Alex entschied sich zu einem Vorstoß. Daß jene, von denen er erwartet hatte, sie würden ihn beim Kampf gegen die Telkaner unterstützen, so schnell verzweifelten, konnte doch nicht möglich sein.
„Unsinn!“ sagte er fest. „Wir marschieren einfach hier heraus …“
„Du gottverdammter Frischling!“ donnerte LeBrute. „Du widersprichst mir? Wir sind hier in Fort Zinderneuf, der Festung, die erst mit dem letzten Mann untergehen wird!“
„A-aber …“
„Silence, cochon!“ LeBrute drehte sich um. „Rastignon und Sniggs, ihr übernehmt den Küchendienst. Macht uns aus diesen Pflanzen eine Mahlzeit.“
„Warten Sie …“ kreischte Alex, dem plötzlich wieder einfiel, was Tanni zu erleiden hatte und welche Auswirkungen die kalorienreiche Nahrung dieser Welt auf die Hokas und ihn selbst haben würde, wenn sie erst einmal wie hilflose Basketbälle über den Boden rollten. „Die … Araber haben doch die gesamten Nahrungsvorräte des Forts vergiftet! Wir müssen uns von den Schiffsvorräten ernähren.“
Er atmete erleichtert auf, als der Sergeant sofort mitspielte und eilte in das Boot zurück, um Tanni anzurufen. Es war eine große Überraschung für Alex, daß die Verbindung tatsächlich zustandekam und ihr leidendes Gesicht auf dem Bildschirm auftauchte. Irgendwie schien es voller geworden zu sein.
„Alex!“ japste Tanni. „Wo steckst du?“
„Ich bin hier“, sagte Alex. „Ich meine, ich bin auf Telko. Wir sind gerade in dieser Ruinenstadt gelandet. Ich habe ein paar Legionäre mitgebracht. Wie … äh … geht es dir?“
„Ich …“ Sie brach in ein Schluchzen aus. „… esse immer noch!“
„Und … äh … wieviel wiegst du jetzt?“
„Um Gotteswillen, frag mich nur das nicht!“ kreischte Tanni.
„Nun … äh … ich sehe, daß du dich wieder im Raumschiff aufhältst.“
„Ja. Aber … Alex, du bist genau im richtigen Augenblick gekommen. Die Telkaner werden mich wie die Teufel verteidigen, aber kürzlich ist erst wieder ein Krieg ausgebrochen. Die Bergstämme sind angerückt und die Krieger der Ebenen haben ihre Dörfer verlassen, um sich ihnen entgegenzuwerfen. Sie haben mich hier eingesperrt und es sind nur Frauen da, um mich zu bewachen. Wenn du dich beeilst …“
„Mal sehen, was ich tun kann“, sagte Alex nachdenklich. „Halt inzwischen die Ohren steif, Schätzchen.“
Mit durcheinanderwirbelnden Gedanken rannte er hinaus.
„Mes amis!“ brüllte er. „Beeilt euch! Wir haben keine Sekunde zu verlieren! Die Araber haben Cigarette, die Tochter der Legion, dort drüben eingesperrt. Wir kommen gerade recht, um sie herauszuhauen!“
Die Kinnladen der Hokas klappten herunter. Zu Alex’ Entsetzen machte keiner von ihnen auch nur eine Bewegung.
„Worauf wartet ihr?“ fragte er laut. „Bewegt euch!“
„Helas!“ schluchzte Sergeant LeBrute.
„Helas?“ fragte Alex.
„Oui, helas“, wiederholte der vorgebliche Mörder Rastignon mit bebender Stimme. „La pauvre petite. Quel dommage, daß jemand, der so jung und wunderschön ist, sterben muß, während les soldats de la Legion dabei hilflos zusehen müssen.“
„Hilflos?“ krächzte Alex.
„Oui!“ sagte Sergeant LeBrute. „Hilflos. Es ist unsere Pflicht, diesen Außenposten bis zum letzten Mann zu verteidigen. Cigarette ist ein Kind der Legion, sie wird das verstehen. Sie wird an La Belle France denken und die Marseillaise singen.“
„Den Teufel wird sie!“ schnaubte Alex und grabschte nach seiner Flinte. „Na gut, dann gehe ich eben allein!“
„Halt!“ befahl Sergeant LeBrute und richtete die Waffe auf ihn. „Ne pas bouger!“
„Was soll das heißen, ne pas bouger?“ schrie Alex. „Auf keinen Fall werde ich ne pas bouger! Ich …“
„Silence, Rekrut!“ bellte LeBrute. „Es ist deine Pflicht, mit uns allen zusammen auf den Mauern von Zinderneuf unterzugehen. Wenn du den Versuch unternimmst, das Mädchen zu retten, werde ich den Männern befehlen, auf dich das Feuer zu eröffnen!“
„Bei weniger als fünfhundert Metern?“ fragte Alex.
