28. Kapitel

Der Spion war nicht überrascht, einen der Schweigsamen im tiefen Schatten neben der Krankenabteilung stehen zu sehen. In den letzten paar Monaten waren der Einheit zwar keine zugewiesen worden, doch dort, wo es Ärzte und Leid gab, bestand immer die Möglichkeit, dass die Schweigsamen zugegen waren. Sie lebten bloß, um ihrer Vision zu dienen, den Kranken oder Verletzten dadurch zu helfen, dass sie einfach da waren. Auf den ersten Blick mochte es so aussehen, als gebe es für ihr Wirken keine wissenschaftliche Grundlage, doch es war allgemein bekannt, dass die Todeszahlen in den meisten Fällen sanken, wenn einer der Schweigsamen in einer medizinischen Einrichtung verweilte, und dass sich die Dauer der Krankenhausaufenthalte merklich verkürzte. Einige behaupteten, dass das lediglich so etwas wie ein Placebo- Effekt sei, doch es gab Fälle, in denen kranke Patienten nicht wussten, dass einer der Schweigsamen zugegen war, und sie trotzdem dazu neigten, schneller wieder zu genesen. Ein seltsames Phänomen, das stand außer Frage. Vielleicht hatte das etwas mit der Macht zu tun, vielleicht war es auch etwas vollkommen anderes. Doch das Phänomen war zu häufig dokumentiert worden, um es einfach abzutun.

Obgleich es keine Überraschung war, den Schweigsamen dort zu sehen, war es aufrüttelnd, das Flüstern der kapuzenbewehrten Gestalt zu vernehmen: »Wir müssen uns unterhalten, Linse.« Beinahe aufrüttelnd genug, um eine sichtbare Reaktion hervorzurufen.

Der Spion war zu gut ausgebildet, um irgendetwas preiszugeben, und in jedem Fall war niemand anderes in der Nähe. Der Codename Linse verschaffte ihm sämtliche Informationen, die nötig waren, um zu wissen, was - wenn auch nicht wer - das als Schweigsamer getarnte Wesen war. Die Tarnung war unerwartet und clever.

Auf dieser Welt hatte der Spion zwei Codenamen - einen für die Separatisten und den zweiten für die Unterweltorganisation Schwarze Sonne. Letzteren war der Spion als »Linse« bekannt.

Jeder, der diesen Namen laut aussprach, konnte ihn bloß von der Schwarzen Sonne bekommen haben, und solche Informationen gaben sie an niemanden weiter, der nicht zu ihnen gehörte.

»In meinem Quartier, in zehn Minuten«, sagte Linse mit unbewegten Lippen.

Als der Abgesandte der Schwarzen Sonne exakt zehn Minuten später in der Wohneinheit eintraf, war Linse dort und bereit, sich mit ihm auseinanderzusetzen. Dass ein Agent hierhergeschickt worden war, war keine Überraschung. Linse besaß Informationen, die er oder sie haben wollte.

Die Kapuze wurde zurückgeschlagen. Linse sah, dass das Gesicht darunter einem Nediji gehörte, und das rief ein Lächeln hervor. Eine weitere gute Entscheidung von der Schwarzen Sonne. Nur wenige wussten über die abgeschieden lebende Vögelspezies Bescheid, und sogar noch weniger darüber, wozu sie alles imstande waren. Sie waren schnell, skrupellos und gerissen, und außerhalb ihres eigenen Systems gab es bloß eine relative Handvoll von ihnen, sodass es unwahrscheinlich war, dass ihre Talente allgemein bekannt waren. Natürlich wusste Linse darüber Bescheid. Zwischen ihren beiden Spezies existierte so etwas wie eine Art Verwandtschaft, wenn auch keine, die in Blut oder Genen begründet lag.

»Ich bin Kaird.«

Linse nickte. Man musste dem Nediji zugutehalten, dass er sich keine Sorgen darüber zu machen schien, dass seine Anwesenheit hier ein Problem sein könnte. Er nahm an, dass Linse ihn nicht in sein Privatquartier eingeladen hätte, wenn das der Fall gewesen wäre. Allerdings kam Linse von sich aus darauf zu sprechen, bloß um sicherzugehen, dass sie einander nicht missverstanden: »Ist zwar unwahrscheinlich, dass irgendwer dich irgendwas fragen wird, aber wenn sie sich bei mir erkundigen, werde ich ihnen sagen, dass ich beschlossen habe, eine Monografie über die Wirkung der Schweigsamen auf Patienten in einem Kriegsgebiet zu schreiben.«

Der Nediji nickte, die Augen hell und scharf. Er sagte: »So weit ich weiß, gab es hier kürzlich einen Todesfall in der Familie.«

Linse nickte. »Der Hutt war für uns tot nützlicher als lebendig.« Als Agent der Schwarzen Sonne auf dieser Welt hatte man Linse mit sämtlichen relevanten Informationen über ihre Operation hier versorgt. Dazu gehörte auch, über Filba Bescheid zu wissen, über den Deal, den er mit dem Admiral gehabt hatte, und über den kürzlichen Verlust des Kuriers, der hierhergeschickt worden war, um nach dem Bota zu sehen.

Kaird legte seinen Kopf zur Seite. »Dein Werk?«

Linse nickte. »Natürlich. Wessen sonst? Du weißt gewiss, dass ich noch... andere Pflichten zu erfüllen habe, die in keiner Weise mit meinen Aufgaben für die Schwarze Sonne kollidieren. Filba wurde gierig und launisch. Sein Tod war bloß eine Frage der Zeit, und indem ich ihn beschleunigt habe, hat mir das darüber hinaus ein gewisses Maß an Schutz für meine Position hier verschafft.«

»Interessant«, sagte Kaird.

»Dann missbilligst du mein Vorgehen?«

»Nicht im Geringsten. Du bist hier, weil unsere Organisation Vertrauen in deine Fähigkeiten hat. Solange die Dinge erledigt werden, kümmert es uns nicht, wie du das bewerkstelligst. Es ist nur so, dass ich vor Kurzem gerade Gelegenheit hatte, mit unserem hiesigen Partner zu sprechen, und der Admiral behauptet, er hätte den Hutt aus dem Verkehr gezogen.«

Linse runzelte die Stirn. »Warum sollte er so etwas sagen?«

»Eine ausgezeichnete Frage. Eine, von der ich das Gefühl habe, dass ich lieber die Antwort darauffinden sollte, bevor ich diesem Planeten den Rücken kehre.«

Linse nickte erneut. »Und was ist mit meiner Mission?«

»Alles wie gehabt. Wie geht es mit dem Kartografieren voran?«

»Langsam, aber stetig. Ich kenne die Lage sämtlicher großen Bota-Felder in diesem Quadranten und mehrere Flecken mit Wildwuchs auf der anderen Seite des Planeten, die bislang nicht offiziell gemeldet wurden. Und das wird auch nicht passieren, es sei denn, durch Zufall. Ich habe dafür gesorgt, dass die Aufzeichnungen belegen, dass diese Stellen gescannt wurden, ohne dass man die Pflanze dort gefunden hat.«

»Ausgezeichnet! Wenn am Ende entweder die Konföderation oder die Republik triumphiert, sind wir darauf vorbereitet, mit einer der Seiten wegen des Botas zu verhandeln. Wenn es darüber hinaus noch unbekannte Quellen gibt, umso besser. Je mehr Informationen wir haben, desto stärker ist unsere Position.«

Linse lächelte. »Dir ist es gleich, wer gewinnt, oder?«

Der Nediji lächelte ebenfalls, eine schmallippige, niederträchtige Geste. »Dich interessiert das bloß, weil du dich für eine Seite entschieden hast.«

Linse sagte nichts.

