Vickerl ist tot.
Sie haben ihn in den Rücken geschossen. Er hat bei einer Ausführung ins allgemeine Krankenhaus versucht zu fliehen. Er riß sich von den Beamten los und sprang aus einem Fenster aus dem ersten Stock in den Hof hinunter. Der Beamte beugte sich aus dem Fenster und schoß ihm nach. Er schoß ihn durch den Rücken ins Herz. Er war sofort tot.
»Mörder … Mörder«, schreit Karrer beim Hofgang zu den Beamten. Eine verstärkte Wachabteilung zieht auf, dumpfes Murren verebbt.
Widerstand führt zu nichts. Nur zu neuerlichen Beschränkungen,
in dieser, der beschränktesten aller denkbaren Lebensformen. Loisl zittert vor unterdrückter Wut, seine riesigen Schultern biegen sich hilflos.
Die Bullen spüren den Haß, mißtrauisch beäugen sie die Masse Mensch in den engen Betonvierecken.
Täglich stellen sie die Zellen auf den Kopf, filzen und brüllen, die Hand am Gummiknüppel.
Die Hektik versickert. Geballte Fäuste bleiben geballt … in den Hosentaschen.
Sie haben zu viele Möglichkeiten, Besuchssperre und Einkaufssperre, zu filzen, nehmen jeden Bleistiftstummel, jede Zeitung, jedes Stück Papier weg.
Für Aus-dem-Fenster-Rufen gibt es acht Tage Einzelhaft in feuchten Zellen im Keller oder den Beton- und Gitterbunkern am Parterre E.
Cha-chas ›Geschäftsreisen‹ gehen mir an den Magen, ihre Briefe sind kalt wie ein Schlangenfurz. Nebel und Schneeregen. Ich schreibe an den Richter, daß man mir die fünf Monate U-Haft auf die sieben Monate für den Einbruch anrechnet. Genehmigt.
Wenige Tage später schickt man mich in ein anderes Gefängnis. Hardtmuthgasse – im zehnten Bezirk, ehemaliges Jugendgefängnis, fließendes Warm- und Kaltwasser, Einzelhaft, Kopfschmerzen – und täglich sechs kleine, gelbe Wunderblättchen – dreißig Milligramm Valium.
Cha-cha kommt auf Besuch. Weißhäutig, langhaarig und fremd steht sie hinter der Barriere, redet leise in meine überquellende Freude.
»Komm bald, ich habe Angst vor dem Alleinsein«, sagt sie.
»Ich komme, zwei Monate noch«, sage ich. Das Weihnachtspaket kommt am 24. Dezember zu Mittag, ich habe es schon abgeschrieben, dann liege ich im Bett. Die siebente Weihnacht im Gefängnis. Der Januar zieht sich. Mutter liegt wieder im Spital. Wieder ein kleines Gewächs in der Achselhöhle. Sie schreibt lange Briefe:
»… wirst du mit Gottes Hilfe doch auf den rechten Weg finden …«, steht da.
… der rechte Weg … ist ein geheimnisvoller Pfad … handbreit manchmal nur … der Anfang liegt in mir …
Am 20. Februar verurteilt mich ein griesgrämiger Richter zu einem Monat Arrest wegen Zuhälterei …
und am 23. Februar werde ich zum zweitenmal Vater. Ein rotgesichtiger Fürsorgerat setzt mich in Kenntnis, daß ich im Februar 1963 Vater eines Mädchens wurde. Aufgrund äußerst verzwickter Umstände sei man aber erst jetzt daraufgekommen, daß ich der Vater wäre. Ich bin belämmert, versuche zu erinnern. Er kramt in einer Aktentasche und liest aus einem Akt Namen und Daten, vergeblich, ich weiß es nicht mehr.
»Das ist unmöglich«, sage ich. Er lächelt mild, scheint solche Antwort gewohnt.
»Wir haben eine erbbiologische Untersuchung beantragt«, sagt er und schüttelt mir zum Abschied kräftig die Hand.
Cha-cha ist beim Besuch nervös und abwesend.
Mutter schreibt, es geht ihr besser. Der März kommt mit unverständlich heißen Tagen. Meine Enthaftung ist fällig. Ich urgiere, niemand weiß etwas. Die Beamten zucken die Schultern. Von einem Hausarbeiter, der entlassen wird, besorge ich mir mit Schwierigkeiten eine Spritze und sechs sterile Injektionsnadeln.
Eine Stunde vor dem Wecken spritze ich mir eine geringe Menge Nitroverdünnung in die Lunge.
Ein glühender Stich im Brustkorb, den Spritzenzylinder werfe ich ins Klosett. Nach vier Stunden bringt man mich ins Inquisitenspital, pumpt mich mit Penicillin voll. Nach zwei Tagen werde ich enthaftet, man hat mich irrtümlich zu lange in Haft behalten.
Bevor ich das Landesgericht verlasse, bin ich wieder festgenagelt, vierzehn Tage Polizeistrafe. Der Rest vom Sommer, als ich die Löffel verschluckte. Im ›Grünen Heinrich‹ auf die Rossauerlände. In Verrechnung auf die zehn Tage werden mir acht Tage Polizeihaft nachgelassen … man versucht, mir zu erklären, daß dies nur aufgrund der undurchsichtigen Zusammenziehung mehrerer Strafen erfolgt sei, und deswegen …
Ich habe in einer Woche vierzehn Kilo abgenommen und dämmere über die Zeit.
Mutter schickt mir Geld. Die 110 Schilling, mit denen sie mich entlassen haben, sind bis auf vier Schilling verbraucht. Cha-cha ist mit einem Kunden verreist, nach Toledo. Ich bringe keine fünf Liegestützen fertig.
Die Decken sind dreckig, die Zellen sind dreckig, die Menschen um mich sind dreckig, hocken ungewaschen auf den Bänken, stieren in Sexzeitschriften. Meine Haut ist dreckig, schmierig – schillinggroße Eiterbeulen auf meinem Rücken. Dann lassen sie mich hinaus … in einen grauen, dreckigen Tag. Scheiße ist da, klebt, stinkt … rinnt mir aus Augen und Mund und Schwanz. Atmen in gelbem, weichem Dreck … Kothaufen fressen und koitieren in brauner, körniger Scheiße … zum dritten Mal ohne Geld aus dem Knast.
Ich bin mager und ungeduldig. Stechende Schmerzen in der Brust, hoffentlich wächst dieses verfluchte Loch in der Lunge zusammen. Die Stadt versinkt im Regen. Ich schlage den Mantelkragen hoch und gehe zum ›Red Lion‹ in der Rotenlöwenstraße. Ich brauche eine Dirne – wie ist egal, und zum langen Herumsuchen habe ich keine Zeit. Ein Windstoß faucht über den Platz vor dem Franz-Josephs-Bahnhof. Im schwankenden Licht scheinter schwarz und riesig.
Einen Hasen mit Gewalt biegen … was, Freiheitsberaubung und Erpressung, und … Scheiße … wenn ich vorsichtig bin, kann nichts passieren … Helmut ist in Wien … ich habe ihn in der ›Rouge‹, in der ›Femina‹ gesucht, keine Spur … wo der herumkriecht … na, momentan egal.
Das Lokal, eine halbseidene Tanzbude. Ich bestelle einen Whisky und rauche. Verliebte schmieren auf der Tanzfläche ineinander. Zwei Mädchen sitzen allein und sind so häßlich, daß ich mich nicht mehr hinzuschauen getraue, ich will nicht erblinden.
Dann kommt eine Gruppe Männlein, Weiblein, laut und harmlos, leicht angetrunken. Ich gehe pinkeln und schaue mir die Weiblichkeit genauer an. Dann hole ich eine. Blond und heißarschig reibt sie sich in meinen Händen. Sie macht auf lasziv. Ich greife ihr unter den Pulli.
Meine Eier bleiben kalt. Einer der Jünglinge schaut, glasig und langsam.
»Gehört der zu dir?« frage ich. Sie dreht den Kopf, lacht, zeigt ein Herzgesicht und blanke Zähne.
»Der … ja, aber … nicht richtig«, sagt sie, und ich stecke den Finger in den Poansatz. Bei ihrem Tisch lasse ich sie los und gehe telefonieren. Der Langsamschauende zieht sie von der Tanzfläche. Er hat ein sauberes, stark gerötetes Gesicht. Sie schüttelt seine Hand ab und setzt sich. Ich versuche Helmut zu erreichen. Ich brauche eine Wohnung für das Abrichten. Seine ist geeignet, keine Nachbarn – und ein Zimmer mit einem vernagelten Fenster. Sein Vater hat ihn immer dort verprügelt und eingesperrt.
»Wenn er kommt, wird er dich zurückrufen«, sagt Alf, der Kellner im ›Winzerhaus‹.
Ich lege auf und sage der Rothaarigen hinter der Bar Bescheid. Dann hole ich mir wieder die Blonde. Sie ist reserviert und blockiert meine Hände. Anscheinend gab es eine Standpauke. Der Junge verrenkt sich den Hals. Ich trinke und warte, dann ruft Helmut an. Ich erkläre ihm den Fall.
»Die Wohnung kannst du auf eine Woche haben. Die Schlüssel schicke ich dir mit dem Taxi«, sagt er.
