12

Die Vormittagssonne spiegelte sich silbern in den Wellen der Elbe. Ein Containerschiff glitt, von einem Schlepper gezogen, durch das Wasser und schien durch das Panoramafenster zum Greifen nahe. Browning hatte für die beeindruckende Aussicht keinen Blick übrig, sondern sah auf den Monitor des Notebooks. Er fuhr sich mit der Hand über seine kurzen schwarzen Haare und kämpfte entschieden gegen den Anflug von Bedauern an, den er überraschenderweise empfunden hatte, als der Mann zusammengebrochen war.

Erst die Handbewegung, mit der der SEAL seinen Männern befahl, den Bungalow zu verlassen, dann der unverkennbare Anflug von Panik in den bereits verzerrten Gesichtszügen. Weil er spürte, dass es für ihn vorbei war? Vermutlich eher, weil seine Männer sich seinem Befehl widersetzt hatten. Er wusste, wie diese Männer dachten und fühlten.

»Warum ausgerechnet SEALs? Die sind als Gegner nicht zu unterschätzen und werden den Angriff auf eines ihrer Teams nicht hinnehmen.«

Der grauhaarige Mann neben ihm, der seit etlichen Monaten sein Gehalt zahlte, winkte geringschätzig ab. »Das hat schon seinen Grund. Und es war ein wahrer Glücksfall. Bei unseren potenziellen Kunden hat es sich wie ein Lauffeuer verbreitet, dass wir mit der geringen Menge und ohne nennenswerte Vorbereitung ein gesamtes SEAL-Team kampfunfähig gemacht haben. Dieser kurze Film hat wahre Begeisterungsstürme ausgelöst, dazu noch die problemlose Anwendung und der absolut sichere und unauffällige Transport über jede Grenze, und die Nachfrage ist explodiert. Wir können den geplanten Absatz schon jetzt mühelos verdoppeln.«

Sein Chef sprach über das Giftgas wie über die Einführung eines neuen Markenproduktes. Vermutlich war es für ihn auch nichts anderes, einfach ein weiteres lukratives Geschäft. Und zwar eins, auf das er dringend angewiesen war. Nach einem nächtlichen Öffnen des Tresors im Arbeitszimmer hatte Browning einen guten Überblick über die finanziellen Verhältnisse seines Chefs. Es gab zwar im Ausland geparktes Schwarzgeld, aber seine offiziellen Mittel waren so gut wie erschöpft. Viel Zeit blieb ihm nicht, bis ihm die Banken den Geldhahn zudrehten. Er brauchte dringend reguläre Einnahmen, wenn er seinen Lebensstil aufrechterhalten wollte. Das Giftgas war so etwas wie seine letzte Chance.

»Da ich für Ihre Sicherheit verantwortlich bin, bleibe ich dabei: Sie gehen ein unkalkulierbares Risiko ein, wenn Sie sich mit den SEALs anlegen. Sie haben nicht nur alle technischen Möglichkeiten, sie werden auch persönlich hochmotiviert sein.«

»Sollen sie.« Sein Vorgesetzter verzog die dünnen Lippen zu einem selbstgefälligen Lächeln. »Was glauben Sie denn, wie ich die SEALs dazu gebracht habe, sich ausgerechnet dieses Haus vorzunehmen? Sie unterschätzen meinen Einfluss. Wir werden über jeden ihrer Schritte informiert.«

Browning zeigte bewusst seine Überraschung und hoffte, den Konsul so zum Weiterreden zu bringen. Aber zunächst überließ sein Chef es ihm, die Videodatei zu schließen, als die Übertragung erneut begann. Einmal reichte, ein weiteres Mal musste er sich das nicht antun.

