19
Für den Bruchteil einer Sekunde dachte Jack, der Lärm, ein ohrenbetäubendes metallisches Hämmern, käme von einem riesigen Generator. Doch dann dröhnte das Rauschen von Wasser durch den Tunnel. Es war, als würde die Hölle losbrechen.
Er konnte nicht mehr länger abwarten und zusehen.
Jack stieß den Lüftungsrotor weg und warf sich im Schutz der Dunkelheit in den Kellerraum. Kristen schrie, und Theo brüllte unverständliche Befehle.
Jack bewegte sich in die Richtung, aus der Theos Stimme kam. Der hob ohne zu zögern die Waffe und drückte ab, als er einen Schatten auf sich zukommen sah – Jack konnte ihm gerade noch die Hand wegschlagen.
Higgie schrie vor Schmerz auf.
»Er ist getroffen!«, kreischte Kristen. »Du hast ihn angeschossen, Theo!«
Theo hatte sich irgendwo hinter einen Stapel Boxen geduckt wie ein in die Enge getriebenes Tier.
Kristen eilte Higgie zu Hilfe. Sie hatte offenbar noch nichts von Jacks Anwesenheit bemerkt. Das Wasser sprudelte jetzt aus der Öffnung des Tunnels in den Keller.
Jack spähte in die Schwärze und versuchte, alle Sinne zu nutzen, um Theo zu finden. Als sich eine der Boxen bewegte, hechtete er sofort darauf zu. Schießen war unmöglich, da er immer noch nichts erkennen konnte.
Higgie stöhnte vor Schmerz.
»Oh mein Gott, er ist in den Bauch getroffen! Theo! Er stirbt!« Ihre Stimme hob sich in Panik.
Versuchte Theo, über die Wendeltreppe zu entkommen? Jack blieb davor stehen und wartete, bereit zu töten.
Kristen rief erneut Theos Namen und ließ Higgie zurück, um ihren Bruder zu suchen; ihre Stimme kam direkt auf Jack zu. Als er die Hand ausstreckte, berührte er ihre Brust.
»Nicht bewegen«, sagte er ruhig und hoffte, dass Theo ihn durch das Rauschen des Wassers nicht hörte.
Jack spürte, wie sie für einen lauten Schrei Luft holte, und presste ihr die Hand auf den Mund. Mit der Hand, die immer noch die Waffe hielt, zog er sie an sich. »Ich werde Ihnen helfen, hier herauszukommen. Sagen Sie kein Wort«, flüsterte er.
Sie bebte am ganzen Körper, brachte aber ein Kopfnicken zustande.
Langsam nahm er die Hand von ihrem Mund.
»Und er?«, murmelte sie und streckte den Arm in Richtung Higgins aus.
»Gehen Sie die Treppe rauf!« Er schob sie an. »Hilfe holen. Lucy finden.«
»Lucy …«
Er schob noch einmal mit Nachdruck. »Los jetzt!«
Als sie die gewundenen Stufen betrat, waren ihre Schritte nicht zu hören, es war also gut möglich, dass Theo nichts davon mitbekam. Das Wasser stand jetzt fünf Zentimeter hoch und stieg rasch. Er musste nichts weiter tun, als Kristen die Treppe hoch zu folgen und sich in Sicherheit zu bringen.
Dann würde Higgie sterben. Ebenso wie Theo.
Doch wenn er dem Schweinehund kein umfassendes Geständnis abnahm, würde Eileen das Gefängnis nicht mehr lebend verlassen.
Jack machte sich auf den Weg durch das Wasser, langsam und vorsichtig, um seine Position nicht durch Geräusche zu verraten. Er hörte etwas, dann drang ihm der Geruch von Schweiß und Angst in die Nase. Eine Sekunde später traf etwas Hartes und Scharfes seine Schulter.
Er stürzte zu Boden, konnte sich aber rasch wegrollen und war sofort wieder schussbereit. Etwas Langes, Silbriges durchschnitt die Luft und zielte auf seinen Kopf. Er rollte sich zur Seite, und im nächsten Moment klirrte nur Zentimeter von ihm entfernt Metall auf dem nassen Betonboden.
Jack holte zu einem Hieb aus und traf auf solides Eisen, schaffte es aber, das Ding wegzuschlagen, gleichzeitig auf die Knie zu gehen und seine Waffe zu heben. Er zielte in die Mitte des Schattens vor ihm und drückte ab.
»Ooh … Scheiße!« Theo sackte zu Boden.
