auch bleiben.

Im Krieg wird niemand entlassen!

Ich habe vor einer Stunde angehalten, um auf den Iridium-Anruf zu warten, aber kein Text kam. Ich habe versucht, Remote Six anzurufen. indem ich über die Liste der empfangenen Anrufe die Rückruffunktion aktivierte …

Besetztzeichen. Ich sitze auf dem Dach eines alten gepanzerten Fahrzeugs in einem Straßengraben. Auf dem Fahrersitz hockt eine Leiche. Außer Knochen und der

Uniform ist kaum noch etwas von dem Mann übrig …

295

Hat sich vermutlich schon ganz am Anfang selbst getötet.

Ich schaue in alle Richtungen, sehe aber rein gar nichts.

Mir ist übel, weil ich heute früh zu viel gegessen habe.

Ach, hätte ich nur schon einen Platz gefunden, an dem

ich mich für den Rest des Tages und die Nacht verkriechen kann. Ich möchte aber noch zwei Stunden weiter laufen, bevor ich ein Versteck suche. In einem Auto zu

schlafen - wie der Leichnam unter mir - ist keine Option. Die Eiterschlieren rings um das Fahrzeug sprechen eine deutliche Sprache. Der arme Hund war vermutlich

tage- oder wochenlang umzingelt, bevor er aufgegeben

und Selbstmord begangen hat.

Meine Landkarte ist so gefaltet, dass sie das Gebiet

zeigt, in dem ich mich befinde. Sie ist keine Neuerscheinung, deswegen kann sie die Region nicht so darstellen, wie sie jetzt ist. Aber sie ist besser als nichts.

Am westlichen Horizont sammeln sich Gewitterwolken. Es besteht die Möglichkeit, dass ich eine feuchte Nacht erlebe, falls ich tatsächlich unter freiem Himmel

schlafe. Ich habe das Gefühl, dass bei mir eine Erkältung

im Anmarsch ist. Hoffentlich ist es nichts Schlimmeres.

Jemand verfolgt mich. Nachdem ich meine Ruhezone

heute Nachmittag verlassen habe, klingelte das Satellitentelefon. Es war ungefähr 13.55 Uhr. Ich hätte den Anruf beinahe verpasst. Das Telefon steckte unter dem Oberteil

296

des Rucksacks; die Antenne lugte an der rechten Seite

heraus. Als ich das schwere Ding endlich vom meinem

Buckel runter hatte, hatte es bereits dreimal geklingelt.

Ich drückte auf Sprechen und lauschte dem vertrauten

Klang der digitalen Abfolge, als die Satellitentextdaten

für den Downlink komprimiert wurden .

… LB folgt:

Projekt Hurrikan: Erfolgreich. Ausweichroute annehmbar frei,

im Südwesten leichte Untaten-Dichte.

Reaper: Verbleib FMC v. zwei LGB einsatzbereit.

Gefahren: Nicht identifizierter Bewaffneter aus Norden.

Dreißig Untote, zwei verstrahlt im Umkreis von 15 km

lokalisiert. Gegenwärtiger Aufenthaltsort lt. Reaper

Sensoren …

Die Verbindung ging sofort nach dem letzten Wort flöten. Ich zückte schnell mein Fernglas und suchte die Gegend hinter und nördlich von mir ab. Ich sah keine

Spur meines nicht identifizierten Verfolgers. Das Telefon räumte mir keine Möglichkeit ein, Fragen zu stellen oder die Textkommunikation zu lenken. Irgendwas stimmt nicht an der Beziehung zwischen mir und der

Einheit am anderen Ende dieses Telefons. Vielleicht gibt

es ein Problem mit dem Satellitennetz, das nur Übertragung um etliche Ecken ermöglicht. Es muss doch eine Datenverbindung der Drohne am Himmel zu einem

Steuerzentrum geben, in dem sie gelenkt und ihre Bildschirme überwacht werden.

297

»Dreißig Untote, zwei verstrahlt.« Das kann nur eins

bedeuten. Dallas, Texas. Ich habe gesehen, wozu Untote

dieser Art fähig sind. Und nun, da ich weiß, dass sich in

meiner Umgebung zwei dieser Dinger aufhalten, werde

ich meine Anstrengungen verdoppeln, um den Kontakt

mit jedem Einzelnen zu vermeiden.

Momentan regnet es. Ich habe Unterschlupf im Führerhaus eines Farmtraktors gefunden, der allein auf einem großen Feld steht, das von einem kaputten Rinderzaun

umgeben ist. Die Hinterachse der Karre ist von einer Menge

Stacheldraht umwickelt; fraglos das Ergebnis eines Versuchs, den Zaun niederzuwalzen. Noch ein Relikt aus alten Zeiten. Hin und wieder kneife ich die Augen gerade so weit zusammen, um da draußen etwas zu sehen.

Gerade genug, um mich davor zu fürchten, meinen Unterstand zu verlassen und so schnell wie möglich durch die texanisehe Nacht zu rennen.

Mein Verstand gaukelt mir fortwährend etwas vor, damit ich glaube, ich sähe in der Ferne sich rasch bewegende, verstrahlt glühende Untote. Es ist kalt hier. Ich habe meine Beine in den Mumiensack gesteckt. Es scheint gut

zu funktionieren. Der Traktor ist ein John Deere in Grün.

Genau wie die Farbe, die ich alle paar Minuten qurch

mein NSG sehe, wenn die Paranoia mich übermannt und

zum Umschauen zwingt.

Ob der Mann, der mich verfolgt, die gleiche Furcht

empfindet? Morgen ziehe ich durch das zeitweilig sichere Gebiet weiter nach Süden, zurück nach Hause.

298

I s. Pli..11)�EP.

<a.oo u�p.

Beim Aufwachen leuchtete die Sonne über den Horizont

genau in mein Gesicht. Habe erneut über die beim gestrigen Anruf erhaltene Telefonbotschaft nachgedacht.

Heute werde ich auf dem Weg nach Südwesten pausenlos hinter mich schauen. Wenn der Lagebericht des Satellitentelefons sich als wahr erweist, muss ich in nächster Zukunft mit einigen Schwierigkeiten rechnen. Der Mumiensack wird um meinen Zivilrucksack gewickelt,

um meine Sichtbarkeit für jeden zu verringern, der

mich verfolgt. Der Mann geht zu Fuß. Um ihm zu entgehen, wäre es vielleicht das Beste, einen Wagen aufzutreiben, ihn mit dem Solarladegerät zum Laufen zu bringen und mit der Handpumpe den Treibstoffzusatz einzuspeisen. Der einzige Nachteil dieses Plans ist, dass der Einsatz des Ladegeräts an einer Autobatterie für einen

Startversuch mich einen ganzen Tag kostet. Außerdem

muss ich die Karre dann wahrscheinlich auch noch kurzschließen. Ich muss einen Wagen finden, dessen Zündschlüssel noch steckt - was in den meisten Fällen wohl bedeutet, dass auch sein Besitzer noch drinsteckt.

299

‘3.oo u�p,

Ich habe mit dem Ende einer Rattenfalle ein Loch in den

überwucherten Farmboden gegraben. Mit gesammeltem

Feuerholz ist es mir gelungen, ein fast rauchloses Feuer

anzuzünden - mit einem schrägen Verfahren aus Büschen und Blättern, die den Qualm verwischen. Ich habe heute eine Dose Chili erhitzt und ein Viertel meines

Wasservorrats verbraucht. Ich weiß zwar, dass geringe

Nahrungsvorräte nie gut sind, aber wann immer mein

Blick auf meinen Rucksack fallt, überfallt mich das Bedürfnis, meine gesamten Konserven und die Einmann

Rationen zu verzehren, bis nur noch Trockennahrung

übrig bleibt. Die Grenzen meiner Neigung, mir alles

Schwere vom Hals zu schaffen, enden bei der Munition.

