12. KAPITEL
Amy saß auf dem Bett und sah das Endspiel der Herren im Fernsehen. Es wäre ihr unmöglich gewesen, ins Stadion zu gehen. Aber es war ihr ebenso unmöglich, ein Spiel von Tad zu verpassen.
Er spielte sehr konzentriert und präzise. Amy nahm den Blick nicht für einen Augenblick vom Bildschirm, wenn einer seiner besonders gelungenen Schläge in Zeitlupe gezeigt wurde. Die Haare hingen ihm wie üblich wirr über das Schweißband, und seine dunklen Augen sprühten vor Energie. War es nur sein unbändiger Siegeswille? fragte Amy sich. Oder trieb ihn diesmal ein anderes Gefühl noch viel mehr an?
Sein Topspin kam auf Chucks Rückhand, und er schlug ihn kraftvoll zurück. Tad spielte entlang der Linie, erwischte seinen Gegner auf dem falschen Fuß und wollte sich schon befriedigt abdrehen, als sehr spät erst der Ruf vom Linienrichter kam. Der Ball war »aus«.
Die Kamera war auf ihn gerichtet. Seine Augen sprühten Blitze, und er machte schon einen Schritt auf den Schiedsrichter zu. Amy hielt unwillkürlich die Luft an. Sie kannte ihn nur zu gut. Er war drauf und dran, die Kontrolle zu verlieren und so zu reagieren wie früher. Mitten in der Bewegung hielt er inne. Noch ein Blick auf den Schiedsrichter, dann drehte er sich um und ging zurück zur Grundlinie. Geduckt wie eine Katze erwartete er Chucks Aufschlag. Amy atmete auf.
Chuck schenkte ihm nichts, aber schon sehr früh war klar, dass er gegen einen so kraftvoll aufspielenden Tad keine Chance hatte. Er wehrte sich mit all seiner Erfahrung, versuchte Tad auszutricksen, aber am Ende war es immer wieder er, der einem Ball nachsehen musste.
Amy spürte einen körperlichen Schmerz, wenn sie daran dachte, dass er für sie verloren war. Tad hatte sie aus seinem Leben verbannt, und es gab keine Anzeichen, dass er seine Meinung ändern würde.
Sie seufzte und bedeckte ihr Gesicht mit beiden Händen. Plötzlich hob sie den Kopf. Sie starrte auf den Bildschirm, wo die Kamera jetzt nahe an Tad heranfuhr und sein Gesicht aufnahm. War sie nicht dabei, wieder den gleichen Fehler zu machen? Sie sah in seine dunklen Augen, die jetzt kalt und voll konzentriert blickten.
Nein, so einfach würde sie diesmal nicht aufgeben. Amy reckte die Schultern und sprang auf. Sie wollte nicht kampflos aus Tads Leben verschwinden. War sie nicht immer stolz darauf gewesen, niemals aufzugeben? Und jetzt, wo es um ihre Liebe ging, um ihr ganzes weiteres Leben, das ohne Tad öd und leer vor ihr lag, wollte sie auch nicht damit anfangen.
Sie schaltete den Fernseher aus. Genau in diesem Augenblick klopfte jemand an die Tür. Amy machte auf – und erstarrte.
»Dad!«
»Amy.« Jim streckte ihr nicht die Hand entgegen, sein Gesicht war ausdruckslos. »Darf ich hereinkommen?«
Er hat sich überhaupt nicht verändert, dachte Amy. Immer noch sehr schlank, fast wie zu seiner Wettkampfzeit, mit hoch erhobenem Kopf und gestrafften Schultern stand er vor ihr. »Oh, Dad, ich freue mich so, dich zu sehen.« Amy griff nach seiner Hand und zog ihn ins Zimmer. »Setz dich bitte. Soll ich dir etwas zu trinken bestellen? Einen Kaffee vielleicht?«
»Nein.« Jim setzte sich in den Sessel und sah seine Tochter an. Sie war schlanker geworden, und sie wirkte sehr nervös. Fast so nervös, wie er selbst es war. Seit Tads Anruf hatte er an nichts anderes mehr denken können. »Amy …« begann er zögernd. »Ich wollte dir sagen, dass ich stolz auf dich bin. Du hast in dieser Saison sehr gut gespielt.«
»Danke.«
»Bei deinem letzten Spiel, da war ich ganz besonders stolz auf dich«, sagte er leise.
