»Tinker? Stimmt etwas nicht bei dir?« Plötzlich klang er putzmunter.

Tinker, das klang so normal. Seit ich Dave kannte, nannte er mich so, weil ich seinen maroden Computer wieder repariert hatte und er glaubte, ich könnte alles wieder reparieren, wenn ich nur wollte. Ich seufzte leise. »Ich habe diese Träume von Kämpfen und Flammenschwertern und diesem Mädchen, das längst tot ist«, setzte ich an, ohne weiter zu zögern. Ich musste einfach raus damit. Und der direkte Weg war der beste Weg.

Schweigen.

»Ich träume auch von dir.«

Ein leises schweres Schniefen. »Du träumst von mir. Ich fühle mich geehrt.«

»So ist das nicht« sagte ich schärfer, weil Ungeduld und Wut in mir aufstiegen, und weil ich gegen die Tränen ankämpfte. »Da ist Adrian, er ist ein Engel und er sagt, in mir wurde die Seele Uriels wiedergeboren. Kannst du das glauben?« Ich wartete gespannt auf eine Antwort. Ich konnte Dave drei Mal schwer ausatmen hören.

»Ja, ich glaube das«, kam es dann leise.

»Du wusstest es also?«, fuhr ich auf.

»Dass du eine Auserwählte bist? Nein. Woher hätte ich das wissen sollen?«

Woher? Er hatte Recht. Bis vor wenigen Tagen war ich vollkommen normal, bis auf gelegentliche Träume, die von normalen Teenagerträumen abwichen, aber davon wusste Dave nichts. »Also bist du auch ein Engel?«, fragte ich ruhiger.

»Ja.« Wieder ein Seufzen. »Soll ich jemanden zu deinem Schutz schicken? Ist da jemand, der auf dich aufpassen kann?«

»Ich brauche keinen Babysitter. Und wenn, dann solltest du kommen.«

»Ich kann hier nicht weg, Tinker. Ich habe hier einen Auftrag zu erledigen.«

Jetzt seufzte ich. »Die Jungs? Das ist dein Auftrag?«

»Ja. Also, soll ich dir jemanden schicken?«

»Nein, ich bin hier gut versorgt. Adrian ist hier. Er mag mich zwar nicht besonders, aber er wird mich wohl nicht im Stich lassen.«

»Adrian ist ein guter Krieger. Beim ihm bist du wirklich sicher. Und wahrscheinlich ist es gut, dass er es ist. Einer von uns würde nur unnötig Aufmerksamkeit erwecken. Keiner wird damit rechnen, dass ein Verstoßener auf die Auserwählte achtet. Welche Kräfte hast du?«

Ich lachte bitter. »Oh, du wirst es nicht glauben, ich habe ein Schwert. Ich kann es rufen, einfach so. Und ich kann Dinge gegen Wände schleudern, nur mit meinen Gedanken. Das ist praktisch. Ich kann meiner Mutter eine Vase hinterherwerfen, ohne dass sie mitbekommt, dass ich es war. Ich kann einfach behaupten, in diesem alten Haus spukt es«, sagte ich nicht halb so begeistert, wie das vielleicht rübergekommen war.

»Ja, das klingt sehr nach Engelkräften. Sag Adrian, er soll dich unterrichten im Umgang mit dem Schwert. Er war einer der Besten.«

»Witzig, dass ihr einem der Besten einfach die Flügel abschlagt. Sind solche Methoden nicht etwas archaisch? Wird er jemals wieder zurückkehren können, wohin auch immer?«

»Leider wahr. Wir sind noch nicht in der Moderne angelangt. Er bekommt seine Flügel zurück, wenn er genug gute Taten vollbracht hat. Er muss sie sich sozusagen zurückverdienen.«

»Und du hast deine Flügel noch?«

»Ja, obwohl ich sie wohl verlieren werde, wenn dir etwas passiert und Irial erfährt, dass ich wusste, wer du bist. Also pass gut auf dich auf.«

»Warum verrätst du mich dann nicht?«

»Wie ich schon sagte, wenn die eine Seite nichts von dir weiß, wird die andere auch nicht von dir erfahren, also solltest du sicher sein. Du musst nur aufpassen, dass keiner etwas von deinen Fähigkeiten erfährt.«

»Okay, ich denke, das schaffe ich.«

Leises Lachen. »Grüß Adrian von mir und pass auf dich auf. Und solltest du in Gefahr sein, melde dich sofort bei mir.«

»Sofort? Du gehst doch die meiste Zeit nicht an dein Telefon.«

»Ab jetzt schon. Gute Nacht, Tinker.«

»Gute Nacht.«

Stumm blickte ich auf das Handy in meinen Händen. Ich hatte es geahnt, oder nein, eigentlich hatte ich gehofft, dass es nicht so war. Aber Dave hatte nicht einmal versucht, es abzustreiten. Das hatte ich auch nicht erwartet. Aber jetzt hatte ich Sicherheit. Adrian hatte mich nicht belogen. Er war ein Engel, ich zum Teil auch. Was sollte ich nur jetzt tun? Warum passierte das mir? Warum musste ausgerechnet ich diese Fähigkeiten haben? Plötzlich kamen sie mir nicht mehr so toll vor. Sie waren Teil von etwas, das ich nicht wollte. Das ich nicht verstand. In einem lag Dave richtig, ich durfte mit niemanden darüber reden. Zumindest nicht mit Menschen. Sie würden mich für verrückt halten. Wer würde einem so was auch schon glauben? Ich kann mir selbst ja kaum glauben, wenn ich mich sagen höre, dass ich Gegenstände mit Kraft meiner Gedanken bewege.

