In Hoka Signo Vinces

 

„Schnorch!“ sagte Alexander Jones schnaufend.

„Bitte, Liebling?“ fragte Tanni.

„Es geht um die Pornianer“, grummelte Alex hinter dem Newsfax-Blatt hervor, das er gerade aus dem Hyperempfänger gezogen hatte. Es war noch feucht. „Sie haben den Bau dieses Schlachtschiffes beendet und wollen es nun in den Weltraum hinausbefördern.“

„Wie grauenvoll!“ sagte Tanni in ihrer singenden Stimme.

Alex ließ das Nachrichtenblatt sinken und warf einen liebevollen Blick auf die blonde Schönheit. Er konnte es immer noch nicht fassen, mit ihr verheiratet zu sein. Und wenn man in Betracht zog, daß er – ein immer noch sehr junger Mann, der noch vor ein paar Monaten die Rangabzeichen eines Fähnrichs getragen hatte – jetzt auch noch die Position eines Botschafters innehatte und dessen Gehalt bezog, kam ihm die Situation noch unglaublicher vor.

Bisher war seine Aufgabe nicht sonderlich schwer gewesen. Er residierte in der Küstenstadt Mixumaxu, führte die Eingeborenen schrittweise an moderne Technologien heran, legte ihnen bestimmte Gedanken nahe, die sie früher oder später auf die Idee einer Weltregierung bringen würden, und so weiter. Natürlich würde die Arbeit anwachsen, wenn die irdische Kulturkommission erst einmal ihre Aktivitäten erweiterte und weitere Teile des Planeten seiner Kompetenz unterstellte. Bereits jetzt hatte er täglich Unmengen von Berichten abzuheften. Aber die Residenz eines Botschafters schien Alex kaum das geeignete Heim für eine jung-verheiratete Ehefrau zu sein, und was die Hokas anbetraf – nun, sie waren, um ein anderes Wort zu vermeiden, ein wenig eigentümlich. Aber schließlich hätte es auch schlimmer kommen können. Mixumaxu war einigermaßen zivilisiert und verfügte außerdem noch über ein höchst erfreuliches Klima. Die Hokas, begierig darauf, ihren untergeordneten Status aufzupolieren, überschlugen sich beinahe in ihrer Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft, und … Nun, die einzigen Fehler, die sie hatten, war ihre übertriebene Begeisterungsfähigkeit, ihre zu große Phantasie und die zu starke Tendenz, über jede neue Errungenschaft in frenetischen Jubel auszubrechen. Und was die kleine Schwäche, Tatsachen von Fiktionen nicht unterscheiden zu können, anging …

„Ich halte das wirklich für entsetzlich“, sagte Tanni empört. „Man sollte doch eigentlich erwarten können, daß sich die anderen planetarischen Regierungen zusammentun und ihnen Einhalt gebieten.“

„Was?“ fragte Alex, aus dem Grübeln aufgeschreckt.

„Die Pornianer mit ihrem Großkampfschiff.“

„Ach, die!“ sagte Alex. „Nun, weißt du, das Schlimme ist, daß alle zivilisierten Rassen nach dem letzten Krieg die Übereinkunft trafen, bis auf kleine, interplanetarische Polizeistreitmächte völlig abzurüsten. Es gibt in der ganzen Galaxis keine erwähnenswerten Militärstreitmächte mehr, und die Steuerzahler legen auch gar keinen Wert darauf. Das ist eine verdammt blöde Sache …“ Alex nahm erneut Anlauf. „Die interstellare Polizeistreitmacht brauchen wir, um zu verhindern, daß solche fanatischen und aufgeblasenen Narren wie die Pornianer nicht plötzlich anfangen, Waffen zu konstruieren. Ein Ding wie dieses Schiff könnte ein Jahrhundert des Friedens und guten Willens zunichtemachen, ein Rüstungswettrennen hervorrufen und die Liga zerbrechen lassen …“ Er stand auf. „Wo ist der Subraum-Empfänger? Ich möchte mir ansehen, was das Erd-Hauptquartier in seinem täglichen Bulletin dazu sagt.“

Das Newsfax-Blatt wurde von einem lokalen Büro ausgestrahlt, das sich etwa fünfzig Lichtjahre entfernt befand. Alex hatte es nur seinem hohen Botschaftsgehalt zu verdanken, daß er sich außerdem einen Empfänger für die Erdnachrichten leisten konnte.