Seine Taktik ging auf. »Sie wirken nicht überzeugt. Die Amerikaner werden kurzfristig in Hamburg eintreffen, und wir werden sie erwarten. Bis auf Weiteres brauchen Sie sich nicht darum zu kümmern, das erledigen andere.« Der Konsul lächelte erneut selbstgefällig. »Erst wenn es Probleme gibt, werden Sie aktiv. Bis dahin bereiten Sie das Haus und die Männer vor.«

Browning nickte knapp, konnte sich eine letzte Frage jedoch nicht verkneifen. »Sind die SEALs an den Folgen gestorben?«

Misstrauen erschien auf dem Gesicht des Konsuls. »Haben Sie Ihr Gewissen entdeckt?«

Mit gleichgültiger Miene schüttelte Browning den Kopf und fragte sich, warum sein Chef erstaunlich heftig auf die harmlose Frage reagierte. Da musste noch mehr hinterstecken. »Mich interessiert die Wirksamkeit von Zerberus.«

Der Konsul lächelte dünn. »Das hätte ich mir bei Ihrer Vergangenheit ja denken können, Sie können kaum ein Fan dieser angeblichen Elitetruppe sein. Ich muss Sie enttäuschen, sie waren zu schnell außer Reichweite. Wenn Sie an näheren Informationen interessiert sind, sehen Sie sich den Ordner an.«

Browning griff nach dem dünnen Aktenordner, öffnete ihn jedoch nicht. Trotz seines beachtlichen Gehalts und der bisher leichten, schon beinahe anspruchslosen Aufgabe empfand er tiefe Verachtung für das Vorgehen des Konsuls. In der Öffentlichkeit ließ er sich als Wohltäter feiern, aber in Wahrheit war ihm jedes Mittel recht, um Geld zu verdienen. Grenzen galten für ihn nicht – weder moralische noch gesetzliche. Sekundenlang dachte Browning an die Zeit, als er selbst …

Entschieden schüttelte er die Gedanken ab und schlug den Ordner auf. Den Navy-Offizier auf dem Porträtfoto kannte er. Ausgerechnet Mark Rawlins sollte sein Gegner sein? Das konnte kein Zufall sein. Schlagartig verstand er den Argwohn des Konsuls. Wieder holte ihn die Vergangenheit ein, Bilder erschienen vor seinem inneren Auge. Ein junger Lieutenant mit blutverschmiertem Gesicht und am Ende seiner Kräfte, der ihn dennoch bedrohte, entschlossen, seinen Willen durchzusetzen. Sie brüllten sich an, aber das Geräusch der Rotoren, die Schüsse und das Stöhnen der Verwundeten übertönten ihre Worte. Abrupt kehrte er in die Gegenwart zurück und bemerkte, dass ihn sein Arbeitgeber nachdenklich ansah. Das war ein Test, vielleicht sogar eine Falle. »Ich kenne ihn. Er ist verdammt gut.«

»Dann wird es Zeit, zu beweisen, dass Sie Ihr Geld wert sind. Aber wie gesagt, zunächst werden Sie sich im Hintergrund halten. Haben Sie ein Problem mit ihm?«

Browning blätterte den Ordner rasch durch. Wenn sie Zugriff auf die Personalakten des SEALs hatten, kannten sie vermutlich auch Einzelheiten seiner Begegnung mit Rawlins. »Letztlich ist er dafür verantwortlich, dass ich im Gefängnis gelandet bin. Was glauben Sie denn, was ich von ihm halte? Haben Sie auch Informationen über die anderen Teammitglieder?«

»Die restlichen Unterlagen kommen heute im Laufe des Tages, aber Sie können sich die Amerikaner auch persönlich ansehen. Wir kennen ihre Ankunftszeit.«

Die lang gezogene Rechtskurve führte den Gulfstream-Jet bis an die Nordseeküste. Normalerweise hätte Mark den Anblick genossen, aber jetzt blickte er gleichgültig durch das Cockpitfenster auf die von Prielen durchzogene Wattlandschaft. Nachdem Jake den zweistrahligen Jet in die vom Tower zugewiesene Warteschleife geschwenkt hatte, warf er Mark einen prüfenden Seitenblick zu. »Was ist mit dir?«

»Nichts«, antwortete Mark und hoffte, dass sein Ton ihm weitere Fragen ersparen würde.

