hl’i seiner Tätigkeit zu. Es versuchte tatsächlich, zu mir
rauf zu klettern. Ich wollte nicht zweimal den gleichen
Fl’hler begehen. Dieser Angehörige des gebildeten Zehntl’ls der Untaten musste verschwinden. Ich schaltete den Anzeiger meiner Waffe ein und schoss der Kreatur ins
Gl’sicht, so dass sie auf der Stelle nach hinten fiel. Vor
1hrem Ableben hatte sie viel Lärm gemacht, deswegen
wurde es Zeit für mich, Abschied zu nehmen.
Bevor ich ging, durchsuchte ich die Kreatur nach etwai-
1-:l’ll Dingen von Wert. Und ob man’s glaubt oder nicht,
223
es besaß eine zerschrammte Uhr mit einem Plastikarmband. lch riss sie mir unter den Nagel und begutachtete das Display, bevor ich sie und das Beil im Rucksack verstaute. Da stand 7.10. und 12.23 Uhr.
Ich ging weiter nach Südwesten und passierte eine
Szene des Verfalls nach der anderen. Wie lange war es
nun her, seit ich den ersten Untaten gesehen hatte? Ich
schritt aus und stellte mir vor, wie es wäre, mich mit jemandem zu unterhalten. Allmählich überkam mich ein Gefühl der Einsamkeit. Seit mein Überleben anstand,
war dieses Empfinden meine bisher ernsteste Emotion.
Es mag bei jedem Menschen anders sein, aber für mich
ist das Gefühl, einsam zu sein, am stärksten mit Furcht
verbunden.
Ich schob zwar fortwährend alle Gedanken an Untote
beiseite, aber woran ich dachte, konnte ich nicht bestimmen. Der Alptraum brachte mich in ein offenes Gelände, das ich durchquerte, um zu einem Waldgebiet zu gelangen. Wie in einer Kriegsfilmszene lag das Gelände gerade halb hinter mir, als ein ganzes Heer verstrahlter Untoter auf einer Hügelkuppe auftauchte. Sie liefen sofort auf mich zu. Noch bevor ich die Fäulnis in ihren Augen
sah, kam ich zu mir und marschierte weiter. Ich hörte
kein Geräusch. Nur der leise Wind, der über mein Gesicht strich, sagte mir, dass ich mich wieder in der Wirklichkeit aufhielt.
224
: Caddo Lake i
Gestern bin ich marschiert, bis ich an einen See kam. Auf
den Schildern, die seine Existenz meldeten, stand ) Caddo
Lake Bootssteg - Gera«. Die letzten Buchstaben des »Geradeaus« hatte vor langer Zeit eine Schrotflinte zerschossen.
Gegen 14.00 Uhr erreichte ich den See, deswegen musste
ich sofort anfangen, für die Nacht Vorbereitungen für ein
sicheres Verkriechen zu treffen. Ich machte mich vorsieht ig zum Bootshafen auf, wobei mir Matagorda Island einfiel und wozu die dortige Lage am Ende geführt hatte.
Viele Boote waren noch vertäut, doch einige hatten sich
der Tiefe ergeben und einen Teil des Kais gleich mit hin
;abgezogen. Zwei Segelboote ansehnlicher Größe dümpelten auf dem Wasser und waren festgemacht. Das eine wirkte jedoch unbrauchbar. Der Eigner hatte die Segel an
I >eck belassen, wo sie Wind und Wetter monatelang aus
)tl’Setzt gewesen waren. Die Segel des anderen, schätzungs
Wl’ise sieben Meter langen Bootes, waren, wie ich annahm,
wrstaut, so dass man es verwenden konnte. Auf der Vor
‘rhiffreling sah ich einen aufgebockten betriebsbereiten
Anker und eine Kette mit einer Handkurbelwinde.
225
Ich war nur dreißig Meter von dem Boot entfernt. Nahe
genug, um anzuhalten und die Umgebung zu begutachten. Mit dem Proviant und dem Wasser, das ich bei mir hatte, konnte ich das Boot klauen, auf den See hinaus
fahren und heute Nacht endlich richtig schlafen.
Mein Ziel war Südwesten: Hotel 23. War der See zu
meinem Vorteil geformt, konnte ich auf der Sicherheit
des mich umgebenden Gewässers eine Menge Land gewinnen. Ich ging näher an das Boot heran, sah aber nichts, was mir gefährlich werden konnte. Da ich kein
Risiko eingehen wollte, schaute ich mich beim Gehen
ständig nach allen Seiten um. Wäre das Glück nicht auf
meiner Seite gewesen und das Mistvieh mit dem Beil
näher an mich rangekommen, läge ich jetzt vielleicht tot
oder abkratzend auf der Motorhaube des gelben Busses.
In einem nervösen Augenblick zog ich erneut den
Schlitten meiner Waffe zurück, um mich zu versichern,
dass ich einen Schuss im Lauf hatte. Dabei fiel eine
9-mm-Patrone auf den Boden. Ich hob sie auf und schob
sie in die Tasche. Ich ging näher an das Boot heran …
Hatte ich eine Kugel im Lauf?
Ich fragte es mich schon wieder. Ich verdrängte meine
Furcht und ging weiter. Ich war im Freien. Jeder konnte
mich sehen. Ich kam ans Boot. Es wirkte verlassen. Die
Nylontaue an Deck waren angeschimmelt und voller
Vogelkacke. Die Vorhänge der Kabine unter Deck waren
vorgezogen und erlaubten keinen Blick ins Innere.
Ich überprüfte nochmal meine Umgebung, dann sprang
ich rüber auf den Steuerbordlaufsteg. Als ich mich zum
226
Heck durchquetschte, sah ich Überbleibsel von blutigen
Abdrücken nackter Füße. Sie führten ganz nach Achtern. Ich setzte meinen Weg fort und sorgte dafür, dass das gefahrliehe Ende meine Waffe in alle toten Winkel
zeigte. Ich folgte den Abdrücken, bis sie vom Heck aus
ins Wasser führten.
Meine nächste Aufgabe bestand darin, mich zu versichern, dass mich in der Kabine unter Deck keine Überraschung erwartete. Ich schaltete das Lämpchen an der Waffe ein und schob die Tür auf. Kein Geruch. Ich arbeitete
mich in die Eingeweide des Segelbootes vor und duckte
mich, damit mein Kopf nicht gegen den Kram stieß, der
an der Decke hing. Wenn man vom vertrauten Geruch des
Alten absah, war das Boot verlassen. Ich untersuchte Segel.
Anker und die gesamte Takelage, weil ich sicher sein
wollte, dass der Kahn mich über den Caddo tragen konnte.
Die Segel waren angeschimmelt, aber noch brauchbar. Der Motor würde vermutlich nie wieder laufen, deswegen hielt ich es für überflüssig, ihn auch nur auszuprobieren. Das Einzige, was wirklich zählte, waren Segel, Anker und Ruder. Ich durchsuchte die Vorratskammer.
Da war nichts außer vergammeltem alten Trockenfleisch,
zwei Flaschen trübem Wasser und einem Stück Seife. In
einem kleinen Laderaum fand ich ein aufblasbares kleines Rettungsboot. In einem Netz arn Schott im Laderauminneren hing ein Marinefernglas der Marke Steiner.
Das kam mir gut zupass und wird mir, bevor ich wieder
an Land gehe und mich auf den Weg nach Süden mache,
gute Dienste leisten.
227
Nach einem weiteren Blick durchs Bullauge setzte ich
die Segel, damit ich auf den See hinaus fahren konnte,
um mich endlich zu entspannen und auszuschlafen. Da
mir der Gipfel des Mount Everest und die Internationale
Raumstation (arme Hunde) nicht zugänglich waren, war
dies der sicherste Ort, den ich mir gegenwärtig wünschen
konnte. Meine Segelstunden lagen zwar schon eine Weile
zurück, aber ich wusste noch, wie man den Baum schwingt
und Segel setzt und einholt. Dass der Wind ganz auf
meiner Seite war, machte mich zum zweiten Mal in
achtundvierzig Stunden zu einem Glückskind. Ich bin
mir aber sicher, dass die nächste Scheiße schon irgendwo auf mich wartet.
Ich stieß mich, am Bug stehend, vom Kai ab und begann meine Reise nach Südwesten, vom kleinen Zufluss fort in die Seemitte. Die Segel fingen den mäßigen Wind
ein und schoben mich mit flotten drei Knoten meinem
Ziel entgegen. Ich fühlte mich sauwohl, vergaß meine
gegenwärtige Lage und stellte mir vor, ich segelte vor
dem Weltuntergang auf dem Beaver Lake. Ich tat so, als
hätte ich Heimaturlaub; als sei ich auf Besuch bei meiner Familie und freute mich schon auf Omas Braune Bohnen.
Am Ufer war keine Spur von Untaten zu erkennen,
aber ich war ja auch ein ordentliches Stück vom Land
entfernt. Ich achtete sorgfaltig darauf, in der Mitte des
schmalen Kanals zu bleiben, der sich zum See hin öffnete. Als ich mich der Zuflussmündung näherte, stellte ich das Ruder fest und lief rauf, um die Segel zu reffen.
228
Ich wollte weit genug vom Land entfernt sein, um mich
sicher zu fühlen, aber auch nahe genug an ihm dran,
um problemlos ans Ufer schwimmen zu können, falls irgendwas mit meiner schwimmenden kleinen Zuflucht schiefging.
Als das Boot in die sichere Zone kam, die ich mir ausgesucht hatte, stand die Sonne schon niedrig. Ich warf den Anker und schätzte die Tiefe des Sees aufvielleicht
achtzehn Meter. Ich packte mein ganzes Zeug aus und
hängte alles Feuchte zum Trocknen auf. Dann schaute
ich mich nochmal überall im Boot um und nahm mir
den Bug und die Kombüse vor. Genießbarer Proviant war
nicht zu finden, aber ich stieß auf einen Putzeimer aus
Zinn und einen alten Grillrost, der nach der letzten Benutzung gereinigt und vor langer Zeit verstaut worden war. Am Bug fand ich einen ZeitschriftenstapeL ich wollte
ihn als Klopapier verwenden, wenn das echte zur Neige
ging.
Ich hatte vielleicht noch eine Stunde Tageslicht, also
nahm ich den Putzeimer und tauchte ihn ein, um Wasser an Bord zu holen. Dann nahm ich die Seife und den Grillrost und verwendete letzteren als Waschbrett, um
mein ganzes dreckiges Zeug zu reinigen. War zwar nicht
so gut wie eine Miele, aber besser als nichts. Meine Socken und meine Unterwäsche rochen allmählich auch nicht mehr so toll, und in den Achselhöhlen und im
Schritt fängt es an zu jucken. Ich verbrachte den Rest des
Tageslichts mit Waschen und Wringen und verwendete
ein Stück Nylonschnur, das ich am Heck in einer Truhe
229
fand, unterhalb des Schutzgeländers als Leine, damit
der Wind nichts über Bord wehte.
Als die Sonne am Ufer hinter den Baumwipfeln verschwand, zog ich mich in die Kabine zurück. Ich war nur in die grüne Wolldecke eingewickelt, die ich in dem
alten Farmhaus requiriert hatte. Hoffentlich wurde ich
nicht nackt in ein Feuergefecht verwickelt. Zum ersten
Mal seit geraumer Zeit habe ich den Eindruck, dass ich
mich sorglos zum Schlafen hinlegen kann.
Ich habe bis 8.30 Uhr geschlafen. Ein leichter Ostwind
hat das Boot in die Brise geschoben. Die Fäden an meiner Stirn haben gejuckt. Ich wusste, es war an der Zeit, sie zu ziehen. Mit dem Spiegel vom Bug und der Nadel,
die ich benutzt hatte, um die Wunde zu nähen, habe
ich einen Faden nach dem anderen entfernt. Nach etwa
fünf Minuten hielt ich inne, denn mir kam die Idee, es
sei vielleicht ganz gut, die Wunde mit etwas heißem
Wasser zu säubern. Dann überlegte ich es mir anders,
denn mir wurde klar, wie gefahrlieh es werden kann,
mitten auf einem See auf einem Boot, auf dem mein
ganzes Zeug ausgebreitet lag, Feuer zu machen. Ich hatte
Visionen von einem Leuchtfeuer, das allen Untoten und
sonstigem Lumpenpack im Umkreis von dreißig Kilometern anzeigte, wo ich war. Ungefahr zehn Minuten später war ich fertig. Ich reinigte die Wunde, so gut es
230
ging, und behandelte sie mit einer kleinen Menge des
abgelaufenen Dreifach-Antibiotikums.
Gegen Mittag waren meine Klamotten trocken. Am
westlichen Horizont bildeten sich einige Wolken. Es sah
nach Regen aus. Ich brachte mein Zeug in die Kabine,
legte es, so gut ich konnte, zusammen und packte es in
der Reihenfolge ein, von der ich annahm, dass ich sie
brauchte. Bevor ich mich für den Tag anzog, tauchte ich
den Putzeimer nochmal ins Wasser und nahm eine Art
Schwammbad, bei dem ich eine Socke als Waschlappen benutzte. Es war zwar keine heiße Dusche, aber ich fühlte mich anschließend sehr viel besser als in meinem
vorherigen verdreckten Zustand. Ich trocknete mich mit
der Wolldecke ab und wollte mich gerade anziehen, als
ich sie in der Ferne hörte. Der Wind trug ihr Geschrei zu
meiner Zuflucht, und ich wurde wieder mal daran erinnert, dass ich nicht auf einem Campingausflug oder l’iner Vergnügungswanderung den Appalachian Trail
hinab war. Ich nahm an einem tödlichen Spiel teil.
Ich konnte nicht erkennen, wie weit sie entfernt waren,
aber es spielte auch keine Rolle. Mit dem erbeuteten
Fernglas suchte ich den Uferrand ab. Nördlich von mir
bewegte sich etwas am Ufer entlang. Aus der Entfernung
hätte es auch ein Hirsch sein können. Ich ging genau in
dem Moment unter Deck, als es anfing zu regnen. Ich
überprüfte nochmal mein Zeug. Am Waschbecken fand
ich etwas Motorenöl, das ich dazu verwendete, einige
kritische Teile meiner Waffen einzuölen. Meiner Meinung
nach muss etwas, das für eine Maschine gut ist, auch
2 3 1
gut genug für eine Waffe sein. Meine Kanonen hatten in
den vergangenen Tagen ein bisschen arbeiten müssen,
deswegen dachte ich, es könnte nicht schaden.
Als ich die SMG abrieb, härte ich erneut ein leises
Summen. Ich fühlte mich an das Wasserrohr erinnert,
an dem ich mich Tage zuvor aufgehalten hatte. Das Geräusch schien mir mechanischen Ursprungs zu sein.
Ich hatte genug Tageslicht, um mich im Boot hinzusetzen und einen Plan auszutüfteln. Ich wusste: Hotel 23
lag südsüdwestlich von mir. Pi mal Daumen betrug die
Entfernung dreihundert Kilometer. Meine allgemeine
Richtung müsste 220 bis 230 Grad betragen. Bei dreihundert Kilometern, deren größten Teil ich zu Fuß zurücklegen würde, musste ich bei fünfzehn Kilometern am Tag grob gerechnet einen Monat unterwegs sein. Mein
Plan lautet - falls irgendjemand dies findet - wie folgt.
Ich folge der groben Richtung von Caddo Lake nach
Nada, Texas, bis ich den Stützpunkt erreiche. Mein erstes Ziel sind der Einbruch in eine Tankstelle und der Raub einer Straßenkarte. Vielleicht finde ich auch eine
in einem der vielen verlassenen Autos, die am Wegesrand stehen.
Wenn ich erst mal Straßenkarten habe, kann ich mir
einen besseren Weg suchen und Städte und Ortschaften
umgehen, statt blindlings in sie reinzustolpern. lch werde
mir was zu beißen erjagen, um meinen verderblichen
Proviant zu ersetzen, und nach Möglichkeit nur bei Nacht
unterwegs sein. Meine Prioritäten sind Wasser, Proviant,
Medikamente, Batterien und Munition. Komisch, wie die
232
Prioritäten wechseln. Ganz am Anfang hätte Munition
bei mir an erster Stelle gestanden.
Auf diesem See haben Geräusche merkwürdige Eigenschaften, als würden absonderliche Parabolantennen die Laute der Toten regelrecht anziehen, bis direkt zum Mast
des Segelbootes. Ich höre ihr Stöhnen und Röcheln. Es
ist schrecklich. Bei dem Gedanken an die Untaten holte
ich mein Notfunkgerät heraus und startete einen neuen
Versuch. Ohne Erfolg. Ich nahm mir nochmal das Fernglas und suchte das Ufer ab. Ich konnte sie überall am Ufer sehen. Sie schwärmten wie Möwen am See entlang.
Ich erkenne jede Änderung ihrer Bewegungen am Ufer.
Eher früher als später werde ich wieder an Land gehen
und meinen Weg nach Süden fortsetzen müssen. Ich bin
nicht wild darauf, einen 300-Kilometer-Marsch durch eine
von Untaten wimmelnde Landschaft zu absolvieren und
dabei fast dreißig Kilo Gepäck zu schleppen.
Immer wenn ich über mein gegenwärtiges Leben nachdenke, kann ich nicht fassen, was hier läuft. Die Selbstmordquote unter Überlebenden muss in den letzten Monaten in die Höhe geschossen sein wie eine Rakete. Es 233
vergeht kein Tag, an dem ich nicht daran denke, hier
und jetzt Schluss zu machen. Der Kalender kennt keine
rot angekreuzten Tage mehr. Es gibt keine Ruhetage
mehr, an denen man sich einfach hängen lassen kann.
Selbst hier auf dem Boot träume ich, dass sie es schaffen, irgendwie an Bord zu kommen und mich zu packen. Nun, da mein Kram sicher zentralisiert ist, sieht es aus, als könnte ich mir heute Abend eine Dose Chili mit
abgekochtem Seewasser gönnen. Ich kann nur hier rumsitzen, den sich ankündigenden Sonnenuntergang genießen und das unheimliche Gebell in der Ferne überhören.
I 0. p� 1ll�EP.
b.3o u�p,
Ich fühle mich gut ausgeruht und genügend erholt, um
übers Wasser nach Südwesten zu fahren. Ich habe die
Absicht, mein Zeug dreimal zu überprüfen und die Segel
zu setzen, um ans Ufer zu gelangen. Die absolute Leere
des Sees verstärkt meine Einsamkeit noch mehr. Mir fallt
ein, dass ich vor ein paar Jahren mal in einer Jugendherberge im australischen Brisbane war. Um zu verhindern, dass ich beklaut wurde, hatte ich mir ein Einzelzimmer
genommen. Ich blieb drei Tage lang dort, weil ich einen
Tag brauchte, um den Kater zu kurieren, den ich mir an
den ersten beiden Tagen geholt hatte. Irgendwie erinnert mich die Zeit des Alleinseins in Brisbane an das, 234
was ich jetzt empfinde. Vielleicht ist es die Tatsache,
dass ich ohne jede Gesellschaft reise und das Einzige,
um das ich mich kümmern muss, mein Rucksack und
meine Waffen sind.
1…1….oo u�p.
Als ich etwa eine Stunde lang an den Segeln rumgepfuscht hatte, holte ich den Anker ein und fuhr sehr langsam nach Südwesten. Ich weiß, dass die Dinger das
Segel sehen. Ich wusste nur nicht, inwiefern der Anblick
von etwas, das sich auf dem Wasser bewegt, ihre Entscheidung beeinflusst, der Sichtung zu folgen. Mein Plan war, das Boot auflaufen zu lassen, um Zeit zu sparen. Ich
konnte es mir zeitlich nicht leisten, ordentlich anzule
�en und das Boot zu vertäuen. Ich hatte eine Reise ohne
Rückfahrt im Sinn, denn wenn das Boot einmal aufgelaufen war, brauchte man ein zweites - mit Motor -, um l’S wieder ins Wasser zu ziehen. Mit dem Fernglas suchte
ich das Ufer nach Anzeichen dafür ab, dass die Untoten
auf meine Gegenwart reagierten.
Ich befestigte ein mit Knoten versehenes Tau am Bug,
damit ich, wenn es so weit war, problemlos von Bord gel;mgen konnte. Mich achtsam unter dem Schwingen des Sl·gels bewegend, legte ich meine drei 9-mm-Magazine
lür die MP-5 dorthin, wo ich leicht an sie rankam, und
das vierte mit 29 Schuss gespickte Magazin in die Kanone selbst. Ich wollte keinen Fehler machen, denn dies 2 3 5
war nicht die Normandie von 1944, sondern der Caddo
Lake der Gegenwart, an dem sich vermutlich mehr Ghoule
als deutsche Soldaten herumtrieben - und ein einzelner
Mann, der ihnen ihre Grenzen aufzeigen musste.
Ich hätte es gern gesehen, wenn das Schiffchen langsamer als fünf Knoten hätte fahren können. Ich wollte mich dem Land etwas vorsichtiger nähern. Nachdem
ich den Bug über zwei Stunden hinweg von Back- nach
Steuerbord gerichtet hatte, hatte ich endlich gute Aussicht auf den Landkopf, den ich mir vorknöpfen wollte.
Eine erste Zählung ergab ein Dutzend am Ufer stehende,
mich mit eisigen Blicken messende Untote. Mit dem Aufsplitterungsverfahren, das das Militär mich gelehrt hatte, unternahm ich einen jämmerlichen Versuch, die Vorstellung, in Stücke gerissen zu werden, aus meinem Hirn zu vertreiben.
Da ich wusste, dass mein Boot einen Tiefgang von mindestens eins neunzig hatte, erwartete ich, wenn die Segel es schoben und der Kiel auf das felsige Ufer krachte,
einen ziemlich heftigen Aufschlag. Als ich mich dem
Land näherte, band ich den Baum los und legte mich,
die Füße an die Bugreling gedrückt, auf den Rücken.