Ich schaltete das Handydisplay wieder an und rechnete die Zeit zurück. Es ist später Abend in New York. Ich tastete nach meiner Jeans, die ich gestern Abend einfach auf dem Boden hatte liegen lassen und fischte den Zettel mit Toms Telefonnummer aus der Tasche. Wenigstens mit Tom konnte ich reden.

»Wird auch Zeit, dass du dich mal meldest«, kam es aus dem Telefon. Ich sah Tom vor mir, mit seinem kupferfarbenen Haar, den Sommersprossen und dem frechen Lachen. Ob er noch immer so schlaksig war, oder ob er seine Pläne, sich in einem Fitnessstudio anzumelden endlich mal in die Tat umgesetzt hatte? Tom hasste seinen zierlichen Körper mindestens genauso sehr wie ich. Dieses körperliche Attribut hatten wir zu unser beider Leidwesen beide von unserer Mutter geerbt.

»Du hättest dich ja auch melden können«, feuerte ich zurück. Wir waren wie beste Freunde, trotzdem gehörte es für uns einfach dazu, uns gegenseitig zu necken.

»Kleine Mädchen sollten um diese Zeit noch schlafen.«

»Große Brüder sollten dafür sorgen, dass sie das tun.«

Lachen. »Wie geht es dir. Ich habe gehört, du hast deine eigene Wohnung.«

»Hast du auch gehört, dass ich in jedem Zimmer Kameras habe?«

»Hast du keine Farbdosen mehr?«

Bei dem Gedanken, alle Kameralinsen schwarz zu machen, musste ich grinsen. Aber eigentlich störten mich die Kameras kaum noch, ich hatte andere Probleme. »Was machst du so da drüben? Wie ist das College so?«

»Unglaublich. Du solltest auch herkommen. Wirklich. New York ist wundervoll und auch das College.« Tom berichtete mir begeistert von seinem neuen Leben. Es schien ihm wirklich gut zu gehen. Ein neidischer Stich traf mich mitten im Herzen. Leicht flackerte Wut in meinem Magen, weil er so glücklich war, weit weg von mir. Während mein Leben nur noch Chaos war. Ich wollte ihm alles erzählen, aber ich konnte es nicht. Wenn ich nur mit einer Silbe erwähnen würde, was bei mir los war, Tom würde den nächsten Flug nach Deutschland nehmen. Das konnte ich ihm nicht antun. Wenigstens er sollte ein normales Leben haben. So schwer es mir fiel, das, was schon in meiner Kehle brodelte und herauswollte, wieder herunterzuschlucken, ich tat es. Die alte Skyler hätte nicht einmal daran gedacht, Tom zu Liebe zurückzutreten. Die alte Skyler war egoistisch. Die neue Skyler brachte es nicht übers Herz, ihrem Bruder sein Glück zu nehmen.

»Und, wie sind die Mädchen da drüben?«, fragte ich so locker wie möglich.

»Wie überall.« Pause. »Nein, stimmt nicht. Die Mädchen hier sind hübscher.«

»Stimmt nicht.«

»Was macht deine Kunst?«

»Nicht viel seit Wiesbaden.«

»Du solltest dran bleiben. Du bist gut. Vielleicht kannst du hier auf eine Kunsthochschule gehen?«

»Vielleicht«, sagte ich, wusste aber, dass das nie passieren würde. Ich musste in der Nähe von Adrian bleiben, einem Engel, für den ich Gefühle hatte, die er nicht erwiderte und die wahrscheinlich nicht meine eigenen waren. Ich musste eben gut werden im Umgang mit dem Schwert, um sobald ich meinen Abschluss hatte, von Adrian wegzukommen. Vielleicht nach New York.

»Ich werde jetzt noch bisschen schlafen«, sagte ich leise. »Morgen ist Schule.«

»Ja, mach das. Und ruf wieder an.«

»Was machst du denn hier?«, wollte ich wissen, und ich konnte nicht sagen, welches Gefühl dominanter war, die Überraschung oder die Wut.

»Dich in die Schule mitnehmen«, antwortete Adrian nicht minder zerknirscht. Er stieg aus dem Cabrio, lief um das Auto herum und öffnete die Beifahrertür. Die Augenbrauen hochgezogen, den Lenker meines Fahrrades fest umklammert blieb ich in unserer Auffahrt stehen.