»Willst du die Landung übernehmen?«

»Nein.«

»Also gut, du willst nicht mit mir reden, du willst die Anzahl deiner Flugstunden nicht aufbessern, sondern nur aus dem Fenster starren. Meinetwegen, ich habe lieber einen schlecht gelaunten Kopiloten im Cockpit als einen Teamchef in der Kabine, der für schlechte Stimmung unter seinen Männern sorgt.«

Obwohl Mark zugeben musste, dass Jakes Vorwurf berechtigt war, passte ihm die Zurechtweisung nicht. »Pass auf, was du sagst, Lieutenant«, knurrte er.

»Versuch erst gar nicht, deinen Rang auszuspielen, Mark«, erwiderte Jake unbeeindruckt und betonte den Vornamen. »Es gab keinen Grund, Pat fertigzumachen. Seine Sprüche waren nicht schlimmer als sonst. Wenn du nicht darüber reden willst und ich dir nicht helfen kann, dann bekomm dich selbst in den Griff.«

Mark wandte seine Aufmerksamkeit der unter ihnen liegenden Elbe und einem der unzähligen Containerterminals zu. Unwillkürlich dachte er an die bewaffnete Auseinandersetzung mit den Terroristen dort unten zurück. Das leise Summen der Höhenkontrolle beendete seinen Ausflug in die Vergangenheit. Jakes besorgten Blick ignorierend, griff er zum Mikrofon seines Kopfhörers und übernahm die Abstimmung für ihren Landeanflug.

»Bring den Vogel runter.«

»Und dann?«

»Es warten genügend Fahrzeuge auf uns. Das Team fährt nach Ahrensburg, du ins Präsidium, ich habe noch etwas zu erledigen.«

Jakes Kopf fuhr zu ihm herum. »Wieso kommst du nicht mit? Wo willst du hin?«

Als er schwieg, hakte Jake nicht nach.

Durch das Teleobjektiv beobachtete Browning, wie der Gulfstream-Jet seine Parkposition direkt vor einigen Fahrzeugen erreichte und nahezu sofort die seitliche Tür geöffnet wurde. Die Fahrzeuge und deren Kennzeichen hatte er bereits festgehalten. Die Verbindungen seines Chefs zu den SEALs waren anscheinend doch nicht so gut, wie dieser behauptete. Außer dem Teamchef hatten sie bisher weder die Namen noch Bilder der anderen SEALs, aber das würde sich jetzt ändern. Zwei Geldscheine hatten gereicht, um ihnen den Zugang auf das abgesperrte Flughafengelände zu sichern, und der Zoom der Digitalkamera war gut genug, um die Aufnahmen aus sicherer Entfernung zu machen.

Unwillkürlich setzte er die Kamera ab, als ein mindestens zwei Meter großer Mann mit kurzen rotbraunen Haaren die Maschine als Erster verließ. An seinen richtigen Namen konnte Browning sich nicht mehr erinnern, aber er wurde »Fox« genannt. Wer könnte den muskelbepackten Hünen mit schottischen Vorfahren vergessen? Obwohl er lediglich Unteroffizier war, galt seine Meinung im Team viel. Browning erinnerte sich an jede Minute, die sie zusammen verbracht hatten. Für einen Moment dröhnten wieder die Hubschrauberrotoren in seinen Ohren, wie damals, als er blutend und nach Atem ringend am Boden gelegen hatte, über sich den Schotten, der ihm unmissverständlich mitgeteilt hatte, was er von ihm hielt.

»Wieso lächelst du?«, erkundigte sich Brownings Begleiter.

Genervt drehte er sich um. »Ich bin zufrieden, den Gegner zu kennen.«

»Die werden nie auf uns stoßen.«

Browning nickte unverbindlich. Es war nicht sein Problem, wenn der Konsul und seine temporären Kollegen ihre Gegner unterschätzten. Wieder hob er die Kamera, beobachtete und fotografierte die SEALs. Er spürte den forschenden Blick seines Begleiters, als Mark Rawlins als Letzter die Gulfstream verließ, sofort zu einem Audi ging und losfuhr. Die Stimmung unter den Männern schien nicht die beste zu sein, angespannte Mienen, keine Spur der sonst üblichen lockeren Sprüche. Fluchend setzte er die Kamera ab. Er war zu langsam gewesen, den Dunkelblonden hatte er nicht erwischt.