LeBrute ließ seine Flinte sinken und kratzte sich am Kopf. Alex war unfair genug, die Sekunde seines Nachdenkens dazu auszunutzen, einfach über die Mauer hinwegzuspringen.
Er hatte allerdings kaum das erste Bein über den Wall geschwungen, als ihn ein aus den Hügel herüberdringender Höllenlärm erstarren ließ. Aus einer naheliegenden Schlucht stürmten mindestens zweitausend miteinander kämpfender Gestalten hervor. Die Telkaner aus den Ebenen befanden sich auf einem verzweifelten Rückzug, den die Bergbewohner nutzten, um hinter ihnen herzujagen. Innerhalb von Sekunden dehnte sich der Kampf über die ganze Ebene aus. Die Möglichkeit Zinderneuf zu verlassen, war vertan.
Alex glotzte. Einen solchen Kampf hatte er noch nie gesehen. Nirgendwo vermochte er auch nur ein Schwert oder eine Lanze zu erblicken. Die Eingeborenen bekämpften sich – ächz! – mit Schneebesen, Scheren, Tennisbällen, Pfeifen, Löffeln und Mausefallen!
Nach einer Weile begann der Mensch zu verstehen. Die Schneebesen – eine Verteidigungswaffe wie die mittelalterliche Hellebarde – waren mit scharfen Klingen versehen, konnten mittels einer Kurbel bewegt werden und befanden sich am Ende von drei Meter langen Stangen. Die Scheren waren dazu bestimmt, gegnerische Köpfe oder Hände abzuknapsen. Nur ein vierarmiger Telkaner konnte solche Monstrositäten entwickeln. Die Mausefallen wiederum waren solchen Zuschnitts, daß man mit ihnen einen zufällig des Weges kommenden Bären hätte fangen können. Die Löffel waren eigentlich überdimensionale Schöpfkellen, die man in säuregefüllte Töpfe tauchte, um den Gegner anschließend zu bewerfen. Die gummiartigen Bälle waren mit Nadeln versehen, die vergiftet zu sein schienen. Sie wurden von Telkanern geschleudert, die mit sorgfältig entwickelten Schutzhandschuhen ausgestattet waren. Die Pfeifen waren ebenfalls von gigantischen Ausmaßen und wurden von bestimmten Kriegern getragen, die große, übelriechende Rauchwolken ausstießen. Ein kurzer Windwechsel versetzte Alex in die Lage, eine Prise dieses Zeugs zu schnuppern. Er fiel auf der Stelle von der Mauer und fand sich mit tränenerfüllten Augen hustend und fluchend auf dem Boden wieder. Der „Tabak“, den die Telkaner benutzten, mußte irgendein Teufelsgewächs sein, gegen das die ihn einsetzenden Krieger Immunität entwickelt hatten.
Und er mußte, wenn er Tanni retten wollte, gegen diese Waffen antreten!
„Sie reiben sich auf!“ schrie Le Forgeur. „Sie schlagen mit aller Gewalt aufeinander ein. Ah, welch ein unbeschreibliches Gemetzel!“
„Wuuups“, sagte Alf Sniggs, „immer nur fest druff, immer druff! Kloppt euch nur die Köppe ein!“
„Ich muß doch sehr bitten, alter Junge“, sagte Smith mit empörtem Näseln. „Man hat ja schließlich in Eton so etwas wie eine Erziehung genossen!“
„Los, los!“ rief Alex verzweifelt. „Laßt uns endlich aufbrechen!“
Smith hob die Augenbrauen. „Aber das da“, führte er aus, „entspricht meiner Auffassung von einer Eton-Erziehung ganz und gar nicht.“
Hilflos sah Alex zu, wie das Schlachtfeld an der Festung vorbeirollte. Die Truppen der Dorfbewohner begannen jetzt eine Abteilung zu formieren, die jenen, die innerhalb der schützenden Stadtmauern Zuflucht suchten, den Rücken deckte. Dabei spuckten sie irgend etwas in ihre hornigen Hände und schleuderten es auf den Gegner. Es waren kleine Objekte, denen sogar die wutschnaubenden Bergbewohner ausweichen ließ. Eins der Wurfobjekte segelte über die brüchigen Mauern von Zinderneuf und Alex sah es sich aus der Nähe an. Es war ein kleiner, metallener Diskus mit scharfem Rand, an dem etwas leuchtete, das er für Gift hielt. „Oh, nein!“ stöhnte er auf. „Oh, nein – nicht auch noch ein Flohhüpfspiel!“
Nachdem die Dorfbewohner eine wilde Salve abgegeben hatten, deckten sie ihren Rückzug und zogen sich in die Stadt zurück. Große, hölzerne Tore wurden zugeschlagen, als der Feind näherkam. Löffelmänner machten es gefährlich, unterhalb der Stadtmauern herzulaufen, und so zogen sich die Invasoren mürrisch zurück und sammelten ihre verlorengegangenen Waffen ein.
