8. KAPITEL
Autos hatten immer zu Amys Leben gehört. Als sie noch ein Kind war, hatte ihr Vater einen Chauffeur namens George eingestellt. Sie konnte sich sogar noch an den Wagen erinnern, den sie damals gehabt hatten. Eine schwere Limousine mit getönten Scheiben und einer eingebauten Bar.
Lady Wickertons Fahrer hieß Peter. Der Wagen war ein eleganter, unauffällig grauer Daimler. Sie trauerte weder ihm noch dem Chauffeur nach, als sie durch die Vororte nach Wimbledon fuhr.
In einigen Stunden würde sie auf dem Centre-Court stehen. Die Gedanken nur noch auf das Spiel gerichtet, in sich den unbändigen Willen zu gewinnen.
Ein Mal, in dem Jahr ihrer Liebe zu Tad, hatten sie beide Wimbledon gewonnen. Diesmal musste Amy gegen Maria Rayski spielen. Hatte sie damals nach dem ersten Sieg in Wimbledon geglaubt, nun würde ihr Leben erst wirklich beginnen, so wusste sie heute, dass das nicht gestimmt hatte.
Heute war der Tag, an dem sich alles entscheiden würde. Sie spielte auf dem Boden, der ihr am besten lag, und sie würde ihr Bestes geben in einem Land, wo sie sich so lange in ihrer Ehe wie eine Gefangene vorgekommen war. Wenn es ihr gelang, dieses Spiel zu gewinnen, dann würde sich auch privat eine Möglichkeit finden, ihr Leben wieder auf eine feste Basis zu stellen.
Sie dachte an Tad, der als Junge den Schwur getan hatte, eines Tages Wimbledon zu gewinnen. Jetzt, in dieser Limousine, auf der Fahrt zum Centre-Court, tat Amy einen ähnlichen Schwur. Sie wollte gewinnen, wollte aller Welt zeigen, dass Amy Wolfe wieder da war, dass ihre bisherigen Erfolge kein Zufall gewesen waren. Das würde ihr die Kraft geben, allen Problemen die Stirn zu bieten.
Für diese frühe Tageszeit waren schon erstaunlich viele Zuschauer da. Amy fühlte sich seltsam beschwingt und locker, als sie aus dem Wagen stieg. Freundlich erfüllte sie die Autogrammwünsche. Das war ihr Tag, sie spürte es ganz deutlich. Ein sonniger Tag im Juli – was konnte da schon schief gehen?
Eigentlich hatte sich nicht viel verändert seit den Zeiten, als ihr Vater hier gespielt hatte. Im Bereich hinter der Tribüne, der nur den Aktiven, Offiziellen und einigen bekannten Persönlichkeiten vorbehalten war, flogen Wortfetzen hin und her, es wurde gelacht und gescherzt – und doch spürte man unterschwellig die Nervosität, die die Spieler erfasst hatte, ihre Betreuer und diejenigen, die um sie zitterten.
Amy sah einige bekannte Gesichter von früheren Wimbledon-Siegern. Für sie war es einmal im Jahr zur Zeit des Turniers wie ein großes Familienfest, auf dem sie sich alle wiedersahen, von vergangnen Zeiten erzählten und die betrauerten, die nicht mehr dabei sein konnten.
Aber dann gab es auch solche, die Amy in ihrer Zeit als Lady Wickerton am Grosvenor Square empfangen hatte. Für die war Wimbledon mehr ein gesellschaftliches als ein sportliches Ereignis. Eines, auf dem man sich unbedingt sehen lassen musste – so wie in Ascot zu den berühmten Pferderennen.
Amy hatte gewusst, dass ihr das bevorstand, und so hatte sie sich völlig in der Gewalt, als es sich nicht umgehen ließ, die Bekannten aus ihrer Zeit mit Eric zu begrüßen.
»Amy, wie schön, dich wiederzusehen …« »Ich hätte dich beinahe nicht erkannt im Tennisdress …« »Schade, dass wir uns nicht mehr bei den Partys treffen …«
Genauso nichtssagende Äußerungen, wie sie sie während ihrer Ehe immer wieder gehört und entsprechend freundlich und nichtssagend beantwortet hatte. Diese Leute spielten ihre Rollen viel zu perfekt, als dass einer auch nur auf die Idee gekommen wäre, ehrlich zu sagen, was er dachte.
