Kapitel 2

Sonntag, 16.00 Uhr

»Der ist mausetot«, sage ich, und diesmal hält sogar der Reindl seine Klappe.

Er verträgt wohl den Anblick von Leichen nicht, jedenfalls ist er grasgrün im Gesicht. Ich überprüfe vorsichtshalber den Puls, aber da rührt sich rein gar nichts mehr. Der Tote ist vollständig mit einem teuren Designeranzug bekleidet, wie mir das Etikett in seinem Jackett zeigt. Auf den ersten Blick schaut die Leiche zwar etwas blass aus der Wäsche, aber nichts deutet auf einen gewaltsamen Tod hin. Ich ziehe mir Latexhandschuhe über und durchsuche erst einmal die Taschen. Sie enthalten lauter Krimskrams und ein paar Geldmünzen. In der Innentasche der Jacke des Opfers ist eine Brief­tasche, in der aber keine Ausweispapiere oder sonst etwas stecken, was einen Hinweis auf die Identität des ­Toten liefern würde. Dafür finde ich einen zusammengefalteten Zettel mit krakeligen Buchstaben und Zahlen: »Ex 21,23–25.«

Ich habe keine Ahnung, was das bedeuten soll. Vielleicht hat er 21 bis 25 halbe Bier auf Ex getrunken, schießt es mir durch den Kopf. Aber das schaffen selbst meine Kollegen, die Hauptwachtmeister Viereck und Oberberger, nicht, also verwerfe ich den Gedanken gleich wieder. Ich tüte den Fetzen vorsichtig in eine der obligatorischen Beweissicherungsfolientüten ein, bevor ich mir den ­Toten etwas genauer anschaue, und tatsächlich finde ich Striemen an Hand- und Fußgelenken, wie wenn er ge­fesselt gewesen wäre. Oha, jetzt wird es aber interessant.

»Reindl, ruf sofort die Spusi und den Leichenfetischisten, da müssen wir doch genauer schauen«, sag ich zu meinem werten Kollegen.

»Die müssen jeden Moment hier sein, die hat schon der Huber bestellt«, tut der Reindl gleich ganz wichtig.

Ich beachte ihn nicht weiter, sondern wende mich dem Mann zu, der den Toten gefunden hat. »Also, erzählen Sie mal, wie Sie hier zu der Leiche kommen, und was machen’S denn überhaupt hier draußen in der alten Bruchbude?«, frag ich den neuen Besitzer des Hungersackers, der sich bei unserer Ankunft als Bruno Fischer vorgestellt hat.

Er ist im Gegensatz zum Reindl kalkweiß, und das wirkt besonders komisch, weil der auch noch einen weißen Anzug, ein weißes Hemd und ebensolche Schuhe anhat. Wie sie so nebeneinander stehen, muss ich fast grinsen, so deppert schauen die zwei aus. Wie im Fasching, das grüne Männchen vom Mars und das weiße Gespenst vom Hungersacker, und beide kriegen sie das Maul nicht auf. Bevor das Kalkgesicht noch einen Ton rauskriegt, ist plötzlich hinter mir ein Krach, wie wenn eine Herde Elefanten einfallen würde.

»Servus miteinander«, tönt auch schon der Bass vom Doktor Kreithmeier, seines Zeichens Pathologe im Dienste des Staates.

»Servus, Kreithmeier, du perverser Leichenfetischist«, begrüße ich ihn wie immer, aber heute entlockt es ihm nicht einmal ein müdes Lächeln.

Da muss ich mir wohl mal was Neues einfallen lassen. Aber es ist halt Sonntag, und da ist auch der Kreith­meier nicht besonders scharf auf die Arbeit.

»Habt’s ihr die Leiche angerührt?«, will der Doktor wissen und schaut uns alle scharf an.

Das kann er nämlich gar nicht leiden, wenn vor ihm jemand an seinen Toten rumzupft.

»Wir sind gerade erst gekommen, wir hatten also noch keine Gelegenheit, den Toten näher zu begutachten«, wirft der Reindl ein und tut wieder ganz wichtig.

