Kapitel 14
Sonntag, 8.00 Uhr
Am nächsten Morgen rufe ich als Erstes den Reindl an, der immer noch Rufbereitschaft hat, und bestelle ihn zu den Vernehmungen in die Dienststelle.
Als ich gerade die Türe aufsperren will, schleudert der Wagen vom Oberberger und vom Viereck um die Kurve und kommt knapp vor mir zum Stehen.
»Wollt’s mich umbringen, oder was soll jetzt des?«, frage ich wütend den Oberberger, der sich mit einer Sonnenbrille auf der Nase und in scheinbar ziemlich desolatem Zustand hinter dem Fahrersitz rausschält und grinsend auf mich zuwankt.
»Bist du besoffen, oder warum wankst so?«, will ich wissen, da rieche ich es schon.
Er dünstet Alkohol in rauen Mengen aus und riecht wie ein ganzes Fass voll Schnaps. »Oberberger, normalerweise müsst ich dir sofort deinen Führerschein abnehmen, des ist dir schon klar. Du solltest dich schämen, dich als Polizist so hinters Steuer zu setzen.«
»Dimpfelmoser, schau halt erst einmal, was mir dir mitgebracht haben«, grinst er mich weiter an und öffnet schwungvoll die hintere Türe.
»Ssservuss«, lallt der Viereck raus, während er den gefesselten Heribert Schwarzer mit seiner Pistole bedroht.
»Der Vogel ist uns heute Morgen ins Netz gegangen, da schaust jetzt, was mia für Hund san!«, ruft der Oberberger und lacht, dass der Schnaps ihm förmlich aus dem Maul raus verdampft.
»Kommt’s rein mit eurem Fang«, sage ich und bin tatsächlich besänftigt.
Wir schließen den Heribert Schwarzer unter lautstarkem Protest erst einmal in einer Zelle ein.
»Jetzt erzählt’s, wo habt’s den aufgegabelt?«
Der Viereck ist nicht mehr in der Lage, ein einziges klares Wort zu sprechen. Stattdessen fällt er auf die Couch in meinem Dienstzimmer und schläft sofort ein.
»Wir haben doch seit gestern gefeiert«, erzählt der Oberberger. »Und wie das halt manchmal so ist, war es gestern besonders zünftig, und mia sind bis um drei in der Früh beim Schorsch-Wirt drin gesessen. Und weil mia immer noch keine Lust aufs Bett gehabt haben, sind mia nach Regensburg gefahren und wollten dort noch ein paar Bier trinken. Und da sitzen wir so gemütlich in der Pluna-Bar, da sieht der Viereck den Schwarzer hinter der Bühne.«
»In der Pluna-Bar, in dem Striptease-Schuppen?«, frage ich ungläubig.
»Genau der, Dimpfelmoser, kennst die auch? Da können mir ja einmal gemeinsam hingehen, die haben immer Rasseweiber, des ist eine echte Schau«, verkündet der Oberberger. »Jedenfalls sieht der Viereck den Schwarzer. Wir gleich rauf auf die Bühne und die Waffen gezogen. Ein Gekreische war des unter den Tänzerinnen, das war richtig lustig. Und dann haben wir ihn auch schon gehabt und gleich verhaftet.«
Ich muss kurz überlegen, aber da fehlen mir doch ein paar Stunden.
»Und wieso kommt’s dann jetzt erst?«
»Mei, mir haben uns gedacht, des pressiert nicht mehr. Drum haben mir den in unserem Auto festgebunden und haben uns dann die Show fertig angeschaut. Des geht da ja jeden Freitag und Samstag bis um sieben in der Früh durch. Und der Eintritt in den Laden ist auch nicht gerade billig, da wollten mir schon bis zum Schluss bleiben«, erklärt mir der Oberberger, während der Viereck auf meinem Sofa seinen Fetzen-Rausch ausschläft und immer lauter schnarcht und röchelt.
»Und den Schwarzer habt’s einfach im Auto sitzen lassen?«, frage ich ungläubig.
»Ja freilich. Hätten wir den so gefesselt, wie er war, mit in den Zuschauerraum nehmen sollen, oder wie stellst dir das vor? Wir haben den mit den Handschellen im Auto festgemacht, und da war er, bis wir gefahren sind.«
»Schaff mir den Viereck hier raus, und dann schaut’s, dass ihr wieder nüchtern werdet«, sage ich nur resigniert.
Er packt den Kollegen unsanft am Kragen und schleift ihn einfach aus meinem Zimmer, da kommt gerade der Reindl in die Dienststelle.
»Morgen«, brummt der und schaut so dermaßen mürrisch mit heruntergezogenen Mundwinkeln drein, als hätt er eine Gesichtslähmung.
»Was ist denn mit dir los?«, will ich wissen.
»Lass mich in Ruhe.«
»Das Weib von gestern?«, bohre ich weiter.
»Dimpfelmoser, ein wahrer Alptraum war das. Die war so fett und hässlich, das kannst du dir nicht vorstellen. Die hat gar nicht wirklich durch die Türe von dem Lokal gepasst, in dem mir uns verabredet haben.«
»Jetzt mal langsam, Reindl«, sage ich. »Hast von der im Internet kein Foto gesehen? Hast ein ›blind date‹ mit der ausgemacht? Und überhaupt, red nicht so abfällig von der, bloß weil sie nicht deinem Schönheitsideal entspricht.«
»Die hat ihr ganzes Profil gefälscht, kannst du dir das vorstellen? Das ist Betrug, und ich werde mich bei dem Betreiber beschweren. Die garantieren einem, dass alle Profile überprüft und echt sind.«
»Und haben die dich besucht, bevor sie dich und dein Bild im Internet veröffentlicht haben?«
»Nein, natürlich nicht …«, sagt er irritiert.
»Und woher, meinst du, sollen die wissen, ob die Bilder, die die denen schicken, aktuell sind oder falsch? Hellsehen werden die auch nicht können.«
»Du hast ja recht«, gibt er zerknirscht zu. »Aber wenn die sich in ihrem Profil als eine schlanke, blonde, erotische Frau beschreibt und dann kommt eine Dampfwalze daher, das ist halt erst einmal ein Schock. Aber das hätte ich ja noch verkraftet. Ich habe mir gleich unser Zeichen, eine rote Nelke am Jackett, runtergerissen, damit sie mich nicht erkennt, aber da war es schon zu spät. Und dann ist die auf mich los und hat mich in dem Lokal angeschrien, was mir einfällt und ob ich nur auf Äußerlichkeiten stehe. Die hat mich dermaßen runtergeputzt, obwohl wir noch kein Wort miteinander geredet hatten. Der Kellner wollte sie dann rausschmeißen, da hat sie auf den eingedroschen und rumgeschrien, dass die die Polizei holen mussten, um sie aus dem Lokal zu entfernen.«
Ich kann mir das Lachen einfach nicht mehr verkneifen und pruste lauthals los.
