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Denny's Ecklokal war nicht gerade eine erstklassige Adresse. Aber Drake konnte zumindest sicher sein, dass er hier niemandem begegnen würde, den er kannte, niemanden, auf den es ankam. Bei der zweiten Tasse Kaffee bestellte er ein kurzgebratenes Steak mit Spiegeleiern und Schinken. Wenn er nervös war, musste er immer essen.
Delrickio hatte sich verspätet.
Drake schüttet drei Zuckertütchen in seinen Kaffee und blickte zum dritten Mal innerhalb von fünf Minuten auf seine Rolex. Er hoffte, dass er nicht schwitzen würde.
Wenn er es gewagt hätte, den Tisch zu verlassen, wäre er in die Herrentoilette gegangen, um nachzuschauen, ob sein Haar gut saß. Statt dessen fuhr er vorsichtig mit der Hand über seinen Kopf. Dann tastete er nach seinem Schlipsknoten, die Seide knisterte unter seinen Fingern. Er schnippte unsichtbare Stäubchen von den Ärmeln seines Uomo-Jacketts. Seine Manschettenknöpfe aus gehämmertem Gold paßten gut zu dem Elfenbeinton seines Leinenhemdes, das mit einem Monogramm verziert war.
Image war einfach alles. Bei dem Treffen mit Delrickio musste er kühl, zuversichtlich und gefaßt wirken. Im Inneren war er ein kleiner Junge mit puddingweichen Knien, der nach einer Tracht Prügel aus einem Holzschuppen geführt wurde. Wie furchtbar die Schläge auch gewesen sein mochten, verglichen mit dem, was ihm jetzt passieren konnte, waren sie nichts. Zumindest war er noch am Leben gewesen, wenn seine Mutter mit ihm fertig war.
Seine Mutter hatte immer das Motto beherzigt »Wer die Rute schont, verdirbt das Kind«, und sie hatte die Rute mit frommem Eifer und glänzenden Augen geschwungen.
Delkrickios Motto lautete »Geschäft ist Geschäft«, und er würde Drake in kleine Scheibchen schneiden - mit derselben Gelassenheit, mit der ein Mann seine Nägel feilt.
Drake hatte gerade zum vierten Mal auf die Uhr gesehen, als Delrickio ankam. »Du trinkst zuviel Kaffee.« Er lächelte, als er Platz nahm. »Das schadet deiner Gesundheit.«
Michael Delrickio wurde bald sechzig. Er nahm seinen Cholesterinspiegel ebenso ernst wie das Geschäft, das er von seinem Vater übernommen hatte. Infolgedessen war er beides, reich und gesund. Sein olivfarbener Teint bildete einen auffälligen Kontrast zu seinem stahlgrauen Haar und dem üppigen Schnurrbart. Er ließ sich jede Woche das Gesicht massieren. Seine Hände waren weich und hatten die langen, spitz zulaufenden Finger eines Geigers. Außer seinem goldenen Ehering trug er keinen Schmuck. Seine tiefliegenden dunkelbraunen Augen konnten strahlen, wenn er seine Enkelkinder beobachtete, sich mit Tränen füllen, wenn er eine schmelzende Arie hörte, und völlig ausdruckslos werden, wenn er bestimmte Befehle erteilte.
Wenn es ums Geschäft ging, waren Delrickios Gefühle nur sehr selten betroffen.
Obwohl er Drake für einen Dummkopf hielt, mochte er ihn irgendwie, auf eine onkelhafte Weise. Nur deshalb hatte er dieses persönliche Treffen mit ihm vereinbart und nicht irgend jemanden geschickt, um ihm das hübsche Gesicht zu demolieren.
Delrickio wartete auf die Bedienung. Obwohl das Restaurant überfüllt war, man hörte Kinder greinen und Geschirr klappern, wurde er trotzdem sofort bedient. Es lag nicht nur an seinem teuren italienischen Anzug, es lag vielmehr daran, dass man ihm ansah, dass er ein mächtiger Mann war.
»Grapefruitsaft«, sagte er mit seinem leichten Bostonakzent. »Eine Schale Melonenstücke, sehr kalt, und trockenen Vollkorntoast. So«, meinte er, als die Kellnerin gegangen war, »dir geht es gut?«
»Ja.« Drake fühlte, wie seine Handflächen feucht wurden. »Und Ihnen?«
»Gesund wie ein Roß.« Delrickio lehnte sich zurück und schlug sich auf den flachen Bauch. »Meine Maria kocht die besten Linguini in den Vereinigten Staaten, aber ich nehme nur ganz kleine Portionen, esse mittags nur einen Salat und gehe dreimal in der Woche zur Gymnastik. Mein Cholesterinspiegel beträgt 170.«
»Das ist großartig, Mr. Delricko.«
»Wir haben nur diesen einen Körper.«
Drake wollte nicht, dass sein einziger Körper zerlegt würde wie ein Truthahn. »Und Ihre Familie?«
»Ausgezeichnet.« Er lächelte, ganz der glückliche Papa. »Angelina hat mir vorige Woche einen weiteren Enkel geschenkt. Jetzt habe ich vierzehn Enkelkinder.« Seine Augen verschleierten sich. »Darin liegt die Unsterblichkeit eines Mannes. Auch du, Drake, solltest dich verheiraten mit einem hübschen Mädchen und ihr Kinder machen. Dann hätte dein Leben einen Mittelpunkt.« Er beugte sich vor, ein besorgter Vater, der weise Ratschläge erteilte. »Mit hübschen Mädchen zu schlafen, das ist eine andere Sache. Ein Mann ist schließlich ein Mann. Aber nichts kann die Familie ersetzen.«
Drake brachte es fertig zu lächeln, als er seine Tasse hob.