»Äh, ich habe den schon angerührt, der lag ja auf dem Rücken, und ich wusste doch nicht, dass der tot ist«, stammelt der Bruno Fischer verlegen vor sich hin. »Ich habe das erst bemerkt, nachdem er auf dem Rücken lag und ich seine Atmung und den Puls überprüft habe. Und da habe ich auch die Striemen an den Handgelenken gesehen.«

»Und ich hab seine Taschen untersucht, aber natürlich mit Handschuhen, wie sich das gehört«, brumme ich und erwarte schon einen Wutausbruch vom Kreithmeier.

»Habt’s sonst was ang’langt?«, schreit da von hinten der Mühlbauer, unser Spurensicherer.

Er hat sich mit seinem Team im Gegensatz zum Kreith­­meier so leise genähert, dass es alle reißt und wir uns erschrocken umdrehen. »Nein, nur den Toten«, stammelt der Herr Fischer.

»Jetzt kommen’S mal mit nach draußen, und dann erzählen’S mir genau, wie Sie die Leiche gefunden haben«, übernehme ich wieder das Kommando.

Irgendwer muss ja auch hier das Ruder in die Hand nehmen, damit nicht ein jeder einfach macht, was er will.

»Und du, Mühlbauer, streitest dich nicht wieder mit dem Kreithmeier. Ein jeder macht seine Arbeit, aber dalli«, rufe ich noch und wundere mich, warum mich alle so anglotzen.

»Was schaut’s denn alle so blöd?«, will ich wissen, aber da merke ich auch schon, dass ich immer noch mit der Pistole rumfuchtle, die ich vor Schreck gezogen habe, und stecke sie schnell weg.

»An die Arbeit«, knurre ich noch und schiebe dann das Kalkgesicht raus an die frische Luft.

Der Reindl schleicht uns hinterher und setzt sich draußen erst einmal ins Gras. Dabei saugt er den Sauerstoff durch seinen Rüssel, als ob er gerade beinahe erstickt wäre. Bloß wegen einer Leiche muss der gleich wieder so ein Theater abziehen.

»Jetzt erzählen’S einmal genauer, wie Sie die Leiche gefunden haben«, wende ich mich an Bruno Fischer, um endlich mit den Ermittlungen zu beginnen, aber statt einer Antwort verdreht der plötzlich die Augen und kippt einfach um.

»Reindl, jetzt hol halt den Doktor«, schrei ich, aber der ist schon aufgesprungen und rennt in die Halle.

Kurze Zeit später taucht er mit dem Kreithmeier wieder auf.

»Kann man denn nirgends in Ruhe seine Arbeit machen, zefix«, knurrt der mich an, als ob ich was dafür könnte, dass der Fischer einfach umfällt.

Nicht besonders sanft kneift der Doktor dem immer noch Bewusstlosen in die Backe und haut ihm dann ein paar runter. Tatsächlich flattern kurz darauf seine Augenlider, und er wird wieder wach.

»Jetzt kannst ihn weiter vernehmen, und wehe, du störst mich noch mal bei der Leichenschau«, mosert der Kreithmeier und verschwindet.

Ich warte noch kurz, bis der Bruno Fischer ganz unter den Lebenden ist, dann beginne ich wieder mit meiner Befragung.

»Also, jetzt fangen mir noch mal von vorne an, und Sie sagen mir endlich, was Sie hier machen und wie genau Sie die Leiche gefunden haben.«

Der Fischer starrt mich zuerst nur an mit Augen, dass du meinst, der hat einen ganzen Kübel voll Drogen in sich reingeschüttet. Gerade will ich aufstehen und ihm wie der Kreithmeier zuvor eine runterhauen, damit er wieder zu klarem Verstand kommt, da räuspert er sich, schüttelt sich wie ein nasser Hund und fängt endlich an zu reden, aber gleich so, dass mir hören und sehen vergeht. Ein echter Preiß halt, so wie der Reindl.