»Du kannst leicht lachen«, tut er beleidigt. »Dir laufen die Frauen ja hinterher, was ich bei deiner ungehobelten Art wirklich nicht verstehen kann. Aber die Welt ist ungerecht. Anstatt auf einen Feingeist, wie ich einer bin, stehen die scheinbar auf solche wie dich.«
»Reindl, das hab ich dir schon oft gesagt. Du stellst dich halt einfach so deppert an. Wenn du von Anfang an gleich wie ein Weichei daherkommst, des mögen die Frauen halt nicht. Die tun zwar immer recht emanzipiert, aber einen richtigen Kerl wie mich, den mögen sie trotzdem lieber als so einen Frauenversteher wie dich. Wenn du des endlich mal kapieren würdest und anders auf die Frauen zugehen würdest, dann hättest auch keine Probleme mehr.«
Dass das mit den Frauen bei mir gar nicht so einfach ist, wie der Reindl glaubt, das wissen Gott sei Dank nur die Eva, der blöde Psychologe und ich, und das soll auch so bleiben.
»So, Reindl, lassen wir die Privatgeschichten. Wir haben heute richtig viel Arbeit vor uns. Wir haben drei Gefangene, und die müssen mir vernehmen. Dazu bist ja hoffentlich trotz deines Weiberfrustes in der Lage, oder?«
Ich erkläre ihm kurz die Situation, und wir beschließen, zunächst den Landrat und die Sophia parallel zu vernehmen. »Du nimmst zuerst den Landrat in die Zange und ich die Sophia«, bestimme ich, nicht dass der Reindl sich gleich zu Beginn von der Sophia einlullen lässt.
Also holen wir die zwei aus ihren Zellen. Die Nacht hat ihnen anscheinend ganz gut getan, zumindest brüllt keiner mehr rum oder macht irgendwelche Anstalten, gewalttätig zu werden. Bevor ich mit der Vernehmung beginnen kann, läutet schon wieder mein Telefon.
»Servus, Dimpfelmoser«, flötet der Heinz ins Telefon. »Du, wir haben die Videodatei auf der Kamera teilweise wieder herstellen können. Ich hab gedacht, ich sag dir gleich Bescheid, damit du deinen Mordfall endlich abschließen kannst.«
»Du, Heinz, dass du am Sonntag arbeitest?«, frag ich ihn erstaunt.
»Der Huber hat alle, die an dem blöden Fall arbeiten, dazu verdonnert, heute zu arbeiten. Den verstehe einmal, wer will. Zuerst tönt er, dass der Fall mit dem Tod vom Weinzinger abgeschlossen ist, und dann macht er plötzlich so ein Geschiss.«
Wenn der wüsste, warum der Huber wirklich so ein Theater macht, denke ich mir, sage aber natürlich nichts.
»Heinz, magst du mir das Video rüberschicken per E-Mail? Des geht doch, oder?«, frage ich ihn.
»Geht, Dimpfelmoser. In zehn Minuten hast alles auf deinem Rechner«, sagt er und legt auf.
Dann gehe ich in das Vernehmungszimmer, setze mich der Sophia gegenüber und schalte das Aufnahmegerät ein. Die Sophia schaut mich an, als wären wir ein Liebespaar, aber das zieht bei mir unter den gegebenen Umständen halt überhaupt nicht mehr.
»Willst einen Rechtsanwalt oder deinen Mann anrufen?«, frage ich sie, aber sie schüttelt nur den Kopf. »Also fürs Protokoll: Die Verdächtige Sophia Distler verzichtet auf einen Rechtsanwalt und auf ihr Recht zu telefonieren.«
»Brauch ich doch nicht«, haucht sie. »Ich bin ja gänzlich unschuldig und wurde zur Mithilfe gezwungen. Die eigentliche Tat hat der Landrat begangen.«
»Sophia, ob du da gänzlich unschuldig bist oder nicht, das entscheidet ein Gericht. Wenn du dem Landrat geholfen hast bei dem Mord, dann ist das mindestens Beihilfe.«
»Er hat mich gezwungen, Xaver. Du kennst ihn nicht, wie grausam der sein kann. Da hat eine schwache Frau wie ich keine Chance, sich zu wehren«, haucht sie weiter und bricht schon wieder in Tränen aus.
»Jetzt beruhigst dich, und dann machst eine gescheite Aussage«, erkläre ich ihr und gehe erst einmal kurz raus, um zu schauen, ob der Film vom Heinz schon da ist.
Am Gang kommt mir der Reindl entgegen.
»Der Landrat war’s nicht.«
»Woher willst des so genau wissen?«
»Der hat angeblich ein wasserdichtes Alibi, das will er allerdings nur dir erzählen.«
Dann nimm du dir die Sophia vor, und ich red mit ihm.« Ich gehe in das Vernehmungszimmer, in dem der Landrat sitzt.
»Also«, sage ich und warte, was er zu erzählen hat.
»Dimpfelmoser, dass das aber ja unter uns bleibt, was ich Ihnen jetzt erzähle. Ich habe die Nacht, in der der blonde Willi ermordet und bei meiner Jagdhütte abgelegt wurde, mit der Staatsanwältin Mooser verbracht. Die kennen Sie doch, diese geile Schnitte.«
Ich bin fassungslos. Wird der tatsächlich hinter seiner Fassade nur von seinem Schwanz gesteuert? Seine Frau, die Sophia, seine Puffbesuche und jetzt die Staatsanwältin Mooser, das gibt es doch gar nicht. Wobei die Staatsanwältin, so rein äußerlich betrachtet, bei einem Mann die Hormone schon in Wallung bringen kann, das muss ich zugeben.