Amy lächelte traurig. Wie typisch für ihn, dass er als Erstes von Tennis sprach. »Ich habe verloren, Dad.«
»Aber du hast gekämpft«, widersprach er. »Bis zum letzten Punkt hast du gekämpft. Ich glaube, es ist nur sehr wenigen aufgefallen, wie schlecht du dich gefühlt hast.«
»Als ich erst einmal auf dem Platz stand …«
»Hast du dich nicht mehr schlecht gefühlt«, unterbrach er sie. »Ich weiß. Das ist das, was ich dir jahrelang eingehämmert habe, nicht wahr?«
»Ja, Stolz und sportliches Verhalten«, antwortete sie und wiederholte damit die Worte, die sie unzählige Male von ihrem Vater gehört hatte.
Jim schwieg und sah sie an. Amy war immer meine Prinzessin, dachte er, meine hübsche, erfolgreiche Prinzessin.
»Ich habe nicht damit gerechnet, dass du kommen würdest«, unterbrach sie seine Gedanken.
»Ich hatte eigentlich auch nicht vor zu kommen.«
Wenn sie diese Antwort verletzte, so zeigte sie es nicht. »Und warum hast du deine Meinung geändert?«
»Da gibt es mehrere Gründe – vor allem aber dein letztes Spiel.«
Amy stand auf und ging hinüber zum Fenster. »Dann habe ich also erst verlieren müssen, damit du wieder mit mir sprichst.« Aus ihrer Stimme klang Bitterkeit, und sie gab sich auch keine Mühe, sie zu unterdrücken. »All die Jahre habe ich dich so nötig gebraucht, Dad. Ich habe so sehr darauf gehofft, dass du mir verzeihen würdest.«
»Es war schwer für mich, Amy.« Jim stand auf und machte einige Schritte auf sie zu.
»Es war auch schwer für mich, zu verstehen, dass meinem Vater die Sportlerin wichtiger war als das Kind«, sagte sie leise.
»Das ist nicht wahr.«
»Wirklich nicht?« Amy drehte sich herum und sah ihn an. »Du wolltest nichts mehr mit mir zu tun haben, weil ich meine Karriere aufgegeben hatte. Und obwohl ich niemanden außer dir hatte, hast du nicht die Hand ausgestreckt.«
»Ich habe versucht, damit fertig zu werden, Amy, mich damit abzufinden, dass du diesen Mann geheiratet hast. Du weißt, dass ich ihn von Anfang an nicht mochte.«
»Ich hatte keine andere Wahl.«
»Keine andere Wahl?«, wiederholte er mit scharfer Stimme. »Du hast deine eigene Entscheidung getroffen, Amy – deine Karriere für einen Adelstitel. Und genauso hast du deine eigene Entscheidung getroffen, als es um mein Enkelkind ging.«
»Dad, bitte!« Sie hob beide Hände. »Hast du eine Ahnung, wie sehr ich für diesen kleinen Augenblick der Unachtsamkeit in den letzten Jahren bezahlt habe?«
»Unachtsamkeit?« Mit aufgerissenen Augen starrte Jim seine Tochter an. »Du nennst den Beginn einer Schwangerschaft Unachtsamkeit?«
»Nein, nein!« Mit Tränen in den Augen sah Amy ihn an. »Ich meine den Augenblick, als ich mein Baby verloren habe. Wenn ich mich nicht in den Streit mit ihm eingelassen hätte, wenn ich aufgepasst hätte an der Treppe … Ich wäre nicht gefallen und hätte Tads Baby nicht verloren.«
»Wie bitte?« Alle Farbe war aus seinem Gesicht gewichen. Ohne den Blick von Amy zu nehmen, ließ Jim sich wieder in den Sessel fallen. »Du bist gestürzt? Und es war Tads Baby?« Er schüttelte den Kopf und strich sich mit einer Hand übers Gesicht. Er verstand noch nicht ganz die Zusammenhänge, aber plötzlich fühlte er sich alt und schwach. »Amy, willst du damit sagen, dass du eine Fehlgeburt hattest?«
»Ja. Aber das habe ich dir doch alles geschrieben damals.«
»Ich habe nie einen Brief von dir bekommen.« Er streckte beide Hände seiner Tochter entgegen, und Amy zögerte nur kurz, bevor sie danach griff. »Amy, Eric hat mir erzählt, du hättest das Baby abtreiben lassen – sein Baby.« Er sah, wie sie blass wurde und den Mund öffnete, aber es kam kein Wort heraus. »Er hat mir gesagt, dass du das ohne sein Wissen getan habest, und er klang so verzweifelt, dass ich ihm geglaubt habe.«
Jim zog sie zu sich, und sie setzte sich wie als kleines Kind auf seinen Schoß. »Ich habe ihm geglaubt, Amy.« »Oh nein!« Der Schock stand ihr ins Gesicht geschrieben, und ihre Augen füllten sich mit Tränen.