Als ich an Deck lag, versuchte ich das geistige Bild der
Untoten aus meinen Gedanken zu verdrängen, indem
ich zum Mast und zu den Wolken am Himmel hinaufschaute. Dann kam der Aufschlag …
Das Boot wankte heftig nach Backbord. Ich hörte, dass
unter Deck alles aus den Regalen fiel und auf die Planken knallte.
2:56
Ich sprang auf, schulterte den schweren Rucksack und
entsicherte die MP. Meiner Schätzung nach waren etwa
zwanzig Untote in meine Richtung unterwegs. Es konnten aber potenziell Tausende werden, wenn ich nicht schnell abhaute. Mit der kurzläufigen MP knipste ich
fünf Gestalten aus, was mir genügend Zeit verschaffte,
um an dem verknoteten Tau zum Ufer hinabzuklettern.
Ich hatte noch etwa neunzehn Schuss im Magazin, denn
mit der SMG kam ich nur auf ein fünfzigprozentiges
Kopftreffer-Verhältnis. Ich wusste, dass meine Glock geladen und als Ablösung einsatzbereit war, als ich am Ende des Taus aufWasser traf. Ich suchte sorgfältig nach
Lücken in der etwa noch zehn Nasen zählenden Gruppierung und verärgerte sie, indem ich erneut die sich durchs Öhr schiebende Nadel gab und ihre Reihen so
schnell wie nur was durchbrach.
Wenn ich diese zehn Viecher nicht abhängte, würden
hundert aus ihnen werden. Also beschloss ich, so schnell
wie möglich und für alle sichtbar am Ufer entlangzurennen, bis sie sich an mich hängten. Nach knapp eineinhalb Kilometern wurde mir das Laufen mit dem Rucksack so gut wie unmöglich. Ich wandte mich um neunzig Grad nach rechts, zum Waldrand außerhalb der Sichtweite meiner Verfolger, und bewegte mich danach
etwa eine Stunde lang nach dem System »zwanzig Schritte
gehen, zwanzig Schritte laufen«. Dann hatte ich die Ontoten erfolgreich abgehängt und erreichte die offene Prärie einer Gegend, die ich in eher schwacher Überzeugung für Texas hielt. Bis ich eine zuverlässige Landkarte 237
dieser Gegend auftreibe, will ich nach Westen gehen,
um einen zweispurigen, von Norden nach Süden verlaufenden Highway zu finden. Dem folge ich dann nach Süden, bis zu der Interstate, die von Osten nach Westen
geht und nach Dallas führt. Natürlich habe ich nicht
vor, Dallas einen Besuch abzustatten. Niemals. Ich folge
einfach nur dem zwischenstaatlichen Highwaynetz in
die allgemeine Richtung nach H23, indem ich die Beschilderung als Navigationshilfe verwende.
Als ich, die Sonne im Rücken, nach Westen wanderte,
kam ich mir trotz der schmerzhaften Blasen an den
Füßen viel kräftiger vor. Was hätte ich nicht alles für
etwas Moleskin-Baumwolle gegeben. Vielleicht versuche
ich -es mit Klebeband. Am späten Nachmittag stieß ich
auf einen einsamen zweispurigen Highway und schritt
vorsichtig nach Osten aus. Mein Wasservorrat war auf
eine halbe Kamelblase geschrumpft, deswegen hielt ich
es für das Beste, an der Brücke anzuhalten, die über den
nächsten Bach führte, und meinen Vorrat zu ergänzen.
Ich musste fast zwei Kilometer neben der Straße her laufen, bevor ich ein metallenes Abflussrohr sah, das unter dem Feld, über das ich ging, zur Straße hin verlief.
Das Steiner-Fernglas war sein Gewicht schon deswegen wert, weil es mir half, Wasser zu finden. Als ich mich dem Rohr vorsichtig von Nordwesten her näherte,
sah ich ein halbes Dutzend toter Rinder - beziehungsweise das, was noch von ihnen übrig war. Die Läufe fast aller Kadaver lagen auf dem Feld verstreut, was den
Anschein erweckte, dass die Untoten die Tiere gef<illt
238
hatten. Ich hätte auch verwilderte Hunde oder Kojoten
dafür verantwortlich gemacht, wenn ich keinen wandelnden Leichnam mit einem Hufabdruck im Gesicht und dem Mund voller weißhaariger Kuhhaut gesehen
hätte. Das Tier hatte anscheinend einen Untoten umgerannt und ihm dann einen tödlichen Tritt versetzt. Egal.
Die Untoten hatten die Rinder vermutlich wie Amazonas-Piranhas umschwärmt. Ich konnte mir das Ereignis lebhaft vorstellen. In den ersten Monaten war allerhand
los gewesen.
Ich ließ das Feld hinter mir und begab mich zum Wasser. Ich hörte es tröpfeln, als es aus dem Rohr unter dem Highway herauslief. Der Rohrdurchmesser entsprach
etwa dem eines 150-Liter-Fasses. Ich zog die Wasserblase
raus und hatte gerade angefangen, sie zu füllen, als aus
dem Rohrinneren ein schleifendes Geräusch an mein
Ohr drang. Als ich in die Finsternis hineinblickte, erkannte ich den Umriss eines Menschen und dachte natürlich sofort, es müsse eins der Dinger sein. Ich schaltete die Taschenlampe an und entdeckte den teilweise verwesten Leib einer Kreatur, die zwischen Abflussgeröll
feststeckte und nicht in der Lage war, das Rohr zu verlassen.
Der Kopf des Dings war in einer Position gefangen, in
der es mich nicht sehen konnte. Es wusste aber, dass
ich da war. Ich schüttete das vergiftete Wasser aus und
trocknete das Innere der Kunststoff-Wasserblase, so gut
ich konnte, mit einem sauberen Unterhemd. Ich überließ den armen Hund dem Verfaulen und zog wieder 239
los, um Wasser zu suchen. Nun, da ich gezwungen war,
aufmeinen gesamten Wasservorrat zu verzichten, wurde
mein Durst noch größer.
Ich folgte dem zweispurigen Highway nach Süden.
Das Fernglas zeigte mir, dass ich in Richtung Highway
59 ging. Ich gönnte mir ein paar Minuten, um es ins
Tagebuch zu kritzeln. Dann suchte ich wieder nach grünen Schildern, die die Entfernung zum nächsten Ort verkündeten.
HWY 5‘1
Die Sonne ging unter, weswegen ich trotz meines Durstes entschied, die mir noch verbleibende Tageslichtstunde zu nutzen, um mir ein sicheres Nachtquartier zu suchen. Zwar standen in der Nähe der Straße auch Häuser, doch fehlte mir die Zeit, vor Sonnenuntergang einzubrechen und sie ordentlich zu durchsuchen. Ich blieb also ständig in Bewegung und hielt alle Nase lang mit dem
Fernglas Ausschau, bis ich einen geeigneten Ort zum
Schlafen fand - ein relativ leicht erklimmbares Dach.
Ich hielt auf einem Feld an und überprüfte meinen
Rucksack, denn ich wollte sicher sein, dass alles an Ort
und Stelle war, wenn ich die Straße überquerte und zu
meinem Zielhaus ging. Ich legte die erbeutete Wolldecke oben drauf, um sie leicht erreichen zu können, und schob 9-mm-Munition in die mit Reißverschlüssen
versehenen Täschchen auf der Rucksackklappe. Dann
warf ich die Magazine der MP5 und der Glock aus, um
240
zu sehen, ob sie voll beladen waren - fünfzehn plus eins
in der Glock und neunundzwanzig plus eins in der MPS.
Die Waffen im Anschlag. die MPS auf Einzelschuss geschaltet und den Rucksack neu gepackt, ging ich zum Gebäude meiner Wahl. einem zweistöckigen Eigenheim
am Rand einer kleinen Ortschaft.
Sonne und Temperatur standen bereits ziemlich niedrig, als ich so schnell wie möglich auf den Zaun zulief.
Ich warf den Rucksack über den Stacheldraht und stieg
h inüber, wobei ich sorgfältig darauf achtete, mich nicht
zu verletzen. Nachdem ich den Rucksack wieder hochgewuchtet hatte, schaute ich in beide Richtungen der Straße. In der Ferne waren auf beiden Seiten untote Bewegungen zu erkennen. Ich überquerte langsam und besonnen die Straße und nutzte einen einsamen alten Wagen als Deckung. Auf der anderen Straßenseite kniete
ich mich hin und schaute im schwindenden Licht mit
dem Fernglas nach vorn. Die Luft schien rein, also lief
ich zum Haus hinüber. Ich hatte es mir wegen der Leiter ausgesucht, die am Geländer der vorderen Veranda lehnte. Sie war mir schon vor vierhundert Metern aufgefallen.
Ich erreichte das Haus und positionierte die Leiter
so, dass ich problemlos aufs Dach steigen und dort die
Nacht verbringen konnte. Bevor ich dies tat, untersuchte
ich die Umgebung, wobei mir auffiel. dass die Haustür
von außen zerhackt und die Hausfront und die hölzernen Stützen der Veranda von Kugeln durchsiebt waren.
Noch ein Ort. an dem man sich erfolglos verschanzt hatte.
241
Die gesamte Umgebung war von dem bedeckt, was ich
Eiterschlieren nenne - Spuren von untoten Körpern und
deren aggressiven Versuchen, irgendwo einzudringen.
Die Fenster im oberen Stock waren mit Brettern vernagelt, aber die meisten waren abgerissen und sämtliche Scheiben von außen eingeschlagen worden. Dieses Haus
wäre eine grässliche Wahl zum Nächtigen gewesen. Aber
ich wollte ja nur auf ihm schlafen. Da ich nun wusste,
dass das Gebäude baufällig und nicht wert war, näher
erkundet und untersucht zu werden, kletterte ich vorsichtig über die Leiter aufs Dach. Als ich das Verandavordach erreicht hatte, zog ich die Leiter raufund ging dann aufs Dach.
Ich hatte von dort oben eine verdammt gute Aussicht
und auch noch genügend Licht, um mein Lager aufzuschlagen. Ich legte meine Decke aus und band den Rucksack an einem Schornsteinrohr fest. Mit dem Bauchgurt des Rucksacks befestigte ich das gesicherte Teil an meinem Arm, damit ich im Schlaf nicht vom Dach rollte. Es gelang mir auch, einen Teil des Rucksacks als Kissen zu
verwenden. Daher ist es hier oben gar nicht so ungemütlich, zumal ich dick angezogen bin und unter meiner Wolldecke liege. Gute Nacht.
242
, - -
‘ / S t räfl ingskolonne
I
I I . P� 11)P..EP.
11..‘31. u�p,
Kalter Regen weckte mich. Ich warf einen Blick auf meine
Uhr, die 5.20 Uhr anzeigte, und erkannte anhand meiner nervend klappernden Zähne schnell, dass meine Körpertemperatur rapide sank. Ich war wahnsinnig durstig und kämpfte mich durch die Kälte, um in meinen Rucksack zu greifen und ihm einen alten, etliche Tage zuvor erbeuteten Einmann-Ration-Kunststoffbeutel zu entnehmen. Nachdem ich die Wolldecke um meinen kalten Leib gewickelt und meinen Fuß in einen Rucksackgurt
geschoben hatte, beugte ich mich übers Dach und hängte
den Beutel am Rand auf. wo das Wasser ununterbrochen
auf den Vorbau des ersten Stocks hinablief.
Als er voll war, trank ich das nach Schindeln schmeckende Wasser gierig. Als er leer war, füllte ich ihn ein weiteres Mal. Ich kämpfte gegen die Kälte, die mich derart zittern ließ, dass ich beinahe vom Dach fiel, und sammelte so lange Wasser, bis die Blase wieder aufgefüllt war. Ich packte meinen Kram (ohne die Wolldecke) erneut
um, ließ den Trinkschlauch der Blase aus dem Rucksack
243
hängen und überlegte, ob ich mich wieder auf den Weg
machen sollte. Soweit ich es vom Dach aus sah, waren
keine Untoten in der Nähe. Mit dem Messer ritzte ich die
Wolldecke auf und zog sie mir wie einen Poncho über
den Kopf. Da sie aus Wolle bestand und nass war, wäre
es Unsinn gewesen, sie zu verstauen. Schließlich speichert
auch nasse Wolle Wärme.
Dann versuchte ich die Leiter für meinen Abstieg auf
das Vorderdach in Position zu bringen. Als ich sie nach
unten gleiten ließ, rutschte sie mir ein Stück aus den
Händen und schlug mit einem lauten Knall auf dem Vordach auf. Ich schob sie dorthin, wo ich sie haben wollte, schulterte meinen Rucksack und machte mich an den
Abstieg. Als ich nach unten kletterte, schien der Regen
stärker zu werden. Am Ende der Leiter angekommen
wäre ich vor Schreck fast in die Tiefe gesprungen. Eine
Kreatur, die der Krach der Leiter angelockt hatte, drückte
ihre Nase an eine Fensterscheibe im zweiten Stock.
Das Ding sah mich. Ich positionierte die Leiter schnell
am Boden, um hinabzusteigen. Das Ding schlug auf die
Scheibe ein, um sie zu zertrümmern und sich auf mich
zu stürzen. So wie es klang, waren die Schläge jedoch
nicht stark genug, um das Glas zu zerschlagen. Ich wollte
eigentlich nicht darüber nachdenken, aber die Bilder
und Erinnerungen, die ich im Kopf hatte, als ich unten
ankam, betrafen keinen erwachsenen Leichnam, sondern
ein Kind.
Ich ließ die Leiter stehen, wo sie stand, und machte mich
zur Straße auf, über die ich gekommen war. Der Regen
244
führte dazu, dass ich mich elend fühlte. Ich wünschte
mir nichts sehnlicher, als irgendwo ein Feuer anzünden
und meine Klamotten zum Trocknen aufhängen zu können. Ich dachte an Zentralheizungen und Klimaanlagen, und mir wurde bewusst, wie abhängig wir von elektrischem Strom sind, um als Gesellschaft existieren zu können. Ich wette, bei Hitzewellen haben wir jeden Sommer Tausende alter Menschen verloren.
Da es schon eine Weile her war, seit ich das Funkgerät
ausprobiert hatte, beschloss ich, einen neuen Versuch
zu machen und sandte auf der voreingestellten Notfrequenz einen Hilferuf aus. Nach drei erfolglosen Versuchen schaltete ich das Gerät in den Peilimpulsmodus und nahm mir vor, es einige Minuten so laufen zu lassen. Ich folgte dem Verlauf des Highways, aber der Regen hörte nicht auf. Mir fiel ein, dass ich die Straße am Tag
zuvor als Highway 59 identifiziert hatte.
Als der Regen leicht nachließ, hörte ich wieder das
mir bereits vertraute Summen des fernen Motors. Seit
dem Absturz und den hinter mir liegenden Seen und Kilometern hatte ich das Geräusch mehrmals vernommen.
Manchmal glaubte ich, es sei vielleicht eine Folge meiner Kopfverletzung und der sich anschließenden Entzündung. Ich rieb über die Stelle, an der Tage zuvor noch die Naht gewesen war. Ich spürte die Wunde praktisch
nicht mehr. Sie war auch nicht länger empfindlich.
Ich folgte der Straße weiter - dem Gefühl nach endlose Kilometer weit. Gegen 8.00 Uhr wurde es wärmer.
Der Regen wurde zu einem schwachen Nieseln. Dichter
245
Dunst schwebte über der Landschaft. Da und dort war
es wegen der Feuchtigkeit und der Wärme der aufgehenden Sonne nebelig. Ich schritt durch Schlamm, denn ich hielt noch immer einen gewissen Abstand zum Highway 59.
Einige Hundert Meter weiter musste ich um neunzig
Grad abbiegen und mich dem Highway nähern, denn
nun sah ich, dass der Schlamm nichts mit dem Regen
zu tun hatte. Ich näherte mich einem Sumpfgebiet. Die
Straße führte nun leicht bergauf. Als ein Nebelstreifen
an mir vorbeiwehte, sah ich kurz, dass der Highway
etwa vierhundert Meter vor mir auf niedrigen Stelzen
über Marschland führte. Er schien sich endlos ins Nichts
hinein zu erstrecken. Ich war nicht darauf aus, mir
etwas zu holen, denn wenn man bis zum Bauch in kaltem Schlamm marschiert, können Sumpfbakterien oder Unterkühlung einen so schnell umbringen wie Untote.
Außerdem schürten die verschiedenen Wunden, die ich
mir beim Absturz und auf der Flucht vor den Untaten
zugezogen hatte, meine Angst noch stärker. Zwar waren
sie inzwischen verkrustet, doch war dies nichts, was ein
paar Stunden in sumpfigem Wasser nicht aufweichen
konnte.
Ich hatte keine Wahl. Ich musste von dort aus über die
Straße gehen, wo sie anstieg und sich durch Dunst und
Nebel über das südliche Sumpfgebiet fortsetzte. Die Sichtweite war jämmerlich; ich sah vielleicht hundert Meter weit voraus, und das auch nur, wenn der Nebel etwas
weiter in der Ferne kurz aufriss. Nachdem ich zwanzig
246
Minuten lang marschiert war, sah ich auf beiden Seiten
noch immer kein Anzeichen für festes Land. Dann hörte
ich es wieder … das Geräusch eines irgendwo in der Ferne
laufenden Motors. Vielleicht kam es auch von oben? Ich
wusste nicht genau, wo es herkam. Meine Konzentration
wurde von einem metallischen Laut unterbrochen. Er
kam von vorn und klang so, als zöge jemand Ketten über
Beton. Ich lauschte angestrengt und versuchte das Kettengeklirr von dem mechanischen Motorenbrummen zu trennen. Es ging nicht.
Beide Geräusche wurden belanglos, als ich einen Untaten über eine alte Stoßstange stolpern sah, die auf der Überbrückung vor sich hin rostete. Ich ging zu ihm hin
über und schoss ihm mit der SMG in den Hinterkopf. Als
ich über den Leichnam hinweg in die Ferne schaute, aus
der ich gekommen war, bemerkte ich im Nebel weitere
schattenhafte Gestalten. Es sah aus, als pirschten sich
mehrere Untote an mich heran. Sie waren aber noch einige Minuten entfernt.
Ich wandte mich um und schritt weiter - schneller in die Richtung aus, aus der die klirrenden Geräusche ertönten.
Ich hängte die Verfolger ab und nahm mein altes System wieder auf. Zehn Schritte rennen, zehn Schritte gehen. Wieder das Geräusch von Metall auf Beton. Ich
wurde langsamer, denn ich wusste, dass die Untaten nun
gute zehn Minuten hinter mir waren. Keins der einsamen Autos, an denen ich vorbeikam, war bemannt. Alle wiesen Eiterschlieren aufwie das Haus, auf dem ich die
2 47
letzte Nacht verbracht hatte. Ich huschte weiter. Das metallene Klirren wurde lauter. Es machte mich langsam verrückt.
Es schien beinahe, als flaue es nur ab, um sein grausames Spiel anschließend noch intensiver zu spielen und mich in den Wahnsinn zu treiben. Dass ich nichts sah,
machte es nur noch schlimmer. Ich wusste, dass das Klirren von vorn kam und keine hundert Meter entfernt sein konnte, doch angesichts des an dieser Stelle erhöhten Highways und seiner Leitplanken konnte es auch aus viel weiterer Ferne kommen.
Obwohl es unmöglich war, versuchte ich den Gedanken an die Kreaturen hinter mir zu verdrängen und eilte mit zusammengekniffenen Augen, als könne man im
Nebel so besser sehen, weiter voran. Dann wurde der
Lärm so laut wie nie zuvor, und ich hörte vor mir die Geräusche von Untaten-Aktivitäten. Nun musste ich meine Wahl treffen. Entweder kehrte ich um und stellte mich
meinen Verfolgern, oder ich ging weiter und nahm es
mit den lauten Untaten vor mir auf. Die dritte Option
war, in der Hoffnung, dass festes Land nicht fern war, in
den kalten Sumpf zu springen - ohne Untote, die mich
in Empfang nahmen. Da der Norden nicht mein Ziel war
und ich mir den Arsch nicht abbeißen lassen wollte, beschloss ich, auf dem Highway 59 nach Süden zu gehen dem metallischen Klirren entgegen.
Der Nebel blieb weiterhin dicht, aber die Sicht reichte
aus, um überraschungsfrei voranzukommen. Wenn ich
nach meinem Tempo urteilte, mussten meine Verfolger
248
mich in fünfbis sieben Minuten einholen. Ein Stück weih·r sah ich mindestens dreißig Untote in hellroten Latzhosen. COUNTY stand in Leuchtbuchstaben auf ihren Kücken. Die meisten Angehörigen dieser Gruppierung
waren mit Beinfesseln und Ketten miteinander verbunden.
Es waren Häftlinge in Grüppchen, die aus drei bis
fünf Mann bestanden. Dem Anschein nach waren nur
wenige der Gestalten bewegungsunfahig. Eine war an
den Rest eines verschrumpelten Menschenbeins geketlet. Die Gestalt ging herum und schleifte das Bein hinler sich her. Die Dinger konnten mich nicht sehen, also nutzte ich die fünf Minuten, bis die anderen aufholten,
um auszutüfteln, wie ich an der Sträflingskolonne vorbeikam. Etwa dreißig Gestalten waren sichtbar. Während ich mir noch listenreiche Möglichkeiten überlegte, ihnen auszuweichen, indem ich auf Autos sprang oder
an ihnen vorbeilief, tauchte hinter mir im Nebel mein
erster Verfolger auf. Da ich der Meinung war, dass Denken momentan nichts brachte, schoss ich ihm ins Gesicht und rannte los.