Ich werde sie bis zum Äußersten verteidigen, den die

stets gegenwärtigen Gefahren, die mich sowohl unmittelbar umgeben als auch vor mir liegen, sind zahlreich.

Angesichts der jüngsten Ereignisse war es vielleicht

nicht die beste Idee, ein Feuer anzufachen, aber bevor

ich weiterziehe, brauche ich den moralischen Auftrieb

einer warmen Mahlzeit.

;oo

I(,. P� ‘fogEp.

11.a3 u�p.

Ausweichen funktioniert folgendermaßen. Um Untoten

aus dem Weg zu gehen, folgt man einem bestimmten

Rezept. Man macht sich klein, ist leise und plant alle

Schritte im Voraus. Diese Regeln verlieren ihre Gültigkeit. wenn man einem Menschen aus dem Weg gehen will, der an einem klebt. Sich klein zu machen und leise

zu sein gibt dem Jäger Zeit, seiner Fährte zu folgen und

dich zu schnappen, wenn er einem anderen Regelsatz

folgt. Vorsichtiger Ausgleich zwischen beiden Methoden

ist alles, was mich außerhalb der unmittelbaren Sichtweite meines mutmaßlichen Verfolgers gehalten hat. In den letzten dreißig Stunden habe ich keinen Anruf von

Remote Six erhalten. Ich weiß jetzt: Die Tatsache, dass es

einen den Boden beobachtenden Satelliten am Himmel

gibt, bedeutet nicht, dass diese Organisation ihn auch

einsetzen wird. Obwohl ich meinen Verfolger nicht sehe,

habe ich das Gefühl, dass mich etwas beobachtet und

ich nicht entscheiden kann, ob ich an Paranoia leide

oder den Blick eines mich aus der Ferne beobachtenden

Fremden tatsächlich spüre. Ich habe niemanden, mit

dem ich mir die Nachtwache teilen kann. Ich habe versucht, in der langen Nacht, die ich gerade schlafend auf dem Heuboden einer Scheune verbracht habe, wach zu

bleiben. Jedes Knarren des Holzes, j edes Flattern von

Nachtvogelschwingen haben mich aufspringen und im

grünen Schein meines NSG auf den roten Punkt meiner

301

Zieleinrichtung schauen lassen, während ich aufgeregt

versuchte, ein Ziel zu finden, das nicht da war. Was

wirkliche Angst bedeutet, werde ich erst morgen wissen.

Ich schreibe dies, weil ich gestern noch zu wissen glaubte,

was Angst ist. Doch Angst nimmt jeden Tag eine neue,

noch größere Bedeutung an. Beim Militär hatte ich

einen Freund, der eine andere Laufbahn einschlug als

ich. »Der einzige leichte Tag war gestern« war zwar nicht

sein persönliches Motto, aber er zitierte es oft, und es

passt mehr denn je in diese Zeit.

Mein Rücken schmerzt, ich leide an Erschöpfung. Nach

der quälenden Erfahrung der letzten Nacht im Stall erwachte ich beim Anblick eines Untoten, der auf dem Feld stand und zu dem Heubodenfenster hinaufschaute, an dem ich mich befand. Ich holte mein Fernglas und beobachtete ihn. Er sah mich und machte sich zur

Scheune auf. Es war ein Original-Ding und schon so

lange tot, dass sein Skelett sich an zahlreichen Stellen

seines Leibes durchdrückte.

Ich wollte ihn nicht irgendwo hingehen lassen, wo er

lärmen und andere aufmerksam machen konnte, also

zog ich die Pistole und schraubte den Schalldämpfer

auf, um ihn schnell und leise zu erledigen. Ich war froh,

dass er allein war. Als ich sah, dass der Dämpfer aufgeschraubt war, zog ich durch und schoss. Ich brauchte zwei Kugeln, um das Ding umzuhauen. Der erste Schuss

traf es am Hals, der zweite am Nasenrücken. Es fiel um,

und ich begutachtete es aus der Sicherheit des Heubodenfensters, um rauszukriegen, ob es vielleicht etwas 302

von Wert bei sich hatte. Abgesehen von einem Ledergürtel, der seine verrottende Hose festhielt, war nichts zu erkennen, aber es konnte ja auch was in den Hosentaschen haben. Beim Verzehr meiner letzen Dose Chili auf dem kalten Heuboden war mir aufgefallen, dass

ich nur noch eine Konservendose (Rindfleisch-Eintopf)

besaß. Vielleicht sollte ich sie mir noch ein paar Tage

aufsparen.

Konservendosennahrung wurde allmählich alt. Kalt

schmeckte sie mir nicht, doch sie zu verzehren gab mir

die Entschuldigung, meiner Umgebung zu lauschen,

bevor ich die Leiter hinabstieg. Ich möchte nicht, dass es

so aussieht, als hätte ich es meiner geistigen Gesundheit

zuliebe getan. Ich setzte mich hin, speiste und lauschte

nach jedem Geräusch, das dazu beitragen konnte, meinen Aufenthalt auf dem Heuboden auszudehnen.

Heute Morgen bin ich raus, weil ich wusste, dass mein

Projekt-Hurrikan-Schutz langsam auslief, was allein die

Tatsache bewies, dass ich die Dinger nun aus nächster

Nähe sah. Als ich loszog, war ich entsprechend schlecht

gelaunt und sah mich gezwungen, meine Gedanken auf

die letzte positive Erfahrung meines Lebens zu richten:

das leckere Chili. Eine gute Mahlzeit ist vermutlich das

Einzige, auf das ich mich freuen kann - und ein wichtiges mich heimwärts treibendes Motiv. Mir fällt ein, wie oft ich in der Wüste aufmarschieren musste. Ich denke

an den Krieg, wie sehr mir mein Zuhause fehlt und dass

ich doch immer etwas hatte, das mich durchs Leben

t rieb. Der Gedanke, mit meiner Familie zu zelten, oder

303

der Gedanke, von meinem steuerfreien Extrageld ein

neues Gewehr zu kaufen; oder die Vorstellung, dass ich

tatsächlich irgendwann, wenn ich mich anstrengte und

meinen Auftrag erledigte, ein freies Wochenende haben

würde.

Jetzt dreht sich in meinem Kopf alles um eine warme

Mahlzeit. An diesem Gedanken werde ich mich heute

hochziehen. Morgen kann ich vielleicht über die Tatsache jammern, dass der Hubschrauber, mit dem ich abgestürzt bin, mehr als mangelhaft gewartet und vom

billigsten Anbieter ohne Gesellenbrief vor Hunderten,

wenn nicht gar Tausenden von Kilometern zusammengeschraubt wurde. Ein Montagsprodukt. Ich wurde in einem kaum bewohnbaren Gelände zu Boden gezwungen, weil ein Metallsplitter im Triebwerksgehäuse katastrophal versagt und die Fähigkeit einer Flugmaschine beschnitten hat, in der Luft zu bleiben. Jede Landung ist

eine gute Landung, wenn man danach aussteigen kann.

Es sei denn, man steigt als Toter aus.

Heute Abend habe ich Obdach in einer verlassenen

Tankstelle gefunden. Eine jener Oasen, die schon lange

vor dem Ende der Welt nicht mehr im Geschäft waren.

Kein Anzeichen von Leben - außer den Überbleibseln,

die Ratten vor Monaten oder Jahren hier hinterlassen

haben. Der Laden ist ausgeräumt, erscheint mir Jahrzehnte alt und war möglicherweise zu seiner Zeit eine Goldgrube. Die Pumpen sind mechanisch, am Dach sind

nirgendwo Überwachungskameras zu sehen. Unter dem

alten Holztresen im Ladeninneren lag der Rest eines

304

Schrotflintenständers, Relikt längst vergangener Tage,

in denen der Besitz eines solchen Gegenstands selbstverständlich war.

