»Was soll das heißen - du kannst heute nicht zu mir zum Mittagessen kommen? Das machen wir doch seit Jahren so - hast du das etwa vergessen?«
»Ich habe es nicht vergessen, Dad. Es geht aber heute einfach nicht. Nächste Woche holen wir’s nach, okay?«
Am anderen Ende der Leitung trommelte Jeb Blake mit den Fingern auf die Tischplatte.
»Ich werde das dumme Gefühl nicht los, daß du mir etwas verschweigst«, sagte er.
»Es gibt nichts zu verschweigen.«
»Wirklich nicht?«
»Bestimmt nicht.«
Theresa rief aus dem Badezimmer, sie brauche ein Handtuch. Garrett hielt die Sprechmuschel zu und rief zurück, er werde gleich kommen. Als er den Hörer wieder hochnahm, fragte sein Vater neugierig:
»Was war denn das?«
»Ach, nichts.«
Dann fiel der Groschen. »Das ist diese Theresa, oder?«
Garrett wußte genau, daß er seinem Vater nichts vormachen konnte. »Ja, Dad, richtig geraten.«
»Wurde auch verdammt Zeit«, sagte Jeb, spürbar zufrieden.
Garrett versuchte es herunterzuspielen. »Nun mach aber nicht so viel Aufhebens von der Geschichte…«
»Tu ich nicht - versprochen.«
»Danke.«
»Aber darf ich dich was fragen?«
»Sicher«, seufzte Garrett.
»Macht sie dich glücklich?«
Garrett zögerte mit der Antwort. »Ja, das tut sie«, sagte er schließlich.
»Wurde auch verdammt Zeit«, wiederholte Jeb lachend und legte auf. Garrett starrte noch eine Weile auf den Apparat.
»Ja, das tut sie wirklich«, flüsterte er leise lächelnd vor sich hin.
Wenig später kam Theresa, ausgeruht und frisch, aus dem Badezimmer. Vom Kaffeeduft angelockt, ging sie gleich in die Küche.
»Noch einmal guten Morgen«, sagte Garrett und küßte ihren Nacken.
»Auch dir noch einmal guten Morgen.«
»Tut mir leid, daß ich mich gestern nacht aus dem Schlafzimmer geschlichen habe.«
»Ist doch in Ordnung… Ich kann’s verstehen.«
»Wirklich?«
»Natürlich.«
Sie schenkte ihm ein strahlendes Lächeln. »Es war eine wundervolle Nacht für mich.«
»Für mich auch.« Er nahm zwei Kaffeetassen aus dem Schrank. »Was möchtest du unternehmen? Ich habe im Laden angerufen und gesagt, ich käme heute nicht.«
»Schlag was vor.«
»Wie wär’s, wenn ich dir Wilmington zeigen würde?«
»Können wir machen«, sagte sie, aber es klang nicht sehr überzeugend.
»Hast du einen besseren Vorschlag?«
»Was hältst du davon, heute einfach hierzubleiben?«
»Um was zu tun?«
»Ach, ich wüßte da schon das eine oder andere«, sagte sie verschmitzt. »Das heißt, wenn du nichts dagegen hast.«
»Ich wüßte nicht, was ich dagegen haben sollte«, schmunzelte er.
In den nächsten vier Tagen waren Theresa und Garrett unzertrennlich. Er überließ Ian die Aufsicht über den Laden und erlaubte ihm sogar, den Tauchkurs am Samstag abzuhalten, was vorher noch nie vorgekommen war. Zweimal ging Garrett mit Theresa segeln, und beim zweiten Mal blieben sie die ganze Nacht draußen auf dem Meer. Gewiegt von der sanften Dünung des Atlantiks, lagen sie eng umschlungen in der Kabine. Theresa bat ihn, ihr noch mehr Abenteuergeschichten von frühen Seefahrern zu erzählen, und streichelte ihm dabei die ganze Zeit liebevoll übers Haar.