„Ich habe ihn auf die Terrasse gestellt, Schatz“, sagte Tanni. „Wegen der Sendung, die den Hokas so gut gefällt, weißt du? Tom Bracken von der Raumpatrouille. Sie lief heute wieder, und da sind sie gekommen, um sich die Sache – wie immer – anzusehen.“

Alex runzelte bedrückt die Stirn. „Ich hoffe, du hast die Fernbedienung nicht offen herumliegen lassen, Mäuschen“, sagte er dann. „Du weißt, daß die Hokas keinesfalls mit Dingen in Kontakt kommen dürfen, die ihren kleinen Horizont übersteigen.“

„Ich hab nur diesen einen Sender eingestellt“, versicherte sie ihm. „Darauf können sie nur das Kinderprogramm empfangen.“

Alex stieß einen erleichterten Seufzer aus, verließ das Zimmer und schaltete den Empfänger ein. Neben den anderen kleinen Fehlern, die die Hokas auszeichnete, verfügten sie über eine übersteigerte Einbildungskraft. Alex wünschte sich, das Erd-Hauptquartier wäre in der Erteilung der ihnen zugesicherten, beschränkten Handelsrechte nicht so schnell gewesen. Ein paar skrupellose Kaufleute konnten sie mit Dingen ausstaffieren, die ihnen für die nächsten zwanzig Jahre besser nicht in die Hände fielen.

Er stellte die Welle des EHQ ein und las eine Stunde lang die offiziellen Bulletins. Es gab allerdings nichts von Wichtigkeit. Pornia war dermaßen weit von der Erde entfernt, daß eine desinteressierte Regierung aus dieser Richtung überhaupt keine Gefahr vermutete. Aber Pornia befand sich in unmittelbarer Nähe Tokas, und das beunruhigte Alex über alle Maßen. Es war nicht das erste Mal, daß er sich mit seiner Frau oder einigen der Hokas über die Lage unterhalten hatte. Man hätte eigentlich annehmen sollen, die Geschichte der Menschheit hätte dazu geführt, jeglichen Militarismus im Keime zu ersticken, aber …

Er seufzte, schaltete das Gerät ab und gähnte. Kurz darauf löschten Alex und Tanni das Licht und gingen zu Bett.

 

Alex war gerade im Begriff, in das Land der Träume hinüberzuwechseln, als jemand leise an das Fenster pochte. Einen Moment lang war er versucht, das Geräusch einfach zu ignorieren, aber es wiederholte sich.

„Pssst“, wisperte die Stimme eines Hokas durch die Öffnung. Alex stieß einen Fluch aus, warf einen Blick auf Tanni und stellte fest, daß sie bereits eingeschlafen war. Dann bedeutete er dem bärenähnlichen Gesicht, dessen knopfartige, schwarze Nase sich an der Scheibe plattdrückte, keinen Lärm zu machen. „Eine Sekunde“, murmelte er, „ich bin gleich draußen.“

Vor sich hin murmelnd zog er sich eilig im Dunkeln an und ging auf die Terrasse hinaus. Am Himmel stand einer der Monde. Er leuchtete beinahe voll, und im hellen Licht des Satelliten konnte Alex erkennen, daß zwei Hokas auf ihn warteten.

Die Überraschung ließ ihn jedoch stutzen. Zischend entwich die Luft aus seiner Lunge. Die Hokas trugen nicht mehr die üblichen schluderigen Stiefel, spitzen Hüte und glöckchenbehangenen Wamse der lokalen Nationaltracht. Die beiden, die ihm gegenüberstanden, hatten ihre korpulenten Gestalten mit grauen Tuniken, enganliegenden Reithosen aus Katgut, Sam-Browne-Gürteln, Wasserstiefeln und runden Metallhelmen verziert. Und an ihren Gürteln baumelten …

„Was wollt ihr denn damit?“ krächzte Alex, während sein Herz zu hämmern begann. „Wo habt ihr denn die Holman-Strahler her?“

Sie nahmen gar keine Notiz von seiner Frage. Der größere Hoka verbeugte sich ehrerbietig und sagte auf Englisch, das sich immer schneller zur tokanischen Weltsprache entwickelte: „Die Expedition ist bereit, Koordinator Jones.“

„Welche Expedition?“ rief Alex erschreckt aus. „Hör mal zu, Buntu …“

„Sir“, sagte der Hoka förmlich, „vor Ihnen steht zu Ihrer Verfügung Captain Jax Bennison von der Raumpatrouille.“ Er knallte die Hacken zusammen und salutierte.

„Bei allen bockenden Raketen!“ rief der andere Hoka aus. „Nehmen Sie etwa an, der Koordinator hätte Sie nicht erkannt?“

„Es liegt vielleicht am Mondlicht“, sagte der erste Hoka. „Ist jetzt alles klar? Kriegen wir grünes Licht, Koordinator?“

„Äh … äh …“ stammelte Alex.