Wie heute.

Ich fand ein paar gebrauchte Schneeketten, mit denen

man die Tür verriegeln konnte. Einen menschlichen Angreifer würden sie eine Weile aufhalten. Ein bis zwei Untote würden sie glatt anhalten. Ich baute mein Lager an einer Stelle auf, an der ich beide Zugänge im Auge behalten konnte. Von beiden schweren Türen aus konnte ich fünfzehn Meter weit bis zu den Bäumen blicken. Das

Gras hinter dem aufgeplatzten alten Asphalt der Parknischen ist ziemlich hoch gewachsen, aber man kann noch genug sehen. Der Wind heult, und ich höre auf

dem Dach der Benzinpumpe ein loses Blech klappern.

Es wird kälter. Ich schätze, dieser Winter wird, wenn ich

ihn noch erlebe, eine Herausforderung.

11- P“‘1‘0BEP.

�.oo u�P.

Hinter mir liegen mehrere beunruhigende Träume, aber

kein guter Schlaf. Ich habe hundert verschiedene Dinge

geträu<mt, kann mich aber nur an zwei erinnern. Allem

Anschein nach habe ich die vergessen, an die ich mich

gern erinnern würde. Ich war auf einem Hügel und

schaute auf Millionen Untote hinab. Da waren auch ein

paar 20-mm-Geschütze, von Leuten bemannt, die wie

305

US-Soldaten verschiedener Waffengattungen aussahen.

Ich sah mich selbst, als gäbe es mich zweimal, und schaute

in meine eigenen Augen, als ich den Feuerbefehl gab.

Die Untoten waren noch immer über einen Kilometer

entfernt, aber die 2ü-mm-Geschütze spuckten die Granaten so schnell hinab, dass sich vor den Füßen der zerfallenden Ghoule ein Graben bildete. Ich sah tief

fliegende AC-13ü-Kampfhubschrauber, die mit ihren Geschützen Tausende umlegten. Alte Kisten vom Typ F-4

und A-4 düsten über sie hinweg, warfen Napalm ab und

dezimierten den Feind, der aber weiter vorrückte.

Im nächsten Traum war ich bei Tara im Hotel 23. Sie

war allein im Umweltraum, kramte in einer Kiste herum,

die meine Sachen enthielt, und heulte. Während die

Tränen über ihre Wangen liefen, hörte ich sie sagen:

»Wo ist es?« Ich blendete aus meinem Unterbewusstsein

in die Realität der Lage um. Ich hatte seit dem Absturz

mein Bestes getan, um nicht an Tara zu denken. Weil es

meine Lage nur verkompliziert.

Beim Aufwachen fiel mir ein, dass ich nur noch eine

Dose genießbaren Rindfleischeintopf hatte. Was ja auch

eine gute Nachricht ist, denn sie war das letzte schwere

Nahrungsteil neben den beiden Einmann-Rationen. Ich

habe die Kerze nochmal angezündet, um die Dose mit

dem Eintopf zu kochen. Ich habe mich heute früh nicht

gut gefühlt und wusste nie genau, ob es an dem ständig

unterbrochenen Schlaf oder dem Anmarsch einer Erkältung liegt, dass ich mich schwach fühle und mir alles wehtut. Ich habe die Hälfte meines Wasservorrats ge-306

trunken, den Inhalt der ganzen Dose verputzt und dann

meinen Kram für die Mühen des Tages umgepackt.

11.oo u�P.

Ich habe heute trotz meiner scheinbar geschwächten

Kondition eine weite Strecke zurückgelegt. Im Moment

würde ich gern drei Liter Orangensaft trinken. Dies hat

in einer weniger beschissenen Welt früher immer geholfen, wenn auch nur vermeintlich. Ich war heute Morgen etwa zwei Stunden unterwegs, als ich in der Richtung.

aus der ich kam, ein Blinken sah, kaum mehr als eine

gerade noch wahrnehmbare Reflektion. Im Fernglas sah

ich nichts. Der Wind hat dann tagsüber stärker geweht,

und in etwa einem Kilometer Entfernung rührte sich

nichts außer sich wiegendem Blattwerk. Für den Fall,

dass ich angerufen werde, habe ich das Telefon ans Solarladegerät gehängt, das am Rucksack baumelt. Ich nähere mich dem unteren Teil der Landkarte. Ich nehme hin, dass sie keine täglichen Erscheinungen sind.

In den letzten beiden Stunden habe ich auf einigen

Feldern in verschiedenen Gebieten Grüppchen von Untoten gesehen und beobachtet. Sie scheinen jedoch nicht zu ahnen, dass ich in ihrer Nähe bin. Ich schaute fortwährend nach vorn aus und korrigierte laufend meinen Kurs, um in sicherer Entfernung vom Feind zu bleiben.

Alles, was näher als hundert Meter ist, könnte sich sehr

wahrscheinlich zu einer Feindberührung auswachsen,

307

je nachdem wie der Wind weht und der Zustand ihrer

Verwesung ist. Für den Fall, dass ich jemanden ausschalten muss, sind Pistole und Dämpfer stets schussbereit an den Rucksack geschnallt. Wenn mir jemand folgt oder

sich an meine Fährte heftet, darf ich das Risiko, Lärm zu

machen, nicht eingehen.

lb.OO u�p.

Heute kam kein Anruf. Ich habe den Eindruck, dass

meine Paranoia mich einige Zeit gekostet hat. Ich habe

fortwährend zurückgeschaut, um zu sehen, ob ich den

Burschen ertappe, der mir angeblich folgt. Ich habe

keine Spur von ihm gesehen. Ich habe zwar das Gefühl,

beobachtet zu werden, aber es ist schwierig zu bestimmen, ob es auf der Warnung oder auf einem echten sechsten Sinn basiert. Verflucht, vielleicht trifft beides

zu. Heute Nacht nehme ich Quartier in einer alten Taverne am Straßenrand. Es hat mich früh unter ein Dach gezogen, da ich den Eindruck nicht loswerde, dass der

Virus, den ich mir eingefangen habe, mich in Bälde

schwächen wird. Ich kann nichts essen, zwinge mich

aber, den Rest meines Wassers zu trinken. Ich höre Donner am Horizont. Die Luft riecht nach Regen. In den Regalen sind mehrere Flaschen Alkohol zurückgeblieben, die zu plündern sich niemand bemüht hat. Ich habe mir

eine verstaubte Flasche Maker’s genommen, sie geöffnet

und gleich einen Schluck aus der Pulle getrunken. Das

308

Zeug ist ganz schön scharf, hat meiner Kehle aber gutgetan und mich innerlich aufgewärmt. Ich habe mich in eine Ecknische der alten Kaschemme gesetzt, die einst

River City Liquor & Eats hieß. Manche Leute sitzen gern

in einer Nische, wenn sie zum Essen ausgehen. Ich schätze,

ich bin der Ecknischentyp.

Ich weiß, dass all diese Alkoholflaschen auch einen

medizinischen Wert haben, da sie desinfizieren und den

Schmerz töten. Es wäre mir sehr lieb, wenn ich Platz

für mehr als ein Gläschen Whisky hätte. Der Wind haut

jetzt fester drauf. Bald - vermutlich, sobald dieser Satz

fertig ist - wird es regnen.

I ‘0. P� “(l)gEp,

9.oo u�P.

Dank des heftigen Regens konnte ich meinen Wasservorrat in der vergangenen Nacht dreimal auffüllen. Nach Überprüfung der Schubladen im Büro des Geschäftsführers entdeckte ich ein Röhrchen Pränatalvitamine. Ich schaute mir das Etikett an, um sicherzugehen, dass mir

davon keine Brüste wachsen, dann öffnete ich es und

genehmigte mir eine doppelte Dosis. Das Medikament

stand kurz vor dem Ablaufen, was bedeutet, dass seine

Wirkung vielleicht nur noch schwach ist. In meinem gegenwärtigen Zustand brauche ich Vitamin C. Mein Appetit liegt bei Null, aber ich habe Wasser in meinen Kreislauf gezwungen (seit gestern Abend fünfeinhalb Liter).