»Eric rief mich an und sagte mir, dass er erst davon erfahren habe, als es schon zu spät gewesen sei. Du hättest ihm gesagt, du wollest keine Kinder, weil du dein Leben als Lady Wickerton genießen wolltest.«
Amy schüttelte den Kopf. Sie konnte noch nicht einmal Zorn empfinden. Zu viel war in letzter Zeit auf sie eingestürmt. »Ich hätte nie geglaubt, dass Eric so hinterhältig und gemein sein könnte.«
Allmählich bekam alles einen Sinn. Ihr Vater hatte ihre Briefe nie beantworten können, weil Eric sie abgefangen hatte. Darum auch die seltsam kalte Reaktion ihres Vaters, als sie ihn schließlich angerufen hatte. Am Telefon hatte Jim ihr gesagt, dass er sich mit ihrer Entscheidung niemals abfinden könne. Und sie hatte geglaubt, er meinte damit ihre Entscheidung, nicht mehr Tennis zu spielen.
»Er will mich bestrafen«, sagte Amy leise.
Jim nahm das Gesicht seiner Tochter zwischen beide Hände. »Amy, erzähl mir alles, von Anfang an. Ich hätte dir schon längst dazu Gelegenheit geben müssen.«
Sie begann mit dem Besuch von Jess in ihrem und Tads Hotelzimmer, und sie verschwieg auch nicht, wie es jetzt um sie und ihn stand.
»Und jetzt glaubt Tad …« Plötzlich brach Amy ab, als ihr klar wurde, was Tad glauben musste. »Eric muss ihm auch die Geschichte mit der Abtreibung erzählt haben.«
»Nein, das habe ich getan«, erwiderte ihr Vater leise.
»Du?« Verwirrt presste Amy ihre Fingerspitzen an den schmerzenden Kopf. »Aber wieso …«
»Er hat mich vor einigen Tagen spät abends angerufen. Tad wollte mich dazu bringen, wieder Kontakt mit dir aufzunehmen. Ich erwähnte die Abtreibung, und er hat mir genauso geglaubt wie ich Eric.«
»Das war die Nacht, in der ich wach geworden bin«, sagte Amy leise. »Und als er dann erfuhr, dass es sein Baby war … Kein Wunder, dass er mich hasst.«
Plötzlich kam wieder Farbe in ihr Gesicht. »Ich muss zu ihm, muss ihm alles erzählen.« Sie sprang auf. »Er muss mir glauben. Ich gehe zum Tennisplatz.«
»Das Spiel müsste eigentlich schon vorüber sein.« Jim fühlte sich entsetzlich. Seine Tochter war durch die Hölle gegangen, und er hatte ihr nicht geholfen. »Du triffst Tad dort bestimmt nicht mehr an.«
Amy sah auf die Uhr. »Aber ich weiß nicht, wo er jetzt wohnt.« Sie ging zur Tür. »Ich muss an der Rezeption fragen. Die wissen das sicherlich.«
»Amy …« Er ging auf seine Tochter zu und streckte ihr die Hand hin. »Amy, bitte verzeih mir.«
Sie sah ihn an. Dann ließ sie die Türklinke los, übersah die ausgestreckte Hand und warf sich in seine Arme.