»Hast du alle?«

»Nein, den Dunkelblonden habe ich bisher nur von hinten drauf. Den Rest habe ich.« Auch dieser Mann löste eine vage Erinnerung aus. Der Dunkelblonde bedeutete den anderen Männern mit einem knappen Handzeichen, einen der Mercedes-Kombis zu nehmen, während er selbst auf einen anderen zuging und Browning dabei nicht das Gesicht zuwandte. Das war’s, mehr würde er nicht erreichen. Browning deutete auf einen Flughafenmitarbeiter, der ihnen neugierige Blicke zuwarf.

»Lass uns verschwinden.«

Zum wahrscheinlich hundertsten Mal sah Laura von den Kräutern, die sie klein hacken wollte, zum Mobilteil des Telefons. Sie sollte das verdammte Ding in der tiefsten Ecke des Hauses vergraben. Die Vorbereitung des Mittagessens konnte sie nicht von ihren Gedanken ablenken, die sich nahezu ständig um Mark drehten. Erwartete sie wirklich, dass er sie mitten aus einem Einsatz anrief? Andererseits hatte er versprochen, sich bald zu melden. Leider gab es keine allgemeingültige Definition für die Zeitangabe »bald«. Für Notfälle hatte sie die Nummer seines Satellitenhandys. Er hatte ihr gesagt, dass er damit fast immer erreichbar wäre und so schnell wie möglich zurückrufen würde, wenn sie ihn brauchte. War ihre Ungeduld ein ausreichender Grund, die Nummer zu benutzen? Wohl kaum.

Sie wollte sich gerade wieder den Kräutern zuwenden, als ihr bei einem Blick aus dem Küchenfenster ein dunkelblauer A6 auffiel, der auf der anderen Straßenseite in eine der wenigen freien Lücken einparkte. Wenn er nicht gerade mit dem Motorrad unterwegs war, fuhr Mark den gleichen Wagen. So ging es nicht weiter. Wann würde sie endlich aufhören, bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit an ihn zu denken? Die Petersilie landete in der Spüle, als der Fahrer ausstieg und sie Mark erkannte.

Sie wusste nicht, was sie sagen sollte, als sie die Tür aufriss. Für einen Moment standen sie sich stumm gegenüber, sahen sich nur in die Augen. Dann lächelte Mark. »Willst du mich hier draußen stehen lassen? Wenn du mich mit einem Messer bedrohen willst, solltest du wenigstens ein größeres nehmen. Das Ding betrachte ich als Beleidigung.«

Irritiert sah sie auf ihre Hand, die in Brusthöhe das Küchenmesser fest umklammert hielt. »Ich …« Verwirrt wollte sie sich eine störende Strähne zurückstreichen, aber Mark hielt ihre Hand fest.

»Vorsichtig, sonst stichst du dir ein Auge aus.«

Er schob sie sanft zur Seite, trat ein und schloss die Tür. Dann deutete er auf die zersplitterte Glasscheibe in der oberen Hälfte der Haustür. »Was ist passiert?«

Laura zuckte die Schultern. »Keine Ahnung. Irgendwelche Kinder, die beim Fußballspielen Pech gehabt haben.« Dann fiel ihr sein ernstes Gesicht auf. »Warum?«

Doch er war schon auf dem Weg zur Küche. »Und wo ist dein Wagen?«

Sie lief ihm nach. »Erklär mir lieber, was du hier machst. Ich dachte, du wärst im Einsatz.«

Mark verzog keine Miene, sondern sah sie ruhig an. »Ich habe zuerst gefragt. Also?« Nachdrücklich hob er eine Augenbraue.

Wie sie diese Art hasste. »Die Scheibe war kaputt, als ich vom Einkaufen zurückgekommen bin. Warum fragst du?«

»Ist sonst noch irgendwas passiert?«

»Was meinst du?«

»Irgendetwas Ungewöhnliches?«

»Jemand hat an meinem Wagen die Reifen zerstochen, als er am Flughafen stand.«

Marks Miene verfinsterte sich. »Ist das alles?«

»Nicht ganz, ich habe mir einen Fingernagel abgebrochen.« Endlich zeigte sich sein Grinsen, wenn auch nur für einen flüchtigen Moment. »Ich mache Kaffee. Willst du deine Jacke nicht ausziehen?«

»Wo ist Nicki?«

»Die Kinder sind hinten im Garten.« Ungläubig verfolgte Laura, wie Mark seine Lederjacke ordentlich an die Flurgarderobe hängte, statt sie wie sonst auf einen Stuhl oder den Fußboden zu legen, oder besser gesagt: zu schmeißen.