Was sie nicht wußte, war, daß Garrett, wie in ihrer ersten gemeinsamen Nacht, aufstand, als sie schon schlief, und auf dem Deck auf- und ablief. Er dachte daran, daß Theresa ihn bald verlassen würde, und dabei stiegen Erinnerungen an andere Zeiten in ihm hoch.
»Ich finde, du solltest nicht fahren«, sagte Garrett und sah Catherine besorgt an.
Den Koffer in der Hand stand sie an der Eingangstür. »Ach, Garrett, wir haben das schon so oft besprochen; ich bin doch nur ein paar Tage fort.«
»Aber du bist in letzter Zeit so verändert.«
Catherine rang die Hände. »Wie oft muß ich denn noch sagen, daß alles in Ordnung ist? Meine Schwester braucht mich - du kennst sie doch. Sie macht sich Sorgen wegen der Hochzeit, und Mom ist ihr keine Hilfe.«
»Aber ich brauche dich auch.«
»Garrett - nur weil du den ganzen Tag im Laden sein mußt, brauche ich doch nicht zu bleiben. Wir sind schließlich nicht aneinandergekettet.«
Es war, als hätte sie ihm einen Schlag versetzt. Garrett wich unwillkürlich zurück.
»Das habe ich nicht behauptet. Ich finde es nur unvernünftig, daß du fährst, wenn du dich nicht gut fühlst.«
»Du willst nie, daß ich allein wegfahre.«
»Ich vermisse dich eben so, wenn du fort bist.«
Ihr Blick wurde versöhnlicher.
»Du weißt doch, daß ich jedes Mal zurückkomme, Garrett.«
Als die Erinnerung verblaßte, ging Garrett in die Kabine zurück. Ganz vorsichtig schlüpfte er ins Bett und nahm Theresa fest in die Arme.
Den folgenden Tag verbrachten sie am Wrightsville Beach in der Nähe des Restaurants, in dem sie das erste Mal zu Mittag gegessen hatten. Als Theresas Haut sich zu röten begann, kaufte Garrett in einem der Strandläden eine Sonnencreme. Während er ihren ganzen Körper damit einrieb, ganz sanft, als wäre sie ein kleines Kind, hatte sie einen Augenblick das Gefühl, als wäre er mit den Gedanken woanders. Doch der Augenblick verging, und sie fragte sich, ob es nicht einfach nur Einbildung gewesen war.
Mittags aßen sie wieder bei ›Hank’s‹, saßen einander Händchen haltend gegenüber und schauten sich in die Augen. Sie waren so ins Gespräch vertieft, daß sie ihre Umwelt kaum wahrnahmen und nicht einmal bemerkten, daß die Rechnung längst auf dem Tisch lag und das Restaurant sich zu leeren begann.
Theresa fragte sich, ob Garrett Catherine gegenüber genauso aufmerksam gewesen war wie bei ihr. Es war, als könnte er ihre Gedanken lesen - wenn sie insgeheim wünschte, er solle ihre Hand in die seine nehmen, tat er es, ohne daß sie ihn darum bitten mußte. Wenn sie beim Sprechen nicht unterbrochen werden wollte, hörte er ihr schweigend zu. Wenn sie wissen wollte, was er in einem gewissen Augenblick fühlte, brauchte sie ihn nur anzusehen und hatte schon die Antwort. Niemand, nicht einmal David, hatte sie jemals so gut verstanden, wie Garrett sie zu verstehen schien, und das, obwohl sie ihn erst ein paar Tage kannte. Wirklich nur ein paar Tage? Wie war das möglich? fragte sie sich. Und jedesmal wenn sie über die Frage nachdachte, gelangte sie zu der Überzeugung, daß es mit der Flaschenpost zu tun haben mußte. Je näher sie Garrett kennenlernte, desto größer wurde ihre Gewißheit, es sei ihr vom Schicksal bestimmt gewesen, daß sie seine Botschaften an Catherine gefunden hatte. So als hätte eine geheime Kraft die Briefe zu ihr gelenkt, um sie mit Garrett zusammenzubringen…
Am Samstagabend bereitete Garrett noch einmal ein Essen für sie zu, das sie auf der hinteren Veranda einnahmen. Und nachdem sie sich geliebt hatten, lagen sie eng umschlungen in seinem Bett. Sie wußten, daß Theresa am nächsten Tag nach Boston zurückkehren mußte, doch beide hatten das Thema bis dahin gemieden.