309

Ich hatte das Gefühl, alle fünfzehn Minuten mit der

Knarre in der einen und dem Dödel in der anderen strullend vor der Tavernentür zu stehen. Ich halte es für klug, die River City Tavern für mehr als eine Nacht zu meinem

Quartier zu machen, damit ich wieder zu Kräften komme.

1s.oo u�p,

Ich war draußen, müde und klapperig, um auf den Anruf

zu warten, der nie kam. Als ich mich auf eine alte im

Straßengraben liegende Schrottkarre gegenüber der Taverne stützte, erspähte ich einen Untaten. Er sah mich ebenfalls und schlurfte sofort auf mich zu. Ich hatte

keine Zeit, die gedämpfte Pistole zu ziehen. Ich zielte

mit dem Gewehr auf das Ding, richtete den roten Punkt

auf seine Stirn und drückte ab. Damit hatte es sich. Es

war allerdings sehr laut und wird zweifellos ein paar andere hierherlocken. Nachdem die Möglichkeit der Satellitenübertragung gekommen und gegangen war, kehrte ich leise in die Taverne zurück, um über meine Lage

nachzudenken. Je mehr Zeit verging, umso schwerer fiel

mir das Denken. Ich hatte das Gefühl, dass mein Fieber

ständig stieg. Auf dem Rückweg zur Taverne fiel mir im

Hintergrund ein Propangastank in der Form einer riesigen Aspirintablette auf. Es bestand die Möglichkeit, dass in diesem Laden auch gekocht worden war. In meinem

Rucksack hatte ich nur noch die Trockennahrung und

Einmann-Rationen.

3 10

1.1..oo u�p.

Das Propangassystem in der Taverne funktioniert. Mit

Regenwasser und einer alten Bratpfanne habe ich etwas

von dem getrockneten Zeug angebraten und mir reingezwungen. Obwohl mein Körper mir sagte, ich sei nicht hungrig, schmeckte es gut. Da es draußen dunkel war,

beschloss ich, mit dem M+Zielfernrohr und dem NSG

ein wenig zu üben. Ich wählte den roten Punkt auf der

ersten Einstellung, und mit dem NSG schien es ganz

gut zu klappen. Bei einer zeitlich begrenzten Schlacht

würde es gut ausgehen, aber schon nach einem oder

zwei Schuss, je nachdem, wie weit der Feind entfernt

war, musste das Mündungsfeuer mich verraten. Immerhin kann ich es aber, falls nötig, nachts einsetzen. Als ich mit dem NSG durchs Zielfernrohr schaute, sah ich

draußen vor dem Fenster Bewegung. Da es in der Taverne

pechschwarz war, wusste ich, dass die Dinger mich nicht

sahen. Ich zielte weiterhin hinaus und konzentrierte

mich auf den Punkt, um dafür zu sorgen, jede Bedrohung ausschalten zu können. Dann sah ich sie. Es waren zehn bis fünfzehn. Sie gingen auf der Straße herum. Ich

hielt die Luft an, beobachtete sie und redete mir mindestens dreißigmal aus, die Fähigkeiten meiner Waffe an ihnen auszuprobieren. Wenn sie merkten, dass ich

hier war, überlebte ich es vielleicht nicht. Die Erkältung

hatte mich stark geschwächt. Ein nächtlicher Kampf in

diesen engen Räumen gereichte ihnen vielleicht zum

Vorteil. Diese Nacht hält zu viele Möglichkeiten zum

3 11

Sterben bereit. Ich mache mich also klein, verhalte mich

still - und muss leider wach bleiben.

��- p�”(OBEP.

b.lls u�p,

Der Morgen sieht aus als könne er sich zu einem klaren

Tag entwickeln. Gegen 2.00 Uhr haben sie die nähere

Umgebung verlassen. Ich habe mich erst um 3.00 Uhr

zum Einschlafen gezwungen. Ich funktioniere auch nach

drei Stunden Schlaf und habe sogar luftdicht verpackten Kaffee gefunden. Kaffee ist in meinem Zustand nicht unbedingt das Beste, aber heute früh brauche ich Koffein. Noch eine Nacht bleibe ich nicht hier. Wenn ich heute nicht weiterziehe, ziehe ich vielleicht nie wieder

irgendwohin. Wo einer ist, sind auch zwei, und wo fünfzehn sind, sind auch hundert. Ich will versuchen, heute fünfzehn Kilometer zu schaffen.

11..oo u�p,

Ich ruhe mich am Gefechtskamm einer Erhöhung aus.

Felsen decken mir den Rücken. Ich habe eine ziemlich

grässliche Entdeckung gemacht. Ein Stück unterhalb

liegt eine alte Getreidemühle. Wäre nicht aus einer Art

Behausung gleich nebenan Rauch aufgestiegen, wäre

ich beinahe daran vorbeigegangen. Dann ist da noch ein

312

Nebengebäude, das so aussieht, als beherberge es Vieh

oder vielleicht Gefangene. Ich habe mir hier ein Nest gebaut, mit meinem Schlafsack als Versteck. Meine Ausrüstung liegt sicher in dem wasserdichten Rucksack und ist mit Zweigen bedeckt. Ich beobachte sorgfältig die Umgebung und frage mich, was ich tun soll.

Menschen laufen herum. Umherschweifende Wachen?

Ich muss ihre Bewegungen beobachten und ihre Verhaltensmuster durchleuchten.

1. Wächter (männlicher Bogenschütze): Beim Verlassen der Behausung zwischen 10.30 und 11.30 Uhr beobachtet.

2. Wächter (dicke Frau): Beim Streifengang zwischen

10.30 und 11.30 Uhr alle 15 Minuten zur Getreidemühle

beobachtet.

3. Wächter (A.K-47): Beim Wachestehen fünfzig Meter

von Gebäuden entfernt beobachtet. Wirkt aufmerksam.

Hat Wachhütte nicht verlassen.

13.oo u�p,

Die Lage: Eingehende längere Observation enthüllt, dass

eine bewaffnete feindliche Gruppierung mindestens einen

Zivilisten gefangen hält. Die Getreidemühle wurde zum

Einsatz von Muskelkraft umgebaut. Man setzt Untote

ein, um sie zu bewegen. Ob die Mühle Korn verarbeitet

oder Wasser an die Oberfläche pumpt, ist ungewiss. Ontote sind mit Geschirr an ihr festgebunden. Sie sind 3 13

nicht geknebelt, aber mit einer modifizierten Form von

Scheuklappen versehen, wie man sie von Pferden her

kennt. Die Dicke, die jede Viertelstunde kommt, stimuliert sie, voranzugehen.

Habe einen militärischen Truppentransporter ohne Verdeck beobachtet, der zum Gelände fuhr. An Bord: ein Fahrer und zwei Personen hinten. Sie scheinen zur Mannschaft dieses Stützpunkts zu gehören. Durchs Fernglas habe ich gesehen, dass die Dicke den Mund aufmachte

und die Männer schrill anschrie, nachdem sie einen (echten) Toten abgeladen hatten.

lll..OO u�p.