»Landrat, ich hab es echt langsam satt, für den Huber und Sie die ganze Zeit den Deppen zu spielen und die Kohlen aus dem Feuer zu holen, bloß weil ihr glaubt’s, ihr könnt’s machen, was ihr wollt. Das ist einfach zum Kotzen, wie ihr zwei euch aufführt’s. Euch ist das Hirn anscheinend wirklich in die Hose gerutscht. Richtig ekelhaft ist das. Nach außen die solide, moralische Fassade, aber dahinter, da tun sich Abgründe auf, da könntest kotzen ohne Ende.«
»Tja, äh …, hm …, aber lieber Dimpfelmoser, wir sind ja nicht hier, um über Moral und Anstand zu diskutieren, sondern um den Mord aufzuklären.«
Da hat er natürlich recht, aber manchmal muss man denen da oben einfach die Meinung sagen. Das hilft zwar auch nix, deswegen ändern die sich nicht, aber die sollen zumindest wissen, dass ich das richtig beschissen finde, was die hinter ihrer Moralfassade so treiben.
»Und ist die Staatsanwältin auch bereit, Ihr Alibi zu bestätigen?«, will ich wissen und kann mir die Verachtung in meiner Stimme nicht verkneifen.
»Ich müsste mit ihr telefonieren, Dimpfelmoser. Das ist etwas heikel, weil die ist ja auch verheiratet, und der ihr Mann darf davon natürlich nichts wissen, sonst bringt der mich um und seine Frau gleich mit. Der Herr Mooser ist bekannt dafür, dass er zu rasender Eifersucht neigt. Er hat schon mehrere Anzeigen wegen Körperverletzung. Dem reicht es schon, dass ein anderer Mann seine Holde nur zu lange anschaut, dann tickt der völlig aus. Der ist gemeingefährlich, das sage ich Ihnen.«
»Haben’S Angst, dass Ihnen der gehörnte Ehemann ein paar auf Ihr verlogenes Maul haut? Vielleicht würd Ihnen das gar nicht schaden.«
»Dimpfelmoser, helfen Sie mir einfach aus der Patsche, es soll Ihr Schaden nicht sein, das hat doch der Huber schon mit Ihnen besprochen«, heult er mit weinerlicher Stimme.
»Ich kann Sie nicht anrufen lassen, was soll des dann für ein Alibi sein? Geben’S mir die Telefonnummer von der Dame. Ich werde ganz zurückhaltend vorgehen, obwohl Sie des nicht verdient haben.«
»Dann nehmen’S wenigstens mein Handy, da denkt sie, dass ich es bin, und sucht sich einen Platz, wo sie ungestört telefonieren kann«, sagt er zähneknirschend und reicht mir sein Handy.
Ich rufe die Frau Mooser sofort an.
»Hallo mein süßer Schnucki, willst du es schon wieder?«, werde ich von einer verführerischen Stimme begrüßt.
»Ähem, hier ist nicht der Schnucki, ich rufe in dem seinen Auftrag an«, erwidere ich und kann mir ein Grinsen nicht verkneifen.
Zuerst ist es ganz still am anderen Ende der Leitung. Damit hat die geile Staatsanwältin nicht gerechnet.
»Kommissar Dimpfelmoser ist am Apparat«, flöte ich belustigt in den Hörer. »Der Schnucki sitzt in der Klemme, Frau Staatsanwältin. Wenn Sie seine Aussage nicht bestätigen können, dann hat es sich erst einmal ausgeschnuckelt.«
»Wie …?«, ist alles, was sie rausbringt.
»Sagen’S mir einfach, ob und wann der Schnucki diese Woche bei Ihnen war.«
»Was soll das alles …?«
»Mausischnecke, sage es bitte dem Kommissar. Ich erkläre dir alles später«, kreischt der Landrat lautstark, so dass sie es sicher hört.
Noch einmal zögert sie.
»Er war zwei Mal bei mir. Am Montagvormittag in meinem Büro. Wenn Sie es genau wissen wollen, zwischen 10.15 Uhr und 10.45 Uhr. Da hatte ich eine Verhandlungspause.«
Ich stelle mir lieber nicht vor, was die in der ihrer Pause getrieben haben.
»Und von Mittwochabend bis Donnerstagabend haben wir uns in einem Hotel in der Nähe von München getroffen. Da war der Landrat die ganze Zeit bei mir.«
Damit scheidet der also tatsächlich aus.
»Behandeln Sie das bloß vertraulich, Herr Kommissar. Ich werde diese Aussage auch nicht offiziell machen, also schauen Sie, dass Sie mich da raushalten.«
Sie legt einfach auf, die Mausischnecke.
»Sehen Sie, Herr Dimpfelmoser, das bestätigt meine Unschuld. Also lassen Sie mich jetzt gehen.«
Ich beschließe, ihn noch etwas schmoren zu lassen.
»Ganz so schnell geht des nicht. Jetzt bleiben’S erst einmal hier.«
Ich sperre ihn wieder in die Zelle ein. Der Reindl sitzt auch wieder an seinem Schreibtisch, anstatt die Sophia zu vernehmen.
»Was ist los mit dir?«
»Die Sophia redet nicht mit mir, Dimpfelmoser. Sie stiert nur vor sich hin und antwortet auf keine meiner Fragen. Da hab ich sie wieder in ihre Zelle gebracht.«
Inzwischen ist es schon 11 Uhr. Ich erkläre dem Reindl, dass ich zum Schorsch-Wirt rübergehe und Pause mache. Wo kommen wir denn da hin, wenn der heilige Sonntag nicht mehr entsprechend gewürdigt wird. Beim Schorsch-Wirt ist es wie immer um diese Zeit. Ich bestelle ein Bier und meine Bratwürste bei der feschen Heidi und schaue ihr natürlich in den Ausschnitt. Schön schaut sie aus, aber irgendwie kann ich mich heute nicht so richtig darüber freuen. Erst als die Bratwürste mit dem Sauerkraut vor mir stehen und ich endlich alles in mich hineinschaufle, entspanne ich mich und vergesse vorübergehend den ganzen Fall und die noch ausstehenden Vernehmungen. Für kurze Zeit tauche ich ein in einen Zustand der Glückseligkeit, bevor mich die harte Realität wieder einholt und ich mich wieder in meine Dienststelle begebe.