»Wo ist dein alter Herr?«
Amy fuhr herum, und plötzlich strahlte sie. »Stretch McBride, du hast dich überhaupt nicht verändert.«
Natürlich hatte er sich verändert. Beide wussten es, aber es störte sie nicht. Als Amy ihm als kleines Mädchen zum ersten Mal auf einem Tennisplatz begegnet war, war Stretch so um die dreißig gewesen. Er hatte alles gewonnen, was es damals zu gewinnen gab. Er war immer noch sehr schlank, aber die zwanzig Jahre hatten ihre Spuren hinterlassen.
»Du hast immer schon entzückend lügen können«, brummte er und gab ihr einen Kuss auf die Wange. »Wo ist Jim?«
»In den Staaten«, antwortete Amy und lächelte immer noch. »Wie geht es dir, Stretch?«
»Gut, ich kann nicht klagen. Mittlerweile habe ich fünf Enkelkinder und mehrere Geschäfte für Sportartikel an der Ostküste.« Er nahm ihre Hand zwischen seine. »Du willst mir doch nicht sagen, dass Jim nicht nach Wimbledon kommt, oder? Ich kann mich nicht erinnern, dass er in den letzten vierzig Jahren ein Turnier hier verpasst hat.«
Amy versuchte, sich nicht anmerken zu lassen, wie weh ihr dieses Gespräch über ihren Vater tat. »Soviel ich weiß, wird er nicht kommen. Ich freue mich so, dich wiederzusehen, Stretch. Ich habe übrigens nicht vergessen, dass du mir die unterschnittene Rückhand beigebracht hast.«
Er lachte geschmeichelt. »Dann setz sie auch heute gegen Maria ein«, sagte er. »Ich mag es nun einmal, wenn Amerikaner hier in Wimbledon gewinnen. Bestell deinem Vater einen schönen Gruß von mir.«
»Pass auf dich auf, Stretch.« Sie gab ihm noch einen Kuss auf die Wange, und dann ging er weiter.
Amy drehte sich um und wollte sich auf den Weg zu ihrer Kabine machen, als sie plötzlich Lady Daphne Evans gegenüberstand. Mit ihr hatte Eric eine nicht so diskrete Affäre gehabt. Das Lächeln verschwand aus Amys Gesicht, aber ihre Stimme klang gleichbleibend freundlich.
»Daphne, Sie sehen fantastisch aus.«
»Amy.« Daphne ließ ihren Blick über Amys kurzen Tennisrock gehen, die schlanken Beine entlang bis hinunter zu den Schuhen. »Sie sehen ganz anders aus, als ich Sie in Erinnerung hatte. Wie seltsam, Ihnen als Sportlerin wieder zu begegnen.«
»Seltsam? Ich bin immer Sportlerin gewesen. Wie geht es Ihrem Mann?«
Die Spitze wurde mit einem etwas zu schrillen Lachen erwidert. »Miles ist geschäftlich in Spanien. Es hat sich so ergeben, dass Eric mich heute hierher begleitet hat.«
Nichts in Amys Gesicht zeigte, wie unvermutet sie das traf. »So, Eric ist also hier?«
»Ja, natürlich.« Daphne griff an den Rand ihres großen Hutes. »Sie glauben doch nicht, dass er sich Wimbledon entgehen lässt.« Noch einmal ging ihr Blick über Amys Figur. »Wir werden Sie doch auf dem Ball sehen, nicht wahr?«
»Sicher. Die Teilnahme ist für mich als Profi doch Pflicht.«
»Nun, dann toi, toi, toi! Oder wie sagt man in Ihren Kreisen?« Bevor Amy noch eine Antwort geben konnte, war sie davongerauscht.
Amy atmete tief durch. Wenn ihr jetzt nur niemand mehr begegnete, bis sie die Kabine erreicht hatte. Das Spiel würde schon schwer genug werden, ohne dass sie auch noch gegen die Geister ihrer Vergangenheit kämpfen musste. Was sie jetzt dringend brauchte, waren einige Minuten Ruhe, damit sie sich entspannen und auf das Spiel vorbereiten konnte.
Sie kannte Eric gut genug, um zu wissen, dass er Daphne losgeschickt und ihr gesagt hatte, sie solle Amy ausfindig machen. Er wollte, dass sie wusste, dass er unter den Zuschauern saß. Wahrscheinlich würde es ihm Spaß machen, zu sehen, dass sie nervös war und schließlich das Spiel verlor.