„Also aye, aye“, wiederholte Bennison eilfertig. „Dann haben wir keine Zeit mehr zu verlieren. Wir starten um 23.30 Uhr. Folgen Sie uns, Sir.“

Die Hokas setzten sich hurtig in Bewegung, und Alex, dessen Gehirn eifrig die Lage zu klären bemüht war, eilte hinter ihnen her. Er verstand überhaupt nichts mehr, aber wenn man auf der Erde erfuhr, daß Holman-Strahler in die Hände der Hokas gelangt waren und er daran schuld war … Allein der Gedanke daran sorgte schon für kalten Schweiß auf seiner Stirn.

Die Hokas führten ihn durch eine enge, bepflasterte Straße, die sich zwischen hochwandigen Häusern dahinzog. In der Stadt herrschte Stille; es sah aus, als schliefe sie. Die Schildwachen an der Stadtmauer öffneten das Tor und salutierten. „Viel Glück bei der Jagd, Patrouillenmänner“, sagte einer von ihnen.

Außerhalb der Stadt lag ein riesiges, freies Feld, auf dem in unregelmäßigen Abständen Raumschiffe landeten. Im Schein des Mondlichts sah Alex über hundert Hokas, die die gleichen Uniformen trugen wie die beiden, die ihn abgeholt hatten. Sie hatten militärische Formation angenommen. Der große Umriß, der hinter ihnen sichtbar wurde, war allerdings mehr dazu angetan, Alex’ Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.

„Mein Kurierboot!“ heulte er auf. „Was habt ihr damit angestellt?“

Die einstmals glattpolierte Oberfläche der Tannimaus war nun von Narben zerfurcht und wies zahlreiche Kratzer auf. Neben der Luftschleuse und anderswo hatte man Löcher in ihrer Hülle geschnitten und von innen die Rohre primitiver, auf Schießpulverbasis funktionierender Kanonen hindurchgesteckt. Des weiteren hatte man ihren Namen übermalt und dem Schiff einen neuen verpaßt: Der Furchtlose stand nun da, und darunter leuchteten die Worte Raumpatrouillenboot Nr. 1 und ein großer, weißer Stern.

Alex machte drei lange Sätze und holte damit Jax Bennison ein, der gerade einem älteren Hoka, einem hohen Würdenträger der Stadt, zusalutierte. Jetzt trug er allerdings eine blaue Tunika mit goldenen Biesen, ein Entermesser und einen Schlapphut. „Was hat das zu bedeuten?“ bellte Alex hysterisch. „Mein Schiff …“

Jax deutete auf das Metallschild mit der Aufschrift Raumpatrouille, das an seiner Brust befestigt war.

„Tut mir leid, Sir“, sagte er dann, „aber Sie kennen ja die Vorrechte der Patrouille. Patrouillenmänner können alles beschlagnahmen, was sie brauchen, wenn sie ihre Marke vorzeigen.“

„Wer behauptet das?“ tobte Alex.

„Tom Bracken von der Raumpatrouille, Sir“, sagte Jax. „Und zwar jeden Tag im Fernsehen.“

Nun war der Schlapphut mit dem Salutieren an der Reihe. „Wir haben natürlich Ihr stillschweigendes Verständnis als Oberster Koordinator vorausgesetzt, Sir. Flottillenadmiral Ron Bronz steht zu ihrer Verfügung, Sir.“

„Die Gefahr ist äußerst bedrohlich, Sir“, fügte der zweite Hoka hinzu. „Die Schurkis bereiten offensichtlich einen großen Schlag vor – und das jetzt, wo die ganze Flotte der Patrouille anderweitig beschäftigt ist. Uns blieb nichts anderes übrig, als eine eigene Streife zusammenzustellen, um den Gegner aufzuhalten.“ Er knallte die Hacken zusammen. „Adjutant Lon Meters, zu Ihren Diensten, Sir.“

Alex wirbelte zu Admiral Beppo Beteigeuze herum. „Was haben Sie vor?“ gurgelte er.

„Ich werde die Truppe inspizieren, bevor die Patrouille abhebt“, sagte der alte Hoka. Der Schlapphut rutschte über seine Ohren und er schob ihn mit einer irritierten Geste wieder zurück. „Verflucht sei der Schneider. Würde mich nicht im geringsten wundern, wenn er ein Saboteur in den Diensten der Schurkis wäre.“ Seine Stimme bellte weit über die wartende Formation der Teddybären dahin. „Ach-TUNGGG! Die Inspektion beginnt!“

Feierlich schritten er und Captain Jax die Truppe ab und berührten die Nase jedes einzelnen Raumfahrers, um herauszufinden, ob sie auch kalt und feucht war. Alex stöhnte.