Als Erstes fällt mir die Videodatei wieder ein, die der Heinz geschickt hat. Also rufe ich den Reindl, dass der auch gleich dabei ist, fahre meinen Rechner hoch und öffne die Datei mit der wiederhergestellten Filmsequenz. Ich staune nicht schlecht, als ich den Mercedes vom Landrat sehe, der von hinten, scheinbar aus einem fahrenden Auto heraus, gefilmt wurde. Der Mercedes fährt mit hoher Geschwindigkeit auf die »Todeskurve« zu und gerät dabei auf die andere Fahrspur. Der entgegenkommende Motorradfahrer, der Weinzinger Rudi, schneidet auch die Kurve und streift ganz leicht den Kotflügel des Mercedes, gerät ins Schlingern und fliegt aus der Kurve. Als Wagenlenkerin ist die Sophia eindeutig zu erkennen, während der Landrat auf dem Beifahrersitz sitzt.
»Wenn da nicht eine Erpressung dahintersteckt, dann fress ich einen Besen, Reindl«, sag ich zum Kollegen, der hinter mir steht und ebenfalls staunend das Video betrachtet.
»Klare Sache, Dimpfelmoser«, stimmt mir der Reindl zu. »Die haben die beiden gefilmt und damit erpresst.«
»Ich rede mit dem Schwarzer, Reindl. Mal schau’n, ob der inzwischen bereit ist, zu der ganzen Angelegenheit und zu dem Video etwas zu sagen.«
Also hole ich mir den Schwarzer aus seiner Zelle zur Vernehmung.
»Ich sage gar nichts ohne meinen Anwalt«, bellt er gleich aggressiv.
Ich muss mich auf die Vernehmung wirklich konzentrieren, damit ich keinen Fehler mache. Eigentlich haben der Huber und der Hinterbirner es gar nicht verdient, dass ich für sie Recht und Gesetz bis an die Grenzen des Erträglichen ausreize, aber was tut man nicht alles als guter Polizist.
»Schwarzer, red halt einfach. Du kommst aus der Sache nicht raus. Wenn du mit uns kooperierst und dein Maul aufmachst, dann ist das beim Staatsanwalt und dem Richter zumindest vorteilhafter für dich, als wenn du weiter schweigst. Wir wissen doch eh alles, da brauchen wir doch nur die Fakten anschauen. Erpressung in dem Stil, wie du des betrieben hast, da kommst ums Gefängnis nicht mehr drum rum.«
Die Räder in seinem Spatzenhirn drehen sich, während er sich unruhig auf dem Stuhl hin- und herschiebt. Hoffentlich pisst er sich nicht wieder in die Hose.
»Wenn ich ins Gefängnis geh, dann gehen aber ein paar andere Männer wie der Landrat und der Hauptkommissar Huber mit, das garantiere ich Ihnen«, droht er mir. »Und noch ein paar andere Männer aus dem Landratsamt gleich mit. Weil Bestechlichkeit im Amt, das ist auch nicht gerade die feine englische Art.«
»Schwarzer, erzähl halt erst einmal die Wahrheit, und dann sehen wir, was ich für dich tun kann«, erkläre ich ihm und warte auf seine Reaktion.
Er windet sich weiter auf seinem Stuhl, dass ich schon befürchte, dass er stur bleibt.
»Also gut«, entscheidet er sich schließlich, »aber dafür legen Sie ein gutes Wort für mich ein, Dimpfelmoser. Das mit dem Begegnungszentrum vom Herrn Fischer wissen’S ja eh schon. Natürlich hätte mir der das Geld nicht zahlen können, und es war damit absehbar, dass der ganze Hungersacker in meinen Besitz übergeht. Aber da können Sie mir rechtlich keinen Strick daraus drehen, weil für die Dummheit vom Herrn Fischer kann ich nichts, und die Verträge sind rechtlich einwandfrei.«
Da hat er wahrscheinlich sogar recht, der saubere Herr Schwarzer.
»Das muss der Richter entscheiden, aber darum geht es eh nicht mehr. Mich interessieren die Videoaufzeichnungen, weil da sind neben dem Landrat lauter Größen vom Bauamt drauf. Und die hast doch sicherlich erpresst.«
»Erpresst, Herr Dimpfelmoser, so würde ich das nicht nennen. Ich habe die Herren doch nur um eine kleine Gefälligkeit gebeten, mehr nicht. Wie hätte ich denn sonst an die Baugenehmigung kommen sollen? Niemand hätte mir auf dem Gelände vom Hungersacker einen Swinger-Club genehmigt. Und da bin ich halt auf die Idee mit den Videos gekommen. Ich habe ein kleines Fest für die Herren organisiert, und nach ein paar Flaschen Champagner sind die sofort mit den Damen mitgegangen. Da fragt man sich schon, Herr Dimpfelmoser. Lauter verheiratete Männer, können Sie sich das vorstellen! Es gibt halt keinen Anstand und keine Moral mehr in unserer Gesellschaft. Und mit der ganzen Aktion habe ich mir nur ein kleines zusätzliches Druckmittel beschafft. Ich habe die ja eh schon mit ein paar kleinen Geldgeschenken von den Umbaumaßnahmen überzeugt, die für den Swinger-Club notwendig sind.«
Ich fall fast vom Stuhl. Ausgerechnet einer wie der Schwarzer erzählt mir etwas von Moral und Anstand! Irgendwie spinnen die doch alle.
»Soso, einen Swinger-Club wolltest da aufmachen. Und da hast gleich das ganze Bauamt bestochen und zusätzlich erpresst. Und damit dir der Pfarrer Eberdinger nicht mit seiner fanatischen Moral in die Quere kommt, hast den auch noch in deinen privaten Sex-Club eingeladen und auch erpresst, hab ich recht?«
»Herr Dimpfelmoser, nicht erpresst. Ich habe ihm einen Gefallen getan, als Menschenfreund sozusagen. Ich habe ihm nur ein bisschen dabei geholfen, dass er auch einmal etwas Spaß hat, und dafür kann ich doch erwarten, dass er mir dann nicht in die Quere kommt. Eine Hand wäscht die andere. Stellen Sie sich doch einmal vor, was passiert wäre, wenn der Herr Pfarrer von der Kanzel herunter gegen meinen Swinger-Club gehetzt hätte. Da hätte ich gleich zusperren können, so wild, wie der wird und die Bevölkerung aufhetzt.«
Da hat er allerdings recht, der Schwarzer. Mit dem Pfarrer sollte man sich nicht unbedingt anlegen.