»Ich nehme das Fahrrad, danke.« Nervös blickte ich mich nach den Zwillingen um. Ich habe sie vorausgeschickt, der BMW hat leider nur zwei Sitze. Und ich kann mich dem Gefühl nicht entziehen, dass sie es sehr begrüßten, dass ich dich zur Schule fahren würde.«

»So, taten sie das?«, sagte ich sarkastisch. »Dann wird es sie wohl enttäuschen, wenn sie erfahren, dass ich das Rad bevorzugt habe.«

»Nun steig schon ein«, forderte Adrian mit gerunzelter Stirn.

»Heh, du warst doch derjenige, der darauf bestanden hat, dass wir uns voneinander fern halten würden.«

Adrian stöhnte laut auf. »Was uns beide privat betrifft, ja. Aber das andere nicht. Du weißt genauso gut wie ich, dass es unmöglich ist, dass ich dich unbeaufsichtigt lasse. Nicht solange du nicht mit deinen Kräften umgehen kannst. Und schon gar nicht, solange diese beiden Gefallenen sich hier herumtreiben. Wenn es dich also beruhigt, ich muss sowieso etwas in der Schule erledigen. Ich muss herausfinden, was die hier wollen.«

Ich lehnte das Fahrrad an die Garagenwand und ging neugierig auf Adrian zu. »Du meinst die Typen aus dem Wald? Das sind …?«

»Ja.«

Zögernd stieg ich in den BMW. »Glaubst du, sie wissen, wer ich bin?«

»Das will ich herausfinden. Die Gefallenen mischen sich gerne unter Kinder mit Problemen. Die lassen sich leichter für ihre Zwecke missbrauchen. Einmal in die Falle getappt, können die Dämonen ihre Seelen für die andere Seite markieren.«

»Du meinst, diese Menschen kommen in die Hölle, wenn sie gestorben sind?«

»Ja, und ganz oft sterben sie früh, weil sie in Unfälle oder ähnlich Tödliches verwickelt werden.« Adrian startete den Motor.

»Was, wenn sie wegen mir hier sind?«

»Darüber denken wir nach, wenn es soweit ist. Bis dahin, halte dich an mich. Aber ich bezweifle, dass sonst irgendjemand ahnt, wer du bist. Keiner rechnet damit, dass Uriels Seele je wiedergeboren wird.«

Adrian hielt den Wagen vor dem Haupteingang. Verwirrt und besorgt stieg ich aus. Ich schlug die Tür zu und Adrian erkannte wohl die Furcht in meinen Augen, denn zum ersten Mal lächelte er mich sanft und tröstend an. »Mach dir keine Sorgen.«

»Da bist du ja endlich!«, rief Mel hinter mir und legte mir ihre Hand auf die Schulter. Ich wandte mich abwesend um. Noch bevor ich Adrian nach Annas Tod fragen konnte, und ob Sam wirklich schuld daran war, war er schon zur Baustelle weitergefahren und die Zwillinge nahmen mich in Beschlag.

»Boah, du wirst es nicht glauben«, schimpfte Jenny drauf los. »Du hattest Recht. Irgendwas stimmt mit unseren Freunden nicht.«

»Exfreunde«, betonte Mel.

»Stimmt. Exfreunde.«

»Warum?«, hakte ich nach und ein Kloß stieg in meine Kehle auf. Ich hoffte nur, dass den Zwillingen nichts passiert war.

»Die fragen uns ständig über dich aus«, meinte Mel.

»Ja, so Sachen wie: Hat sie euch verrücktes Zeug erzählt? Glaubt sie an Engel? Ist euch an ihr etwas aufgefallen?«

»An wem?«, wollte ich wissen. Mel hängte sich bei mir ein.

»Dir, Dummerchen. Die sind besessen von dir.« Der Kloß aus meinem Hals rutschte meine Speiseröhre herunter und blieb als riesiger Felsbrocken in meinem Magen liegen. Adrian täuschte sich, sie wussten etwas.

Panisch sah ich mich nach dem BMW um, aber das Auto war verschwunden.

»Du hattest Recht, die beiden sind Irre.«

»Ja, erst wollten wir dir nicht glauben, aber jetzt schon.« Mel strich mir über den Unterarm. »Wir sollten sie melden.«

»Nein«, sagte ich. »Schon gut. Ich lauf einfach nicht mehr allein nach Hause.«

In der ersten Stunde hatten wir die Dietrich. Während sie einen Vortrag über Goethes Faust hielt, warf sie mir immer wieder Blicke zu. Ich wusste sie nicht zu deuten, aber sie wirkte dabei, als würde sie über mich nachdenken, oder als beobachte sie mich. Sie gab uns die Aufgabe, uns eine Szene des Stücks herauszusuchen, und sie mit eigenen Worten zu schreiben. Ich dachte darüber nach, welche Szene ich auswählen sollte, als Frau Dietrich neben mir stehenblieb. Sie beugte sich über meine Schulter und flüsterte mir ins Ohr, dass sie gerne nach der Stunde mit mir reden möchte. Ich solle nach dem Klingeln einfach in der Klasse bleiben. Verwundert sah ich zu ihr auf, doch dann fiel mir der Aufsatz wieder ein. Wahrscheinlich war sie nicht zufrieden mit meiner Arbeit.