Es war schon fast Mitternacht, als Tad die Tür zu seinem Zimmer aufschließen wollte. Die letzten beiden Stunden hatte er damit verbracht, einen Drink nach dem anderen in sich hineinzuschütten.
Schließlich gewinnt man auch nicht jeden Tag den Grand-Slam-Titel, sagte er sich und suchte in der Tasche nach seinem Schlüssel. Und man bekommt auch nicht jeden Tag von mindestens einem halben Dutzend schöner Frauen eindeutige Angebote, dachte er und lachte plötzlich. Und warum zum Teufel hatte er keines davon angenommen?
Weil sie alle nicht wie Amy waren, sagte eine Stimme in ihm. Unsinn! Er war einfach zu müde, darum hatte er keine mit hinauf in sein Zimmer genommen. Amy – das war vorbei!
Das Zimmer war dunkel, als er endlich die Tür aufgeschlossen hatte und hineinstolperte. Er hatte getrunken, weil er etwas zu feiern hatte, sagte er sich – nicht etwa, weil er vergessen wollte.
Tad warf die Schlüssel auf den Boden, griff nach seinem T-Shirt und zog es sich über den Kopf. Jetzt brauchte er nur noch den Weg zum Bett zu finden, ohne Licht zu machen. Heute Nacht würde er schlafen können, dafür hatte er genügend Alkohol im Körper.
Als er sich seinen Weg zum Schlafzimmer bahnte, ging plötzlich das Licht an und blendete ihn. Er legte seine Hand vor die Augen und lehnte sich gegen die Wand, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren.
»Knips das verdammte Licht aus.«
»So sieht also ein Sieger aus.«
Die leise Stimme ließ ihn zusammenzucken. Er nahm die Hand von den Augen und starrte Amy an. Sie saß im Sessel und lächelte ihn an.
»Was, zum Teufel, tust du hier?«
»Triumphierend und betrunken«, fuhr sie fort, als hätte sie seine Frage gar nicht gehört. »Soll ich meine Glückwünsche auch noch anbringen, wie die vielen anderen schon vor mir?«
»Geh!« Er trat einen Schritt von der Wand weg und schwankte leicht. »Ich will dich nicht sehen.«
»Ich werde dir einen Kaffee bestellen«, gab sie ungerührt zur Antwort. »Und dann werden wir reden.«
»Ich habe gesagt, du sollst gehen.« Er griff nach ihrem Handgelenk, als sie den Telefonhörer abnehmen wollte und wirbelte sie herum. »Geh – oder ich kann für nichts garantieren.«
Amy stand ganz still vor ihm. »Ich werde gehen, nachdem wir beide uns unterhalten haben.«
»Weißt du, was ich jetzt am liebsten mit dir machen möchte?« Er riss sie herum und drängte sie gegen die Wand. »Ich möchte dich schlagen, bis ich keine Kraft mehr habe.«
Amy zeigte keine Spur von Angst. »Tad, hör mir bitte zu …«
»Ich will dir aber nicht zuhören.« In seiner Fantasie sah Tad sie nackt auf dem zerwühlten Bett liegen. »Geh, bevor ich dir wehtun werde.«
»Nein.« Sie streckte eine Hand aus und berührte ihn leicht an der Wange. »Tad …«
Sie brach ab, als er sie plötzlich mit aller Kraft gegen die Wand presste. Für einen Augenblick dachte sie, er würde sie wirklich schlagen. Aber dann war plötzlich sein Mund auf ihren Lippen. Hart, beinahe brutal, drängte er ihre Lippen auseinander. Sie spürte seine Zähne und roch den Alkohol. Als sie versuchte, ihren Kopf zur Seite zu drehen, griff er mit beiden Händen zu und hielt ihn fest.
Amy versuchte, sich zu wehren. Er stöhnte auf, aber dann erlahmte ihr Widerstand.
Ohne sich dessen bewusst zu sein, lockerte sich sein Griff. Seine Hände strichen über ihren Körper, sein Kuss wurde liebevoll und zärtlich. Immer wieder murmelte er ihren Namen, während er ihr Gesicht mit Küssen bedeckte.
»Ich kann nicht ohne dich leben«, flüsterte er und zog sie mit sich hinunter auf den Boden.