Als Amy den Platz betrat, war sie äußerlich völlig ruhig. Nur sie selbst wusste, wie ängstlich sie es vermied, auch nur einen Blick auf die Zuschauerränge zu werfen. Sie hielt die Augen gesenkt, beschäftigte sich mit den Vorbereitungen und ging dann zur Grundlinie.
Maria Rayski auf der anderen Seite des Netzes machte noch einige Lockerungsübungen, winkte fröhlich ins Publikum und schien völlig gelöst und siegesgewiss.
Amy sah die Fernsehkameras. Die Technik machte es möglich, dass die Spiele aus Wimbledon auch nach Amerika übertragen wurden. Ob ihr Vater wohl vor dem Fernsehgerät saß und zuschaute?
In den ersten Spielen tasteten die beiden Gegnerinnen sich zuerst einmal vorsichtig ab. Es schien, dass Maria Rayski auf dem Rasen des Centre-Court schneller spielte als Amy. Dafür stellte sich aber schnell heraus, dass Amy die überlegtere Spielerin mit der besseren Taktik war. Es dauerte eine Weile, bis beide sich eingespielt hatten und die Bälle besser einschätzen konnten, die auf diesem Untergrund ganz anders sprangen als beispielsweise auf einem Hartplatz oder auf Sand.
Das Spiel war ausgeglichen, und die vierzehntausend Zuschauer kamen bei einigen interessanten Ballwechseln voll auf ihre Kosten. Beide spielten voll konzentriert und gaben keinen Ball verloren. Das war es, was das Publikum sehen wollte.
Amys Aufschläge kamen sehr sicher und platziert, ohne dass sie damit ihre Gegnerin allerdings hätte überraschen können. Sie parierte die Schläge geschickt und lockte Amy mehr als einmal mit überraschenden Stopps ans Netz.
Amy fühlte sich sicher, hatte während des ganzen Spiels nicht ein Mal das Gefühl, dass die Rayski ihr überlegen wäre. Sie spielte ruhig und mit einer Sicherheit, die nach der langen Wettkampfpause erstaunlich war.
Das alles änderte sich schlagartig, als die Spielerinnen sich vor dem dritten Satz auf ihre Stühle setzten, einen Schluck tranken und sich den Schweiß von den Gesichtern wischten. Amy nahm das Handtuch vom Gesicht, atmete tief aus und legte den Kopf dann etwas zurück. Ihr Blick traf genau Erics Augen, der ihr gegenüber auf der Zuschauertribüne saß und sie mit einem kühlen Lächeln ansah. Fast unmerklich hob er die Hand. War das ein Gruß – oder vielleicht eine Warnung?
Tad rutschte nervös auf seinem Stuhl hin und her. Was war los mit Amy? Sie hatte zwei Spiele hintereinander verloren. Die Doppelfehler häuften sich. Sicher, die Rayski spielte hervorragend, aber bis zum Beginn des dritten Satzes war das Spiel völlig ausgeglichen gewesen. Jetzt allerdings war Amy ihrer Gegnerin unterlegen. Sie spielte mechanisch, ohne Druck, nicht konzentriert genug, so wie während der ersten beiden Sätze. Sie gab Spiele verloren durch Leichtsinnsfehler, die er noch nie bei ihr beobachtet hatte.
Wenn er Amy nicht so gut kennen würde, hätte Tad geschworen, dass sie das Spiel bereits aufgegeben hatte. Aber das konnte nicht sein – nicht bei Amy. Sie kämpfte normalerweise um jeden Ball, um jeden Punkt.
Tad beobachtete sie sehr genau, ob er ein Anzeichen für eine Verletzung bei ihr feststellen konnte. Aber da schien alles in Ordnung zu sein. Auch nicht der leiseste Anschein einer Verletzung war zu erkennen. Ihr Gesicht war ruhig und ohne jeglichen Ausdruck, wie eine Maske.
Als es im dritten Spiel fünfzehn zu null gegen Amy stand, war sich Tad sicher, dass die Ursache irgendwo anders zu suchen sei. Er sah sich unter den Zuschauern um. Konnte es sein, dass jemand auf der Tribüne saß, dessen Erscheinen sie so durcheinander gebracht hatte?
