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Louis hatte sich in die Liege des Kopiloten fallen lassen, in der Hand eine Quetschflasche mit Kona-Kaffee, vor sich einen Teller mit Scones. Was immer es an Bord der Aegis gab, worüber er sich beschweren könnte: das Angebot des Synthesizers war es auf jeden Fall nicht.

Die Liege, auf der Louis Platz genommen hatte, mochte durchaus auf einer von Menschen besiedelten Welt gekauft worden sein. Höchstwahrscheinlich war es wirklich so gewesen. Alles andere auf der Brücke – die Instrumententafel, die Steuereinheiten, die Pilotenliege, sogar die Aufpolsterung der Lukenkante – sah aus, als wäre es erst angeschmolzen worden und dann erstarrt, nur um möglichst rund und glatt zu sein. Jegliche Ecke und Kante schien als unnötiges Risiko angesehen zu werden. Man hätte sich ja das Knie anstoßen können!

Louis biss genüsslich in ein Scone. (»Du tauschst den einen gegen den anderen Hunger aus«, spottete eine innere Stimme.) Louis ignorierte den Spott und nahm sich Zeit zum Genießen. Als er die feinen Aromen schließlich ausgekostet hatte, rief er: »Voice, zeig mir bitte eine Gw’oth-Gruppe!«

Das Holo, das sofort aufflammte, war schlichtweg widerlich: ein sich umeinander windender gordischer Knoten aus zuckendem Fleisch, aus pulsierenden Leibern. Die Haut der Gw’oth vermochte offenkundig jede Farbe des Regenbogens anzunehmen, wahrscheinlich auch noch im Infrarotbereich, den Louis natürlich nicht sehen konnte. In Echtzeit veränderten sich Farbtöne und Muster der Gw’oth-Haut, und das aus Gründen, die Louis nicht einmal zu erahnen in der Lage war.

»Ein Gw’otesht, Sir«, intonierte Voice. »Genauer gesagt ein Gw’otesht 16er-Verband. In dieser Konfiguration ist das Verstandeskollektiv auf vierdimensionale Simulationen optimiert.«

Voice war die schiffseigene künstliche Intelligenz. Umgeben von all den technologischen Wunderwerken, von Stepperscheiben bis hin zu dem programmierbaren Nanostoff, aus dem Louis’ Overall bestand, war diese KI schlicht eine Anomalie. Nessus hatte eine Pilotenliege in Menschenbauweise an Bord; er hätte demnach auch auf jeder von Menschen besiedelten Welt einen deutlich leistungsfähigeren KonfIdent erstehen können. Hatte er aber nicht. Warum nicht?

Weil echte Feiglinge niemals ihre eigenen potenziellen Nachfolger konstruieren würden. An sich war es schon interessant, dass Nessus überhaupt bereit war, eine KI zu verwenden, selbst wenn sie längst veraltet war ...

Noch ein Rätsel, mit dem man sich irgendwann später beschäftigen könnte, beschloss Louis. »Und die anderen Verbände formen andere Verknüpfungen aus, um für zu bearbeitende Probleme besser geeignet zu sein«, sagte er. »Also wird eine Achtergruppe, in der jeder Gw’o über drei Tubakel mit drei anderen Gw’oth verbunden ist, sich um 3-D-Probleme kümmern. Um statische Modellrechnungen kovalenter Bindungen beispielsweise.«

»Ein 8er-Gw’otesht. In der Tat, Sir.«

Eine abstruse Vorstellung brachte Louis zum Lächeln: Die Manieriertheit seiner Ausdrucksweise musste Voice bei einem britischen Butler gelernt haben. »Bitte nenn mich doch Louis! Und diese biologischen Computer sind für die rasche Entwicklung der Gw’oth verantwortlich?«

»Ja, Louis.«

»Und trotzdem haben sie diese Information nicht geheim gehalten.« Louis stockte und runzelte die Stirn. »Oder doch?«

Eine lange Pause. Beriet sich Voice mit Nessus darüber, welche Informationen er preisgeben durfte? »Im Zuge einer früheren Aufklärungsmission war Zugriff auf das Computernetzwerk der Gw’oth möglich. Dieses Bildmaterial entstammt einem Datenarchiv der Gw’oth.«

Puppenspieler-Spione: Das war nicht überraschend. Aber derartige Aufklärungsmissionen waren doch gewiss riskant. Wie viele Puppenspieler würden ein solches Risiko eingehen?

»War Nessus dabei?«, erkundigte sich Louis.