»Ich habe das ganze Areal hier von meinem Onkel geerbt, der in Indien vor sechs Monaten verstorben ist. Gott habe ihn selig, meinen lieben Onkel Erwin.«

»Erwin?«, fahre ich laut dazwischen, und mir wird schwindelig, weil mich eine böse Ahnung überfällt. »Aber nicht etwa der Erwin Gross, der erleuchtete Erwin?«

»Doch, genau der, kannten Sie etwa meinen lieben Onkel?«

Und ob ich den kannte, und der war nicht lieb, sondern ein ganz mieser Seelenfänger und Hirnwäscher. Das behalte ich aber lieber für mich. Ich muss ein paar Mal tief durchschnaufen und mich ganz auf die Arbeit konzentrieren, damit mich die Nachricht nicht aus den Latschen haut.

»Und jetzt schleichen’S hier herum und finden einfach so eine Leiche?«, setze ich meine Befragung fort.

»Wissen Sie, Herr Kommissar, ich will hier an die ­Arbeit meines Onkels anknüpfen und ein Begegnungszentrum für alle spirituell interessierte Menschen aufbauen. Das Landratsamt hat alle Pläne schon geneh­migt, und morgen beginnen die Umbauarbeiten. Und bei meinem heutigen Rundgang liegt da plötzlich der Tote hier.«

»Ein Begegnungszentrum für spirituell Interessierte, soso. Wollen’S auch so eine bescheuerte Sekte gründen wie der liebe Onkel?«, rutscht es mir raus.

»Nein, nein, keine Sekte, ein ganz offenes Zentrum. Erleuchtung funktioniert nur auf absolut freiwilliger Basis und …«

»Jetzt halten’S hier keine Missionierungsvorträge, sondern beantworten einfach meine Fragen, gell, sonst werd’ ich ungemütlich«, blaffe ich den perplexen Herrn Fischer an.

»Kennen’S diesen Zettel?«, frage ich weiter und halte ihm den Wisch mit der ominösen Aufschrift unter die Nase.

Er schaut interessiert drauf und mich dann fragend an.

»Ist das ein Rätsel, oder was soll das bedeuten?«

»Das wüsst’ ich auch gerne«, murmle ich und frage noch nach weiteren Details des Leichenfundes, aber der Fischer ist keine wirkliche Hilfe.

»Gestern Abend war die Leiche noch nicht da«, behauptet der Fischer.

Ich übergebe ihn dem Reindl, der soll die genauen Daten aufnehmen, und gehe wieder zurück zur Leiche.

»Hast schon was für mich?«, frage ich den Kreithmeier, der über die Leiche gebeugt dasteht und irgendwas in sein Diktiergerät reinnuschelt.

Der Mühlbauer schaut mich böse an, sagt aber nichts. Er mag es überhaupt nicht, wenn unsereins in seine heiligen Tatorte reinstiefelt, aber das hilft halt nichts, ich muss auch meine Arbeit machen. Wir sind da schon ein paar Mal aneinandergeraten, aber heute belässt er es bei seinem strafenden Blick. Seine Leute und er sind mit der Spurensicherung beschäftigt und verteilen ihre Pulver und ihre Mittel, pinseln überall drüber und packen jedes Staubkorn ein. Zuverlässig und gewissenhaft ist er halt, der Mühlbauer, da kann man sich drauf verlassen.

»Schau, Dimpfelmoser, da ist eine Einstichstelle«, sagt der Kreithmeier und zeigt auf die entsprechende Stelle am Arm. »Die ist erst ein paar Stunden alt, und so wie ich das sehe, war das nicht nur eine kleine Nadel, sondern da muss eine große Kanüle drin gewesen sein.«

»Und was heißt das jetzt?«

»Das kann ich dir erst nach der Obduktion sagen, aber der ist noch nicht länger als 12 Stunden tot, so wie der ausschaut, so viel schon mal vorweg.«

»Woran der gestorben ist, kannst das auch schon sagen?«, frage ich und tue ganz interessiert.

Dem Kreithmeier muss man nämlich alle Informa­tionen aus der Nase ziehen. Gesprächig wird der erst nach der sechsten oder siebten Halben im Wirtshaus.

»Da, schau dir seinen Hinterkopf an.«

Nicht gerade sanft zieht er den Kopf an den Haaren zur Seite und zeigt auf eine Beule, die unter den Haaren sichtbar wird.