Er spürte ihre Hände auf seinem Körper und überließ sich den leidenschaftlichen, wilden Gefühlen, die ihre Berührung in ihm auslöste. Er hörte ihr Stöhnen und fühlte ihren Körper, der sich fest gegen seinen presste.
Längst hatte Tad die Kontrolle über sich verloren. Er war in ihr, bevor er sich dessen überhaupt bewusst wurde, und ihre Körper fanden den gemeinsamen Rhythmus, den sie beide so schmerzlich vermisst hatten.
Erst als alles vorüber war, Tad sich von ihr rollte und an die Decke starrte, kam er wieder zur Besinnung. Wie war es möglich, dass Amy immer noch eine solche Macht über ihn hatte – nach allem, was er ihr vorwerfen konnte? Wie hatte es passieren können, dass er sie wollte, obwohl er sie doch eigentlich hassen müsste?
»Tad.« Amy drehte sich zur Seite und berührte seine Schulter.
»Lass mich.« Ohne sie anzusehen, stand er auf. »Zieh dich an«, murmelte er und zog seine Jeans hoch. »Bist du mit dem Wagen hier?«
Amy setzte sich auf und strich sich die Haare aus dem Gesicht. »Nein.«
»Ich ruf dir ein Taxi.«
»Das ist nicht nötig.« Schweigend zog sie sich an. »Tut es dir leid, dass das passiert ist?«
»Glaub nur nicht, dass ich mich entschuldige«, fuhr Tad sie an. »Darauf kannst du lange warten.«
»Ich habe auch keine Entschuldigung von dir verlangt«, sagte Amy ruhig. »Ich wollte dir nur sagen, dass es mir nicht leid tut. Ich liebe dich, Tad, und wenn wir zusammen schlafen, so ist das ein Ausdruck meiner Liebe.«
Tad stand am Fenster und hatte ihr den Rücken zugewandt. Sie knöpfte die Bluse zu und stand auf. »Ich bin gekommen, um dir etwas zu sagen, das du unbedingt wissen musst, Tad. Danach werde ich gehen und dir Zeit lassen, darüber nachzudenken.«
Er drehte sich um und sah sie an. »Okay«, sagte er schließlich und strich sich mit beiden Händen übers Gesicht. »Vielleicht sollte ich dir zuerst sagen, dass das, was Jess dir da vor drei Jahren erzählt hat, ihrer eigenen Fantasie entsprungen ist«, sagte er schnell. »Ich habe erst gestern überhaupt davon erfahren. Auf ihre Art hat sie damals versucht, mich zu beschützen.«
»Ich weiß gar nicht, wovon du redest.«
»Hast du wirklich geglaubt, dass ich dich nicht mehr wollte? Dass ich nach einem Weg gesucht habe, dich loszuwerden?«
Amy öffnete den Mund, aber dann schloss sie ihn wieder und schwieg. Seltsam, dass die Worte selbst jetzt noch weh taten.
»Also hast du es tatsächlich geglaubt«, stellte Tad resigniert fest.