Jack kam mit vorgehaltener Waffe näher und versuchte, in der Dunkelheit mehr zu erkennen.
»Wer sind Sie?«, stöhnte Theo. »Wer zum Henker sind Sie?«
Jack beugte sich näher, immer noch in Schussbereitschaft. Doch Theo konnte kaum atmen, und Jack sah das Weiße in seinen verdrehten Augen.
»Hilfe!« Über ihm hämmerte Kristen gegen etwas. War sie etwa immer noch nicht draußen?
Jetzt konnte er auch Higgins erkennen, der auf dem Boden lag und aus einer Bauchwunde blutete. Jack hatte längst alle Antworten. Aber um Eileen aus der Haft zu befreien, brauchte er handfeste Beweise.
»Lasst mich hier raus!«, schrie Kristen und hämmerte gegen die Falltür.
Jack rappelte sich auf die Beine – das Wasser reichte ihm jetzt bis zur Wade – und nahm die Wendeltreppe im Laufschritt.
»Kristen«, rief er. »Ich kann sie aufstoßen.«
»Sie ist verriegelt«, schrie sie zurück. »Wir sind eingeschlossen.«
Weinend und zitternd stand sie ganz oben auf der Treppe und sah ihm mit einer Mischung aus Verwirrung und Hoffnung entgegen. »Woher wissen Sie, wer ich bin? Wer sind Sie?«
Er holte sie ein paar Stufen herunter. »Ich bin ein Freund Ihrer Mutter.«
»Von Bernadette?«
Er schoss einmal auf die Klappe über ihnen, dann noch einmal. Mehr als sechs Schüsse würde es nicht brauchen, um die Luke zu Higgies Schlafzimmer zu öffnen. Als er so weit war, stemmte er sich mit den Schultern gegen den Lukendeckel und presste mit aller Kraft nach oben, bis Licht auf die Treppe fiel.
»Nein«, sagte er und trat zur Seite, um Kristen hochzuhelfen. »Ihre leibliche Mutter. Eileen.«
Sie erstarrte und sah ihn an. »Dann sind Sie Jack, ihr Schutzengel. Sie hat mir von Ihnen erzählt.«
Er nickte mit einem knappen Lächeln, als Owen Rogers Kopf in der Öffnung erschien.
»Was geht da vor, Culver?«
»Bring die Frau in Sicherheit«, ordnete Jack an. »Wo ist Lucy?«
»Lucy?«
Jack verengte die Augen. »Lucy Sharpe. Die Frau, für die du arbeitest.«
»Ihr geht’s gut«, sagte Owen und streckte Kristen den Arm entgegen.
Jack spürte Empörung in sich aufsteigen. »Ich habe nicht gefragt, wie es ihr geht. Wo zum Teufel ist sie?«
»Sie ist mit ein paar Männern in den Sumpf aufgebrochen, um Sieben zu suchen.«
Jede Zelle in seinem Körper schrie: Unmöglich! Lucy hätte nie einfach so ihre sämtlichen Absprachen ignoriert.
Von unten tönte laut eine Stimme, die flehentlich um Gnade winselte.
»Ist der Richter da unten?«, fragte Owen, während er Kristen durch die Luke zog.
»Ja«, erwiderte Jack.
»Sie können ihn unmöglich allein da rausholen«, sagte Kristen. »Er hat einen Bauchschuss. Er stirbt.«
»Bring sie in Sicherheit«, sagte Jack zu Owen. »Und dann schickst du mir ein paar Leute, die mir helfen sollen, zwei Verwundete hochzuholen, und zwar schnell! Und hol Lucy!«
Jack machte sich auf den Weg zurück in den Keller. Als er unten ankam, stellte er fest, dass das Wasser Higgie inzwischen bis zur Hüfte reichte. Er musste ihn vom Boden wegholen, damit seine Wunde nicht nass wurde, und ihm ein paar Antworten abringen. Dann würde sich herausstellen, ob der Schweinehund es verdiente, am Leben zu bleiben.
Lucy sah zu, wie Marilee einen Schalter nach dem anderen umlegte.
Die Frau des Richters hatte ihr Angebot nie wirklich ernst gemeint. Sie hatte nur zeigen wollen, dass sie am längeren Hebel saß.