Viele der Gesichter auf den Rängen waren ihm bekannt. Von einigen kannte Tad nur den Namen, andere hatte er auch persönlich kennengelernt. Da war ein Tennis spielender Schauspieler, gegen den er einmal in einem Schaukampf angetreten war. Die Primaballerina, die Amy ihm nach einer Ballettaufführung vorgestellt hatte. Neben ihr saß ein bekannter Sänger von Country- und Western-Liedern.
Tads Blick ging über sie alle hinweg auf der Suche nach einer Antwort. Er fand sie in der Nähe der königlichen Loge. Auf Erics Gesicht lag ein kaltes, sehr selbstzufriedenes Lächeln, während er seiner Exfrau zusah.
Unbändiger Zorn stieg in Tad auf, als er in dieses Gesicht blickte. Im ersten Impuls wollte er aufspringen und mit seiner Faust dieses selbstgefällige Grinsen aus seinem Gesicht schlagen.
»Dieser verdammte Kerl«, murmelte Tad und stand auf. Im selben Moment griff eine Hand nach seinem Arm und hielt ihn fest.
»Was willst du tun?«, fragte Madge.
»Etwas, das ich schon vor drei Jahren hätte tun sollen.«
Madge hielt seinen Arm immer noch fest, als sie der Richtung folgte, in die Tad sah. »Oh, je!« Für einen Moment überlegte sie, ob er nicht recht hatte mit dem, was er tun wollte, aber dann siegte doch ihre Vernunft. »Bitte, Tad, wenn du ihn jetzt aus dem Anzug haust, hilfst du damit Amy überhaupt nicht.«
»Und ob ich ihr helfe«, widersprach er. »Dieser Kerl ist doch nur hier, um Amy aus dem Konzept zu bringen.«
»Ich weiß. Und offensichtlich hat er damit auch Erfolg«, gab Madge zu. »Geh lieber zu ihr und sprich mit ihr.« Der Blick, den Tad ihr zuwarf, hätte jeden anderen den Kopf einziehen lassen. Nicht so Madge. Sie begegnete diesem Blick ganz ruhig und hielt ihm stand. »Ich weiß, dass du dich jetzt am liebsten schlagen würdest, Starbuck. Aber spar dir das auf bis nach dem Spiel. Dann mach ich sogar den Schiedsrichter. Jetzt ist es besser, wenn du deinen Kopf anstelle deiner Fäuste gebrauchst.«
Es dauerte einen Augenblick, bis Tad über sich selbst gesiegt und eingesehen hatte, dass Madge recht hatte. »Aber wenn es nicht hilft«, stieß er zwischen den Zähnen hervor, »dann brech ich ihm alle Knochen.«
»Und ich werde dich anfeuern«, versprach Madge, während Tad sich schon abwandte und hinunter zum Spielfeld ging.
Er wusste, dass seine Chance gering war, zumal ihm nur ganz wenig Zeit zwischen den Spielen zur Verfügung stand. Also musste er seine Worte sehr sorgfältig wählen. Es durften nur wenige sein – aber sie mussten dafür umso besser treffen.
Amy ließ sich nach dem Spiel erschöpft auf ihren Stuhl fallen.
»Kannst du mir sagen, was mit dir los ist?«
Sie zuckte zusammen, als sie seine Stimme hinter sich hörte. »Nichts«, sagte sie leise und ohne sich umzudrehen.
»Die Rayski spielt mit dir Katz und Maus.«
»Lass mich in Ruhe, Tad.«
»Willst du ihm wirklich die Genugtuung geben, dich hier vor vierzehntausend Leuten und all den Fernsehkameras untergehen zu sehen?« Seine Stimme klang hart und voller Sarkasmus.
Das schien gesessen zu haben. Sie wandte den Kopf, sah ihn an, und in ihren Augen brannte Zorn. Genau das hatte er erreichen wollen, sie aufzurütteln, ihren Widerstand wachzurufen. Aber es reichte noch nicht, er musste noch schwerere Geschütze auffahren, um sie wirklich zu packen.
»Ich hätte niemals gedacht, dass du so leicht aufgibst.«
»Scher dich zum Teufel!« Der Schiedsrichter hatte die Pause noch nicht beendet. Trotzdem sprang Amy auf und ging mit langen Schritten zurück zur Grundlinie. Ihre Gegnerin sah verblüfft auf und fragte sich, warum Amy die Pause nicht voll ausnutzte.