Vor Begeisterung völlig von Sinnen sprang Smith plötzlich auf und brach zugunsten der erfolgreichen Verteidiger in ein dreifaches Hurra aus; allerdings zwang ihn seine sprichwörtliche britische Fairneß in sportlichen Dingen unglücklicherweise dazu, das gleiche auch für die Angreifer zu tun.
Seine Rufe verhallten nicht ungehört. Die Schweinerüsselschnauzen wandten sich um, entdeckten ihn und stießen erneut das heisere Kriegsgeschrei aus. Wie ein Mann wandte sich die Armee der Bergbewohner dem neuen Gegner zu.
„Aux armes! An die Waffen!“ brüllte LeBrute mit glühender Begeisterung. „Formez vos bataillons! Marchons! Un pour tous et tous pour un!“
Als die Telkaner näherkamen, knatterten die Flinten los. Alex sah zwar eine ganze Reihe Volltreffer, nur … zeigten sie keinerlei Wirkung! Jeder durchlöcherte Telkaner fiel zwar erst einmal hin, aber dann rappelte er sich wieder auf und stürmte weiter. Die verdammte andersartige Biochemie des Planeten sorgte dafür, daß ihr Blut auf der Stelle wieder gerann. Mit Pulverflinten konnte man auf dieser Welt überhaupt nichts ausrichten!
Das Blatt einer Schere funkelte vor Alex’ Augen, als einer der Telkaner die Mauer erkletterte. Giuseppe Fortissimo schubste den Angreifer wieder hinunter. Stumpfsinnig versuchte der Telkaner es noch einmal. Das Ergebnis war das gleiche. Die Sache hätte bis in die Unendlichkeit hinein fortgesetzt werden können, aber irgendwann wurde es den Kriegern aus den Bergen zu bunt und sie zogen sich brummelnd zurück. Auch wenn Kugeln ihnen nichts Ernsthaftes anhaben konnten, der Schock von einer Mauer geworfen zu werden, schien sie zu schmerzen.
Eine kurze Weile starrten Hokas und Telkaner einander grimmig in die Augen. Dann beraumten die Führer der Barbaren eiligst eine Konferenz an. Kurz darauf schickten sie einen der ihren aus, der auf den Händen auf das Fort zugelaufen kam, die Beine in die Luft streckte und einen Stoffetzen im Mund hatte.
LeBrute musterte den Ankömmling verwirrt. „Das erinnert mich an einen netten, süffigen Rotwein“, murmelte er. „Aber was hat dieser Bursche mit uns vor?“
„Er ist ein Parlamentär, alter Knabe“, sagte Smith ein wenig blasiert. „Möglicherweise stellt der Fetzen ihre Art von Waffenstillstandsflagge dar … Und daß er auf den Händen läuft, bedeutet, daß er absolut unbewaffnet ist, vermute ich.“
„Ach so!“ Sergeant LeBrute sprang auf die Mauer und maß von oben herab den Parlamentär, der völlig gerade dastand.
„Eh bien?“ schnappte Sergeant LeBrute.
„Huga wuga buga!“ sagte der Telkaner.
„Qu’est-ce que vous dites?“
„Muga guga luga.“
„Jamais! Nous sommes soldats de la Legion!“
„Ramba zamba la bamba!“ sagte der Parlamentär.