Das mit den fünfzehn Kilometern am Tag wird wohl

nichts. Ich wende das diplomatische Verfahren mit der

50ü-Pfund-LGB (lasergesteuerten Bombe) an. Nachdem

ich gesehen habe, dass sie einen lebenden Menschen ans

Rad der Getreidemühle gebunden haben, um die Untaten zu schnellerer Bewegung anzustacheln, musste ich diesen Beschluss fassen. Zuckerbrot und Peitsche. Ich

muss einen Ort finden, an dem ich heute Nacht unterkriechen kann, um später den Tagesablauf dieser Leute auszuspähen, damit ich zur Präventivattacke schreiten

314

kann. Offenbar wollen sie am Rad ein Lebend/Untat-Verhältnis von 1 : 1 erzielen. Die Lebendigen sind so dicht vor den Untoten angebunden, dass ich sah, wie ein Untoter tatsächlich den Rücken eines Lebenden mit seinen knochigen Fingerspitzen berührte. Sie gehen pausenlos

im Kreis.

Am liebsten würde ich sie sofort mit Handgranaten

bepflastern, aber wenn ich keinen Platz finde, an dem

ich heute Nacht bleiben kann, werde ich nur noch kranker und ziehe vielleicht bei einem Untatenangriff hier auf der Felsenhöhe den Kürzeren. Den Kerl im Wachhäuschen nehme ich mir als Ersten vor. Mit dem Gewehr. Wie ich es sehe, ist er in dieser Reichweite meine einzige Bedrohung, und als Einzelner ist er keine Bombe

wert. Wenn ich ihn erledigt habe, markiere ich das Gebäude, das ich für gefahrlieh halte, mit dem Laser. Ich werde mich bemühen, keinen Kollateralschaden am

Mühlrad anzurichten, an dem die mutmaßlich Freundlichen und vereinzelten Untoten laufen. Im Moment ist alles nur ein Plan. Einmal habe ich heute einen Blitz auf

dem Hügelkamm gegenüber gesehen, konnte aber mit

dem Fernglas keine Bewegung erkennen.

Ein weiterer morbider, doch nutzbringender Aspekt

der ganzen Sache ist, dass ich die Funktionen der Drohne

über mir an einem Ziel testen kann, das einer LGB tatsächlich würdig ist. Wenn alles gutgeht, kann ich die Lumpen auch erledigen, ohne näher als vierhundert Meter

ans Gebäude heran zu müssen. Es regnet, ich fühle mich

noch immer krank. Ich trinke Wasser, bis ich kotzen

3 15

könnte. Ich habe keine andere Wahl, weil es wahrscheinlich im Umkreis von hundert Kilometern keine sterilen Ns und keine Kochsalzlösung gibt, die nicht von tausend Untoten bewacht wird. Heute kam kein Anruf, aber ich habe bei der Beobachtung des Geländes unter mir

versucht, das Satellitentelefon mit Sonnenenergie aufzuladen.

1o.oo u�P.

Habe einen Teil meiner Ausrüstung in meinem Versteck

bei der Mühle zurückgelassen und ein Nachtquartier

in einem einsamen Fahrzeug auf dem Hügel gefunden.

Es ist ein VW-Käfer aus den 1980er Jahren. Ich habe ihn

mir ausgesucht, weil er auf der Hügelkuppe auf einer

Seitenstraße steht. Ich bin rein und habe den Zündschlüssel gesucht. Er war nicht da. Ich habe die Handbremse gelöst. Der Wagen fing schnell an zu rollen. Ich habe ihn nur einen halben Meter weit fahren lassen und

dann die Bremse gezogen. Ich konnte problemlos schlafen. Hätten mich in der Nacht Untote angegriffen, hätte ich nur die Bremse zu lösen brauchen und wäre den

Hügel runtergerollt. Wäre es kein VW-Käfer gewesen,

hätte ich ihn kurzzuschließen versucht. Sein Herstellungsjahrzehnt ist für diese Arbeit genau das richtige, aber leider weiß ich nicht, wo die dazu nötigen Teile

liegen, weil sich der Motor im Kofferraum befindet. Als

ich so etwas zum letzten Mal gemacht habe, stammte

316

das Blech aus Detroit. Wäre schön, wenn ich den Buick

Regal jetzt hätte. Schlafe heute Nacht mit der Hand an

der Bremse.

l.O. P”““fi)SEP..

s.oo u�p,.

Bin früh raus, um den Angriff zu planen und die Drohnen-Dokumentation zu lesen. Habe Signalfeuer und Reaper-Bereitschaftszeiten doppelt überprüft. Würde am liebsten in der Nacht zuschlagen, mit Rückendeckung.

Habe relativ gut geschlafen. Abgesehen vom heimischen

Wild gab es keine unerwünschte Unterbrechung. Eine

alte Eule hat mich eine Weile wach gehalten. Was würde

ich dafür geben, wenn ich so fliegen könnte wie dieses

kluge alte Tier.

Planänderung: Wenn ich den Mann am Schuppen erschieße und die Drohne nicht wie angekündigt funktioniert, könnte ich eine Leiche sein. Wüsste ich ·doch nur noch, um wie viele Zentimeter eine 5.56er mit einem

16-Zoll-M4-Lauf aus fünfhundert Metern Entfernung vom

Kurs abkommt.

Die Drohne müsste bereits in Position gegangen sein.

Wenn nicht, ist sie es in Kürze. Ich habe den Laser getestet

und die Echopiepser gehört. Die Batterien sind voll. Zielpunktsuche läuft auch astrein - 1 x Vergrößerung wird nichts bringen, deswegen muss ich wohl auf vierhundert Meter ran gehen, um die Chance zu erhöhen, den 3 17

Wächter zu treffen. Sein AK-4 7 kann auf diese Entfernung

zielgenauer sein, also werde ich die Chance nutzen. Habe

nicht fern vom VW-Käfer einen alten Chevrolet-Kombi

gefunden (Bonuspunkte für die lässige Holzverkleidung).

Bei der Überprüfung der Umgebung habe ich die Motorhaube aufgemacht, um die Treibriemen und Schläuche zu begutachten. Einige waren angeknackst, aber allgemein funktionstüchtig. Schlüssel steckte auch nicht, aber damit wurde ich fertig. Mit dem gleichen Verfahren wie

vor Monaten müsste ich dieses alte Schlachtross zum

Laufen bringen, bis es mich nach Wally World bringt.

Ich hatte das Telefon und das Ladegerät dabei, aber der

Treibstoffzusatz lag an meinem Beobachtungsplatz unterhalb der Kammlinie. Ich musste irgendwo Draht ergattern. Ich löste die Batterie mit dem Messer ab, zog sie aus dem Wagen und schleppte sie auf eine Lichtung,

damit mich niemand sah, der zu Fuß des Weges kam.

Ich breitete das Ladeger�t aus, um die Zellen dem Sonnenlicht voll auszusetzen. Die Gebrauchsanweisung besagte, zum Aufladen des Telefons solle man nur eine Zelle der Sonne aussetzen. Dies war eine große Batterie.

Die Solarzelleneinheit hatte keinen Markennamen, was

ich ganz schön eigenartig fand.

Ich deckte die Batterie mit einer Plastikeinkaufstüte

aus dem hinteren Teil des VW ab und setzte nur das aufgeklappte Ladegerät den Elementen und dem teilweise bewölkten Morgenhimmel aus. Gleich ziehe ich los, um

etwas mehr Aufklärungsarbeit zu betreiben und, wenn’s

denn sein muss, den Leuten wehzutun.

3 18

11..oo u�p,

Feindbehausung ist eingeebnet und brennt. Ich bin heute

früh um 8.50 Uhr hier angekommen und habe mich

darauf vorbereitet, mich dem Ziel auf fünfhundert

Meter zu nähern. Das Kräfteverhältnis war identisch

mit dem tags zuvor ermittelten. Ich sah, dass die Dicke

den Rücken eines der ans Mühlrad gebundenen lebendigen Sklaven anschnitt - vermutlich in dem Bemühen, das untote Ding dahinter anzustacheln, es schneller zu drehen. Ich sah nur diesen einen Lebenden, ein Mann in den mittleren Jahren. Sein Rücken wies Kratzer auf, die von den Fingernägeln der Kreatur hinter ihm stammten. Ich bezweifelte nicht, dass der Mann

dem Tod schon auf der Schaufel saß. Ich beobachtete

sorgfältig das Rad, um in Erfahrung zu bringen, ob er

wirklich der einzige lebende Mensch war, der dort im

Kreis ging.