»Der ist k. o. geschlagen und gefesselt worden. Mehr kann ich dir noch nicht sagen. Schau morgen Nachmittag vorbei, dann weiß ich Genaueres.«

Er will schon weitermachen, da halte ich ihm die Tüte mit dem Zettel vor seine Nase.

»Kannst du was mit diesen Abkürzungen anfangen«, frage ich ihn.

Er wirft einen kurzen Blick darauf.

»Was willst damit, Dimpfelmoser? Das ist eine Bibelstelle, aber frag mich nicht, welche«, sagt er genervt, »und jetzt ab mit dir, ich hab noch was zu tun hier.«

Ich übergebe dem Mühlbauer die Tüte mit dem Zettel zur weiteren Untersuchung und gehe wieder raus zum Reindl und dem Bruno Fischer.

»Reindl, ruf sofort die Kollegen an, wir müssen ermitteln«, sag ich zu ihm.

»Die sind doch auf der Demo, und überhaupt heute am Sonntag …«

»Ja kann ich was dafür, dass sich der am Wochenende umbringen hat lassen?«, blaffe ich zurück. »Ruf die Kollegen, die sollen in die Dienststelle kommen, dann überlegen wir uns, was wir machen.«

Jetzt spurt er, der Reindl. Ich höre seine schrille Stimme, wie er plötzlich im Befehlston den Viereck und den Oberberger anruft und sie in die Dienststelle beordert.

»Abmarsch, Reindl«, übernehme ich wieder das Kommando. »Und Sie, Herr Fischer, halten sich zu unserer Verfügung, falls wir noch was wissen müssen.«

Wir steigen ein, und endlich sind wir von diesem gottverdammten Hungersacker wieder runter.

»So, jetzt fahren wir erst einmal zur Oma auf einen Kaffee«, sage ich zum Reindl.

Der schüttelt nur missbilligend den Kopf, traut sich aber nix mehr sagen. Das hat er inzwischen wenigstens kapiert, dass auch während der Dienstzeit der Kaffee bei der Oma heilig ist. Er kann ja froh sein, dass ich ihn überhaupt mitnehme. Das mache ich nur der Oma zuliebe, die aus unerfindlichen Gründen einen Narren an dem Reindl gefressen hat.

Die Oma und der Opa wohnen am Stadtrand in einem großen Einfamilienhaus mit einem wunderbaren Obstgarten, der ist fast so groß wie der Englische Garten in München. Schon am Gartentor halte ich meinen Rüssel in die Luft. Der Duft von Apfelkuchen weht aus dem Küchenfenster, und da vergesse ich vor lauter Vorfreude gleich den Hungersacker und den ganzen Stress mit der blöden Leiche. Die Oma umarmt mich und drückt mir einen Schmatz auf die Backe. Dann will sie mir über den Kopf streichen, so wie früher, als ich noch ein kleiner Bub war. Aber das ist mir jetzt eindeutig zu viel vor dem Reindl. Schnell drehe ich mich weg, und weil die Oma vor lauter Schwung das Gleichgewicht verliert, fällt sie dem Reindl in die Arme, und ihre Hand landet in seinem Gesicht. Die beiden lösen sich voneinander, als ob nichts gewesen wäre, und begrüßen sich herzlich, was mich wie immer wurmt. Die Oma und ein Preiß – da treffen doch eigentlich unüberwindbare Gegensätze aufeinander. Aber sie ist halt auch eine Frau, und die versteht ja eh keiner.

»Kommt’s rein, der Kaffee ist schon fertig, und der Opa ist auch da«, flötet sie und schiebt uns in die Küche. Da sitzt er schon, mein Opa, und schaut mich erwartungsvoll an. Den Reindl ignoriert er geflissentlich, auf den Opa ist halt Verlass, wenn es um die bayerische Ehre geht und ein Preiß auftaucht.

»Was ist jetzt mit der Leiche?«, will die Oma gleich wissen und schaut uns erwartungsvoll an.