Es klingelte, als ich gerade die ersten Sätze geschrieben hatte. Ich packte meine Schulsachen in meine Umhängetasche und blieb an meinem Platz sitzen.

»Kommst du nicht mit«, wollte Mel wissen.

»Nein, ich soll hierbleiben.« Ich nickte in Richtung Direktorin, die an ihrem Pult saß und sich Notizen machte.

»Dann bis später.«

Das Klassenzimmer leerte sich. Die Dietrich stand von ihrem Stuhl auf, trat an ein offenes Fenster heran und sog tief die letzten Sonnenstrahlen auf. In wenigen Wochen würde der Spätsommer enden. Sie schloss das Fenster und wandte sich zur Tür um, um auch diese zu schließen. Ich beobachtete sie ungeduldig und, auch wenn ich es mir nicht eingestehen wollte, auch etwas ängstlich. Nur wenige Lehrer hatten es geschafft, mich derart zu beeinflussen. Aber die Direktorin der Marienschule hatte etwas Furcht- und Respekteinflößendes an sich. Und das, obwohl sie bisher immer freundlich zu mir gewesen war.

»Machen wir es kurz«, setzte sie an und nahm wieder hinter ihrem Schreibtisch Platz. »Du bist etwas Besonderes. Ich möchte nicht um den heißen Brei herumreden. Ich habe gesehen, was du mit dem Wasserglas gemacht hast. Und auch die Rose hat sich für einen winzigen Augenblick vom Boden erhoben.«

Schockiert zog ich die Luft ein. Ein Zittern durchfuhr meinen Körper und Schauer arbeiteten sich meine Wirbelsäule hinauf. Wie sollte ich darauf reagieren? Sollte ich es abstreiten? Auch, wenn es zwischen Adrian und mir gerade nicht zum Besten stand, aber gerade jetzt wünschte ich mir, er wäre hier und würde mir sagen, was ich tun sollte. Wahrscheinlich abstreiten. Ich holte Luft und wollte gerade zu einer Lüge ansetzen, als mir die Dietrich ins Wort fiel.

»Du musst nicht lügen. Seit Jahren mache ich den Kreis schon. Es gibt einige wenige Kinder mit besonderen Fähigkeiten. Ich suche nach ihnen, um ihnen zu helfen. Das ist meine Arbeit.«

Mit gerunzelter Stirn musterte ich die Dietrich. War sie etwa auch ein Engel? Geträumt hatte ich noch nicht von ihr. Aber hatte ich sie schon irgendwann einmal berührt? Ich holte mir die verschiedenen Situationen in denen ich schon mit der Dietrich zu tun hatte ins Gedächtnis, aber ich konnte mich nicht erinnern, ob ich sie berührt hatte oder nicht.

»Und woher kommen diese Fähigkeiten«, fragte ich deswegen. Wenn sie ein Engel war, wusste sie davon. Dann konnte ich mit ihr offen reden. Aber wenn nicht, dann war sie nur durch Zufall auf etwas gestoßen.

»Das kann ich nicht sagen. Viele der Kinder zerbrechen daran, weil sie diese Kräfte nicht verstehen. Ich versuche sie anzuleiten, damit das nicht passiert. Aber vergiss nie, es gibt Wege, um diese Fähigkeiten loszuwerden, wenn sie mehr Fluch als Gabe sind.«

Loswerden? Eine Option, die ich auf jeden Fall in Erwägung ziehen sollte, aber vielleicht sollte ich erst mit Adrian darüber sprechen. »Wie viele außer mir gibt es denn?« Gab es wirklich mehr wie mich. Wiedergeburten von Engeln? Adrian hatte nichts dergleichen erwähnt.

»Nicht viele. Zumindest stoße ich nicht allzu oft auf welche. Du bist die erste seit vier Jahren.«

»Also wissen sie keinen Grund dafür«, hakte ich nach. Die Angst war gewichen, aber nervös war ich immer noch. Ich würde ein ernstes Gespräch mit Adrian führen müssen.

Sie sah auf ihre Uhr. »Ich wollte dich nur wissen lassen, du kannst jederzeit zu mir kommen. Ich kann dir beibringen, diese Fähigkeit zu kontrollieren und sie gewissenhaft einzusetzen.«

»Einzusetzen wofür?«

»Das wird sich zeigen.« Sie stand auf. »Wie wäre es mit einer kleinen Übung?«

Ich nahm meine Tasche und folgte ihr in den Gang vor den Klassenräumen. Die meisten Schüler waren schon in den Klassenzimmern verschwunden. Nur ein paar befanden sich noch im Gang.

