4.1. Vater und Sohn
In einem Bergdorf unweit von Lucca lebte vor Jahren ein Mann, der es für einen seines Schlages nicht schlecht getroffen hatte. Ein ordentliches Haus, ein ansehnlicher Gemüsegarten mit Obstbäumen, ein paar Äcker in guter Lage und vor allem sein eigener Laden, das war es, was Pietros bescheidenen Wohlstand ausmachte. Dort verkaufte er Würste und Fisch und ansonsten so ziemlich alles, was die Landleute brauchten.
Nun hätte Pietro eigentlich zufrieden sein können, doch bei alledem war er ein engstirniger, hartherziger Mann, unter dem seine Familie viel zu leiden hatte. Dies galt besonders auch für seinen einzigen Sohn Gigi, den der Vater von Kindesbeinen an mit unnachsichtiger Strenge behandelte.
Was Wunder also, dass der Sohn nichts Eiligeres zu tun hatte, als baldmöglichst aus der elterlichen Fuchtel zu entkommen. Er verheiratete sich früh mit einem Mädchen, das eine hübsche Aussteuer mitbrachte, suchte sich einen schönen Platz im Dorf und eröffnete seinen eigenen Laden. Dort bekam man so ziemlich das Gleiche, was auch bei dem Alten zu haben war. Allein die Salami, die dicken Würste, der getrocknete oder eingelegte Thunfisch – bei Gigi schien den Leuten alles irgendwie besser zu schmecken. Außerdem brachte er mit der Zeit doch einige Sachen in sein Geschäft, die es beim Vater nicht gab. Dabei war er stets freundlich und umgänglich und wusste Arm und Reich gleichermaßen gut zu behandeln.
Deshalb kamen die Frauen des Dorfes gerne zu Gigi. Je mehr es nun mit dem jungen Kaufmann bergauf ging, desto schneller ging es mit dem alten bergab.
In Pietros Laden blieben die Kunden aus. Tagelang saß er stumm vor seiner Tür und starrte vor sich hin. Zuletzt verließ er das Haus nicht mehr, verweigerte die Nahrung und war nicht mehr aus dem Bett zu bringen. Er kam so weit herunter, dass man ernstlich um sein Leben fürchten musste.
Eines schönen Sonntags hatte Gigi wieder wie gewöhnlich in der Abendvesper die Orgel gespielt. Anschließend lud der Herr Pfarrer auf ein Gläschen ein. Da waren es doch mehr als eines geworden, und erst vor Mitternacht machte sich Gigi auf den Heimweg. Er nahm eine Abkürzung, die über den Kirchhof führte.
Es war, wie in früheren Zeiten üblich, ein recht verwahrloster Gottesacker. Mit einem halb verfallenen Eingangstor, dazu ganz von Brennesseln und Gestrüpp überwuchert. Gigi ging den schmalen Fußweg entlang, als sich plötzlich ein dunkler Schatten zwischen den Gräbern bewegte. Er fühlte, wie ihm ein eisiger Schauer durch Mark und Bein kroch. Sein Kopf wurde ganz leer vor Angst. Um sich selber Mut zu machen, stieß er mit dem Gehstock auf die Erde und rief: »Wer da, wer ist da?« Im gleichen Atemzug schoss ein großer schwarzer Hund an ihm vorbei, rannte im Sprung gegen sein Bein und ließ ihm etwas vor die Füße fallen, rund wie eine Bocciakugel. Gigi bückte sich, tastete danach und hielt einen Totenschädel in den Händen. Voller Entsetzen starrte er in die hohle Fratze. Was er da sah, war so fürchterlich, dass ihm das Blut in den Adern stockte. Er stieß einen Schrei aus, verlor die Besinnung und schlug zu Boden.
Die Leute, die Gigi am anderen Morgen fanden, hielten ihn zunächst für tot. Dann wurde aus dem Nachbardorf der Doktor gerufen. Der gab sich alle Mühe, und am Ende kehrten die Lebensgeister wieder zurück. Aber das Einzige, was der arme Gigi von sich gab, war ein unverständliches Gestammel, aus dem man lediglich das Wort Totenkopf heraushören konnte. Den fand man denn auch auf dem Gottesacker, der Geist des Bedauernswerten jedoch fand seinen Weg nicht mehr zurück. Gigi saß nur noch da und starrte mit stieren Blicken vor sich hin. Gelegentlich unterbrochen von krampfartigen Zuckungen der Glieder sowie einem unverständlichen Gebrabbel. Dies ging eine gute Woche lang, bis der Tod seinem Leiden ein Ende machte.