Kaird fuhr fort: »Es wird immer Laster geben, die befriedigt werden wollen. Kriege kommen, Kriege gehen, aber das Geschäft bleibt bestehen. Politische Systeme ändern sich, Leute nicht. Vor zehntausend Jahren haben die Leute Suchtmittel getrunken, inhaliert oder verzehrt. Sie haben gespielt und auf dem Schwarzmarkt gehandelt. In zehntausend Jahren werden sie diese Dinge immer noch tun, ganz gleich, wer herrscht. Selbst wenn die Schwarze Sonne erlischt, wird es immer jemanden geben, der einspringt, um diese Bedürfnisse zu befriedigen.«

»Und um einen fetten Profit zu machen.«

»Natürlich. Kennst du die Werke des Philosophen Burdock?«

Das tat Linse nicht, und das sagte er auch.

»Burdock sagt: >Findet euch damit ab - wenn Verbrechen sich nicht auszahlen würde, gäbe es nur sehr wenige Kriminelle!<«

»Die meisten Kriminellen landen im Gefängnis«, sagte Linse. »Weil die meisten nicht sonderlich helle sind.«

»Stimmt, was die Gescheiten umso reicher werden lässt. Die Schwarze Sonne hat nichts gegen Dummköpfe.« Kaird lächelte wieder, »Hast du die neuen Informationen verschlüsselt?«

»Ja, es ist alles auf einem Implantatchip.« Linse holte etwas, das aussah wie ein gewölbter Knopf und die Größe eines Männerfingernagels hatte, aus einem Schubfach hervor und hielt es hoch. Der Chip im Innern des durchsichtigen Plastoidknopfes war so groß wie eine kleine, spitze Wimper. »Drück die flache Seite gegen deine Haut, und dreh am anderen Ende, um dir den Chip unter die Haut zu injizieren! Merk dir, wo genau, da dieses Ding für alles außer einen Doppelstrahlmagnetscanner nicht aufspürbar ist!«

»Es ist mir stets ein Vergnügen, mit einem Profi Geschäfte zu machen«, sagte Kaird. Er stand auf. »Solange ich hier bin, werden wir nicht mehr miteinander sprechen. Vielleicht treffen wir uns ja zu einer anderen Zeit und an einem anderen Ort wieder, Linse. Bis dahin: Lebwohl!«

Linse nickte. »Flieg frei, flieg schnell, Bruder der Lüfte!«

Das überraschte den Nediji, genau wie Linse angenommen hatte. Er hob eine fedrige Augenbraue. »Du kennst den Nestsegen. Ich bin beeindruckt!«

Linse schenkte ihm ein langsames, militärisches Nicken, eine kleine Verbeugung. »Wissen ist Macht.«

»Das ist es wahrhaftig.«

Nachdem er fort war, saß Linse einen Moment lang da und dachte nach. Dass Bleyd behauptet hatte, Filbas Tod wäre sein Werk, war interessant, genau wie Kaird gesagt hatte. Allerdings würde der Nediji der Sache auf den Grund gehen, sodass sich Linse deswegen keine Gedanken zu machen brauchte. Das Schicksal des Admirals war für ihn nicht wirklich von Belang. Linse hatte eine wesentlich größere Beute zur Strecke zu bringen. Was spielte ein einzelner Admiral schließlich schon für eine Rolle, wenn man es auf die ganze Republik abgesehen hatte?

 





 

29. Kapitel

Als Barriss die medizinische Primäranlage betrat, um ihre Visiten zu machen, bemerkte sie, dass der diensthabende Droide derselbe war, der ihr während der Triage geholfen hatte - derselbe Droide, der einige Nächte zuvor an der Sabacc-Partie teilgenommen hatte. Der Droide, mit dem Jos darüber diskutiert hatte, was es im Wesentlichen bedeutete, ein Mensch zu sein.

Sie betrachtete ihn für einen Moment. Er tauschte die Bacta-Flüssigkeit in einem Tank aus. Er bewegte sich mit der wirtschaftlichen Präzision eines Droiden, und doch war irgendetwas ein bisschen anders. Dasselbe war ihr auch bei seinem Gesicht aufgefallen - zuweilen wirkte es beinahe so, als könne es Ausdrücke hervorbringen. Neugierig streckte sie ihre Machtsinne nach ihm aus. Ätherische Fühler, unsichtbar und substanzlos, aber dennoch wirkungsvoll, umschlossen die Gestalt des Droiden, suchten nach Wissen und übermittelten es dann an sie. Es gab keine Sinnesentsprechung, die dazu geeignet gewesen wäre zu beschreiben, wie sie die Daten der Macht empfing und verarbeitete - jene, die nicht machtsensitiv waren, konnten sich das genauso wenig vorstellen, wie sich ein von Geburt an Blinder vorstellen konnte, wie es war zu sehen. Doch zu Barriss sprach die Macht laut und deutlich.

Anfangs schien an I-Fünf nichts ungewöhnlich zu sein. Sie konnte das fast nicht wahrnehmbare Wispern unzähliger Quarks und Widerstände spüren, wie Eigendrehmoment und Polarität wechselten, um das synaptische Gitter mit potenziell nahezu unbegrenzten Verbindungen zu versorgen. Sie konnte das Surren von Schaltkreisen fühlen, den geschmeidigen Puls von Hydraulikflüssigkeit und die kontrollierte Energie der Servomotoren. Der Droide war hochwertig produziert, auch wenn einige seiner Teile alt waren.

Gleichwohl, da schien noch etwas anderes zu sein ... etwas, das zu subtil war, um es auch nur als Aura zu bezeichnen. Der geringste Hinweis darauf, dass die Summe dessen, was I-Fünf ausmachte, irgendwie, auf eine Art und Weise, die mit wissenschaftlichen Methoden nicht erklärbar war, größer war als seine Einzelteile.

»Kann ich Euch behilflich sein, Padawan Offee?«

Er hatte die Frage gestellt, ohne sich umzudrehen. Irgendwie hatte er sie wahrgenommen. Die vernünftigste Erklärung dafür war sein Geruchssensor, der um ein Vielfaches empfindlicher war als die der meisten organischen Lebewesen. Er hatte sie gerochen.