Als ich die Kettensträflinge fast eingeholt hatte, wählte
ich die linke Straßenspur für einen Ausbruchsversuch.
Auf der rechten Spur bewegten sich mehr Angehörige
der unbehinderten Art. Meine Taktik war einfach. Ich erledigte die Untaten am Anfang und am Ende des jeweiligen Trupps, so dass die in der Mitte buchstäblich an ihnen hängen blieben. Wenn ich nur fünf Figuren erledigte, hatte ich mein Ziel erreicht. Ich verbrauchte ein ganzes Magazin.
249
Ich weiß nicht genau, was mich so nervös machte: die
schlechten Sichtverhältnisse; das Wissen, umzingelt zu
sein; oder die Tatsache, dass ich eine riesige Bande untoter Verbrecher am Hals hatte. Jedenfalls rastete ich aus und schoss mir den Weg mit Gebeten und Kugeln gleich·
zeitig frei. Als ich mir einen Weg am Gros der Bande vorbeibahnte, musste ich ein leeres Magazin in einer Beintasche verstauen und ein neues einlegen.
Obwohl drei der Fünf-Mann-Teams nun in ihrer Bewegung behindert waren, latschten sie weiter, und die unbehinderten Teams marschierten an ihnen vorbei,
um mir zu folgen. Das Klirren der über den Highway 59
schrammenden Ketten j agte mir eine solche Heidenangst ein, dass ich die Beine in die Hand nahm. Doch die Sträflinge waren dort draußen nicht die einzige Bedrohung. Als ich ihnen entkommen war, passierte ich weitere fünfzig Untote. Mein Rucksack war so schwer wie nie zuvor, als ich wieder zu meinem alten System (Laufen und Gehen) zurückkehrte. Vor mir begann sich der Nebel zu lichten …
Ich lief weiter. Als ich später in klarere Verhältnisse
zurückschaute, sah ich drei- bis vierhundert Meter hin·
ter mir mindestens hundert Gestalten. Sie waren mir
auf den Fersen. Ich erzeugte einen Untoten-Schneeballeffekt. Sie erzeugten genug Lärm, um eine Kettenreak·
tion zu bewirken … Jedes Wolfsrudel lockte mit seinem
Geheul ein weiteres an.
Das Geräusch von Metall und Untoten kam näher, als
ich erneut das Brummen hörte. Ich konnte dieses Tempo
250
nicht ewig beibehalten. Ich glaubte auch nicht, dass man
‘ich mal eben um die hundert Untote vom Hals schafll·n kann. Als ich mich dem Ende des Stelzenabschnitts dl’S Highway 59 näherte und zurückblickte, sah ich viel
mehr als hundert Gestalten.
Ich warf einen Blick aufmeine Armbanduhr. 9.50 Uhr.
kh war einen stundenlangen Umweg gelaufen. Als ich
den Blick hob, sah ich in der Mitte der Untoten eine
Explosion. Ich hielt mir instinktiv die Ohren zu und
setzte mich auf den Boden. Als mein Hintern den Asphalt
berührte, traf mich das überwältigende Geräusch der
Explosion wie ein Hieb in den Magen und warf mich
um. Ich sprang aufund stellte fest, dass die Explosion in
der Verfolgermeute beträchtlichen Schaden angerichtet
hatte. Ich hinterfragte nicht, was die Explosion bewirkt
hatte oder warum ich den verfluchten Sträflingen begegnet war. Ich nahm alles einfach hin und machte mich schnellstens vom Acker.
Nach einer kurzen Frühstückspause, die ich mir im Trockenen unter der hochgeklappten Hecktür eines Kleinbusses gönne, werde ich an der Straße entlang weiter nach Süden ziehen, und Sümpfe, starke willkürlich erfolgende
Explosionen und untote Kettensträflinge meiden.
2 5 1
Am heutigen Abend habe ich auf einem alten Raffineriegelände pausiert, das hohe Maschendrahtzäune in verschiedene Abschnitte zerteilen. Die Ölpumpen rühren sich schon lange nicht mehr. Die meisten dieser Gerät·
schaften sind von Unkraut überwachsen: andere bieten
nistenden Vögeln ein Zuhause. Das kleine abgezäunte
Gelände war fest mit einer Stahlkette und einem Vorhängeschloss gesichert, so dass ich gezwungen war, über den Zaun zu steigen. Nachdem ich den Rucksack hinübergeworfen hatte, legte ich die Wolldecke über einen Zaunabschnitt, von dem ich annahm, mein Klettermanöver würde ihn nicht kaputt machen.
Obwohl der Zaun oben nicht mit Stacheldraht versehen
war, ist es für mich halb Gewohnheit und halb Sicherheitsbedürfnis, über Decken zu steigen, um mich nicht zu verletzen. Ich kann das Risiko nicht eingehen, mir eine
Infektion zuzuziehen - es gibt nirgendwo eine Möglich·
keit, sich eine Tetanusspritze abzuholen. Als ich erst mal
auf dem umzäunten Gelände war, ging ich vorsichtig
am Zaun entlang und hielt Ausschau nach Löchern, durch
die wilde Hunde oder Untote kriechen konnten. Zufrieden, keine gefunden zu haben, suchte ich mir eine Rafft·
neriepumpe als Nachtlager aus. Gegen 15.00 Uhr hatte der
Regen endlich aufgehört und mir die Gelegenheit eingeräumt, zu trocknen, bevor ich hier angekommen war.
Einiges von meinem Zeug war nass, also beschloss ich,
es zum Trocknen auf die horizontalen Metallrohre der
252
Pumpe zu hängen. Wegen des Regens war es draußen
etwas kalt gewesen, aber keineswegs so schlimm wie gerade jetzt. Ich habe über die heutigen Ereignisse und die mysteriöse Explosion nachgedacht. Ich habe auch über
Kettensträflinge nachgedacht und glaube mich irgendwie daran zu erinnern, dass es sie schon Jahre vor der Katastrophe nicht mehr gab. Wenn die Gesellschaft ausl’inanderbricht und man nicht genug Justizvollzugsbeamte hat, um Knastbrüder zu bewachen, ist es vermutlich das Beste, sie aneinanderzuketten. Die armen Schweine. Das Grauen will ich mir gar nicht vorstellen.
Wenn ein Sträfling infiziert ist und die anderen sich
gegen ihn wehren müssen … Oder noch schlimmer: vier
sind infiziert, einer hat sie am Hals. Kein Wunder, dass
sie schließlich alle befallen waren.
Ich habe mich auch gefragt, ob das untote Kind im
l’rsten Stock des Hauses noch immer an die Scheibe klopft.
So grässlich meine Gedanken bezüglich der Sträflinge
u nd des Kindes auch sind … Was war das für eine Explosion? Eine alte, auf der Überführung zurückgelassene Tretmine?
Ich habe nicht die geringste Ahnung, was ich davon
halten soll. Als die Sonne unterging, suchte ich das Ge
Unde nach nützlichen Dingen ab, fand aber nur einen
otbgenutzten alten Phillips-Schraubenzieher. Er lag halb
vergraben im verschmutzten Boden zu meinen Füßen.
l hn meinen haltbaren Proviant aufzusparen, habe ich
otm Zaun eine der Rattenfallen aufgestellt. Mit dem Rest
des mir verbleibenden Tageslichts nahm ich eine Inven-
2 5 3
tur meiner Munition vor und zählte 210 Schuss vom Kaliber 9 mm. Der Kampf gegen die Straflinge hat mich dreißig Kugeln gekostet.
Als die Sonne dann hinter dem Horizont versank,
ging ich nochmal vorsichtig, um die Falle nicht zu berühren, am Zaun entlang. Am Highway 59, in der Ferne, bewegte sich etwas; wahrscheinlich das, was von der
Meute noch übrig ist, die mich seit der schlammigen
Überführung verfolgt. Ich fühle mich relativ sicher und
glaube nicht, dass einer von ihnen weiß, wo ich bin.
Trotzdem werde ich heute Nacht mit einem offenen Auge,
einem offenen Ohr und dem Finger am Abzug schlafen.
Bevor ich mich ausstrecke und einschlafe, setze ich das
NSG auf. Dann brauche ich es, falls nötig, nur noch einzuschalten.
254
1 1. PII,;(O�EP.
co.oo u�p.
Stunden bevor ich - wieder mal - mit regennassem Gesicht erwachte, versank mein Bewusstsein in eine Tagtraumphase. Mir wurde kalt. Meinen Knochen haftete eine Kälte an, die ich seit dem Überlebenslehrgang in
Rangeley, Maine, nicht mehr empfunden hatte. Meine
Erinnerung wanderte zurück zum Kriegsgefangenenlager und der Belastungsimpfung.
Die Kälte ließ mich des Weiteren an Rudyard Kipling
denken. In meiner winzigen Zelle wurde Kiplings Gedicht
»Stiefel« pausenlos abgespielt. Der Sprecher hatte einen
starken russischen Akzent und sagte immer wieder: Bein
Bein-Bein-Bein prügelt auf Aftika ein - Stiefel-Stiefel-Stiefel-Stiefel kennt den Weg von allein.
Nachdem ich ihm stundenlang zugehört hatte, konnte
ich den Text auswendig. Noch jetzt höre ich die krächzende Stimme des Russen: Pausenlos, in endloser Abfolge zwischen den Ausbildungsperioden. Ich wachte im kalten Regen auf und rezitierte es endlos vor mich
hin.
255
Mit dem von der Ölpumpe laufenden Regen ergänzte
ich meinen Wasservorrat und trank mich satt. Dies wiederholte ich, bis ich nicht mehr trinken konnte, ohne daran zu denken, mich zu übergeben. Nach kurzer Zeit
ging ich zur Falle hinüber, um zu sehen, ob sie noch leer
war. Ich musste auch Wasser lassen. Die Falle war leer,
was bedeutete, dass ich etwas von meinem kost- und
haltbaren Proviant verzehren musste. Als der Regen nachließ, nahm ich mir vor, ein Feuerehen anzuzünden und eine der Chilidosen zu erhitzen, die ich seit endlosen
Kilometern mitschleppte.
Mit dem Beil sammelte ich hinter dem Zaun ein wenig
Holz und zerkleinerte es, bis man es handhaben konnte.
Dann grub ich in sicherer Entfernung von der Ölpumpe
ein Loch und machte mit dem trockensten Holz aller
Zeiten ein Feuer. Ich bezweifle, dass Feuermachen mir
je schwerfallen wird, da die Menschen so viel Kram herumliegen lassen. Mit dem Multitool bohrte ich einige Löcher in den Deckel der Chilidose, um sie zum Erhitzen übers Feuer zu hängen. Während das Chili sich erwärmte, suchte ich mit dem Fernglas die Umgebung ab.
Auf dem fernen Highway und den anderen drei Seiten
der Umzäunung rührte sich nichts.
Ich nahm das Notfunkgerät, um einen Spruch ins Blaue
abzusetzen. Seit dem Absturz habe ich streng darauf geachtet, die Batterie nicht zu erschöpfen. Als ich es nun herausholte und per Hand auf 282.8 einstellte, bemerkte ich, dass ich es am Tag zuvor versehentlich im Peilmodus hatte stehen lassen. Die Batterie war leer. Ersatz 256
hatte ich nicht. Ich holte die Batterie aus dem Gerät. Sie
ist wohl ein Markenartikel. und ich bezweifle, dass ich
je einen Ersatz für sie finde. Ich notierte Ausgangsleistung und Batterietyp in meinem Tagebuch und warf die Hatterien über den Zaun, damit ihr Gewicht mich nicht
belastet. jeder, der schon mal eine gewisse Strecke mit
einem vollen Rucksack zurückgelegt hat, weiß, dass
jedes Gramm Gewicht eine Daseinsberechtigung haben
muss.
Das Gerät will ich behalten. Kann ja sein, dass ich irgendwann die richtigen Batterien finde. Ich bin nun von j edem abgeschnitten, der die Notfrequenzen abhören
könnte.
Nach der morgendlichen Erinnerung an den Überlebenslehrgang sinnierte ich über das Überleben im Allgemeinen nach. Ich weiß, dass es noch einige Überreste der OS-Regierung gibt. Flugzeugträger, möglicherweise
auf der Flucht befindliche Panzerkonvois, abgelegene
Militärflugplätze und Einrichtungen wie Hotel 23. Es
muss hier irgendwo jemanden geben, der mir helfen
kann, nach Hause zu kommen. Die Kommunikation mit
dem Flugzeugträger war vor dem Hubschrauberabsturz
unterbrochen. Fügt man dies mit der blöden Idee zusammen, verstrahlte Tote zu untersuchen und aufs Flaggschiff zu bringen, könnte man auf die Idee kommen, dass auch Flugzeugträger gekapert werden können.
Die die Erde umkreisenden Satelliten sind wahrscheinlich nicht mehr zu gebrauchen und haben ihre Kreisbahn verlassen. Dass die GPs-Satelliten nicht mehr funk-2 57
tionieren, weiß ich. Seit dem Absturz habe ich trotz
vieler zurückgelegter Kilometer keine lebende Seele gesehen. Wenn die Gegend, die ich durchquert habe, für den Rest meines Reisewegs repräsentativ ist, stehen mir
ernstliche Kümmernisse bevor. Selbst wenn nur ein Prozent der Bevölkerung überlebt hat, müsste mich inzwischen jemand gesehen haben. lch nehme mir vor, ein Zeichen zu hinterlassen, dass in die Richtung deutet, in
die ich gehen will.
lch werde mit Steinen oder etwas anderem, das mir
zur Verfügung steht, einen großen Pfeil auf den Boden
machen, um potenziellen Fliegern meinen Reiseweg zu
zeigen. Das einzige Problem ist, dass die Mannschaft, die
ihn zu sehen kriegt, vielleicht den Schluss zieht, dass
der Pfeil alt ist. Wie dem auch sei, ich muss jede Chance
ergreifen, die mich aus diesem Katastrophengebiet retten kann.
Die Explosion auf dem Highway geht mir nicht aus
dem Kopf. Dass ich sie erlebte, habe ich als Glücksfall gesehen, doch je länger ich darüber nachdenke, umso klarer wird mir, dass die Möglichkeit der Explosion alten Wehrmaterials gerade in dieser Zeit eher unwahrscheinlich ist. Nach der Explosion war auch das Brummen wieder da, das ich fortwährend höre.
In dem Gebiet hier sind einige Hirsche unterwegs. Die
Chancen, dass sie den Untoten längere Zeit entgehen,
sind eher gering. lch nehme mir vor, einen zu erlegen,
damit mein haltbarer Proviant auf dem Weg nach H23
noch länger hält. Der Regen hat aufgehört, aber der Hirn-
258
mel ist noch bedeckt. Der Wärme wegen trage ich wieder meinen Wolldeckenponcho. Ich will den Weg nach Süden am Highway 59 entlang heute wieder aufnehmen.
Bevor ich zu weit im Süden bin, muss ich noch ein
paar Dinge auftreiben. Damit ich mich nicht verlaufe,
brauche ich einen Straßenatlas. Jodtabletten oder eine
andere Methode zur Reinigung von Wasser sind auch
keine schlechte Idee. Betrachte ich meine gegenwärtige
Route, so habe ich keine Ahnung, ob die Straße genau in
eine mittelgroße Stadt hineinführt oder zu einer Interstate-Kreuzung. Ich muss meinen Kram neu verpacken, um schneller ans Fernglas ranzukommen. Bevor ich - in
etwa einer Stunde - aufbreche, reibe ich meine Waffen
mit Öl und dem Lappen vom Segelboot ein. Kommt mir
so vor, als wäre es schon eine Ewigkeit her.
Im Krieg wird niemand entlassen! (Sagt Kipling.)
259
—
11.. P�t.10�EP.
1.1.oo u�”’
Als ich heute Morgen abmarschierte, war mein Zeug
gut verpackt, und ich hatte die Riemen meines Rucksacks für den langen Marsch nach Süden ideal justiert.
Mir fiel auf, dass meine Kleider etwas lockerer saßen
als vor ein paar Wochen. Ich weiß auch, dass ich ständig Hunger habe, weil ich pausenlos in Bewegung bin.
Zum Glück ist dieses Gebiet der Vereinigten Staaten
vergleichsweise flach. Ich wäre vermutlich draufgegangen, hätte ich die Rocky Moutains mit meinem geringen Proviant überqueren müssen. Nachdem ich eine Stunde
langsam nach Süden geschlendert war, sah ich etwa
hundert Meter entfernt durch das Glas einen Hirschbock.
Der Hunger lenkte mich, als ich kniend in Stellung
ging und den Rucksack lautlos an einem alten Baumstumpf absetzte, der leicht wiederzufinden war. Ich pirschte an den Hirsch heran und hielt mich dabei, um
eine Entdeckung zu vermeiden, dicht an den Bäumen.
Es ist fast unmöglich, mit einer 9-mm-MP etwas zu er-
260
schießen, das hundert Meter von einem entfernt ist. Ich
musste auf zwanzig Meter heran, damit mein Schuss
etwas brachte. Ich näherte mich dem Bock, ohne dass er
mich bemerkte. Aus fünfzig Metern Entfernung musterte ich ihn nochmal durchs Fernglas, um mich zu versichern, dass er ein vernünftiges Ziel bot. Ich versuchte ihn einzuschätzen, um in Erfahrung zu bringen, dass
die Untoten ihn nicht verletzt hatten. Ich sah aber keine
Bissstellen, und er machte einen relativ gesunden Eindruck. Seine Muskeln spannten sich beim Gehen und Grasen. Er erschien mir weder zu mager noch zu alt. Die
Anzahl seiner Geweihspitzen konnte ich wegen des es
einhüllenden Laubes nicht zählen. Ich schaute hinter
mich, um sicherzugehen, dass ich nicht von Untoten beobachtet wurde und meinen Rucksack am Baumstumpf noch sah. Ich war etwa dreißig Meter an den Hirsch rangekommen, als er die Lauscher aufrichtete und spürte, dass etwas passierte. Vielleicht war es der Geruch eines
lebendigen Menschen - oder vielleicht war ich auch
nicht so leise wie beabsichtigt.
Ich hob die Waffe und legte auf den Hirsch an. Mit
dem Daumen prüfte ich, ob die Waffe auf Einzelschuss
gestellt war. denn ich hielt es nicht für notwendig. Munition an meine Beute zu vergeuden. Für mich hieß es jetzt oder nie, denn ich hatte die dunkle Vorahnung, dass
der Hirsch sich gleich erschrecken und abhauen würde.
Ich gab zwei Schüsse ab und erwischte ihn am Hals
und hinteren Schädel. Der Hirsch fiel auf die Seite, stand
wieder auf und fing an zu laufen. Ich lief hinterher, ver-
2 6 1
wünschte mich - halb stumm und halb laut vor mich
hin. Wie blöd war ich doch; wie gierig und leichtsinnig.
Ich konnte es nicht ausstehen, Tiere zu töten, es sei denn,
es war absolut nötig, um nicht zu verhungern, doch jetzt
hatte ich das Tier vielleicht umsonst getötet und verloren. Ich folgte eine Zeit lang seiner Blutspur. Es kam mir wie eine Stunde vor, wobei ich sorgfältig die Entfernung
von meinem Zeug und dem Highway schätzte, um mich
nicht zu verlaufen.
Die Blutstropfen führten mich in ein kleines Tal und
hinter ein Hügelchen. Ich lief das Hügelehen sorglos
hinab und drum herum und dachte nur an meinen
knurrenden Magen. Dann kam ich aus dem Buschwerk
heraus und landete mitten in einem Rudel von dreizehn
Untoten, die sich an meiner Beute labten. Sie knieten
vor dem gefallenen Hirsch und kratzten und bissen in
sein Fell. Einer hatte das Tier an der Stelle aufgerissen,
an der meine Kugel eingeschlagen war. Mein schlechtes
Gewissen und mein Zorn übermannten mich, als ich
sah, wie sie das Tier verschlangen. Die Augen des armen
Viehs waren offen, und als mein Blick über die um es
versammelten Untoten schweifte, hatte ich den Eindruck, dass es mich anschaute und sagte: »Dafür hast du mich erlegt?«
Ich war nur drei Meter von den Untoten entfernt. Ich
wollte mich rückwärts aus dem kleinen Tal zurückziehen. Eine der Kreaturen schaute zu mir hin, wobei Blut und Fleisch des Hirsches aus ihrem verwesenden Maul
troffen. Schon streckte sie die Arme aus, um nach mir
262
zu greifen. Sie stöhnte, dann schauten zwei andere auf
und taten das Gleiche. Ich drehte mich um, um der Blutspur zu meinem Gepäck zu folgen. Die Distanz zwischen mir und den Toten vergrößerte sich. Im Lauf sah ich
eine unglaublich magere Hauskatze, die in der Nähe des
Hirsches von einem Baum sprang. Sie verschwand auf
einem Feld in der Nähe.
Beim Anblick der Kreaturen wurde mir erneut bewusst, wie nahe mir der Tod war. Da ich sie schon so oft gesehen hatte, hätte ich eigentlich an sie gewöhnt sein
müssen, doch jeder Einzelne ist ein Picasso des Entsetzens, der mich daran erinnert, dass ich mich so lange im Krieg befinde, bis sie alle in der Erde verrotten, aus der
wir gekommen sind.