»Ich suche noch nach der Richtigen.«
»Wenn du aufhörst, mit deinem Schwanz zu denken, und anfängst mit dem Herzen zu denken, wirst du sie finden.«
Er seufzte, als das Essen serviert wurde, dann sah er Drake ernst an: »Du bist in der Lage, deine Schulden zu begleichen?«
Drake blieb der Bissen in der Kehle stecken. Als er ihn schließlich heruntergewürgt hatte, sagte er: »Wissen Sie, ich hatte ein paar Verluste. Gerade im Augenblick bin ich knapp mit Bargeld. Aber ich kann Ihnen als Zeichen meines guten Willens zehn Prozent geben.«
»Zehn Prozent.« Delrickio spitzte den Mund, als er ein wenig Erdbeermarmelade auf seinen Toast strich. »Und die anderen Neunzigtausend?«
Neunzigtausend. Drake wurde ganz übel bei dem Gedanken. »Sobald sich die Lage bessert. Alles, was ich brauche, ist ein einziger Treffer.«
Delrickio tupfte sich die Lippen mit der Serviette ab. »Das habe ich früher schon von dir gehört.«
»Ich weiß. Aber diesmal ...«
Delrickio brauchte nur die Hand zu heben, und schon verstummte Drake. »Ich mag dich, Drake, deshalb sage ich dir, Glücksspiel ist etwas für Dummköpfe. Für mich gehört es zum Geschäft, aber es macht mir keinen Spaß zuzuschauen, wie du deine - Gesundheit riskierst wegen ein paar Zahlen auf dem Spieltisch.«
»Ich werde die Verluste wieder hereinbekommen.« Drake aß schnell und gierig. Er versuchte, die nackte Furcht, die sich in seinen Eingeweiden ausbreitete, damit zu beschwichtigen. »Ich brauche nur eine Woche Zeit.«
»Und wenn du wieder verlierst?«
»Ich werde nicht verlieren.« Er lächelte, ein Lächeln der Verzweiflung. Der Schweiß lief ihm über den Rücken.
Delrickio fuhr fort zu essen, ein Bissen Melone, ein Bissen Toast, ein Schluck Saft. Am Nachbartisch setzte eine Frau ein Kleinkind in einen hohen Kinderstuhl. Delrickio winkte dem
Kind zu, dann aß er weiter. Drake hatte das Gefühl, dass die Eier ihm im Magen gerannen.
»Deiner Tante geht es gut?«
»Eve?« Drake beleckte sich die Lippen. Er gehörte zu den wenigen, die wussten, dass sie mit Delrickio eine kurze, leidenschaftliche Affäre gehabt hatte. Aber er wusste nicht, ob er irgendeinen Vorteil daraus schlagen konnte. »Es geht ihr gut.«
»Ich habe gehört, dass sie sich entschlossen hat, ihre Memoiren zu veröffentlichen.«
»Ja.« Obwohl sein Magen energisch protestierte, trank Drake noch mehr Kaffee. »Sie hat eine Autorin aus dem Osten kommen lassen, die ihre autorisierte Biographie schreibt.«
»Eine junge Frau.«
»Julia Summers. Sie wirkt seriös.«
»Und was will deine Tante alles preisgeben?«
Drake spürte eine gewisse Erleichterung, seit Delrickio das Thema gewechselt hatte. Er bestrich ein Stück Toast mit Butter. »Wer weiß? Bei Eve kommt alles auf die augenblickliche Stimmung an.«
»Aber du wirst es herausbekommen.«
Der Ton seiner Stimme ließ Drake erstarren, das Messer ragte in die Luft. »Über solche Sachen spricht sie nicht mit mir.«
»Du wirst es herausfinden«, wiederholte Delrickio. »Dann sollst du deine Woche Zeit haben. Eine Hand wäscht die andere.« Delrickio lächelte. »So ist es zwischen Freunden. Und in der Familie.«
Im Swimmingpool fühlte sie sich wieder frisch wie ein junges Mädchen. Sie hatte eine heiße Liebesnacht mit Victor verbracht. Eve war später aufgewacht als sonst und hatte furchtbare Kopfschmerzen. Aber die Medikamente und das kühle, klare Wasser linderten den Schmerz, so dass er erträglich wurde.
Sie schwamm langsam und methodisch und genoß das Gefühl, dass ihre Arme und Beine präzise arbeiteten. Sie dachte an die vergangene Nacht, an Victor. Sex mit ihm war immer unglaublich aufregend, ob leidenschaftlich oder sanft, ob langsam oder wild. In all den Jahren hatten sie sich in jeder nur möglichen Weise geliebt.
Keiner von all ihren Männern, all ihren Liebhabern ließ sich mit Victor vergleichen, weil er der einzige war, dem ihr Herz gehörte. Vor Jahren war sie oft fast verzweifelt, weil sie nicht für immer zusammenleben konnten. Das war vorüber. Jetzt konnte sie dankbar jede Stunde genießen, die ihnen gegönnt war.
Als Eve aus dem Pool kam, zitterte sie und zog sich rasch ein langes, rotes Frotteekleid über. Travers schien nur auf ihr Stichwort gewartet zu haben. Sie eilte mit dem Frühstückstablett und einer Flasche Feuchtigkeitslotion herbei.