»Ich bin bloß hier, um meine Runde zu machen«, entgegnete sie und trat vor. »Um nach einigen Patienten zu sehen, denen ich helfen konnte.«

I-Fünf wandte sich um und sah sie an. »Mit der Macht.«

»Ja.«

»Ich kannte auf Coruscant eine menschliche Padawanschülerin, die schätzungsweise in Eurem Alter gewesen sein muss. Ihr Name war Darsha Assant.« Die Erinnerung daran schien ihn zu verwirren.

Barriss nickte. »Ich habe von ihr gehört. Obi-Wan Kenobi sagt, sie sei tapfer gefallen, im Kampf gegen einen unbekannten Feind.«

I-Fünf schwieg einen Moment lang. »Tapferkeit«, sagte er schließlich. »Ja, sie war sehr tapfer. Ihr Menschen seid überall in der Galaxis für euren Mut bekannt. Selbst die kriegerischsten Spezies respektieren das. Wusstet Ihr das?«

»Um ehrlich zu sein, habe ich darüber noch nie groß nachgedacht. Ich könnte mir vorstellen, dass es jede Menge Spezies gibt, die genauso tapfer oder tapferer sind als Menschen.«

»Ja, aber es gibt einen wesentlichen Unterschied zwischen Eurer Art und einem Sakiyaner oder, sagen wir mal, einem Trandoshaner oder einem Nikto. Sie sind furchtlos, aber nicht notwendigerweise tapfer. Diese Furchtlosigkeit liegt in ihren Genen. Es gibt zwei Methoden, wie das Leben das Überleben des Stärkeren garantiert - indem die Natur Kriegertypen hervorbringt, die wild genug sind, alles zu erobern, was ihnen in die Quere kommt, oder indem sie Lebensformen erschafft, die genügend Grips haben, die Flucht zu ergreifen. Spezies, die zu beidem fähig sind, sind selten. Ihr Menschen habt die Wahl - fliehen oder kämpfen. Dennoch entscheidet ihr euch so viele Male für den Kampf - und so häufig aus den seltsamsten Gründen.« I-Fünf hob in einem sehr menschlichen Achselzucken beide Hände, mit den Handflächen nach oben. »Das ist faszinierend, gelegentlich verwirrend und macht einen oft wütend. Die Menschen schaffen es immer wieder, mich zu verblüffen.«

Während sie sich unterhielten, nahm Barriss ihre Lichttafel vom Regal und ging den Mittelgang zwischen den Bettreihen hinunter, um die Werte über den Köpfen der Patienten mit den Leuchtziffern zu vergleichen, die auf dem Gerät auftauchten, als sie das Informationsfeld jedes Bettes einlas. Der Droide ging neben ihr her.

»Du und Jos, ihr habt während des Spiels darüber gesprochen, was es ist, das einen Menschen ausmacht«, sagte sie. »Betrachtest du dich selbst als tapfer, I-Fünf?«

»Irgendwie bezweifle ich, dass sich irgendjemand, der wirklich tapfer ist, selbst als tapfer ansieht. Ich glaube nicht, dass Padawan Assant das getan hat.«

Sie gingen den schmalen Gang zwischen den beiden Bettreihen entlang. Nahezu alle Betten waren mit Klonsoldaten belegt - dasselbe Gesicht, wieder und wieder. Bloß die Verletzungen unterschieden sie voneinander.

I-Fünf sagte: »Mir wurde gesagt, dass die Soldaten genetisch ebenfalls so modifiziert wurden, dass sie auf dem Schlachtfeld wenig oder gar keine Furcht empfinden. Man kann nicht umhin, sich zu fragen - macht sie das Ausschalten des >Furcht-Gens< weniger menschlich?«

Barriss antwortete nicht. Mit einem Mal war sie vollauf damit beschäftigt zu sehen, wie das letzte Stück des Puzzles seinen Platz fand. Sie wusste, dass sich Jos in den letzten paar Tagen mit so einer Art existentieller Rätselfrage herumgeschlagen hatte, und mit der Gewissheit jener, die mit der Macht verbunden waren, wusste sie plötzlich, dass dies die Antwort darauf war. Wie die meisten Leute - darunter sogar einige Jedi -, hatte Jos diejenigen in seiner Umgebung in bequeme Schubladen gesteckt - bequem für ihn jedenfalls. Für ihn waren Klone in dieselbe Kategorie gefallen wie Droiden - der einzige Unterschied bestand darin, dass sie aus fleisch und Knochen bestanden anstatt aus Durastahl und Elektronik. Es war praktisch gewesen, sie mit einem solchen Abstand zu betrachten. Das machte es einfacher zu akzeptieren, wenn er nicht imstande war, einen auf dem OP-Tisch zu retten, auch wenn ihm das trotzdem immer noch schwer zu schaffen machte. Er gehörte nicht zu denen, die irgendeiner Art von Leben gefühllos oder gleichgültig gegenüberstanden, nicht einmal, wenn es sich dabei um jemanden handelte, den die meisten als organische Maschine betrachteten.

Doch dann kam I-Fünf daher, eine Maschine, die sich ihrer selbst vollkommen bewusst war - oder dem zumindest extrem nahe kam -, und mit einem Mal war das Leben nicht mehr so einfach. Wenn Jos einen Droiden mental nicht zu etwas herabstufen konnte, das irgendwie weniger menschlich war, dann war es ihm mit Sicherheit unmöglich, Klone in diese Kategorie zu quetschen.

Kein Wunder, dass er in letzter Zeit so aufgewühlt gewirkt hatte. Seine Weltsicht war auf den Kopf gestellt worden.

Eine Hand mit einem Vibroskalpell musste ruhig sein. Sie sollte mit ihm reden - oder zumindest dafür sorgen, dass er mit seinem Mentalheiler sprach.

Und dennoch, welche weisen Worte konnte sie ihm bieten, um seinen inneren Aufruhr zu besänftigen? War sie sich des Lebens in all seinen Formen so sicher, dass sie ihm eine wirkliche Lösung für sein Problem anbieten konnte? Klügere Köpfe als sie waren bei dem Versuch gescheitert, sich für alles eine tragfähige Philosophie einfallen zu lassen, die die Galaxis zu einem ordentlich verschnürten Paket machte. Wer sind wir? Woher kommen wir? Was ist der Sinn von alldem? Sie hatte die Macht, eine Konstante, auf die sie vertrauen konnte, solange sie sich entsinnen konnte, und im Laufe der Jahre war ihr Wissen um die Macht gewachsen. Genau wie das Mikrowellenbrummen der kosmischen Hintergrundstrahlung im All war die Macht immer bei ihr. Sie hatte eine Sicherheit. Aber jene, die außerstande waren, den Trost der Macht zu fühlen - was hatten die?