»Besten Dank«, sage ich.
»Paß auf und brichs ausanaunda, vakaufn kenn mas olleweu no«, sagt er.
Ich lege auf.
»Wann gehst du?« frage ich die Blonde etwas später.
»Er möchte schon gehen. Die anderen bleiben noch … und Sie?« sagt sie plötzlich förmlich. Ich verzichte auf die Antwort und halte sie weit von mir.
Dann hole ich meinen Mantel und bezahle. Die Rothaarige holt mich und ein Taxler übergibt mir die Schlüssel.
»Neunundzwanzig Schilling«, sagt er.
Ich gebe ihm fünfunddreißig und schaue ihm zu, wie er ins Auto steigt. Er fährt, die Straße ist leer.
Sie kommen. Ich ziehe einige Male schnell an meiner Zigarette. Einen Zentimeter Glut drücke ich unter seinem dritten Hemdenknopf aus. Ein mit aller Kraft geschlagener Haken entzieht seinem Schrei die Luft. Ich greife nach dem Mädchen. Sie steht steif im Schock. Er liegt am Boden. Wir gehen um die Ecke, durch einige schmale Gassen. Ich habe Eis am Schwanz. Ihr Mund zittert, Lampen spiegeln sich in Lacken. Der Regen ist dünn und hart. Plötzlich verhält sie den Schritt.
»Ich gehe nicht mit«, sagt sie, ihre Stimme schwankt um Vokale und Konsonanten. Sie lehnt sich gegen eine Mauer und zieht die Hände mit der Handtasche gegen die Brust.
Ich schlage sie mit der Faust gegen die Stirne.
Sie ist benommen, kippt gegen mich, wimmert leise und dumm.
»Es ist zwecklos, Herzchen«, sage ich freundlich und nehme sie am Arm.
Sie stolpert, dann geht sie neben mir. Aus einer Telefonzelle rufe ich den Taxifunk an.
»Schicken Sie mir die Nummer einhundertdreizehn«, sage ich, und die Adresse.
Das Mädchen steht vor der Tür, durch den Spalt halte ich sie an der Hand. Ich rauche. Sie drückt die Hand gegen die Stirn. Es tut weh. Ich glaube es. Zehn Minuten später hält ein Wagen, ein Taxi. Peter springt heraus.
»Du, is wos passiert«, sagt er und deutet auf das Mädchen.
»Eine Spezialfuhre«, sage ich und schiebe sie in den Wagen, dann sage ich Peter leise die Adresse. Er nickt, wir steigen ein. Ich ziehe ihren Kopf gegen meine Brust. Sie liegt steif an mir. Sehen kann sie nichts. Peter fährt schnell und hat das Radio lautgedreht. Häuserreihen, die sich gleichen wie ein Tampon dem anderen. Wir steigen aus. Peter lächelt, dann verschwindet der Wagen. Er schuldet mir eine ganze Menge – doch es auf einmal zu fordern, wäre unklug –, auf kleine Gefälligkeiten verteilt, ist es für das Gedächtnis wirksamer.
Das Mädchen hebt den Kopf. Ich treffe sie mit halber Kraft mit dem Handrücken. Sie schluchzt und schaut nicht mehr. Ich sperre die Haustür auf und stoße sie in den dunklen Vorraum. Sie stolpert, und ich trete sie gegen die Knie. Ich knipse das Licht an und hänge meinen Mantel auf einen Hänger. Sie liegt. Ihr Rock ist weit über die Knie oben. Wärme fließt in meine Eier.
Ich ziehe sie an den Haaren hoch.
»Zieh deine Jacke aus«, sage ich.
Sie klammert ihre Hände in meinen Unterarm.
»Laß mich gehen, bitte, laß mich gehen. Ich habe Angst … ich schreie, ich«, stammelt sie und nähert sich der Hysterie. Zwei Ohrfeigen schafft sie, dann fliegt sie durch die offene Tür ins Wohnzimmer. Sie weint wild und hämmert mit den Fäusten gegen den Teppich. Ich greife ihr in die Haare und schlage ihren Kopf zweimal fest gegen den Boden, dann liegt sie ruhig.
Ich gehe in die Küche, nehme aus dem Eiskasten eine Flasche Bier und setze mich dann auf den Fauteuil beim Fenster. Sie liegt mit geschlossenen Augen, ihre Lider flattern. Ich drücke auf die UKW-Taste des Radios, Harry Belafonte, samtig schmirgelt Reiz am Eichelkopf.
Sie ist auf den Knien, die Beine schräg hinter sich gelegt. Sie redet, schaut tränenblind.
»Ich … habe … zweitausend Schilling in der Handtasche … wollen Sie die, oder den Ring …«, sie wetzt auf den Knien zu mir, in ihrer Handfläche liegt ein Ring mit rotem Stein. »Alles gebe ich Ihnen … bitte, lassen Sie mich gehen …«
Mit dem Fuß schlage ich den Ring vom Handteller, er kollert unter die Couch.
»Herzchen … du bleibst hier. Je schneller du das begreifst, um so weniger schmerzhaft ist es«, sage ich sanft. Ich reiße sie an den Haaren hoch. Sie schreit auf, dann liegt sie über der Couch. Nylon glänzt auf hellen Beinen.
Ich greife zwischen ihre Schenkel. Ihre Pisse läuft mir warm über die Hand. Ihr Körper schüttelt sich im Krampf der Befreiung, dann ist sie starr.
»Du kleine Drecksau, mach das sauber und zieh dich aus«, sage ich.
Sie zieht die Jacke aus, den Rock, die Strumpfhose. Ihre Beine leuchten weiß und schlank. Das weiße Höschen ziehe ich ihr langsam über die nassen Schenkel und schlage ihr das triefende Stück um den Mund. Mit leeren Augen knöpft sie die Bluse auf, hakt den BH los, dreht sich zu mir. Die Brüste sind fest und kühl. Ich drehe die Nippeln zwischen den Zähnen, sie röten und steifen sich, dann beiße ich zu. Sie schreit wieder auf, schrill, gellend, dann heult sie dumm und laut.
»Unter der Abwasch findest du einen Reibfetzen und einen Kübel. Wisch das auf, heulen kannst du nachher«, sage ich. Sie hält die Hand auf ihre linke Brustwarze.
»Zeig her«, sage ich und ziehe ihre Hand weg. Die Nippel sieht aus wie eine Maulbeere – aufgeschwollen und schwarzrot unterlaufen. Sie geht in die Küche, dann ins Bad, kommt mit gefülltem Kübel, bückt sich und wischt.
»Nimm das mit und wasch es aus«, sage ich und deute auf Höschen und Strumpfhose, »den Rock hänge über den Heizkörper, wenn er fleckig ist, kaufe ich dir einen«, sage ich und beobachte sie.
Dann gehe ich ihr ins Bad nach. Meine Hose liegt über dem Sessel, darüber Hemd und Pullover, ich bin nackt.
Ihr Hintern ist steil angesetzt, rund und glatt unter meiner Hand. Ich streichle die Kugeln und schaue sie im Spiegel an. Sie hat den Kopf gesenkt, ihre Hände drücken sinnlos das Höschen in die Seifenlauge. Ich teile ihr Haar und küsse sie am Haaransatz im Nacken. Ihre Schultern zucken, sie weint.
»Ich verstehe das nicht … ich begreife es nicht …«, sagt sie und ihre Schultern sinken noch vor. Sie klammert sich ans Waschbecken.
Bob Dylan, ›Wigwam‹, von rückwärts schiebe ich den Schwanz zwischen die Schenkel. Sie ist starr, aus dem Spiegel brennen ihre Augen gegen mich.
»Ich werde dich jetzt in den Arsch ficken, Herzchen, du hast doch nichts dagegen, oder?« sage ich und streiche über ihre Flanken. Sie zittert, senkt wieder den Kopf, die gelbe Mähne fächert über das Gesicht.
»Und wenn ich dich bitte, es nicht zu tun«, sagt sie.
»… werde ich es trotzdem tun«, sage ich und stoße zwei Finger in die Kotritze.
»Du tust mir weh«, schreit sie auf. Ich hebe das Haar von ihrem Gesicht. Ihre Augen sind schmal, Angst, Schmerz und Wut … wozu das Flackern deuten?
»Das ist mir egal, Herzchen«, sage ich.
Sie läuft nicht weg, versucht es gar nicht. Ihr Darm ist voll, an meinen Fingern klebt Scheiße.
»Schleck das ab«, sage ich. Ich drehe sie zu mir.
»Nein … nein«, sagt sie keuchend. Ich wische die Finger an ihren Lippen ab. Sie hält die Zähne gepreßt, würgt. Ich schiebe ihr die Finger gewaltsam hinter die Lippen. Sie stößt mich zur Seite, hastet zur Klosettmuschel und kotzt. Ich wasche mir die Hände, sehe ihr zu. Es reckt sie, ein braungrüner Schub dringt aus ihrem Schlund. Sie ist fahl und weint. Dann betätigt sie die Spülung und setzt sich auf den Rand der Wanne. Ich hole mir eine Zigarette. Aggressiver Beat röhrt aus dem Radio. Sie sieht mir verzagt entgegen, dann spült sie den Mund, wäscht das Gesicht. Ich trete sie in den Hintern. Sie prallt mit dem Kopf gegen die Fliesen. Sie kauert und winselt. Tränen fallen auf den Boden.