Ich rannte und drehte mich alle fünf Sekunden um,
wobei ich mich noch immer stumm verwünschte, weil
ich so dumm gewesen war, mit einer solchen Waffe bei
dieser Entfernung auch nur den Versuch zu machen,
auf ein Tier zu schießen. Als ich dem Baumstumpf nahe
genug war, um mein dort deponiertes Gepäck sehen zu
können, vernahm ich wieder das Brummen. Ich schaute
mich um und konzentrierte mich, da ich wissen wollte,
woher es kam. Der Himmel war zu stark bedeckt, um
über den Baumwipfeln irgendetwas zu sehen. In einem
l’rnsten Konzentrationszustand begann ich das Knacken
von Zweigen in der Ferne wahrzunehmen. Die Hirschjäger waren auf der Fährte eines neuen Opfers. Ich packte mein Zeug und stellte die Tragegurte meines Rucksacks
neu ein. Ich war zwar dankbar dafür, dass ich noch lebte,
263
bedauerte aber zutiefst, ein anderes Lebewesen verurteilt zu haben, von diesen verfluchten Anomalien gefressen zu werden. Mir war fast so zumute, als hätte ich für die gegnerische Mannschaft ein Tor geschossen. Der
Hirsch lebt auf Erden, damit bedürftige Lebewesen ihn
verspeisen, aber doch keine Toten.
Ich wich den Kreaturen aus, indem ich vorsichtig den
Highway überquerte und seinem Verlauf auf der Gegenseite folgte. Diese Seite bot mir jedoch viel weniger Deckung als die andere, da sie während der nächsten Kil�
meter hauptsächlich aus einem großen Feld bestand,
das nur alle paar hundert Meter spärliche Deckung bot.
Ich nahm mir vor, bei der ersten sich bietenden Gelegenheit wieder auf die andere Seite zu wechseln.
Den Rest des Tages verbrachte ich damit, langsam
nach Süden zu marschieren und nach Möglichkeit nicht
an den Proviant in meinem Rucksack zu denken, den
ich unbedingt bewahren wollte. Den größten Teil des
Tages nieselte es. Das Wetter war allgemein ziemlich
jämmerlich, doch ich ging davon aus, dass mir in Zeiten
wie diesen auch ein Sonnentag jämmerlich erschienen
wäre. Ich hatte das Brummen heute in zufallsbedingten
Augenblicken dreimal gehört. Nun nahm ich mir vor,
die Tageszeiten und jeweilige Dauer des Geräuschs geistig zu notieren.
Ich schaute auf meine Armbanduhr, um abzuschätzen, wie viel Tageslicht mir noch blieb, dann begann ich meine Strategie für einen sicheren Schlafplatz zu formulieren. Um 15.00 Uhr erkannte ich in der Ferne die 264
Umrisse einer Ortschaft. Dies motivierte mich, nach Stragenschildern Ausschau zu halten, die mir sagten, auf was ich mich einließ. Ich wollte nicht in die Nähe der
Stadt gehen, wenn die Einwohnerzahl mehr als 30.000
betrug. Allerdings brauchte ich Lebensmittel, einen Stra
ßenatlas und vielleicht auch Munition. Aber nicht um
den Preis, eine halbe Million Untote auf den Hals zu
kriegen. Selbst wenn einer reicht, um einen Menschen
kalt zu machen: Man weicht einem Biss leichter aus,
wenn man es mit weniger Bevölkerung zu tun hat. Auch
wenn ich es nicht wissenschaftlich belegen kann: Es
�eht einem besser, wenn man seine Grenze in den Sand
�ezogen hat.
In ein paar Stunden würde es dunkel werden. Mir war
etwas unbehaglich zumute. Am Boden wollte ich um
keinen Preis schlafen. Wenn ich vor Einbruch der Nacht
kein Quartier fand, wollte ich die ganze Nacht wach und
in Bewegung bleiben. Nach dem Absturz hatte ich ursprünglich nur bei Nacht marschieren wollen, aber die Knappheit an NSG-Batterien und die Vorstellung, tags
über zu schlafen, wenn man gesehen werden kann, hatten meine Meinung geändert. Dass Untote im Dunkeln nichts sehen, war mir neulich nachts wieder aufgefallen, als ich mich aus dem oberen Stockwerk des Farmhauses abgesetzt hatte. Sie reagierten zwar auf meine Geräusche, konnten mich aber nicht sehen.
Da meine Möglichkeiten mit jeder Minute geringer
wurden, schaute ich am Highway nach einem Ort aus, an
dem ich meine Automatik aufhängen konnte. Mir stan-
2 6 5
den einige Möglichkeiten offen. Da stand ein Wohnmobil vom Typ Winnebago, doch das schloss ich aus, weil es für den Fall, dass es umzingelt wurde, keinen Fluchtweg bereithielt. Die nächste Möglichkeit, die ich erreichte, war ein umgekippter UPS-Laster. Auch diesmal hatte ich das Gefühl, dass er für meine Zwecke zu klein
war, denn auch er war leicht zu umzingeln. Die nächste
sich mir bietende Möglichkeit war eine große Zugmaschine mit einem langen Aufleger.
Ich begutachtete den Laster durchs Fernglas und suchte
nach Anzeichen von Tod. Die Fensterscheiben der Zugmaschine waren hochgedreht. Die Kiste war hoch genug über dem Boden, so dass die Dinger nicht auf die Kühlerhaube klettern konnten. Hinten im Fahrerhaus war eine Schlafkabine. Auf der Fahrertür stand »Boaz Trucking,
Inc.« Zwei Reifen aufmeiner Seite waren platt, deswegen
stand das Fahrzeug leicht schief. Ich hielt es für das
Beste, mich nicht sofort auf den Wagen zu stürzen, sondern zunächst mal die Umgebung im Auge zu behalten, bis ich wusste, dass mir keine Gefahr drohte. Ich lauschte
und beobachtete die Umgebung eine halbe Stunde lang,
dann nahm ich meinen Rucksack ab und ging zu dem
Laster. Als mein Fuß den Asphalt berührte, konnte ich
die Straße gut rauf- und runterschauen.
Nördlich von mir, in der Ferne, stand ein wrackes Ambulanzfahrzeug. Im Süden sah ich ein grünes Schild, von dem ich glaubte, dass es die Entfernung zum nächsten Ort anzeigte. Ich begab mich zum Trittbrett des Lasters. Die Tür auf der Fahrerseite war verschlossen, die 266
andere hingegen nicht. Im Inneren des Wagens deutete
nichts auf Gefahren hin. Ich sprang ab, lief zur anderen
Seite und öffnete die Tür. Der alte Laster roch nach unter
den Sitzen deponierten Fast-Food-Tüten. Das von der Sonne
verbrannte Armaturenbrett sagte mir, dass seit sehr langer Zeit niemand mehr hier drin gewesen war.
Ich stieg ein und schaute in die Schlafzone hinter den
Vordersitzen. Das Bett war nicht gemacht, aber benutzbar. Im Führerhaus wirkte alles normal - bis auf die verblassten Fast-Food-Tüten auf dem Armaturenbrett. Zufrieden mit den Sicherheitskonditionen des Wagens stieg ich wieder aus, um meinen Rucksack zu holen. Als ich
zurückkam, war es schon zu dunkel, um das Schild in der
Ferne lesen zu können, also traf ich ohne Umschweife
Vorbereitungen für die Nacht. Ich stellte den Rucksack
auf den Fahrersitz und zog die Vorhänge zu, damit ich
nicht so ohne weiteres zu sehen war. Bei verschlossenen
Türen suchte ich das Führerhaus nach nützlichen Dingen ab. Ich fand ein Wegwerffeuerzeug und eine Dose Wiener Würstchen sowie einen hübschen Tintenfüller
und einen Marker von Sharpie. Ich verschlang das Dosenfleisch. Um die Taschenlampenbatterien zu schonen, nahm ich mir vor, den Rest des Fahrzeugs nach Sonnenaufgang zu erforschen. Die Türen sind verschlossen, und die Fenster, nehme ich an, lassen sich ohnehin nicht
mehr öffnen.
267
13 p”’ ‘fi>BEP.
·
‘0 .tt u�p.
Obwohl ich kurz vor dem Einschlafen draußen etwas gehört habe, habe ich letzte Nacht gut geschlafen. Ich war ziemlich erschossen und fiel in einen Tiefschlaf, der erst
heute Morgen um 6.30 Uhr zu Ende war. Licht schien
durch die Vorhänge ins Führerhaus. Ich zog sie nicht
beiseite, als ich in die Stiefel glitt, sie schloss und mir
etwas Wasser ins Gesicht spritzte. Ich rutschte auf den
Beifahrersitz und lugte durch den Vorhangspalt, um mir
die Umgebung anzusehen. Weit im Süden schien sich
etwas zu bewegen. Ich schnappte mir das Fernglas und
überprüfte es. In der Ferne wanderte ein einzelner Leichnam zwischen verlassenen Autos umher. Eine nähere Bedrohung sah ich nicht. Ich zog die Vorhänge auf, ließ
die Sonne rein und durchsuchte das Führerhaus eingehender.
Im Handschuhfach fanden sich lediglich eine vor sechs
Monaten abgelaufene Versicherungskarte und das Foto
eines Mannes und seiner Familie vor den Mauern von
Alamo. Ich dachte an San Antonio zurück und an das
Schicksal von Alamo. Das Gebiet wurde mit Atomraketen
beschossen und ist nun eine Ödnis, in der nur verstrahlte Untote »leben«. Ich würde es nicht mal mit tausend AC-130-Kampfhubschraubern im Rücken betreten.
Auf der Rückseite des Fotos war der Dezember letzten
Jahres vermerkt. Ich betrachtete es und wünschte mir,
Zeitreisen wären möglich. Ich würde eine Menge dafür
268
geben, um nochmal einen normalen Tag wie früher zu
erleben. Hinter der Familie waren andere Menschen zu
sehen. Sie lachten und freuten sich ihres Lebens. Sie hatten keine Ahnung, wie die Welt dreißig lumpige Tage nach dem Knipsen dieses Fotos aussehen würde.
269
: Tot e r- Brie i’ka �ten \ I
13. P�t,;(l)gEp,
15’.33 u�.�P.
Es gibt so viel zu berichten und zu verarbeiten, dass ich
nicht weiß, wo ich anfangen soll.
Nachdem ich heute Morgen aus dem Laster gestiegen war, zog ich weiter nach Süden und schaute mir das Schild an, das ich tags zuvor gesehen hatte. Besonders nahe brauchte ich nicht ranzugehen. Auch diesmal ließ mich das Fernglas Zeit und Kraft sparen. Auf dem
Schild stand »Marshall 9 km«. Da ich von der texanischen Stadt Marshall schon gehört hatte, nahm ich an, dass allein diese Tatsache darauf hinwies, dass Marshall zu groß war, um mich dort ungestört umsehen zu können. Als ich zu meinem üblichen Highway-Nebenweg zurückkehrte, härte ich wieder das Brummen. Der Himmel war klar, also richtete ich das Fernglas sofort nach oben und suchte ihn ab. Erfolglos. Ich ging nach Südosten weiter und kam vom Highway ab, so
dass ich Marshall umrunden konnte, statt sein Zentrum
zu durchqueren. Dies bürdete mir natürlich einen ansehnlichen Umweg auf. Nach etwa einer Stunde ertönte 270
das lauteste Geräusch, das ich seit der Explosion gehört
hatte.
Aus der Ferne erscholl der unmissverständliche Lärm
von Klangködern. Ich erinnere mich an die deutlichen
Töne, weil man sie am Anfang der Untoten-Plage eingesetzt hatte, um die Dinger dorthin zu locken, wo die Raketen einschlagen sollten. Mein spontaner Gedanke war: Werde auch ich bald im Dunkeln leuchten?
Offensichtlich leuchte ich (noch) nicht, denn sonst
würde ich dies hier jetzt nicht schreiben. Der Lärm war
deswegen nicht betäubend, weil er so weit von meinem
Standort entfernt war. Er schien aus dem Osten zu kommen und war nicht mal annähernd so laut wie die Klangköder, die ich vor den Raketeneinschlägen gehört hatte.
Nervös und verwirrt schritt ich weiter nach Südosten
aus, bis ich die unmissverständlichen Klänge sich herannahender Flugzeugmotoren hörte. lch schaute zum östlichen Himmel hoch und sah den Umriss einer sehr niedrig auf mich zufliegenden Maschine. Ich griff sofort
nach meinen Leuchtraketen, doch bevor ich den Raketenwerfer auf meine Knarre schrauben konnte, zog die Maschine hoch und setzte zu einem Steilflug an, bis sie
mit Himmel verschmolz und unsichtbar wurde. Ich war
drauf und dran zu heulen, doch dann wurde ich beinahe von einer großen Palette erschlagen, die an einem großen grünen Fallschirm zur Erde sank. Die Ladung
landete sechs, sieben Meter neben mir auf dem Boden
und warf mir Erde und Grasbüschel ins Gesicht. Der
Fallschirm sank zu Boden, und ich lief schnell zu der
271
Ladung hin und raffte ihn zusammen, bevor er den an
ihm hängenden Scheiß über den ganzen Acker schleifte. Nachdem ich den Schirm von seiner Fracht gelöst hatte, faltete ich ihn planlos zusammen und bedeckte
ihn mit einem dicken Stein. Die Ladung war in ziemlich dicke Kunststoffschichten verpackt und maß etwa 1,20 x 1,20 x 0,90 Meter.
Ich zückte mein Randall-Messer und zerschnitt die
Plane. Auf eine Verpackung hatte jemand »OGA 2b« gesprüht. Ich entfernte sie, klickte Karabinerhaken auf und zog Gurte ab, die die Ladung zusammenhielt. Auf
einer Kunststoffpalette waren zahlreiche verschieden
große Hartplastikbehälter befestigt. Ganz oben befand
sich ein hellgelber Behälter mit der schlichten Aufschrift 01. 1ch prüfte die Umgebung, nahm den Behälter und schnippte Riegel auf. Als sich der Deckel öffnete,
sah ich zuerst ein Mobiltelefon. Anband der langen Antenne an der Seite des Geräts erkannte ich, dass es kein normales Handy war. Auf dem Gehäuse stand »Iridium«.
Ich nahm das Gerät aus dem Behälter und drückte den
Menü-Knopf. Es erwachte zum Leben, zeigte volle Batteriestärke an und meldete »Verschluss entriegeln«. Ich legte das Telefon beiseite und inspizierte den gelben Behälter in aller Gründlichkeit. Auf dem Deckel befand sich ein Diagramm, das zu besagen schien, Iridium-Satelliten-Orbitalpfade für diese Region müssten in diesem Monat mit 80 Prozent Satellitenausfallen rechnen. Laut
Diagramm standen täglich nur zwei Stunden für Satellitenverbindungen zur Verfügung.
272
Diese Stunden waren, je nach atmosphärischer Lage,
auf die Zeit zwischen 12.00 und 14.00 Uhr - plusminus
siebzehn Minuten - festgelegt. Ein Sternchen warnte:
Die Verfügungsbereitschaft bei gegenwärtiger Satellitenkonfiguration werde sich pro Jahr um zwei Minuten und zwölfSeirunden nach hinten verschieben. In dem Schaumstoff unter der Einbuchtung, in der das Telefon gelegen hatte, befand sich ein kleines Solarladegerät. Als ich mir
den nächsten Behälter vornahm, um mir seinen Inhalt
anzuschauen, klingelte das Telefon …
Ich saß einige Sekunden wie vom Donner gerührt da,
dann drückte ich auf den Sprechknopf und sagte »Hallo?«
Das Rauschen veränderte sich zur soliden Verbindung
eines Digitalmodemschrillens. Eine langsame mechanische Stimme wurde hörbar. »Dies ist eine Remote Six
Aufzeichnung. Bitte Textschirm beobachten.«
Ich las wie angewiesen den nun auf dem Schirm erscheinenden Text.
Noch 6 Minuten Satelliten-Übertragungszeit
Befehlshabender Offizier, vor 12 Tagen über Funk von
Abschussbasis FM Nada als vermisst gemeldet. Seither wurden
verbliebene Luftaufklärungskapazität sowie Global Hawk und
Reaper-Drohnen genutzt, um Aufenthaltsort ausfindig zu
machen. Suche wurde zunächst eingestellt, bis zur Entdeckung
Funkbake. Funkbake Lange genug vernehmbar, um genauen
Standort für Reaper-Drohneneinsatz festzulegen. Remote Six
gehört zu * unverständlich* -zehn Einricht- *unverständlich*
-lung- Aufgabe: Kommando und Kontrollfunktion für
273
*unverständlich* -regier- * unverständlich*. Wartung
*unverständlich* -lung- berichtet Beeinträchtigung des
Flugbetr- *unverständlich* bei meisten bemannten
Flugeinheiten. Von 60 Iridium-Satelliten im Erdumlauf_
*unverständlich* noch Mittel und Rechnerkapazität zur
Beibehaltung der Umlaufbahnen sowie Algerhythmen zur
Datenkompression für 2 Std.jTag.
Noch 3 Minuten Satelliten-Übertragungszeit
Experimentelle Reaper-Drohnen in Mengen * unverständlich*
Unterstützungssysteme: Wir haben Mittel für spezielle
Luftüberwachung von 12 Std.jTag. Remote Six-Drohnen sind
mit 2 lasergesteuerten 500-Pfund-Bomben * unverständlich*
bestückt und werden täglich mit kompletten E0/10-optischen
Türmen ausgerüstet. In C-120-Abwurffinden Sie Gerät
zur Auslösung von LGB-Waffen sowie energiesparendes
Signalfeuer. Gebrauchsanweisungen liegen bei. Zielbestimmung muss in Zeittor des Reaper-Betriebs und dessen unmittelbarer Nähe erfolgen. laserziel 10 Sekunden lang
halten *unverständlich.* Unter 10 Sekunden resultiert in
Abbruch. Energiesparendes Signalfeuer außen an Kleidung
tragen, um Geleitschutz zu gewährleisten. Luftfahrzeug wird
verharren 10 Engel *unverständlich* akustische Untaten
Erkennung vermeiden.
Noch 1 Minute Satelliten-Übertragungszeit
Textblock auf Mobilteil zur Beantwortung folgender Frage(n)
verwenden:
Hören Sie einen hohen Ton?
274
Ich gab Ja ein.
Der Schirm des Satellitentelefons leerte sich. Der Klangköder in der Ferne schien leiser zu werden, bis ich ihn kaum noch hörte. Nun schien er überall um mich herum
zu ertönen … aber eben kaum hörbar.
Auf dem Schirm erschien eine neue Frage:
Hören Sie einen hohen Rauschton?
Ja.
Das Geräusch verschwand aus meiner Wahrnehmung,
bis ich es gar nicht mehr hörte. Dann wurde ich wieder
gefragt:
Hören Sie einen hohen Ton?
Meine Antwort: Nein.
Text bitte wiederholen.
Nein.
Auf dem Bildschirm stand nun:
Projekt Hurrikan variable Lärmdämpfung dreidimensional
aktiviert. Alle infizierten vari *unverständlich* werden
aus Zentrum abfließen. Ihnen bleiben bei Batteriebetrieb
noch zwan *unverständlich* Stunden variabler Dämpfung.
Verschlechterung der Iridium-Satellitenübertragung bevorste
275
Anscheinend war das Gerät, das man verwendete, um
Untote in den nuklearen Untergang zu locken, auch zur
Erschaffung eines sicheren Radius geeignet, indem es
sie von dem geschützten Zentrum des jeweiligen Areals
fort lockte. Passenderweise nannte man das Ganze, entsprechend der turbulenten Orkanmauer und dem ruhigen Auge eines echten Wirbelsturms, Projekt Hurrikan.
Die Telefonstimme vor der Textübertragung hatte zwar
mechanisch geklungen, aber das ganze Unternehmen
kann unmöglich vollständig automatisiert sein. John muss
den Hubschrauber bereits im Moment unserer Überfälligkeit als vermisst gemeldet haben.
Vor vielen Monaten hatten wir Funksprüche eines
Mannes aufgefangen, der behauptete, ein Abgeordneter
des Staates Louisiana zu sein. Abgesehen von seiner finsteren Meldung über die Auswirkungen der Strahlung auf die Untaten hatte er erwähnt, endlich Kurzwellen
Funkkontakt zu einer Regierungsbasis aufgenommen
zu haben, die über Drohnen-Prototypen und jede Menge
Sprengstoff verfügte.
Zu der bei mir eingetroffenen Lieferung gehörten zahlreiche Kartons, die ich vor Sonnenuntergang inspizieren und inventarisieren musste.
Der erste Behälter war klein. Sein Deckel zeigte ein
eingraviertes Laser-Symbol. Ich machte den Schnappverschluss auf, öffnete den Behälter und stieß auf ein rechteckiges schwarzes Instrument mit normalen Bodenmontageleisten. Dazu gehörten eine einseitig auf Kunststoff gedruckte Gebrauchsanweisung und eine Schach-276
tel CR123-Lithiumbatterien. Die Gebrauchsanweisung
bestätigte die Mitteilung des Satellitentelefons. Auch fand
ich einen kleinen Aktendeckel mit Dokumenten sowie
eine Satelliten-Hybridlandkarte von Texas mit eigenartig
nummerierten Stellen, die auf verschiedene Orte hinwiesen. Ich gönnte mir eine schnelle Sekunde, um zu prüfen, ob das Laserteil mit der MP5 kompatibel war, jedoch ohne Erfolg.
Ich fand ebenfalls einen kleinen Hex-Schraubenschlüssel, mit dem man den Laser einstellen konnte, doch laut Gebrauchsanweisung war das Gerät innerhalb von eineinhalb Metern genau vorkalibriert, wenn es auf die T6-Leiste montiert wurde. Selbst wenn ich einen justierungsversuch hätte machen wollen, hätte ich immer nur knapp fünf Sekunden zur Verfügung gehabt, bevor
eine 50ü-Ffund-LGB-Detonation irgendetwas zerstört hätte.