Gegen 9.30 Uhr laserte ich den Boden zwischen dem

Mühlrad und den Unterkünften der Menschen, die dort

beschäftigt waren, mit einem Punkt. Nach etwa sechs

Sekunden bekam ich einen ununterbrochenen Ton auf

3 19

dem Gerät. Ich hielt das Gerät stur aufs Ziel, bis die

lasergesteuerte Bombe aufschlug …

Ich lag zwar flach auf dem Boden, aber die Druckwelle wehte mein Haar trotzdem nach hinten. In meinen Ohren knackte es. Das Gebäude wurde in tausend Fetzen gerissen, und das Mühlrad flog wie eine Frisbeescheibe mindestens dreißig Meter hoch in die Luft. Der Infizierte musste nun tot sein. Die Druckwelle pustete

den Wachschuppen um wie ein altes Plumpsklo und ließ

den Wächter benommen und verwirrt zurück. Schließlich rappelte er sich auf, lief im Kreis herum und schoss in alle Richtungen.

Nachdem ich fünf Kugeln an ihn verschwendet hatte,

holte ich ihn endlich von den Beinen. Ich habe jetzt eine

halbe Stunde lang darauf gewartet, dass sich dort drüben irgendwas rührt. Wahrscheinlich ist es das Beste, alles noch Lebende verbluten zu lassen. Ich werde gleich

mal nachsehen, ob es Überlebende gibt, und dann dafür

sorgen, dass alles Tote auch tot bleibt. Muss mich beeilen, denn der letzte Krach war ziemlich laut und kaum zu überhören - egal ob für lebende oder tote Ohren.

13SO u�p,

Als ich mich dem einzigen nicht vernichteten oder schwer

beschädigten Gebäude näherte, bemerkte ich brennende

Gestalten, die noch auf den Beinen waren. Ich legte mit

der M-4 an, wartete, bis ich auf fünfzig Meter an sie ran

3 20

war und legte sie um. Es waren insgesamt sieben, die ins

Gras bissen. Dann war ich an dem Gebäude und öffnete

die Tür. Das Haus war nur leicht beschädigt und stand

ein bisschen schief. Als ich die Tür aufstieß, fegte mir

ein Fliegenschwarm entgegen und schoss an meinem

Kopf vorbei. Das war der Augenblick, in dem das Satellitentelefon sich meldete und fünfzehn Untote durch die Tür ins Freie strömten. Ich rannte den Weg zurück, den

ich gekommen war, mit den Biestern im Schlepptau.

In der rechten Hand hielt ich das M-4, in der linken das

Telefon …

Ich schoss, so gut ich konnte. Ich versuchte die Dinger

abzuwehren und gleichzeitig zu lesen, was der kleine

Schirm mir sagen wollte. Ich nehme an, es entsprach der

Version des Endes der Welt, in der man mit einem Handy

in der einen und einer Tasse Kaffee in der anderen über

eine Autobahn rast und sich dabei rasiert.

Ich sah nur: »LB: Unidentifizierter nähert sich Ihrer

Pos. Bewaffnet. Reaper-LGB-Kampfbewertung: Wärme zeigt

in Ihrem Gebiet nur zwei lebende Zweibeiner an. Projekt

Hurrikan ausgef … «

Der Rest war unverständlich.

Ich tanzte eine geraume Weile mit den Ghoulen umher,

wechselte zwischendurch Magazine und rannte wie ein

Blöder im Kreis, um sie mir vom Hals zu halten. Dann

passierte es. Ich malte einen roten Punkt auf die Stirn

eines Dings, und sein Schädel explodierte, bevor ich abgedrückt hatte. Dann erst knallte ein Schuss. Als ich das Ding vor mir hinfallen sah, fiel mir jenes, das hinter mir

3 2 1

stand, gar nicht auf. Es war mir fast so nahe, dass es

seine Zähne in meinen Hals hätte schlagen können. Aus

dem Augenwinkel nahm ich wahr, dass auch der Kopf

dieses Angreifers explodierte. Halb verfaulte Knochen

trafen mich an der Schulter, und auch diesmal härte ich

den Schuss mit leichter Verzögerung. Es war nur noch

einer übrig, der mir hätte schaden können, also wartete

ich, behielt Distanz und versuchte, irgendwo Deckung

zu finden.

Ich versteckte mich hinter einem schimmeligen Heuballen und schaute dem nächsten Schädel beim Explodieren zu. Der Knall kam weniger als eine Sekunde, nachdem der Kopf zertrümmert worden war. Er war

zwar nicht ganz kaputt, aber eines beträchtlichen Teils

seines Volumens verlustig gegangen. Ich griff nach meinem Fernglas und suchte die Umgebung ab. Ich sah nichts; nicht die geringste Spur des Schützen. Ich krabbelte fort, bis ich es nicht mehr aushielt, dann rannte ich wie der Blitz zu meinem auf dem Kamm lagernden

Zeug.

Zu meiner Überraschung wurde mir auf dem Weg

hinauf nicht in den Hinterkopf geschossen. Der Geruch

von Rauch und verbranntem Fleisch hing in der Luft, so

dass mir noch übler wurde, als mir in meinem miesen

Gesundheitszustand ohnehin schon war. Ich setzte mich

auf den Kamm und suchte den gesamten Talboden sowie das umliegende Gelände ab. Nach etwa einer Dreiviertelstunde erspähte ich etwas Glitzerndes. Ich konnte nur vage die Umrisse eines Torsos ausmachen, der sich

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auf der anderen Talseite befand, etwa fünf- bis sechshundert Meter entfernt. Die Gestalt hielt einen kleinen Spiegel oder eine Glasscherbe in der Hand. Dann setzte

sie sich in Bewegung. Ich sah, dass der Mann gutes Tarnzeug an den Beinen und das entsprechende Oberteil in der Hand gegenüber seiner Kanone trug. Hin und wieder gab er mir Zeichen, suchte meine Umgebung mit einem Fernglas ab und signalisierte mir, um zu zeigen,

dass er nun wusste, wo ich war.

Nachdem es einige Minuten auf diese Weise hin und

her gegangen war, zog ich den Schluss, dass er, hätte

er mich töten wollen, dies längst hätte tun können. Ich

ließ mein Zeug im Versteck und ging, mit dem M-4 und

der Handfeuerwaffe bewaffnet, zum Talboden runter.

Als wir uns einander bis auf zweihundert Meter genähert hatten, konnten wir auf Ferngläser verzichten und gingen normal weiter. In Pistolenschussweite blieben

wir stehen und gingen in Kampfstellung. Der Mann trug

eine leichte Jacke aus Sackleinen. Er war dunkelhäutig,

hatte schwarzes Haar und einen ebensolchen Bart. Er

legte seine Waffen und den Signalspiegel vor sich auf

den Boden und trat ein paar Schritte zurück.

Meine Pistole steckte in der Hose hinter meinem Rücken, deswegen kam es mir sicher genug vor, die M-4

hinzulegen und ebenfalls zurückzutreten.

Mit einem starken Akzent, der auf den Mittleren Osten

schließen ließ, rief er mir zu: »Ich heiße Saien. Ich hege

keine feindlichen Absichten. Ich bin schon seit Tagen

auf ihrer Fährte.«

323

Mir fiel auf, dass die vor ihm liegende Waffe eine

Scharfschützenknarre vom AR-Typ war.

Ich fragte ihn, warum er mich verfolgte.

»Ich will nach San Antonio, und Sie waren in die gleiche Richtung unterwegs.«

Ich erwiderte, dass ich in den nächsten hundert Jahren unter keinen Umständen nach San Antonio gehen würde.