»Mach den Mund auf«, sage ich und stecke ihr den Halbsteifen zwischen die Lippen.
»… zärtlich, Herzchen, und wenn du zu beißen versuchst, schlage ich dir damit die Schädeldecke ein«, sage ich und nehme eine schwere Kristallflasche mit Badezusatz in die Hand. Sie nuckelt unbeholfen an der Eichel, dann knabbert sie vorsichtig um den Vorhautwulst, wie ein bibberndes Kaninchen, die Augen verkrampft geschlossen. Ich ziehe sie an den Haaren zur Wanne, beuge sie darüber und presse den Schwanz in ihren Hintern. Der Darm ist heiß, und ich bin erregt. Sie ist schlaff vor mir. Die Eier schmelzen, und ich spritze in ihren Dreck. Sie kann die Scheiße nicht halten und stürzt zur Muschel. »Geh hinaus, bitte … bitte«, sagt sie laut, und in der Stimme, in der hohen Tonlage, ist ein Schluchzen. Ich brause mir den Schwanz sauber, dann binde ich mir ein Handtuch um und gehe in das Zimmer. Ich liege im Bett, rauche. Adriano Celentano … I1 Ragazzo della via Gluck, dann drehe ich leiser, und sie kommt langsam aus dem Bad. Einen Schritt vor mir bleibt sie stehen. »Was willst du noch von mir?« sagt sie. Ich deute mit der Hand auf den Bettrand.
»Komm da her«, sage ich. Sie setzt sich, legt die Hand auf das Haardreieck.
»Wie heißt du?« sage ich.
»Waltraud Korber«, sagt sie.
»Wie alt?« sage ich.
»Neunzehn«, sagt sie.
»Wohnst du bei deinen Eltern?« frage ich.
»Nein, ich habe mit einer Freundin eine Untermiete«, sagt sie.
»War deine Freundin heute abend mit?« sage ich.
»Nein, das waren Arbeitskollegen aus dem Büro, in dem ich arbeite«, sagt sie.
»Bleibst du öfter über Nacht weg?« sage ich. Sie zögert und streicht mit den Handflächen über ihre Schenkel.
»Sieh mich an, los«, sage ich. Sie dreht das Gesicht, sieht mich von unten her an.
»Nein«, sagt sie. Sie lügt, aber ich habe erwartet, daß sie mir in manchem nicht die Wahrheit sagen wird.
»Hast du einen festen Freund?« sage ich und schiebe die Zigarette nahe an ihre Haut am Oberarm, neben eine daumennagelgroße, verblaßte Impfnarbe. Sie zuckt weg.
»Was machst du … nein, ich habe keinen Freund«, sagt sie schnell.
»Du bist dumm, Herzchen … du hättest sagen müssen, du hast einen Freund …. ganz groß und sehr stark, vielleicht hätte ich mich dann zu fürchten begonnen und hätte dich gehen lassen …«, sage ich und lache sie an.
»Aber, wenn du niemandem fehlst, deine Freundin ist mir egal. Sie wirst du anrufen, dann kannst du ja bei mir bleiben … oder?« sage ich.
Ihre Augen weiten sich, ein kleines Licht, vom Rand her zur Mitte gewandert, erlischt.
»Du bist verrückt«, sagt sie leise. Ich drücke die Zigarette aus, greife in die langen, hellen Strähnen.
»Geh und bring mir ein Bier aus dem Eiskasten«, sage ich und lasse sie los.
Sie kommt, mit Flasche und Glas, schenkt ein und setzt sich wieder zu mir.
Ihre Hände zittern stark.
»Kann ich eine Zigarette haben?« sagt sie.
»Wie heißt das?« frage ich.
»Bitte … kann ich eine Zigarette haben«, wiederholt sie leise.
Ich gebe ihr die Zigarette und Feuer.
»Du hast meine Frage nicht beantwortet … tust du es … bitte«, sagt sie dann.
Sie raucht in kurzen, heftigen Zügen.
»Was ich mit dir vorhabe? Das wirst du rechtzeitig merken«, sage ich.
Ihr Körper ist fest und warm unter meinen Händen. Die gequetschte Brustwarze ist stärker angeschwollen. Ich rolle vom Bett, greife in meine Hose und nehme den Springer heraus. Trocken schnappt die Klinge aus dem Metallgehäuse. Sie weicht an die Wand zurück.
»Komm her«, sage ich. Sie tastet zum Bett, setzt sich und rutscht zu mir.
»Damit schneide ich dir die Haut in Streifen aus dem Gesicht, wenn du in der Nacht versuchst davonzulaufen.«
Aus der Brustwarze rinnt ein Blutfaden über ihren Bauch. Sie schreit auf. Mit einer schnellen Bewegung habe ich ihr die Brustwarze in Stücke gespalten.
»Hol dir ein Handtuch, du versaust den Teppich«, sage ich in ihr Heulen.
Sie geht, bleibt im Bad. Ich hole ihre Handtasche vom Tisch, leere den Inhalt aufs Bett. Kosmetikkram, Geldbörse, Ausweis, Schlüssel, ein dünnes Notizbuch mit Minikugelschreiber, Zigaretten und ein Feuerzeug, einige Fotos in einem Lederetui, Taschentuch und ein Päckchen Vorverkaufsscheine der Verkehrsbetriebe. Das Notizbuch, Geldbörse, Ausweis und Schlüsselbund lege ich zur Seite, das andere gebe ich in die Tasche zurück. Sie steht in der Tür, sieht mich an. Ihre Wangenmuskeln zucken hysterisch.
»Du Schwein … du feiges Schwein«, schreit sie und läuft zum Fenster. Ich stoppe sie mit einer Geraden zwischen die Brüste, dumpf schlägt sie am Boden auf.
Also, wenn nicht im Guten, dann eben …
An den Haaren schleife ich sie in den Nebenraum. Blanker Bretterboden, einige Kisten in der Ecke, ein zerbrochener Stuhl, Lampentrümmer. Vielleicht ist sie bewußtlos, ihr Kopf poltert auf den Brettern. Ich ziehe im Wohnzimmer den breiten Ledergürtel aus meiner Jeans, dann gehe ich in die Kammer. Sie liegt unverändert.
Reizvoll gebeulter Mund, hohe Wangenknochen, dichte Wimpern legen Schattenbalken auf die farblosen Wangen. Ein schönes Mädchen. Helmut wird sie mit einem Kumpel nach Frankfurt bringen, das sind zweieinhalbtausend Mark für mich. Wenn jemand im Dancing fragt – das Telefongespräch –, suchen sie einen namens ›Schneider‹. Das Fotoalbum bei der Polizei? Mir fehlen vierzehn Kilo zu meinem Normalgewicht, und ich habe jetzt lange Haare.
Sie stöhnt auf und dreht sich aus dem Licht.
»Herzchen …«, sage ich und hocke neben ihr, sie schaut mich an, leer und abwesend.
»Ich habe dich gewarnt. Jetzt werde ich dich einsperren, und wenn du schreist, komme ich dich besuchen, und dann gibt es jedesmal dasselbe«, sage ich und schlage sie mit dem Gürtel gezählte zwanzigmal auf den Rücken, den Arsch und die Schenkel. Das Leder zeichnet breite Striemen. Sie schreit und bittet, fleht und versucht, sich hinter die Kisten zu retten.
Dann drehe ich das Licht ab und sperre hinter mir ab …
›Satisfaction‹ aus dem Radio. Ich hole mir ein Bier … sie tut mir leid, die Kleine, aber von der Luft kann ich nicht existieren, mit hundertzehn Schilling haben sie mich entlassen, dann acht Tage Polizeigefängnis, wenn mir Mutter nicht tausend Schilling geschickt hätte, wäre ich mit vier Schilling aus dem Knast gekommen. Diesen Hasen übernimmt Helmut sicher. Ich trinke den letzten Schluck Bier, bestelle einen telefonischen Weckruf für acht Uhr früh, dann schlafe ich ein. Zweimal bin ich plötzlich hellwach. Ich steige aus dem Bett, gehe zur Tür, es ist ruhig. Das Geräusch kam von irgendwoher, Minuten später bin ich wieder eingeschlafen.
Dann hämmert sie gegen die Tür.
»Was willst du?« frage ich. Sie klopft, sagt nichts. Ich steige aus dem Bett, gehe zur Türe.
»Willst du aufs Klo?« sage ich.
»Bitte, mach auf … ja, ich möchte aufs Klo«, sagt sie kaum verständlich.
Sie geht unsicher, und die Striemen leuchten am Körper. Ich gehe hinter ihr her. Ihr Gesicht ist verquollen, sie hockt und pißt.
»Wie geht es dir«, frage ich freundlich. Sie weint dann und gibt keine Antwort.
Ich gehe in die Küche und koche Kaffee. Dann läutet es an der Wohnungstür.
»Ich bin’s, Helmut«, sagt er, und ich schließe auf. Er lacht.