»Sehe ich dich wieder?« fragte sie.
»Ich hoffe«, antwortete er.
»Möchtest du’s?«
»Natürlich möchte ich’s.« Plötzlich richtete er sich auf und rückte ein Stück von ihr weg. Sie knipste die Nachttischlampe an.
»Was ist, Garrett?«
»Ich will einfach nicht, daß es zu Ende ist«, sagte er. »Du bist in mein Leben getreten, hast alles auf den Kopf gestellt, und jetzt gehst du einfach fort.«
Sie griff nach seiner Hand.
»Oh, Garrett - ich will doch genauso wenig, daß es zu Ende ist. Dies war eine der schönsten Wochen in meinem Leben. Es kommt mir so vor, als hätte ich dich immer schon gekannt. Und wenn wir uns bemühen, wird es auch eine Zukunft für uns geben. Ich kann dich besuchen oder du mich. Wie auch immer, wir sollten es versuchen.«
»Wie oft würde ich dich sehen? Einmal im Monat? Oder noch seltener?«
»Das hängt wohl von uns selbst ab. Wenn wir beide etwas dazu beitragen, kann es funktionieren.«
Er schwieg eine lange Weile. »Glaubst du wirklich, das ist möglich, wenn wir uns nur so selten sehen? Wann würde ich dich im Arm halten, wann dein Gesicht sehen? Jedesmal wenn wir uns träfen, wüßten wir, daß es nur für wenige Tage ist. Unsere Beziehung hätte keine Zeit zu wachsen und zu reifen.«
Seine Worte schmerzten, nicht nur weil sie zutrafen, sondern auch weil es ihr vorkam, als wollte er ihre Beziehung hier und jetzt beenden. Als er sich ihr nun zuwandte, spielte ein wehmütiges Lächeln um seine Lippen. Verwirrt ließ sie seine Hand los.
»Soll das heißen, du willst es erst gar nicht versuchen? Und einfach alles vergessen, was geschehen ist?«
Er schüttelte den Kopf. »Nein, ich will es nicht vergessen. Ich könnte es gar nicht. Nur, weißt du, ich möchte dich öfter sehen, als es möglich sein wird.«
»Das geht mir doch genauso, Garrett. Aber da es nicht möglich ist, laß uns das Beste draus machen. Okay?«
Fast widerwillig nickte er. »Ich weiß nicht recht…«
Sie musterte ihn aufmerksam und glaubte, noch etwas anderes hinter seinem Zögern zu spüren.
»Garrett, was ist los?«
Da er nicht antwortete, fuhr sie fort.
»Gibt es einen Grund, warum du’s nicht versuchen willst?«
Garrett schwieg weiter und betrachtete Catherines Foto auf dem Nachttisch.
»Wie war die Reise?« Garrett hob Catherines Gepäck aus dem Kofferraum. Obwohl sie lächelte, konnte er deutlich erkennen, wie erschöpft sie war.
»Ganz gut, aber meine Schwester ist fix und fertig. Bei ihr muß immer alles perfekt sein. Nun stellte sich aber heraus, daß Nancy schwanger ist und ihr das Brautjungfernkleid zu eng geworden ist.«
»Na und? Dann soll sie’s halt ändern lassen.«
»Das habe ich auch gesagt, aber du kennst sie ja. Sie macht aus jeder Mücke einen Elefanten.«
Catherine legte die Hände in die Hüften und dehnte den Rücken.
»Fehlt dir was?«
»Nein, ich bin nur so verspannt. Ich war die ganze Zeit über müde und hatte Rückenschmerzen.«
Sie ging auf die Haustür zu, und Garrett folgte ihr.
»Catherine, ich wollte dir noch sagen, daß mir mein Verhalten vor deiner Abreise leid tut. Ich bin froh, daß du gefahren bist und noch froher natürlich, daß du wieder bei mir bist.«
»So sag doch was, Garrett.« Theresa starrte ihn besorgt an.