Was konnte sie zu einem Mann sagen, der Fragen hatte, auf die es keine einfachen Antworten gab? Und selbst wenn er die Macht hätte spüren können, was hatte sie über das Leben eines Droiden oder eines Klons oder, wenn wir schon dabei sind, von irgendwem sonst zu sagen? Die Macht war ein Instrument, das allein mit den einfachsten Grundbegriffen von Ethik und Moral arbeitete. Es gab die Helle Seite und die Dunkle Seite, und das waren die Wahlmöglichkeiten, die einem die Macht gewährte. Aber einen Einblick in die wahre Natur empfindungsfähigen Lebens? Da musste man woanders suchen.

Dennoch ... Sie war eine Heilerin. Zuweilen war sie in der Lage, die Wucht mentaler Stürme zu lindern. Zumindest war ein ruhiger Verstand ein besseres Werkzeug, um sich mit solchen Themen auseinanderzusetzen. Sie konnte Jos' Fragen nicht beantworten, aber sie konnte ihm dabei helfen, einen ruhigen Ort zu finden, an dem er seine Antworten selbst finden konnte. Sie war bereit, zumindest das für ihn zu tun, und das mit Freuden.

 






30. Kapitel

Der Spion war unter zwei Decknamen bekannt - die Schwarze Sonne kannte ihn als Linse und die Separatisten als Säule. Letztere von beiden Identitäten war es, die dasaß und stirnrunzelnd das sonderbar aussehende Schlingern musterte, das die Holoprojektion des Computers zeigte. Für die Uneingeweihten mochte die kleine Markierung allenfalls wie ein Fehler des Bildumwandlers wirken. Für diejenigen, die Bescheid wussten, bedeutete der kurze Störimpuls etwas vollkommen anderes.

Der Meisterspion auf Drongar hatte gerade eine weitere von einer Reihe allzu regelmäßiger Übertragungen geschickt. Das war lästig. Von den Dutzenden verschlüsselten Nachrichten, die geschickt worden waren, hatte bislang keine einzige irgendetwas Wesentliches beinhaltet. Die Botschaften enthielten triviales Zeug, im Sinne von »Behalte das Bota im Auge!« - grundsätzlich nutzlos und eine besondere Zeitverschwendung für einen Feldagenten, der sich in Säules Lage befand. Es dauerte Stunden, diese verdammten Dinger zu entschlüsseln, bei denen es sich um Feraleechi-Einmalschleifen handelte. Mittels eines stumpfsinnigen, sich wiederholenden Verfahrens wurde eine spezielle Chiffrierung von Hand dekodiert, mithilfe eines Schlüsselworts aus den frühmorgendlichen Holonachrichten. Daraus ergab sich eine Abfolge von Ziffern, die dann auf ein bestimmtes Buch hinwiesen, das auf der Bibliotheksliste verfügbar war, immer etwas, das so langweilig war, dass man einen ausgewachsenen Cantina-Aufstand zum Erliegen bringen konnte, wenn man das Zeug laut vorlas - Aridianische Vorgehensweisen zur Entwicklung agrarwirtschaftlicher Düngemittel auf Lythos Neun oder anderes sinnloses Geschmiere dieser Art. Dann musste das Ganze von Basic ins Symbianische übersetzt werden, eine seit dreißigtausend Jahren zwar tote, aber leider nicht begrabene Sprache, wobei jedes sechste Wort vertauscht wurde. Am Ende dieser ganzen Arbeit stand für gewöhnlich eine Botschaft frei nach dem Motto: »Wie läuft's denn so?«

Der Meisterspion hatte offenbar nicht allzu viel zu tun und musste zudem bis in die Stiefelspitzen paranoid sein.

Was, wie Säule fand, an den Rand der Lächerlichkeit grenzte. Selbst wenn es jemandem gelang, eine der Nachrichten abzufangen - unwahrscheinlich -, und selbst wenn es sich dabei um die besten Hacker der Galaxis handelte und es ihnen irgendwie gelang, die Chiffrierung zu knacken - noch unwahrscheinlicher -, war die Anzahl der Kisten phibianischen Biers, das letzten Monat an eine Militärkantine der Hauptbasis geliefert worden war, wohl kaum der Mühe wert.

Säule seufzte. So pflegten die Separatisten die Dinge zu regeln, und daran ließ sich auch nichts ändern. Es musste getan werden, aber nicht jetzt. Später.

Viel später...

Jos ging durch die medizinische Abteilung, auf dem Weg zu einem operierten Patienten, der unlängst eine nosokomiale Infektion bekommen hatte. Bei dem Patienten handelte es sich um einen menschlichen Offizier, keinen Klon, an dem sowohl er als auch Zan mehrere Stunden lang gearbeitet hatten, um ein von Granatsplittern durchsiebtes Herz zu ersetzen. Sie hatten Glück gehabt. Fünf Minuten länger, und sie hätten den Mann verloren. Ihn nach einem derart brillanten chirurgischen Triumph an irgendwelches Müllschluckerviehzeugs zu verlieren war schlichtweg inakzeptabel. Doch obwohl die Station hochmodern war, was Sterilisationsverfahren und eine keimfreie Umgebung betraf, kamen nosokomiale Infektionen - Ansteckungen, die man sich einfing, wenn man auf eine Krankenstation eingeliefert wurde - trotzdem hin und wieder vor. Diese spezielle Infektion hatte sich als ausgesprochen hartnäckig erwiesen. Sie sprach nicht auf die üblichen Breitbandantibiotika an, und bislang war es ihnen nicht gelungen, den Erreger zu kultivieren und zu identifizieren.

Die Prognose war düster. Sofern es ihnen nicht gelang, den Erreger zu bestimmen, würde der Offizier nicht überleben.

Als Jos die Isolationskammer erreichte, sah er, dass Zan bereits im Innern der Luftstrom-»Wände« und des sterilen Kraftfelds war, das Krankheitserreger daran hinderte, einzudringen oder zu entweichen. Neben dem Bett, unmittelbar außerhalb des Felds, stand eine Gestalt mit einer Kapuze, einer der Schweigsamen.

Jos hatte der angeblichen Fähigkeit der stummen Geschwisterschaft, die Genesung von Patienten zu beschleunigen, nie viel Glauben geschenkt, doch in diesem Augenblick war er niemand, der irgendetwas von der Hand wies, das vielleicht helfen könnte. Und ganz gleich, ob es sich dabei um so eine Art Placebo-Effekt handelte, um spontane Selbstheilung, um Remission oder gar um etwas, das vollkommen außerhalb von Jos' medizinischer Erfahrung lag, belegten die Fakten doch, dass die Gegenwart eines Schweigsamen bei oder in der Nähe eines Patienten die Genesung tatsächlich zu beschleunigen schien. Also nickte er der Gestalt im Vorbeigehen zu, deren Gesicht unter der Kapuze verborgen war. Der Schweigsame erwiderte das Nicken.