»Na, wie steht’s«, sagt er. Dann hängt er seinen Mantel an den Haken.
»Die kann ich nicht hier in Wien behalten … weißt du etwas«, sage ich. Wir stehen mit den Taschen in der Küche, das Mädchen ist noch im Bad.
»Ich habe dir doch gestern gesagt, wenn es nichts für hier ist, nehmen sie der Tondo und ich nach Düsseldorf mit und verhökern sie, also?« sagt er und geht zur Tür beim Bad. »Mach auf!« sagt er. Ein Schlüssel wird gedreht. Er öffnet die Tür. Sie steht vor dem Spiegel.
»Viel Zeit hast du nicht mit Reden verloren«, sagt er und deutet auf die Spuren an der Brust und auf Rücken und Beinen.
»Wann nimmst du sie mit?« frage ich, und das Mädchen hat keinen Ausdruck im Gesicht. Helmut greift ihr in die Haare, dreht ihren Kopf.
»Schön und brauchbar … wann … heute abend, warum?« sagt er und greift ihr an die Fut. Sie preßt die Beine gegeneinander. Er schlägt sie in den Bauch, sie schreit auf, knickt nach vorn. Von rückwärts treibt er ihr die Finger in die Spalte. Auf zwei Fingern hat er große Ringe. Sie schreit und fällt gegen die Wanne.
»Wehleidig, die Beste«, knurrt Helmut und läßt Wasser über die blutigen Finger laufen.
»Sie muß sich bei ihrer Freundin abmelden und ein nettes Briefchen nach Hause schreiben, daß da kein Querschuß kommt«, sage ich.
Er nickt und geht zu einem Fauteuil.
»Zweitausend … okay?« sagt er langsam und schaut, wie sie versucht, sich aufzurichten.
Es ist Geld, wenig zwar, das Risiko ist hoch, aber die Spezialbehandlung bekommt sie erst in Düsseldorf, und Helmut weiß, daß ich ohne Geld aus dem Knast gekommen bin.
Helmut steht auf und zieht sie an den Haaren neben sich zum Sitzmöbel.
»Knie dich nieder«, sagt er und reißt sie an den Haaren herunter. »Los, nimm meinen Schwanz heraus … na los«, sagt er und lehnt sich zurück, hält sie aber an den Haaren. Sie beginnt, an seiner Hose herumzufingern.
Helmut greift in die Jacke. Er zieht eine Pistole heraus, das Mädchen zuckt zurück. Er drückt ihr den Lauf über dem Ohr an den Kopf.
»Wenn du mir weh tust, drücke ich ab, klar, Kleines«, sagt er und steckt ihr das Glied in den Mund. Sie saugt mit geschlossenen Augen, ihr Gesicht zittert, dann der ganze Körper. Sie massiert den Schaft und ist weiß wie die gekalkte Wand. Eine Minute tröpfelt. Ich rauche, sehe zu, dann hole ich mir noch eine Tasse Kaffee. Sie schreit plötzlich schrill. Helmut hat sie mit dem Lauf gegen den Kopf geschlagen.
»Weicher … ich scheiß auf deine Zähne … wenn ich sie noch einmal spüre, breche ich sie dir aus.«
Dann tritt er sie gegen die Brust. Der Saft hängt an ihrer Unterlippe. Sie schaut leer und blöde.
Helmut biegt sich den Schwanz in die Hose.
»Saugt gefühllos wie eine Tittenpumpe«, sagt er, greift nach einer Zigarette. Sie gurgelt am Waschbecken, schluchzt und bibbert. Helmut geht dann. Er will Tondo informieren. Ich kenne den nur vom Hören. Hat zwei Nutten im Puff. Eine in Kiel, eine in Düsseldorf, und er hat Helmut gesagt, wenn es zufällig etwas gibt, kann er den Verkauf machen.
Ich gebe ihr ein Glas Milch, dann drücke ich eine Zigarette an ihrem Hinterfleisch aus, nur daß sie nicht vergißt. Sie preßt die Hände um meine Beine und bittet und heult und rotzt. Gegen zwei Uhr kommt Helmut wieder. »Tondo ist einverstanden. Eine Mille kriegst du gleich, das mit der Freundin und den Eltern machen wir«, sagt er und streichelt ihr über den Schorf an der Brustwarze.
»Wasch dich, und zieh dich an«, sagt er und stößt sie in Richtung Bad.
Dann blättert er mir sechstausend Schilling hin.
»Nächste Woche komm’ ich mit dem Rest, geht in Ordnung?« fragt er.
Ich stecke die Scheine ein. Die beiden lassen den Hasen nicht laufen, da kommt nichts nach …
»Gut«, sage ich und gehe mich rasieren. Sie steht neben der Wanne, ein Handtuch gegen das Gesicht gepreßt.
»Gibt’s Schwierigkeiten an der Grenze?« frage ich. Helmut bringt mir ein Glas Bier.
»Mit ihr?« fragt er und schaut gelangweilt auf das Mädchen.
»Sie wird schlafen, tief und fest und mit einem freundlichen Traum.« Er drückt den Daumen gegen die geöffneten Zeige- und Mittelfinger. Injektion, klar, was habe ich sonst gedacht, und an der Grenze kümmert sich kein Hund.
Dann bin ich fertig, und Helmut kommt mit an die Tür.
»Tschau, Partner«, sagt er und mir fällt ein Morgen vor drei Jahren an der Urania ein. Wie doch die Zeit vergeht. Wie hieß die Kleine damals’ Na, egal, ich habe es vergessen …
Ein paar Tage später kommt Cha-cha aus Spanien, und ich verprügle sie, daß sie acht Tage ohne sich zu rühren im Bett bleiben muß.
»Heiraten wir?« sagt sie und massiert Creme in die blaugelb gesprenkelten Hautpartien. Sie meint es ernst … doch. Dann setze ich mich zu ihr aufs Bett, und sie schluchzt in meine Halsgrube.
Ich engagiere zwei Passanten als Trauzeugen, und dann sind wir amtlich verbunden, und ich stecke meine am Vortag gekaufte Kanone, Marke Walther Kal. 7.65, hinter den Hosenbund, weil der Halfter nicht paßt und die Waffe aus dem engen Anzug rutschen will.
Der Standesbeamte verfolgt meine Krabbelei, ist irritiert und bringt die Zeremonie schnellstens zu Ende. Dann sitzen wir allein in einem Restaurant, es ist Mai, und die Pistole liegt in ihrer Handtasche.
»Jetzt sind wir Mann und Frau«, sagt sie, die Hure, meine Frau … zu mir, ihrem … einzigen Mann … oder?
Zwei Tage später wandert sie wieder abends auf der Kärntnerstraße, und ich weiß vom Arzt, daß mein Loch in der Lunge fast geschlossen ist. Die Polizei steigt mir auf die Zehen, und ich vermittle Cha-cha einen Halbtagsjob und mir eine Krankenbestätigung für drei Monate. Untertags liege ich im Neuwaldeggerbad und tröste grüne Witwen. Cremespaltige, bessere Hälften von büroengagierten Karrieremännern. Die Damen sind ausgeruht und geil wie Schifferscheiße. Ich ficke in ihre breiten Ärsche und borge mir diskret kleinere Summen. Die treuen Ehefrauen bezahlen und stecken Vaseline in die Badetasche, »weil es anfangs ein bißchen weh tut«.
Cha-cha stochert in Goldfischen … ein siebzigjähriges Direktorchen möchte sie als Ausnahmslosgespielin … »gestern wurde er fast halb steif« …beschreibt sie mir den fröhlichen Opa … irgendwann bringt er ihn dann hoch, aber wie sie es erzählt, bin ich betrunken und verstehe nicht genau … »dabei war er so glücklich« … der Opa …
»Komme von Novak«, sagt er, steht groß und schwammig vor der Tür und hält mir einen zerknitterten Zettel hin.
›Er ist in Ordnung, wenn du für ihn was hast, machst du mir einen Gefallen‹, steht da.
Ich gebe ihm die Hand und lasse ihn in die Wohnung.
»Ich heiße Harry«, sagt er und plaziert sich auf einen ächzenden Sessel.
Ein paar Whisky, er erzählt, daß er Novak aus dem Gefängnis kennt und jetzt beim Bundesheer ist.
»… aber, wenn du was für mich zu tun hast«, sagt er und beugt sich beflissen vor.
»Brauchst du Geld … na, wahrscheinlich«, sage ich und gebe ihm ein paar Scheine. Er sitzt breit und reibt sich die Hände. Na, mal abwarten, vielleicht ist er zu brauchen. Später bringe ich ihn zur Tür.
»Wenn du in Wien bist, melde dich bei mir«, sage ich, und er nickt und preßt meine Hand. Sein Anzug ist abgetragen und die Absätze vertreten. Cha-cha bringt Goldfische, mein Kontostand bläht sich, und sie kommt sehr spät in der Nacht.
Schwarze Augen glühen über die Theke. Ich schaue über hohe, braun quellende Brüste. Sie federt auf langen Beinen, ein weicher, kurzer Stoff schmiegt sich ins Schamdreieck.