»Und warum sollte ich nicht?«, gab sie zurück. »Alles, was Jess sagte, klang völlig glaubhaft. Du hattest nie von Liebe gesprochen, und wir hatten auch keine Pläne für eine gemeinsame Zukunft gemacht.«
»Warst du dir denn deiner eigenen Gefühle so wenig sicher?«, fragte Tad. »Vielleicht ist dir der Auftritt von Jess gerade recht gekommen. Schließlich bist du daraufhin mit Wickerton auf und davon – obwohl du von mir schwanger warst.«
»Ich wusste nicht, dass ich schwanger war, als ich Eric heiratete.« Amy sah, wie er mit den Schultern zuckte. Wütend griff sie nach seinen Armen und hielt ihn fest. »Ich versichere dir, ich wusste es wirklich nicht! Hätte ich es gewusst, dann hätte ich dich verlassen und wäre nicht zu Eric gegangen. Ich hatte vorher schon so eine Ahnung, dass du mich nicht mehr wolltest, bevor Jess es mir bestätigte.«
»Und wieso?«
»Du warst damals so in dich gekehrt, häufig mit deinen Gedanken ganz woanders. Es ergab alles einen Sinn, was Jess sagte.«
»Ich war in mich gekehrt, weil ich mir den besten Weg überlegte, wie ich die große Amy Wolfe, Miss Tennis schlechthin, dazu bringen könnte, den Starbuck aus den Slums von Chicago zu heiraten.«
Überrascht sah Amy Tad an. »Du wolltest mich heiraten?«
»Den Ring habe ich immer noch, den ich dir damals gekauft habe.«
»Einen Ring?«, wiederholte sie. »Du hast mir einen Ring gekauft?« »Ja, ich wollte dich ganz offiziell um deine Hand bitten. Und wenn das nicht geklappt hätte – nun, dann hätte ich dich eben entführt.«
Sie versuchte zu lachen, während ihr die Tränen in die Augen traten. »Ich hätte mich gern entführen lassen, aber das wäre nicht nötig gewesen.«
»Wenn du mir gesagt hättest, dass du schwanger …«
»Tad, ich wusste es nicht!«, unterbrach sie ihn und hämmerte mit ihren Fäusten gegen seine Brust. »Meinst du wirklich, ich hätte Eric geheiratet, wenn ich es gewusst hätte? Wochen später stellte sich erst heraus, dass ich schwanger war.«
»Und warum zum Teufel bist du dann nicht zu mir gekommen?«
»Auf diese Weise wollte ich dich nicht zurückholen, Tad«, sagte sie und reckte stolz ihr Kinn empor. »Außerdem war ich da bereits mit einem anderen Mann verheiratet und an ihn gebunden.«
»Ja, so sehr an ihn gebunden, dass du in eine Klinik gegangen bist und mein Kind hast abtreiben lassen«, antwortete er bitter.
»Das ist nicht wahr! Ich habe das Baby nicht abtreiben lassen. Ich hatte eine Fehlgeburt, an der ich fast gestorben wäre. Würdest du dich jetzt besser fühlen, wenn es dazu gekommen wäre?«
»Fehlgeburt?« Er ließ ihre Hände los und packte sie hart an den Schultern. »Wovon redest du?«
»Als ich Eric sagte, dass ich von dir schwanger sei, hat er sofort angenommen, ich hätte ihn hereingelegt, hätte nur einen Vater für mein Baby gesucht, nachdem du mich nicht mehr gewollt hast. Ich konnte sagen, was ich wollte, er glaubte mir nicht. Wir stritten miteinander und gingen dabei auf die Treppe zu. Ich wollte nichts anderes als weg von ihm, allein sein.« Sie schlug die Hände vors Gesicht, als die Erinnerung daran zurückkam. »Ich habe nicht mehr aufgepasst, bin einfach nur vor ihm geflohen. Dann bin ich gefallen. Alles drehte sich um mich. Danach kann ich mich an nichts mehr erinnern. Erst in der Klinik kam ich nach einigen Tagen wieder zu mir. Ich hatte das Baby verloren.«
»Oh, Amy!« Tad versuchte, sie in seine Arme zu ziehen, aber sie wich ihm aus.
»Ich habe mich so nach dir gesehnt, aber ich wusste, dass du mir niemals verzeihen würdest. Es gab keinen anderen Ausweg, und so habe ich getan, was Eric wollte.«
Langsam ließ Amy die Arme sinken und sah ihn an. »Ich hätte es nicht ertragen, wenn du mich nur aus Mitleid wiedergenommen hättest, und so habe ich auch nicht versucht, Kontakt zu dir aufzunehmen. Ich habe dafür bezahlt, Tad. Mit drei Jahren meines Lebens, in denen ich nicht eine Minute glücklich war.«
Er ging hinüber zum Fenster und riss es auf. Er brauchte Luft, hatte das Gefühl zu ersticken. »Warst du schwer verletzt?«
»Wie bitte?« Amy glaubte, ihn nicht richtig verstanden zu haben.
»Warst du schwer verletzt?« Als sie schwieg, drehte Tad sich herum. »Bei dem Sturz, meine ich.«
»Ich … ich habe das Baby verloren.«
»Ich habe nach dir gefragt.«
Keiner hatte sie danach gefragt, noch nicht einmal ihr Vater. Amy schüttelte nur den Kopf.