»Hat Nina ihr Bescheid gesagt?«
Travers atmete geräuschvoll durch die Nase. »Schon auf dem Weg.«
»Gut.« Eve nahm die Flasche in die Hand und schüttelte sie, während sie die Haushälterin im Auge behielt. »Sie brauchen Ihre Mißbilligung nicht so deutlich zur Schau zu tragen.«
»Ich denke, was ich denke.«
»Und Sie wissen, was Sie wissen«, meinte Eve mit einem leichten Lächeln. »Was haben Sie gegen sie?«
Travers räumte das Tablett ab und deckte den glänzend weißen Tisch. Sie gab sich den Anschein, als nähme sie diese Tätigkeit voll in Anspruch. »Am besten schicken Sie sie zurück und vergessen die ganze Sache. Das gibt nur Ärger. Niemand wird es Ihnen danken.«
Geschickt sprühte Eve Lotion auf ihr Gesicht. »Ich brauche sie«, erklärte sie. »Ich kann es nicht allein machen.«
Travers kniff die Lippen zusammen. »Sie haben Ihr ganzes Leben lang immer getan, was Sie wollten. Aber diesmal irren Sie sich.«
Eve setzt sich hin und steckte sich eine Himbeere in den Mund. »Ich hoffe nicht. Das wär's dann.«
Travers stapfte zum Haus zurück. Eve lächelte und setzte sich eine Sonnenbrille auf. Sie musste nicht lange auf Julia warten. Bald erblickte sie die junge Frau, die bequeme Schuhe trug, enganliegende blaue Slacks und eine frisch gebügelte Streifenbluse. Sie ist etwas entspannter, aber nach der Kleidung und der Körperhaltung zu urteilen, immer noch auf der Hut, dachte Eve.
Wann würden sie endlich Freundschaft schließen, fragte sie sich, Vertrauen zueinander haben.
»Ich hoffe, es macht Ihnen nichts aus, dass ich Sie hierher gebeten habe.« Sie deutete auf den Sessel neben ihr.
»Nein, überhaupt nichts.« Julia fragte sich, wie viele Leute dieses berühmte Gesicht wohl schon ohne Make-up gesehen haben mochten. Und wie viele wohl wissen mochten, dass die Schönheit dieser Frau an ihrem Teint und am Knochenbau lag, nicht an der künstlichen Aufmachung. »Wo immer Sie sich wohl und entspannt fühlen, ist es mir recht.«
»Ich könnte das gleiche behaupten.« Eve goß ihr Saft ein und hob eine Braue, als Julia den Kopf schüttelte, als sie Champagner hinzufügen wollte. »Entspannen Sie sich überhaupt jemals?« fragte sie.
»Natürlich, aber nicht bei der Arbeit.«
Nachdenklich nippte Eve an ihrem Drink. »Was machen Sie, um sich zu entspannen?«
Verwirrt stammelte Julia: »Nun, ich ... Ich ...«
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»Eins zu null«, erklärte Eve lachend. »Ich kann Ihnen einiges über Sie erzählen, darf ich? Sie sind beneidenswert jung und hübsch. Sie sind eine liebevolle Mutter, Ihr Kind ist der Mittelpunkt Ihres Lebens, und Sie haben sich vorgenommen, gute Arbeit zu leisten, um ihn großzuziehen. Aber Ihre Arbeit kommt erst an zweiter Stelle, obwohl Sie sie sehr ernst nehmen. Sie haben ausgezeichnete Manieren, und Ihre Selbstbeherrschung ist so perfekt, dass man sich fragt, ob es hinter dieser Fassade überhaupt eine echte, leidenschaftliche Frau gibt. Leidenschaft ist für Sie so etwas wie ein heimliches Laster, man darf sie auf keinen Fall zeigen, sollte sie am besten gar nicht besitzen. Männer rangieren ganz weit unten auf Ihrer Liste von Prioritäten, ich vermute, noch hinter der Aufgabe, Brandons Socken zusammenzurollen.«
Julia musste all ihren Willen aufbieten, um ihr Gesicht unter Kontrolle zu behalten. Aber das Aufblitzen ihrer Augen konnte sie nicht verhindern. »Das klingt, als wäre ich ziemlich beschränkt.«
»Bewundernswert«, sagte Eve und griff wieder in die Schale mit Himbeeren. »Obwohl manchmal beides dasselbe ist. Um die Wahrheit zu sagen, ich habe gehofft, Sie ein bisschen aus der Reserve locken zu können, diese schreckliche Selbstbeherrschung ein bisschen ins Wanken zu bringen.«
»Warum?«
»Ich würde gern wissen, ob ich die Geheimnisse meines Lebens einem menschlichen Wesen anvertraue.« Achselzuckend brach Eve ein Stück von einem knusprigen Croissant ab. »Bei Ihrem kleinen Meinungsaustausch mit Paul bei unserem Dinner am ersten Abend hatte ich den Eindruck, dass Sie ein gesundes Temperament besitzen. Ich mag temperamentvolle Menschen.«
»Nicht jeder ist in der Lage, seinem Temperament freien Lauf zu lassen. Ich bin ein menschliches Wesen, Miss Benedict.«
»Eve.«
»Ich bin ein menschliches Wesen, Eve, menschlich genug, dass es mir zuwider ist, wenn man mich zu manipulieren versucht.« Julia öffnete ihre Aktentasche. »Haben Sie ihn gestern zu mir geschickt?«
Eve grinste. »Wen?«
»Paul Winthrop.«
»Nein.« Ihre Überraschung und ihr Interesse wirkten überzeugend, aber Julia dachte daran, dass sie einer Schauspielerin gegenübersaß. »Paul hat Sie besucht?«
»Ja. Er scheint besorgt zu sein wegen des Buches und über die Art und Weise, wie ich es schreibe.«
»Er will mich immer beschützen.« Eves Appetit war bereits gestillt. Sie schob das Frühstück beiseite und nahm sich eine Zigarette. »Und er ist fasziniert von Ihnen.«
»Ich glaube nicht, dass es ihm um mich persönlich geht.«