Wenig später war der Kaffee fertig, und Laura stellte die Becher auf den Küchentisch. »Ich bin froh, dich zu sehen.« Sie lächelte ihn an.

Ein ungewohnter Anflug von Unsicherheit zeigte sich in seiner Miene. »Ich wollte es dir eigentlich schon in Virginia sagen, aber ich wusste nicht, wie.«

»Dann fang jetzt damit an. Ich dachte, du und dein Team zieht wieder los, um die Welt zu retten.«

Ihr Scherz führte nur zu einem flüchtigen Lächeln. »Das sind wir auch. Ich bin nicht privat hier, unser Einsatz hat uns nach Hamburg geführt. Ich arbeite mit Sven und Dirk zusammen, und du bist Teil meines Auftrags.« Er schloss kurz die Augen und verzog den Mund. »Verdammt, ich wollte dir das irgendwie schonender beibringen, und ich meine nicht …« Zum ersten Mal, solange sie sich kannten, schienen ihm die Worte zu fehlen, und obwohl er fließend Deutsch sprach, fluchte er nun leise in seiner Muttersprache.

Nur langsam begriff Laura den Sinn seiner Worte. Enttäuschung machte sich in ihr breit, als ihr klar wurde, dass er nicht ihretwegen hier war. Hatte sie sich alles zwischen ihnen nur eingebildet? »Was habe ich mit deinem Job zu tun?«

»Ich weiß es nicht, vielleicht nichts. Hoffe ich. Aber wenn ich an deinen Wagen und die Haustür denke, vielleicht doch. Bis auf Weiteres kann ich nur für deinen Schutz sorgen. Tom kennst du ja, er wird sich um dich und die Kinder kümmern.«

Schutz? Absurd. Sie hatte niemals jemandem etwas getan. »Wieso sollte ich in Gefahr sein?«

»Ich weiß es noch nicht, nur dass dein Mann darin verwickelt ist.«

»Exmann!«

Wieder zeigte sich sein Grinsen, und wieder verschwand es viel zu schnell. »Den meinte ich. Hat er dir gegenüber irgendwann mal den Namen ›Zerberus‹ erwähnt?«

»Das ist ein Hund aus der griechischen Mythologie, der irgendeinen Eingang bewacht.« Nachdenklich runzelte sie die Stirn. »Das sagt mir was, aber ich weiß nicht genau, wo und wann ich das gehört habe. Wieso?«

»Dein Mann hat den Begriff erwähnt. Mehr weiß ich leider noch nicht.«

Laura hatte das Gefühl, in ihrem Kopf wirbelte alles durcheinander, zu viel war in den letzten Minuten über sie hereingebrochen, aber dann erinnerte sie sich an ihr Gespräch mit Dirk im Flugzeug. »Zerberus ist ein Giftgas, oder?«

Mark zuckte zusammen. »Woher weißt du das?«

Obwohl er seine beherrschte Miene nur kurz fallen gelassen hatte, ahnte sie, was er dachte. Der Schmerz übertraf alles, was sie zuvor gefühlt hatte. »Ich weiß, woran Dirk und Sven arbeiten, also dass es um Giftgas geht, das hier in der Nähe produziert werden soll. Wenn du mit ihnen zusammenarbeitest, liegt die Verbindung ja auf der Hand. Allerdings hat Dirk nicht erwähnt, dass Joachim darin verwickelt ist. Und du glaubst wirklich, dass ich etwas mit so einem Zeug zu tun habe?«

Er wich ihrem Blick nicht aus. »Natürlich nicht.«

Forschend sah sie ihn an. »Dann bist du nicht hier, um herauszufinden, ob ich weiß, was sich hinter Zerberus verbirgt?«