»Wir haben einen Toten im Hungersacker draußen gefunden, der wurde wahrscheinlich ermordet«, fängt der Reindl an.

»Auweh, im Hungersacker«, flüstern der Opa und die Oma gleichzeitig und schauen mich besorgt an.

»Hat es dich gescheit mitgenommen, der Scheißort?«, will die Oma wissen.

»Oma, das Thema lassen wir jetzt, wir haben Besuch«, werfe ich ein. »Reindl, erzähl weiter.«

Gott sei Dank kommt der gar nicht auf die Idee zu fragen, was es denn mit dem Hungersacker auf sich hat, und er redet einfach weiter. Ich lasse ihn erzählen und ver­drücke derweil mit dem Opa den ganzen Kuchen. Als der Reindl endlich fertig ist und die Oma zufrieden nickt, merkt er endlich, dass kein Kuchen mehr da ist.

»Jetzt aber dalli, Reindl«, sage ich streng, bevor er noch weiter nach Kuchen sucht. »Wir müssen schleunigst in die Dienststelle zur Einsatzbesprechung.«

Wir verabschieden uns, und ohne Widerspruch folgt mir der Reindl. Ich fahre wieder mit Blaulicht durch den Ort, damit jeder merkt, dass wir es eilig haben.

Unsere beiden Kollegen, der Hauptwachtmeister Viereck und der Hauptwachtmeister Oberberger, sind schon eingetroffen und warten auf uns.

»So ein Bockmist, und das am Sonntag. Mia san erst seit zwei Stunden von der blöden Demo zurück, und grad wär’s gemütlich geworden«, mosert der Viereck, während der Oberberger nur böse vor sich hin stiert.

»Habt’s was Wichtiges zu tun gehabt?«, frage ich die beiden.

»Was wohl, Dimpfelmoser? Du weißt genau, was mir am Sonntag um die Zeit machen«, schimpft der Viereck. »Gerade heute ist es super gelaufen, ich war schon 200 Euro im Plus, und dann kommst du und die depperte Leiche. Als ob des nicht bis morgen warten könnte.«

»Und du?«, frage ich den Oberberger, der immer noch wie ein Ochse glotzt.

»300 Euro minus, und das auf eine Stunde. Und jetzt kann ich mir das Geld nicht mehr zurückholen.«

»Ihr seid’s doch deppert«, schimpfe ich und hau dem Oberberger auf die Schulter, dass es ihn vom Stuhl hebt. »Schafkopfen um solche Beträge, das gehört verboten. Sei froh, Oberberger, dass du arbeiten musst, bevor du noch deinen ganzen Hof verspielst.«

»Dürfte ich an die Ernsthaftigkeit der Lage erinnern«, wirft der Reindl ein. »Wir müssen uns eine Ermittlungsstrategie überlegen, und da helfen eure Gespräche über dieses Kartenspiel nicht viel weiter.«

»Was für eine Strategie meinst jetzt?«, fragt der Viereck. »Mir ermitteln halt wie immer, da brauchen wir keine Strategie, sondern nur unseren bayerischen Instinkt. Aber der fehlt dir halt gänzlich.«

Gleich ist er wieder beleidigt, der Reindl, und zieht eine Schnute wie die Eva, wenn ihr was nicht passt. Nur dass die dann zum Verlieben schön ausschaut, und der Reindl wirkt eher wie ein Affe im Zoo.

Genug mit den Faxen!

»Schluss damit«, sage ich, »ihr wisst’s genau, dass ihr morgen überhaupt nicht in der Lage wärt’s, auch nur einen einzigen logischen Gedanken zu fassen oder einen halbwegs vernünftigen Satz zu sprechen, wenn wir euch nicht aus dem Wirtshaus geholt hätten. Dann hättet’s alle zwei einen dermaßenen Mordsrausch, dass einer alten Sau grausen würde«, sage ich zum Viereck und zum Oberberger, die gleich ganz verlegen zum Boden schauen und unruhig auf ihren Stühlen hin und her rutschen.