»Eins verstehe ich immer noch nicht, Schwarzer. Warum haben denn die Videoaufzeichnungen vom Landrat und vom Huber in deinem Puff nicht gereicht? Warum hast den blonden Willi noch zusätzlich auf den Landrat und die Sophia angesetzt?«
»Nun ja, der Landrat redet halt gerne, wenn er etwas getrunken hat und in netter Damengesellschaft ist. Da hat er von seiner Sophia erzählt und dass die mit einem Millionär verheiratet ist. Und da habe ich mir gedacht, es kann ja nicht schaden, da noch ein zusätzliches Druckmittel zu haben.«
»Hast die Sophia also auch erpresst?«, frage ich fassungslos. So viel kriminelle Energie auf einem Haufen, des musst erst einmal verkraften.
»Dimpfelmoser, lassen Sie doch dieses böse Wort einfach weg. Sie stellen mich ja hin, als wäre ich ein Verbrecher. Aber wie gesagt, ich bin ein Menschenfreund und helfe manchmal dem Schicksal etwas nach, mehr ist das nicht. Auch bei der Sophia wäre es doch nur darum gegangen, ihr aufzuzeigen, dass das, was sie macht, einfach unmoralisch ist. Oder finden Sie es richtig, dass die ihrem armen Ehemann einfach Hörner aufsetzt und es mit einem anderen treibt? Da ist es doch meine moralische Pflicht, ein bisschen Druck auszuüben, damit derlei Treiben ein Ende findet. Und natürlich ist es gerechtfertigt, dass ich mir meine Arbeit auch dementsprechend entlohnen lasse.«
So kannst des also auch sehen, denke ich mir. Wenn ein jeder seine eigenen Regeln aufstellt und seine Sauereien auch noch moralisch rechtfertigt, dann können wir bald zusperren in unserem Land.
»Schwarzer, du elender Menschenfreund, hast also die Männer, die jetzt allesamt mausetot sind, auf die Sophia und den Landrat angesetzt, dass die dir Material liefern?«
»Ja freilich, Herr Dimpfelmoser. Genauso habe ich es gemacht. Die Pension Rosi liegt doch in unmittelbarer Nähe von dem Anwesen von der Sophia und ihrem Mann. Da war es doch naheliegend, dass ich dort zwei von meinen Männern einquartiert habe, um die Sophia zu beschatten.«
»Aha, gibst also endlich zu, dass die Toten deine Männer waren?«
»Das wissen Sie doch eh schon, Herr Dimpfelmoser, also warum sollte ich Sie anlügen? Aber jetzt unterbrechen Sie mich halt nicht andauernd, wenn ich Ihnen schon alles erzähle«, fährt er mich beleidigt an.
Dann soll er halt reden, der saubere Herr Schwarzer.
»Letzten Freitag war es dann so weit. Der Landrat hat die Sophia abgeholt, und meine beiden Männer sind mit laufender Kamera hinter denen hergefahren. Dabei haben sie den Unfall aufgenommen, was natürlich ein Geschenk des Himmels für mich war, das können Sie sich ja sicher denken. Und dann habe ich den blonden Willi geschickt, dass der die Kamera mitbringt und beim Landrat und der Sophia etwas Druck macht. Dabei kam es zum Streit, weil meine zwei Männer für diese besonderen, nicht vorhergesehenen Aufnahmen plötzlich mehr Geld wollten, was der Willi natürlich abgelehnt hat. Er kennt mich und weiß, dass ich niemals nachverhandle.«
»Und dass deine Männer alle mausetot sind, des macht dir nix aus oder wie?«
»Herr Dimpfelmoser, das Leben ist gefährlich, vor allem, wenn man in derlei Missionen unterwegs ist. Jeder von meinen Angestellten, die besondere Aufträge für mich erledigen, wissen, worauf sie sich einlassen.«
»Schwarzer, du Menschenfreund, du bist ein ganz miserabler, elender Strolch. Ein Erpresser der übelsten Sorte. Du nutzt die Schwächen der anderen Menschen schamlos für dich und deine miesen Absichten aus, pfui Deifel, sag ich da bloß.« Ich stehe angewidert auf und lasse ihn im Vernehmungsraum zurück. Ich überlege angestrengt, wie ich den dazu bringe, dass er sein Maul hält und nicht die ganze Sache ausplaudert, aber mir fällt nicht wirklich was ein. Ich kann ihn ja nicht einfach laufen lassen, wo kommen wir denn da hin. Endlich taucht aus den dunklen Ecken meines gemarterten Hirns eine Lösung auf, und ich marschiere wieder rein zu ihm.
»Schwarzer, du hörst mir jetzt genau zu. Ich schlage dir einen Deal vor, da kannst beweisen, dass du wirklich ein Menschenfreund bist, und vielleicht kommst so sogar um das Gefängnis herum.«
»Lassen Sie hören«, sagt er und tut ganz gelangweilt und uninteressiert, aber mir entgeht nicht, dass er fast zu sabbern beginnt und sein Fuß nervös auf und ab wippt.
»Du gibst mir schriftlich, dass du den Hungersacker kostenlos für den Herrn Fischer sanierst und die Kirche vom Pfarrer gleich mit dazu.«
»Ja sind Sie völlig verrückt, das kostet mich ein Vermögen!«, braust er gleich auf, was mich aber überhaupt nicht beeindruckt.
»Du unterschreibst mir ein Schuldeingeständnis für die Erpressungen, das ich aber nicht gegen dich verwende, sondern an einem geheimen Ort aufbewahre, zu meiner Sicherheit sozusagen und als Garantie, dass du die Sanierungen auch wirklich unentgeltlich durchführst. Dann bleibt tatsächlich nur noch das Betreiben eines illegalen Puffs, für das du dich verantworten musst. Und da findest ja mit deinem Rechtsverdreher, dem Rohrstopfer, sicher eine Möglichkeit, dass du da irgendwie rauskommst, ohne dass du ins Gefängnis musst.«
»Das ist wirklich Erpressung, was Sie mir da vorschlagen«, presst er mit knirschenden Zähnen aus seinem dicken Maul.
»Schwarzer, ich muss doch sehr bitten«, sage ich genüsslich. »Nimm halt nicht so ein böses Wort in den Mund. Ich würde so etwas ein kleines Geschäft unter Männern nennen. Eine Hand wäscht die andere. Du musst nicht ins Gefängnis, und dafür vergisst alles, was du jemals über den Landrat und den Herrn Huber erfahren hast.«
»Herr Dimpfelmoser, Sie vergessen die Bänder. Da sind die Aufzeichnungen drauf, und die sind bereits bei der Polizei. Die können’S ja nicht einfach verschwinden lassen.«
Da hat er natürlich recht, der Schwarzer, aber darum soll sich der Huber kümmern, wenn er die Bänder schon hat.