„Cochon! Nous n’avons paspeur. Nous ne savons pas ce que c’est que lapeur!“
„Samba!“
„Vache!“
„Man muß dem Teufel seinen Tribut zollen“, sagte Smith leise zu Alex. „Unser Sergeant ist ein sadistischer Flegel, aber Mut hat er wirklich. Ich gehe jede Wette ein, daß es nur selten jemand gewagt hat, so mit einem Telkaner zu sprechen.“
Alex baute sich einfach neben dem Hoka-Feldwebel auf. Wenn sie so weitermachen, kamen sie zu nichts. Er mischte sich einfach in das Gespräch und sprach dabei telkanisch. LeBrute stieß ein abschließendes „Chameau!“ aus und trat beiseite.
Das Gespräch war nur kurz. Man kam sofort zur Sache. Seine Allerheidnischste Majestät, der Strahlende Kaiser aller Könige von Whaa, der Glorreiche Herzog von Hupf-Guggl, der Unvergleichliche Fürst aller Blubbermoore, Ritter des Ordens von Wug, Beschützer der Götter, Oberster Ketzer und Kopfabschneider der Stämme Kreti und Pleti, der Graf von Hohegeiß, Befehlshaber der Skuggwah, der Absolut-Unbesiegbare-und-Mächtig-Gefürchtete-dessen-Zorn-die-Erde-beben-und-dessen-Rülpsen-die-Berge-zittern-macht (sein Name war übrigens Hooglah Hooglah Hooglah Hick Whog Hooglah XVII) bot den pelztragenden Fremden bei der Unterwerfung der aufmüpfigen Ortschaft Guntersnath, die ihm nicht nur den Tribut verweigerte, sondern auch noch die Frechheit besaß, einen solchen von ihm zu verlangen, seinen Beistand an. Als Bezahlung für ihren zwar sicher nutzlosen, aber sicher amüsanten Einsatz sollten die pelztragenden Fremden dann auch einen kleinen Anteil der Beute bekommen. Sollten sie sich jedoch ganz unbegreiflicherweise darauf versteifen, das großzügige Angebot Seiner Allerheidnischsten Majestät abzulehnen, würde die eine Hälfte von ihnen gnadenlos gehenkt werden und die andere ihrer Köpfe verlustig gehen. Des weiteren erwarte Seine Majestät eine prompte Antwort.
Alex, der sich dem Parlamentär zunächst einmal als Ungeheuerlicher Botschafter und Außerordentlicher Verfügungsgewaltiger des Erschröcklichen und Räuberischen Erdimperiums vorgestellt hatte, nahm den Vorschlag zwar an, stellte aber die Bedingung, daß ihnen die pelzlose, zweiarmige Frau, die von den zugegebenermaßen heimtückischen und gräßlichen Gundersnathiern gefangengehalten werde. Der Parlamentär akzeptierte diese Bedingung und marschierte auf den Händen wieder davon.
„Bien!“ schnappte Sergeant LeBrute. „Um was ging es?“
Alex erklärte ihm die Sachlage und fügte hinzu: „Es ist die einzige Möglichkeit, in diese Stadt hineinzukommen!“
„Non!“ schrie der Hoka. „Habe ich nicht gesagt, daß wir hier sind, um diese Festung à l’outrance zu verteidigen?“
„Oh, aber das ist doch ganz etwas anderes“, sagte Alex hastig. „Wir machen doch nur einen Ausfall.“
„Verdammter Rekrut!“ knirschte LeBrute. „Du besitzt die Frechheit, deinem Sergeanten Ratschläge zu erteilen?“
„Jawoll“, sagte Alex.
„Ausgezeichnet!“ schrie LeBrute. „Welcher Mut! Ich werde dich für einen Orden vorschlagen. Und nun laßt uns einen Ausfall machen, aber auf der Stelle!“ Er machte einen Satz über die Mauer und stürmte, „Marchons!“ und „Vive la France!“ schreiend auf die Bergbewohner zu.
Die anderen setzten ihm nach. Alex hetzte in sein Boot zurück, um Tanni anzurufen und ihr von der Neuigkeit zu berichten. Es würde ein Gemetzel geben, wenn er den Versuch einer Direktlandung unternahm und ein Schiff dieses Formats war leider auch nicht manövrierfähig genug, um es als direkte Waffe – etwa um die Verteidiger von der Brüstung zu schubsen – einsetzen zu können. Aber wenn es ihren Verbündeten gelang, die Ortschaft zu stürmen …
Ein penetranter Geruch drang in seine Nase. Hinter dem Laderaumschott zischte es bedrohlich. Alex öffnete es mit zitternden Fingern und stellte fest, daß die Bierfässer schäumten und brodelten. Der ganze Maschinenraum war von einer stinkenden grünen Masse bedeckt.
