20. Kapitel

Hunderte weiterer Kolonisten trafen aus Lübeck in Oranienbaum ein, erschöpft und gezeichnet von der Überfahrt.

Alle zwei Tage fuhren vom Kasernenhof Dutzende von Wagen zum Abtransport der Aussiedler ins Landesinnere ab. Anton von Kersen sorgte noch an dem Abend, an dem die Weber-Schwestern wieder auftauchten, dafür, dass die Waidbacher den nächsten Fuhrtreck in Beschlag nahmen.

Hektik breitete sich wie Fieber aus, als es nun hieß, sie möchten in die Wagen steigen und auf weitere Anweisungen warten. Russische Befehle flogen durch die Luft, von denen niemand ein Wort verstand, aber das Drängeln und Fluchen war aus dem grimmigen Tonfall zu vernehmen.

Christina gab sich keine Mühe, Eile auch nur vorzutäuschen. Lustlos schlenderte sie zu dem Wagen, den Eleonora besetzt hielt, und schleuderte ihr Bündel zum Gepäck, das sich im rückwärtig angebrachten Kasten der offenen Kutsche stapelte. Ein einzelner, altersschwach wirkender Gaul war vor den Wagen gespannt. Schläfrig zupfte er am trockenen Gras und schüttelte die Zottelmähne.

»Willst du nicht lieber zu Matthias?«, rief Eleonora ihr zu. »Er sitzt im Wagen vor uns. Wir sind hier mit Klara und Sophia schon genug Last für das Pferd …«

Christina holte ohne eine Antwort ihren Ranzen. Eleonora sah, wie sie einen Blick zu Daniel warf, der gerade galant einem pferdegesichtigen Fräulein, das mit den Eltern reiste, in den von ihm und Sebastian besetzten Wagen half.

Betont gleichmütig schlenderte Christina zu Matthias, der sein Gepäck verstaute. Er reichte ihr die Hand, um sie nach oben zu ziehen.

Rufe hallten die lange Reihe der Fuhrwerke entlang, Menschen liefen hin und her, geschnürte Leinensäcke flogen durch die Luft, die Pferde wieherten, die Soldaten, die auf ihren Rössern den Treck umkreisten, bellten Anweisungen, die niemand beachtete. Es zog sich über mehrere Stunden hin, bis alle zur Abfahrt bereit waren.

Es gab weder Kutscher noch Lenkleinen für die Pferde. Klara und Sophia saßen mit angespannt durchgedrücktem Rücken neben Eleonora, während sie darauf warteten, dass es losgehen würde.

Da erschallten ein Befehl – »Vperjod! Potoraplivajsja!« – und ein lauter Peitschenknall, und der Gaul vor Eleonoras Fuhrwerk setzte sich in Bewegung, als hätte er nur darauf gewartet. Die Pferde blieben tatsächlich sich selbst überlassen, folgten mit nickendem Kopf dem Wagen, der vor ihnen fuhr, geduldig und genügsam und die schwere Peitsche offenbar zu gut gewöhnt, um nur einen Schritt aus der Spur zu weichen.

Eleonora drückte Klaras Hand, während Sophia auf ihrem Sitz hin und her hüpfte und »Hüa!« rief.

»Bald haben wir es geschafft«, tröstete Eleonora die jüngere Schwester.

Klara nickte, und Eleonora bemerkte, dass sie mit den Tränen kämpfte.

»Alles gut, Klara?«

»Helmine hat gesagt, ihr wolltet uns im Stich lassen. Was wäre aus Sophia und mir geworden, wenn ihr nicht zurückgekommen wärt?«

Eleonora zuckte zusammen. »Du sollst doch nicht alles glauben, was Helmine dir erzählt«, sagte sie. »Weißt du denn nicht selbst, dass ich dich und Sophia niemals alleinlassen würde? So gut müsstest du mich kennen. Du bist alt genug …«

Klara senkte den Kopf. »Doch, schon. Aber ich war so mutlos …«

Eleonora strich ihr über den Scheitel. »Wir sind nach Petersburg gefahren, um unsere Verwandten zu finden – vielleicht hätten wir uns, wenn wir Erfolg gehabt hätten, die Weiterreise erspart. Aber, wie du weißt, sind wir überfallen worden, und ich war lange bewusstlos …« Sie schluckte. »Wenn es nach dem Arzt gegangen wäre, hätte ich weitere zwei Wochen liegen und mich auskurieren müssen. Aber ich habe gedrängt, weil ich wusste, wie sehr ihr euch sorgt und dass der Treck weiterziehen muss.«

»Hast du noch Schmerzen?«

»Es ist auszuhalten. In meinem Kopf pocht es, die Wunde brennt, und hin und wieder wird mit schwindelig. Drück die Daumen, dass ich mich bei dem Geruckel nicht übergeben muss!« Sie zwinkerte ihr zu.