Jos trat in das Feld, das leise knisterte. Zan erschrak, als hätte jemand ihm mit dem Finger in den Rücken gepiekst. Er schaute sich um, sah Jos und entspannte sich. »Oh, du bist's.«

»Ich freue mich auch, dich zu sehen.« Jos bemerkte, dass Zan einen leeren Subkutaninjektor in der Hand hielt.

»Tut mir leid, bin bloß ein bisschen nervös.«

»Ich kann mir kaum vorstellen warum. In diesen Tagen pumpt das Adrenalin doch bei uns allen mit Vollgas.« Jos blickte auf die bewusstlose Gestalt im Bett hinab. »Wie macht sich unser jüngstes Aushängeschild für die Schrecken des Krieges?«

Der Patient, ein gewisser N'do Maetrecis, ein Armee-Major, sah ein bisschen besser aus als beim letzten Mal, als Jos ihn gesehen hatte. Seine Haut war blass und anhidrotisch gewesen, doch jetzt nahm sie allmählich einen normalen, gesunden Teint an. Das Flachschirmdiagramm hing am Fußende des Bettes, und Jos nahm es zur Hand und überflog die Werte. Blutdruck normal, Herzfrequenz normal, die Zahl der weißen Blutkörperchen...

Hallo? Nun sieh sich das mal einer an! Die erhöhte Anzahl weißer Blutkörperchen, die auf die Infektion hinwies, war beträchtlich gesunken. Und die Differentialquotienten - die Verbreitung und das Verhältnis spezialisierter weißer Zellen, Leukozyten, Poly-Werte, Endogene und so weiter - bewegten sich alle innerhalb normaler Grenzen.

Der Patient war auf dem Weg der Besserung.

»Schön, schön«, sagte Jos. »Sieht so aus, als hätte hier jemand die heilenden Hände eines Jedi - oder zumindest die Finger.«

Die Haut rings um Zans Hörner wurde ein bisschen fleckig - das Zabrak-Äquivalent eines menschlichen Errötens. Er ließ den leeren Subkutaninjektor in die Tasche seines Einteilers fallen.

Jos runzelte die Stirn. »Hast du auf einmal eine sentimentale Bindung zu medizinischen Instrumenten entwickelt? Willst du das Ding anodisieren und es dir auf den Kaminsims stellen?«

»Wie bitte?«

»Seit wann kommen leere Injektoren nicht mehr in den Müll?« Jos winkte in Richtung des Abfalltrichters neben dem Bett.

»Oh, tut mir leid - ich schätze, mein Gehirn ist schon mal vorgegangen.« Zan holte den Subkutaninjektor wieder heraus und warf ihn in den Eimer.

Als der Druckluftinjektor an ihm vorbeisegelte, erhaschte Jos einen guten Blick darauf. Der durchsichtige Plastoidkolben war genau das - durchsichtig und unbeschriftet. Es gab keinerlei Kennzeichnung, die daraufhingewiesen hätte, was für ein Medikament sich darin befunden hatte, auch keine Chargennummer, nichts.

Das konnte einfach nicht sein.

Der Patient, der jetzt wach war, murmelte, dass er sich wirklich schon viel besser fühlte. Jos gab höfliche Ärzteäußerungen von sich und überprüfte automatisch die Vitalwerte des Mannes, ehe er Zan mit einer hochgezogenen Augenbraue musterte. »Doktor Yant, könnte ich vielleicht unter vier Augen mit Ihnen reden?«

Außerhalb des Gebäudes dirigierte Jos Zan zu einem schattigen und relativ kühlen Plätzchen. »In Ordnung. Was geht hier vor?«

»Was hier vorgeht? Wovon sprichst du?« Zan sah Jos nicht in die Augen.

»Ich spreche von einem Patienten, der sich so schnell von einer lebensbedrohlichen Sekundärinfektion erholt, dass er Ionenbrandmale auf seinem Krankenblatt hinterlässt. Außerdem spreche ich von der Behandlung mit nicht gekennzeichneten Subkutaninjektoren.«

Zan zögerte einen Moment, ehe er resigniert seufzte.

In dieser kurzen Pause wusste Jos mit einem Mal, was passiert war. »Das hast du nicht getan!«, entfuhr es ihm.

Zan erwiderte: »Ich habe es getan.«

»Zan, ist dir eins deiner Hörner eingewachsen oder so was? Du kennst die Risiken. Wenn die dich erwischen, stellen sie dich vors Kriegsgericht!«

»Wenn du ein anderes empfindungsfähiges Wesen ertrinken siehst und direkt neben deinem Fuß ein Seil liegt, machst du dir dann Gedanken darüber, dass man dich beschuldigen könnte, das Seil gestohlen zu haben?«

»Wenn die reelle Möglichkeit besteht, dass sie mich dann damit aufknüpfen, ja. Das ist nicht dasselbe.«

»Ist es das nicht? Wir befinden uns auf einem Planeten mit dem größten Vorkommen eines absoluten Wundermedikaments in der Galaxis - man kann zu Fuß innerhalb von fünf Minuten zu einem großen Feld davon gehen. Wir haben bei diesem Burschen alles andere versucht, Jos - Makromolekularregeneration, Nanozellenimplantate, Maserkauteri- sation - nichts hat funktioniert. Der Mann lag im Sterben. Du hast den SGJ-Artikel über Bota auch gelesen - über ein Adaptogen, mit dem sich bei den meisten humanoiden Phänotypen alles kurieren lässt, mal abgesehen von einem Regentag. Wir hatten Patienten, die an Infektionen verreckt sind, die wir vermutlich mit einer Dosis davon hätten heilen können.« Zan hob seine Hände, eine Geste der Unvermeidbarkeit. »Ich konnte nicht einfach mitansehen, wie er stirbt. Nicht, solange auch nur die geringste Chance bestand ...«

Jos öffnete den Mund, sagte aber nichts. Was sollte er auch dazu sagen? Bota war kostbar - so kostbar, dass die Republik den Diebstahl davon als Verbrechen verurteilte, das hart bestraft wurde. Letzten Endes war diese Pflanze der Grund dafür, warum sowohl sie als auch die Separatisten auf Drongar waren. Ironischerweise war es jedoch den hier stationierten Flehrs verboten, das Bota zu verwenden - wegen seines potenziellen Werts auf anderen Planeten.