Das ist nämlich jeden Montag das gleiche Theater mit den beiden. Da sind die zu nichts zu gebrauchen und stinken aus dem Maul wie ein ganzer Laster voller Weißbier. Normalerweise toleriere ich das großzügig, ich verstehe so kleine Gewohnheiten meiner Mitarbeiter, aber bei einer Leiche hört der Spaß halt auf.

»Und du hältst jetzt einfach dein Maul und wirfst den Computer an«, wende ich mich an den Reindl, der immer noch beleidigt dreinschaut.

Wortlos setzt er sich an den Rechner und fährt ihn hoch. Dann schaut er mich wieder an, als wäre ich vom Mond.

»Und was soll ich mit dem Computer?«, fragt er vorsichtig.

»Ex 21,23–25, des gibst ein und schaust nach, was das zu bedeuten hat.«

Der Reindl hackt auf die Tastatur. Gespannt stehen wir hinter ihm und warten. Es scheint tatsächlich eine Bibelstelle zu sein.

»Da könnte das 2. Buch Mose, auch Exodus genannt, gemeint sein, und das ist ein Teil des Alten Testaments«, doziert der Reindl.

»Und was heißt des auf Deutsch?«, frage ich.

»… so sollst du geben Leben um Leben, Auge um Auge, Zahn um Zahn, Hand um Hand, Fuß um Fuß, Brandmal um Brandmal, Wunde um Wunde, Strieme um Strieme«, liest der Reindl weiter vom Bildschirm ab.

»Oha, das ist jetzt aber schon interessant. Da gibt uns der Täter vielleicht einen Hinweis auf sein Motiv«, spekuliere ich.

»Wir wissen doch noch gar nicht, ob damit wirklich dieses Bibelzitat gemeint ist, und ob das der Täter geschrieben hat, ist auch noch nicht bekannt«, wirft der Reindl ein, während der Viereck und der Oberberger nur wie zwei Kühe vor sich hin glotzen.

Da hat er auch wieder recht, muss ich mir eingeste­hen.

»Also dann fangen mir einmal an, richtig zu ermitteln«, sage ich. »Du, Reindl, schaust zuerst die Vermissten- und Vorstrafenregister durch. Vielleicht findest ja unsere Leiche irgendwo. Dann überprüfst den Bruno Fischer. Ich will genau wissen, was das für einer ist. Und anschließend durchforstest du das Internet und schaust, ob du noch andere Bedeutungen für unsere Zeichen findest. Oberberger und Viereck, ihr fahrt’s raus zum Hungersacker und befragt’s die Nachbarn, ob denen irgendwas Verdächtiges aufgefallen ist.«

»Welche Nachbarn?«, fragt mich der Viereck, »der Hungersacker liegt doch ganz alleine da draußen, da gibt’s keine Nachbarn.«

»Ja halt die, die an der Zufahrtsstraße wohnen und die umliegenden Gehöfte, du Hornochse«, schrei ich, »und jetzt dalli an die Arbeit. Wir treffen uns um 20 Uhr wieder hier zu einer Dienstbesprechung.«

Endlich kommt Bewegung in meine Männer, und ­jeder stürzt sich auf die ihm zugeteilte Arbeit. Ich gehe derweil zum Pfarrer Eberdinger, diesem Pharisäer, um ihn zu dem Zitat zu befragen. Wie jeden Sonntag am frühen Abend sitzt der in seiner Kirche und tut so, als würde er beten. Dabei weiß ich genau, dass er in Wirklichkeit heimlich irgendeinen blöden Roman liest. Er versteckt die Hefte immer in seiner überdimensionalen Bibel, da hab ich ihn schon ein paar Mal erwischt. Leise schleiche ich mich in die Kirche, bis ich genau hinter ihm stehe. Und tatsächlich hat er wieder so ein billiges Heftchen und liest ganz versunken darin. Ich haue ihm eine auf die Schulter, so dass es ihn gar furchtbar von der Bank reißt.

»Dimpfelmoser, was musst mich so erschrecken, wenn ich bete«, tut er gleich ganz entrüstet.

»Eberdinger, ich muss mit dir reden in einer dienst­lichen Angelegenheit.«

»Dann komm halt mit in die Sakristei, da können wir uns unterhalten«, flüstert er und geht mir voraus.