Ein flüchtiges Lächeln erhellte Klaras Gesicht.

»Jetzt wieder alles gut?«

Klara nickte, während die Kolonne mit der Geschwindigkeit eines Leichenzuges voranschlich.

An den Weggabelungen baumelten Schilder, auf denen die Namen fremdartig klingender Orte standen.

Bis sie nach etwa zwei Stunden Peterhof erreichten, plapperten und zappelten die beiden Kinder. Dann verstummte das Geschnatter allmählich, und sie nickten ein. Sophia an Klara gelehnt und Klara an Eleonora.

Während die beiden Mädchen dösten, verschwand das zur Schau gestellte, Zuversicht verströmende Lächeln aus Eleonoras Gesicht.

Nikolaj, Mascha und der Arzt Michail hatten, wenn auch mit vorsichtigen Umschreibungen, um sie nicht einzuschüchtern, berichtet, dass die Verluste der Kolonisten bei dieser monatelangen Fahrt durch die russischen Dörfer, Städte und Wälder unglaublich hoch seien – dass diese Verluste sogar bei den Berechnungen der Zarin berücksichtigt waren.

Eleonora befürchtete, dass Sophia und Klara zu den Schwächeren gehören könnten, deren Kräfte die Reise überstieg.

Und ob sie selbst in ihrem Zustand durchhalten würde, war ebenfalls fraglich.

Wenn sie zuerst starb – wer würde für die Kinder sorgen?

Sie starrte auf Matthias’ breiten Rücken in der vorderen Kutsche. Wie selbstverständlich er sich um Sophia und Klara gekümmert hatte. Aber das waren nur wenige Tage gewesen …

Die schmalen Schultern Christinas, die neben ihm saß, hingen herab, als wäre sie mit dem Kinn auf der Brust eingenickt.

Groll stieg in Eleonora hoch, während sie auf ihre Schwester blickte, deren Kopf im Takt der Kutschenräder wackelte.

Ob sie ihr jemals verzeihen konnte?

Würde sie jemals vergessen, dass Christina versucht hatte, sie von dem Liebsten, was sie auf der Welt besaß, zu trennen?


Alles war schiefgelaufen.

Hier saß sie auf dem rappelnden Kutschbock neben diesem hessischen Ochsen, dessen Miene sie wohl nie zu deuten lernen würde und der grabeskalt auf jede harmlose Nettigkeit ihrerseits reagierte.

Sauer stieg Christina Magenflüssigkeit in den Mund. Angewidert verzog sie das Gesicht.

Mit Grauen erfüllte sie die Erkenntnis, dass der Tag nicht mehr weit war, an dem sie Matthias gestehen musste, dass sie ein Kind erwartete. Mehr Worte wären nicht nötig, denn er würde selbstverständlich wissen, dass es sein Fleisch und Blut nicht sein konnte.

Sie rumpelte der Hölle entgegen – und war dem Himmel nah gewesen.

Das süße Kribbeln auf jedem Fleck ihrer Haut in dem Bett in Petersburg würde sie ihr Lebtag nicht vergessen. Und auch nicht den Duft nach Minze, der sich mit der würzigen Seeluft, die von draußen hereinwehte, mischte.

Allerdings würde ihr ebenso Maschas Miene auf ewig im Gedächtnis bleiben – etwas Lauerndes hatte darin gelegen, Misstrauen, Wachsamkeit.

Christina wusste, dass es, wann immer sie versuchte, Männer um den Finger zu wickeln, Frauen gab, die sich von ihr herausgefordert fühlten, ihr Spiel zu durchkreuzen. Mascha gehörte möglicherweise genau zu dieser Sorte.