In der kleinen Bar steht sie dicht neben mir. Dann ist da einer, breit und noch größer als ich. Er legt die Hand auf ihre Brust. Sie zuckt, sieht mich plötzlich an. Ich zünde mir eine Zigarette an. Sie ist eine Nutte. Was geht das mich an?
Er ist eine große Nummer unter den Zuhältern.
Ich steige vom Barhocker, will gehen. Meine Waffe liegt zu Hause im Kasten.
»Bitte, bleib da. Ich hab’ Angst vor diesem Monstrum. Bleib da, ich heiße Mara«, sagt sie und hält mich fest.
»Na und?« sage ich.
»Du gefällst mir«, sagt sie.
Du mir auch, aber der Bulle ist eine Nummer zu groß.
»Komm her«, sagt er zu ihr.
»Jetzt steht sie bei mir, und ich bin noch nicht zu Ende«, sage ich. Inmitten seines Lachens sind breite, gelbe Zähne.
»Komm her, Mädchen, scheiß auf ihn«, brüllt er.
»Das solltest du nicht sagen«, die volle Bierflasche trifft ihn gegen die Schläfe. Er klappt sofort vornüber.
»Rufe ein Taxi und spritze ihm Sodawasser ins Gesicht«, sage ich zu ihr, dann gehe ich.
Zwei Tage später komme ich auf der Hernalser Hauptstraße aus einem Lokal. Ich stehe auf der Nebenfahrbahn. Eine Ampel blinkt gelb. Ein Auto hält. Schüsse peitschen. Ich spüre den Schlag gegen das Bein, den Arm, werfe mich hinter einen der Alleebäume. Das Auto rast davon.
Ich ziehe mich am Baum hoch. Später fährt ein Taxi vorüber. Ich halte es an.
»Auf eine Unfallstation«, sage ich. Der Fahrer stellt keine Fragen. Warm und wie Kleister fühlt sich die Feuchtigkeit an. Am Bein, am Arm.
»Oberschenkeldurchschuß und Oberarmsteckschuß«, sagt der Arzt im Spital.
Sie entfernen mir die Kugel aus dem Arm und stecken eine Sonde ins Bein. Dann kippe ich weg.
»Wer war es?« fragt ein Mann in Zivil und, »Kriminalpolizei«, sagt er.
Ich drehe den Kopf weg. Dann unterschreibe ich einen Revers und lasse mir wieder ein Taxi rufen. Cha-cha zittert und kann nicht verstehen.
»Das heilt schon wieder«, sage ich und drehe mich zur Wand. Am Morgen kommen wieder Kriminalbeamte.
»Also, wie war das?« fragt der eine. Ich gebe keine Antwort und sie gehen.
Drei Monate bleibt das Bein gelähmt. Cha-cha verdient, und ich humple durch die Gegend. Dann suche ich mir einen Job bei einer pharmazeutischen Fabrik und arbeite.
Es ist nicht viel. Der Tag hält den Atem an, lackiert die Nägel blau. Grünes, schräg reflektiertes Licht, intensiv, aus Katzenaugen. Sekunden knistern. Normloses, nervöses Gesicht. Augen greifen mich an. Breite Lippen darunter, blaßrosa Gewißheiten. Sie, lebendig, fremd, vertraut, schillernd, vielfarbig. Ich schiebe Tinkturen zur Seite und den Spießbürger. Sie riecht wie früher Flieder und sonnenwarmes Gras.
Sie redet, lacht. Sie, Stella. Herztropfen und Asthmatabletten, Hustensirup und Ampullen, Zäpfchen und Schlackenresorber in einer Schachtel am grünen Metallpult. Ich trage sie nebenher zu ihrem Auto. Unmerklicher Lichtwechsel an mattgrünen Irisrändern.
»Danke«, sagt sie, forsch und kalt.
»Bitte«, sage ich und schaue auf schmale Beine in hohen, schwarzen Stiefeln. »Auf Wiedersehen«, sagt sie. Das Auto rollt weg. Grauer Schneematsch spritzt gegen den Gehsteig. Ich gehe in das muffige Erdgeschoß zurück. Der Alltag erstickt die Fragen. Selten kommt sie, wenn, dann zaudern Minuten.
In der Werkskantine schnappe ich Worte auf. Sie, Stella, ist vierzig, lebt allein. Selten spricht sie mich an. Worte fallen zu Boden, darüber greifen Blicke.
»Können Sie einen Kurzschluß reparieren?« fragt sie. Einen solchen – möglich. »Ja«, sage ich. Schnee zerrinnt auf meinem Gesicht. Sie sagt mir die Adresse und Telefonnummer. Ich weiß längst beides. Mit dem Handrücken wische ich mir das Wasser vom Gesicht.
Cha-cha kommt später, bringt Geld und Gewohntes.
Zwei Tage danach rufe ich abends Stella an.
»Kommen Sie?« fragt sie rasch, undeutlich.
»Ja, in etwa fünf Minuten«, sage ich, stehe in der Kneipe neben ihrem Wohnhaus und lege den Hörer auf.
Was ist? Sie will schlafen mit mir, ich will es auch – Alltägliches. Stella läßt mich ein, nimmt meinen Mantel. Dann sitzen wir einander gegenüber.
Gelbes Licht fließt um ihre Schultern, der Wein ist blutig in den Gläsern.
Schmalgliedrige Finger spielen mit Ringen, einem Wachsapfel.
Warum rede ich vom Gefängnis, der verschlossenen Zeit. Fingerspitzen tasten über meinen Handrücken, und nichts ist mehr alltäglich. Nichts fordert die Pose, das Mißtrauen. Ich steige aus den Blöcken. Zärtlichkeit rieselt heiß und schwer in die Hände. Zeit verschwindet, dann sind unsere Lippen fremde, weiche, geteilte Gebilde, vertraut und in sich. Sie wandern aneinander, feuchten ineinander, greifen und halten, saugen und streicheln im Hauch zeratmeter Worte. Später zerbricht ihr Davor in wildem Schluchzen an meiner Haut.
»Du bist mein Mann«, sagt sie und ist Kind in aufgebrochener Angst.
Ich bin nicht dein Mann. Ich verstehe auch dein Reden nicht. Was ist damit gemeint? Ich lieg’ da und halte dich fest. Was soll ich mit den Tränen. Ich kann sie nicht deuten. Ich habe auch keine Sicherheit – und –, deine Sprache ist mir fremd: verstehe deine Angst nicht, deine Verzweiflung. Du hast gewartet, sagst du, aber, wie kann ich es sein, auf den du gewartet hast … ich, ein Ganove, ein Haltloser. Laß mir deine Haut. Das andere behalte, ich weiß nichts damit zu tun … Ich bleibe zwei Tage, dann ist der Schnee unter meinen Schuhen derselbe, Menschen rempeln mich an, hasten über Kreuzungen, ein Eiszapfen glitzert, gläsern und unberührbar.
»Wo warst du?« fragt Cha-cha.
»Ich habe ein Wochenende durchgesoffen. Mit Leuten, die du nicht kennst«, sage ich teilnahmslos. Cha-cha küßt mich und plaudert vom Samstagsverdienst. Das Eis bleibt im Gehirn.
Da ist Stella. Wie sagte sie: Liebe, verletzliche Liebe … muß ich dem auch einen Namen geben? Welchen? Davon weiß ich nichts. Cha-cha ist meine Halsweite. Ficken, okay; aber das andere, das mir die Fäuste öffnet. Ich will es nicht.
Stella – Weiblichkeit, sprühend, faszinierend, gescheit – ich scheiß drauf. Ich kenne meine Huren und meine Bars. Stella: Das ist die Urfut, die mich verschlingt und weich und wehrlos macht. Ich habe Angst davor. Das ist Glas, und mein Schwanz bleibt hart in ihr. Ich kann nicht spritzen. Ich will das Bild hinter ihr. Bin mißtrauisch, ziehe ihr Reden, ihr Tun in Zweifel. Was weiß ich von Theater und Literatur, Musik und den Schulen der Malerei, von geistvollen Gesprächen mit unbeschwerten Menschen? Die sollen mich doch alle! Ich leere eine Flasche Schnaps und begrabe die blasse Geliebte im Gekotzten. Dann fehlt die Farbe in der Umgebung, die Hoffnung im Warten, die Berührung. Dann wache ich auf – Stella sitzt neben dem Bett.
Ihr Mund ist da, und der Dreck geschieht in einem fernen Leben. Irgendwo schlage ich in ein Maul, das ihren Namen nennt. Zwei Nächte lang prügle ich mich durch Bars, und glücklich, mit zerfetzten Kleidern liege ich neben Cha-cha im Vertrauten, Gelernten.
Am Morgen kotze ich den Ekel aus mir und denke, wie angenehm es sein müßte, nichts, nicht mal sich selbst zu lieben.
Ist es Liebe? Es ist der Finger auf die Stelle, wo das Blatt klebte, wo der Dreckpanzer nicht dicht hält. Die Befreiung sickert ein. Der Psychopath wehrt sich mit aller Kraft gegen die Unterspülung der letzten Bastionen.
In der Firma hantiere ich mit Suppositorien und Baldrian, Kreislauf stützern und Babysalbe. Mein Gehirn peitscht und drängt gegen die zerbröckelnden Mauern des Gettos. Wo ist die Antwort? Wo? … ›Hinter deiner Stirn‹, sagt die Stimme, aber ich glaube ihr nicht, bin nur noch zerfahren und zurückgezogen.