»Siehst du Sina dort drüben vor der Anzeigentafel stehen?«

Ich folgte dem Blick der Direktorin und nickte. »Während der Stunde vorhin habe ich ihr gesagt, sie soll hier warten, weil ich mit ihr reden muss. Ich habe ihr heimlich mein Handy in die Schultasche gesteckt. Das kleine Fach vorne dran. Kannst du es erkennen von hier aus?«

»Ja. Ich soll das Handy hier herholen, oder?« Die Dietrich nickte und lächelte. »Aber wenn es jemand sieht?«

»Keine Angst, niemand sieht her. Konzentriere dich einfach nur auf das Telefon.«

Sina stand gut drei Meter von mir entfernt. Ich spielte nervös mit meinen Zungenpiercing. »Ich habe noch nicht besonders viel Übung«, gestand ich.

»Trau dich einfach.«

Ich konzentrierte mich, starrte die kleine Tasche an und fixierte sie mit aller Kraft. Nichts geschah.

»Stell dir das Handy vor, wie es darin wartet.«

Ich machte, was die Direktorin gesagt hatte. Tränen stiegen vor Anstrengung in meine Augen, doch plötzlich konnte ich eine Art Verbindung zu dem Handy fühlen. Er war, als würde ich danach greifen. Als würde ich es in den Händen halten. Ich stellte mir vor, meine Hände aus der Tasche zu ziehen und mit ihnen das Telefon. Das Telefon rutschte aus der Tasche, schwebte einen Moment neben Sina, dann zog ich es an einer unsichtbaren Schnur zu mir herüber und ließ es direkt in die ausgestreckten Finger der Direktorin gleiten.

»Gut gemacht«, sagte die Dietrich zufrieden. »Wie wäre es mit Mittwochnachmittag nach dem Nachmittagsunterricht?«

»Zum Üben?«

»Genau.«

Ich wollte ihr sagen, dass ich schon einen Lehrer hatte, aber überlegte es mir anders. Vielleicht konnte ich von der Dietrich doch noch andere Dinge erfahren. Vielleicht den Namen einer anderen Person, die so ist wie ich? Wenn die Dietrich wirklich mehr wusste, dann war es möglich, dass Adrian mir einiges verschwieg. Ich nickte bestätigend. Die Dietrich lächelte und ging, ohne Sina Bescheid zu geben, dass sie nicht länger warten brauchte.

»Ihr kennt den Kreis mittlerweile schon.« Wir saßen wieder auf dem Boden der Sporthalle. Die Dietrich hatte kurzfristig beschlossen, alle Schülerinnen ihres Kurses aus den Klassen zu holen, um uns eine Extrastunde ihres spirituell angehauchten Unterrichts zu verpassen. »Heute werde ich euch zeigen, dass uns das Besondere überall umgibt. Ihr werdet staunen, wozu ihr fähig seid.«

Sie ging den Kreis ab, ihr schwarzer Umhang wehte dabei um ihre Beine. »Eine Kerze in jede Himmelsrichtung. Sie symbolisieren Feuer, Erde, Wasser und Luft. Die fünfte stellen wir in die Mitte. Sie steht für den Geist.« Sie ging zur Mitte zurück und platzierte eine Kerze zu ihren Füßen. Sarah meldete sich grinsend zu Wort.

»Ist das nicht Blasphemie?« Besonders gläubig kam mir Sarah nicht vor, aber es interessierte mich, was die Dietrich darauf antworten würde.

Die Dietrich lächelte geheimnisvoll. »Seid ihr nicht alle hier, weil ihr Rebellen seid? Weil ihr nach Ansicht eurer Eltern und der Gesellschaft da draußen nicht so tickt, wie man es sich wünscht?«

Die meisten der zwölf Mädchen nickten einstimmig. Ich enthielt mich, denn ich wusste, dass es auf dieser Welt Dinge gab, von denen meine Mitschülerinnen nichts wussten.

»Rebelliert mit mir. Ich verspreche, ihr werdet Spaß haben.«

Wieder nickten alle, aber in ihren Gesichtern stand Unsicherheit. Unsicherheit, die ich auch verspürte. Was plante die Dietrich? Was sollte das?

Die Direktorin ging wieder den Kreis ab, entzündete die Kerzen und rief nach Feuer, Wasser, Erde, Luft und Geist. »Jetzt ist der Kreis geschlossen. Wir haben gemeinsam einen Schutzkreis errichtet. Nichts kann diesen Kreis verlassen.«

Die Dietrich nahm die Fernbedienung für die Außenrollos der Sporthalle von dem kleinen Tisch, den sie in der Mitte des Kreises stehen hatte, der alle Utensilien enthielt, die sie für ihr Ritual benötigte. Sie ließ die Rollos herunter und die Halle wurde nur noch vom Licht der Kerzen beleuchtet. Sie hielt einen Kelch in den Händen, der dem aus meinem Traum ähnelte. Dann begann sie leise vor sich hin zu murmeln.