„Die Männer sind alle bei bester Gesundheit, Sir“, meldete der Admiral, als er zurückkehrte. „Alles klar; ich erteile grünes Licht.“ Wieder rutschte ihm der Hut über die Ohren. Alex fand es einigermaßen befremdlich, einmal zu einem Gesicht und dann wieder zu einem Hut zu sprechen.

„Aber … aber … aber …“ stammelte er.

Lon Meters beugte sich vor und sagte mit einem überall hörbaren Flüstern: „Ist mit dem Koordinator irgend etwas nicht in Ordnung, Captain? Glauben Sie, daß die Schurkis es geschafft haben, Kontrolle über sein Bewußtsein zu erlangen?“

„Natürlich nicht“, erwiderte Jax. „Das würden sie niemals wagen. Das ist nur seine grobschlächtige Art. Er hat eine harte Schale, aber darunter schlägt ein Herz aus Gold.“

Admiral Ron Bronz wandte sich Alex zu und sagte: „Die Männer sind nun bereit, Sir. Würden Sie vielleicht noch eine kurze, aber ergreifende Ansprache halten, bevor es losgeht?“

Hundert pelzige Mienen wandten sich erwartungsvoll dem im Schein des Mondlichts dastehenden Alex zu. Mit zitternder Stimme rief er aus: „Diesem Unfug muß Einhalt geboten werden!“

„Genau das ist es, Sir!“ strahlte Captain Jax. „Wir müssen den Gegner stoppen!“

„Geht nach Hause zu euren Frauen und Kindern!“ schrie Alex in der Absicht, ihr Pflichtgefühl zu wecken. „Geht heim zu euren Bräuten an den eigenen Herd!“

„Aye!“ quiekte der Admiral. „Wenn in der Galaxis wieder Frieden herrscht, werden wir nach Hause zurückkehren!“

„Ihr müßt eure Arbeit tun …“ bettelte Alex.

„Aye! Aye!“ jubelten die Piepsstimmen und brachten die Stadtmauern beinahe zum Erzittern. „Wir werden den Feind aufhalten!“

„Iiiim Gleichschritt!“ bellte Captain Jax. „Vorwärts – marsch!“

Einhundert Hokas machten kehrt, marschierten auf das Schiff zu und schmetterten aus vollen Kehlen:

 

„Gleich gehts los, in ferne Räume,

wir fliegen in das All hinaus.

Hindern tun uns nicht mal Bäume,

wer uns aufhält, ist ’ne Laus.

Zittern soll es, das Gelichter,

wo wir hinhau’n, wächst kein Gras.

Mutig leuchten die Gesichter,

Ja, auf uns da ist Verlaß!“

 

„Sie haben ihnen auf geradezu einmalige Weise Mut zugesprochen, Sir“, bemerkte Admiral Ron Bronz.

„Halt!“ kreischte Alex. Er raste hinter den marschierenden Hokas her und versuchte die Flut ihrer Leiber zu stoppen.

„Der Koordinator!“ rief Lon Meters. „Der Koordinator hat sich entschlossen mit uns zu kommen!“

Ehe Alex sich versah, wurde er von der vorwärtsstrebenden Körperflut aufgesaugt. Der Druck von hundert kompakten, kleinen Körpern schob ihn einfach auf das Schiff zu, die Gangway hinauf und in die Zentrale hinein. Dann hörte er, wie sich hinter ihm schmatzend die Schleuse schloß. Es gab keine Möglichkeit, sie wieder zu öffnen, denn jeder Quadratmeter des Schiffes war nun von Hokas mit leuchtenden Augen gefüllt.

Captain Jax nahm im Pilotensessel Platz und schnallte sich an. Alex brachte immer noch keinen Ton hervor. „Alles fertig zum Start“, sagte eine Stimme durch das Interkom. Die Triebwerke begannen zu brummen.

„Alles startklar“, sagte Captain Jax.

„Stop!“ brüllte Alex, der in panischem Entsetzen begriff, was gleich geschehen würde. „Anhalten, sage ich!“

Niemand hörte ihn. Captain Jax betätigte den Antriebsschalter. Da er die Beschleunigungskompensatoren nicht eingeschaltet hatte und Alex sich an keinem geschützten Platz befand, wurde er gegen ein Bullauge geschleudert und verlor sich auf der Stelle in Bewußtlosigkeit. „Sind Sie in Ordnung, Sir?“

Auf einer weichen Wolke schwebend – allerdings mit schmerzendem Kopf – tastete Alex sich wieder ins Leben zurück. Mit verschwommenem Blick stellte er fest, daß er sich, abgesehen von Jax und Lon, allein auf der Brücke befand. Die beiden beugten sich besorgt über ihn.