»Theresa«, begann er, »es ist so schwer… Alles, was ich durchgemacht habe…«
Seine Stimme verlor sich, und plötzlich begriff Theresa, was er sagen wollte. Ihr Herz krampfte sich zusammen.
»Ist es wegen Catherine?«
»Nein, es ist nur…« Er hielt inne, und jetzt erkannte Theresa, daß ihre Vermutung richtig war.
»So ist es doch, nicht wahr? Du willst es mit uns beiden nicht einmal versuchen - wegen Catherine.«
»Du verstehst mich nicht.«
Unwillkürlich fühlte sie plötzlich Wut in sich hochsteigen. »Oh, ich verstehe sehr wohl. Du konntest diese Woche mit mir genießen, weil du wußtest, ich würde wieder verschwinden… und alles ist wieder wie vorher. Ich bin für dich nur eine Affäre.«
Er schüttelte den Kopf. »Nein, das bist du nicht, Theresa. Ich habe dich wirklich gern.«
»Aber nicht genug, um auch nur einen kleinen Versuch zu machen.«
Er sah sie an, Schmerz in den Augen. »Sei doch nicht so…«
»Wie sollte ich denn sein? Verständnisvoll? Soll ich einfach sagen: ›Okay, Garrett, machen wir Schluß, weil es schwierig ist und wir uns nicht oft sehen können. Ich habe vollstes Verständnis. Nett, dich kennengelernt zu haben.‹ Ist es das, was du hören willst?«
»Nein, das will ich nicht hören.«
»Was willst du dann? Ich habe schon gesagt, daß ich bereit bin, es zu versuchen… daß ich’s gern tun würde…«
Er schüttelte den Kopf und wich ihrem Blick aus. Theresa fühlte Tränen in ihre Augen steigen.
»Hör zu, Garrett, ich weiß, du hast deine Frau verloren und schwer unter diesem Verlust gelitten. Aber du benimmst dich wie ein Märtyrer. Du hast dein ganzes Leben noch vor dir. Wirf es nicht weg, indem du nur noch in der Vergangenheit lebst.«
»Ich lebe nicht in der Vergangenheit«, sagte er trotzig.
Theresa kämpfte ihre Tränen nieder, und ihre Stimme wurde wieder ruhiger.
»Ich habe auf andere Weise auch einen Menschen verloren, den ich sehr liebte. Ich weiß, was Schmerz und Verletzung bedeuten. Aber um es ganz offen zu sagen, ich bin es leid, immer allein zu sein. Das dauert nun schon drei Jahre, genau wie bei dir, und ich habe es satt. Ich will einen Menschen finden, der zu mir paßt. Und das solltest du auch tun.«
»Glaubst du, das wüßte ich nicht?«
»Da bin ich mir im Augenblick nicht so sicher. Zwischen uns ist etwas Wundervolles geschehen, und das möchte ich nicht verlieren.«
Sie verstummte, und beide schwiegen eine Weile.
»Du hast ja recht«, sagte er schließlich, nach Worten ringend. »Mein Verstand sagt es mir. Aber mein Herz… ich weiß es einfach nicht.«
»Was ist mit deinem Herzen, Garrett? Bedeutet es dir gar nichts?«
Bei ihrem Blick schnürte sich ihm die Kehle zusammen.
»Natürlich tut es das. Es bedeutet mir mehr, als du dir vorstellen kannst.« Als er ihre Hand ergreifen wollte, wich sie zurück, und ihm wurde klar, wie sehr er sie verletzt hatte.
»Theresa«, sagte er mit sanfter Stimme, bemüht, sich zu fassen. »Es tut mir leid, dir - uns - diese letzte Nacht zu verderben. Es war bestimmt nicht meine Absicht. Du bist keine Affäre für mich, glaube mir. Ich habe dir gesagt, wie gern ich dich habe, und das war ernst gemeint.«
Er breitete die Arme aus, und seine Augen blickten sie flehend an. Theresa zögerte eine Sekunde und schmiegte sich dann, von tausend widersprüchlichen Gefühlen gepeinigt, an ihn. Sie senkte den Kopf, um sein Gesicht nicht zu sehen. Er küßte ihr Haar und flüsterte ihr ins Ohr.