Während sie auf Maria Rayski wartete, brodelte es in Amy. Keiner sollte jemals von ihr behaupten können, dass sie aufgab. Das hatte sie noch niemals getan, und das würde sie auch niemals tun. Wie konnte Tad es wagen, so mit ihr zu reden?
Die Rayski hatte ihre Position eingenommen. Amy ließ den Ball einige Mal auf dem Boden aufspringen, warf ihn dann in die Luft und traf ihn voll und mit solcher Wucht, dass selbst die Zuschauer in den letzten Reihen noch hörten, wie sie dabei den Atem ausstieß. Der feine Staub auf der Grundlinie wurde aufgewirbelt. Ein Ass. Nur im Unterbewusstsein hörte Amy den Applaus. Sie bereitete sich bereits auf ihren nächsten Aufschlag vor.
Plötzlich hatte ihr Spiel wieder Biss. Man spürte förmlich die Energie, die die Wut in ihr freigesetzt hatte. Amy rannte über den Platz, erlief sich jeden auch noch so aussichtslosen Ball und hämmerte ihn mit einer Wucht zurück, als wäre er ihr Feind, den sie zerstören wollte.
Nur Tad wusste, dass sie mit jedem Schlag eigentlich ihn treffen wollte. Mit einem zufriedenen Lächeln lehnte er sich in seinen Sitz zurück. Jetzt war ihm nicht mehr bange. Er wusste, dass keine Gegnerin gegen eine so wütend aufspielende Amy auch nur den Hauch einer Chance hatte.
Es war ein Genuss, ihr zuzuschauen. Die langen Beine, die starken Schultern, die in so krassem Gegensatz zu ihrer schmalen Taille standen. Und nur er wusste, dass sie im Grunde genauso war, wie sie jetzt spielte. Alle hielten sie für die kühle Lady, aber in seinen Armen wurde sie zu einem Vulkan. Und sie gehörte ihm – ganz allein ihm, sagte Tad sich, während er ihr zusah und sich nach ihr sehnte.
Nachdem Amy einen Rückhandvolley an der Rayski vorbei in die äußerste Ecke gesetzt hatte, sah Tad hinüber zu Eric. Sein Lächeln war verschwunden. Er schien zu merken, dass er beobachtet wurde. Plötzlich drehte er den Kopf, und über die Entfernung hinweg sahen die beiden Männer sich an. Tad lachte triumphierend, und sofort wandte Eric sich ab.
Und dann war das Spiel vorüber. Amy hatte den Wimbledontitel der Damen gewonnen, und Maria Rayski erwies sich als faire Verliererin. Sie gratulierte als Erste, und als Amy nachher die Schale in Empfang nahm und vor der Herzogin von Kent einen Hofknicks machte, lächelte sie freundlich, obwohl sie innerlich kochte.
Selbst der so heiß ersehnte Titel konnte ihren Zorn auf Tad nicht mindern. Ganz mechanisch hielt sie die Schale für die Fotografen in die Höhe, lächelte ins Publikum und ließ die Fragen der Reporter über sich ergehen. Sie spürte keine Müdigkeit, selbst der Schmerz in ihrem Arm war unwichtig.
Endlich gelang es ihr, der Presse und all den Gratulanten zu entgehen und unter die Dusche zu verschwinden. Die ganze Zeit über kämpfte sie mit sich, ob sie zum Herrenendspiel im Stadion bleiben sollte oder nicht. Schließlich siegte aber doch ihre Neugier, und sie blieb.
Tad musste über fünf hart umkämpfte Sätze gehen, bevor er den Titel gewonnen hatte. Beinahe dreieinhalb Stunden lang war er voll konzentriert, bevor es ihm schließlich gelang, seinen Gegner zu bezwingen. Amy verließ das Stadion, bevor der Jubel abgeklungen war.
Tad wusste genau, dass sie auf ihn wartete. Schon bevor er den Schlüssel ins Türschloss steckte, freute er sich darauf. Keine Spur von Müdigkeit war in ihm. Wie üblich nach einem Sieg in Wimbledon, hatten auch eine ausgiebige Dusche und die Massage ihn nicht abkühlen können.