„Hier“, sagte Jax und reichte ihm ein Fläschchen. „Nehmen Sie ’n Schluck von diesem Alten Astronauten.“

Es war beinahe egal unter welchem Namen das Zeug segelte – Hokaschnaps war in jedem Fall immer eine harte Sache. Schon nach einem Schluck fühlte Alex, daß die Lebensgeister wieder in ihn zurückkehrten. Unter dem Eindruck künstlicher Schwerkraft rappelte er seine schlaksige Gestalt auf, bis er mehr oder weniger gerade stand. Dann sah er sich um.

„Verzeihung, Sir“, entschuldigte sich Lon, der Adjutant. „Uns ist gar nicht aufgefallen, daß Sie bereits mit der Ausarbeitung einer Strategie beschäftigt waren und sich deshalb während des Starts nicht anschnallen konnten.“

Alex knirschte mit den Zähnen. „Wo sind wir?“ fragte er nuschelnd.

„Das“, erwiderte der Captain, „wissen wir auch nicht, Sir. Nachdem wir die Raumverzerrung durchflogen hatten, mußten wir leider feststellen, daß wir die Orientierung verloren haben.“

„Häh?“ machte Alex. „Nachdem wir die was durchflogen hatten?“

„Die Raumverzerrung, Sir“, erklärte Lon Meters.

„Oh“, sagte Alex. Einen Moment lang war ihm die Ernsthaftigkeit des Hoka so überzeugend vorgekommen, daß er sich fragte, ob er seine vierjährige Astrogatorenausbildung nicht doch zu sehr auf die leichte Schulter genommen hatte – dieses Phänomen wurde nämlich nirgendwo erwähnt.

„Wir müssen uns also damit abfinden“, sagte Captain Jax freundlich, „daß wir uns in einem völlig unbekannten Teil des Weltraums befinden. Vielleicht sogar in einem anderen Universum. Schauen Sie.“ Er deutete auf den Bildschirm, der nichts als schwarzes, sternenübersätes Dunkel zeigte. Alex rollte die Augen. Einige der Konstellationen hatten sich in der Tat verändert – allerdings nicht viel.

Sein Gehirn begann nun wieder zu funktionieren. Alex fühlte beinahe, wie es anfing zu schwitzen. Da die Fernsehprogramme niemals etwas über die komplizierten mathematischen Probleme der Astrogation verlauten ließen, mußten die Hokas angenommen haben, es genüge schon, ein Raumschiff zu starten, um dorthin zu gelangen, wo man hinwollte. Als sie nicht mehr in der Lage waren, die eigene Position festzustellen, hatten sie sich entschieden, eine Raumverzerrung – was immer das auch sein mochte – dafür verantwortlich zu machen, daß sie vom Kurs abgekommen waren.

Nachdem sie erst einmal angefangen hatten, die Tom Bracken-Serie wörtlich zu nehmen, war alles andere nur noch eine unerbittliche, logische Folge gewesen. Die pornianische Bedrohung hatten sie gleichgesetzt mit der Bedrohung durch die Schurkis, die sich – offenbar bis an die Zähne bewaffnet – anschickten, das Universum zu unterjochen. Sie mußten zu der Schlußfolgerung gekommen sein, daß der menschliche Botschafter in Wirklichkeit der Oberste Koordinator der Raumpatrouille war und sich nur getarnt hatte. Sie waren einen Schritt weiter gegangen, hatten ihre eigene Truppe aufgestellt und … und …

Oh, nein!

„Wo fliegen wir hin?“

„Sir?“ fragte Lon Meters.

„Das ist streng geheim“, zischte Captain Jax blitzschnell, „Adjutant Meters, schließen Sie auf der Stelle die Augen und verstopfen Sie sich die Ohren.“ Der andere Hoka gehorchte.

„Wir hatten an Pornia gedacht, Sir“, gestand der Captain. „Dort scheint sich das Zentrum des gegnerischen Treibens zu befinden. Aber nun, da wir uns verflogen haben …“

„Nun …“ Alex gewann allmählich sein Gleichgewicht zurück. „Macht nichts. Zuerst werden wir mal herauszufinden versuchen, wo wir überhaupt sind.“

„Das dachte ich mir“, sagte Captain Jax. „Sie können Augen und Ohren jetzt wieder öffnen, Adjutant Meters. Glauben Sie, daß Sie herausfinden können, wo wir uns aufhalten, Sir?“

Ein ungeheurer Papierberg wälzte sich durch Alex’ Gedankenwelt, als er an die dazu nötigen Berechnungen dachte. Als würde sein Kopf noch nicht genug schmerzen! „Ich glaube schon“, stöhnte er.