Mark stand auf und schob den Stuhl unter den Tisch. Seine Hände umklammerten die Lehne so fest, dass seine Fingerknöchel weiß hervortraten. »Nein, Laura, nicht nur. Ich bin von den Ereignissen genauso überrollt worden wie du in diesem Moment.«

Auch Laura sprang auf. »Mit einem kleinen Unterschied, Mark. Du wusstest schon in Virginia, dass Joachim in deinen Fall verwickelt ist. Gib das wenigstens zu! Und die ganze Zeit hast du mir misstraut? Wenn es dir nur um Zerberus geht, hättest du mich doch sofort fragen können. Warum warst du nicht ehrlich zu mir, wenn du mich angeblich nicht verdächtigst?« Ohne es zu wollen, war ihre Stimme immer lauter geworden. Das Gefühl, betrogen worden zu sein, wurde übermächtig.

Mark fuhr sich durch die Haare und atmete tief durch. »So einfach ist das leider nicht. Ich …«

Er brach mitten im Satz ab, weil Rami und Nicki ins Haus stürmten. Sofort verschwand Marks ausdruckslose Miene, und er begrüßte ihre Kinder mit der Wärme, nach der sie sich sehnte. Der Schmerz wich und wurde von Wut abgelöst, die sie kaum noch unter Kontrolle hatte.

Das Chaos aus Umarmungen und Rufen, von dem sie sich schmerzlich ausgeschlossen fühlte, wurde von Marks Handy beendet. Bevor Mark reagieren konnte, rannte Rami zur Garderobe. »Ist dein Handy in der Jacke? Ich hole es dir.«

»Stopp, Rami. Finger weg von meiner Jacke.«

Rami blieb bei dem Befehlston wie erstarrt stehen, hatte aber bereits eine Hand in einer Jackentasche. Sie riss die Augen auf. »Da ist …«

Mark stand schon neben ihr und zog ihre Hand zurück. »Das meinte ich. Einen Moment, Rami.« Nach einem raschen Blick auf das Display seines Handys drückte er eine Taste, und das Hardrock-Stück verstummte. »Finger weg von meiner Jacke, wenn sie dort hängt. Ich bin leider nicht privat, sondern dienstlich hier.«

Da hatte Laura die Bestätigung, auf die sie gewartet und die sie befürchtet hatte. Sie biss die Zähne so fest zusammen, dass es schmerzte.

Ramis Augen funkelten vor Aufregung. »Klar, verstanden. Kann ich sie wenigstens mal ansehen?«

Marks Mundwinkel zuckten, als er in die Jacke griff. »Ansehen ja, anfassen nein. Wenn du älter bist, zeige ich dir, wie man damit umgeht.«

Sichtlich fasziniert blickte Rami abwechselnd auf die Waffe und Mark. Der Anblick machte Laura noch wütender. »Rami, lass uns bitte kurz alleine«, forderte sie mit bebender Stimme.

Ausnahmsweise gehorchte ihre Tochter widerspruchslos und nahm ihren Bruder freiwillig mit.

Laura vergewisserte sich, dass die Kinder außer Hörweite waren, und bemühte sich um einen ruhigen Ton. »Mir reicht es. Ich gebe es dir gerne schriftlich, dass ich nichts über Giftgas weiß. Du kannst hier jederzeit als Onkel von Rami auftauchen und sie und Nicki besuchen, aber beruflich will ich weder dich noch einen deiner Männer jemals wiedersehen. Und wehe, du tauchst hier noch mal mit diesem Ding da auf.«

Zum ersten Mal sah sie Mark an, wie hart er um seine Beherrschung kämpfen musste, doch das ließ sie jetzt kalt. »Hast du dir überlegt, dass ich dieses Ding eventuell brauchen könnte, um dich oder die Kinder zu beschützen?«

Laura brachte keinen Ton hervor. Er seufzte und griff nach seiner Jacke. An der Tür drehte er sich noch einmal um. »Der Name deines Exmannes ist im Zusammenhang mit diesem Teufelszeug aufgetaucht. Dem muss ich nachgehen, ob es mir gefällt oder nicht.« Dann ging er.

Am liebsten wäre Laura ihm nachgelaufen. Doch sie tat es nicht.