»Da wäre ich nicht so sicher.« Wieder lachte Eve. »Meine Liebe, die meisten Frauen verlieben sich schon in den ersten fünf Minuten unsterblich in ihn. Er ist verwöhnt. Kein Wunder bei seinem Aussehen, seinem Charme, dem unterschwelligen Sex-Appeal.« Sie nahm einen Zug aus ihrer Zigarette. »Ich habe seinen Vater geliebt.«
»Erzählen Sie mir davon.« Julia ergriff die Gelegenheit, mit ihrem Interview anfangen zu können. »Erzählen Sie mir von Rory Winthrop.«
»Ah, Rory ... Das Gesicht eines gefallenen Engels, die Seele eines Dichters, der Körper eines Gottes und der Verstand eines Dobermanns, der einer läufigen Hündin nachjagt.« Sie lachte, aber ohne jede Bosheit. »Es war ein Jammer, dass wir nicht miteinander klarkommen konnten. Ich liebte den Sohn einer Hündin. Rorys Problem war, dass er es nicht über sich brachte, eine Erektion, die irgendwann auftrat, ungenutzt vorübergehen zu lassen. Ob es sich um französische Stubenmädchen handelte oder um irische Köchinnen, um Damen der Gesellschaft oder schillernde leichte Mädchen, Rory fand mit einem Blick heraus, wo er landen konnte, um seine männliche Pflicht zu erfüllen und das Ding irgendwo reinzustecken.« Sie grinste und füllte ihr Glas noch einmal mit Saft und Champagner. »Die ständige Untreue hätte ich ertragen können, das hatte nichts mit uns zu tun, aber leider hielt Rory es auch noch für erforderlich, mich laufend anzulügen. Ich konnte nicht bei einem Mann bleiben, der mich für so dumm hielt, dass ich seine erbärmlichen Geschichten glaubte.«
»Seine Treulosigkeit hat Sie nicht gestört?«
»Das habe ich nicht gesagt. Wenn ich mich mehr um Rory gekümmert hätte und weniger um Paul, wäre es vielleicht nicht zu einer netten, ruhigen Scheidung gekommen, sondern die Angelegenheit hätte einen, sagen wir, brisanteren Verlauf genommen.«
Julia fing an, Eve zu versehen. Sie selber hatte ihrem Kind zuliebe darauf verzichtet, den Vater anzuprangern. »Obwohl Ihre Verbindung mit Rory schon vor Jahren aufgehört hat, haben Sie immer noch eine enge Verbindung zu seinem Sohn.«
»Ich liebe Paul. Oft habe ich fast das Gefühl, er wäre mein eigener Sohn.« Unmittelbar nachdem sie eine Zigarette ausgedrückt hatte, zündete sie sich eine neue an. Dieses Geständnis schien ihr sehr schwergefallen zu sein. »Ich wollte diesem Jungen eine Mutter sein. Ich war gerade vierzig, genau der Zeitpunkt, an dem eine Frau weiß, dass ihre biologische Uhr sich nicht mehr zurückdrehen läßt. Und da war plötzlich dieses lebhafte, hübsche Kind, genauso alt wie Ihr Brandon heute.« Sie trank einen Schluck, um Ihre Emotionen wieder unter Kontrolle zu bekommen.
»Und Pauls Mutter?«
»Marion Heart? Eine hinreißende Schauspielerin. Als sie nach Hollywood kam, wirkte sie ein bisschen snobistisch. Schließlich war sie Theaterschauspielerin. Sie und Rory zerrten das Kind dauernd hin und her zwischen New York und Los Angeles. Für Marion war Paul so etwas wie ein Haustier, das sie impulsiv gekauft hatte und nun füttern und spazierenführen musste.«
»Aber das ist entsetzlich!«
Zum ersten Mal hörte Eve echtes Gefühl in Julias Stimme. »Sehr viele Frauen befinden sich in der gleichen Lage. Sie glauben mir das nicht, wegen Brandon. Aber ich schwöre Ihnen, nicht alle Frauen nehmen die Mutterrolle freudig an. Der Junge wurde gut behandelt. Weder Rory noch Marion dachten im Traum daran, ihm etwas zuleide zu tun. Er wurde auch nicht vernachlässigt. Aber sie interessierten sich nicht für ihn.«
»Das muss ihn verletzt haben«, murmelte Julia.
»Man vermisst nicht unbedingt etwas, das man nie kennengelernt hat.« Eve stellte fest, dass Julia aufgehört hatte, sich Notizen zu machen, und nur noch zuhörte. »Als ich Paul begegnete, war er ein intelligenter und sehr selbstbewusster
Junge. Kein Kind, dem man plötzlich die hingebungsvolle Mama vorspielen konnte, selbst dann nicht, wenn ich gewußt hätte, wie ich das anfangen sollte. Aber ich konnte ihm Beachtung und Freude schenken. Tatsächlich denke ich oft, dass ich Rory nur deshalb geheiratet habe, weil ich so vernarrt in seinen Sohn war.«
Sie setzte sich zurück. »Natürlich kannte ich Rory schon lange. Wir verkehrten in denselben Kreisen. Wir fühlten uns beide voneinander angezogen, aber wir hatten immer Pech. Wenn ich frei war, war er gebunden und umgekehrt. Dann drehten wir zusammen einen Film.«
»Fancy Face.«
»Ja, eine Liebeskomödie, und zwar eine verdammt gute. Die Dreharbeiten gehören zu meinen besten Erinnerungen. Ein gutes, witziges Drehbuch, ein talentierter Regisseur, elegante Garderobe und ein Partner, der wusste, wie man erotische Funken zum Zünden brachte. Nach zwei Wochen hatte es uns beide erwischt.«
Ein wenig betrunken betrat Eve zum ersten Mal Rorys Strandhaus in Malibu. Sie hatten lange gedreht und anschließend in einem Lokal zu Abend gegessen, wo nur junge Leute verkehrten, die sie nicht kannten, weil sie sich keine Filme mit Eve Benedict und Rory Winthrop anschauten. Rory hatte eine Münze nach der anderen in die Musicbox geworfen, so dass ihr Gelächter und ihr erotisches Vorgeplänkel ständig von den Songs der Beach Boys begleitet gewesen waren.