„Ausgezeichnet, Koordinator“, sagte Captain Jax. „Übernehmen Sie den Kartenraum. In der Zwischenzeit werden wir ein bißchen herumkreuzen und nach Feinden Ausschau halten.“

„Oh, Gott!“ sagte Alex jämmerlich. Allzu viel schien er dagegen kaum unternehmen zu können, aber ihm fiel ein, daß der interstellare Raum selbst bei Überlichtgeschwindigkeit noch groß genug war, um die Möglichkeit einer Kollision mit einem Stern oder einem Planeten auf Null herabzudrücken. Was das Schiff betraf, so war ein vollrobotisiertes Modell wie dieses durchaus in der Lage, sich selbst zu warten und zu steuern. Ansonsten wäre es den kaum ausgebildeten Hokas gar nicht gelungen, es so einfach in den Weltraum zu bugsieren.

„Die Schurkis“, führte Captain Jax aus, „können natürlich überall auf uns lauern. Vielleicht sind wir sogar in diesem Augenblick schon mitten in der Höhle des Löwen, Wenn …!“

Er wurde durch das Auftauchen eines graumelierten Hokas unterbrochen, der – bekleidet mit einem gestärkten weißen Kittel – schnaubend die Brücke betrat. „Sir“, quäkte er, „Sie müssen etwas gegen diesen Chefingenieur unternehmen!“

„Und was?“ fragte der Captain.

„Woher soll ich das wissen?“ rief der Neuankömmling aufgebracht aus, schüttelte die Fäuste und führte einen wütenden Tanz auf. „Werfen Sie ihn den Glotzaugenmonstern zum Fraß vor. Lassen Sie ihn über die Planke laufen. Machen Sie irgendetwas, Hauptsache er hört damit auf, mir auf die Nerven zu gehen!“

„Ich glaube, Sie haben diesen Mann noch nicht kennengelernt, Sir“, sagte Lon Meters leise zu Alex. „Dr. Zarbowsky, unser Wissenschaftler. Er ist natürlich absolut verrückt – aber ein Genie.“

„Aber wenn er übergeschnappt ist“, sagte Alex, „wie kann er dann …“

„Jedes Patrouillenschiff verfügt über einen verrückten Wissenschaftler, wie Sie sehr wohl wissen, Sir“, sagte Lon entschieden. „Nehmen Sie nur das von Tom Tapfer als Beispiel.“

„Wie soll ich einen neuartigen Desintegrator entwickeln“, schrie Dr. Zarbowsky, „wenn dieser Ingenieur sich weigert, mir die Stromzuführungsschienen der Antriebseinheiten auszuhändigen? Beantworten Sie mir das!“

Alex warf sich prompt in die Bresche.

„Im Laderaum müßten sich Ersatz-Stromzuführungsschienen befinden“, sagte er diplomatisch.

„Im Laderaum“, murmelte Dr. Zarbowsky. „Daran hab ich ja noch gar nicht gedacht!“ Eilig wetzte er hinaus.

Wie vom Blitz der Ehrfurcht getroffen, starrten Jax und Lon Alex an. „Welch ein Wissen!“ keuchte der Adjutant und rang nach Atem.

„Ohne dieses Wissen wäre er niemals Koordinator geworden“, meinte Jax mit stolzgeschwellter Brust.

„Ich frage mich“, sagte Lon, „ob er nicht ein Mutant ist.“

„Ich muß hier raus!“ schnaubte Alex und knallte die Tür hinter sich zu. Die beiden Hoka-Offiziere sahen ihm voller Bewunderung nach. „Eine harte Schale“, sagte Lon, „aber einen weichen Kern, was Jax?“

„Da kannst du Gift drauf nehmen“, pflichtete der Captain ihm bei.

 

Als die Gravitationsfelder des Schiffes einen plötzlichen Richtungswechsel vornahmen, sprang Alex’ Kaffeetasse zum vierzigsten Mal in die Luft und landete auf dem Boden. Mit rotgeränderten Augen – ein Ergebnis seiner achtundvierzigstündigen pausenlosen Berechnungen – knallte Alex den Schreibstift auf das letzte Blatt und machte Anstalten sich zu erheben.

Aus dem Interkom klang eine knarrende Stimme: „Maschinenrrraum an Brrrücke. Hierrr sprrricht Chefingenieur McTavish. Was zum Kuckuck soll das bedeuten? Könnt ihrrr das Schiff nicht mal fürrr fünf Minuten auf gerrradem Kurrrs halten?“

„Entschuldigung, Angus“, erwiderte Jax besänftigend, „aber wir weichen gerade unsichtbaren Raumtorpedos aus.“

Alex fiel über den Kartentisch und verbarg das Gesicht in den Händen.

„Oh, nein“, stöhnte er. „Oh, nein, nein, nein, nein!“

Mit zitternden Fingern steckte er sich eine Zigarette an und hoffte, daß dieser Wahnsinnsflug bald ein Ende haben würde. Nur nicht die Nerven verlieren, redete er sich ein. Geraden Blickes voran und so weiter. Bloß noch ein paar Stunden.