Nachdem sie vorgeschlagen hatte, dass sie gleich einen Boten nach Oranienbaum schicken könnte, der Nachricht von ihrem Verbleib überbrachte, hatte Christina, einer spontanen Eingebung folgend, zu einer List gegriffen. Beim Aufstehen hatte sie starke Schmerzen simuliert und war sogar zu Boden gegangen, wo sie sich heulend ans Knie fasste …


Wie nicht anders erwartet, sprang Nikolaj sofort an ihre Seite, um sie hochzuheben wie ein kleines Mädchen und wieder ins Bett zu legen.

»Was ist mit Euch?«, fragte er.

»Ich kann nicht auftreten. Irgendetwas stimmt mit meinem Knie nicht. Und schwindelig ist mir, entsetzlich schwindelig.«

»Sie ist nicht reisefähig«, erklärte Nikolaj. »Warten wir noch, so lasse ich sie nicht mit dem Treck ziehen.«

Mascha zog eine Braue hoch, nickte und wandte sich zum Gehen. »Wie du meinst, Nikolaj. Sie steht unter deinem Schutz.«

Als Mascha das Zimmer verließ, verlor Christina keine Zeit. Sie schlang die Arme um Nikolajs Hals, als er sich zu ihr beugte, und zwang ihn mit zarten Händen, ihr in die Augen zu schauen. »Stimmt das? Ich stehe unter Eurem Schutz?«

»Selbstverständlich. Ich habe Euch gefunden und hergebracht – ich werde dafür sorgen, dass Euch kein Leid widerfährt.«

»Nikolaj, Ihr ahnt nicht, was ich darum gäbe, wenn wir hier bleiben dürften«, flüsterte Christina. »Die Weiterreise wird über unsere Kräfte gehen. Wir werden das nicht durchstehen, Nikolaj. Schaut Euch meine Schwester an! Glaubt Ihr, sie wird, wenn sie überhaupt wieder die Augen aufschlägt, so rasch genesen? Wenn wir an die Wolga ziehen, bedeutet das ihren sicheren Tod. Wollt Ihr das verantworten?«

Nikolaj blickte von ihr zu Eleonora mit dem schneeweißen Gesicht und den nun stumpfen schwarzen Haarsträhnen, die an einem Sommerabend an den Ufern der Newa schimmern mochten wie die einer Nixe.

»Hier bleiben wollt Ihr? Wie stellt Ihr Euch das vor?« Er betrachtete Christina und strich mit den Fingerspitzen ein paar Locken aus ihrer Stirn.

»Es wäre nicht für lang. Nur für den Anfang, bis wir hier Fuß gefasst haben. Vielleicht, bis wir unsere Verwandten aufgespürt haben. Vielleicht, bis wir Anstellung gefunden haben. Ach, ich bitte Euch, Nikolaj, gebt Eurem Herzen einen Stoß und helft uns!« In Christinas Blick lag so viel Flehen, dass Nikolaj nicht anders konnte, als sich hinabzubeugen und ihre Lider zart zu küssen.

»Ihr seid wunderschön«, flüsterte er dabei und senkte seinen Mund auf Christinas Lippen, als sie das Gesicht hob und ihm entgegenkam.

Während sie Nikolajs Zärtlichkeiten erwiderte, erwachte jede Faser ihres Körpers zu neuer Lebendigkeit.

Sie küssten sich wild und hungrig, bis sie sich schwer atmend voneinander lösten. »Wir werden unvergessliche Tage miteinander verbringen«, flüsterte Christina mit einem verheißungsvollen Lächeln. »Ihr sollt es nie bereuen, dass Ihr uns gerettet habt.«

In diesem Moment wähnte sich Christina am Ziel all ihrer Wünsche. Nikolaj war wie Wachs in ihren Händen und ganz offensichtlich ein erfahrener Liebhaber. Sie würde stöhnen und seufzen, wenn er zu ihr kam – ihr Glück hinausschreien und niemals mehr einen Gedanken verschwenden an die engstirnigen hessischen Bauern, die quer durch die russische Wildnis wie Schafböcke zum Schlachthaus getrieben werden sollten.