Ein winziges Signalfeuergerät aus Kunststoffwar mit Instruktionen, wie man es tragen sollte, am Behälterdeckel befestigt. Es hatte große Ähnlichkeit mit dem Leuchtfeuerreflektor auf meinem Ski-Anorak, der Rettungskräfte herbeirief, wenn ich einen Skiunfall hatte. Die Batterie
des Reaper-Funkfeuers hielt angeblich sechs Monate; als
dessen Zweck war Geleitschutz durch die Reaper-Drohne
und Verhinderung von Selbstvernichtung angegeben. Es
bumste also nicht, wenn man beim Wandern auf dem
Land versehentlich den eigenen Fuß laserte.
Auf der Rückseite der Gebrauchsanweisung standen
die grundlegenden Fähigkeiten und Einschränkungen
der Drohne. Laut Satellitentext verfügte ich am Tag über
277
zwölf Stunden Betriebszeit. Sie passte nicht zur ausgeschriebenen Ausdauer der Drohne, was mich glauben machte, dass Remote Six mehr als nur einige Kilometer
entfernt war. Laut Instruktion würde meine Drohne bis
heute um 18.00 Uhr und morgen wieder um 6.00 Uhr
über mir in der Luft sein.
Im nächsten Behälter waren ein M-4-Sturmgewehr mit
Leuchtpunktvisier und Surefire-LED-Leuchte, 500 Schuss
.223er Munition und fünf Magazine. An der Seite der Waffe,
dem Laserlicht gegenüber, befand sich eine Vorrichtung
für die Laseranzeige. Im Schaumstoff darunter lagen
eine 19-mm-Glock mit 250 Schuss 9-mm-Munition, drei
Magazine und ein Schalldämpfer. Außerdem enthielt
der Waffenbehälter zwei Splittergranaten. Sie waren der
Grund dafür, dass ich mich entscheiden musste, was ich
mitnehmen und liegen lassen sollte.
Im nächsten Behälter: Vakuumverpackte Trockennahrung. Zwanzig Proviantpäckchen a drei Essensportionen diverser Art. Zur Nahrung gehörte eine Plastikflasche
mit hundert Wasserreinigungstabletten.
Ich baute den neuen Proviant am Boden aufund legte
die Waffen daneben. Zwei Behälter blieben übrig. Im
nächsten fand ich ein Fläschchen mit Treibstoffzusatz.
Er war als »experimentell« bezeichnet, aber auf der Rückseite war ausdrücklich vermerkt: »1/4 Flasche auf 30 Liter.
Vor Verbrennung eine Stunde warten. Überdosierung
kann instabile und gefahrliehe Brennstoffflüssigkeit ergeben.« In dem Behälter war auch eine Handsaugpumpe, die so leicht war, dass ich kein Problem darin sah, sie
278
mitzunehmen. Mir schien, der Zweck dieses Teils der Ladung bestand darin, mich in die Lage zu versetzen, ein alternatives Transportmittel zu finden und für meine
Zwecke zu nutzen.
Im letzten Behälter befand sich ein Verdichtungssack,
in dem ein neutraler Mumienschlafsack mit sehr eigenartigem Tarnmuster steckte. Auf dem Sack waren ein Gore-Tex-Etikett und ein Schildchen mit einer NSN-Nummer, laut dem er für null Grad Celsius geeignet und wasserdicht war. Statt mit Reißverschluss war er mit Druckknöpfen versehen. Ein Pistolenholster aus Leinwand war in Hüfthöhe an die Außenseite genäht: eben dort, wo
man normalerweise eine Pistole trägt. Der Schlafsack
war so konstruiert, dass man aus dem Schlaf heraus im
Nu zum Kampf schreiten konnte.
Ich überprüfte die Umgebung. um sicher zu sein, dass
hier keine Untaten aktiv waren, nahm den Rucksack
ab und baute alles neben mir auf. Nun war es an der
Zeit, die Gegenstände nach Wichtigkeit zu sortieren: angefangen bei denen, auf die ich keinesfalls verzichten konnte, bis hin zu denen, deren Besitz nichts als freudigen Luxus bedeutete. Die Sonne verblasste gerade am Horizont, als ich den Wecker meiner Armbanduhr stellte,
damit er sich in zwei Stunden meldete.
Die MPS zu behalten war nun mehr oder weniger
sinnlos, da ich die M-4 und die schallgedämpfte Glock
als Ersatz hatte. Ich kann die MPS aber erst ausrangieren, wenn ich die M-4 im Einsatz getestet habe; andererseits kann ich bei dem ganzen mir zugelaufenen Zeug 279
nicht über längere Zeit hinweg zwei Kanonen mit mir
herumschleppen. Ich habe Platz, um meine alte G-17 als
Ersatz zu tragen, da sie kleiner ist und mit einem NSG
und einem lösbaren Dämpfer ausgerüstet ist. Die Magazine der 17 passen auch zu der 19 - ein weiterer Gewinn.
Der Mumiensack muss mitkommen. Er kann die schwere
Wolldecke ersetzen, die ich zum Poncho umgebaut habe
und trage wie einst Pancho Villa. Fünfhundert Schuss
.232er Munition wiegen schwer. Ich spiele mit dem Gedanken, morgen ein paar Kugeln zu verschießen, solange die mutmaßliche Projekt-Hurrikan-Dämpfung noch aktiv
ist. Um ganz sicherzugehen, werde ich die Schüsse erst
abgeben, wenn ich mich auf den Weg mache. Ich habe
noch 210 Schuss 9-mm-Patronen aus dem Hubschrauber
übrig. Zusammen mit den 250 Schuss der Lieferung verfüge ich nun über 460 9-mm-Geschosse für die Pistolen.
Ich werde morgen auch einige Kugeln mit der 19 verschießen, um mich von ihrer Verlässlichkeit zu überzeugen, auch wenn ich die 17 wegen ihres hohen Kosten{
Nutzen-Faktors als Gepäckgewicht behalten werde. Granaten sind, wie die Wasserreinigungstabletten und die Trockennahrung, ein wertvolles Geschenk. Ich brauche
dringend ein paar neue Socken. Dann kann ich die alten
als Granatenhalter verwenden, um sicherzugehen, dass
sich der Splint, wenn ich nach Süden unterwegs bin,
nicht versehentlich selbst abzieht.
280
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Meiner Meinung nach ist das Beste, mir das PRC-9ü-Funkgerät wegen seines Gewichts vom Hals zu schaffen; zudem besitze ich keine funktionierenden Batterien. Die Wolldecke und die MP5 stehen (vorläufig) ebenfalls auf
der Liste zu entsorgender Gegenstände .. Ich habe vor,
die Waffe und ein Magazin an einem sicheren Ort zu
deponieren und diesen auf meiner neuen Landkarte
zu markieren. Ich habe mein Zeug umgepackt. Die Munition ist der schwerste Teil des Gepäcks und erhöht 282
das allgemeine Nettogewicht um mehrere Pfund. Ohne
die MPS, die Wolldecke und das Handfunkgerät ist das
Gewicht zwar leicht, aber nicht unbedingt merklich gestiegen.
Nicht fern von mir steht ein Wohnhaus. Nun, da mein
Zeug verpackt ist, gehe ich in Stellung, um es zu beobachten, denn ich will wissen, ob es mir am Abend Unterkunft bieten kann. Die einzigen Dinge, die zurückbleiben, sind die Wolldecke, das so gut wie nutzlose PRC-9D-Funkgerät und ein halber Fallschirm. Ein Stück Schirm und Fallschirmleine habe ich für den Fall abgetrennt, mal
einen Unterstand zu brauchen. Es wird inzwischen immer
schwieriger, Fallschirmleine von militärischer Qualität
zu finden.
Ich werde mir die M-4 umhängen und der bewährten
(wenn auch qualitativ mittelmäßigen) MPS eine letzte
Patrouille gönnen, bevor sie eingelagert und auf eine kryptische Markierung auf einer Landkarte reduziert wird.
Die Sonne hatte ein letztes Stückehen Himmel übrig gelassen, als ich den Rucksack schulterte und mich vorn Acker machte. Dass er etwas schwerer war als zuvor,
spürte ich deutlich, denn das Gewehr, das ich schleppte,
betonte das Gewicht. Ich ging nach Südwesten, zu dem
Wohnhaus, das ich zuvor mit dem Fernglas beobachtet hatte. Es war zweistöckig, die Fensterscheiben waren 283
noch heil. Sie waren zwar nicht mit Brettern vernagelt,
aber zu weit vom Boden entfernt, um ohne weiteres ins
Haus einsteigen zu können. Die Fensterbank lag ungefähr auf der Höhe meines Kopfes. Bei einigen Fenstern waren die Gardinen zurückgezogen, bei anderen geschlossen. Es erschien mir ziemlich typisch und nicht bedrohlich. Ich umkreiste das Gebäude vollständig und suchte es nach Anzeichen von Kämpfen oder Eiterschlieren ab,
die belegten, dass es hier zu einer Begegnung mit Untoten gekommen war.
In der Garage stand kein Wagen. Das Gras war natürlich sehr hoch, doch die einzige Unregelmäßigkeit im Bewuchs deutete auf Kaninchen hin. Ich ging auf die
Vorderveranda, stellte meinen Kram ab, lehnte das M-4
an die Hauswand und überzeugte mich, dass die MP5 geladen war. Dann prüfte ich das Fliegengitter. Es war verschlossen, also zog ich mein Messer und zerschnitt die Leinwand, so dass ich hineingreifen und den Haken umlegen konnte, um sie zu öffnen. Als ich hineingriff, um die Tür zu öffnen, bewegte sich etwas an einem Fenster
neben der Tür. Ich zog die Hand sofort zurück, zog mir
dabei eine Schramme zu, sprang von der Veranda und
verbiss mir einen Aufschrei …
Es war nur ein vom Wind bewegter Vorhang, sonst
nichts.
Ich nahm auf der Veranda Platz, konzentrierte mich
und versuchte einen Grund zu erlauschen, der mich zwingen konnte, heute Nacht auf dem Dach statt im wärmeren Inneren des Hauses zu schlafen. Aus dem Haus hörte 284
ich nichts, und draußen rührte sich auch nichts außer
dem hohen Gras, welches das Gebäude umgab. Als ich
den zweiten Versuch unternahm, strahlte die Sonne im
orangeroten Leuchten ihres kurz bevorstehenden Untergangs. Ich hätte nie gedacht. dass es jedes Mal erheblichen Mut erforderte, einen Platz zum Schlafen, zur Reorganisation oder zum Nachdenken zu finden.
Ich ging einfach auf das leichte Fliegengitter zu
und schob die Hand durch die Leinwand, um das erste
Hindernis auf dem Weg ins Innere zu beseitigen. Ich
brauchte kaum Kraft, um sie aufzuziehen. Staub und
Dreck fielen mir auf den Kopf, bevor ich Zugang zum
Haupteingang fand. Ich griff nach dem Messingknauf
an der Tür und spürte sein kaltes Metall in der Hand.
Ich hielt ihn eine ganze Weile fest und fragte mich
dabei, in welche Richtung ich ihn drehen sollte. Vor
einem Jahr hätte ich es natürlich gewusst, doch j e länger ich unter den gegenwärtigen Umständen lebe, umso fremdartiger kommen mir die einfachsten und vertrautesten Dinge unserer Zivil�sation vor. Ich drehte den Knauf vorsichtig nach rechts, und die Tür schwang mit
einem Stoß meines Stiefels auf. Der Raum war vor langer Zeit verlassen worden und stark heruntergekommen. Hier war seit Monaten niemand mehr gewesen. Es sieht aus, als hätten sich die Menschen, die hier gewohnt haben, schon lange vor dem Ausbruch dieser Pest davongemacht.
Ich schaute mich im gesamten Parterre um und zog
alle Vorhänge beiseite, damit das Haus in seinen dunk-
285
len Ecken keine Teufeleien vor mir verbergen konnte.
Nach der Überprüfung des Erdgeschosses begab ich mich
über die vermutlich am lautesten knarrende Treppe des
Planeten Erde nach oben. Ich behielt Recht. Oben angekommen sah ich, dass das Haus sauber war. Nichts reagierte auf den Krach, den ich auf dem Weg nach oben veranstaltet hatte. Trotzdem. Ich war mehr als einmal
in Todesgefahr geraten, weil ich die langsame Tödlichkeit der Ghoule unterschätzt hatte. Ich suchte das obere Stockwerk mit der gleichen Nervosität, Gründlichkeit
und Angst ab, die ich seit Monaten in meinem Inneren
bewahrte. Als ich von einem Zimmer zum anderen ging,
trieb mein Geist in finstere Alpträume jener Art ab, die
mich darüber spekulieren ließ, was ich im Falle einer
Infektion tun würde. Ich dachte sofort an Selbstmord
und daran, mit einer Kugel im Hirn zu enden. Vielleicht
würde ich eine ominöse, aber witzige Botschaft hinterlassen, wie der junge Lagerarbeiter, den ich - wie mir schien - vor Jahren getötet hatte. Wie lange war es wirklich her?
Ich schreckte aus meinen morbiden Gedanken hoch,
ging weiter von einem Raum zum anderen, überprüfte
Wandschränke und schaute unter die Waschbecken im
Badezimmer, denn ich wollte sichergehen.
Angenommen, jemand lag unter dem Bett? Angenommen, es war ein Kleinkind?
Ich musste innehalten. Hatte ich wirklich unter allen
Betten nachgesehen? Sind wir nicht vielleicht doch ein
bisschen zwanghaft? Ich durchsuchte oben alles noch
286
einmal und tat unten das Gleiche, bevor ich mein Zeug
reinholte und sämtliche Türen und Fenster im Hause
verschloss. Ich bemerkte vier Zierkerzen an verschiedenen Stellen des Wohn- und Speisezimmers. Ich brachte sie zusammen mit meinem Zeug nach oben und suchte mir das Schlafzimmer der Hausherren als Basis meiner Schlafunternehmungen aus. Auf dem Bett waren keine Laken und unter der Matratze keine toten Kleinkinder.
Ich zündete die beiden längsten Kerzen an und stellte
sie auf die leere Kommode am Fußende des Bettes. Mein
Gepäck baute ich arn Fenster auf, damit ich stiften gehen
konnte, falls sich meine Lage in der Nacht verschlechterte. Ich schloss auch die Schlafzimmertür ab und schob eine Kornmode davor, für den Fall, dass ich mir
Zeit erkaufen musste. Dann überprüfte ich das Fenster,
um zu erfahren, ob es sich im Notfall schnell öffnen
ließ. Inzwischen war es so dunkel, dass ich das NSG dazu
verwenden konnte, einen 18o-Grad-Blick aus dem Fenster zu werfen und nach Anzeichen für wandelnde Leichname Ausschau zu halten. Ich sah keine.
Als ich im Finsteren saß und dem Knarren des Hauses
im Nachtwind lauschte, dachte ich detaillierter über die
Ereignisse dieses Tages nach. Es führte aber lediglich zu
noch mehr Verwirrung.
Warum las mich die C-13Q-Frachtmaschine nicht auf
irgendeinem Flugplatz in der Nähe oder an einem gesäuberten Landstreifen auf?
Wer oder was ist Remote Six?
287
Statt Schafe zu zählen, zähle ich unbeantwortete Fragen, bevor ich, vorn flackernden Licht mich glücklich stimmender Kerzen bewacht, in einen tiefen Schlafversinke …
Kerzen, die das Gegenteil dessen tun, wozu sie da sind.
288
;_ Durchs Nadelöhr/
lll. p”” 11lgEp,
�.oo u�”’
Ich habe die letzte Nacht fest und ohne Störung geschlafen. Ich habe von den Klangködern geträumt. Vielleicht hat der Wind sich auch gedreht und mein Unterbewusstsein sie tatsächlich wahrgenommen. Die Sonne geht am östlichen Himmel auf. Ich hatte genug Zeit, um die restliche Dokumentation zu studieren, die mit der Ausrüstung vom Himmel gefallen war, und ein paar Zielübungen mit dem M-4 und dem G-19 zu veranstalten. Zur Dokumentation gehört auch eine Landkarte der anvisierten Hurrikan-Lärmunterdrückungsziele. Die drei Einheiten wurden in Shreveport (Louisiana), Longview (Texas) und Texarkana (Texas/Arkansas) eingesetzt und sind laut
der Satellitentelefon-Mitteilung unterschiedlich laut eingestellt.
Momentan halte ich mich einige Kilometer nördlich
von Marshall auf, was bedeutet, dass ich die Strecke von
Longview nach Shreveport teilen muss, um eine maximale Gefährdungsvermeidung zu erzielen. Die Lärmunterdrückung zeigt Unterdrückungsbereiche an. Rote 289
Kreise um Zielgebiete sind Gefahrenzonen. Ein sicherer
grüner Korridor stellt den zwischen den Gefahrenzonen
im Süden liegenden, empfohlenen Weg dar. Die Kreise
sind dort, wo die Lärmunterdrücker stehen, nicht ganz
rund, wahrscheinlich aufgrund des Terrains und anderer Faktoren, die Geräuschübermittlungen einschränken.
Die Landkarte wurde allem Anschein nach von einem
Computer erstellt. Interessant sind auch die orange markierten Gebiete von Dallas und New Orleans, die das internationale Strahlungssymbol zeigen. Die Flächen bedecken ein beträchtliches Gebiet um diese Städte und weisen an ihrem spitzen Ende wie Tränen nach Osten.
Es sieht so aus, als zeige das Orange die Grenzen des
radioaktiven Niederschlags unter Berücksichtigung des
Windes an.
Die Lärmunterdrückungszone von Texarkana ist aus
mir unbekannten Gründen fast um ein Drittel größer
als die beiden anderen. Der empfohlene Ausweichpfad
führt mich südöstlich an Marshall vorbei über den Highway 80 und dann nochmal dreißig Kilometer nach Südsüdosten. Die sichere grüne Zone endet etwa fünfundzwanzig Kilometer östlich von Carthage. lch weiß nicht, was passiert, wenn die Batterien der Klangköder in diesen drei Städten leer sind. Bei ihrem letzten Lauf wurden sie von atomaren Sprengköpfen in Fetzen gerissen und haben so viele Lebende wie Tote mitgenommen. Das
Beste ist wohl, davon auszugehen, dass die Toten sich
dann wieder zerstreuen und auf die Suche nach Nahrung begeben. Mit dem Zeug, das ich schleppen muss, 290
schaffe ich höchstens fünfundzwanzig Kilometer am
Tag. Wenn ich der verschwurbelten Übermittlung glauben kann, ist der mich abschirmende Lärm in zwölf Stunden zu Ende.
Zur Dokumentation gehören auch Schätzungen hinsichtlich der Infizierten und der nordamerikanischen Verluste. Laut diesen Berechnungen geht man in beiden
Fällen von ungefahr 99 % Betroffener aus. Nach der letzten Volkszählung, an die ich mich erinnere, hatten die USA etwas mehr als dreihundert Millionen Einwohner.
Da kann man sich an den Fingern einer Hand ausrechnen, dass mir etwa 297 Millionen untote Gegner gegen
überstehen. Und diese Zahl steigt fraglos mit jedem weiteren Tag. Untote können sich Fehler leisten. Sie können es sich leisten, in einen Abgrund zu stürzen, vom Blitz getroffen oder durch den Brustkorb geschossen
zu werden. Die Lebenden gebieten nicht über diesen
Luxus. Jeder Fehler, den ein Lebender macht, bringt ihn
der Wahrscheinlichkeit näher, sich hundertprozentig
anzustecken. Meine Zahlen schließen die zahllosen Untoten nicht ein, die ich ausradiert habe oder die bei den nuklearen Attacken am Jahresanfang draufgegangen
sind.
Eine große, gefaltete topographische Landkarte von
Ost-Texas gehört ebenfalls zur Dokumentation. Sie besteht aus wasserfestem Material, ist mit Illustrationen weit verbreiteter essbarer Pflanzen dieser Region versehen und erläutert verschiedene Wassersammelverfahren.
GPS ist nicht mehr. Diese Karte wird mich, im Verein
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mit dem Straßenatlas, den ich noch irgendwo organisieren muss, meinen Weg nach Hause finden lassen.
Nach einer nochmaligen Überprüfung der Dokumente
ging ich hinaus und schaute mir das Gelände an, um
meine neuen Waffen zu testen. Die Umgebung war sauber, also unterzog ich das M-4 einem schnellen Belastungstest. lch sah durch die Zieloptik Mir fiel sofort auf, wie gut sie war. Ich konnte mit ihr zwar keine Nägel einschlagen, aber für einen Kopfschuss war sie allemal geeignet. Ich traf problemlos ein paar golfballgroße Steine in fünfzig Meter Entfernung und zerlegte sie zu Staub.
Nachdem ich mit der Knarre vierzig Schuss verballert
hatte, zerlegte ich sie und schaute sie mir von innen an.
Später setzte ich sie wieder zusammen und gab nochmal zehn Schuss ab, um sicherzugehen, dass alles so lief, wie es laufen musste. Ich hatte jetzt nur noch 450
Schuss von der .232-Munition, so dass ich nun auch nicht
mehr ganz so viel zu schleppen hatte.
Bevor ich den Laserkennzeichner untersuchte, klemmte
ich das Funkfeuer ans linke Schulterteil meiner Weste.
Dann schnippte ich den Kennzeichner an und drückte
den Schalter auf dem seitlichen Handschutz. Sobald
ich ihn drückte, hörte ich einen Piepton, der schneller
wurde, je länger ich drückte. Nachdem ich langsam bis
drei gezählt hatte, ließ ich den Schalter los. Ich wollte
sichergehen, dass das Ding funktionierte und in meiner
Umgebung keine Bombe fiel. Zufrieden mit der M-4,
nahm ich die Glock und feuerte dreißig problemlose Kugeln ab. Bei den letzten zehn Schüssen verwendete ich 292
den Dämpfer, um in Erfahrung zu bringen, wie er die
Zielgenauigkeit der Waffe beeinflusste. Mir fiel nichts
auf - abgesehen von der Zeit, die man brauchte, den
Dämpfer festzuschrauben. Ich weiß nicht genau, ob ich
momentan so schnell bin, wie ich es sein müsste. Auf
alle Fälle muss ich üben. Das Gewinde ist verdammt
fein; man muss den Dämpfer haargenau aufsetzen, um
ihn korrekt zu befestigen.