Nachdem Alex die Position des Schiffes festgestellt hatte, war es nicht mehr schwierig gewesen, den Weg zur Sonne Pornias zu berechnen. Momentan hielten sie sich in eben diesem System auf und flogen mit Unterlicht auf den einzigen, bewohnten Planeten zu. Die Hokas hatten dieser Richtung natürlich zugestimmt, da sie unbedingt ihre Raumschlacht haben wollten.

Na gut, man würde landen. Dann würde Alex sie den Pornianern übergeben, die sie – da sie ja über eine Militärstreitmacht verfügten – festnehmen und nach Toka zurücktransportieren würden. Klar, er hatte ein hinterlistiges Spiel mit seinen Freunden getrieben, aber hatte er denn eine andere Wahl gehabt? Man konnte dieses Schiff voller … voller ewiger Kinder schließlich nicht einfach in der Galaxis herumtollen lassen.

Über das Interkom wurde ein Gewirr von Hoka-Stimmen in den Kartenraum übertragen.

„Ein ziemlich öder Raumsektor hier, Captain.“

„So ist der Weltraum nun mal, Lon. Wenn dich die Zeitstürme nicht zu packen kriegen, macht dich unweigerlich die Raumstrahlung fertig. Kaum bist du einem heranrasenden Meteor entkommen, findest du dich in einem Sargasso tödlichen Weltraumtangs wieder. Und wenn du es schaffst, dich auf wunderbare Weise daraus zu befreien, stellst du plötzlich fest, daß du mit Volldampf genau auf das Zentrum der schurkischen Flotte zujagst.“

Alex schloß die Augen und machte sich wieder an die Arbeit mit den kaffeefleckenbehafteten Kalkulationsbögen. Er mußte noch die Daten für die Landung auf Pornia erstellen. Auf dem Weg dorthin würde ihnen höchstens eine Handvoll kosmischen Staubes begegnen, mehr war nicht zu erwarten …

„Dann die Piraten …“

„Wie der da, der genau auf uns zukommt?“

„Dreh nicht durch, Lon. Kein Pirat würde es wagen, ein Schiff der Patrouille anzugreifen.“

„Nun, wenn er kein Pirat ist, was soll dann der Totenschädel mit den gekreuzten Knochen auf seinem Schiff?“

„Ich sehe weder einen Totenschädel noch gekreuzte Knochen.“

„Na ja, einen Totenschädel sehe ich auch nicht gerade, aber schau dir mal die blutroten bekreuzten Knochen dort auf dem weißen Feld an.“

„Bei allen bockenden Raketen, Lon, du hast recht! Achtung, an alle Kanoniere! Fertigmachen zum Gefecht!“

Von einem plötzlich entsetzlichen Mißtrauen gepackt, schaltete Alex den Kartenraum-Bildschirm an. Vor ihnen, in der Leere, schwebte ein riesiges Raumschiff, auf dessen Seite ein rotes Kreuz prangte.

„Stop!“ brüllte Alex. „Das ist ein Hospitalschiff!“

Wie von einer Tarantel gestochen flitzte er aus dem Kartenraum und hetzte auf die Brücke. Auf halbem Weg stolperte er über eine kleine, weißbekittelte Gestalt.

„Immer diese Unterbrechungen!“ quäkte Dr. Zarbowsky. „Kann man denn einen Wissenschaftler nicht mal eine Minute in Ruhe lassen?“ Als er Alex auf dem Boden liegen sah, meinte er: „Oh, Verzeihung, Sir. Ich wollte gerade zu Ihnen kommen. Wissen Sie, wo ich einen einpoligen Kondensator bekommen kann?“

„Gehen Sie zum Teufel“, fauchte Alex und rappelte sich auf.

„Auf diesem Schiff befindet sich niemand, der diesen Namen trägt“, erwiderte Dr. Zarbowsky traurig.

Alex rannte durch den Korridor, stürmte auf die Brücke und kam vor der Kommunikationskonsole schlitternd zu halten.

„Wollen Sie übernehmen, Sir?“ fragte Jax.

„Und ob!“ keuchte Alex.