Dann waren sie in seinem Mercedes nach Malibu gerast. Eve hatte diesen Abend sorgfältig ausgewählt. Am nächsten Tag waren keine Dreharbeiten angesetzt, so dass sie sich keine Sorgen zu machen brauchte wegen ihrer möglicherweise verschwollenen Augen. Sie wollte diese Nacht mit Rory, aber in erster Linie war und blieb sie ein Filmstar.
Barfuß und mit vom Wind zerzaustem Haar schaute Eve sich kurz im Wohnraum um. Die Holzmöbel waren auf Hochglanz poliert, die Wände bestanden aus Glas, und man hörte die Brandung rauschen. Hier, dachte sie, hier und jetzt, und hockte sich auf den kleinen Teppich vor dem Kamin.
Sie lächelte ihm zu. Im Kerzenlicht sah sie unwahrscheinlich schön aus. Der Bronzeschimmer ihrer Haut, der Mahagoniglanz ihrer Haare, die wie Saphire leuchtenden Augen. Sie hatten sich bereits geküßt, während die Techniker um sie herumwuselten. Jetzt wollte sie seinen Kuß - und mehr - ohne Drehbuch und Regisseur.
Sie wollte wilden, heißen Sex, um für ein paar Stunden das zu vergessen, womit sie für den Rest ihres Lebens fertigwerden musste.
Er kniete sich neben sie. »Weißt du, wie lange ich dich schon begehre?«
»Nein.«
Er spielte mit ihrem Haar. »Wie lange kennen wir uns schon?«
»Fünf, sechs Jahre.«
»Genauso lange sehne ich mich nach dir.« Er knabberte kurz an ihren Lippen. »Es ist ein Jammer, dass ich viel zuviel Zeit in London vergeudet habe, anstatt hier zu sein und mit dir Liebe zu machen.«
Er brachte es fertig, jeder Frau glaubhaft zu machen, dass er nur an sie dächte. Und tatsächlich glaubte er das selber, egal, mit welcher Frau er gerade zufällig beisammen war.
Sie strich mit der Hand über sein Gesicht, fasziniert von den Linien, Tälern und Flächen, die alle zusammen eine so eindrucksvolle männliche Schönheit schufen. Körperlich war Rory Winthrop makellos. Und wenigstens heute nacht gehörte er ihr.
»Dann nimm mich jetzt.« Sie lachte leise, als sie ihm das Hemd über den Kopf zog. Im Kerzenschein glitzerten ihre Augen verheißungsvoll. Er spürte, dass sie keine Zärtlichkeiten, kein liebevolles Vorspiel wollte. Obwohl Rory das gerade beim erstenmal eigentlich lieber gewesen wäre, war er immer bereit, sich einer Frau anzupassen. Das machte einen Teil seines Charmes und einen Teil seiner Schwäche aus.
Er zog sie aus, während sie mit ihren Nägeln seinen Rücken zerfurchte. Ein Frauenkörper erregte ihn immer, egal ob er schlank war oder füllig, jung oder gereift. Er war berauscht von ihrer Haut, ihren Kurven, ihrem Duft und stöhnte, als sie an seinen Slacks zerrte und feststellte, dass er für sie bereit war.
Es ging ihr nicht schnell genug. Noch konnte sie denken. Noch konnte sie das Rauschen der Brandung hören, ihren eigenen Herzschlag, ihre erregten Atemzüge. Sie wollte im Sex Vergessen finden, nichts anderes mehr als ihre Gefühle wahrnehmen. Verzweifelt rollte sie sich über ihn. Er sollte sie alles vergessen lassen. Sie wollte sich nicht mehr daran erinnern können, wie es sich anfühlte, wenn die Hand eines anderen Mannes über ihren Körper glitt, wenn ein anderer sie küsste, wie die Haut eines anderen roch.
Nur durch Flucht konnte sie überleben, und sie hatte sich geschworen, dass Rory Winthrop es war, der ihr diese Flucht ermöglichen sollte.
Kerzenlicht tanzte über ihre nackte Haut, als sie sich über ihn beugte. Ihr Haar fiel herunter wie ein dunkler Wasserfall. Als sie ihn einließ, stieß sie einen Schrei aus. Sie ritt ihn voller Wildheit, bis sie endlich, endlich Erleichterung und Vergessen erreichte.
Dann glitt sie schwerelos an seine Seite. Sein Herz hämmerte neben ihrem, und sie lächelte dankbar. Wenn sie sich diesem Mann rückhaltlos hingeben konnte, Leidenschaft und Befriedigung bei ihm fand, dann würde sie wieder heil und ganz werden.
»Leben wir noch?« murmelte Rory.