»Also, was kann ich für dich tun, du Heide?«

Geflissentlich überhöre ich den Vorwurf in seiner Stimme und komme gleich zur Sache.

»Ex 21,23–25, was sagt dir das?«, frage ich ihn.

»Auge um Auge, Zahn um Zahn«, doziert er. »Das Alte Testament hatte noch klare Regeln, wie man mit schlechten Menschen umgeht und wieder Gerechtigkeit herstellt. Aber durch Jesus ist das ja alles umgedeutet worden. Seitdem wird Liebe und Verzeihung über die Gerechtigkeit gestellt. Aber warum fragst mich ausgerechnet nach der Bibelstelle?«

»Wir haben draußen im Hungersacker eine Leiche gefunden, und die hatte einen Zettel mit den Angaben in ihrer Tasche. Und da du ja der Bibelspezialist bist und außerdem den Hungersacker immer wieder als einen Ort des Teufels verdammst, hab ich mir gedacht, vielleicht kannst mir da weiterhelfen. Hast vielleicht in letzter Zeit einmal in deiner Predigt was dazu gesagt, oder ist dir ­jemand bekannt, der da drüber geredet hat?«

»Dimpfelmoser, da muss ich dich leider enttäuschen. Aber das ist eine gute Idee, wieder einmal über die Gerechtigkeit eine Predigt zu halten, danke für den Tipp. Und dass im Hungersacker eine Leiche auftaucht, das wundert mich überhaupt nicht. Dieser Ort ist verflucht, und wenn irgendwo der Teufel wartet, dann sicherlich dort draußen.«

Irgendwie ist der Eberdinger schon unheimlich, wenn er so daherredet, als würde der Leibhaftige dort draußen wohnen. Und sein Gerede von der Gerechtigkeit – der hätte sich zu Zeiten der Inquisition sicher ganz besonders wohl gefühlt.

»Falls dir irgendwas einfällt, was uns weiterhilft, dann meldest dich halt einfach«, verabschiede ich mich und verlasse die Sakristei und die Kirche.

Hinter mir höre ich den Eberdinger vor sich hin murmeln. Ganz sauber ist der auch nicht in seinem Schädel. Da ich noch eine Stunde bis zur Dienstbesprechung Zeit habe, gehe ich runter an die Donau, um über die Ereignisse nachzudenken. Eine Leiche ausgerechnet im Hungersacker. Ich stiere in die Donau, und die Erinnerungen an meine Kindheit, die mich bis heute in meinen Träumen verfolgen, tauchen wieder auf, so dass ich keinen einzigen klaren Gedanken fassen kann.

Pünktlich um 20 Uhr betrete ich wieder die Dienststelle. Der Viereck und der Oberberger sind schon wieder zurück von ihrer Befragung.

»Und, habt’s was Brauchbares?«

»Nicht wirklich«, beginnt der Oberberger. »Keinem der Befragten ist irgendwas Verdächtiges aufgefallen. Bis auf den Bruno Fischer, der sich schon bei allen vorgestellt hat, ist da in den letzten Tagen niemand Fremder aufgetaucht. Alle schimpfen nur über den Fischer, weil niemand dort ein solches Zentrum haben will. Die Leute befürchten, dass dann wieder lauter Spinner und religiöse Fanatiker auftauchen, und das weckt gerade bei den Alten ungute Erinnerungen.«

Nicht nur bei den Alten, denke ich mir.

»Und du, Reindl?«

»Ich habe die Vermissten- und Verbrecherdateien durchgesehen, aber da passt niemand auf unseren Toten. Für unsere Zeichenkombination findet sich auch kein anderer Hinweis. Wir sollten also davon ausgehen, dass tatsächlich diese Bibelstelle gemeint ist. Bei der Überprüfung vom Herrn Fischer ist auch nichts wirklich Auffälliges zu finden. Keine Vorstrafen oder sons­tigen Einträge. Allerdings hat er vor sechs Wochen eine Anzeige aufgegeben.«

Er macht eine Pause und schaut uns erwartungsvoll an. Sollen wir ihm jetzt Beifall klatschen oder was, nur weil er seine Arbeit macht?