Das Abbild eines Pornianers – er war zwei Meter groß, hatte dürre Beine und besaß ein plattgedrücktes, grünes Gesicht, das ihn aus einem golddurchwirkten Kragen heraus ansah – erschien auf dem Bildschirm. „Was ist?“ fragte er auf Englisch. „Wer sind Sie?“

„Das tut nichts zur Sache“, erwiderte Alex schroff. „Geben Sir mir Ihren Captain.“

„Wer sind Sie?“ fragte der Pornianer in förmlichen Tonfall. „Wir sind das Hospitalschiff Sudbriggan von der pornianischen Marine. Identifizieren Sie sich, wenn Sie nicht riskieren wollen, als unerwünschte Ausländer ohne Pässe festgenommen zu werden.“

„Festgenommen?“ fragte Alex verwundert. Er hätte sich nicht im Traum einfallen lassen, daß die Arroganz des neuen Militärregimes dermaßen weit ging. „Sie belieben zu scherzen!“

Die Gestalt des Pornianers wurde vor Zorn violett. „Wollen Sie mich etwa beleidigen?“ zischte er. „Sie sind festgenommen. Halten Sie an, damit wir an Bord kommen können!“

Alex hatte plötzlich die beunruhigende Vision vor Augen, dem Erd-Hauptquartier erklären zu müssen, wie er und einhundert seiner Schützlinge überhaupt in die Lage gekommen waren, von der Regierung dieses berüchtigten Planeten festgenommen zu werden.

„Ach, lassen wir das“, sagte er. „Wir wollten sowieso gerade wieder gehen.“

Er zog sich vom Bildschirm zurück und begab sich an die Kontrollen. Er hatte gerade die Hand nach dem Hauptbeschleunigungsschalter ausgestreckt, als eine donnernde Explosion den Furchtlosen erbeben ließ. Alex fühlte sich zu Boden geworfen. Unglücklicherweise ratschte seine Nase dabei an einem Tischbein entlang.

Er stand auf, wischte sich das Blut aus dem Gesicht, blickte Captain Jax an und schrie: „Was ist denn nun schon wieder passiert?“

„Wir haben das Feuer eröffnet“, sagte der Hoka und deutete auf den Bildschirm, der nun sowohl die Außenhülle des Furchtlosen als auch einen Teil des Weltraums zeigte. Aus den Kanonenmündungen quoll Rauch. „Wir haben den schurkischen Piraten leider nicht getroffen“, fügte er bedauernd hinzu. „Wahrscheinlich hatte er die Schutzschirme bereits eingeschaltet.“

Wenn irgendjemand irgendwo im Kosmos den legendären Energieschutzschirm bereits erfunden haben sollte, würde sich die Interstellare Astrogatorenvereinigung wahrhaft glücklich schätzen, ihn, sie, er oder xu kennenzulernen. Alex warf einen weiteren entsetzten Blick auf das pornianische Schiff, das nun mit voller Beschleunigung sonnenwärts raste. Die plumpen, nichtsdestoweniger aber soliden Kanonenkugeln hatten seiner Außenhülle lediglich ein paar Kratzer zugefügt – dem Captain jedoch offenbar den Schreck seines Lebens eingejagt.

Das Abbild der Kulturbürokraten des Erd-Hauptquartiers in Alex’ verschrecktem Gesicht verschwand und wurde ersetzt durch das Bild eines Gerichtssaals, in dem man wegen eines bewaffneten Angriffs gegen einen gewissen A. Jones verhandelte. Da die äußerst unwirtschaftliche Raumpiraterie bisher noch nicht vorgekommen war, konnte es gut möglich sein, daß man ihn nach den alten Seepirateriegesetzen aburteilte, denn die waren garantiert noch in Kraft und endeten in der Regel mit dem Tod durch Erhängen. Zumindest konnte ein Botschafter, der im All herumsauste und Hospitalschiffe anschoß, kaum damit rechnen, daß man ihn in seiner Stellung verbleiben ließ. Schließlich verlangte man vom Inhaber eines solchen Amtes in erster Linie Erhabenheit.

Aus dem ganzen Gedankenwirrwarr, der Alex in diesem Augenblick beschäftigt hielt, kristallisierte sich nun jedoch ein ganz bestimmter heraus, und der machte ihm klar, daß es nur eine Möglichkeit gab, das Chaos zu entwirren: Er mußte den Pornianer verfolgen und ihm, bevor er in der Lage war, die Nachricht von dem vermeintlichen Überfall weiterzugeben, die Lage erklären, sich bei ihm entschuldigen und ihn bitten, den Vorfall nicht zu melden.

„Volle Kraft voraus!“ brüllte Alex, warf sich auf den Pilotensitz und drückte die Beschleunigungstastatur.

Die Hokas jubelten vor Freude.

„Sie werden uns nicht entkommen, Koordinator!“ rief Captain Jax. „Vertrauen Sie uns!“

Und damit nahm Der Furchtlose die Verfolgung auf.

Der Hohe Lordadmiral der pornianischen Marine brüllte die zitternde, tentakelbewehrte Kreatur an, die vor ihm auf dem Bildschirm aufgetaucht war.

„Was?“