»Ich glaube schon.«
»Gut.« Er brachte die Kraft auf, ihr mit der Hand über den Rücken zu fahren. »Das war ein Höllenritt, Evie.«
Sie lächelte. Niemand hatte sie je Evie genannt, aber es gefiel ihr, wie er den Kosenamen mit seiner klaren, geschulten Stimme aussprach. Sie hob den Kopf und schaute auf ihn hinunter. Seine Augen waren geschlossen, und auf seinem Gesieht lag ein törichtes Lächeln, das Zeichen reiner Befriedigung. Sie musste darüber lachen und küsste ihn dankbar.
»Wie steht's mit der zweiten Runde?«
Er öffnete langsam die Augen. Sie konnte ihr Spiegelbild darin sehen und sein Verlangen und eine große Zuneigung. Bis zu diesem Augenblick war ihr nicht klargewesen, wie sehr sie sich nach beidem gesehnt hatte. Sei für mich da, nur für mich, dachte sie, und ich will mein Möglichstes tun, um es dir zu entgelten.
»Ich Sag dir was. Ich habe oben ein Riesenbett stehen und eine große Badewanne mit heißem Wasser auf dem Oberdeck. Warum wollen wir nicht beides ausprobieren?«
Sie liefen hinauf, planschten in heißem Wasser und zogen die seidenen Bettlaken beiseite. Wie gierige Kinder konnten sie nicht genug voneinander bekommen, bis ihre Körper energisch ihr Recht verlangten.
Als Eve gegen mittag aufwachte, hatte sie Hunger. Neben ihr in dem riesigen Bett lag Rory, sein Gesicht in die Kissen vergraben. Sie drückte ihm einen kleinen Kuß auf die Schulter und ging zum Duschen.
In seinem Schrank entdeckte sie eine ganze Auswahl an Damenkleidung. Entweder hatte er sie für alle Fälle gekauft, oder frühere Geliebte hatten sie hier zurückgelassen. Eve wählte sich ein blaues Seidengewand aus, das zu ihrer Stimmung paßte, und ging mit der Absicht nach unten, ein leichtes Frühstück für sie beide zuzubereiten, das sie im Bett essen konnten. Eve hörte das Geräusch eines Fernsehers aus der Küche. Die Haushälterin, dachte sie. Um so besser. Sie konnte einfach ein Frühstück bestellen und musste es nicht selber zubereiten. Summend zog sie das Zigarettenpäckchen aus der Tasche, das sie vorsorglich eingesteckt hatte.
Das letzte, was sie erwartet hätte, war ein Junge, der am Küchenbüfett lehnte. Sofort bemerkte sie die unwahrscheinliche Ähnlichkeit mit seinem Vater. Dasselbe volle dunkle Haar, derselbe Mund, dieselben leuchtendblauen Augen. Bedächtig strich er sich Erdnußbutter auf ein Stück Brot.
Bevor sich Eve noch darüber klar werden konnte, ob sie besser verschwand oder einfach hineinging, hob der Junge den Kopf - wie ein Wolf, der eine fremde Witterung aufgenommen hat. Als ihre Blicke sich trafen, kümmerte er sich nicht mehr um sein Brot, sondern studierte sie aufmerksam.
Im Laufe ihres Lebens war Eve von mehr Männern prüfend betrachtet und eingeschätzt worden, als sie zählen konnte, aber der scharfe, eindringliche Blick dieses Jungen verschlug ihr die Sprache. Später lachte sie darüber, aber in diesem Augenblick hatte sie das Gefühl, dass er ihre Fassade sofort durchschaute, diese Eve Benedict, und dass sie wieder zu dem kleinen Mädchen wurde, das sie einst gewesen war, zu Betty Berenski.
»Hallo«, sagte er. Seine Stimme klang wie ein leises kindliches Echo der kultivierten Stimme seines Vater. »Ich bin Paul.«
»Hallo.« Sie verspürte den lächerlichen Drang, ihr Haar zu glätten und ihr Kleid zurechtzuziehen. »Ich bin Eve.«
»Ich weiß. Ich habe Bilder von Ihnen gesehen.«
Eve war verlegen. Sie hätte darauf wetten können, dass er genau wusste, was sich im Schlafzimmer seines Vaters abgespielt hatte. Er hatte einen zynischen Zug um die Lippen.
»Haben Sie gut geschlafen?«
Der kleine Scheißer, dachte Eve. Ihre Verlegenheit schwand, die Sache fing an, ihr Spaß zu machen. »Sehr gut, danke.« Sie schwebte in die Küche, wie eine Königin, die einen Salon betritt. »Es tut mir leid, ich habe nicht gewußt, dass Rorys Sohn bei ihm wohnt.«
»Manchmal.« Er nahm ein Glas Marmelade in die Hand und fing an, ein weiteres Stück Brot damit zu bestreichen. »Ich habe mich in der letzten Schule nicht wohl gefühlt, und deshalb haben meine Eltern beschlossen, dass ich für ein Jahr oder so hierher nach Kalifornien kommen sollte.« Er klappte die beiden Brotscheiben zusammen. »Ich habe meine Mutter ganz verrückt gemacht.«
»Wirklich?«
»Oh, ja.« Er öffnete den Kühlschrank und nahm eine große Flasche Pepsi heraus. »Darin bin ich sehr gut. Im Sommer habe ich meinen Vater verrückt gemacht, deshalb kam ich zurück nach London. Ich fliege gern.«
»Ja?« Fasziniert schaute Eve zu, wie er sich an den mit einer Glasplatte bedeckten Küchentisch setzte. »Kann ich mir ein Sandwich machen?«
»Natürlich. Sie drehen einen Film mit meinem Vater zusammen.« Er sagte es so, als sei es völlig selbstverständlich, dass alle Hauptdarstellerinnen, die mit seinem Vater drehten, an irgendeinem Samstagmittag plötzlich in einem geliehenen Kleid in der Küche standen.