»Weiter, Reindl, aber dalli. Wir brauchen keine Show­einlage von dir, sondern nur die Ergebnisse deiner Recherche«, herrsche ich ihn an.

Sofort schaut er wieder beleidigt, aber er spricht zumindest weiter.

»Er hat einen im Polizeicomputer erfassten Mann wegen gefährlicher Körperverletzung angezeigt. Der Mann, Helmut Meier, ist bereits mehrfach vorbestraft und taucht immer wieder im Zusammenhang mit dem Regensburger Rotlichtmilieu auf. Er hat ihn angeblich grundlos beim Betreten einer Diskothek im Landkreis niedergeschlagen. Aber das Seltsame daran ist, dass er die Anzeige fünf Tage später wieder zurückgezogen hat. Die Ermittlungen sind noch nicht ganz abgeschlossen.«

»Aha«, sage ich. »Da müssen wir uns noch mal mit dem Herrn Fischer unterhalten. Reindl, besorg doch morgen die Akten von dem Fall, vielleicht finden wir da ja irgendwas, was uns weiterhilft. Gibt es sonst eine verwertbare Spur oder einen brauchbaren Hinweis?«

Alle schütteln die Köpfe. Wir besprechen noch die weitere Vorgehensweise, und ich verteile die Aufgaben für den nächsten Tag, dann hören wir für heute auf.

Inzwischen ist es fast zehn Uhr in der Nacht, als ich endlich meine Haustüre aufschließe. Bevor ich Licht anmachen kann, haut mir jemand eine auf den Kopf, dass mir hören und sehen vergeht. Während ich zu Boden gehe, schaltet die Eva das Licht an und holt noch mal mit der Bratpfanne aus.

»Ja bist völlig narrisch worden?«, schreie ich und weiche dem Schlag aus, der einen Ochsen ins Jenseits befördert hätte. Ich wappne mich schon für ihren nächsten Angriff, da lässt sie die Pfanne einfach fallen und schaut mich verächtlich an.

»Du hast mir versprochen, dass du den Abend mit mir verbringst.«

Gleich fällt es mir wieder siedend heiß ein. Das habe ich vor lauter Leichen und Ermittlungen doch glatt vergessen. Jetzt muss ich mir schnell etwas einfallen lassen, sonst redet die Eva wieder eine Woche nicht mit mir, putzt mir die Wohnung nicht mehr, und um das Essen kann ich mich dann auch wieder selber kümmern. Die Eva ist so dermaßen nachtragend und vergisst niemals etwas, da kann kein Elefant mehr mit.

»Du, Eva, ich war heute im Hungersacker, und da haben wir einen Toten gefunden«, sage ich leise zu ihr.

Da klappt ihre Kinnlade nach unten, und sie schaut mich groß an.

»Eine Leiche im Hungersacker? Das ist gar nicht gut.«

Sie setzt sich zu mir auf den Boden und nimmt meine Hand. So sitzen wir schweigend da, und jeder hängt seinen Gedanken nach.

»Eva, ich versprech dir, wir holen den Abend in dieser Woche nach. Da lade ich dich zum Essen beim Thing Yong ein«, sage ich irgendwann zu ihr.

Sie lächelt leicht und nickt. Damit dürfte ihre Wut endgültig verraucht sein. Der Thing Yong, unser einziger Chinese weit und breit, zieht immer bei ihr. Das ist ihr Lieblingslokal, und da wird sie immer ganz zahm, wenn ich sie mal dahin einlade, was natürlich nicht oft vorkommt.

Dann sitzen wir wieder schweigend nebeneinander. Irgendwann wache ich aus wirren Träumen auf. Die Eva lehnt immer noch an mir und schläft tief und fest. Da sind uns wohl beiden die Augen zugefallen. Vorsichtig hebe ich sie hoch und trage sie in ihr Bett, bevor ich mich in mein eigenes Zimmer und mein Bett verziehe und einfach so, wie ich bin, angezogen und mit Schuhen, sofort wieder einschlafe.