Plötzlich schossen die Flammen der Kerzen fast bis zur Decke hinauf. Gleißend helle, aber nicht heiße Feuersäulen. Erschrocken rückte ich von der Kerze ab, die vor dem Mädchen neben mir stand. Auch sie quiekte leise auf. Die Flammen schrumpften auf etwa einen Meter Höhe wieder zurück und flackerten sanft und fast hypnotisch weiter.

»Ihr habt die Geschichten über die Katholische Kirche alle schon gehört. Nicht immer haben sie im Namen Gottes nur Gutes getan. Und auch Gott hat viele Menschenleben genommen.« Die Kerzenflammen begannen zu zucken und warfen lange Schatten in den Kreis. Die Schatten verformten sich, wurden zu Schwertern, Pferden und Menschen. Schreie hallten von den Wänden wider. Zu den Menschen und Pferden kamen brennende Häuser.

»Ich möchte euch zeigen, wie gütig euer Gott ist.«

Meine Mitschülerinnen sahen sich erstaunt an, doch keine wich zurück oder verließ den Kreis und gab sich die Blöße, ihre Angst vor den anderen einzugestehen. Ich verstand noch immer nicht, was hier vor sich ging. Warum die Direktorin einer katholischen Mädchenschule solche Dinge in ihrem Unterricht machte. Und warum sie uns jetzt Gottes Bluttaten vor Augen hielt. Und ich verstand nicht, wie Schatten sich in Silhouetten verwandeln konnten, woher die Schreie sterbender Menschen kamen. Aber ich hatte in den letzten Tagen zu viel gesehen und erfahren, um hierüber noch erstaunt zu sein. Deswegen war ich wohl auch die einzige im Kreis, die nach dem ersten Schreck, entspannt dem Schauspiel auf dem Boden innerhalb des Kreises folgte.

Die Direktorin machte eine den Kreis umfassende Bewegung mit beiden Armen, die Schatten lösten sich auf und formten sich erneut.

»Und Gott sprach zu ihm: Geh durch die Stadt Jerusalem und zeichne mit einem Zeichen an der Stirn die Leute, die da seufzen und jammern über alle Gräuel, die darin geschehen.

Zu den anderen Männern aber sprach er, so dass ich es hörte: Geht ihm nach durch die Stadt und schlagt drein; eure Augen sollen ohne Mitleid blicken und keinen verschonen.

Erschlagt Alte, Jünglinge, Jungfrauen, Kinder und Frauen, schlagt alle tot; aber die das Zeichen an sich haben, von denen sollt ihr keinen anrühren. Fangt aber an bei meinem Heiligtum! Und sie fingen an bei den Ältesten, die vor dem Tempel waren.

Und er sprach zu ihnen: Macht den Tempel unrein, füllt die Vorhöfe mit Erschlagenen; dann geht hinaus! Und sie gingen hinaus und erschlugen die Leute in der Stadt.«

Auf dem Boden des Kreises sahen wir, wie Kinder, Frauen und Männer erschlagen wurden. Wie Leichen vor einem Tempel aufgestapelt wurden. Aber das Schlimmste waren nicht die Schatten, das Schlimmste waren die Schreie der Menschen, die panisch um ihr Leben flehten.

Die Direktorin zitierte weiter aus der Bibel und zeigte uns weitere Morde an ganzen Völkern. Die Schatten bewegten sich über den Boden und spielten nach, wie viel Grauen Gott über die Erde gebracht hatte. Am Ende schwiegen wir alle, saßen erstarrt um den Kreis herum und waren froh, als die Kerzen erloschen und die Direktorin die Rollos wieder öffnete. Keiner sprach oder raschelte auch nur mit seiner Kleidung. In manchem Gesicht konnte ich Tränen sehen. Auch ich kämpfte mit meinen Gefühlen. Ich wusste aus dem Religionsunterricht von all dem, aber nie waren mir die Geschichten so nahe gegangen. Ich hatte mich früher schon gefragt: Was für ein gütiger Gott tut so was? Ich habe nie eine Antwort gefunden. Selbst meine Oma, mit der ich oft über Gott und die Kirche gesprochen hatte, kannte sie nicht.

Jetzt beschäftigte mich noch eine weitere Frage. Wenn Gott so grausam war, waren Engel es dann auch? War ich die Wiedergeburt eines Wesens, das in Gottes Namen gemordet hatte? In meinen Träumen hatte ich viele Tode gesehen, aber ich war mir sicher, dass all die gefallenen Krieger Engel waren, die in einem ausweglosen Krieg gekämpft hatten.

»Glaubt ihr nach all dem, was ihr eben gesehen und gehört habt noch an Gut und Böse?«

Ein Mädchen, dessen Namen ich nicht kannte, weil es nicht in meine Klasse ging meldete sich. »Es gibt kein Gut und Böse«, sagte sie und zupfte dabei nervös an ihrem hellroten Haar, das bis zu ihrer Taille hinunterreichte. »Nichts ist völlig schwarz oder weiß. Alles ist grau.«

»Willst du damit sagen, dass Dämonen und der Teufel auch gut sein können?« Wollte eine andere wissen. Ich dachte kurz darüber nach. War es möglich, dass weder die eine noch die andere Seite wirklich gut oder böse waren?