Unter dem Spülbecken in der Küche habe ich ein paar
Plastiktüten gefunden. Nachdem ich mich von der MPS
verabschiedet hatte, packte ich sie zusammen mit den
leeren Magazinen und einer frischen Schicht Motorenöl
von dem erbeuteten Putzlappen in die Tüten. Ich schaute
in den Kühlschrank in der Küche, aber er war schon vor
langer Zeit geleert worden. Da er nicht den geringsten
Bissen enthielt, stank er nicht mal. Ich entkleidete ihn
seiner Einlegeböden und brachte sie in die Speisekammer. Nachdem die Waffe mit dem Lauf nach oben im Kühlschrank deponiert war, markierte ich sie auf meiner Landkarte und schrieb auf einen Zettel: .>.>IL.ILP.� wA”’
�IEP.· �.:::�U IM IL.ü�L�I.t.. �JA.:::�.((
Ich legte den Zettel auf den Küchentisch und beschwerte
ihn mit der am Abend zuvor angezündeten Kerze.
293
Beim Umpacken meiner Ausrüstung fiel mir das Iridium-Satellitentelefon ein. Ich beschloss, es zu aktivieren und trotz des mir bekannten Zeitfensters auszuprobieren. Ich nahm Platz und schaute fünfMinuten zu, als es versuchte, sich in den Satelliten einzuklinken. Erfolglos. Ich stellte die Weckfunktion meiner Armbanduhr, damit sie mich an das Zeitfenster erinnerte. Ich will sicherstellen, dass das Telefon dreißig Minuten vor dem Kommunikationsfenster mit klarer Sicht auf den Himmel eingeschaltet ist.
Ich möchte in einigen Minuten aufbrechen und über
den Hurrikanpfad zwischen Longview und Shreveport
düsen, aber zuerst muss ich den Inhalt zweier Konservendosen verdrücken, um das Gewicht meines Rucksacks zu reduzieren. Eine Dose Chili und eine Dose Rindfleisch
müssten mir genug Kraft für die strapaziöse Strecke verleihen, die vor mir liegt.
13.oo u�”’
Das Gewicht des Rucksacks ist tatsächlich etwas, an das
man sich gewöhnen muss. Ich habe seit heute früh etwa
zehn bis zwölf Kilometer zurückgelegt; also etwa zwei
pro Stunde. Ich habe die Hälfte meines Wassers konsumiert, weil es mich motiviert, dass es sich im Magen leichter tragen lässt als auf dem Rücken. Seit dem Verlassen der Abwurfzone habe ich keine Bewegung gesehen. Nicht mal einen Vogel. Der Wind ist leicht und ver-294
änderlich, was den Mangel an allem Möglichen noch
beunruhigender macht. Ich weiß, dass die Klangköder
entweder tot oder dem Eingehen ziemlich nahe sind,
was zu wer weiß welchen Konsequenzen führen kann.
Hin und wieder packt mich die Angst, und dann reiße
ich die Knarre hoch und lege auf etwas an, das sich
schlussendlich als Phantom erweist. Das letzte Phantom
war ein Oberhemd, das auf einer Wäscheleine auf einem
längst verlassenen Hinterhof hing. Ich war mir ganz sicher, dass es ein Ghoul war.
Tschernobyl … Ich erinnere mich an etwas Bedeutendes aus der Vergangenheit. Ich habe mal einen Zeitungsartikel über Tschernobyl und den Bericht einer Forscherin gelesen. Laut ihr war dort alles gespenstisch still. Sie hatte ein Strahlenmessgerät mitgenommen und die tote
Stadt untersucht. Man hatte tatsächlich Reisegruppen
dorthin gefahren. Viele Touristen hatten sich aufgrund
dieser Stille schon deutlich vor dem Reiseziel verabschieden wollen. Nun ist der größte Teil des Kontinents tot und wird es auch bleiben.
Im Krieg wird niemand entlassen!
Ich habe vor einer Stunde angehalten, um auf den Iridium-Anruf zu warten, aber kein Text kam. Ich habe versucht, Remote Six anzurufen. indem ich über die Liste der empfangenen Anrufe die Rückruffunktion aktivierte …
Besetztzeichen. Ich sitze auf dem Dach eines alten gepanzerten Fahrzeugs in einem Straßengraben. Auf dem Fahrersitz hockt eine Leiche. Außer Knochen und der
Uniform ist kaum noch etwas von dem Mann übrig …
295
Hat sich vermutlich schon ganz am Anfang selbst getötet.
Ich schaue in alle Richtungen, sehe aber rein gar nichts.
Mir ist übel, weil ich heute früh zu viel gegessen habe.
Ach, hätte ich nur schon einen Platz gefunden, an dem
ich mich für den Rest des Tages und die Nacht verkriechen kann. Ich möchte aber noch zwei Stunden weiter laufen, bevor ich ein Versteck suche. In einem Auto zu
schlafen - wie der Leichnam unter mir - ist keine Option. Die Eiterschlieren rings um das Fahrzeug sprechen eine deutliche Sprache. Der arme Hund war vermutlich
tage- oder wochenlang umzingelt, bevor er aufgegeben
und Selbstmord begangen hat.
Meine Landkarte ist so gefaltet, dass sie das Gebiet
zeigt, in dem ich mich befinde. Sie ist keine Neuerscheinung, deswegen kann sie die Region nicht so darstellen, wie sie jetzt ist. Aber sie ist besser als nichts.
Am westlichen Horizont sammeln sich Gewitterwolken. Es besteht die Möglichkeit, dass ich eine feuchte Nacht erlebe, falls ich tatsächlich unter freiem Himmel
schlafe. Ich habe das Gefühl, dass bei mir eine Erkältung
im Anmarsch ist. Hoffentlich ist es nichts Schlimmeres.
Jemand verfolgt mich. Nachdem ich meine Ruhezone
heute Nachmittag verlassen habe, klingelte das Satellitentelefon. Es war ungefähr 13.55 Uhr. Ich hätte den Anruf beinahe verpasst. Das Telefon steckte unter dem Oberteil
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des Rucksacks; die Antenne lugte an der rechten Seite
heraus. Als ich das schwere Ding endlich vom meinem
Buckel runter hatte, hatte es bereits dreimal geklingelt.
Ich drückte auf Sprechen und lauschte dem vertrauten
Klang der digitalen Abfolge, als die Satellitentextdaten
für den Downlink komprimiert wurden .
… LB folgt:
Projekt Hurrikan: Erfolgreich. Ausweichroute annehmbar frei,
im Südwesten leichte Untaten-Dichte.
Reaper: Verbleib FMC v. zwei LGB einsatzbereit.
Gefahren: Nicht identifizierter Bewaffneter aus Norden.
Dreißig Untote, zwei verstrahlt im Umkreis von 15 km
lokalisiert. Gegenwärtiger Aufenthaltsort lt. Reaper
Sensoren …
Die Verbindung ging sofort nach dem letzten Wort flöten. Ich zückte schnell mein Fernglas und suchte die Gegend hinter und nördlich von mir ab. Ich sah keine
Spur meines nicht identifizierten Verfolgers. Das Telefon räumte mir keine Möglichkeit ein, Fragen zu stellen oder die Textkommunikation zu lenken. Irgendwas stimmt nicht an der Beziehung zwischen mir und der
Einheit am anderen Ende dieses Telefons. Vielleicht gibt
es ein Problem mit dem Satellitennetz, das nur Übertragung um etliche Ecken ermöglicht. Es muss doch eine Datenverbindung der Drohne am Himmel zu einem
Steuerzentrum geben, in dem sie gelenkt und ihre Bildschirme überwacht werden.
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»Dreißig Untote, zwei verstrahlt.« Das kann nur eins
bedeuten. Dallas, Texas. Ich habe gesehen, wozu Untote
dieser Art fähig sind. Und nun, da ich weiß, dass sich in
meiner Umgebung zwei dieser Dinger aufhalten, werde
ich meine Anstrengungen verdoppeln, um den Kontakt
mit jedem Einzelnen zu vermeiden.
Momentan regnet es. Ich habe Unterschlupf im Führerhaus eines Farmtraktors gefunden, der allein auf einem großen Feld steht, das von einem kaputten Rinderzaun
umgeben ist. Die Hinterachse der Karre ist von einer Menge
Stacheldraht umwickelt; fraglos das Ergebnis eines Versuchs, den Zaun niederzuwalzen. Noch ein Relikt aus alten Zeiten. Hin und wieder kneife ich die Augen gerade so weit zusammen, um da draußen etwas zu sehen.
Gerade genug, um mich davor zu fürchten, meinen Unterstand zu verlassen und so schnell wie möglich durch die texanisehe Nacht zu rennen.
Mein Verstand gaukelt mir fortwährend etwas vor, damit ich glaube, ich sähe in der Ferne sich rasch bewegende, verstrahlt glühende Untote. Es ist kalt hier. Ich habe meine Beine in den Mumiensack gesteckt. Es scheint gut
zu funktionieren. Der Traktor ist ein John Deere in Grün.
Genau wie die Farbe, die ich alle paar Minuten qurch
mein NSG sehe, wenn die Paranoia mich übermannt und
zum Umschauen zwingt.
Ob der Mann, der mich verfolgt, die gleiche Furcht
empfindet? Morgen ziehe ich durch das zeitweilig sichere Gebiet weiter nach Süden, zurück nach Hause.
298
I s. Pli..11)�EP.
<a.oo u�p.
Beim Aufwachen leuchtete die Sonne über den Horizont
genau in mein Gesicht. Habe erneut über die beim gestrigen Anruf erhaltene Telefonbotschaft nachgedacht.
Heute werde ich auf dem Weg nach Südwesten pausenlos hinter mich schauen. Wenn der Lagebericht des Satellitentelefons sich als wahr erweist, muss ich in nächster Zukunft mit einigen Schwierigkeiten rechnen. Der Mumiensack wird um meinen Zivilrucksack gewickelt,
um meine Sichtbarkeit für jeden zu verringern, der
mich verfolgt. Der Mann geht zu Fuß. Um ihm zu entgehen, wäre es vielleicht das Beste, einen Wagen aufzutreiben, ihn mit dem Solarladegerät zum Laufen zu bringen und mit der Handpumpe den Treibstoffzusatz einzuspeisen. Der einzige Nachteil dieses Plans ist, dass der Einsatz des Ladegeräts an einer Autobatterie für einen
Startversuch mich einen ganzen Tag kostet. Außerdem
muss ich die Karre dann wahrscheinlich auch noch kurzschließen. Ich muss einen Wagen finden, dessen Zündschlüssel noch steckt - was in den meisten Fällen wohl bedeutet, dass auch sein Besitzer noch drinsteckt.
299
‘3.oo u�p,
Ich habe mit dem Ende einer Rattenfalle ein Loch in den
überwucherten Farmboden gegraben. Mit gesammeltem
Feuerholz ist es mir gelungen, ein fast rauchloses Feuer
anzuzünden - mit einem schrägen Verfahren aus Büschen und Blättern, die den Qualm verwischen. Ich habe heute eine Dose Chili erhitzt und ein Viertel meines
Wasservorrats verbraucht. Ich weiß zwar, dass geringe
Nahrungsvorräte nie gut sind, aber wann immer mein
Blick auf meinen Rucksack fallt, überfallt mich das Bedürfnis, meine gesamten Konserven und die Einmann
Rationen zu verzehren, bis nur noch Trockennahrung
übrig bleibt. Die Grenzen meiner Neigung, mir alles
Schwere vom Hals zu schaffen, enden bei der Munition.
Ich werde sie bis zum Äußersten verteidigen, den die
stets gegenwärtigen Gefahren, die mich sowohl unmittelbar umgeben als auch vor mir liegen, sind zahlreich.
Angesichts der jüngsten Ereignisse war es vielleicht
nicht die beste Idee, ein Feuer anzufachen, aber bevor
ich weiterziehe, brauche ich den moralischen Auftrieb
einer warmen Mahlzeit.
;oo
I(,. P� ‘fogEp.
11.a3 u�p.
Ausweichen funktioniert folgendermaßen. Um Untoten
aus dem Weg zu gehen, folgt man einem bestimmten
Rezept. Man macht sich klein, ist leise und plant alle
Schritte im Voraus. Diese Regeln verlieren ihre Gültigkeit. wenn man einem Menschen aus dem Weg gehen will, der an einem klebt. Sich klein zu machen und leise
zu sein gibt dem Jäger Zeit, seiner Fährte zu folgen und
dich zu schnappen, wenn er einem anderen Regelsatz
folgt. Vorsichtiger Ausgleich zwischen beiden Methoden
ist alles, was mich außerhalb der unmittelbaren Sichtweite meines mutmaßlichen Verfolgers gehalten hat. In den letzten dreißig Stunden habe ich keinen Anruf von
Remote Six erhalten. Ich weiß jetzt: Die Tatsache, dass es
einen den Boden beobachtenden Satelliten am Himmel
gibt, bedeutet nicht, dass diese Organisation ihn auch
einsetzen wird. Obwohl ich meinen Verfolger nicht sehe,
habe ich das Gefühl, dass mich etwas beobachtet und
ich nicht entscheiden kann, ob ich an Paranoia leide
oder den Blick eines mich aus der Ferne beobachtenden
Fremden tatsächlich spüre. Ich habe niemanden, mit
dem ich mir die Nachtwache teilen kann. Ich habe versucht, in der langen Nacht, die ich gerade schlafend auf dem Heuboden einer Scheune verbracht habe, wach zu
bleiben. Jedes Knarren des Holzes, j edes Flattern von
Nachtvogelschwingen haben mich aufspringen und im
grünen Schein meines NSG auf den roten Punkt meiner
301
Zieleinrichtung schauen lassen, während ich aufgeregt
versuchte, ein Ziel zu finden, das nicht da war. Was
wirkliche Angst bedeutet, werde ich erst morgen wissen.
Ich schreibe dies, weil ich gestern noch zu wissen glaubte,
was Angst ist. Doch Angst nimmt jeden Tag eine neue,
noch größere Bedeutung an. Beim Militär hatte ich
einen Freund, der eine andere Laufbahn einschlug als
ich. »Der einzige leichte Tag war gestern« war zwar nicht
sein persönliches Motto, aber er zitierte es oft, und es
passt mehr denn je in diese Zeit.
Mein Rücken schmerzt, ich leide an Erschöpfung. Nach
der quälenden Erfahrung der letzten Nacht im Stall erwachte ich beim Anblick eines Untoten, der auf dem Feld stand und zu dem Heubodenfenster hinaufschaute, an dem ich mich befand. Ich holte mein Fernglas und beobachtete ihn. Er sah mich und machte sich zur
Scheune auf. Es war ein Original-Ding und schon so
lange tot, dass sein Skelett sich an zahlreichen Stellen
seines Leibes durchdrückte.
Ich wollte ihn nicht irgendwo hingehen lassen, wo er
lärmen und andere aufmerksam machen konnte, also
zog ich die Pistole und schraubte den Schalldämpfer
auf, um ihn schnell und leise zu erledigen. Ich war froh,
dass er allein war. Als ich sah, dass der Dämpfer aufgeschraubt war, zog ich durch und schoss. Ich brauchte zwei Kugeln, um das Ding umzuhauen. Der erste Schuss
traf es am Hals, der zweite am Nasenrücken. Es fiel um,
und ich begutachtete es aus der Sicherheit des Heubodenfensters, um rauszukriegen, ob es vielleicht etwas 302
von Wert bei sich hatte. Abgesehen von einem Ledergürtel, der seine verrottende Hose festhielt, war nichts zu erkennen, aber es konnte ja auch was in den Hosentaschen haben. Beim Verzehr meiner letzen Dose Chili auf dem kalten Heuboden war mir aufgefallen, dass
ich nur noch eine Konservendose (Rindfleisch-Eintopf)
besaß. Vielleicht sollte ich sie mir noch ein paar Tage
aufsparen.
Konservendosennahrung wurde allmählich alt. Kalt
schmeckte sie mir nicht, doch sie zu verzehren gab mir
die Entschuldigung, meiner Umgebung zu lauschen,
bevor ich die Leiter hinabstieg. Ich möchte nicht, dass es
so aussieht, als hätte ich es meiner geistigen Gesundheit
zuliebe getan. Ich setzte mich hin, speiste und lauschte
nach jedem Geräusch, das dazu beitragen konnte, meinen Aufenthalt auf dem Heuboden auszudehnen.
Heute Morgen bin ich raus, weil ich wusste, dass mein
Projekt-Hurrikan-Schutz langsam auslief, was allein die
Tatsache bewies, dass ich die Dinger nun aus nächster
Nähe sah. Als ich loszog, war ich entsprechend schlecht
gelaunt und sah mich gezwungen, meine Gedanken auf
die letzte positive Erfahrung meines Lebens zu richten:
das leckere Chili. Eine gute Mahlzeit ist vermutlich das
Einzige, auf das ich mich freuen kann - und ein wichtiges mich heimwärts treibendes Motiv. Mir fällt ein, wie oft ich in der Wüste aufmarschieren musste. Ich denke
an den Krieg, wie sehr mir mein Zuhause fehlt und dass
ich doch immer etwas hatte, das mich durchs Leben
t rieb. Der Gedanke, mit meiner Familie zu zelten, oder
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der Gedanke, von meinem steuerfreien Extrageld ein
neues Gewehr zu kaufen; oder die Vorstellung, dass ich
tatsächlich irgendwann, wenn ich mich anstrengte und
meinen Auftrag erledigte, ein freies Wochenende haben
würde.
Jetzt dreht sich in meinem Kopf alles um eine warme
Mahlzeit. An diesem Gedanken werde ich mich heute
hochziehen. Morgen kann ich vielleicht über die Tatsache jammern, dass der Hubschrauber, mit dem ich abgestürzt bin, mehr als mangelhaft gewartet und vom
billigsten Anbieter ohne Gesellenbrief vor Hunderten,
wenn nicht gar Tausenden von Kilometern zusammengeschraubt wurde. Ein Montagsprodukt. Ich wurde in einem kaum bewohnbaren Gelände zu Boden gezwungen, weil ein Metallsplitter im Triebwerksgehäuse katastrophal versagt und die Fähigkeit einer Flugmaschine beschnitten hat, in der Luft zu bleiben. Jede Landung ist
eine gute Landung, wenn man danach aussteigen kann.
Es sei denn, man steigt als Toter aus.
Heute Abend habe ich Obdach in einer verlassenen
Tankstelle gefunden. Eine jener Oasen, die schon lange
vor dem Ende der Welt nicht mehr im Geschäft waren.
Kein Anzeichen von Leben - außer den Überbleibseln,
die Ratten vor Monaten oder Jahren hier hinterlassen
haben. Der Laden ist ausgeräumt, erscheint mir Jahrzehnte alt und war möglicherweise zu seiner Zeit eine Goldgrube. Die Pumpen sind mechanisch, am Dach sind
nirgendwo Überwachungskameras zu sehen. Unter dem
alten Holztresen im Ladeninneren lag der Rest eines
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Schrotflintenständers, Relikt längst vergangener Tage,
in denen der Besitz eines solchen Gegenstands selbstverständlich war.
Wie heute.
Ich fand ein paar gebrauchte Schneeketten, mit denen
man die Tür verriegeln konnte. Einen menschlichen Angreifer würden sie eine Weile aufhalten. Ein bis zwei Untote würden sie glatt anhalten. Ich baute mein Lager an einer Stelle auf, an der ich beide Zugänge im Auge behalten konnte. Von beiden schweren Türen aus konnte ich fünfzehn Meter weit bis zu den Bäumen blicken. Das
Gras hinter dem aufgeplatzten alten Asphalt der Parknischen ist ziemlich hoch gewachsen, aber man kann noch genug sehen. Der Wind heult, und ich höre auf
dem Dach der Benzinpumpe ein loses Blech klappern.
Es wird kälter. Ich schätze, dieser Winter wird, wenn ich
ihn noch erlebe, eine Herausforderung.
11- P“‘1‘0BEP.
�.oo u�P.
Hinter mir liegen mehrere beunruhigende Träume, aber
kein guter Schlaf. Ich habe hundert verschiedene Dinge
geträu<mt, kann mich aber nur an zwei erinnern. Allem
Anschein nach habe ich die vergessen, an die ich mich
gern erinnern würde. Ich war auf einem Hügel und
schaute auf Millionen Untote hinab. Da waren auch ein
paar 20-mm-Geschütze, von Leuten bemannt, die wie
305
US-Soldaten verschiedener Waffengattungen aussahen.
Ich sah mich selbst, als gäbe es mich zweimal, und schaute
in meine eigenen Augen, als ich den Feuerbefehl gab.
Die Untoten waren noch immer über einen Kilometer
entfernt, aber die 2ü-mm-Geschütze spuckten die Granaten so schnell hinab, dass sich vor den Füßen der zerfallenden Ghoule ein Graben bildete. Ich sah tief
fliegende AC-13ü-Kampfhubschrauber, die mit ihren Geschützen Tausende umlegten. Alte Kisten vom Typ F-4
und A-4 düsten über sie hinweg, warfen Napalm ab und
dezimierten den Feind, der aber weiter vorrückte.
Im nächsten Traum war ich bei Tara im Hotel 23. Sie
war allein im Umweltraum, kramte in einer Kiste herum,
die meine Sachen enthielt, und heulte. Während die
Tränen über ihre Wangen liefen, hörte ich sie sagen:
»Wo ist es?« Ich blendete aus meinem Unterbewusstsein
in die Realität der Lage um. Ich hatte seit dem Absturz
mein Bestes getan, um nicht an Tara zu denken. Weil es
meine Lage nur verkompliziert.