»Darum brauchst dich nicht kümmern, Schwarzer«, erkläre ich ihm. »Darum kümmert sich sozusagen jemand an höchster Stelle.«
»Herr Dimpfelmoser, ich bin ehrlich über die Verhältnisse bei unserer Polizei erschüttert«, kommt er mir wieder moralisch, der saubere Herr Schwarzer.
Natürlich hat er irgendwie recht. Mir bereitet die ganze Angelegenheit auch Bauchweh, aber wenn dafür der Fischer seine Sanierung kriegt und der Pfarrer seine Kirchensanierung, dann dient die ganze leidige Angelegenheit zumindest einem guten Zweck. Der Pfarrer hat es zwar eigentlich nicht verdient, aber seine Kirche kann ja nichts dafür, dass der so verlogen ist. Und der Fischer ist einfach eine arme Sau, wenn dem geholfen ist, dann freut mich das. Auch wenn mir mit dem seinen Plänen und dem Hungersacker nicht ganz wohl ist.
»Also, was ist?«, will ich vom Schwarzer wissen.
»Ich bin einverstanden, Herr Dimpfelmoser«, tut er ganz gönnerhaft.
»Dann schreib ich hernach alles auf, und du setzt deine Unterschrift darunter. Bis dahin bleibst in der Zelle. Das kann noch ein bisserl dauern, weil ich noch schnell unseren Mörder überführen muss.«
Er mault zwar herum, aber ich sperre ihn wieder ein. Soll er ruhig noch in der Zelle schmoren, verdient hat er es ja. Ich gehe rüber zum Reindl, der irgendwas an seinem Computer macht.
»Hast du was aus dem Schwarzer herausbekommen?«, fragt er mich.
»Reindl, den können mir wahrscheinlich nur wegen dem illegalen Bordell belangen, aber das ist ja auch schon mal was.«
Der Reindl gibt sich Gott sei Dank damit zufrieden und fragt nicht weiter nach.
»Reindl, dann schau’n mir einmal, wie unser Liebespaar auf das Video vom Unfall reagiert«, sage ich. »Ich zeig das zuerst dem Landrat, und du nimmst dir inzwischen weiter die Sophia vor.«
Also hole ich den Landrat und spiele ihm die Videosequenz vor. Er beginnt zu zittern und zu schwitzen und schaut mich mit großen Augen an.
»Dimpfelmoser, was hätte ich denn machen sollen? Die Sophia saß am Steuer und hat sich aufgeführt wie eine Verrückte. Die war dermaßen hysterisch, das können Sie sich nicht vorstellen.«
Doch, das kann ich mir vorstellen, wie die völlig austickt.
»Ich habe ihr gesagt, sie soll sofort anhalten, aber sie hat nur geschrien, dass sie uns lieber in den Tod fährt, bevor sie da stehen bleibt. Und dicht hinter uns, da war dieses ominöse Auto, das uns verfolgt hat. Auch ich hatte panische Angst, dass uns die Männer entführen oder gar umbringen wollen. In meiner Position ist man schließlich mehr gefährdet als die Normalbevölkerung.«
»Also waren’S doch froh, dass die Sophia einfach weitergefahren ist?«
»Dimpfelmoser, das war eine Extremsituation. Der Unfall, die hysterische Sophia, der Wagen, der uns verfolgt hat. Da konnte ich tatsächlich nicht mehr klar denken.«
Natürlich hat er wieder nur an sich und seinen Ruf gedacht, da bin ich mir sicher. Und keiner kann ihm wirklich nachweisen, dass er nicht versucht hätte, die Sophia anhalten zu lassen, um Erste Hilfe zu leisten. Da ist er wieder fein raus, der elende Misthund. Jetzt ist mir auch klar, woher die Kratzer am Kotflügel von dem seinen Mercedes stammen. Da hat der Rudi den Wagen leicht gestreift.
»Landrat, erzählen Sie mir doch einfach, was genau passiert ist. Wie kommt der Schwarzer an die Aufzeichnung, und wieso war der blonde Willi wirklich bei Ihnen draußen?«
Er windet sich und schwitzt inzwischen wie ein Schwein, aber dann macht er endlich sein Maul auf.
»Der blonde Willi ist in der besagten Nacht bei meiner Jagdhütte aufgetaucht. Er hat uns das Video vorgespielt und uns damit erpresst. So wie der geredet hat, haben wir geglaubt, dass der alleine ist. Wir konnten ja nicht ahnen, dass dahinter der Herr Schwarzer steckt und der blonde Willi nur sein Laufbursche ist. Und als dann der zweite Mann aufgetaucht ist, habe ich meinen Freund, den Herrn Huber, in alles eingeweiht, und der hat sich gleich bereit erklärt, mir zu helfen.«
»Wie jetzt, war der Huber in die ganze Sache eingeweiht? Hat der tatsächlich auch von der Fahrerflucht und der Erpressung gewusst?«
»Natürlich weiß der Herr Huber alles. Deswegen hat er ja Sie mit den geheimen Ermittlungen beauftragt, damit Sie sozusagen unter der Hand die Erpresser fangen und aus dem Verkehr ziehen. Deshalb kam doch auch die Sophia für die Anfertigung des Phantombildes zu Ihnen, damit Sie den Mann schneller finden. Dass dann die ganze Angelegenheit gleich so ausufert und auch noch der Schwarzer in den Erpressungen mit drinhängt, das wussten wir ja selbst nicht.«
Ich höre erschüttert weiter zu und lasse ihn reden.
»Wissen Sie, Dimpfelmoser, so ein Leben als Landrat, wie ich es führe, ist ja nicht gerade einfach. Ich bin nicht oft zu Hause, und meine Frau, die liebt nicht mich, sondern meine gesellschaftliche Stellung. Da läuft seit Jahren nichts mehr zwischen uns. Aber ich bin halt ein Mann, und Sie wissen ja, wie das ist, wenn die Hormone verrückt spielen.«
Glaubt der ernsthaft, dass alle so notgeil sind wie er selber oder was? Ich habe jedenfalls keinerlei Verständnis für seinen Lebenswandel, den er auch noch zu rechtfertigen versucht.