Zuerst zögerte man in der Familie, den kranken, alten Vater vom Schicksal seines Sohnes in Kenntnis zu setzen. Doch kaum hatte Pietro von Gigis Ende erfahren, da ging eine erstaunliche Verwandlung mit ihm vor. Er stand wieder auf, wusch sich, zog saubere Kleider an und benahm sich genauso, wie er es vor seiner Erkrankung getan hatte. Den Sohn indessen erwähnte er mit keinem einzigen Wort mehr. Es war, als ob es diesen niemals gegeben hätte.
Bald nahm Pietro auch seine Geschäfte wieder auf. Mit eigenen Augen habe ich ihn auf dem Marktplatz von Lucca gesehen. Gesund und munter, wie ich es selber gerne gewesen wäre. Ihr glaubt es nicht? Ich schwöre euch beim Heiligen Kreuz Christi, dass es nichts als die Wahrheit ist. (MÄRCHEN AUS ITALIEN)
4.1.1. Überlegungen zum Märchen
In dieser Vater-Sohn-Tragödie behält am Ende Kronos, das alte System, der alte König, die Oberhand. Der Vater überlebt den Sohn. Objektstufig gesehen: Es gibt »schreckliche« Väter, die ihre Söhne verderben, sie nicht hochkommen lassen, sich nicht überwachsen lassen, den Thron nicht räumen wollen.
Dazu eine wahre Geschichte: Ein Vater, Bundesligaspieler im Tischtennis, hat einen Sohn, den er ehrgeizig trainiert. Irgendwann wird der Sohn so gut, dass er sein erstes Match gegen den Vater gewinnt – woraufhin der Vater einen Monat kein Wort mehr mit ihm wechselt! Sich vom eigenen Sohn körperlich, geistig, seelisch überwachsen zu lassen, ist für jeden Vater eine große Herausforderung und potenzielle Kränkung. Oft ist eine subtile Botschaft im Spiel: Werde stark (klug, erfolgreich etc.), aber nicht stärker (klüger, erfolgreicher etc.) als ich! Dieses Problem findet sich auch in der Lehrer-Schüler-Beziehung. Der Vater, Meister, Lehrer, der sich von Herzen für den Sohn bzw. Schüler freut, der besser wird als er – in der Wirklichkeit ein eher seltenes Exemplar.
Subjektstufig gesehen: In uns allen wohnt Pietro, der Repräsentant des alten Systems, der Geist, der stets (das Neue) verneint. Wir sind Gewohnheitstiere, in der Regel ziemlich automatisiert in unseren Gedanken und Handlungen. Nur wenn wir lebendig bleiben wollen, muss unser innerer Pietro zulassen, von unserem inneren Gigi überwachsen zu werden! Aber wer kennt das nicht: Je mächtiger Gigi (der neue Entwicklungsimpuls) wird, desto mehr ruft er das alte System auf den Plan: Die inneren »Niedermacher«, negative Gedanken und Schuldgefühle. »Ändere nichts!« ist dann die Devise.
Zurück zur Geschichte: Von Anfang an werden der strenge, düstere Pietro und der freundliche, lebenslustige Gigi als polare Gegensätze dargestellt. Pietros Frau, die Mutter von Gigi, wird nur indirekt erwähnt, es scheint eine Familie zu geben. Es wird von Eltern gesprochen, die Mutter als Person tritt allerdings in der ganzen Geschichte nicht in Erscheinung, wie so häufig in Märchen, denen das patriarchale Beziehungsmuster zugrunde liegt. In dieser Art von Beziehung ist die Frau als Person nicht erwähnenswert, nur in ihrer Funktion als Mutter, Gehilfin und Geliebte.