»Es wird nicht lange dauern, bis der Tunnel mit Wasser aus dem Sumpf vollgelaufen ist. Ich habe praktisch alle Schleusen geöffnet. Jammerschade, dass dabei all die wertvollen Dokumente ruiniert werden«, sagte sie, und Lucy, die sie inzwischen gut in der Dunkelheit erkennen konnte, las das Missfallen in ihrer Miene. »Aber ich denke, ich kann Spessards Archiv auch so eröffnen, wenn es sein muss. Und selbst wenn er nicht lebend da unten rauskommt, wird sein Ruf unangetastet sein.«
Sie legte die letzten beiden Schalter um. »Am Ende ist es doch genau das, was von einem Menschen übrig bleibt, wissen Sie …«
Ein Klopfen an der Tür unterbrach sie.
»Ich bin’s, Owen. Ich hab hier jemand für Sie, Mrs Higgins.«
Jack? Lucys Herz zog sich zusammen, als der Türriegel beiseitegeschoben wurde und sich die Tür öffnete.
Dann aber war Marilee diejenige, die nach Luft rang, als Owen hereinkam und eine Frau vor sich herstieß, mit der gleichen Brutalität wie bei Lucy.
Offen schockiert über Kristens Anblick taumelte Marilee rücklings. »Lassen Sie sie los, Owen!«
Mit einem provokanten Blick auf Lucy gehorchte er.
»Ich bin nicht tot, Tante Marilee«, sagte Kristen mit einem Leuchten in ihren blauen Augen. »Mir ist klar, dass das ein Schock für dich sein muss, aber ich hatte keine andere Wahl …« Sie blickte zu Boden und entdeckte Lucy, doch im selben Moment schlug Owen die Tür zu, sodass wieder Finsternis im Raum herrschte.
»Hey! Was ist hier los?«, wollte Kristen wissen.
»Du solltest tot sein«, sagte Marilee kalt.
»Das versuche ich dir doch gerade zu erklären«, sagte Kristen. »Ich lebe.«
»Dann müssen wir das korrigieren.«
Owens Handy läutete, und Lucy erkannte Roman Scotts Klingelton. Die Bullet Catcher hatten untereinander jedem eine eigene Erkennungsmelodie zugeordnet, damit sie sofort wussten, wer anrief, auch ohne auf das Display zu sehen.
Steckte Roman etwa auch mit drin? Verzweifelt schloss Lucy die Augen.
»Nein, sorry, ich hab sie nicht gesehen«, sagte Owen. Offenbar sprachen sie über sie, das hieß, dass Roman nicht abtrünnig geworden war.
»Sie könnte überall sein«, sagte Owen abwehrend. »Das Letzte, was ich weiß, ist, dass sie mit Jack irgendwohin wollte.«
Wieso war ihr diese arrogante Falschheit an diesem Typen nie aufgefallen? Oder verhielt er sich erst jetzt so, weil er annahm, dass sie sowieso so gut wie tot war und es nicht mehr darauf ankam?
»Ich sollte nicht mitkommen. Lucy hat mir gesagt, ich soll in Siebens Büro bleiben, und da bin ich jetzt noch.« Sein gespielter aufgeregter Tonfall ließ ihr die Galle hochsteigen. Wie auch immer das hier für sie ausging – ihre Männer würden die Sache aufklären.
Und dann würden sie ihn jagen und in Stücke reißen. Wäre schön, wenn sie dabei sein könnte.
»Fahren Sie mit Kristen in den Sumpf raus«, sagte Marilee seelenruhig, als er aufgelegt hatte. »Knapp einen Kilometer von hier ist eine Insel mitten im Fluss. Töten Sie sie, und lassen Sie die Alligatoren den Rest besorgen. Los, machen Sie schon!«
Owen drehte Kristen den Arm auf den Rücken und zog sie an sich, um ihr die Waffe an die Schläfe zu halten. Als er mit ihr durch die Tür trat, erkannte Lucy, dass Marilee tatsächlich eine Pistole hielt. Eine kleine handliche Raven P25, die ihr bestens vertraut in der Hand zu liegen schien.
Genau das Modell, mit dem Wanda Sloane getötet worden war.
Jede Wette, dass es sogar dieselbe Waffe war.
Sie blickte auf die Schalterkonsole. Würde Jack sterben, ohne die Wahrheit zu erfahren? Oder war er vielleicht schon tot?
Ihr Herz verkrampfte sich, als ein Gedanke sie mit grausamer Härte traf. Es würde genauso kommen wie damals bei Cilla.
Wieder verlor sie den einzigen Menschen auf der Welt, den sie wirklich liebte.