Beim Aufwachen fiel mir ein, dass ich nur noch eine
Dose genießbaren Rindfleischeintopf hatte. Was ja auch
eine gute Nachricht ist, denn sie war das letzte schwere
Nahrungsteil neben den beiden Einmann-Rationen. Ich
habe die Kerze nochmal angezündet, um die Dose mit
dem Eintopf zu kochen. Ich habe mich heute früh nicht
gut gefühlt und wusste nie genau, ob es an dem ständig
unterbrochenen Schlaf oder dem Anmarsch einer Erkältung liegt, dass ich mich schwach fühle und mir alles wehtut. Ich habe die Hälfte meines Wasservorrats ge-306
trunken, den Inhalt der ganzen Dose verputzt und dann
meinen Kram für die Mühen des Tages umgepackt.
11.oo u�P.
Ich habe heute trotz meiner scheinbar geschwächten
Kondition eine weite Strecke zurückgelegt. Im Moment
würde ich gern drei Liter Orangensaft trinken. Dies hat
in einer weniger beschissenen Welt früher immer geholfen, wenn auch nur vermeintlich. Ich war heute Morgen etwa zwei Stunden unterwegs, als ich in der Richtung.
aus der ich kam, ein Blinken sah, kaum mehr als eine
gerade noch wahrnehmbare Reflektion. Im Fernglas sah
ich nichts. Der Wind hat dann tagsüber stärker geweht,
und in etwa einem Kilometer Entfernung rührte sich
nichts außer sich wiegendem Blattwerk. Für den Fall,
dass ich angerufen werde, habe ich das Telefon ans Solarladegerät gehängt, das am Rucksack baumelt. Ich nähere mich dem unteren Teil der Landkarte. Ich nehme hin, dass sie keine täglichen Erscheinungen sind.
In den letzten beiden Stunden habe ich auf einigen
Feldern in verschiedenen Gebieten Grüppchen von Untoten gesehen und beobachtet. Sie scheinen jedoch nicht zu ahnen, dass ich in ihrer Nähe bin. Ich schaute fortwährend nach vorn aus und korrigierte laufend meinen Kurs, um in sicherer Entfernung vom Feind zu bleiben.
Alles, was näher als hundert Meter ist, könnte sich sehr
wahrscheinlich zu einer Feindberührung auswachsen,
307
je nachdem wie der Wind weht und der Zustand ihrer
Verwesung ist. Für den Fall, dass ich jemanden ausschalten muss, sind Pistole und Dämpfer stets schussbereit an den Rucksack geschnallt. Wenn mir jemand folgt oder
sich an meine Fährte heftet, darf ich das Risiko, Lärm zu
machen, nicht eingehen.
lb.OO u�p.
Heute kam kein Anruf. Ich habe den Eindruck, dass
meine Paranoia mich einige Zeit gekostet hat. Ich habe
fortwährend zurückgeschaut, um zu sehen, ob ich den
Burschen ertappe, der mir angeblich folgt. Ich habe
keine Spur von ihm gesehen. Ich habe zwar das Gefühl,
beobachtet zu werden, aber es ist schwierig zu bestimmen, ob es auf der Warnung oder auf einem echten sechsten Sinn basiert. Verflucht, vielleicht trifft beides
zu. Heute Nacht nehme ich Quartier in einer alten Taverne am Straßenrand. Es hat mich früh unter ein Dach gezogen, da ich den Eindruck nicht loswerde, dass der
Virus, den ich mir eingefangen habe, mich in Bälde
schwächen wird. Ich kann nichts essen, zwinge mich
aber, den Rest meines Wassers zu trinken. Ich höre Donner am Horizont. Die Luft riecht nach Regen. In den Regalen sind mehrere Flaschen Alkohol zurückgeblieben, die zu plündern sich niemand bemüht hat. Ich habe mir
eine verstaubte Flasche Maker’s genommen, sie geöffnet
und gleich einen Schluck aus der Pulle getrunken. Das
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Zeug ist ganz schön scharf, hat meiner Kehle aber gutgetan und mich innerlich aufgewärmt. Ich habe mich in eine Ecknische der alten Kaschemme gesetzt, die einst
River City Liquor & Eats hieß. Manche Leute sitzen gern
in einer Nische, wenn sie zum Essen ausgehen. Ich schätze,
ich bin der Ecknischentyp.
Ich weiß, dass all diese Alkoholflaschen auch einen
medizinischen Wert haben, da sie desinfizieren und den
Schmerz töten. Es wäre mir sehr lieb, wenn ich Platz
für mehr als ein Gläschen Whisky hätte. Der Wind haut
jetzt fester drauf. Bald - vermutlich, sobald dieser Satz
fertig ist - wird es regnen.
I ‘0. P� “(l)gEp,
9.oo u�P.
Dank des heftigen Regens konnte ich meinen Wasservorrat in der vergangenen Nacht dreimal auffüllen. Nach Überprüfung der Schubladen im Büro des Geschäftsführers entdeckte ich ein Röhrchen Pränatalvitamine. Ich schaute mir das Etikett an, um sicherzugehen, dass mir
davon keine Brüste wachsen, dann öffnete ich es und
genehmigte mir eine doppelte Dosis. Das Medikament
stand kurz vor dem Ablaufen, was bedeutet, dass seine
Wirkung vielleicht nur noch schwach ist. In meinem gegenwärtigen Zustand brauche ich Vitamin C. Mein Appetit liegt bei Null, aber ich habe Wasser in meinen Kreislauf gezwungen (seit gestern Abend fünfeinhalb Liter).
309
Ich hatte das Gefühl, alle fünfzehn Minuten mit der
Knarre in der einen und dem Dödel in der anderen strullend vor der Tavernentür zu stehen. Ich halte es für klug, die River City Tavern für mehr als eine Nacht zu meinem
Quartier zu machen, damit ich wieder zu Kräften komme.
1s.oo u�p,
Ich war draußen, müde und klapperig, um auf den Anruf
zu warten, der nie kam. Als ich mich auf eine alte im
Straßengraben liegende Schrottkarre gegenüber der Taverne stützte, erspähte ich einen Untaten. Er sah mich ebenfalls und schlurfte sofort auf mich zu. Ich hatte
keine Zeit, die gedämpfte Pistole zu ziehen. Ich zielte
mit dem Gewehr auf das Ding, richtete den roten Punkt
auf seine Stirn und drückte ab. Damit hatte es sich. Es
war allerdings sehr laut und wird zweifellos ein paar andere hierherlocken. Nachdem die Möglichkeit der Satellitenübertragung gekommen und gegangen war, kehrte ich leise in die Taverne zurück, um über meine Lage
nachzudenken. Je mehr Zeit verging, umso schwerer fiel
mir das Denken. Ich hatte das Gefühl, dass mein Fieber
ständig stieg. Auf dem Rückweg zur Taverne fiel mir im
Hintergrund ein Propangastank in der Form einer riesigen Aspirintablette auf. Es bestand die Möglichkeit, dass in diesem Laden auch gekocht worden war. In meinem
Rucksack hatte ich nur noch die Trockennahrung und
Einmann-Rationen.
3 10
1.1..oo u�p.
Das Propangassystem in der Taverne funktioniert. Mit
Regenwasser und einer alten Bratpfanne habe ich etwas
von dem getrockneten Zeug angebraten und mir reingezwungen. Obwohl mein Körper mir sagte, ich sei nicht hungrig, schmeckte es gut. Da es draußen dunkel war,
beschloss ich, mit dem M+Zielfernrohr und dem NSG
ein wenig zu üben. Ich wählte den roten Punkt auf der
ersten Einstellung, und mit dem NSG schien es ganz
gut zu klappen. Bei einer zeitlich begrenzten Schlacht
würde es gut ausgehen, aber schon nach einem oder
zwei Schuss, je nachdem, wie weit der Feind entfernt
war, musste das Mündungsfeuer mich verraten. Immerhin kann ich es aber, falls nötig, nachts einsetzen. Als ich mit dem NSG durchs Zielfernrohr schaute, sah ich
draußen vor dem Fenster Bewegung. Da es in der Taverne
pechschwarz war, wusste ich, dass die Dinger mich nicht
sahen. Ich zielte weiterhin hinaus und konzentrierte
mich auf den Punkt, um dafür zu sorgen, jede Bedrohung ausschalten zu können. Dann sah ich sie. Es waren zehn bis fünfzehn. Sie gingen auf der Straße herum. Ich
hielt die Luft an, beobachtete sie und redete mir mindestens dreißigmal aus, die Fähigkeiten meiner Waffe an ihnen auszuprobieren. Wenn sie merkten, dass ich
hier war, überlebte ich es vielleicht nicht. Die Erkältung
hatte mich stark geschwächt. Ein nächtlicher Kampf in
diesen engen Räumen gereichte ihnen vielleicht zum
Vorteil. Diese Nacht hält zu viele Möglichkeiten zum
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Sterben bereit. Ich mache mich also klein, verhalte mich
still - und muss leider wach bleiben.
��- p�”(OBEP.
b.lls u�p,
Der Morgen sieht aus als könne er sich zu einem klaren
Tag entwickeln. Gegen 2.00 Uhr haben sie die nähere
Umgebung verlassen. Ich habe mich erst um 3.00 Uhr
zum Einschlafen gezwungen. Ich funktioniere auch nach
drei Stunden Schlaf und habe sogar luftdicht verpackten Kaffee gefunden. Kaffee ist in meinem Zustand nicht unbedingt das Beste, aber heute früh brauche ich Koffein. Noch eine Nacht bleibe ich nicht hier. Wenn ich heute nicht weiterziehe, ziehe ich vielleicht nie wieder
irgendwohin. Wo einer ist, sind auch zwei, und wo fünfzehn sind, sind auch hundert. Ich will versuchen, heute fünfzehn Kilometer zu schaffen.
11..oo u�p,
Ich ruhe mich am Gefechtskamm einer Erhöhung aus.
Felsen decken mir den Rücken. Ich habe eine ziemlich
grässliche Entdeckung gemacht. Ein Stück unterhalb
liegt eine alte Getreidemühle. Wäre nicht aus einer Art
Behausung gleich nebenan Rauch aufgestiegen, wäre
ich beinahe daran vorbeigegangen. Dann ist da noch ein
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Nebengebäude, das so aussieht, als beherberge es Vieh
oder vielleicht Gefangene. Ich habe mir hier ein Nest gebaut, mit meinem Schlafsack als Versteck. Meine Ausrüstung liegt sicher in dem wasserdichten Rucksack und ist mit Zweigen bedeckt. Ich beobachte sorgfältig die Umgebung und frage mich, was ich tun soll.
Menschen laufen herum. Umherschweifende Wachen?
Ich muss ihre Bewegungen beobachten und ihre Verhaltensmuster durchleuchten.
1. Wächter (männlicher Bogenschütze): Beim Verlassen der Behausung zwischen 10.30 und 11.30 Uhr beobachtet.
2. Wächter (dicke Frau): Beim Streifengang zwischen
10.30 und 11.30 Uhr alle 15 Minuten zur Getreidemühle
beobachtet.
3. Wächter (A.K-47): Beim Wachestehen fünfzig Meter
von Gebäuden entfernt beobachtet. Wirkt aufmerksam.
Hat Wachhütte nicht verlassen.
13.oo u�p,
Die Lage: Eingehende längere Observation enthüllt, dass
eine bewaffnete feindliche Gruppierung mindestens einen
Zivilisten gefangen hält. Die Getreidemühle wurde zum
Einsatz von Muskelkraft umgebaut. Man setzt Untote
ein, um sie zu bewegen. Ob die Mühle Korn verarbeitet
oder Wasser an die Oberfläche pumpt, ist ungewiss. Ontote sind mit Geschirr an ihr festgebunden. Sie sind 3 13
nicht geknebelt, aber mit einer modifizierten Form von
Scheuklappen versehen, wie man sie von Pferden her
kennt. Die Dicke, die jede Viertelstunde kommt, stimuliert sie, voranzugehen.
Habe einen militärischen Truppentransporter ohne Verdeck beobachtet, der zum Gelände fuhr. An Bord: ein Fahrer und zwei Personen hinten. Sie scheinen zur Mannschaft dieses Stützpunkts zu gehören. Durchs Fernglas habe ich gesehen, dass die Dicke den Mund aufmachte
und die Männer schrill anschrie, nachdem sie einen (echten) Toten abgeladen hatten.
lll..OO u�p.
Das mit den fünfzehn Kilometern am Tag wird wohl
nichts. Ich wende das diplomatische Verfahren mit der
50ü-Pfund-LGB (lasergesteuerten Bombe) an. Nachdem
ich gesehen habe, dass sie einen lebenden Menschen ans
Rad der Getreidemühle gebunden haben, um die Untaten zu schnellerer Bewegung anzustacheln, musste ich diesen Beschluss fassen. Zuckerbrot und Peitsche. Ich
muss einen Ort finden, an dem ich heute Nacht unterkriechen kann, um später den Tagesablauf dieser Leute auszuspähen, damit ich zur Präventivattacke schreiten
314
kann. Offenbar wollen sie am Rad ein Lebend/Untat-Verhältnis von 1 : 1 erzielen. Die Lebendigen sind so dicht vor den Untoten angebunden, dass ich sah, wie ein Untoter tatsächlich den Rücken eines Lebenden mit seinen knochigen Fingerspitzen berührte. Sie gehen pausenlos
im Kreis.
Am liebsten würde ich sie sofort mit Handgranaten
bepflastern, aber wenn ich keinen Platz finde, an dem
ich heute Nacht bleiben kann, werde ich nur noch kranker und ziehe vielleicht bei einem Untatenangriff hier auf der Felsenhöhe den Kürzeren. Den Kerl im Wachhäuschen nehme ich mir als Ersten vor. Mit dem Gewehr. Wie ich es sehe, ist er in dieser Reichweite meine einzige Bedrohung, und als Einzelner ist er keine Bombe
wert. Wenn ich ihn erledigt habe, markiere ich das Gebäude, das ich für gefahrlieh halte, mit dem Laser. Ich werde mich bemühen, keinen Kollateralschaden am
Mühlrad anzurichten, an dem die mutmaßlich Freundlichen und vereinzelten Untoten laufen. Im Moment ist alles nur ein Plan. Einmal habe ich heute einen Blitz auf
dem Hügelkamm gegenüber gesehen, konnte aber mit
dem Fernglas keine Bewegung erkennen.
Ein weiterer morbider, doch nutzbringender Aspekt
der ganzen Sache ist, dass ich die Funktionen der Drohne
über mir an einem Ziel testen kann, das einer LGB tatsächlich würdig ist. Wenn alles gutgeht, kann ich die Lumpen auch erledigen, ohne näher als vierhundert Meter
ans Gebäude heran zu müssen. Es regnet, ich fühle mich
noch immer krank. Ich trinke Wasser, bis ich kotzen
3 15
könnte. Ich habe keine andere Wahl, weil es wahrscheinlich im Umkreis von hundert Kilometern keine sterilen Ns und keine Kochsalzlösung gibt, die nicht von tausend Untoten bewacht wird. Heute kam kein Anruf, aber ich habe bei der Beobachtung des Geländes unter mir
versucht, das Satellitentelefon mit Sonnenenergie aufzuladen.
1o.oo u�P.
Habe einen Teil meiner Ausrüstung in meinem Versteck
bei der Mühle zurückgelassen und ein Nachtquartier
in einem einsamen Fahrzeug auf dem Hügel gefunden.
Es ist ein VW-Käfer aus den 1980er Jahren. Ich habe ihn
mir ausgesucht, weil er auf der Hügelkuppe auf einer
Seitenstraße steht. Ich bin rein und habe den Zündschlüssel gesucht. Er war nicht da. Ich habe die Handbremse gelöst. Der Wagen fing schnell an zu rollen. Ich habe ihn nur einen halben Meter weit fahren lassen und
dann die Bremse gezogen. Ich konnte problemlos schlafen. Hätten mich in der Nacht Untote angegriffen, hätte ich nur die Bremse zu lösen brauchen und wäre den
Hügel runtergerollt. Wäre es kein VW-Käfer gewesen,
hätte ich ihn kurzzuschließen versucht. Sein Herstellungsjahrzehnt ist für diese Arbeit genau das richtige, aber leider weiß ich nicht, wo die dazu nötigen Teile
liegen, weil sich der Motor im Kofferraum befindet. Als
ich so etwas zum letzten Mal gemacht habe, stammte
316
das Blech aus Detroit. Wäre schön, wenn ich den Buick
Regal jetzt hätte. Schlafe heute Nacht mit der Hand an
der Bremse.
l.O. P”““fi)SEP..
s.oo u�p,.
Bin früh raus, um den Angriff zu planen und die Drohnen-Dokumentation zu lesen. Habe Signalfeuer und Reaper-Bereitschaftszeiten doppelt überprüft. Würde am liebsten in der Nacht zuschlagen, mit Rückendeckung.
Habe relativ gut geschlafen. Abgesehen vom heimischen
Wild gab es keine unerwünschte Unterbrechung. Eine
alte Eule hat mich eine Weile wach gehalten. Was würde
ich dafür geben, wenn ich so fliegen könnte wie dieses
kluge alte Tier.
Planänderung: Wenn ich den Mann am Schuppen erschieße und die Drohne nicht wie angekündigt funktioniert, könnte ich eine Leiche sein. Wüsste ich ·doch nur noch, um wie viele Zentimeter eine 5.56er mit einem
16-Zoll-M4-Lauf aus fünfhundert Metern Entfernung vom
Kurs abkommt.
Die Drohne müsste bereits in Position gegangen sein.
Wenn nicht, ist sie es in Kürze. Ich habe den Laser getestet
und die Echopiepser gehört. Die Batterien sind voll. Zielpunktsuche läuft auch astrein - 1 x Vergrößerung wird nichts bringen, deswegen muss ich wohl auf vierhundert Meter ran gehen, um die Chance zu erhöhen, den 3 17
Wächter zu treffen. Sein AK-4 7 kann auf diese Entfernung
zielgenauer sein, also werde ich die Chance nutzen. Habe
nicht fern vom VW-Käfer einen alten Chevrolet-Kombi
gefunden (Bonuspunkte für die lässige Holzverkleidung).
Bei der Überprüfung der Umgebung habe ich die Motorhaube aufgemacht, um die Treibriemen und Schläuche zu begutachten. Einige waren angeknackst, aber allgemein funktionstüchtig. Schlüssel steckte auch nicht, aber damit wurde ich fertig. Mit dem gleichen Verfahren wie
vor Monaten müsste ich dieses alte Schlachtross zum
Laufen bringen, bis es mich nach Wally World bringt.
Ich hatte das Telefon und das Ladegerät dabei, aber der
Treibstoffzusatz lag an meinem Beobachtungsplatz unterhalb der Kammlinie. Ich musste irgendwo Draht ergattern. Ich löste die Batterie mit dem Messer ab, zog sie aus dem Wagen und schleppte sie auf eine Lichtung,
damit mich niemand sah, der zu Fuß des Weges kam.
Ich breitete das Ladeger�t aus, um die Zellen dem Sonnenlicht voll auszusetzen. Die Gebrauchsanweisung besagte, zum Aufladen des Telefons solle man nur eine Zelle der Sonne aussetzen. Dies war eine große Batterie.
Die Solarzelleneinheit hatte keinen Markennamen, was
ich ganz schön eigenartig fand.
Ich deckte die Batterie mit einer Plastikeinkaufstüte
aus dem hinteren Teil des VW ab und setzte nur das aufgeklappte Ladegerät den Elementen und dem teilweise bewölkten Morgenhimmel aus. Gleich ziehe ich los, um
etwas mehr Aufklärungsarbeit zu betreiben und, wenn’s
denn sein muss, den Leuten wehzutun.
3 18
11..oo u�p,
Feindbehausung ist eingeebnet und brennt. Ich bin heute
früh um 8.50 Uhr hier angekommen und habe mich
darauf vorbereitet, mich dem Ziel auf fünfhundert
Meter zu nähern. Das Kräfteverhältnis war identisch
mit dem tags zuvor ermittelten. Ich sah, dass die Dicke
den Rücken eines der ans Mühlrad gebundenen lebendigen Sklaven anschnitt - vermutlich in dem Bemühen, das untote Ding dahinter anzustacheln, es schneller zu drehen. Ich sah nur diesen einen Lebenden, ein Mann in den mittleren Jahren. Sein Rücken wies Kratzer auf, die von den Fingernägeln der Kreatur hinter ihm stammten. Ich bezweifelte nicht, dass der Mann
dem Tod schon auf der Schaufel saß. Ich beobachtete
sorgfältig das Rad, um in Erfahrung zu bringen, ob er
wirklich der einzige lebende Mensch war, der dort im
Kreis ging.
Gegen 9.30 Uhr laserte ich den Boden zwischen dem
Mühlrad und den Unterkünften der Menschen, die dort
beschäftigt waren, mit einem Punkt. Nach etwa sechs
Sekunden bekam ich einen ununterbrochenen Ton auf
3 19
dem Gerät. Ich hielt das Gerät stur aufs Ziel, bis die
lasergesteuerte Bombe aufschlug …
Ich lag zwar flach auf dem Boden, aber die Druckwelle wehte mein Haar trotzdem nach hinten. In meinen Ohren knackte es. Das Gebäude wurde in tausend Fetzen gerissen, und das Mühlrad flog wie eine Frisbeescheibe mindestens dreißig Meter hoch in die Luft. Der Infizierte musste nun tot sein. Die Druckwelle pustete
den Wachschuppen um wie ein altes Plumpsklo und ließ
den Wächter benommen und verwirrt zurück. Schließlich rappelte er sich auf, lief im Kreis herum und schoss in alle Richtungen.