Interessant ist, dass Gigi von Anfang an versucht, dem strengen Vater zu entkommen. Söhne, die einen Pietro zum Vater haben, versuchen häufig, dem Reich des alten Vater-Königs zu entfliehen. Hier kann das Lebensskript entstehen: Ich will nie so werden wie mein Vater. Ich mache alles ganz anders! Verständlich, nur: Gigi ist Pietros Sohn, trägt seine Gene in sich. Niemand kann geschichtslos leben, so wünschenswert das auch sein mag!
Der freundliche Gigi scheint auch nur auf den ersten Blick der Gegenentwurf zu seinem Vater zu sein – denn der Apfel fällt nicht weit vom Stamm. Gigi bleibt im heimatlichen Dorf, »nahe beim Vater«, er wählt denselben Beruf wie dieser, er bleibt sozusagen im »alten Königreich«. Dann beginnt er, den Vater zu überwachsen, wird besser als er. Dies kann man auch als subtile Rache verstehen. Den Vater im eigenen Metier zu besiegen, ist für diesen sicherlich kränkender, als wenn der Sohn einen ganz anderen Weg gewählt hätte (siehe das Tischtennisbeispiel)!
Obwohl von keiner direkten Auseinandersetzung die Rede ist, spitzt sich der Vater-Sohn-Konflikt zu. Nur einer kann gewinnen, überleben: Vater oder Sohn. Geht es bergauf mit Gigi, geht es bergab mit Pietro. Zunächst scheint Gigi die besseren Karten zu haben, er erscheint in seiner Lebenssituation glücklich, zufrieden und rund. Die Macht des Vaters scheint zu schwinden, er legt sich aufs Totenbett.
Nicht selten haben Söhne oder Töchter das Gefühl: erst wenn Vater oder Mutter gestorben sind, kann ich anfangen zu leben! Doch wenn es dann soweit ist, öffnen sich im Traum die Sargdeckel, man stellt fest, dass die Eltern noch putzmunter und lebendig sind – im Unbewussten!
Es ist so wichtig, sich mit den inneren Eltern auseinanderzusetzen, mit den Spuren, die Vater und Mutter in unserer Psyche hinterlassen haben seit unserer Geburt. Die inneren Jahresringe unseres Lebensbaumes werden wir niemals los – wir können sie nur bewusst machen und annehmen und ihnen dadurch ihre dunkle Macht nehmen. Nur wenn wir uns mit Vater und Mutter versöhnen, ist Versöhnung mit uns selbst möglich – unsere Eltern sind schließlich in uns!
Zurück zu Gigi: Er scheint sich vom Vater emanzipiert zu haben, hat »es geschafft« im Geschäftsleben, ist (vermutlich glücklich) verheiratet und überall beliebt. Auch kommen die Frauen des Dorfes gerne zu ihm, seine Waren schmecken »irgendwie« besser, d.h. seine Ausstrahlung, seine Energie »schmeckt« besser als die des Vaters. Warum ist die Geschichte jetzt nicht zu Ende? Aus einem Grund: Gigi ist nicht vollständig. Er ist eine Gestalt ohne Schatten – Märchen wissen aber, dass Licht ohne Schatten, hell ohne dunkel nicht sein kann.
Wird eine Gestalt nur freundlich und hell dargestellt wie Gigi, braucht man nur auf den schwarzen Hund oder den Totenschädel zu warten. Dass das gerade auf einem Friedhof passiert, ist nicht zufällig, denn dort ist der Platz der Ahnen. Es ist der Ort, der uns an unsere Vergänglichkeit erinnert, aber auch daran, dass wir eine Geschichte haben, dass es einen Stammbaum und eine Ahnengalerie gibt. Dass es sich um einen verwahrlosten Friedhof handelt, deutet sicherlich darauf hin, dass Gigi sich mit seiner Geschichte bisher – wenn überhaupt – nur sehr schlampig auseinandergesetzt hat. Das Reich der Vergangenheit ist nicht aufgeräumt, nicht in Ordnung.