»Ich mag dich. Ich mag dich so sehr, daß es mir angst macht. Ich hatte fast schon vergessen, was ein anderer Mensch mir bedeuten kann. Ich könnte dich nicht gehen lassen und vergessen - ich will es auch nicht. Und ich will ganz sicher nicht, daß unsere Beziehung hier endet.« Eine Weile war nur sein Atem zu hören, dann fuhr er fort: »Ich will, daß wir ihr eine Chance geben.«
Beim Klang seiner zärtlichen Stimme konnte sie ihre Tränen nicht mehr zurückhalten. Und dann sprach er so leise weiter, daß sie ihn nur mit Mühe verstehen konnte.
»Theresa, ich glaube, ich liebe dich.«
»Ich glaube, ich liebe dich, hörte sie immer wieder. Ich glaube…
Ich glaube…
Sie wollte nichts darauf erwidern und flüsterte nur: »Laß uns nicht mehr davon sprechen - und halt mich ganz fest.«
Am nächsten Morgen beim Aufwachen liebten sie sich und hielten einander umschlungen, bis die Sonne schon hoch stand und Theresa sich reisefertig machen mußte. Für den Fall, daß Deanna oder Kevin anriefen, hatte sie ihr Hotelzimmer nicht aufgegeben, obwohl sie die meisten Nächte bei Garrett verbracht und sogar ihren Koffer mitgenommen hatte.
Während Theresa duschte, sich anzog und packte, bereitete Garrett das Frühstück zu. Der Geruch von Eiern und gebratenem Schinken erfüllte bald das ganze Haus. Als Theresa ihr Haar getrocknet und sich geschminkt hatte, ging sie in die Küche.
Garrett saß am Tisch und trank seinen Kaffee. Theresa bediente sich an der Kaffeemaschine und setzte sich neben ihn. Das Frühstück - Rührei mit Schinken und Toast - stand schon auf dem Tisch.
»Ich wußte nicht, was du zum Frühstück willst«, sagte er.
»Ich hab keinen Hunger, Garrett. Ich hoffe, das macht dir nichts aus.«
»Mir geht’s ähnlich«, lächelte er. »Ich bin auch nicht besonders hungrig.«
Sie stand auf, setzte sich auf seinen Schoß, schlang die Arme um ihn und barg den Kopf an seiner Brust. Er zog sie an sich und strich ihr mit der Hand durchs Haar.
Schließlich löste sie sich aus der Umarmung. Die vielen Stunden in der Sonne hatten ihre Haut gebräunt, und in ihren Jeansshorts und ihrem weißen T-Shirt wirkte sie fast wie ein Teenager. Einen Augenblick starrte sie auf das Blumenmuster an ihren Sandalen. Ihr Koffer und ihre Handtasche warteten neben der Schlafzimmertür.
»Mein Flugzeug geht bald, und ich muß mich noch im Hotel abmelden und den Leihwagen zurückgeben.«
»Soll ich wirklich nicht mitkommen?«
»Nein, ich muß mich unheimlich beeilen. Außerdem müßtest du in deinem Wagen hinterherfahren. Ich finde es besser, wenn wir uns hier verabschieden.«
»Ich rufe dich heute abend an.«
»Ich freue mich schon drauf«, lächelte sie.
Ihre Augen füllten sich wieder mit Tränen, und er zog sie an sich.
»Du wirst mir schrecklich fehlen«, sagte er, und nun begann sie richtig zu weinen. Mit dem Daumen wischte er ihr die Tränen fort.
»Und mir werden deine saftigen Steaks fehlen«, schluchzte sie.
Er lachte. »Komm, sei nicht so traurig. In ein paar Wochen sehen wir uns wieder, okay?«
»Es sei denn, du überlegst es dir anders.«
»Ich werde die Tage zählen«, lächelte er. »Und das nächste Mal bringst du Kevin mit, versprochen?«
Sie nickte.