Zwei Tage später wachte Eleonora endlich auf und zertrümmerte mit den ersten Worten, die über ihre Lippen drangen, Christinas Hoffnungen.

»Sophia«, hauchte sie. »Wo ist Sophia?«

Nicht nur Nikolaj, Mascha und Christina befanden sich im Schlafgemach, sondern auch der Arzt Michail Daschkow. Christina hatte er bereits untersucht und dabei die Stirn in Falten gelegt.

Als nun Eleonora sich regte, eilte er zu ihr und ließ sich mit durchgedrücktem Kreuz seitlich auf dem Bett nieder. Christina beobachtete ihn, bemerkte, wie bezaubert er von ihrer Schwester war, die wie eine Märchenfigur in den Laken lag.

»Da seid Ihr ja«, sagte er leise und lächelte auf sie hinab. »Könnt Ihr mich verstehen?«

Eleonoras Augen weiteten sich, während sie versuchte zu erkennen, mit wem sie es zu tun hatte.

»Liebste Schwester … Eleonora …« Christina drängte sich vor den Arzt und umfasste das Gesicht ihrer Schwester mit beiden Händen. Sie küsste sie auf die Stirn. »Du lebst!«

Eleonora versuchte, sich ein wenig aufzurichten, sackte aber kraftlos zurück in die Kissen. »Christina … wo … wo sind wir? Wo ist Sophia?«

»Wir sind in Sicherheit Eleonora. Nikolaj hier und seine reizende Schwester sind so freundlich, uns zu beherbergen …«

»Ich will zu meinem Kind.« Jetzt schaffte es Eleonora, sich auf die Ellbogen zu stützen. Ihr Blick ging von Christina zu dem Arzt, zu Nikolaj und dessen Schwester, die am Fußende des Bettes schweigend warteten.

Christina nahm beide Hände ihrer Schwester in die ihren und starrte sie beschwörend an. »Du musst noch lange schlafen«, sagte sie. »Damit du wieder ganz gesund wirst. Du bist verwirrt, Eleonora. Wir sind überfallen worden, haben einen Schlag auf den Kopf bekommen, du liegst hier seit vielen Tagen … Ruh dich aus, bis du dich besser fühlst. Dann werden wir überlegen, wie es weitergeht. Nikolaj und Mascha sind Freunde, Eleonora. Wir sind nicht allein.«

Nikolaj räusperte sich unbehaglich, und Christina hörte, wie auf Russisch geflüstert wurde. Ihr Herz schlug ein paar Takte schneller, während sie auf ihre Schwester einredete und inständig hoffte, Eleonora würde wieder einschlafen und lange genug schweigen, bis niemand mehr auf die törichte Idee kam, sie könnten sich dem Wandertreck nach Saratow noch anschließen.

Alles war doch so einfach, so perfekt! Sie ließen die anderen ziehen und begannen hier in Sankt Petersburg ihr neues Leben.

Eleonora schüttelte den letzten Rest Benommenheit ab. Auf ihrer Stirn bildeten sich Falten, während sie die Anwesenden betrachtete. Mit zwei Fingern griff sie sich an die Schläfe und rieb sie.

Christina machte dem Arzt Platz, der nun Eleonora Fragen stellte. Eleonora versicherte ihm, dass es ihr gar nicht so schlecht gehe. Zwar spüre sie starke Kopfschmerzen und eine leichte Übelkeit, aber sie wünsche, aufzustehen und noch in dieser Stunde zu ihrer Tochter zu fahren.

Ein Lächeln trat auf die ebenmäßigen Züge des Arztes. »Ich kann es nicht gutheißen, wenn Ihr gleich aufbrechen wollt. Eurer Genesung wird es nicht zuträglich sein. Unter anderen Umständen würde ich euch dringend empfehlen, mindestens zwei Wochen Bettruhe zu halten. Aber ich sehe, wie sehr Ihr Euch nach Euren Lieben sehnt und dass Ihr jeden ärztlichen Rat in den Wind schlagen würdet.«

»Ich kann nicht hier bleiben«, erwiderte Eleonora, als sei es das Selbstverständlichste der Welt. »Meine Tochter wartet auf mich. Und meine jüngere Schwester.« Sie suchte Christinas Blick. »Wir können sie doch nicht alleinlassen.« Ihr letzter Satz war mehr fassungslose Frage als Feststellung.