Er fühlte sich wie ein Ritter nach gewonnener Schlacht. Jetzt kam er nach Hause, und die Frau seines Herzens wartete auf ihn. Aber sie würde sich nicht voller Begeisterung in seine Arme stürzen. Dafür kannte Tad Amy viel zu gut. Er wusste genau, dass sie ihm jetzt am liebsten die Augen auskratzen würde. Und er freute sich darauf.
Lächelnd drehte Tad den Schlüssel und öffnete die Tür. Er hatte sie noch nicht wieder hinter sich geschlossen, als Amy bereits aus dem Schlafzimmer gestürzt kam.
»Herzlichen Glückwunsch, mein Schatz!«, sagte er. »Darf ich heute Abend zum ersten Tanz bitten?«
»Wie kannst du es wagen, mitten in einem Match mir so etwas zu sagen?«, fuhr sie ihn an. »Wie kannst du es wagen, mir zu unterstellen, ich würde aufgeben?«
Tad stellte ganz ruhig seine Tasche auf einen Stuhl. »Wie würdest du es denn nennen, was du getan hast?«
»Ich war dabei zu verlieren. Das kann jedem einmal passieren.«
»Nein, du hattest aufgegeben«, widersprach Tad. »Genauso gut hättest du eine weiße Fahne hissen können.«
»Ich habe niemals aufgegeben.«
Er zog die Brauen hoch. »Doch, vor drei Jahren schon einmal.«
»Wie kannst du so etwas sagen?« Mit beiden Fäusten hämmerte sie außer sich vor Wut gegen seine Brust.
Aber Tad lachte nur. »Immerhin hat es geholfen«, erinnerte er sie. »Danach hast du sehr gut gespielt.« Wieder begann Tad zu lächeln. »Ich wollte eben nicht mit Maria den Ball eröffnen.«
»Du unverschämter Kerl! Ich wünschte, Gramaldi hätte dir endlich einmal eine Lektion erteilt«, schrie sie ihn an. »Vielleicht wärst du dann von deinem hohen Ross heruntergekommen.«
Sie drehte sich abrupt um und wollte zurück ins Schlafzimmer stürmen, aber Tad war schneller, griff nach ihren Handgelenken und hielt sie fest.
»Willst du mir nicht gratulieren?«
»Nein!«
»Oh komm, Amy«, lachte er. »Gib dem Sieger einen Kuss.«
Amy ballte ihre Hände zu Fäusten und wollte ihn schlagen. Tad griff sie, und mit einer schnellen Bewegung warf er sie sich über die Schulter. »Ich mag es, wenn du so wütend bist«, sagte er und zerzauste mit der freien Hand ihr Haar.
Amy wehrte sich, aber er hatte sie schon hinüber ins Schlafzimmer getragen und warf sie aufs Bett. Sie wollte sich wegrollen, aber Tad war schneller. Er lag auf ihr und drückte sie mit seinem ganzen Gewicht in die Matratze.
»Lass mich los! Nimm deine Hände weg.« Sosehr sie sich auch mühte, es gab kein Entrinnen.
Seine Hand glitt in den Ausschnitt ihrer Bluse, und obwohl er ihren Augen ansah, dass er damit den gewünschten Effekt erreichte, wollte sie es immer noch nicht zugeben. »Du sollst mich nicht anfassen«, zischte sie.
»Aber ich muss dich anfassen, wenn ich mit dir schlafen will.« Lächelnd sah er in ihr wütendes Gesicht. »Anders kann ich es nicht.«
Ich darf nicht lachen, nur nicht lachen, sagte Amy sich immer wieder, obwohl sie ihr Gesicht kaum noch unter Kontrolle halten konnte.
»Deine Augen werden ganz dunkel, wenn du zornig bist«, sagte er leise und gab ihr einen Kuss. »Was ist los? Warum schreist du nicht mehr?«
»Ich habe dir nichts mehr zu sagen«, brachte Amy zwischen zusammengepressten Zähnen hervor. »Geh jetzt.«
»Aber wir haben noch nicht miteinander geschlafen«, protestierte er.
»Das werden wir auch nicht.« Sie drehte ihren Kopf zur Seite, als sein Mund wieder gefährlich nahe kam.
»Wollen wir wetten?« Mit einem schnellen Griff riss er ihre Bluse auf.