Saien runzelte zwar die Stirn, als er dies hörte, doch

er hatte mich verstanden, denn er sagte: »Ganz bestimmt

nicht?«

Ich machte ihm klar, dass ich es ernst meinte und der

Stadt im Januar gerade noch vor dem Bombardement

entkommen war. Er fing an, sich aus der Sache rauszureden, indem er meinte, gehört zu haben, manche auf der Liste stehenden Städte seien nicht vernichtet worden.

Ich musste ihm unverblümt zu verstehen geben, dass

ich die Detonation östlich der Stadt aus sicherer Entfernung von einem Flughafen-Tower aus gesehen hatte.

»Sind Sie schon mal welchen von der besonderen Art

begegnet?«, fragte er dann. »Denen, die sich schneller bewegen als die anderen?«

»Einen habe ich ganz sicher gesehen. Auf ‘nem Schiff

im Golf von Mexiko. Sie sind absolut tödlich; denen

muss man aus dem Weg gehen.«

»Das sehe ich auch so, mein Freund. Aus meiner Wohnung heraus, hundertfünfzig Kilometer südlich von Chicago, habe ich sie Dinge tun sehen, von denen ich nicht glauben konnte, dass sie möglich sind. Später dann, auf

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der Straße, als ich Chicago verlassen hatte, habe ich sie

Autotüren öffnen und sogar laufen sehen … wenn auch

nicht weit oder lange. Ich bin mir sicher, dass sie aus

Chicago kommen. Ich habe die Detonation im Januar

durchs Fenster gesehen. Zwei Wochen später kamen sie

dann nach Süden. Ich musste mich .. ; ist schütteln das

richtige Wort?«

Ich leistete mir ein kurzes Lächeln und erwiderte,

dass es wohl das richtige sei.

»Ich habe diese Dinger von einer Tür zur anderen gehen

sehen. So sah es jedenfalls aus. Eins hat sogar irgendwo

geklingelt und den Türknauf gedreht. Als sie in meiner Gegend waren, fielen immer mehr Vögel tot vom Himmel. Die Toten waren dumme Tiere, sicher; aber sie

haben nicht alles vergessen. Wissen Sie, warum?«

ich sagte nur ein Wort.

Strahlung.

»Das Gleiche habe ich von jemandem in Kanada gehört. Er saß vor einem AM-Sender. Ich habe einen beobachtet, der einen ganzen Monat vor einer Tür stand. Erst dann hat er sich gerührt. Er stand unbeweglich da, fast

so, als wäre er eingeschlafen … Dann tauchte plötzlich

ein Waschbär auf der Veranda auf. Das Ding fiel über

ihn her und hat ihn verputzt, bis nichts mehr von ihm

übrig war.«

Ich fragte Saien, was er in San Antonio wollte, und er

erwiderte, er hätte dort viele Brüder. Ich sah ihn nach

hinten greifen und eine Decke berühren, die an seinen

Rücken gebunden war. Als er sah, dass es mir auffiel,

3 25

zog er die Hand zurück. Ich musterte ihn eingehend,

und er sagte: »Allah hat diesen Ort verlassen. Seit dem

Untergang der Menschheit habe ich meinen Glauben oft

hinterfragt und schließlich verloren. Ich bin kein Gläubiger mehr.«

Mein Herz sagte mir, dass Saien eine ehrliche Haut

war und mir nichts tun wollte - jedenfalls nicht heute.

Es war schon irgendwie surreal, wieder mit einem Menschen zu reden.

»Haben Sie noch mehr Zeug?«, fragte ich.

»Natürlich. Ich hab es ebenso versteckt wie Sie das

Ihre da oben auf dem Hügel.«

Dann sagte er: »Ich habe Sie verfolgt und beobachtet,

bevor Sie an diesen grässlichen Ort kamen, Sir … Ich verstehe nicht, wie Sie die Granaten an den Gebäuden befestigt haben. Ich habe Sie nie an die Häuser herangehen sehen. Haben Sie es in der Nacht gemacht?«

»Ich habe sie heute ganz früh angebracht.«

Technisch gesehen log ich nicht mal. Vertrauen muss

man sich verdienen; so etwas kriegt man nicht geschenkt.

Nun war ich an der Reihe, unverblümte Fragen zu

stellen. Ich wollte wissen, wo er gelernt hatte, aus tausend Metern Entfernung Kopfschüsse anzubringen.

»In Mghanistan.«

»Warum auch nicht? Was hat Sie zu uns geführt?«

»Ich war Freiheitskämpfer. Jedenfalls habe ich es ge-

glaubt. Ich bin nach Illinois gekommen, um meinen Brüdern zu helfen. Bevor ich dazu kam, haben die Toten ihren Tanz begonnen.«

3 2 6

Ich beschloss, nicht weiter zu bohren, weil ich der Meinung war, dass diese Diskussion ein guter Tausch gegen die Option war, über die Ursachen der Explosion oder irgendwelche Remote Six betreffende Einzelheiten zu reden.

Ich schlug vor, die Trümmer nach brauchbaren Gegenständen zu durchsuchen. Er war einverstanden. Wir gingen in das Gebäude, vor dem Saien meinen Hals vor

den Kreaturen gerettet hatte. Einige Untote hingen an

Fleischerhaken; dem einen oder anderen fehlte ein Körperteil oder eine Extremität. In der Mitte des Raumes stand ein riesiger Kochtopf, der wie der Suppenkessel

einer Hexe aussah. Ich weiß, dass es kaum zu glauben

ist, aber es sah tatsächlich aus, als hätten diese Leute die

Toten gefressen. Die Kreaturen stierten uns an und rissen das Maul auf. Ich sah in dem Gebäude nichts von Nutzen, also zündeten Saien und ich es an und gingen

raus, um unser Zeug zu holen.

Ich fragte ihn, ob er Draht hätte, da ich welchen

brauchte, um etwas sicher zu transportieren. Er erwiderte verdutzt, er hätte keinen, wüsste aber genau, dass wir welchen in den verlassenen Autos finden würden. Er

hatte Recht, aber irgendwie bekam ich bei der Vorstellung, mich unter eine Motorhaube zu beugen, eine Scheißangst. Ich dachte an das Ungeheuer mit dem Beil, das mich beinahe in zwei Hälften gehauen hätte. Wir sammelten unsere Ausrüstung ein und begaben uns zum Solarladegerät. Saiens Gesellschaft hatte meinen Eifer neu geweckt. Er schien alle zehn Schritte anzuhalten, zu lauschen und die vor uns liegende Ferne mit dem Feldste-3 27

eher abzusuchen. Vielleicht ist das der Grund, weswegen

er noch lebt. Mir fiel auf, dass er ein übergroßes M-16

besaß. Ich erkundigte mich, woher es stammte. Als er es

mir reichte, erzählte er, es auf dem Weg von Chicago nach

Süden im Tower eines verlassenen FEMA-Camps gemopst

zu haben. Bei näherer Inspektion entdeckte ich, dass die

Knarre ein .308er mit Bulllauf war, ein SR-25. Auf das

Zielfernrohr war ein kleines Holovisier montiert. Saien

meinte, dass das Glas unter hundert Metern nichts taugte.

Das Holovisier war für nähere Begegnungen gedacht. Die

Waffe war im Vergleich zu meiner M-4 äußerst schwer.

Der Boden, auf dem wir gerade stehen, ist sehr weit

von Chicago entfernt, und es ist mir schleierhaft, wie er

diese Reise überhaupt gemacht hat. Ich bin kaum mehr

als hundert Kilometer von hier abgestürzt und hätte schon

fast zehnmal ins Gras beißen können.

Wir gingen los und lauschten den ganzen Rückweg

über, bis dorthin, wo der Kombi seit Monaten stand. Es

gefiel mir, mich ohne das ganze Zeug mit leichtem Gepäck zu bewegen. Bei der Rückkehr hatte ich einen regelrechten Horror vor dem Gewicht meines Rucksacks.