Bevor Jos doch noch das Wort ergreifen konnte, sagte Zan: »Niemand wird ein paar Pflanzen vermissen. Überall in den Tiefebenen gibt es kleine Bota-Flecken, von denen niemand auch nur etwas weiß. Man pflückt ein paar davon, steckt sie sich in die Tasche, verarbeitet sie später von Hand ... Wer wird je davon erfahren?«

»Zan...«

»Komm schon, Jos, du weißt, dass viele von den Xenos hier rausschleichen und sich mit dem Zeug ihre Freizeit versüßen! Filba hat praktisch jeden Abend mit einer Wasserpfeife voll beschlossen. Jeder weiß, was er davon hat, und jeder schaut in die andere Richtung, solange niemand gierig wird. Wenigstens verwende ich es dazu, um Leben zu retten - was im Übrigen genau das ist, was die Republik zu tun behauptet, Ist das Leben von jemandem, der hundert Parsecs von hier weg ist, wertvoller als eins im Raum nebenan? Wie kann ich einfach danebenstehen und Leute sterben lassen, ohne alles in meiner Macht Stehende zu tun, um sie zu retten?«

»Du hast diesen Krieg nicht vom Zaun gebrochen, Zan. Du bist nicht für jeden verantwortlich, der dabei verletzt wird.«

»Oh, das ist gut! Und das von einem Kerl, der mal ein Loch in die Wand getreten hat, als er einen Patienten an das Draknahr-Syndrom verlor - etwas, das alle Mediziner von Coruscant sowie ein Raum voller Jedi und Schweigsamer nicht behandeln könnten.«

Jos fehlten vollkommen die Worte. Er schaute seinen Freund an und sah nichts anderes vor sich als einen Arzt, der seinen Job genauso ernst nahm wie er selbst. Er seufzte. »In Ordnung. Aber du musst vorsichtiger sein - hier tummeln sich jede Menge Augen, die schärfer sind als meine und die einen unbeschrifteten Subkutaninjektor bemerken könnten!«

»Schon verstanden. Ich werde künftig dafür sorgen, dass sie markiert sind«, versprach Zan. »Ich kann sogar Farbstoff benutzen, um das Serum einzufärben, damit es wie Polybiotikum oder Spektazillin aussieht. Niemand wird es merken, Jos.«

»Ich hoffe es«, meinte Jos. »Denn falls doch, könnte deine Karriere platter gequetscht werden als ein Mynock in einem Schwarzen Loch.«

Zan grinste und legte seinem Freund eine Hand auf die Schulter, und die beiden drehten sich um und gingen wieder zurück ins Gebäude.

 






31 Kapitel

Den Dhur gehörte nicht zu denen, die lange untätig herumsitzen konnten. Trotz seines Getues, in höchstem Maße gelangweilt und zynisch zu sein, seinen Job bloß zu machen, weil sich damit sein Kneipendeckel bezahlen ließ, war das, was ihm in seinem Leben am meisten Freude bereitete, seine Arbeit. Nicht einmal die Tatsache, dass ihm der Admiral auf den Fersen war, brachte ihn dazu, einfach in seinem Quartier auszuharren - tatsächlich konnte er das ganz genau darum nicht, weil der Admiral ihm auf den Fersen war. Einmal hatte ihm ein alter Polizeibeamter erklärt, dass die erste Frage, die man im Zuge einer Ermittlung klären musste, folgende war: Was ist jetzt anders als vorher? Jede Veränderung im Verhalten eines Tatverdächtigen gab Anlass zu Argwohn. Wenn eine Bank ausgeraubt wurde und der diensthabende Wachmann genau zu dieser Zeit auf einmal beschloss, einen außerplanmäßigen Urlaub zu nehmen oder anfing, mit einem neuen, teuren Flitzer zur Arbeit zu kommen ... Nun, sofern nicht gerade völlig unvorhergesehen sein reicher Onkel gestorben war, der ihm einen Haufen Credits hinterlassen hatte, oder er bei einem Dauxkatzenrennen das große Los gezogen hatte, würde er bald Besuch bekommen, das war sicher. Uniformierten Besuch, der Schallpistolen und Schockstäbe bei sich hatte.

Normalerweise verbrachte der Reporter Den Dhur seine Tage nicht allein in seiner Unterkunft, und er hatte gewiss nicht vor, jetzt damit anzufangen. So kam es, dass er sich an diesem glühend heißen Tag draußen wiederfand, um den Nahkampfausbilder der Flehr-Station zu beschatten - diskret, sehr diskret. Es war keine sonderlich gute Idee, jemanden auf sich aufmerksam werden zu lassen, der einen erledigen konnte, ohne dass sich dabei auch bloß sein Herzschlag beschleunigte, wenn er den Wunsch danach verspürte. Von jemandem, der seine Fähigkeit und Bereitschaft, Leben auszulöschen, bereits demonstriert hatte und dabei aufgenommen worden war. Von jemandem, der die Jagd und das Töten verherrlichte.

Von jemandem wie Phow Ji.

Den huschte in den Schatten eines Nebengebäudes, froh über die relative Kühle dort, und beobachtete seine Zielperson. Er richtete eine winzige Aufnahmekamera auf die Szene und aktivierte sie. Ein bisschen mehr Hintergrundmaterial schadete nie. Besser, zu viel zu haben und es schneiden zu müssen, als zu wenig, das man dann strecken musste. Dieses Gerät war zwar nicht annähernd so ausgeklügelt wie die Mondmotte, aber es würde genügen, um den Job zu erledigen.

Phow Ji hatte eine Klasse von Kampfschülern um sich versammelt, vielleicht ein gutes Dutzend, größtenteils Menschen, und sie lockerten ihre Körper auf einem Flecken rosafarbenem Stoppelgras hinter der Cantina auf. Bäume mit breiten Blättern spendeten den Kampfkunstschülern ein gewisses Maß an Schatten, doch ihre Strapazen sorgten dennoch dafür, dass diejenigen, die Hitze abgaben, in einem fort gehörig schwitzten, während diejenigen, die auf andere Mittel zur Abkühlung zurückgriffen, keuchten, mit ihren Gliedern wedelten oder ihre Kiemen und Blasen weiteten - was immer nötig war, um überschüssige Körperwärme loszuwerden.

»Wie lautet Regel Nummer eins?«, fragte Ji. Seine Stimme war sonderbar sanft, in der feuchten Morgenluft jedoch laut genug.

»Sei stets bereit!«, entgegnete die Klasse unisono im Chor.

»Exakt! Wenn ihr eure Wohneinheit betretet, hängt ihr euren Kampfgeist nicht an den Hutständer. Ihr lasst ihn nicht auf der Bank zurück, wenn ihr duschen geht, und ihr legt ihn nicht auf den Nachttisch, wenn ihr schlafen geht. Wenn euer Kampfgeist kein Teil von euch ist, ist er nutzlos und...«

Ohne den geringsten Hinweis darauf, was er vorhatte, huschte Ji rasch einen Schritt nach links, schwang seine Faust in einem kurzen Bogen und schlug einem großgewachsenen, dünnen Menschen mitten in die Seite.

Der Mensch machte »Uumpf!« und wankte einen Schritt zurück, ehe er in einer verspäteten Verteidigungshaltung die Hände hob.

»Zu spät!«, brüllte Ji, laut genug, dass sich ein kalter Finger auf Dens Rückgrat legte, der dreißig Meter weiter im Verborgenen stand.

Der Mensch war auf ein Knie gesackt, sein Gesicht erfüllt von Schmerz. Als er sah, dass Phow Ji ihn musterte, rappelte er sich hastig auf.