»Tad!«
»Das wollte ich schon heute Mittag, als ich dir auf dem Centre-Court zuschaute«, sagte er. »Du solltest froh sein, dass ich so lange gewartet habe.« Er drehte sich etwas zur Seite, fasste ihre Shorts mit beiden Händen und riss sie ebenfalls entzwei. Amy blieb ganz ruhig liegen. Er musste verrückt geworden sein!
»Etwas nicht in Ordnung?«, fragte Tad und umschloss ihre Brust mit beiden Händen.
»Tad, würdest du bitte aufhören, mein Zeug zu zerreißen.«
»Ist ja nichts mehr da, was ich noch zerreißen könnte«, stellte er fest. »Möchtest du dich jetzt revanchieren?«
»Nein.«
»Ich hab dich wütend gemacht, nicht wahr?«
Sie sah ihn an und kämpfte gegen das Verlangen, das er geweckt hatte. »Ja, und …«
»Wütend genug, um das Spiel doch noch zu gewinnen«, murmelte er und strich mit seinen Lippen über ihren Hals. »Und während ich dir zugeschaut habe, wollte ich dich. Ich wollte dich so sehr, Amy, dass ich fast auf den Platz gestürmt wäre. Ich weiß, wie es ist, wenn der Vulkan ausbricht, der unter deinem kühlen Äußeren verborgen ist.«
Sie stöhnte leise auf, als seine Fingerspitzen über ihre Brustspitzen glitten. Es fiel ihr schwer, sich nicht einfach dem Gefühl hinzugeben. Aber noch war ein Rest von Zorn in ihr.
»Du hattest nicht das geringste Recht, zu sagen, ich würde aufgeben. Was hast du dir bloß dabei gedacht, mich so zu provozieren?«
»Ich habe nur gesagt, dass du nahe daran warst, aufzugeben«, sagte er und sah sie ernst an. »Meinst du, ich würde ruhig zusehen, wie er dich durch seine bloße Anwesenheit fertig macht? Kein Mann hat das Recht, dich so durcheinander zu bringen – kein Mann, Amy, außer mir!«
Tad presste seine Lippen auf ihren Mund. Der Zorn war verraucht, Eric vergessen, es gab nur noch sie beide.
Immer wieder verblüffte es Amy, dass auch der eleganteste Anzug Tads wilde, beinahe animalische Ausstrahlung nicht verbergen konnte. Dunkel gekleidet, mit weißem Hemd und Fliege, sah er fantastisch aus, und doch wirkte er nicht so wie die anderen Männer auf dem Ball. Seine Kraft, seine Stärke, sein Temperament – das alles war beinahe körperlich spürbar.
Der Abschlussball in Wimbledon hatte mindestens ebenso viel Tradition wie das Turnier selbst. Die Offiziellen des Clubs verstanden es immer wieder, diesen Abend für alle Teilnehmer zu einem unvergesslichen Erlebnis werden zu lassen.
Wahrscheinlich war Amy die Einzige, die sich danach sehnte, dass endlich alles vorüber war. Sie musste sich zwingen, der Unterhaltung zu folgen, die ihr Tanzpartner begonnen hatte. Dabei wünschte sie sich nichts sehnlicher, als endlich mit Tad allein im Hotel zu sein und eine Flasche Wein auf ihren gemeinsamen Erfolg zu trinken.
Über die Schulter ihres Tanzpartners hinweg suchten ihre Augen Tad. Für einen Moment begegneten sich ihre Blicke, und Amy wusste, dass er genauso dachte wie sie.
»Sie sind eine sehr gute Tänzerin, Miss Wolfe.«
Als die Musik endete, lächelte Amy dem Mann zu. »Vielen Dank.« Jetzt erst fiel ihr auf, dass sie seinen Namen total vergessen hatte.
»Ich war ein großer Fan Ihres Vaters, müssen Sie wissen«, sagte der Mann und führte sie zurück zum Tisch. »Er war ein hervorragender Spieler.«
»Ja, das stimmt. Und er liebte dieses Turnier in Wimbledon. All den Pomp, die Tradition.«
»Schön, dass die Amerikaner hier immer noch gewinnen können.« Er zog ihre Hand an die Lippen. »Alles Gute, Miss Wolfe.«
»Jerry, wie geht es dir?«
Eine nicht mehr ganz junge Dame in einem silberfarbenen Brokatkleid stand plötzlich vor ihnen und reichte dem Mann ihre Hand zum Kuss. Lady Mallow, Eric Wickertons Schwester.