„Oh, nein!“ jaulte Alex.
Die Umweltbedingungen des Planeten Telko hatten schon wieder zugeschlagen. Ob die andere Luft die Hefe hatte aufquellen lassen?
Alex überprüfte nervös die Maschinen. Zum Glück waren sie gut geschützt und unbeschädigt. Obwohl sie um Alex’ Leben fürchtete, war Tanni von der Kürze seiner Botschaft doch merklich berührt. Aber schließlich brauchte sie sich ja auch nicht in einem Raum aufzuhalten, dem der Geruch von fünfhundert Litern sauergewordenem Bier anhaftete.
Hooglah Hooglah Hooglah Hick Whog Hooglah XVII war nicht optimistisch. Zum zweitenmal hatte er nun mitansehen müssen, wie ein Vorstoß seiner Truppen von den Mauern der Ortschaft Guntersnath abgeschlagen wurde. Die Bewohner der Stadt verfügten im Gegensatz zu seinen Leuten, die keinerlei Proviant besaßen und sich von dem kargen Ödland nicht ernähren konnten, über genug zu essen. Aber das war auch unwichtig, denn das wilde Temperament der Telkaner war eh zu feurig, um sich auf eine Belagerung einzulassen.
Als es Nacht wurde, errichtete die Armee vor den Mauern von Gundersnath ein Lager, zündete Feuer an, um sich in der Schwärze zurechtzufinden und schmettert ein paar Lieder, um die Furcht vor derselbigen zu vertreiben. Eins der Lieder hörte Alex sich an. Es war eine süße, kleine Melodie.
„Aasvögel sollen auf ihre Köpfe hacken,
hacken, hacken, immer drauf
Wenn die Schneebesen wirbeln,
rollen die Köpfe,
nehmt euch in acht,
wir reiben euch auf“
Der König ging mürrisch vor seinem Lagerfeuer auf und ab. Die roten Flammen ließen die Scheren seiner Leibwache aufblitzen. An seiner Hüfte klapperte ein Dutzend Küchenmesser. Die Legionäre saßen in der Nähe, rauchten schwarze Zigaretten – die tatsächlich französischen Ursprungs waren – und spannen ein Garn über ihre letzten Abenteuer in der glühendheißen Sahara. Alex marschierte neben dem König her. Er machte sich noch mehr Sorgen als der andere. Aus einiger Entfernung erweckten sie den Eindruck, als ginge eine hochgewachsene Palme neben einem kleinen Kaktus her.
„Wenn wir bloß ein paar weitreichende Waffen hätten“, grummelte der Telkaner. „Es liegt nur an den verdammten Löfflern und den Flohhüpfspielern auf den Mauern, daß wir nicht nahe genug herankommen, um das Tor einzuschlagen. Wenn ich nicht der Welt Größter Schlächter wäre, würde ich aufgeben und irgendwo anders jemanden umbringen. Vielleicht sollte ich das sowieso tun.“
Alex schluckte. „Unsere Flinten …“ fing er an.
„Pah!“ sagte der König. „Es wäre schon gut, wenn man Waffen hätte, die man aus solch großer Entfernung abfeuern kann, aber mit den euren, die schließlich nur Löcher machen, lacht man uns ja aus. Sie müßten eine breite Schneide haben, verstehen Sie? Anders kann man diesen Wichten nicht beikommen.“
Alex überlegte sich, ob es zweckmäßig sei, den König über Pfeil und Bogen aufzuklären. Aber das war auch nichts. Es würde Tage dauern, um genügend herzustellen – und dann mußte man die Telkaner auch noch daran ausbilden. Weder er noch Tanni hatten soviel Zeit.
Alfred, der Mann mit den wundersamen Ideen, die nie zur Ausführung gelangten, schob sich plötzlich das Käppi ins Genick und sagte sehnsüchtig: „Ach, hätten wir doch nur einen Schluck Wein!“
„Eine ausgezeichnete Idee, mon brave“, antwortete Sergeant LeBrute. „Rastignon, Sniggs, Fortissimo, kredenzt uns einen von dem guten, alten Tröpfchen.“
„Pardon, Sergeant“, sagte Le Forgeur mit traurigem Gesicht, „aber wir haben keinen Wein.“
„Keinen Wein?“
Die Legionäre starrten sich an wie vom Blitz getroffen. Zu spät fiel Alex ein, daß er vor dem Verlassen Tokas ein paar von den heißgeliebten Fläschchen, ohne die ein Hoka nicht auskam, hätte einbunkern sollen.