»Ich freue mich auf ihn. Wenn er dir nur im entferntesten ähnelt, werden wir uns blendend verstehen.«
»Da bin ich mir auch ganz sicher.«
»Und bis dahin werde ich Tag und Nacht an dich denken.«
»Wirklich?«
»Ganz sicher. Ich denke doch jetzt schon an dich.«
»Naja, wenn ich auf deinem Schoß sitze.«
Mit einem etwas gequälten Lächeln wischte sie sich die letzten Tränen von den Wangen und stand auf. Garrett nahm ihren Koffer, und sie verließen gemeinsam das Haus. Die Sonne stand schon hoch, und Theresa zog ihre Sonnenbrille aus dem Seitenfach ihrer Handtasche.
Als Garrett ihr Gepäck im Kofferraum verstaut hatte, schloß er sie ein letztes Mal in die Arme, küßte sie zärtlich und öffnete ihr dann die Wagentür.
Nachdem sie eingestiegen war, schauten sie sich bei geöffneter Tür noch einmal tief in die Augen.
»Nun muß ich aber los, wenn ich meine Maschine noch erwischen will.«
»Ich weiß.«
Er trat zurück und schlug die Wagentür zu. Sie kurbelte das Fenster herunter und streckte ihm die Hand entgegen. Garrett drückte sie fest.
»Du rufst mich heute abend an?«
»Versprochen.«
Lächelnd zog sie die Hand zurück und drehte den Zündschlüssel. Als der Wagen losfuhr, sah Garrett sie ein letztes Mal winken und fragte sich, wie in aller Welt er diese nächsten zwei Wochen überstehen sollte.
Trotz des starken Verkehrs gelangte Theresa rasch ins Hotel und beglich ihre Rechnung. Sie fand drei Nachrichten von Deanna vor, eine dringlicher als die andere: ›Wie läuft es bei dir? Wie war die Segeltour?‹ - ›Warum hast du nicht angerufen? Ich warte auf Nachricht‹ - ›Du treibst mich in den Wahnsinn! Bitte ruf an und berichte in allen Einzelheiten. Bitte!‹ Auch von Kevin war eine Nachricht da, aber sie mußte schon älter sein, denn sie hatte ihn mehrmals von Garrett aus angerufen.
Theresa gab den Leihwagen zurück und erreichte den Flughafen knapp eine halbe Stunde vor Abflug. Glücklicherweise war die Schlange an der Gepäckabgabe kurz, und so gelangte sie in letzter Minute in ihr Flugzeug. Es war nur zur Hälfte besetzt, und der Platz neben ihr blieb leer.
Sie schloß die Augen und dachte über die erstaunlichen Ereignisse der letzten Woche nach. Sie hatte Garrett nicht nur gefunden, sondern obendrein sehr viel besser kennengelernt, als sie für möglich gehalten hatte. Er hatte Gefühle in ihr geweckt, die sie längst verschüttet geglaubt hatte.
Aber liebte sie ihn?
Sie stellte sich diese Frage sehr behutsam, da sie nicht wußte, was ein Eingeständnis bedeutet hätte.
Sie rief sich das Gespräch der letzten Nacht ins Gedächtnis zurück - seine Angst, die Vergangenheit loszulassen, seine Bedenken, weil sie einander nicht so oft sehen konnten, wie er wollte. All das verstand sie durchaus. Aber…
»Ich glaube, ich liebe dich.«
Sie runzelte die Stirn. Warum dieses ›Ich glaube‹ Entweder liebte er sie oder er liebte sie nicht… Hatte er das gesagt, um sie zu beschwichtigen? Oder aus einem anderen Grund?
»Ich glaube, ich liebe dich.«
Sie hörte es ihn immer wieder sagen, mit einer Stimme voller… voller widersprüchlicher Gefühle? Rückblickend wünschte sie fast, er hätte es gar nicht gesagt. Dann hätte sie jetzt nicht zu rätseln brauchen, was damit gemeint war.