Die Wunde war nicht tödlich, das sah Jack auf den ersten Blick. Doch Higgie war alt und schon zuvor verletzt gewesen, außerdem verlor er rasch Blut. Das einzig Menschliche wäre, ihn die Treppe hinaufzuschleppen, ein paar Bullet Catcher hinzuzurufen, um ihn durch die Luke zu hieven und schnellstmöglich in die nächste Notaufnahme zu fahren.
Dann würde er überleben.
Higgins stöhnte, als Jack seinen schweren Körper zu einer der Boxen schleppte, die so hoch war, dass sie über das Wasser hinausragte. Lange würde das allerdings nicht so bleiben, denn unablässig strömte schlammiges, brackiges Wasser in den Kellerraum.
Theo war tot, und Jack würde sich leicht retten können. Aber Higgie?
»Bitte«, flehte der Richter Jack an, »helfen Sie mir nach oben.«
»Darüber habe ich gerade nachgedacht. Ich bin mir nicht sicher, ob ich das tun soll.«
Der alte Mann atmete mühsam und wand sich vor Schmerzen. »Was wollen Sie? Geld?«
Jack schnaubte nur.
»Sagen Sie’s! Sagen Sie, was Sie wollen, und dann bringen Sie mich hier raus.«
»Ich will, dass Eileen Stafford freikommt.«
Higgins starrte ihn an.
»Und ich will Sie hinter Gittern sehen, für den Mord, den Sie begangen haben, und dass Sie sich öffentlich bei Eileen und ihren Töchtern entschuldigen.«
»Ich habe den Mord nicht begangen.«
Jack lachte trocken. »Sie haben zurzeit nicht viel Verhandlungsmasse, Euer Ehren. Binnen einer Stunde werden Sie verblutet oder ertrunken sein. Und wissen Sie was? Mir persönlich ist das scheißegal. Aber Sie haben einem Menschen das Leben ruiniert, und ich biete Ihnen die Chance, das wiedergutzumachen, Ihr eigenes Leben zu retten und Ihren drei Töchtern etwas zurückzugeben.«
Higgie verzog das Gesicht, diesmal nicht vor Schmerz. »Warum reden Sie immer von Töchtern? Kristen … ist meine Tochter.«
»Eine von dreien.«
Seine Augen weiteten sich. »Von dreien?«
Er hatte es tatsächlich nicht gewusst. »Drillinge. Ihre Geliebte hat am Sapphire Trail drei Babys zur Welt gebracht. Hat man Ihnen das nicht gesagt?«
Er schloss die Augen. »Drei Babys. Oh Gott, was habe ich getan …«
»Das ist genau das, was ich wissen möchte. Die Zeit wird knapp. Ein umfassendes Geständnis, das Versprechen, es schriftlich niederzulegen und auf Band aufzunehmen, damit diese Frau freikommt. Dann werden Sie überleben.«
»Und es sind alles Mädchen?«
»Ja. Eine Professorin für Anthropologie, eine Investmentbankerin und Kristen, die Sie ja offensichtlich kennen.«
Er streckte eine schlaffe Hand nach Jack aus. »Ich habe Wanda nicht getötet. Ich war mit ihr dort, ja. Ich bin geflohen, nachdem der Schuss fiel. Aber ich habe sie nicht getötet.«
»Schön. Wer war es dann?«
Higgins wandte den Kopf zum Tunnel, wo durch den zerlegten Ventilator das Wasser strömte. »Das ist unser … Bewässerungssystem.«
Was? Jack sah ihn fragend an.
»Und das steuert … meine Frau.« Er versuchte, unter Qualen zu atmen. »Sie steuert alles. Sie … ist … zu allem fähig. Zu allem.«
»Ihre Frau hat Wanda Sloane getötet?«
»Ich hatte immer schon den Verdacht … war aber immer zu feige, mich der Wahrheit zu stellen. Sie ist diejenige, die Sie wollen, Jack. Sie ist diejenige, die … alle Antworten kennt.« Er hob den Blick. »Ich schwöre bei Gott, auf die Bibel und das Leben meiner … meiner Kinder. Ich habe dieses Verbrechen nicht begangen.«
»Beweisen Sie es!«
»Das … kann ich nicht.«
»Dann werden Sie sterben.«
»Ich habe keine Beweise. Es gibt keine Beweise. Es gibt nur meine Aussage gegen Marilee.«
Vielleicht stimmte tatsächlich, was er sagte. Sie wäre nicht die erste Ehefrau, die zur Mörderin wurde, um ihrem Mann den Ruf und die Zukunft zu retten. Marilee war dazu mit Sicherheit schlau genug, reich genug, tough genug und hatte genügend Verbindungen.