»Ich wollte mich für die Sophia von meiner Frau trennen, Dimpfelmoser. Ich hatte alles genau geplant und wollte ein neues Leben mit ihr beginnen. Meiner Frau habe ich schon Bescheid gesagt, aber sie wollte keinesfalls einer Scheidung zustimmen. Ich hätte meine Karriere als Politiker für die Sophia aufgegeben, nur um mit ihr zusammen zu sein. So eine wunderbare Frau, Dimpfelmoser, das können Sie sich nicht vorstellen. So eine darf man nicht einfach ziehen lassen. Sie sehen also, ich hatte überhaupt keinen Grund mehr, mich wegen dem Video erpressen zu lassen, weil es für mich auch keinerlei Anlass mehr gab, die Affäre mit der Sophia weiter zu verheimlichen.«
»Warum sind’S dann nicht zur Polizei gegangen, des versteh ich aber nicht, wenn Ihnen eh alles egal war, so wie Sie behaupten. Und überhaupt, wer sagt mir, dass Sie mich nicht nach Strich und Faden anlügen, Landrat?«
»Herr Dimpfelmoser, ich bin ein Ehrenmann«, tut er ganz entrüstet. »Glauben Sie ernsthaft, ich würde Sie anlügen?«
Das glaube ich allerdings, dass der mich anlügt, so wie es ihm gerade passt und er den größten Vorteil für sich sieht.
»Und wo ist dann Ihr Problem, wenn’S eh schon so eine tolle Zukunft mit der Sophia geplant haben?«
»Sie wollte nicht, Dimpfelmoser«, sagt er traurig, und tatsächlich werden seine Augen ganz wässrig.
»Wie ich ihr meine große Liebe gestanden und ihr meine Zukunftspläne offenbart habe, da hat sie sich von mir getrennt. Einfach so.«
Er fängt richtig zum Heulen an, die elende Memme. Rumvögeln und lügen, ohne mit der Wimper zu zucken, das kann er, aber dann im Selbstmitleid versinken, wenn es einmal nicht nach seinem Sauschädel geht, ja pfui Deifi!
»Waren’S doch nicht so der Brüller für die Sophia?«, streue ich noch mehr Salz in seine Wunde.
»Leider habe ich erst da erkannt, dass der Sophia Geld wichtiger ist als die Liebe«, erklärt er weinerlich weiter. »Ihr Mann ist mehrfacher Millionär, da kann ich nicht mithalten, auch wenn ich selbst natürlich auch einiges zu bieten habe. Sie wollte nur Spaß mit mir und hat mich schamlos ausgenutzt.«
»Landrat, jetzt halten’S einfach Ihr Maul, sonst vergesse ich mich«, unterbreche ich ihn, bevor ich handgreiflich werde. »Ihre Arroganz und Überheblichkeit stinken so dermaßen zum Himmel, des ist einfach unglaublich.«
Ich verlasse den Vernehmungsraum, weil ich dringend frische Luft brauche, bevor ich an dem Mief vom Landrat ersticke. Am Gang kommt mir der Reindl aufgeregt entgegen und wedelt mit einem Zettel.
»Dimpfelmoser, das kam gerade per Fax rein. Es ist die DNA-Analyse, die die Kollegen beim blonden Willi und den ganzen Utensilien, die sie gefunden haben, gemacht haben.«
»Gib her«, brumme ich und lese mir das Ergebnis durch.
Also doch! Hat mich mein guter Riecher auf die richtige Spur geleitet.
»Ich zeige der Sophia jetzt auch das Video und konfrontiere sie dann mit den Ergebnissen«, erkläre ich dem Reindl und hole die Sophia.
Sie schaut sich das Video mit ausdrucksloser Miene ohne eine sichtliche Regung an.
»Magst was dazu sagen?«, frage ich sie, aber sie schüttelt nur den Kopf.
»Das ist Fahrerflucht und unterlassene Hilfeleistung, das ist dir schon klar, oder?«, frage ich sie, aber sie schweigt weiter eisern. »Wärst du stehen geblieben, dann hätt der Rudi vielleicht eine Chance gehabt, aber so war sein Schicksal besiegelt.«
»Was geht mich dem sein Schicksal an?«, schreit sie mir plötzlich her. »Wir wurden verfolgt, da ist doch klar, dass ich nicht stehen bleibe.«
»Lassen wir das, das hat mir dein sauberer Landrat auch schon erzählt. Aber vielleicht kannst mir erklären, warum deine DNA überall auf der Leiche ist, vom Landrat aber rein gar nix. Auch an der Saugpumpe und dem ganzen Zeug sind nur deine Fingerabdrücke und deine DNA drauf. Und außerdem hat der Landrat ein wasserdichtes Alibi für die Tatzeit und für die Nacht, in der die Leiche bei der Jagdhütte abgelegt wurde. Du hast mich also angelogen, was den Landrat betrifft.«
»Du bluffst doch nur, Xaver«, keift sie. »Woher willst jetzt du eine DNA von mir haben?«
»Kannst dich daran erinnern, wie ich bei dir war? Da war ich in deinem Badetempel und habe eine Haarprobe aus deiner Bürste mitgenommen. Sophia, aus der Sache kommst nicht mehr raus. Am besten wär ein Geständnis, dann kannst zumindest noch auf das Wohlwollen der Richter hoffen. Ansonsten wirst aufgrund der Indizien verurteilt.«
Sie starrt mich hasserfüllt an, dann macht sie ihren schönen Mund auf.
»Du weißt ja eh alles, also was willst dann noch von mir?«, spuckt sie, und wenn Blicke töten könnten, dann wäre ich jetzt mausetot.