Nachdem ich fünf Kugeln an ihn verschwendet hatte,
holte ich ihn endlich von den Beinen. Ich habe jetzt eine
halbe Stunde lang darauf gewartet, dass sich dort drüben irgendwas rührt. Wahrscheinlich ist es das Beste, alles noch Lebende verbluten zu lassen. Ich werde gleich
mal nachsehen, ob es Überlebende gibt, und dann dafür
sorgen, dass alles Tote auch tot bleibt. Muss mich beeilen, denn der letzte Krach war ziemlich laut und kaum zu überhören - egal ob für lebende oder tote Ohren.
13SO u�p,
Als ich mich dem einzigen nicht vernichteten oder schwer
beschädigten Gebäude näherte, bemerkte ich brennende
Gestalten, die noch auf den Beinen waren. Ich legte mit
der M-4 an, wartete, bis ich auf fünfzig Meter an sie ran
3 20
war und legte sie um. Es waren insgesamt sieben, die ins
Gras bissen. Dann war ich an dem Gebäude und öffnete
die Tür. Das Haus war nur leicht beschädigt und stand
ein bisschen schief. Als ich die Tür aufstieß, fegte mir
ein Fliegenschwarm entgegen und schoss an meinem
Kopf vorbei. Das war der Augenblick, in dem das Satellitentelefon sich meldete und fünfzehn Untote durch die Tür ins Freie strömten. Ich rannte den Weg zurück, den
ich gekommen war, mit den Biestern im Schlepptau.
In der rechten Hand hielt ich das M-4, in der linken das
Telefon …
Ich schoss, so gut ich konnte. Ich versuchte die Dinger
abzuwehren und gleichzeitig zu lesen, was der kleine
Schirm mir sagen wollte. Ich nehme an, es entsprach der
Version des Endes der Welt, in der man mit einem Handy
in der einen und einer Tasse Kaffee in der anderen über
eine Autobahn rast und sich dabei rasiert.
Ich sah nur: »LB: Unidentifizierter nähert sich Ihrer
Pos. Bewaffnet. Reaper-LGB-Kampfbewertung: Wärme zeigt
in Ihrem Gebiet nur zwei lebende Zweibeiner an. Projekt
Hurrikan ausgef … «
Der Rest war unverständlich.
Ich tanzte eine geraume Weile mit den Ghoulen umher,
wechselte zwischendurch Magazine und rannte wie ein
Blöder im Kreis, um sie mir vom Hals zu halten. Dann
passierte es. Ich malte einen roten Punkt auf die Stirn
eines Dings, und sein Schädel explodierte, bevor ich abgedrückt hatte. Dann erst knallte ein Schuss. Als ich das Ding vor mir hinfallen sah, fiel mir jenes, das hinter mir
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stand, gar nicht auf. Es war mir fast so nahe, dass es
seine Zähne in meinen Hals hätte schlagen können. Aus
dem Augenwinkel nahm ich wahr, dass auch der Kopf
dieses Angreifers explodierte. Halb verfaulte Knochen
trafen mich an der Schulter, und auch diesmal härte ich
den Schuss mit leichter Verzögerung. Es war nur noch
einer übrig, der mir hätte schaden können, also wartete
ich, behielt Distanz und versuchte, irgendwo Deckung
zu finden.
Ich versteckte mich hinter einem schimmeligen Heuballen und schaute dem nächsten Schädel beim Explodieren zu. Der Knall kam weniger als eine Sekunde, nachdem der Kopf zertrümmert worden war. Er war
zwar nicht ganz kaputt, aber eines beträchtlichen Teils
seines Volumens verlustig gegangen. Ich griff nach meinem Fernglas und suchte die Umgebung ab. Ich sah nichts; nicht die geringste Spur des Schützen. Ich krabbelte fort, bis ich es nicht mehr aushielt, dann rannte ich wie der Blitz zu meinem auf dem Kamm lagernden
Zeug.
Zu meiner Überraschung wurde mir auf dem Weg
hinauf nicht in den Hinterkopf geschossen. Der Geruch
von Rauch und verbranntem Fleisch hing in der Luft, so
dass mir noch übler wurde, als mir in meinem miesen
Gesundheitszustand ohnehin schon war. Ich setzte mich
auf den Kamm und suchte den gesamten Talboden sowie das umliegende Gelände ab. Nach etwa einer Dreiviertelstunde erspähte ich etwas Glitzerndes. Ich konnte nur vage die Umrisse eines Torsos ausmachen, der sich
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auf der anderen Talseite befand, etwa fünf- bis sechshundert Meter entfernt. Die Gestalt hielt einen kleinen Spiegel oder eine Glasscherbe in der Hand. Dann setzte
sie sich in Bewegung. Ich sah, dass der Mann gutes Tarnzeug an den Beinen und das entsprechende Oberteil in der Hand gegenüber seiner Kanone trug. Hin und wieder gab er mir Zeichen, suchte meine Umgebung mit einem Fernglas ab und signalisierte mir, um zu zeigen,
dass er nun wusste, wo ich war.
Nachdem es einige Minuten auf diese Weise hin und
her gegangen war, zog ich den Schluss, dass er, hätte
er mich töten wollen, dies längst hätte tun können. Ich
ließ mein Zeug im Versteck und ging, mit dem M-4 und
der Handfeuerwaffe bewaffnet, zum Talboden runter.
Als wir uns einander bis auf zweihundert Meter genähert hatten, konnten wir auf Ferngläser verzichten und gingen normal weiter. In Pistolenschussweite blieben
wir stehen und gingen in Kampfstellung. Der Mann trug
eine leichte Jacke aus Sackleinen. Er war dunkelhäutig,
hatte schwarzes Haar und einen ebensolchen Bart. Er
legte seine Waffen und den Signalspiegel vor sich auf
den Boden und trat ein paar Schritte zurück.
Meine Pistole steckte in der Hose hinter meinem Rücken, deswegen kam es mir sicher genug vor, die M-4
hinzulegen und ebenfalls zurückzutreten.
Mit einem starken Akzent, der auf den Mittleren Osten
schließen ließ, rief er mir zu: »Ich heiße Saien. Ich hege
keine feindlichen Absichten. Ich bin schon seit Tagen
auf ihrer Fährte.«
323
Mir fiel auf, dass die vor ihm liegende Waffe eine
Scharfschützenknarre vom AR-Typ war.
Ich fragte ihn, warum er mich verfolgte.
»Ich will nach San Antonio, und Sie waren in die gleiche Richtung unterwegs.«
Ich erwiderte, dass ich in den nächsten hundert Jahren unter keinen Umständen nach San Antonio gehen würde.
Saien runzelte zwar die Stirn, als er dies hörte, doch
er hatte mich verstanden, denn er sagte: »Ganz bestimmt
nicht?«
Ich machte ihm klar, dass ich es ernst meinte und der
Stadt im Januar gerade noch vor dem Bombardement
entkommen war. Er fing an, sich aus der Sache rauszureden, indem er meinte, gehört zu haben, manche auf der Liste stehenden Städte seien nicht vernichtet worden.
Ich musste ihm unverblümt zu verstehen geben, dass
ich die Detonation östlich der Stadt aus sicherer Entfernung von einem Flughafen-Tower aus gesehen hatte.
»Sind Sie schon mal welchen von der besonderen Art
begegnet?«, fragte er dann. »Denen, die sich schneller bewegen als die anderen?«
»Einen habe ich ganz sicher gesehen. Auf ‘nem Schiff
im Golf von Mexiko. Sie sind absolut tödlich; denen
muss man aus dem Weg gehen.«
»Das sehe ich auch so, mein Freund. Aus meiner Wohnung heraus, hundertfünfzig Kilometer südlich von Chicago, habe ich sie Dinge tun sehen, von denen ich nicht glauben konnte, dass sie möglich sind. Später dann, auf
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der Straße, als ich Chicago verlassen hatte, habe ich sie
Autotüren öffnen und sogar laufen sehen … wenn auch
nicht weit oder lange. Ich bin mir sicher, dass sie aus
Chicago kommen. Ich habe die Detonation im Januar
durchs Fenster gesehen. Zwei Wochen später kamen sie
dann nach Süden. Ich musste mich .. ; ist schütteln das
richtige Wort?«
Ich leistete mir ein kurzes Lächeln und erwiderte,
dass es wohl das richtige sei.
»Ich habe diese Dinger von einer Tür zur anderen gehen
sehen. So sah es jedenfalls aus. Eins hat sogar irgendwo
geklingelt und den Türknauf gedreht. Als sie in meiner Gegend waren, fielen immer mehr Vögel tot vom Himmel. Die Toten waren dumme Tiere, sicher; aber sie
haben nicht alles vergessen. Wissen Sie, warum?«
ich sagte nur ein Wort.
Strahlung.
»Das Gleiche habe ich von jemandem in Kanada gehört. Er saß vor einem AM-Sender. Ich habe einen beobachtet, der einen ganzen Monat vor einer Tür stand. Erst dann hat er sich gerührt. Er stand unbeweglich da, fast
so, als wäre er eingeschlafen … Dann tauchte plötzlich
ein Waschbär auf der Veranda auf. Das Ding fiel über
ihn her und hat ihn verputzt, bis nichts mehr von ihm
übrig war.«
Ich fragte Saien, was er in San Antonio wollte, und er
erwiderte, er hätte dort viele Brüder. Ich sah ihn nach
hinten greifen und eine Decke berühren, die an seinen
Rücken gebunden war. Als er sah, dass es mir auffiel,
3 25
zog er die Hand zurück. Ich musterte ihn eingehend,
und er sagte: »Allah hat diesen Ort verlassen. Seit dem
Untergang der Menschheit habe ich meinen Glauben oft
hinterfragt und schließlich verloren. Ich bin kein Gläubiger mehr.«
Mein Herz sagte mir, dass Saien eine ehrliche Haut
war und mir nichts tun wollte - jedenfalls nicht heute.
Es war schon irgendwie surreal, wieder mit einem Menschen zu reden.
»Haben Sie noch mehr Zeug?«, fragte ich.
»Natürlich. Ich hab es ebenso versteckt wie Sie das
Ihre da oben auf dem Hügel.«
Dann sagte er: »Ich habe Sie verfolgt und beobachtet,
bevor Sie an diesen grässlichen Ort kamen, Sir … Ich verstehe nicht, wie Sie die Granaten an den Gebäuden befestigt haben. Ich habe Sie nie an die Häuser herangehen sehen. Haben Sie es in der Nacht gemacht?«
»Ich habe sie heute ganz früh angebracht.«
Technisch gesehen log ich nicht mal. Vertrauen muss
man sich verdienen; so etwas kriegt man nicht geschenkt.
Nun war ich an der Reihe, unverblümte Fragen zu
stellen. Ich wollte wissen, wo er gelernt hatte, aus tausend Metern Entfernung Kopfschüsse anzubringen.
»In Mghanistan.«
»Warum auch nicht? Was hat Sie zu uns geführt?«
»Ich war Freiheitskämpfer. Jedenfalls habe ich es ge-
glaubt. Ich bin nach Illinois gekommen, um meinen Brüdern zu helfen. Bevor ich dazu kam, haben die Toten ihren Tanz begonnen.«
3 2 6
Ich beschloss, nicht weiter zu bohren, weil ich der Meinung war, dass diese Diskussion ein guter Tausch gegen die Option war, über die Ursachen der Explosion oder irgendwelche Remote Six betreffende Einzelheiten zu reden.
Ich schlug vor, die Trümmer nach brauchbaren Gegenständen zu durchsuchen. Er war einverstanden. Wir gingen in das Gebäude, vor dem Saien meinen Hals vor
den Kreaturen gerettet hatte. Einige Untote hingen an
Fleischerhaken; dem einen oder anderen fehlte ein Körperteil oder eine Extremität. In der Mitte des Raumes stand ein riesiger Kochtopf, der wie der Suppenkessel
einer Hexe aussah. Ich weiß, dass es kaum zu glauben
ist, aber es sah tatsächlich aus, als hätten diese Leute die
Toten gefressen. Die Kreaturen stierten uns an und rissen das Maul auf. Ich sah in dem Gebäude nichts von Nutzen, also zündeten Saien und ich es an und gingen
raus, um unser Zeug zu holen.
Ich fragte ihn, ob er Draht hätte, da ich welchen
brauchte, um etwas sicher zu transportieren. Er erwiderte verdutzt, er hätte keinen, wüsste aber genau, dass wir welchen in den verlassenen Autos finden würden. Er
hatte Recht, aber irgendwie bekam ich bei der Vorstellung, mich unter eine Motorhaube zu beugen, eine Scheißangst. Ich dachte an das Ungeheuer mit dem Beil, das mich beinahe in zwei Hälften gehauen hätte. Wir sammelten unsere Ausrüstung ein und begaben uns zum Solarladegerät. Saiens Gesellschaft hatte meinen Eifer neu geweckt. Er schien alle zehn Schritte anzuhalten, zu lauschen und die vor uns liegende Ferne mit dem Feldste-3 27
eher abzusuchen. Vielleicht ist das der Grund, weswegen
er noch lebt. Mir fiel auf, dass er ein übergroßes M-16
besaß. Ich erkundigte mich, woher es stammte. Als er es
mir reichte, erzählte er, es auf dem Weg von Chicago nach
Süden im Tower eines verlassenen FEMA-Camps gemopst
zu haben. Bei näherer Inspektion entdeckte ich, dass die
Knarre ein .308er mit Bulllauf war, ein SR-25. Auf das
Zielfernrohr war ein kleines Holovisier montiert. Saien
meinte, dass das Glas unter hundert Metern nichts taugte.
Das Holovisier war für nähere Begegnungen gedacht. Die
Waffe war im Vergleich zu meiner M-4 äußerst schwer.
Der Boden, auf dem wir gerade stehen, ist sehr weit
von Chicago entfernt, und es ist mir schleierhaft, wie er
diese Reise überhaupt gemacht hat. Ich bin kaum mehr
als hundert Kilometer von hier abgestürzt und hätte schon
fast zehnmal ins Gras beißen können.
Wir gingen los und lauschten den ganzen Rückweg
über, bis dorthin, wo der Kombi seit Monaten stand. Es
gefiel mir, mich ohne das ganze Zeug mit leichtem Gepäck zu bewegen. Bei der Rückkehr hatte ich einen regelrechten Horror vor dem Gewicht meines Rucksacks.
Saien und ich teilten uns schnell alle Pflichten auf. Er
baute die Batterie aus, während ich mich auf die Suche
nach Draht machte. Das war das erste Problem. Wir
konnten den Treibstoffzusatz nicht einfüllen, ohne in
Erfahrung zu bringen, ob noch Sprit im Tank war. Es
wäre eine Verschwendung der Lösung gewesen. Wir mussten die Batterie anschließen, Strom ins Armaturenbrett leiten und dann die Gebrauchsanweisung prüfen, um zu
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berechnen, wie viel Benzin im Tank war, damit man
ihm die passende Mischung zuführen konnte. Das war
zu viel Mathematik.
Als Saien die Ba:Uerie wieder zum Kombi schleppte,
verließ ich unsere Operationsbasis. lch hatte mein Multitool und die schallgedämpfte Pistole dabei. Ich ging zu dem VW-Käfer, um ihm die Gedärme rauszuschneiden,
damit wir endlich nach Süden abhauen konnten. Die Explosionen und Schüsse machten mir Sorgen. Seit januar ist es noch nie passiert, dass eine Knallerei nicht irgendwelche wandelnden Leichen angezogen hätte. Ursache und Wirkung galt noch immer. Als ich mich dem Käfer
näherte, sah ich schon einen auf der Straße, die hinter
dem Wagen in die andere Richtung führte. Es war ein
bewölkter Tag. Alles sah nach erneutem nervenden Sprühregen aus. Das typische Mistwetter, das den Menschen deprimiert.
Die Kreatur stand mitten auf der Straße. Ich erreichte
den VW in dem Moment, in dem der erste Donnerschlag
ertönte. Die Kreatur rührte sich und blickte sich um, als
hielte es nach der Quelle des Lärms Ausschau. Blödmann.
Ich öffnete die Heckklappe des Käfers, um an die Verkabelung rings um den Motorblock ranzukommen. Die nächsten Donnerschläge nutzte ich, um meine Tätigkeit
zu tarnen, denn ich schnitt genug Draht ab, um den
Kombi-Anlasser zum Laufen zu bringen. Mir war, als
müsste ich alle paar Sekunden aufschauen, um mich zu
versichern, dass das untote Ding meine Anwesenheit
noch nicht zur Kenntnis genommen hatte. Das Mistvieh
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ging den Hauptweg rauf, auf Saien und den Kombi zu.
Nachdem ich dem Käfer auch den letzten Kabelrest entrissen und selbigen in meine Hose gestopft hatte, zog ich die Pistole und machte mich schnell auf den Weg,
um das Ding abzufangen. Ich war neben dem Highway
unterwegs, als ich Saien plötzlich rufen hörte: »Sie müssen sich beeilen, mein Freund!«
Die Kreatur trabte nun genau in seine Richtung. Ich
musste laufen, um sie zu schnappen, denn sie war schneller als jede, die mir bisher begegnet war. Sie rannte zwar nicht gerade, war aber schnell genug, um mich, wie
Saien sagen würde, schütteln zu machen. Und jetzt wurde
mir erst einmal klar, wie schwierig es ist, während des
Laufens mit einer Pistole zu treffen. Die Kreatur behielt
einen steifbeinigen Pseudo-Dauerlaufbei, bis die schallgedämpfte Kugel, die ich abfeuerte, ihre Schulter traf und sie zu Boden warf. Ich nutzte den Vorteil und behielt mein Tempo bei, damit ich schneller bei ihr war und ihr einen Kopfschuss verpassen konnte. Das Ding
war aber trotz seiner zerschmetterten Schulter so schnell
wieder auf den Beinen wie ein aufs Maul gefallener
Sportler. Es fauchte und setzte seinen steifbeinigen Lauf
in meine Richtung fort. Ich legte mit der Waffe an und
verpasste ihm drei Kugeln in den Schädel, so dass es zuckend zu Boden fiel.
Ich rannte zu Saien. Als ich bei ihm war, war ich derart
außer Atem, dass ich Sterne sah. Er deutete die Straße
hinunter und reichte mir sein Gewehr. Es war verdammt
schwer, was meinen Respekt für die Konstitution des
330
Mannes bestätigte. Er war eindeutig ein zäher Knochen,
sonst hätte er die Kanone nicht so weit schleppen können. Ich stellte das übergroße .308 AR auf der Kombi
Motorhaube auf sein Zweibein und peilte durch sein
Zielfernrohr eineinhalb Kilometer weit geradeaus nach
unten. Hinter dem Messkreuz sah ich deutlich ganze
Bataillone von Kreaturen über den Highway in unsere
Richtung kommen. Das Zielfernrohr war stark genug, um
mich wissen zu lassen, dass wir bald viel Gesellschaft
haben würden.
Ich fragte Saien, wie weit sie entfernt seien. Er sagte:
»Zwei Kilometer.«
Dann hatten wir bestenfalls eine halbe Stunde.
Saien schaute nervös drein, deswegen hielt ich es für
unangebracht, ihm mitzuteilen, dass ein verstrahlter Toter
schon fünf Minuten eher hier sein könnte, um ihm in
den Arsch zu beißen. Im Hinterkopfwusste ich, dass ich
noch über eine weitere lasergesteuerte Bombe auf der
Drohne verfügte, die über mir ihre Kreise zog. Meiner
Ansicht nach gehörten zu der Gruppe da unten mindestens fünfzig Untote. Ich fragte Saien, wie er die Sache sähe.
Er lachte mir ins Gesicht und sagte: »Nein, was Sie da
sehen, sind weit mehr als hundert Ungläubige.«
Ich arbeitete schnell und erklärte ihm, was ich tat.
»Stecke Kabel in Kabeltrommel … Verbinde Kabel mit … «
»Ja, ja, mein Freund«, unterbrach er mich. »Ich weiß…
Positives Ende an die positive Seite der Trommel. Wir
müssen schneller werden.«
3 3 1
Einmal half er mir mit dem Kurzschließen, dann wieder schätzte er ab, wie nahe die Ungläubigen uns gekommen waren.
»Achtzehnhundert Meter.«
»Roger.«
Ich wies ihn an, zu meinem Rucksack zu laufen und
den Treibstoffzusatz aus der Seitentasche zu ziehen.
Nun, da wir Strom im Armaturenbrett hatten, sah ich
die Treibstoffanzeige. Ich schaltete schnell Scheinwerfer
und Heizung aus, um Strom zu sparen. Ich überprüfte
die Armaturen. Der Tank war halb voll. Dann schaltete
ich aus Gründen der Sparsamkeit den Strom ab. Ich zog
das Handbuch des Besitzers heraus und stellte fest, dass
der Kombi noch etwa 25 Liter im Tank hatte. So schnell
wie nie rechnete ich aus, dass die Menge, die ich dem
Tank zufügen musste, weniger als ein Viertel der Flasche
betrug. Der Sprit in diesem Tank stand hier nun seit
mindestens neun Monaten herum. Vermutlich war er
schon ein Jahr alt. Ich glaubte nicht, dass er unbrauchbar war, also beschloss ich, ein Achtel des Flascheninhalts in den Tank zu kippen. Ich arbeitete schnell und schüttelte den Wagen dann hin und her, damit die Lösung sich so gut wie möglich mit dem Sprit vermischte.
Im gleichen Augenblick, in dem ich auf dem Flaschenetikett »Bis zum Verbrennungsvorgang eine Stunde warten« las, rief Saien: »Fünfzehnhundert Meter!«
Wir hatten keine Stunde mehr. Als ich Saien nach der
Lage fragte, erhielt ich keine Antwort. Er schüttelte nur
den Kopf und klebte mit einem Auge an seinem Zielfern-