„Wir sind weinlos!“ schluchzte LeRatte. „Das ist das Ende des Universums!“
„Nein … wartet“, sagte Alex eilig, bevor sie völlig demoralisiert waren. „Wie ihr wißt, haben wir etwas Bier in meinem Boot …“
„Bière?“ schnaubte LeBrute. Er rümpfte seine feuchte schwarze Nase.
„Das ist besser als nichts.“
„Ach, Bier!“ seufzte von und zu Griffentaffel ekstatisch. „Alt-Heidelberg! Oh, du lieber Augustin …“
Ungeachtet seines schmetternden Gesangs setzten die anderen Hokas lauthals ihre Diskussion fort, entschieden sich schließlich für Alex’ Vorschlag und machten sich auf den Weg, um ein paar Flaschen zu organisieren. Als sie mit den Getränken zurückkehrten, riß König Hooglah eine Flasche an sich, schnüffelte daran, nahm einen kleinen Schluck und warf sie naserümpfend weg. „Es ist ja überhaupt nicht giftig“, brummte er enttäuscht.
Die Flasche krachte zu Boden und explodierte wie ein Schrapnell. Alex warf sich in den Staub. Als er den Kopf hob, waren die Hokas kaltblütig damit beschäftigt, sich einen zu genehmigen.
„Es ist zwar nichts wert, das Zeug“, versicherte LeBrute abfällig, „aber das ist zu einem Großteil wohl auch darauf zurückzuführen, daß die Gärung zu schnell eingesetzt hat. Nehmen Sie sich gefälligst zusammen, Gefreiter Brassard.“
„Brassard!“ Alex sprang auf. Blutdurst glitzerte in seinen Augen. Alles hatte er ausgemalten: daß man ihn in die Legion hineingetrickst, aus seinem Kurierboot eine Brauerei gemacht und ihn dazu bekommen hatte, gegen Bewohner eines fremden Planeten zu kämpfen … Aber daß man ihn jetzt auch noch mit Brassards Namen ansprach, war zuviel für seine geplagte Seele. Zornbebend ergriff er einen Flaschenhals und setzte dazu an, LeBrute den Schädel einzuschlagen.
In allerletzter Sekunde riß er sich zusammen. Die hin- und hergeschüttelte Flasche spritzte eine übelriechende Flüssigkeit über seine Jacke. Aber …
„Eure Majestät!“ krächzte er. „Eure Majestät!“
Beim nächsten Morgengrauen griff Hooglahs Armee erneut an.
Seine Truppen bildeten eine kompakte Masse, die heulend die Waffen schwang, sich einen Abhang hinunterwälzte und über die Ebene ergoß. Die dämonische Horde ließen den Boden erzittern und brandeten wie eine unaufhaltbare Springflut den Hügel hinauf, wo sie sich auf die Verteidiger stürzten.
Vor ihnen her lief ein Spezialkommando, eine Truppe, die an die hundert Köpfe zählte. Jedes dieser Wesen hielt sorgfaltig verschlossene Bierflaschen im oberen Händepaar und an seinem Bauch hing ein Sack, in den die anderen mühelos greifen konnten, um für Nachschub zu sorgen.
Angeführt wurde der Angriff von König Hooglah und seiner Leibwache, unter die sich auch die französische Fremdenlegion gemischt hatte. Alex hatte seine Gefährten leider nicht zurückhalten können, und wenn die Hokas schon in vorderster Front kämpften, konnte er es sich natürlich nicht leisten, dabei abseits zu stehen.
Als er endlich die Stadtmauer erklommen hatte, war die Garnison von Gundersnath zu erkennen. Da die Angreifer Rückenwind hatten, konnten die Verteidiger keine Pfeifenmänner einsetzen. Die Löffelschwinger waren allerdings bereits in Aktion getreten und die Flohhüpfspieler bereiteten sich auf einen baldigen Zusammenprall vor.
Schwitzend versuchte Alex, sich davor zu bewahren, seine Zunge zu verschlucken. Er hatte mit eigenen Augen gesehen, was die vergifteten Wurfplättchen anrichten konnten. Aber im Rücken des Gegners sah er das metallische Aufblitzen des Raumschiffes, in dem Tanni gefangensaß.