»Verbindet uns noch etwas?« fragt Cha-cha. Ich brauche nicht mal zu überlegen.
»Das Geld, welches du bringst«, sage ich. Doch es stimmt nicht, und ich schlafe mit ihr. Aber was stimmt? Was? Der Ekel! Und nur der Ekel.
Ich versuche es mit anderen Frauen. Seidenfetzen und Kattunröcke, Brüste und Schenkel, Votzen und Ärsche wirbeln. Der Gehirnfrost isoliert mich, auch von mir. Ekligen Träumen folgt tieferer Ekel im Erwachen. Stella darf mir nicht mehr sein als ich ihr.
»Bring dich um«, sagt irgendwer, vielleicht Cha-cha; vielleicht meine Mutter.
Das Weiße, Mehlige zerstoße ich: hundert Tabletten, und saufe es mit Whisky hinunter. Dann, der dunkle Schacht.
Irgendwann erwache ich, und Cha-cha sitzt neben meinem Bett. Aus dem Nebel kommen ihr Gesicht, Fragen und das riesige Zifferblatt der Uhr über der Tür des Krankensaales.
Psychiatrisches Krankenhaus. Blutaustausch und leise, höfliche Fragen; Menschen in Gitterbetten kauen an der eigenen Scheiße, sabbern und lallen. Türen ohne Klinken, steriles Weiß, widerspruchslose Pfleger, vergitterte Fenster und Bohrer an den Schläfen.
»Christus ist im Zimmer«, sagt der Patient, ein Irrer, zu mir. Es ist Nacht, er steht neben meinem Bett.
»Rede du mit ihm, ich bin zu müde«, sage ich und gebe ihm eine Zigarette, dann drehe ich mich zur Wand. Er geht aus dem Zimmer rauchen, redet dabei, mit einem Gott.
Zugangspavillon Nr. 2. Ich spiele mit Pflegern Schach. Sie lassen mich gewinnen, und dann lasse ich sie gewinnen. Ihr stereotypes Reden: »Natürlich hast – du – recht«.
Idioten soll man nicht widersprechen. Ich stehe am Fenster.
»Der Mond ist grün«, sage ich. Der Pfleger nickt. Und am anderen Morgen wieder Fragen und Fragen. Ich kann nichts antworten, den Ärzten nicht, mir nicht.
Cha-cha holt mich nach zehn Tagen ab.
Dann bin ich bei Stella, sitze am Fensterbrett, die Sonne brennt auf meine Schultern.
»Ändere es, das Ganze, und du wirst leben können – mit mir«, sagt sie. Ich höre sie, aber es bleibt außen. Für sie ist diese Liebe Aufgabe: meine Befreiung. In ein anderes Leben gehen, mit mir.
Ich bleibe im Kreis, bin blockiert, der Ekel frißt weiter. Nichts, nichts ist verändert.
Sie hat eine Sommerwohnung am Berg, leuchtend grüne Matten, windgebeugte Bäume. Unten die Stadt, spielzeughaft. Fingerlange Züge und nadelkopf große Autos, Ameisengekrabbel, die Menschen auf den Straßen. Dunst schieiert aus der Steinwüste zu den Wiesen.
Maschen eines Kleides legen Fesseln. Stella wickelt ein Haar um meinen Schwanz.
»Ich zaubere«, sagt sie und beschwört dumpf murmelnd.
»Mach dich, mach uns frei«, sagt sie. Die Härte befreit sich in ihr. Bricht die Sonne oder verglüht nur ein einziger Strahl. Zum erstenmal erschöpft sich meine Erregung.
»Du, du bist mein Mann«, sagt sie, in den erstorbenen Rausch.
Ich steige ins Auto. Sie winkt, und ich fahre in den Dunst, zu den Ameisen.
»Was hat dich verändert?« fragt Mutter. Ich erwarte die Frage seit Tagen von ihr.
»Eine Frau«, sage ich.
»Liebst du sie?« fragt sie und schaut auf das Bild meines Vaters hoch im Mauerwerk zwischen den Blumen, die sie alle zwei Tage erneuert.
»Nein«, sage ich endgültig.
Cha-cha lebt glücklich neben mir. Ich bin nicht brutal, nicht betrunken, das andere wühlt und frißt in mir.
»Er will allein sein, will nachdenken. Vielleicht ist es wieder das Gefängnis?« sagt sie zu Mutter. Die gibt keine Antwort. Manchmal sitzt sie neben mir.
»Du machst dich kaputt. Wenn du alles genau überlegt hast, dann – geh zu ihr«, sagt sie, und ich sehe, wie schwer es ihr fällt, gegen ihre Grundsätze zu sprechen.
Am anderen Tag sitze ich beim Schreibtisch in der Firma. Warenlisten liegen da und Produktionstabellen. Hinter meinem Rücken kichern Weiber. Die Hitze tappt klebrig durch die niedrigen Fenster. Ich lege einen Stift auf die Plastikunterlage. Es ist acht Minuten nach vier Uhr, und ich könnte jetzt aufstehen, mich umziehen, ins Auto steigen, an die Donau fahren, ein Bier trinken. Cha-cha hat drei Kunden, und ich kann sie erst gegen neun Uhr abholen. Ich greife zum Telefon, wähle.
»Kommst du?« fragt Stella mit atemlosem Du.
»Nein, ich habe noch zu tun«, sage ich und lüge. Ich habe nichts zu tun. Sie wartet und sie wartet.
»Bitte komm«, sagt sie und weiß nichts davon. Sie kann es nicht wissen. Ich weiß es selbst erst seit einer Stunde. Klar und deutlich, einfach, durchsichtig wie poliertes Glas. Ich schlucke, hole die Stimme aus dem Weiher.
»Morgen, morgen komme ich«, sage ich langsam, und sie sagt noch einiges, hastend, aber ich lege auf.
Vor vier Wochen mit den Tabletten ist es schiefgegangen, heute wird es klappen. Ich gehe über den schwarzen Bitumenboden in die Warenhalle, versperre zwei Türen, dann lösche ich hinter mir das Licht. Am Schreibtisch klappe ich die Mappe zu und werfe einen Blick auf den Kalender. Pankreatanmasse trifft morgen ein … morgen? Ich gehe in die Garderobe. Der Raum ist muffig und leer. Ich hänge den blauen Arbeitsmantel in den Kasten. Eine Spinne kriecht am Nebenspind, im ersten Stock fällt irgendwo eine Tür ins Schloß. Trappeln im Stiegenhaus. Ein Mädchen steht am Eingang, lacht pummelig und unfrei. Sie ist Sekretärin in der Firma und liebt mich, ermüdend und unschuldig.
»Ich bin fertig, kann ich mitkommen«, sagt sie und steht da.
»Nein, ich habe noch zu tun«, sage ich und schiebe ihre harmlose Rundlichkeit zur Seite.
»Aber du hast doch gesagt …?« sagt sie unsicher fragend.
»Ich habe den Anruf eben erst bekommen. Also verschwinde!« sage ich.
Sie geht. Ich hocke im Auto, eingekeilt in einer Kolonne am Franz-Josephs-Kai, zwanzig, dreißig Minuten. Beim Schwedenplatz dröhnt mir der Kopf. Ich stelle das Auto ins Halteverbot und gehe ins ›Schwedenespresso‹. Ein Gong hinter der Stirn reflektiert die Musik aus der Box, Lachen vom Nebentisch, und ich habe Angst. Knete die Zigarette zwischen den Fingern, dann wische ich die Hände in ein Taschentuch. Oft. Das Serviermädchen hat eine Laufmasche am rechten Strumpf, deutlich und schmerzhaft. Der Kaffee schmeckt nach Seife. Dann trinke ich ein Bier, aber die Lauge bleibt im Mund.
Soll ich nachdenken, kontrollieren, den Druck anfangen, zu leben anfangen, aufhören, mir leid zu tun … alles sehr anstrengend. Ich laß es laufen. Scheiß auf die Weiber, steck ihnen den Schwanz in die Schnauze, nimm ihnen das Geld weg und denk nicht über Dinge nach, welche dir eben immer fremd bleiben. So ist es einfach, und dann, wer scheißt sich drum, wer?
Sieben Uhr. Feuchte, junge Gesichter um mich, feuchte, eifrige Hände streicheln über Wangen. Drei, vier ganz junge Pärchen. Später stecken sie die feuchten Finger dann in erwartungsvoll nässende Spalten, na und? Nichts, geht mich auch nichts an.
Ich bezahle und fahre zum Treffpunkt mit Cha-cha. Das Organmandat werfe ich in den Rinnstein. Sie kommt eine halbe Stunde früher, kühl und glatt.
Die ideale Hure, sieht nach dem fünften Rammstoß frisch und distanziert wie die englische Königin bei der Krönung aus. Dann steigen wir ins Auto; sie massiert meine Haut in der Hose.
Dann beugt sie sich darüber, rutscht mit den Fingern zu den Eiern. Ausfahrt Mödling, steht auf dem Schild auf der Autobahn. Ich schließe für einen Moment die Augen und spritze ihr in den Mund. Sie schluckt und schluckt, dann stößt es ihr auf, sie küßt mich gegen den Hals. Es nieselt plötzlich, und ich fahre schneller.