»Das stimmt. Siehst du gern Filme?«
»Manchmal. Einen mit Ihnen habe ich im Fernsehen angeschaut. Sie waren eine Barsängerin, und Männer haben für Sie getötet.« Er biß in sein Sandwich. »Sie haben eine sehr angenehme Stimme.«
»Danke.« Sie schaute ihn über die Schulter hinweg an, um festzustellen, ob sie dieses Gespräch wirklich mit einem Kind führte. »Willst du auch Schauspieler werden?«
Seine Augen blitzten amüsiert auf, als er wieder einen Bissen nahm. »Nein. Wenn ich ins Filmgeschäft gehen sollte, dann nur als Regisseur. Ich glaube, es muss befriedigend sein, anderen Leuten zu sagen, was sie tun sollen.«
Eve entschloß sich, keinen Kaffee zu kochen. Sie nahm eine Flasche Saft aus dem Kühlschrank und setzte sich zu ihm an den Küchentisch. Ihre Absicht, Rory etwas zu essen hinaufzubringen, als Auftakt für ein kleines Gerangel am Nachmittag, hatte sie völlig vergessen. »Wie alt bist du?«
»Zehn. Wie alt sind Sie?«
»Älter.« Sie nahm sich Erdnußbutter und Marmelade, und dabei fiel ihr ein, dass sie in dem Monat, bevor sie Charlie Gray kennengelernt hatte, von Sandwiches und Erdnußbutter und Marmelade und Fertigsuppen gelebt hatte. »Was gefällt dir am besten in Kalifornien?«
»Die Sonne. Es regnet viel in London.«
»Ja, das habe ich gehört.«
»Haben Sie schon immer hier gelebt?«
»Nein, obwohl es mir manchmal so vorkommt.« Sie nahm einen großen Schluck Saft. »Paul, erzähl mir, was dir in deiner letzten Schule nicht gefallen hat.«
»Die Schuluniformen«, erwiderte er sofort. »Ich hasse Uniformen. Es ist so, man soll nicht nur gleich aussehen, man soll auch gleich denken.«
Diese Antwort schockierte sie ziemlich, deshalb setzte sie die Flasche schnell ab. »Bist du sicher, dass du zehn bist?« Achselzuckend steckte er den Rest des Brotes in den Mund. »Ich bin fast zehn. Und ich bin frühreif«, erklärte er so nüchtern, dass sie einen aufsteigenden Lachreiz unterdrückte. »Und ich stelle zu viele Fragen.«
Eve spürte, dass hinter seiner sorgsam errichteten Fassade von Selbstbewußtsein und Unabhängigkeit ein einsamer, kleiner Junge steckte. Ein Fisch auf dem Trockenen, dachte sie und hätte ihm am liebsten zärtlich das Haar zerwühlt. »Wenn die Leute sagen, dass du zu viele Fragen stellst, dann heißt das nichts anderes, als dass sie die Antworten nicht wissen.«
Er schaute sie lange und forschend an. Dann lächelte er und wurde plötzlich zu einem fast zehn Jahre alten Jungen, dem ein Zahn fehlte. »Ich weiß. Und es macht sie verrückt, wenn man trotzdem weiter fragt.«
Diesmal unterdrückte sie ihr Verlangen, ihm durchs Haar zu fahren, nicht mehr. Sein Grinsen hatte ihr Mut gemacht. »Du wirst es noch weit bringen, mein Junge. Aber fürs erste: Was hältst du von einem Strandspaziergang?«
Er starrte sie volle dreißig Sekunden lang an. Eve hätte ihren letzten Dollar darauf verwetten können, dass Rorys Freundinnen noch nie Zeit für ihn geopfert hatten. Und genauso sicher wusste sie, dass Paul Winthrop sich verzweifelt einen Freund wünschte.
»Okay.« Er malte mit dem Finger Muster auf die beschlagene Pepsiflasche. »Wenn Sie wollen.« Er bemühte sich, nicht allzu interessiert zu wirken.
»Gut.« Ihr ging es ganz genauso. Sie stand langsam auf. »Ich will mich nur eben umziehen.«
»Wir gingen zwei Stunden lang spazieren.« Eve lächelte, ihre Zigarette lag, bis zum Filter heruntergebrannt, unbeachtet im Aschenbecher. »Wir bauten sogar Sandburgen. Es war einer der schönsten Nachmittage in meinem Leben. Als wir heimkamen, war Rory wach, und ich war völlig vernarrt in seinen Sohn.«
»Und Paul?« fragte Julia ruhig. Sie sah den einsamen kleinen Jungen deutlich vor sich, der sich an einem Samstagnachmittag allein in der Küche ein Sandwich machte.