Es braucht Mut, sich des verwahrlosten Friedhofs anzunehmen, die Geheimnisse der Ahnengalerie zu lüften, gerade wenn dort Gestalten des Schreckens wohnen. Dann ist es nahe liegend, beispielsweise Psychotherapie oder Selbsterfahrung zu meiden wie der Teufel das Weihwasser. Aber: »Wovor du Angst hast, daran wirst du sterben!«, sagen die Indianer. Don Juan sagt zu Carlos Castaneda: „Ein Krieger ist immer gefasst auf einen Schlag von ungeheurer Wucht.“
Wer wie Gigi schon lange vor der Auseinandersetzung mit dem Schatten der Vergangenheit flieht, hält diesen Schlag oft nicht aus. Was bedeutet der Blick in den Totenschädel? Wird Gigi mit einem Mal bewusst, dass sein Vater im Sterben liegt – und dass er selbst dafür mitverantwortlich ist? Ist es der Schädel des Vaters? Begreift Gigi, dass – wenn er selbst leben und glücklich sein will –, er seinen Vater »tötet«? Begreift er mit einem Mal, wie viel destruktive Energie – die des schwarzen Hundes – zwischen Vater und Sohn, auch in ihm selbst unterwegs ist?
Vermiedene Auseinandersetzung mit den Eltern offenbart sich oft um die Lebensmitte herum. Ich kenne viele Menschen, die gerade in dieser Zeit ihres Lebens feststellen: In gewisser Hinsicht bin ich Vater oder Mutter sehr ähnlich geworden, obwohl ich es nie wollte: Etwa genauso überarbeitet, verschlossen und einsam wie der Vater oder genauso depressiv, unglücklich und krank wie die Mutter. Der Fluch der Vergangenheit hat mich eingeholt!
Diese Problematik wird unterstützt durch moderne Therapieformen, die uns auffordern: Kümmere dich nicht um die Vergangenheit! Entwickle Visionen! Ändere die mentalen Konzepte in deinem inneren Computer! Denke positiv und alles ist möglich! So wichtig diese Therapieformen sind, so wichtig dieser Ansatz ist gerade als Gegenentwurf zur vergangenheitsverliebten Psychoanalyse, so einseitig ist er auch. Märchen zeigen: Wenn wir nicht bereit sind, unsere Hausaufgaben im Reich der Väter und Mütter zu erledigen, dann holt uns der Schatten der Eltern irgendwann ein, dann geraten wir wie Gigi irgendwann in diese Friedhofsituation und werden von dem Vermiedenen überwältigt. Bezeichnenderweise folgt die – unvermeidliche – Begegnung mit dem Schatten einer sehr idyllischen Situation: Gigi hat die Orgel in der Kirche gespielt und mit dem Herrn Pfarrer das ein oder andere Gläschen getrunken. Daraufhin »gerät« er auf den Friedhof, er sucht diese Herausforderung also nicht bewusst, genauso wenig wie er seinem Vater bewusst gegenübertritt, ihm in die Augen sieht. Bei der Alternative »Flüchten oder Standhalten« wählt er die erste Möglichkeit.
An diesem Punkt taucht natürlich die Frage auf: Was hätte Gigi denn tun sollen? Mit diesem Vater reden? Der hätte doch nie zugehört und verstanden! Vielleicht stimmt es, dass wir manchmal Väter und Mütter haben, mit denen nicht zu reden ist, die ihr Herz verschlossen haben und für uns unerreichbar sind, wie sehr wir uns auch bemühen mögen. Das befreit uns aber nicht von der Aufgabe, uns mit dem psychischen Erbe dieser Eltern in uns selbst zu beschäftigen.
Ich habe früher in Gruppen – halb spielerisch, halb ernst – einmal folgende Übung gemacht: Denk an deinen Vater, deine Mutter und schreib ganz schnell drei positive Eigenschaften deines Vaters, so wie du ihn erlebt hast, auf, drei positive Eigenschaften deiner Mutter, drei negative Eigenschaften des Vaters und drei negative Eigenschaften der Mutter. Dann lies dein Blatt vor und beginne jeden Satz mit: »Ich bin…« und nicht: »Mein Vater ist …« oder »Meine Mutter ist …« Wenn man genau hinschaut, stimmen diese Sätze allesamt. Eine Kinderweisheit sagt ja: Was man (über andere) sagt, das ist man selbst! Was man an den Eltern besonders stark wahrnimmt – sei es im positiven wie im negativen Sinne – ist immer auch ein Spiegel für etwas, das in uns existiert. Wir entkommen den Eltern nicht. Die inneren Jahresringe des Lebensbaumes sind unveränderbar, andererseits können wir uns darum bemühen, dass die folgenden Jahresringe immer mehr unsere eigenen werden, immer mehr von unserem inneren König, unserer inneren Königin bestimmt werden.