Meine Hände sind nicht mehr trocken. Ich habe Angst, dann ist Wiener Neustadt da, und der Verkehr lenkt mich ab. Neun Kilometer noch, neun lächerliche Kilometer. Ich halte in Sauerbrunn vor dem Haus. Cha-cha steigt aus. Sie steht neben der Gartentür und wartet.
»Sag Mutter, ich komme später«, sage ich. Und wende mich von ihrem enttäuschten Gesicht weg. Ich fahre in den Ort, geh’ in ein Kaffeehaus, spiele eine Partie Schach. Rede mit dem Chef über ein Wochenende am Neusiedlersee, und dann ist es zwölf Uhr. Leute gehen nach Hause, nach einer Weile ich auch. Ich fahre die schmale Straße vom Hauptplatz weg durch den ersten Bahnviadukt. Rechts, ein schwarzes Schild, der alte Kurpark. Weißblaue Lampen entlang der Fahrbahn glänzen widerspiegelnd am Armaturenbrett. Ohne hinzusehen, streife ich die Asche von der Zigarette. Ich drehe den zweiten Gang hoch, helleres Dröhnen, verflacht nach dem Schalten. Es ist halb ein Uhr nachts. Ich will nichts mehr entgegensetzen, will feige sein. Mein Atem ist ruhig und gleichmäßig, meine Hände triefen. Ich drehe mit der linken Hand leicht am Lenkrad, der Wagen rollt durch den zweiten Viadukt, die Kurve danach. Rechts eine lange Reihe Bäume. Das Scheinwerferlicht zerrt die Stämme aus dem Rand. Mein rechter Fuß drückt das Gaspedal nieder, noch zweihundert Meter, dann werde ich tot sein.
Erinnerungen, Satzfetzen und ein Gesicht, dann kneife ich die Augen zu. Die Straße, aus der Dunkelheit entgegenrasend, ist wässerig, fahlfarbig. Ein Lichtschleier wischt durch das Auto. Der Zeiger der Tachonadel steht auf neunzig Kilometer, die Straße biegt nach links. Der Baum ist schwarz und wie ein Magnet, und die Rinde ist rissig … Ein greller Knall, Messer schneiden in mich.
Der bleiche Schacht mündet in warmes Licht. Das Licht zerfällt in Segmente. Sie treiben mir Nägel in die Knochen, hängen Metallscheiben daran, jede zu einem Kilo. Transfusionen und mein genähtes Gesicht, das gebrochene Becken und das zertrümmerte Hüftgelenk. Der eingedrückte Brustkorb und mein Erstaunen über all das. Junge Gesichter unter weißen Hauben und Lächeln. Cha-cha sitzt neben meinem Bett.
»Wie konnte das passieren?« fragt sie immer wieder.
Wozu? Wozu reden, wenn ich wieder nicht imstande war, es endgültig zu tun, wozu dann unter die anderen streuen?
»Ich bin wahrscheinlich eingeschlafen«, sage ich leise, weil ich noch nicht lauter reden kann.
Im Schacht war ich befriedigt gewesen, und jetzt, werde ich verkrüppelt sein? Stella kommt, ist ängstlich und streichelt über mein nacktes Bein. Unsicher wandern ihre Augen zur Tür, zur Uhr.
Die Nächte sind freundlich, die Schnapsflasche unter dem Bett, die Zigarette. Ich blase den Rauch in die Schlitze der Klimaanlage und greife in einer Schwesternschülerin herum.
Der Tag schaufelt Licht und Hitze. Stella schreibt täglich, ›du mußt nun wissen, wo du hingehörst … wir sind es, wir beide … du mußt dich entscheiden … ich warte, du weißt, wie sehr ich warte‹, so schreibt sie, und ich bin voller Unsicherheit, wie wird es mit dem Gehen, ist meine Hüfte kaputt, was will Stella von mir, warum soll, muß ich mich jetzt entscheiden?
Cha-cha bringt Wodka und Rotwein, und ich bin betrunken und verzagt. Stella ist es auch.
»Du antwortest mir auf keinen Brief«, sagt sie, und ihre Augen brennen an meinem Körper entlang.
Ich besaufe mich, steige aus dem Gerüst, belaste meine Knochen -vier Wochen ist es her. Ich gehe drei Schritte, schweißklebrig falle ich wieder ins Bett. Acht Wochen bleibe ich im Spital, dann unterschreibe ich einen Revers und fahre mit Cha-cha nach Hause.
An Stella, an ›das andere Leben‹, habe ich die Absage geschrieben, dann ziehe ich mir den Nagel aus den Knochen und lerne gehen … zu Hause.
Stella fährt in den Herbst, mit einem anderen Mann.
Seit drei Wochen bin ich aus dem Spital. Die Krücken ziehe ich nach ins Auto. Statt mit dem rechten Fuß bremse ich mit der Krücke. Es ist Nacht, und dann fällt ein Scheinwerfer aus, und da ist nur noch Sehnsucht hinter den Fäden des Regens. Der Wille ist zu schwach. In einem kleinen Ort, zwanzig Kilometer vor Wien, bleibe ich hängen, rufe Stella an.
»Komm, ich kann nicht weiter«, sage ich. Dann ist Stella da, und die Zeit ohne sie verwischt in der Nacht.
»Tu ich dir weh?« fragt sie immer wieder zärtlich und dumm.
»Nein, nein«, sage ich, und mein Körper ist zu Hause. Ein Schmerz ist nicht mehr da, der große, stille, hinter den anderen, der ein Berg war gegen die Schmerzsteinchen in den Knochen. Ihre Hände flechten Berührungen, und ich möchte weinen, aber es ist schon Tag und hell. Dann fahre ich mit ihr zurück zu meinem Auto in dem kleinen Ort. Sie sieht mir nach. Stella ist frei von mir, und ich …
Ich nehme das Bild in den Nebel und fahre durch die braunglatte, feuchte Gegend nach Hause. Zwei Wochen später werfe ich die Krücken endgültig zur Seite, verkaufe die alte Interimskiste, die Cha-cha nach dem Unfall gekauft hat, und bestelle mir ein neues Auto. Mutter schüttelt den Kopf.
»Willst du nicht endlich den Führerschein machen?«, sagt sie.
»Nein«, sage ich.
Polizeibonzen und Aktennotizen und – ›Sie müssen sich fünf Jahre ohne Verwaltungsstrafe bewähren‹ –, ich scheiß drauf, will mich gar nicht bewähren, fahre eben ohne den amtlichen Wisch. Drei Jahre habe ich versucht, die Erlaubnis zu bekommen, aber sie haben abgewinkt, immer war da ein Haar in der Suppe. Sie – Ihre Vorstrafen – der schlechte Leumund, die mangelnde persönliche Vertrauenswürdigkeit. Sie sollen mich mal …
Cha-cha ist betulich und verliebt. Sie schläft nur mehr mit Stammkunden, wenn sie davon erzählt, glaube ich, sie blättert im Familienalbum – »er hat jetzt einen neuen roten Wagen« – »er hat vier Kilo zugenommen« – »seiner Frau wurden die Eierstöcke entfernt«.
Sie plappert und merkt schon lange nicht mehr, daß niemand zuhört. In der Firma bekomme ich einen anderen Job. Labor, Fertigproduktkontrolle. Ich hantiere mit Säuren und Laugen, Karbonaten und Silikaten. Die pummelige Sekretärin ist nicht mehr da, und die fetten Weiber in der Kantine reden von Blähungen und nie ausgefickten Wunschträumen.
Manchmal ist Stella da, dann ist die Tagesscheiße parfümiert. Ich möchte mit ihr sein, aber unsere Augen treffen einander auf der Spitze eines Berges, keiner zeigt dem anderen den Weg, und es geschieht nichts.
Cha-cha erfickt Banknoten in meine Brieftasche. Dann klebe ich mit dem neuen Wagen an einem Laternenmast. Ein Besoffener hat vergessen zu blinken. Das Auto ist Schrott, und ich werde angezeigt – wegen Fahrens ohne Führerschein. Im Krankenhaus unterschreibe ich wieder einen Revers, weil das Brustbein an derselben Stelle gebrochen ist, wie fünf Monate zuvor, und ich am Schädel einige Schrammen habe und liegen sollte.
Cha-cha zieht nach Wien. Wir leben getrennt, nur manchmal hole ich mir Geld. Ich will Stella aus meinem Hirn treiben. Bars, Gesichter und fremde Haut. Sie heißen Anna oder Helga, Doris oder Grete; sie sitzen neben mir, auf irgendeinem Hotelbett. Sie zeigen mir Striemen und blaue Flecken, weinen und erzählen von nächtlichen Schauspielen. Ich bin betrunken und erstaunt. Nüchtern denke ich manchmal, warum geht keine zur Polizei; dann vergesse ich sie. Freunde gibt es keine. Flüchtige Bekannte wechseln rasch. Und wieder Mädchengesichter, hübsche und häßliche und glatte, willige, ängstliche Körper. Jeden Abend die Show, eine steigt immer drauf ein.