»Oh, er war vorsichtiger als ich. Später erst wurde mir klar, dass er glaubte, ich benutzte ihn, um seinen Vater zu bekommen.« Eve rückte unruhig auf ihrem Sessel herum und nahm sich eine neue Zigarette. »Wer hätte ihn deswegen tadeln können? Rory war ein sehr begehrenswerter Mann, erfolgreich und wohlhabend, durch seine eigene Arbeit und auf Grund seines ererbten Vermögens.«
»Noch bevor der Film, an dem Sie arbeiteten, fertig war, haben Sie und Rory Winthrop geheiratet.«
»Genau einen Monat nach diesem Samstag in Malibu.« Eve rauchte schweigend und schaute zu dem Orangenhain hinüber. Dann sagte sie: »Ich gebe zu, dass ich wie verrückt hinter ihm her war. Der Mann hatte kaum eine Chance. Romanzen waren nun einmal seine Schwäche. Das nutzte ich aus. Ich wollte ihn heiraten, ich wünschte mir eine richtige Familie. Ich hatte meine Gründe dafür.«
»Was für Gründe?«
Eve wandte ihren Blick wieder Julia zu und lächelte. »Sagen wir fürs erste, dass Paul einer meiner ganz entscheidenden Gründe war. Das ist die Wahrheit, und ich habe nicht die Absicht zu lügen. Außerdem glaubte ich zu jener Zeit noch an den Sinn der Ehe. Rory konnte mich zum Lachen bringen, er war - ist - intelligent, sanft und doch genügend ungebändigt, um interessant zu sein. Ich wollte daran glauben, dass es gutgehen könnte. Das war zwar nicht der Fall, aber von meinen vier Ehen ist diese die einzige, die ich nicht bereue.«
»Es gab noch weitere Gründe?«
»Ihnen entgeht nicht viel«, flüsterte Eve. »Ja.« Sie drückte ihre Zigarette aus. »Aber das ist eine andere Geschichte, die ich Ihnen später erzählen werde.«
»In Ordnung. Dann erzählen Sie mir, welche Gründe Sie bewogen haben, Nina einzustellen.«
Es kam sehr selten vor, dass Eve außer Fassung geriet. Jetzt blinzelte sie und lächelte ausdruckslos, um sich eine kleine Atempause zu verschaffen. »Wie bitte?«
»Ich habe mich gestern abend mit Nina unterhalten. Sie hat mir erzählt, wie Sie sie nach ihrem Selbstmordversuch im Krankenhaus besucht und ihr nicht nur einen Job, sondern auch neuen Lebenswillen gegeben haben.«
Eve nahm ihr Glas in die Hand und schaute nachdenklich auf den kleinen Rest Flüssigkeit, der noch darin war. »Ich verstehe. Nina hat mir gegenüber nicht erwähnt, dass Sie sie interviewt haben.«
»Wir haben miteinander gesprochen, als sie mir gestern abend die Photos gebracht hat.«
»Ja. Heute morgen habe ich sie noch nicht gesehen.« Eve setzte das Glas wieder ab, ohne getrunken zu haben. »Es gab mehrere Gründe, die mich dazu bewogen haben, Nina einzustellen. Das ist eine ziemlich verwickelte Geschichte, die ich Ihnen nicht so ohne weiteres erklären kann. Es wäre Zeitverschwendung, es jetzt zu versuchen.«
Aber Julia blieb hartnäckig. Sie war mehr interessiert daran, Eves Gesichtsausdruck zu beobachten, als ihre Antwort zu hören.
»Ich habe mich gefragt, ob Sie da eine Möglichkeit sahen, eine alte Schuld zu begleichen. Charlie Gray hatte Selbstmord begangen, und Sie hatten es nicht verhindern können.
Aber diesmal, bei Nina, konnten Sie etwas tun. Und so haben Sie die Gelegenheit ergriffen.«
Julia beobachtete, wie Eves grüne Augen sich verschatteten, dunkler wurden. »Sie sind sehr einfühlsam, Julia. Zum Teil habe ich es tatsächlich getan, um für Charlie zu bezahlen. Aber ich gewann eine sehr tüchtige Angestellte und eine ergebene Freundin, man könnte also sagen, dass es mich gar nichts gekostet hat.«
Bevor ihr noch klar wurde, dass sie die Distanz überschritten hatte, legte Julia ihre Hand auf Eves Arm. »Was immer Sie dabei gewonnen haben mögen, Mitgefühl und Großzügigkeit sind mehr wert. Ich habe Sie mein ganzes Leben lang als Schauspielerin bewundert, aber in den letzten Tagen habe ich angefangen, Sie als Frau zu bewundern.«
Eve blickte auf Julias Hand auf ihrem Arm. Die verschiedenartigsten Gefühle drohten sie zu überschwemmen. Sie kämpfte einen verbissenen Kampf, um wieder Kontrolle über sich zu gewinnen. Dann sagte sie: »Sie werden noch viel Zeit haben, um zu anderen Einschätzungen über mich als Frau zu kommen. Einige werden auch nur entfernt etwas mit Bewunderung zu tun haben. Aber jetzt habe ich wieder zu tun.« Sie erhob sich und wies auf den Recorder. Zögernd schaltete Julia ihn ab. »Heute abend findet ein Wohltätigkeitsball statt. Ich habe eine Eintrittskarte für Sie.«
»Heute abend?« Julia legte eine Hand über die Augen, als sie zu ihr hochblickte, damit sie nicht von der Sonne geblendet wurde. »Ich glaube wirklich nicht, dass ich kommen kann.«
»Wenn Sie dieses Buch schreiben wollen, können Sie nicht nur immer hier herumsitzen, Julia. Ich spiele eine Rolle in der Öffentlichkeit. Ich möchte, dass Sie bei mir sind. Sie müßten um sieben Uhr dreißig fertig sein, CeeCee wird bei Brandon bleiben.«
Auch Julia stand auf. Sie wollte auf dieses unerwartete Angebot lieber stehend reagieren. »Ich werde natürlich kommen. Aber Sie sollten wissen, dass ich mich nicht gern unter
Leute mische.« Mit deutlicher Ironie fügte sie hinzu: »Ich habe nie die Angewohnheit ablegen können, die Leute verrückt zu machen, weil ich ihnen zu viele Fragen stelle.«
Eve kicherte und wendete sich zufrieden dem Haus zu. Sie war sicher, es würde ein interessanter Abend werden.