Sie hatten das Hauptgebäude fast erreicht, als Hooglah seinen Schlachtruf ausstieß und zum Zeichen der Attacke einen Schneebesen schwenkte. Alex warf rasch einen Blick nach hinten.
Die Bierwerfer schüttelten die Flaschen, rissen sie hoch und holten in einer einzigen Bewegung aus. Er hatte nicht die Möglichkeit, die Korken hinausfliegen zu sehen – immerhin bewegten sie sich mit der Geschwindigkeit einer Gewehrkugel –, aber der silberne Alkoholstrahl, der einem Pfeil aus Schaum nicht unähnlich aus den Flaschenhälsen sprühte und den Gegner blendete, entging seinen Blicken nicht.
Messerklingen zerfetzten die Luft. Sie riefen zwar keine fatalen Wunden in den Reihen der Verteidiger hervor, sorgten aber dafür, daß sie sich mehrere Stunden nicht mehr an der Schlacht würden beteiligen können. Die Löffler und Flohhüpfspieler gaben auf. Ihre Reihen hatten sich merklich gelichtet.
„Und noch einmal durch die Bresche, Kameraden!“ quäkte Smith.
„Allons, enfants!“ schrie LeBrute und stürmte mit seiner Flinte voraus. Den Säureangriff, der ihn nur um wenige Zentimeter verfehlte, ignorierte er völlig. Feigheit gab es bei den Hokas nicht. „Aux armes! Marchons! Voilà!“
„Donnerwetter!“ schrie von und zu Griffentaffel auf Deutsch. „Vorwärts! Folgt dem Drang nach Osten!“ Er begann Die beiden Grenadiere zu schmettern und wetteiferte dabei mit Giuseppe Fortissimo, der – ohne das hohe C auszulassen – Di quella pira anstimmte.
Erneut explodierte der Kosmos. Und wieder. Und wieder. Die Bierwerfer bewegten sich wie Maschinen, rissen Flaschen aus den Säcken, holten aus, feuerten sie ab und säuberten so die Stadtmauer. Inzwischen droschen die anderen Telkaner das Haupttor ein.
Als die Invasoren in die Stadt hineinstürmten, wurde Alex von den Hokas einfach mitgerissen. Hier und da bekam er kurze Kampfszenen mit, wenn die Telkaner mit ihren konventionellen Waffen aufeinander losgingen, aber wirkliche Verletzungen waren überraschend selten. Zwar hüpften hier und da ein paar fieberhaft mit allen vier Armen an sich herumkratzende Krieger durch die Gegend, aber insgesamt gesehen schien die ihnen mit den Löffeln entgegengeschleuderte Flüssigkeit keine größeren Auswirkungen zu haben, als die normalen Juckpulvers. In der Nähe des Raumschiffes war ein Bergbewohner allerdings ernsthaft damit beschäftigt, mit Hilfe seiner übergroßen Schere einen Dörfler in zwei Stücke zu schneiden. Er war wenig erfolgreich, da die sechs sich wie Dreschflegel bewegenden Gliedmaßen des Opfers die Blätter seiner Waffe so schnell beiseite warfen, wie sie auf ihn zukamen.
Die Aufregung des Kampfes hatte Alex voll gepackt. Er riß seine Flinte hoch und jagte mit seinen Gefährten auf das Raumschiff zu.
„Attacke!“ schrie er.
„Chargeons!“ stimmte LeBrute ihm zu und wirbelte einen Telkaner durch die Luft.
„Und links!“ brüllte Alex. „Und rechts! Laßt es uns ihnen geben! Auf sie mit Gebrüll! Rätätätä! Rätätätä! – Oh, hallo, Liebling! Wir sind gekommen, um dich herauszuhauen.“ Er hing an der Schleuse und schnappte nach Luft.
„Alex!“ schrie Tanni und steckte den Kopf heraus. Es war unübersehbar, daß sie zugenommen hatte, aber zum Glück nicht so viel, um nicht mehr durch die Luke zu passen. Wenn man es genau nahm, sah sie nur ein ganz klein wenig fett aus. Ihre Bluse und ihr Rock waren dem Platzen allerdings ziemlich nahe und die bereits gelösten Nähte erlaubten ihm einen Einblick in intimere Details.