»Ich komme mit dir«, sagen sie und haben kein Gesicht. Sie sind vielhaarig und benutzbar, biegsam, behende; Fleisch und Wärme und Worte gegen die Kälte unter meiner Haut. Halbbetrunken überschütte ich sie mit Zärtlichkeiten, lecke, ficke, quäle die Verschreckten. Lutsche ihnen Kot aus dem Hintern, bestrafe sie dafür – die unschuldigen Säue. Sie sind fasziniert und erstarrt, hingerissen und geschockt von dem Wahnsinnigen.
Dann taucht Harry auf. Er redet von Einbruch und Heiratsschwindel. Ich höre nicht zu, und er schleppt eine großäugige, dunkelhaarige Adventbraut an. Sie ist schmal, knabenhaft, kleine Brüste und endlose Nuttenbeine.
»Sie ist Verkäuferin«, sagt Harry. Er zwängt sich neben mich an den Tisch im Wienerwald-Restaurant.
»Such ein Appartement, ich bau’ sie inzwischen auf«, sage ich. Zwei Tage später liefert die Kleine schnell erfickte fünfzehnhundert Schilling ab. Die geborene Dirne.
Vor Weihnachten sagt sie: »Ich habe ein Kind«, und legt Fotos vor mich hin.
»Vergiß es«, sage ich und schiebe die Bilder vom Tisch.
Harry glänzt fett und zufrieden. Am Geschäft ist er beteiligt. Das Mädchen verdient brav und eifrig.
»Schau dieses Kind da«, sagt Harry ein paar Tage später in einem Kaffeehaus am Ring. Blond, jung, zart, sitzt da ein Mädchen und blättert in einer Zeitung. Wir setzen uns an den Nebentisch. Harry starrt, und sein Schweinegesicht ist andächtig.
»Dieser Typ Mädchen … du, wie ein Engel sieht sie aus«, sagt er und schnaubt Rotz genußvoll in ein riesiges Taschentuch.
Die Kellnerin hat Krampfadern. Der Wein ist weiß und warm. Schmeckt wie Jungfrauenpisse, schal und gestockt. Ich gehe telefonieren, aber Stella nimmt den Hörer nicht ab. Wieder am Tisch höre ich Harry zu. Er hat ein geschraubtes Gerede eröffnet. Die Kleine nickt und sagt etwas, leicht und hell. Dreck spritzt draußen auf der Fahrbahn unter den Rädern der Autos. Der Wickel um meine Brust drückt und stört mich beim Atmen. Sie ist siebzehn. Schülerin an einem Gymnasium. Harry glüht verlegen, betet an, bis mir die Galle hochkommt.
»Scheiß auf das kleine Tier. Wir haben was zu tun«, sage ich laut, und er verschluckt sich an einem Satz. Die Kleine reißt unschuldiges Blau auf. Ich greife in ihr Haar, weich wie Angora ist es zwischen meinen Fingern.
»Bist du morgen hier?« frage ich sie. Sie nickt. Ich trete Harry gegen den Fuß. Beim Gehen verneigt er sich und ist nicht einmal betrunken. Vier Querstraßen weit höre ich zu, wie er das ›Wunder‹ analysiert.
»Blasen kann sie sicher nicht«, sage ich, und er schweigt beleidigt.
»Davon weißt du nichts«, sagt er und verabschiedet sich schnell.
Ich verliere meinen Job, weil ich zu lange arbeitsunfähig bin.
Vera heißt das blonde Mädchen. Ich sehe sie wieder. Wir sitzen in einem Kino auf der Landstraße, und ich greife ihr in die Strumpfhose. Sachtes, leises Stammeln: »Ich habe es noch nie getan«, sagt sie. Ich nehme sie ins Hotel mit. Sie ist voller Vertrauen, trotzdem: »Meine Eltern drehen durch, wenn ich nicht nach Hause komme«, sagt sie, und »Harry hat mir gestern gesagt, daß er mich liebt, aber ich mag ihn nicht.« Harry – mit seinen behüteten, weißhäutigen, wohlerzogenen Träumen –, plötzlich schwemmt Haß auf. Sie sitzt furchtsam am Bett, fingert am zu kurzen Kleid.
»Hast du Angst?«, frage ich.
»Ja, du bist verändert«, sagt sie.
»Steig aus deinen Fetzen«, sage ich. Eine Flasche Schnaps ist im Kasten. Ich schenke mir ein Glas voll, dann wähle ich Harrys Nummer.
»Ja«, sagt er.
»Ob sie schreit, was meinst du?« frage ich. Er erkennt sofort meine Stimme.
»Vera ist bei dir, ja?« keucht er.
»Du liebst sie – du weißt doch, was ich gesagt habe, solange wir etwas vorhaben, gibt es keine Liebe. Das weißt du noch?« sage ich langsam.
»Wenn du ihr was machst, bringe ich dich um«, sagt er nach einer Pause,
Ich halte Vera an den Haaren neben mir.
»Ich werde ihr in den Arsch pissen, das Vordere hebe ich für dich auf, magst du?« sage ich. Der Schnaps glüht in mein Gehirn.
»Du Schwein, wo bist du mit ihr?« schreit er.
»Das sage ich dir, wenn ich mit ihr fertig bin. Engel – du wirst dich wundern, wie du deinen Engel wiedersiehst, also bis später«, sage ich und lege auf.
Das Mädchen sieht an mir vorbei.
»Warum … warum«, sagt sie, und dann bin ich blitzschnell in ihr. Sie brüllt, gurgelt. Ich drücke ihr die Kehle zu, dann schreit sie nicht mehr, wimmert nur.
Nach einer Stunde: Ihr Gesicht ist verzerrt, ihr Körper voll Scheiße und Schlagspuren, eingetrocknetes Blut liegt wie Rost auf ihren Schenkeln. Dann rufe ich Rita, die umgeschulte Verkäuferin, an. »Komm her«, sage ich. Eine halbe Stunde später klopft es an der Tür. Rita schaut auf den Körper.
»Gib ihr genug zu trinken, wasch sie. Ich schicke Harry her«, sage ich und nehme mir Ritas Wohnungsschlüssel. Von ihr rufe ich Harry wieder an. »Du kannst sie besichtigen und pflegen. Rita ist bei ihr, nur daß sie keinen Wirbel machen kann. Sie erwarten dich im Hotel«, sage ich.
»Und du? Wo bist du?« sagt er.
»Ich bin in Ritas Apartment«, sage ich, lege auf und schlafe dann ein. Ich bin wach. Die Tür ist eben gesperrt worden, im Vorraum? Harry hat meine Waffe in der Hand. Neun Millimeter Kaliber, böse und auf meinen Kopf gerichtet. Das fette Gesicht ist wächsern, seine Schultern verzogen.
Nichts geschieht. Der Kaktus am Fensterbrett blüht. Er steht noch immer neben der Tür. Er macht einen Schritt vorwärts.
»Du miese Drecksau, du Scheißhund, was hat sie dir getan?«, sagt er und flüstert dabei.
»Nichts«, sage ich.
Er drückt nicht ab – ist zu feige – zu schwammig.
»Was willst du mit meiner Pistole?« frage ich.
»Dich umbringen, dich erschießen. Das ganze Magazin dir in den Schädel pumpen, aber ich kann nicht. Ich kann nicht, ich bin zu feige und du – hast das gewußt. Stimmt’s, du hast es gewußt?« schreit er.
»Kümmere dich mit Rita um sie. Ich will keine Anzeige. Laß dir was einfallen«, sage ich und gehe ins Bad.
Wie ich zurück komme, ist er weg. Später kommt Rita.
»Harry hat mich weggeschickt. Ich weiß nicht, was er vorhat, verschwinde lieber, vielleicht kommt die Polizei«, sagt sie.
Ich tauche unter, höre nichts von Harry. Auch Rita weiß nichts. Sie bringt Geld und weint oft.
»Warum fahren wir nicht weg?« sagt sie dann.
»Wozu?« frage ich.
»Weil ich mit dir leben möchte. Ich könnte in einer Bar arbeiten, und wir würden zusammenleben«, sagt sie.
»Zusammenleben, mit dir? Ich kann nicht mal mit mir leben, wie soll ich da mit jemandem anderen leben, außerdem will ich nicht«, sage ich.
Einer sagt mir, die Polizei suche mich. Wegen Körperverletzung und Erpressung und Entführung. Ich borge mir Geld. Auch von Stella. Jeden Tag wechsle ich das Hotel. Stürme, Kälte und Schnee, Schnaps und stinkende Lokale am Naschmarkt um fünf Uhr früh.
Eine Nacht lang bleibe ich bei Stella.
»Deine Mutter ist wieder im Spital. Es geht ihr schlecht, und sie will dich sehen«, sagt sie. Irgendein Fremder hätte angerufen.
Ich komme in das Krankenhaus. Eine Schwester übergibt mir Mutters Kleidung.
Sie ist vor zwei Tagen gestorben.
Ich gehe im Schneeregen. Mutter ist tot. Krebs. Metastasen im ganzen Körper. Zwei Tage vor ihrem Tod holt die Gendarmerie noch die Wohnungsschlüssel für eine Hausdurchsuchung.