»Zweikämpfe sind Spaß«, sagte Ji. »Bei Zweikämpfen wisst ihr und euer Gegner genau, was passieren wird, zumindest im Groben. Zweikämpfe sind gepflegt, sauber und haben Regeln. Bei einem Kampf im Ring könntet ihr umkommen, aber darauf seid ihr vorbereitet. Ihr wisst, wer euer Gegner ist, ihr wisst, wo er ist, und ihr seid nicht überrascht, wenn er euch angreift.

Im wahren Leben habt ihr diesen Luxus nicht. Ihr könntet gerade auf dem stillen Örtchen sitzen, wenn sich jemand auf euch stürzt. Ihr könntet duschen, schlafen oder in einem Kurs wie diesem hier sein. Also, wie lautet Regel Nummer eins?«

»Sei stets bereit!«, riefen sie einmütig.

Ji ging einen Schritt auf die Gruppe zu. Die Gruppe trat wie ein Mann einen Schritt zurück. Einige von ihnen hoben ihre Hände. Einer zog ein Messer halb aus der Scheide.

Ji grinste. »Schon besser. Jetzt: erste Position!«

Die Schüler nahmen die gewünschte Haltung ein, einen Fuß nach vorn, eine Hand erhoben, eine gesenkt. Ji ging um sie herum, berührte hier und da einen Arm oder ein Bein, korrigierte die Haltung. Alle in der Gruppe beobachteten ihn mit - wie Den selbst von seinem Versteck aus erkennen konnte - angespannter Vorsicht.

Den schüttelte den Kopf. Dieser Phow Ji war ein schlechter Mann, daran bestand kein Zweifel. Er hatte bereits genug Material, um eine Story daraus zu machen, doch er ließ die Kamera trotzdem weiterlaufen. Er wusste, wie seine Geschichte aussehen würde: Phow Ji, ein mörderischer Schläger, der in Friedenszeiten zum Schutze der Bürgerschaft weggesperrt worden wäre, ging seinen gewalttätigen Neigungen jetzt stattdessen auf dem Schlachtfeld nach, wo man ihm das Töten erlaubte und ihn als Helden und nicht als Verbrecher ansah. Was hielt die Öffentlichkeit davon? Von dem Wissen, dass jemand, der geistesgestört und gewalttätig war, ein Meuchelmörder, ein Ungeheuer, da draußen war und angeblich auf ihrer Seite stand?

Den wusste, dass er die Sache so drehen konnte, dass die Leute entsetzt wären. Noch ein paar Aufnahmen mehr, die die Grausamkeit und Gewaltbereitschaft des Menschen zeigten, und die meisten zivilisierten Wesen würden sich entrüstet und angewidert abwenden.

Er lächelte. Das war es, was er machte, und darin war er gut. Natürlich konnte man nie sicher sein, was die Öffentlichkeit tun würde, doch er erkannte eine gute Geschichte, wenn er auf eine stieß, und ganz gleich, woran es ihm auch sonst mangeln sollte, diese Geschichte konnte er großartig erzählen.

 






32. Kapitel

Jos gelangte zu dem Schluss, dass Tolk ihn absichtlich quälte.

Sie wusste, welche Anziehungskraft sie auf ihn ausübte - das lag in ihrer Natur und ihrer Ausbildung, sowohl im Hinblick auf ihre Spezies als auch in Anbetracht der Tatsache, dass sie eine Frau war -, und sie tat alles, um ihm zu zeigen, dass sie bereit war, ihm zu geben, was immer sein Herz begehrte. Fehlte bloß noch, dass sie ihm eine handschriftliche Einladung zukommen ließ, mit ihr zusammen zu sein.

Im Chirurgenwaschraum vor dem OP wusch sich Jos die Hände. Dafür nahm er sich die üblichen zehn Minuten Zeit. Er schäumte die Hände ein, reinigte die kurzgeschnittenen Fingernägel und wiederholte das Prozedere dann, auch wenn sich die Notwendigkeit dafür schon lange vor seiner Geburt erübrigt hatte. Dank Sterilisationsfeldern und Handschuhen war das Risiko nicht besonders hoch, dass irgendwelche Krankheitserreger auf den Patienten übertragen werden würden, wenn er seine Hände bloß neun anstatt zehn Minuten wusch, doch er war von Traditionalisten unterrichtet worden, die die alten Bräuche zu schätzen wussten. Also wusch er sich die Hände, sah aufs Chrono und brütete vor sich hin.

Alte Bräuche. Auf seinem Planeten wurde akzeptiert - gerade so dass eine junge, unverheiratete Person fortging und in die Galaxis hinauszog, um das Vergnügen von Ekster-Gesellschaft zu genießen. In höflichen Kreisen sprach man nicht darüber, aber so etwas kam vor. Dann, nachdem er seine Erfahrungen gesammelt und sich ausgetobt hatte, kehrte der Jungspund nach Hause zurück, wo er sich schließlich eine Ehegattin aus einer anständigen Enster-Familie suchte und sich niederließ.

Doch selbst in den Tagen, als er noch jünger und wilder gewesen war, hatte sich Jos nie wirklich mit der Vorstellung kurzer Liebschaften abfinden können. Natürlich hatte er diesbezüglich seine Erfahrungen gesammelt, doch die letztlich bedeutungslosen Techtelmechtel hatten ihm schwer zu schaffen gemacht. Im Grunde seines Wesens wusste Jos, dass es in seinem Leben bloß eine große Liebe geben würde und er ihr nicht untreu sein sollte - nicht einmal, bevor er ihr überhaupt begegnet war.

Aber jetzt war Tolk da. Schön, sexy, versiert, fürsorglich, intelligent und, wie Jos wusste, nur allzu einfühlsam. Sie sprach ihn an. Er wollte sie kennenlernen, ihre emotionalen Tiefen erkunden, herausfinden, ob das, was er in ihr sah, real war. Wäre seine Herkunft eine andere gewesen, hätte er Landgleiterrekorde gebrochen, um ihr hinterherzujagen, um zu sehen, ob sie wahrhaftig die Eine war. Aber für ihn konnte sie nicht die Eine sein. Seine Familie, seine Kultur und eine lebenslange Verpflichtung gegenüber beidem verboten das einfach. Sie war keine von seinem Volk. Sie war eine Ekster. Es gab kein Sakrament, keine Zeremonie, kein Ritual, das das ändern konnte. Sie konnte keine von ihnen werden.

Jos war wahrhaftig ein gebeutelter Mann.

Natürlich wusste Tolk über seinen kulturellen Hintergrund

Bescheid. Sie hätte jedem möglichen Techtelmechtel höflich aus dem Weg gehen können. Aber das hatte sie nicht getan.

Und warum wohl nicht, Jos, du Einfaltspinsel? Hmmm?

Jos schrubbte sich fest seine Fingerrücken. Wie rosa die Haut dort wurde. Sauber, sehr sauber.