Saien und ich teilten uns schnell alle Pflichten auf. Er

baute die Batterie aus, während ich mich auf die Suche

nach Draht machte. Das war das erste Problem. Wir

konnten den Treibstoffzusatz nicht einfüllen, ohne in

Erfahrung zu bringen, ob noch Sprit im Tank war. Es

wäre eine Verschwendung der Lösung gewesen. Wir mussten die Batterie anschließen, Strom ins Armaturenbrett leiten und dann die Gebrauchsanweisung prüfen, um zu

328

berechnen, wie viel Benzin im Tank war, damit man

ihm die passende Mischung zuführen konnte. Das war

zu viel Mathematik.

Als Saien die Ba:Uerie wieder zum Kombi schleppte,

verließ ich unsere Operationsbasis. lch hatte mein Multitool und die schallgedämpfte Pistole dabei. Ich ging zu dem VW-Käfer, um ihm die Gedärme rauszuschneiden,

damit wir endlich nach Süden abhauen konnten. Die Explosionen und Schüsse machten mir Sorgen. Seit januar ist es noch nie passiert, dass eine Knallerei nicht irgendwelche wandelnden Leichen angezogen hätte. Ursache und Wirkung galt noch immer. Als ich mich dem Käfer

näherte, sah ich schon einen auf der Straße, die hinter

dem Wagen in die andere Richtung führte. Es war ein

bewölkter Tag. Alles sah nach erneutem nervenden Sprühregen aus. Das typische Mistwetter, das den Menschen deprimiert.

Die Kreatur stand mitten auf der Straße. Ich erreichte

den VW in dem Moment, in dem der erste Donnerschlag

ertönte. Die Kreatur rührte sich und blickte sich um, als

hielte es nach der Quelle des Lärms Ausschau. Blödmann.

Ich öffnete die Heckklappe des Käfers, um an die Verkabelung rings um den Motorblock ranzukommen. Die nächsten Donnerschläge nutzte ich, um meine Tätigkeit

zu tarnen, denn ich schnitt genug Draht ab, um den

Kombi-Anlasser zum Laufen zu bringen. Mir war, als

müsste ich alle paar Sekunden aufschauen, um mich zu

versichern, dass das untote Ding meine Anwesenheit

noch nicht zur Kenntnis genommen hatte. Das Mistvieh

329

ging den Hauptweg rauf, auf Saien und den Kombi zu.

Nachdem ich dem Käfer auch den letzten Kabelrest entrissen und selbigen in meine Hose gestopft hatte, zog ich die Pistole und machte mich schnell auf den Weg,

um das Ding abzufangen. Ich war neben dem Highway

unterwegs, als ich Saien plötzlich rufen hörte: »Sie müssen sich beeilen, mein Freund!«

Die Kreatur trabte nun genau in seine Richtung. Ich

musste laufen, um sie zu schnappen, denn sie war schneller als jede, die mir bisher begegnet war. Sie rannte zwar nicht gerade, war aber schnell genug, um mich, wie

Saien sagen würde, schütteln zu machen. Und jetzt wurde

mir erst einmal klar, wie schwierig es ist, während des

Laufens mit einer Pistole zu treffen. Die Kreatur behielt

einen steifbeinigen Pseudo-Dauerlaufbei, bis die schallgedämpfte Kugel, die ich abfeuerte, ihre Schulter traf und sie zu Boden warf. Ich nutzte den Vorteil und behielt mein Tempo bei, damit ich schneller bei ihr war und ihr einen Kopfschuss verpassen konnte. Das Ding

war aber trotz seiner zerschmetterten Schulter so schnell

wieder auf den Beinen wie ein aufs Maul gefallener

Sportler. Es fauchte und setzte seinen steifbeinigen Lauf

in meine Richtung fort. Ich legte mit der Waffe an und

verpasste ihm drei Kugeln in den Schädel, so dass es zuckend zu Boden fiel.

Ich rannte zu Saien. Als ich bei ihm war, war ich derart

außer Atem, dass ich Sterne sah. Er deutete die Straße

hinunter und reichte mir sein Gewehr. Es war verdammt

schwer, was meinen Respekt für die Konstitution des

330

Mannes bestätigte. Er war eindeutig ein zäher Knochen,

sonst hätte er die Kanone nicht so weit schleppen können. Ich stellte das übergroße .308 AR auf der Kombi

Motorhaube auf sein Zweibein und peilte durch sein

Zielfernrohr eineinhalb Kilometer weit geradeaus nach

unten. Hinter dem Messkreuz sah ich deutlich ganze

Bataillone von Kreaturen über den Highway in unsere

Richtung kommen. Das Zielfernrohr war stark genug, um

mich wissen zu lassen, dass wir bald viel Gesellschaft

haben würden.

Ich fragte Saien, wie weit sie entfernt seien. Er sagte:

»Zwei Kilometer.«

Dann hatten wir bestenfalls eine halbe Stunde.

Saien schaute nervös drein, deswegen hielt ich es für

unangebracht, ihm mitzuteilen, dass ein verstrahlter Toter

schon fünf Minuten eher hier sein könnte, um ihm in

den Arsch zu beißen. Im Hinterkopfwusste ich, dass ich

noch über eine weitere lasergesteuerte Bombe auf der

Drohne verfügte, die über mir ihre Kreise zog. Meiner

Ansicht nach gehörten zu der Gruppe da unten mindestens fünfzig Untote. Ich fragte Saien, wie er die Sache sähe.

Er lachte mir ins Gesicht und sagte: »Nein, was Sie da

sehen, sind weit mehr als hundert Ungläubige.«

Ich arbeitete schnell und erklärte ihm, was ich tat.

»Stecke Kabel in Kabeltrommel … Verbinde Kabel mit … «

»Ja, ja, mein Freund«, unterbrach er mich. »Ich weiß…

Positives Ende an die positive Seite der Trommel. Wir

müssen schneller werden.«

3 3 1

Einmal half er mir mit dem Kurzschließen, dann wieder schätzte er ab, wie nahe die Ungläubigen uns gekommen waren.

»Achtzehnhundert Meter.«

»Roger.«

Ich wies ihn an, zu meinem Rucksack zu laufen und

den Treibstoffzusatz aus der Seitentasche zu ziehen.

Nun, da wir Strom im Armaturenbrett hatten, sah ich

die Treibstoffanzeige. Ich schaltete schnell Scheinwerfer

und Heizung aus, um Strom zu sparen. Ich überprüfte

die Armaturen. Der Tank war halb voll. Dann schaltete

ich aus Gründen der Sparsamkeit den Strom ab. Ich zog

das Handbuch des Besitzers heraus und stellte fest, dass

der Kombi noch etwa 25 Liter im Tank hatte. So schnell

wie nie rechnete ich aus, dass die Menge, die ich dem

Tank zufügen musste, weniger als ein Viertel der Flasche

betrug. Der Sprit in diesem Tank stand hier nun seit

mindestens neun Monaten herum. Vermutlich war er

schon ein Jahr alt. Ich glaubte nicht, dass er unbrauchbar war, also beschloss ich, ein Achtel des Flascheninhalts in den Tank zu kippen. Ich arbeitete schnell und schüttelte den Wagen dann hin und her, damit die Lösung sich so gut wie möglich mit dem Sprit vermischte.

Im gleichen Augenblick, in dem ich auf dem Flaschenetikett »Bis zum Verbrennungsvorgang eine Stunde warten« las, rief Saien: »Fünfzehnhundert Meter!«

Wir hatten keine Stunde mehr. Als ich Saien nach der

Lage fragte, erhielt ich keine Antwort. Er schüttelte nur

den Kopf und klebte mit einem Auge an seinem Zielfern-