»Marilee ist eine wahre Strippenzieherin«, keuchte Higgie. »Sie ist extrem gerissen.«
In Jacks Bauch regte sich ein dumpfes, ungutes Gefühl.
»Gerissen genug, um Geschworene, Polizei, Anwälte und Reporter zu bestechen?«
Higgie schnaubte. »Sogar die Krankenschwestern in der Klinik, in der ich war. Sie dachten, ich würde schlafen, aber ich habe alles gehört, was ihr diese Risa zugeflüstert hat. Sie schafft es immer wieder …«
»Wer?« Jack zuckte zusammen. Eine Krankenschwester namens Risa stand auf Marilees Gehaltsliste?
Wenn Risa geredet hatte, wusste Marilee genau, wer er war. Dass Miranda und Vanessa Eileens Töchter waren, hatten sie nie kundgetan. Aber wenn Risa wusste, wer er war, kannte sie auch …
Lucy.
»Warten Sie!«, sagte er und stand auf. »Ich gehe Hilfe holen.«
Am Ende der Treppe angekommen, stemmte er sich mit aller Kraft gegen die Klappe, musste aber feststellen, dass sie sich nicht rührte.
Hatte Owen ihn eingeschlossen?
Das war gar nicht möglich, schließlich hatte er das Schloss zerschossen. Er warf sich erneut dagegen, und in sein frustriertes Fluchen mischte sich Higgies Stöhnen aus der Tiefe des Kellers.
Nicht sterben, Richter Higgins. Nicht jetzt. Ich brauche Sie noch.
Owen hatte ihn nicht eingeschlossen. Aber er hatte die Luke blockiert. Mit einem Möbelstück. Vielleicht dem Bett.
»Bitte … beeilen Sie sich«, keuchte Higgins von unten.
»Die Luke klemmt«, brüllte er zurück.
»Es ist eine Schiebetür«, brachte Higgins mühsam heraus. »Sie läuft auf Schienen. Schnell. Ich kann nicht mehr.«
Wenn der alte Mann starb, würde er niemals Marilees Schuld beweisen können. Und Lucy …
Mit Kräften, von denen er selbst nichts geahnt hatte, versuchte er, die Tür in ihre unsichtbaren Schienen zu verschieben, doch sie bewegte sich gerade einmal ein paar Zentimeter.
Owen musste das monströse Bett darübergeschoben haben, damit er nicht mehr herauskam.
Jack versuchte es erneut und heulte wütend auf unter der Anstrengung, um weitere drei Zentimeter zu gewinnen. Immerhin konnte er jetzt seine Finger hindurchstecken. Wenn er die Klappe fest packen könnte, müsste er sie unter dem Bett wegziehen und in die dafür vorgesehenen Schienen manövrieren können, die in den Boden eingelassen waren. Er war fest entschlossen, hier herauszukommen, Spessard Higgins zu retten, Eileen Stafford zu befreien und den Rest seines Lebens mit Lucy Sharpe zu verbringen. Und kein scheiß Holzstück würde ihn davon abbringen.
Er schob seine Finger in den Spalt und zog. Langsam und ruckelnd bewegte sich die Klappe schließlich in die Schienen, bis sie frei und ungebremst lief und Jack sie vollkommen öffnen konnte.
Die Waffe im Anschlag, nahm er die letzten Stufen, sprang aus der Luke und drehte sich sofort einmal um die eigene Achse, die Pistole in beiden Händen vor sich gestreckt. In dem Moment kam Donovan durch die Schlafzimmertür gestürmt.
»Wo ist Lucy?«, fragte Jack. Er traute jetzt niemandem mehr.
Donovan sah auf die Waffe und hob die Hände. »Ganz locker bleiben, Jack. Ich bin nicht der, den du suchst. Wir wissen nicht, wo Owen und Lucy stecken.«
Jack musterte Rush genauer. Konnte er ihm trauen? »Wo ist Marilee Higgins?«
»Ebenfalls verschollen.«
Verdammt! »Geh da runter und hole Higgins. Bring ihn lebend rauf und fahr ihn in die Klinik. Und ich sag dir eins: Wenn du das versaust, bist du tot.«
Donovan warf ihm einen sengenden Blick zu. »Ich bin auf deiner Seite, Kumpel.«
»Das will ich dir auch geraten haben. Owen ist es nicht – also nimm dich in Acht vor ihm.« Damit machte er sich auf den Weg, um das zu suchen, was auf dieser Welt wirklich als Einziges zählte.
Lucy.