Aber wie stand es mit ihr? Liebte sie Garrett?
Müde und nicht mehr willens, sich ihren widerstreitenden Empfindungen zu stellen, schloß sie erneut die Augen. Eines aber war sicher - sie würde ihm ihre Liebe nicht gestehen, ehe sie nicht mit Sicherheit wußte, daß er Catherines Verlust überwunden hatte.
Garrett träumte in dieser Nacht von einem gewaltigen Sturm. Regen prasselte auf das Haus nieder, und er rannte hektisch von einem Zimmer ins andere. Es war nicht sein Haus, und obwohl er es gut zu kennen glaubte, konnte er wegen des Regens, der durch die geöffneten Fenster peitschte, kaum etwas sehen. Weil er wußte, daß er sie schließen mußte, lief er ins Schlafzimmer, verwickelte sich aber in den langen Vorhängen, die sich vom Wind blähten. Er befreite sich, doch im selben Augenblick erlosch das Licht, und der Raum lag völlig im Dunkel.
Über das Tosen des Sturms hinweg vernahm er in der Ferne eine Sirene, die Warnung vor einem nahenden Hurrikan. Während am Himmel Blitze zuckten, versuchte er vergebens, die Fenster zu schließen. Seine Hände waren vom Regen naß und fanden nicht den nötigen Halt.
Über ihm begann das Dach zu ächzen und zu knarren. Garrett hörte, wie Ziegel herunterfielen und Glas splitterte.
Er rannte ins Wohnzimmer. Das große Panoramafenster war zerborsten, der Boden übersät mit Scherben. Die Eingangstür bebte in ihrem Rahmen.
Draußen vor dem Fenster hörte er Theresa nach ihm rufen.
»Garrett, du mußt raus!«
In diesem Augenblick zerbarsten auch die Scheiben im Schlafzimmer. Der Sturm fuhr durchs Haus und riß eine Öffnung in die Decke. Lange würde das Haus nicht mehr standhalten.
Catherine.
Er mußte ihr Foto holen und die anderen Erinnerungsstücke.
»Garrett!« rief Theresa wieder. »Es ist höchste Zeit!«
Trotz des Regens und der Dunkelheit konnte er sie draußen heftig gestikulieren sehen.
Das Foto. Der Ring. Die Valentinskarten.
»So komm doch!« schrie sie.
Mit großem Getöse löste sich das Dach vom Haus, und der Wind begann es wegzuzerren. Schützend hob Garrett die Arme über den Kopf, als Teile der Decke herabstürzten.
Der Gefahr trotzend, wollte er ins Schlafzimmer laufen, um die Andenken zu holen. Er durfte sie nicht zurücklassen.
»Du kannst es noch schaffen!«
Irgend etwas an Theresas Stimme ließ ihn zögern. Er blickte zu ihr, dann ins Schlafzimmer.
Noch ein Stück von der Decke fiel herab, und das Dach gab weiter nach.
Er machte einen Schritt in Richtung Schlafzimmer, und da sah er, daß Theresa aufhörte zu winken, als hätte sie plötzlich aufgegeben.
Mit einem gespenstischen Heulen fegte der Wind durchs Zimmer. Möbel kippten um und versperrten ihm den Weg.
»Garrett! Bitte!« rief Theresa.
Wieder blieb er beim flehenden Ton ihrer Stimme stehen; ihm wurde klar, daß er nicht davonkommen würde, wenn er die Dinge aus seiner Vergangenheit zu retten suchte.
War es den Preis wert?
Die Antwort lag auf der Hand.
Er gab seinen Versuch auf und eilte zu der Öffnung, wo das Fenster gewesen war. Mit der Faust schlug er die Glasreste heraus. In dem Augenblick, als er auf die Veranda trat, wurde das Dach vollständig fortgerissen, die Wände gaben nach, und alles krachte mit ohrenbetäubendem Lärm zusammen.
Er hielt nach Theresa Ausschau, um sich zu vergewissern, daß sie unversehrt war. Seltsamerweise aber war sie verschwunden.