»Sophia, du gibst also zu, dass du den blonden Willi umbracht hast?«
»Ja, Xaver, ich war’s.«
»Eins würd mich noch interessieren, Sophia. Woher hast des mit dem Zettel und der Saugpumpe gewusst?«
»Xaver«, lächelt sie, »während du den Prosecco geholt hast, wie ich in deinem Zimmer gewartet habe, da habe ich natürlich die Protokolle auf deinem Schreibtisch durchgeschaut. Und da wusste ich, wie die beiden Männer getötet wurden. Und genauso hab ich es auch gemacht. Ich hab den blonden Willi raus zur Jagdhütte bestellt und hab ihm gesagt, dass wir dort das Lösegeld zahlen. Die Saugpumpe und alle Utensilien habe ich mir davor besorgt. Als er kam, habe ich ihm in der Hütte eine Eisenstange über seinen Schädel gezogen, ihn gefesselt und dann an die Pumpe angeschlossen. Ich war früher einmal Krankenschwester. Es war zwar nicht ganz einfach, aber wie man einen Zugang legt, das verlernt man nicht. Wie er am Sonntag in der Nacht plötzlich in der Jagdhütte aufgetaucht ist, da hat er uns mit einem Messer bedroht und gesagt, wenn wir nicht zahlen, dann geht das Video an die Presse und an meinen Mann. Und dann hat er auch noch den Reifen zerstochen, bevor er wieder verschwunden ist. Wie dann der zweite Mann aufgetaucht ist, haben wir zuerst gedacht, der blonde Willi wäre zurückgekommen. Aber ich habe ja dem sein Gesicht genau gesehen, und so war klar, dass es ein anderer ist. Und da hat der Landrat seinen Freund, den Hauptkommissar Huber, um Hilfe gebeten. Den Rest kennst ja eh selber.«
»Sophia, du erzählst des alles so, als würd es dir gar nix ausmachen, dass du einen Menschen kaltblütig umbracht hast.«
»Der wollte mein Leben zerstören, warum sollte mir das was ausmachen, wenn der dann tot ist? Das hätte er sich ja eher überlegen können. Du glaubst doch nicht ernsthaft, dass ich mir von so einem dahergelaufenen Kriminellen mein Leben ruinieren lasse«, fährt sie mich an.
»Auge um Auge, Zahn um Zahn …«, sage ich nur und gehe aus dem Zimmer.
Ich bin fassungslos, wie wenig Achtung die vor dem Leben und vor den Menschen hat. Da sind ja der Landrat und der Huber nicht so schlimm, die bringen zumindest nicht gleich jemanden um. Auf dem Gang begegnet mir der Reindl.
»Reindl«, sage ich müde, »lass die Sophia abholen und nach Regensburg ins Gefängnis bringen. Die Sophia hat den Mord gestanden.«
»Dann können wir den Fall endlich abschließen, Dimpfelmoser«, freut sich der Reindl und verzieht sich in sein Zimmer, um die nötigen Schritte einzuleiten.
Ich gehe auch in mein Zimmer und rufe den Huber an.
»Huber, der Fall ist gelöst. Die Sophia hat den Mord am blonden Willi gestanden.«
»Gratulation, Dimpfelmoser. Ich habe ja gleich gesagt, dass der Landrat nichts mit dem Mord zu tun hat. Aber Sie hatten den richtigen Riecher, dass es nicht der Weinzinger war.«
»Und mit dem Schwarzer hab ich auch alles geklärt, da brauchen’S keine Angst mehr haben, dass der was ausplaudert. Dafür können wir ihn aber nicht wegen den Erpressungen drankriegen, das ist Ihnen schon klar, Huber.«
»Dimpfelmoser, das vergess ich Ihnen nie, das verspreche ich Ihnen«, schleimt er.
»Huber, nur um die Bänder, da müssen’S sich selber kümmern. Ich geb Ihnen jetzt eine Telefonnummer von einem Freund von mir, der ist Spezialist für Videoaufzeichnungen. Den rufen’S gleich an, und der soll sich sofort über die Bänder hermachen. Sie müssen dafür sorgen, dass da alle Aufzeichnungen von dem Bordell gelöscht werden, haben’S des verstanden, Huber?«
»Dimpfelmoser, ich kümmere mich sofort darum und melde mich hernach wieder bei Ihnen«, ruft er noch, und schon hat er aufgelegt.
Ich schlendere zu unseren Zellen und lasse zuerst den Landrat raus.
»Landrat, telefonieren’S hernach gleich mit dem Huber, und sprechen’S sich gut mit dem ab, nicht dass doch noch was schiefgeht und was von euren Sauereien an die Öffentlichkeit kommt«, verabschiede ich ihn.
Der bedankt sich überschwänglich und hat es dann plötzlich furchtbar eilig. Als Nächstes schreibe ich das Schuldeingeständnis vom Schwarzer und hole mir seine Unterschrift. Ich ermahne ihn noch mal eindringlich, dass er sich genau an unsere Abmachungen hält, und dann ist auch der wieder verschwunden. Ich verziehe mich in mein Zimmer, lege mich auf die Couch und überlege, ob ich wirklich an alles gedacht habe.
Das nervige Läuten des Telefons reißt mich aus dem Schlaf. Da bin ich wohl kurz weggenickt, denke ich mir und reiße den Hörer von der Gabel.
»Dimpfelmoser«, trällert der Huber, »alles erledigt. Die Bänder sind perfekt gefälscht, da kommt keiner dahinter, dass da mal was anderes drauf war. Ihr Freund hat das alles in einer Viertelstunde erledigt. Jetzt zeigen sie nur noch Aufnahmen von unserem schönen Bayerischen Wald.«
»Sehr gut, Huber«, lobe ich ihn und stelle mit einem Blick auf die Uhr fest, dass ich über eine Stunde geschlafen habe.
»Machen’s Schluss für heute, Dimpfelmoser«, erklärt mir der Huber gönnerhaft. »Und morgen in der Früh, da bleiben’S mit Ihren Männern erst einmal zu Hause. Da schlafen Sie sich alle einmal so richtig aus. Da reicht es, wenn Sie alle am Nachmittag Ihren Dienst beginnen, richten’S das Ihren Männern aus. Morgen Vormittag haben alle Sonderurlaub. Und dann machen’S den ganzen Schreibkram und die Berichte am Nachmittag, das reicht völlig aus.«
Ich kann sein gönnerhaftes Getue momentan einfach nicht mehr ertragen, und deshalb lege ich einfach auf, ohne mich zu verabschieden. Dann sitze ich einfach nur da und lasse die Gedanken in meinem Kopf vorüberziehen, so wie sie kommen und gehen. Irgendwann klopft es, und meine Männer betreten den Raum.
»Die Sophia ist soeben abgeholt worden«, verkündet der Reindl. »Dann sind wir also fertig für heute.«
»Saubere Arbeit, Männer«, lobe ich sie. »Morgen Vormittag hat uns der Huber freigegeben. Wir machen für heute Schluss, und morgen kommt’s um drei Uhr am Nachmittag wieder zum Dienst. Da erledigen wir dann den ganzen restlichen Schreibkram.«
Wir verabschieden uns, und alle verlassen die Dienststelle. Ich bin heilfroh, dass der Fall endlich abgeschlossen ist. Hoffentlich kehrt jetzt wieder Ruhe ein in unsere beschauliche Kleinstadt.