Natürlich könnte man in dieser Geschichte auch den kollektiven Aspekt betrachten. Wir in Deutschland etwa haben eine Vergangenheit, die durchaus an Pietro erinnert – Pietro, Petrus, der Fels; sicher ist dieser Name nicht zufällig gewählt. Wenn wir zum Beispiel an das Preußentum denken, mit seiner Strenge, Disziplin und gnadenlosen Härte gegen sich und andere, erinnert das sehr an Pietros Energie. Und wie auch in diesem Märchen kann diese Einseitigkeit den Gegenpol auf den Plan rufen, eben diese »Gigi-Haltung« der tanzenden Hippies, die keine Lust haben auf die Strenge oder Ernsthaftigkeit der »Preußenväter«. Die Schattenseite des »kollektiven Gigi« heute ist die Oberflächlichkeit der Spaßgesellschaft. Doch wenn wir ein Pietro-Erbe haben, in welcher Form auch immer – kollektiv wie individuell – dann will dieser Pietro auch eingeladen werden ins Leben als ein Teil unserer selbst. Deshalb müssen wir ja nicht alles genauso machen wie er. Strenge muss ja nicht von vornherein rigide und herzlos sein, sie kann auch dem Leben dienen. Die liebevolle Gnadenlosigkeit eines Zen-Meisters wäre solch ein positiver Aspekt der Pietro-Haltung, oder einfach Geradlinigkeit, Ehrlichkeit und Klarheit: »Wahr reden, wahr handeln«.
In der Arbeit mit diesem Märchen passiert häufig Folgendes: Zunächst wird Pietro als der große Unsympath empfunden, als Hassfigur. Er erinnert natürlich auch an strenge Eltern, die wir vielleicht dereinst hatten, unter denen wir gelitten haben. Gigi wird zunächst als der Gute, als Opfer des bösen Vaters erlebt. Je tiefer man aber in diese Geschichte eintaucht, desto fragwürdiger wird auch die Haltung von Gigi. Gerade von Frauen wird er oft als eine Art Nicht-Mann wahrgenommen, irgendwie nett, aber konturlos. Und das Wort »nett« ist ja nicht gerade ein Kompliment. Da fehlt eben die Energie des schwarzen Hundes.
Der schwarze Hund ist ein Bild für dunkle Männlichkeit. Eines der Attribute des Kriegsgottes Ares ist der Wolfshund. Die kriegerische Energie des Wolfshundes ist bei Gigi nicht zu spüren, sie fehlt ihm zur vollständigen Männlichkeit. Wenn »Wolfsenergie« lange vermieden und ausgesperrt wird, wird sie oft destruktiv und so machtvoll, dass man von ihr überwältigt wird. Dann läuft der freundliche, unauffällige Mensch, der dreißig Jahre lang mit niemandem Streit hat, auf einmal Amok. Er wird überwältigt von der Energie des »inneren Höllenhundes«. Oder derselbe nette Mensch »gerät« in eine Wirtshausschlägerei, und gerade ihm fliegt der Maßkrug an den Kopf. Der schwarze Hund begegnet ihm von außen.
Vermutlich ist Pietro mit dem schwarzen Hund vertrauter, als sein Sohn. Er mag nicht sympathisch sein auf den ersten Blick, man traut ihm aber zu, zuzubeißen, Entscheidungen zu treffen, Härte zu zeigen und konsequent zu sein. Auf alle Fälle ist er eine Gestalt der Klarheit.
Zum Ende dieses Märchens: Diesmal, in diesem Entwicklungszyklus, hat es nicht geklappt. Sei es in dieser Lebensphase, sei es in diesem einen Leben. Diesmal hat Kronos gewonnen, seinen Sohn »verschluckt«. Im Mythos allerdings ist das kein Zustand von Dauer: Irgendwann wird Zeus geboren und seinen Vater zur Herausgabe der verschlungenen Kinder zwingen. Entwicklung ist auf Dauer nicht aufzuhalten.