»Ja, will ich. Luzifer wurde doch nur verstoßen, weil er anderer Meinung war als Gott. Und alle, die auch Luzifers Meinung waren, wurden mit verstoßen. Ich denke, dieser Gott kann nicht damit umgehen, wenn jemand nicht nach seiner Pfeife tanzt«, sagte die Rothaarige aufgeregt und Hitze überzog ihr Gesicht.

»Ja, aber er ist doch der Boss«, warf die Barbiepuppe aus meiner Klasse ein.

»Ja und? Muss deswegen alles richtig sein, was er tut? Darf er deswegen über Leben und Tod entscheiden?«

Die Direktorin räusperte sich und die Klasse verstummte. »Ich wollte euch genau das zeigen. Es gibt kein Gut oder Böse. Niemand von euch ist schlecht, nur weil er getan hat, was er vielleicht getan hat um hier auf dieser Schule zu landen. Was auch immer euch hier hergebracht hat, es macht euch nicht zu schlechten Menschen. Ich möchte euch wissen lassen, mit welchem Problem auch immer, ihr könnt jederzeit zu mir kommen. Ich habe vielleicht einige strenge Regeln an der Schule eingeführt, und ich weiß, mein Ruf unter den Schülerinnen ist nicht der beste, aber ihr könnt mir vertrauen.« Sie sah sich mit ernstem Blick in der Runde um, dann löschte sie mit einem Wisch ihrer Hand alle Kerzen.

Eine heftige Diskussion über Gott und dessen Entscheidungen entbrannte. Ich beobachtete die Dietrich, wie sie ihre Klasse dabei beobachtete, wie sie sich stritten. Die Direktorin wirkte zufrieden. Ich wunderte mich, dass alle in diese Diskussion verfielen, ohne eine Minute darüber zu sprechen, wie die Dietrich das überhaupt angestellt hatte. Niemand schien noch daran zu denken, wie unnormal das war, was hier eben passiert war. War ich einfach zu empfindlich eingestellt, was solche »Wunder« betraf? Hätte ich mir nur halb so viele Sorgen wegen meiner Fähigkeiten machen brauchen? Ich hatte zumindest mit erstaunten Fragen gerechnet, aber alle waren so in das Gespräch vertieft.

Ich hörte weiter schweigend zu und nahm mir vor, die Direktorin später danach zu fragen, wie sie das angestellt hatte.

Nachdem die Dietrich den Unterricht als beendet erklärt hatte, blieb ich noch. Ich musste einfach wissen, ob auch sie war wie ich. Plötzlich sah ich die Direktorin mit anderen Augen. Vielleicht hätte ich mit ihr die Chance Adrian zu entkommen, denn jede Minute in seiner Nähe erfüllte mich mit Schmerzen. Ich konnte die Abweisung nicht länger ertragen. Wenn ich Adrian sagte, ich hätte jemand gefunden, der mich unterrichten könnte, dann musste er mich gehen lassen.

»Sie sind wie ich«, setzte ich an und lief hinter ihr her, während sie die Kerzen aufräumte.

»Ich war nicht ganz ehrlich zu dir«, erklärte sie und stellte die Kerzen auf den kleinen Tisch. Bemerkenswerterweise waren sie nicht mehr geschmolzen, als andere Kerzen nach einer Brenndauer von etwa einer Stunde. Dabei hatten die Feuersäulen mehr Hitze ausgestrahlt, als normale kleine Kerzenflammen. Ich hatte ihre Wärme auf meiner Haut gespürt. Meine Wangen hatten geglüht.

»Ich glaube, einer deiner Vorfahren war ein Nephilim. Von ihm, oder besser dem Engel, der sein Vater gewesen war, hast du deine Fähigkeiten geerbt.«

»Ich weiß«, sagte ich und Frau Dietrich sah mich mit hochgezogenen Augenbrauen erstaunt an. Sie wartete auf eine Erklärung, aber ich verschwieg ihr vorerst, woher ich das wusste, und dass in mir die Seele Uriels wiedergeboren worden war.