»Lucy, welch ein Freude, dich zu sehen.«
»Jerry, Brian sucht dich. Er steht da drüben an der Säule.«
»Nun, wenn die Damen mich bitte entschuldigen würden.«
Als er gegangen war, wandte Lucy sich an ihre frühere Schwägerin. »Amy, du siehst gut aus.«
»Danke, Lucy.«
Erics Schwester betrachtete sie ausgiebig. »Und wie geht es dir?«
Etwas erstaunt hob Amy die Brauen. »Gut, danke. Und dir?«
»Meine Frage war ehrlich gemeint, nicht nur eine Floskel.« Lucy zögerte und sah sich um, als wollte sie sicherstellen, dass auch keiner sie hören konnte. »Es gibt da etwas, Amy, das ich dir schon lange sagen wollte. Weißt du, ich liebe meinen Bruder«, begann Lucy leise. »Und ich weiß auch, dass du ihn nie geliebt hast. Trotzdem hast du dir während eurer Ehe nie etwas zuschulden kommen lassen. Leider ganz im Gegensatz zu Eric.«
Amy glaubte, sich verhört zu haben. War es wirklich möglich, dass seine Schwester so etwas sagte? »Lucy …«
»Die Tatsache, dass ich Eric liebe, hat mich nicht blind gemacht, Amy«, unterbrach sie. »Natürlich verhalte ich mich jedoch ihm gegenüber loyal.«
»Ja, das verstehe ich.«
Lucy sah Amy einen Moment lang schweigend an. »Amy, ich habe dir während deiner Ehe mit Eric nie geholfen, und dafür wollte ich mich bei dir entschuldigen.«
Bewegt ergriff Amy die dargebotene Hand. »Das brauchst du nicht, Lucy. Eric und ich passten einfach nicht zueinander.«
»Ich habe mich oft gefragt, warum du ihn überhaupt geheiratet hast«, sagte Lucy. »Zuerst dachte ich, es sei nur der Titel, der dich gereizt hatte. Aber ich merkte sehr schnell, dass das nicht stimmte. Zu Anfang dachte ich, eure Ehe sei glücklich, aber kurz nach der Hochzeit schien mir irgendetwas verändert zu sein.«
Über Amys Gesicht fiel ein Schatten, den Lucy sehr wohl wahrnahm. »Ich dachte schon, du hättest dir einen Geliebten genommen«, fuhr sie fort. »Aber schnell fand ich heraus, dass nicht du, sondern Eric … Nun, immerhin weiß ich heute, dass es in deinem Leben immer nur einen Mann gegeben hat.« Amy brauchte ihrem Blick gar nicht zu folgen, um zu wissen, wen Lucy bei diesen Worten ansah.
»Ja, und das hat Eric sehr verletzt«, sagte Amy leise.
»Ach, Unsinn«, widersprach Lucy resolut. »Er hätte dich nie heiraten dürfen. Aber so war mein Bruder immer schon. Ihn hat immer nur das interessiert, was anderen gehörte. Das alles hätte ich dir schon viel früher sagen sollen, Amy. Es tut mir leid, dass ich es nicht getan habe. Ich wünsche dir Glück.«
Impulsiv legte Amy einen Arm um ihre frühere Schwägerin und gab ihr einen Kuss auf die Wange. »Danke, Lucy.«
»Du hast einen sehr guten Geschmack, meine Liebe. Dieser Tad Starbuck ist ein ausgesprochen gut aussehender Mann.«
Sie wollte sich schon abwenden, als Amy noch einmal nach ihrer Hand griff. »Wenn ich dir einmal schreiben würde, würdest du mir antworten?«
»Aber natürlich! Gern sogar.« Sie winkte Amy noch einmal zu und war bald in der Menge der Ballgäste verschwunden.
Amy atmete tief durch. Wieder war etwas von dem Schuldgefühl abgebröckelt, das ihre gescheiterte Ehe in ihr hinterlassen hatte.
»Wer war das?« Tad stand neben ihr und legte eine Hand auf ihren Arm.
»Eine alte Freundin.« Sie nahm seine Hand und schmiegte ihre Wange dagegen. »Willst du mit mir tanzen? Leider gibt es hier keine andere Möglichkeit, dich nah bei mir zu spüren.«