„Zurück!“ rief Alex. „Zurück zu unserem Boot!“ Schnell fügte er hinzu: „Der verlorene Haufen hat seine Mission erfüllt. Jetzt müssen wir auf dem schnellsten Wege die Geheimpapiere ins Hauptquartier schaffen.“
Die Hokas formten um Tanni eine Eskorte und brachten sie sicher zum Stadttor zurück. Dort hielten sie an.
Die Schlacht näherte sich dem Ende zu, denn mehr und mehr Gundersnather gingen jetzt dazu über, einen Handstand zu machen und die Füße in die Luft zu strecken. Wenn man allerdings verhindern wollte, daß König Hooglah sich seiner lästigen Verbündeten entledigte, war es jetzt an der Zeit zu verschwinden.
Peinlicherweise war die sich vor ihnen ausbreitende Ebene über und über mit den vergifteten Flohhüpfscheiben bedeckt.
Die Legionäre schluckten nervös. „Auf was wartet ihr denn noch?“ bellte Alex nervös. Er war nahe daran, völlig durchzudrehen.
„Da vorne, mon vieux …“ sagte LeBrute.
„Haben wir nun Schuhe an oder nicht?“ warf Smith lässig ein. „Sie werden uns beschützen. Vielleicht auch nicht. Was sage ich da? Wie? Wo? Wer?“
Alex nahm Tanni auf die Arme und begann wie ein Floh zu hüpfen. Mit vor Verzweiflung heulender Stimme schrie er den anderen zu: „Scheißt auf diese verdammten Wurfplättchen! Volle Kraft voraus!“
Strahlend heller Sonnenschein überflutete das Paradefeld der Fremdenlegion bei Siddi Bei Abbes. Die Kompanien waren in Ausgehuniform angetreten. In der vordersten Reihe stand die versprengte Patrouille, deren Anführer, Sergeant LeBrute an sich halten mußte, damit ihm nicht vor Stolz die Knöpfe von der Jacke sprangen. Das gesamte Kommando wurde mit dem Croix du Guerre ausgezeichnet – und er selbst wurde zum Ehrenmitglied der Legion ernannt.
Jorkins Brassard schaute ziemlich unglücklich drein. Zwar hatte er den Einsatz bestimmter Waffen gebilligt, aber andererseits war da noch ein Paragraph, der es untersagte, Schützlinge der Liga grundlos irgendwelchen Gefahren auszusetzen. Alex hatte ihm das zwar nicht in einer bestimmten Absicht unter die Jacke geschoben, aber er wußte, daß Brassard – solange er ihn in der Hand hatte – nichts anderes als glühende Begeisterungsschreiben auf der Erde abliefern würde.
In der Nähe von Tanni und ihrem Ehemann stand der Hoka-Gouverneur dieses Landstrichs und zwirbelte beschämt seinen Oberlippenbart.
„Werden Madame mir jemals verzeihen können?“ fragte er. „Immerhin hatte ich angenommen, daß … C-est à dire.“
„Es sei Ihnen vergeben“, sagte Tanni gnädig.
Alex duckte sich, als tatsächlich einer von LeBrutes Knöpfen absprang.
„Es tut mir so leid“, versicherte der Gouverneur erneut. „Naturellement hat man die Einschreibpapiere zerrissen …“ Er stammelte aufgeregt herum.
„Schon gut“, sagte Alex, der Angst hatte, bloßgestellt zu werden.
„Ich wäre nie zu einer solch falschen Schlußfolgerung gekommen“, sagte LaFontanelle, „aber …“
„Aber was?“ fragte Tanni.
„Madame muß das verstehen“, sagte der kleine Hoka. „Aber es liegt halt eben an meinem französischen Blut.“
„Monsieur l’Ambassadeur de la Terre, Alexander Braithwaite Jones!“ sagte der Kommandant der Legion förmlich.
Mit der gleichen Förmlichkeit trat Alex vor. Der Kommandant rückte seine Epauletten gerade, stellte sich auf die Zehenspitzen und heftete Alex die Rote Rosette an die Brust.
„Mon brave!“ sagte der Kommandant.
Er küßte Alex auf beide Wangen.
Und alle anwesenden Hokas und Menschen richteten ihren Blick auf den Bevollmächtigten des Kulturellen Entwicklungsdienstes und offiziellen Vertreter der Vereinigten Commonwealths, des mächtigsten Staatengebildes innerhalb der Interkosmischen Entitätenliga unter hunderttausend Sonnen und sahen zu, als er wie ein Schuljunge errötete.