»Ich habe diese Schule übernommen, um die Möglichkeit zu haben, Jugendliche wie dich zu finden. Nach außen hin ist das hier nur eine katholische Mädchenschule, aber die Flyer enthalten mit Absicht dezente Hinweise darauf, dass wir auch Problemschülerinnen aus gläubigen Familien aufnehmen und uns gesondert um sie kümmern.« Sie zog ihren schwarzen Umhang aus und stand im dunkelblauen Kostüm vor mir. »Es gibt nicht mehr viele wie dich. Die meisten Nephilim sind vor Jahrtausenden ausgerottet worden. Laut Bibel galten sie als durch und durch böse. Aber das waren sie nicht. Mit ihren besonderen Fähigkeiten haben sie den Menschen nur Angst gemacht. Und den Engeln waren sie auch ein Dorn im Auge. Jugendliche wie du haben oft Schwierigkeiten, wenn sie ihre Kräfte entdecken. Sie wissen nicht, wie sie damit umgehen sollen. Trauen sich nicht, darüber zu sprechen und denken von sich selbst oft, dass sie Abscheulichkeiten wären. Oft machen sie sich Luft, indem sie Dinge tun, wie du sie getan hast.«

Ich wollte einwenden, dass ich nichts von meiner Besonderheit wusste, als ich diese Dinge getan hatte, aber ich schluckte den Kommentar runter. Irgendwie erschien es mir nicht wichtig.

»Um ihnen zu helfen, habe ich diese Schule eröffnet. Wir suchen in den gläubigen Familien nach ihnen, weil selbst in den Generationen, in denen die Fähigkeiten übersprungen werden, immer eine gewisse Sehnsucht nach dem Glauben zu finden ist. Auf irgendeine Weise werden sie alle vom Göttlichen oder Engeln angezogen.« Die Direktorin wies auf den Tisch mit den Kerzen, den Duftstäbchen und den Feuerschalen. »Eigentlich brauche ich all den Humbug hier nicht wirklich.

Der erste Kreis mit der Rose ist dafür da, die unter euch zu finden, die über diese Fähigkeiten verfügen. Ich beobachte, während ihr die Augen geschlossen habt und warte einfach ab, bei welcher von euch die Rose sich bewegt. Deine Ohnmacht allerdings war mir neu.« Sie lächelte mich an. »Der zweite Kreis«, sie machte eine Handbewegung und entzündete eine Kerze, »ist nur Show. Ich könnte die Schattenbilder auch ohne das Drumherum hervorrufen. Aber ich habe die Erfahrung gemacht, dass die Mädchen, die sich niemals wagen würden, mit jemanden über ihre Gabe zu sprechen, doch aus sich heraustreten und Vertrauen fassen können, wenn sie sehen, dass auch ich über übernatürliche Fähigkeiten verfüge.«

Ich dachte einen Moment über das, was die Dietrich gesagt hatte nach und kam zu dem Entschluss, dass das gut erklärte, warum ihr Unterricht so unkonventionell war. Plötzlich verstand ich, was sie hier tat. Sie musste wie Dave sein.

»Sind Sie ein Engel?«, hakte ich nach und musterte sie genau, um nötigenfalls ihre Reaktion deuten zu können. Aber nichts in ihrem Gesicht deutete darauf hin, dass sie mich anlügen würde. Ich hatte zum ersten Mal das Gefühl, das vor mir jemand stand, der mir die ganze Wahrheit erzählte, ohne etwas für sich zu behalten.

»Nein, ich bin ein Nephilim. Eine der wenigen, die überlebt haben. Ich bin schon sehr alt, Skyler.«

Ich suchte in ihren Augen nach diesem Alter, aber da war nichts. Nichts verriet, dass sie mehrere tausend Jahre alt sein könnte.

Die Direktorin hatte wohl bemerkt, dass ich weniger überrascht von dem war, das sie mir erzählt hatte, als sie erwartet hatte. »Du weißt mehr als ich vermutet habe, liege ich richtig?«

Ich erzählte ihr von Dave und seinem Haus in Wiesbaden, verschwieg ihr aber noch Adrian und Samuel, weil ich das Gefühl hatte, die gefallenen Engel schützen zu müssen.

»Dave, ja, ich kenne ihn. Wir hatten schon das Vergnügen. Vor vielen Jahren kreuzte sich unsere Arbeit mal.«

»Ist das hier ein Auftrag, den Sie erteilt bekommen haben?«

»Nein, aber wenn man so lange lebt, dann braucht man eine Aufgabe, sonst besteht die Gefahr, wahnsinnig zu werden.« Sie lächelte wieder und legte mir die Hände auf die Schultern. »Du kannst mir vertrauen. Jederzeit.«

Ich überlegte, ob ich wirklich schon so weit war, aber Vertrauen hatte ich bisher nur in zwei Menschen in meinem Leben gehabt; Tom und Dave. Ihnen hätte ich alles erzählt. Trotzdem musste ich einen Weg finden, den Schmerz, der meine Brust erfüllte, loszuwerden. Um das zu schaffen, musste ich Anna loswerden. Nur wie konnte ich ihre Gefühle in mir ersticken, damit ich mich nicht mehr so sehr nach Adrian sehnte?

»Sie haben gesagt, es gäbe Wege.«

»Ja, ich kann die Kräfte blockieren, wenn du das willst. Aber etwas so schönes sollte man nicht achtlos wegwerfen. Diese Kräfte sind ein Geschenk. Also überleg es dir gut.«

Die Kräfte waren nicht mein Problem. Mit ihnen konnte ich leben. Aber nicht mit dem, was sich durch mein Herz fraß.