»Verdammt, Amy. Du hast vorhin gesagt, du seist beinahe daran gestorben.«
»Aber das Baby ist gestorben«, wiederholte sie noch einmal leise. »Ich meine dich«, schrie er sie an. »Weißt du immer noch nicht, dass du das Wichtigste für mich bist? Wir können noch viele Babys haben, wenn du willst. Ich will wissen, was dir passiert ist.«
»Ich kann mich gar nicht mehr an alles erinnern. Ich habe Transfusionen …« Jetzt erst ging ihr der Sinn seiner Worte auf. Die Besorgnis in seinem Blick galt ihr. »Tad!« Amy lehnte ihren Kopf gegen seine Brust. »Es ist alles vorbei.«
»Ich hätte bei dir sein müssen.« Er zog sie näher zu sich. »Es wäre leichter für dich gewesen, wenn wir beide zusammen gewesen wären.«
»Sag mir, dass du mich liebst«, bat sie leise.
»Du weißt es doch.« Er legte eine Hand leicht unter ihr Kinn und hob ihr Gesicht hoch. Eine Träne rollte über ihre Wange, und er küsste sie weg. »Nicht mehr weinen«, bat er sanft. »Du darfst nicht mehr weinen.«
»Beinahe wäre alles noch einmal passiert, Tad.«
»Ja, es hat nicht viel gefehlt. Ab jetzt gibt es keine Geheimnisse mehr, Liebes. Versprichst du mir das?«
»Ja, ich verspreche es dir. Und jetzt lass uns feiern.«
»Ich habe meinen Teil schon hinter mir.« Er lachte.
»Aber nicht mit mir. Wir könnten in mein Hotel fahren und unterwegs eine Flasche Champagner kaufen.«
»Wir können auch hier bleiben und den Champagner auf morgen verschieben.«
»Es ist bereits morgen«, erinnerte sie ihn und zeigte auf ihre Uhr.
»Umso besser. Dann haben wir den ganzen Tag für uns.« Er fasste ihre Hände und zog sie zum Schlafzimmer.
»Moment.« Sie entzog sich seinem Griff. »Ich möchte, dass du jetzt das tust, was du vor drei Jahren tun wolltest.«
»Oh, Amy, doch nicht jetzt.« Wieder wollte er nach ihr greifen, aber sie war schneller.
»Oh, doch, Tad.«
Er seufzte und vergrub die Hände in den Taschen seiner Jeans. »Ich hab dir ja gesagt, dass ich dich heiraten will.«
»Oh nein, so nicht! Du wolltest es ganz offiziell machen. So etwa wie: Amy …«
»Ich weiß, was ich sagen muss«, unterbrach Tad sie. »Aber ich glaube, ich versuch’s doch lieber mit der Entführung.«
Lachend ging sie auf ihn zu und schlang die Arme um seinen Hals. »Frag mich«, flüsterte sie nahe an seinem Mund, »bitte!«
»Willst du mich heiraten, Amy?« Er bedeckte ihr Gesicht mit Küssen. Dann hielt er inne und sah sie an. »Nun?«
»Ich werde es mir überlegen«, antwortete sie und bemühte sich, ernst zu bleiben. »Eigentlich hatte ich mir das ja viel romantischer vorgestellt, viel …« Mitten im Satz packte Tad sie und warf sie über seine Schulter. »Ja, so ist es auch gut«, gab Amy sich zufrieden. »In einigen Tagen gebe ich dir dann meine Antwort.«
Ohne sich zu bücken, ließ er sie auf das Bett fallen.
»Oder auch schon früher«, lenkte sie ein, während Tad begann, ihre Bluse aufzuknöpfen.
»Sei still.«
Überrascht zog sie eine Braue hoch. »Willst du meine Antwort etwa gar nicht?«
»Morgen bestellen wir das Aufgebot.«
»Aber ich habe noch nicht …«
»Und verschicken die Einladungen.«
»Ich habe noch nicht Ja gesagt und …«
Er verschloss ihren Mund mit einem Kuss. »Nun gut«, seufzte Amy, »du hast mich überzeugt.«
– ENDE –
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