Tolk hatte sich aus einem einfachen Grund nicht rargemacht: Er wollte sie, und das nicht bloß körperlich - und sie wusste das. Anscheinend hatte sie genügend Verstand, dass diese Vorstellung ihr nichts ausmachte, und genau das war das eigentliche Problem...

»Ich würde Ihnen nicht empfehlen, die Haut vollends abzuschrubben, Jos. Wegen der Wundflüssigkeit in den Handschuhen und alldem.«

Wenn man vom Teufel sprach - oder wie in diesem Fall auch nur an die Versuchung dachte ... Wusch! Schon war sie da!

Er murmelte irgendwas.

»Wie bitte? Das habe ich jetzt nicht verstanden.«

Jos fuhr fort, sich weiterhin minutiös die Hände zu waschen wie dieser Typ in diesem alten Holodrama, der glaubte, das Blut seines Vaters niemals loszuwerden, ganz gleich, wie angestrengt er auch schrubbte. Wie war noch gleich sein Name ...?

Er nahm einen tiefen Atemzug. Ebenso gut konnte er die Sache endlich aus der Welt schaffen.

»Hören Sie, Tolk! Ich ... ähm, ich meine ... also ...« Verdammt, war das schwer! Der Begriff gemischte Gefühle kam dem, was er empfand, nicht einmal annähernd nahe. Das Ganze war mehr wie pürierte Gefühle.

Sie lächelte ihn herzig an und gab vor - das wusste er -, nicht die leiseste Ahnung davon zu haben, was er fühlte. »Ja?«

Er richtete sich auf und hielt seine Hände unter den Trockner. »Warum machen Sie es mir so schwer?«

»Ich? Verzeihen Sie, was mache ich Ihnen schwer, Doktor Vondar?« Auf ihrer Zunge wären nicht einmal die feinsten Flocken Yyeger-Zuckerwatte geschmolzen.

»Sie kennen meine Kultur«, sagte er, entschlossen, reinen Tisch zu machen.

»Ja, und dieses Wissen bereitet Ihnen Sorge, weil...?«

»Verdammt noch mal, Tolk! Sie wissen sehr gut, wovon ich rede.«

Sie bedachte ihn mit einem unschuldigen Blick, ihre Augen so groß, dass jedweder Sullustaner sie dagegen stets zusammenzukneifen schien. »Meine Fähigkeiten sind nicht vollkommen, Jos. Ich bin keine Gedankenleserin. Ich kann bloß das sehen, was für jeden offensichtlich ist, der gründlich genug hinschaut. Vielleicht sollten Sie einfach sagen, was Sie meinen, damit es keine Missverständnisse gibt.« Sie lächelte wieder.

Er wollte schreien und Dinge kaputt schlagen.

»Ich ... Sie ... du ... wir ... wir könnten keine Zukunft zusammen haben.«

Tolk blinzelte, so unschuldig wie ein Neugeborenes. »Zukunft? Wer hat denn von so was gesprochen?«

»Tolk...«

»Wir sind hier in einem Kriegsgebiet, Jos. Schon vergessen? Morgen könnte unser Schutzfeld versagen, wir könnten von den Separatisten unter Beschuss genommen werden, und wir könnten alle draufgehen, einfach so. Oder die Sporen lassen uns mutieren und bringen uns um. Oder wir könnten vom Blitz getroffen werden. Kurz gesagt, dies ist ein gefährlicher Ort. Düstere Aussichten. Jede Zukunft für uns ist rein theoretisch.«

Jos starrte sie an. Irgendwie gewann er genügend Kontrolle über seine Muskeln zurück, um seinen aufklaffenden Mund zu schließen.

Tolk sagte: »Kennst du das bruvianische Sprichwort >Kuuta velomim<?«

Er schüttelte den Kopf.

»>Nutze den Augenblicke Das ist alles, was wir haben. Die Vergangenheit ist vorbei, und eine Zukunft haben wir vielleicht gar nicht. Nur das Jetzt existiert. Ich bitte dich nicht, mich zu heiraten, Jos. Ich weiß, dass du diesen Weg nicht mit mir gehen kannst. Aber wir könnten die Freuden teilen, die wir vielleicht miteinander hätten, hier und jetzt. Zwei Leute, die einander etwas bedeuten. Die Zukunft - falls sie eintritt - wird sich um sich selbst kümmern, und genau das sollten wir auch tun. Was kann das schon schaden?«

Er schüttelte wieder den Kopf. »Ich bin ... Ich wünschte, ich könnte das tun. So bin ich bloß leider nicht gepolt. Ich muss von etwas so Wichtigem überzeugt sein.«

»Bin ich dir so wichtig, Jos?« Er sah sie an, und sie lächelte wieder, ein trauriges Lächeln. »Du brauchst es nicht laut auszusprechen. Dein Gesichtsausdruck verrät mir alles.« Sie hielt inne. »Also gut. Ich werde deine Freundin und deine Arbeitskollegin sein, weil es den Anschein hat, als wäre das alles, was uns erlaubt ist. Wirklich schade.«

Sie streckte ihre Hand aus und berührte die seine, und er spürte, wie ein elektrischer Kitzel seinen ganzen Körper durchfuhr.

Sie zog ihre Hand zurück. Jetzt lächelte sie nicht mehr. »Uups, ich habe dich kontaminiert. Tut mir leid, du wirst dir die Hände noch mal waschen müssen. Wir sehen uns dann im OP.«

Als sie fort war, stellte er fest, dass er zitterte.

Er hasste das alles. Den Krieg, die Toten, seine Kultur, und in diesem Moment war er ausgesprochen froh darüber, dass Tolk gegangen war und die Verzweiflung nicht sah, von der er wusste, dass sie sich in seinem Gesicht zeigte.

Er musste hier raus.

Nicht lange und nicht weit weg, aber im Augenblick konnte er nicht in den OP, besonders nicht, wenn Tolk da war. Lieber hätte er nur mit einem Trochar bewaffnet einem ganzen Zug Droidekas die Stirn geboten, als noch einmal diesen Ausdruck in ihren Augen sehen zu müssen, zumindest heute. Es würde ihm nicht gelingen, sich zu konzentrieren. Am Ende würde er vermutlich eine Niere durch eine Gallenblase ersetzen oder irgendetwas ähnlich Dämliches verzapfen.

Er rief Zan an.

 

»Du bist mir was schuldig«, meinte der Zabrak düster, während Jos zusah, wie er sich die Hände wusch. »Ich habe meine eigene Schicht erst vor zwei Stunden beendet.«

»Schlaf wird überbewertet.«

»Als ob ich das nicht wüsste.«

»Gib mir bloß eine Stunde oder so!«, bat Jos. »Ich muss den Kopf klar kriegen.«

»Du willst einen Spaziergang machen? Warst du in letzter Zeit mal draußen? Die Luft ist so dick, dass du zur Cantina schwimmen könntest.«