Christina presste die Lippen aufeinander.

»Wir hätten sie später, wenn du ganz genesen bist, zu uns holen können«, zischelte sie. »Ich verstehe dich nicht, Eleonora. Du setzt deine Gesundheit aufs Spiel. Eine tote Mutter nützt deiner vergötterten Sophia wenig.«

Mit erhobener Stimme unterbrach sie der Arzt. »Eure Pläne in allen Ehren, junge Dame«, begann er. »Aber wie denkt Ihr Euch das mit Eurem eigenen Kinde? Soll es in diesem Haus zur Welt kommen oder nicht doch in der Nähe des Vaters?«

Erschüttertes Schweigen breitete sich in dem Schlafgemach aus.

»Du erwartest ein Kind?«, hauchte schließlich Eleonora.

»Du hast es gehört«, stieß Christina hervor und erwog einen Moment lang ernsthaft, sich aus dem Fenster auf den belebten Newski-Prospekt zu stürzen.

Sie fühlte Nikolajs brennenden Blick in ihrem Nacken, erkannte in Eleonoras Augen Unglauben und Erstaunen. Und in ihr tobte ein Sturm, der sie auszuhöhlen drohte. Dieses verfluchte Kind.

Zum Abschied dann streifte Nikolajs warmer Atem ihren Hals, als er sie in die Arme zog. »Ihr seid hinreißend«, flüsterte er ihr ins Ohr. »Aber mit dem Kind, das in Euch wächst, gehört Ihr an die Seite Eures Mannes. Ich wünsche Euch den Himmel auf Erden.«


Während die Landschaft im warmen Schein der Abendsonne an ihr vorbeizog, streichelte Christina den seidigen Stoff des Kleides, das Mascha ihr geschenkt hatte. Wie wundervoll hatte es in die Stadtwohnung an der Prachtstraße gepasst, und wie fehl wirkte es auf diesem rumpelnden Kutschbock.

Matthias neben ihr in seiner russischen Kutte starrte dumpf vor sich hin, während der Gaul dahintrottete und die Kolonne sich wie ein Wurm durch die Wälder und Dörfer bewegte.

Ein paar Wagen vor ihnen sah Christina Daniel, neben sich den schmollenden Sebastian und dieses Mädchen mit den großen Zähnen, das bei jedem zweiten Satz des Zeugmachers wieherte. Ganz offensichtlich verstanden sich die beiden prächtig, aber welche Frau ließe sich nicht von seinen amüsanten Geschichten und seiner springlebendigen Art gefangen nehmen?

Mit mürrisch verschlossener Miene standen manchmal Bauern mit ihren runden Mützen und im Nacken gebundenen Kopftüchern am Wegesrand und stierten ihnen nach.

Über dem Land schien eine Melancholie zu liegen, die jeden erfasste, der es durchstreifte. Die Wolken hingen tiefer und schwerer als anderswo auf der Welt, die Fichtenwälder waren dunkler, die Weizenfelder trockener, das Vieh behäbiger. Das gedämpfte Tockern der Pferdehufe begleitete sie, hin und wieder flog ein Schwarm Krähen auf, als wolle er sie krächzend zur Umkehr bewegen.

Die Luft war erfüllt vom Harzgeruch der Wälder. In den Dörfern mischte sich der Rauch darunter, der aus den Schornsteinen stieg, und manchmal der Duft nach über offenem Feuer geröstetem Fleisch.

Im immer gleichen Rhythmus zogen die Gäule die Menschen auf ihren Fuhrwerken Meile um Meile tiefer hinein in dieses unbekannte Land, das ihre neue Heimat werden sollte. Von einem Dorf zum nächsten fühlte Christina, wie die Erinnerung an das Paradies, von dem sie kosten durfte, verblasste.

Sie war wieder unter ihresgleichen, inmitten ihrer Landsleute, ihrer Familie, ihrer Freunde aus Kindestagen.

Allem Anschein nach war das ihr Schicksal.

Sie wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel.

Matthias sah sie an, eine Braue hochgezogen. »Eine Fliege?«

Christina schob die Unterlippe vor und wandte ihr Gesicht ab.

Weiße Nächte, weites Land
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