»Das ist korrekt, Louis.«

»Voice, zeig mir die Berichte über diese Mission!«

Eine weitere Pause. Erneut eine Rücksprache mit Nessus?

»Wie ich sehe, sind Sie beschäftigt.« Nessus stand genau in der Luke zur Brücke, einen Kopf in die Höhe gereckt, einen gesenkt. Hielt er sich bereit, jederzeit und in jede beliebige Richtung zu fliehen?

»Jepp.« Und dir gefällt überhaupt nicht, in welche Richtung meine Überlegungen hier gehen. Warum?

»Wären Sie bereit, eine Pause einzulegen?«, fragte Nessus. »Ich dachte mir, es sei an der Zeit, Ihnen noch ein wenig mehr über die Geschichte Ihrer Familie zu berichten.«

Louis deutete auf die Puppenspieler-Liege. »Ich bin ganz Ohr.«

Nessus’ manisch-depressiver Zyklus hatte ihn dazu gezwungen, sich in seiner Kabine zu verkriechen. Wieder einmal. Hin und wieder reagierte er wenigstens auf Fragen.

Louis, der die Brücke ein weiteres Mal ganz für sich allein hatte, versuchte sich einzureden, er käme mit dieser langen Fahrt besser zurecht als Nessus. Und so machte er sich daran, sich zu entspannen. Er fläzte sich auf die Kopiloten-Liege und nahm einen Schluck aus seiner Quetschflasche. Bei seinen letzten Experimenten, einen anständigen Kaffee zustande zu bringen, hatte er sich auf eine Tansania-Mischung kapriziert. Vor Louis lag ein Notizblock, das oberste Blatt halb mit einfachen Skizzen bedeckt. Dass möglicherweise ein Krieg bevorstand, schien die Gesetze der Physik nicht zu beeindrucken. Ob das allen Beteiligten nun passte oder nicht: Bei der langen Fahrt nach Hearth blieb genug Zeit, sich zu entspannen und zu arbeiten.

Nicht jeder war fähig, sich auf der Brücke eines Raumschiffs zu entspannen. Die wenigsten machten dafür die Geschwindigkeit verantwortlich, die der Hyperantrieb lieferte: Innerhalb von drei Tagen legte man jeweils ein Lichtjahr zurück. Hingegen war der Hyperraum an sich Begründung für Anspannung genug. Denn unmittelbar hinter der Schiffshülle lauerte er, dieses Weniger-als-nichts. Die Instrumente meldeten nicht das Geringste über jenen Raum hinter dem Raum. Die Wissenschaft stritt darüber, was der Hyperraum eigentlich war.

Auf Linienschiffen hielten sich die Passagiere an Alkohol, Pillen oder Sex – einfach an alles, was ihnen dabei half, zu vergessen oder zu ignorieren, wo sie sich gerade aufhielten. Oder eben nicht aufhielten. Für diese Situation war selbst die Semantik unzureichend. Hätte man die Displays auf der Brücke so eingestellt, das sie den Nicht-Raum außerhalb des Schiffes gezeigt hätten, so hätten sie weniger als nichts angezeigt. Blinder Fleck nannten erfahrene Raumfahrer dieses Phänomen. Für manch einen, der in den Nicht-Raum geschaut hatte, hatte es gewirkt, als flössen die Wände rings um ein aktives Sichtfenster einfach ineinander. Ihnen war, als würde das Fenster – und das, was es zu zeigen vorgab – überhaupt nicht existieren. Bei den weniger Glücklichen setzte beim Anblick des Hyperraums schlichtweg der Verstand aus. Es waren schon Leute verrückt geworden, die in den Blinden Fleck hineingestarrt hatten. Sie hatten vergessen, wo sie waren – ja sogar: dass sie waren.

Louis hingegen versuchte nur zu vergessen, dass er an Pillen dachte.

Die uralte Spezies der Outsider, denen die Menschen und jede andere bekannte raumfahrende Spezies einst den Hyperraum-Shunt und die zeitverlustlose Hyperwellenkommunikation abgekauft hatten, verkaufte die Theorie ihrer Geräte gesondert von den Geräten selbst. Selbstredend waren die Geräte allein schon kostspielig genug. Die Erklärung, wie sie funktionierten, konnte sich nach einer solchen Anschaffung niemand mehr leisten.

Nur dass das soeben Gesagte jetzt nicht mehr stimmte: Es galt nicht mehr für alle bekannten Spezies. Die Gw’oth hatten die Hyperraum-Technologie anscheinend gänzlich eigenständig entwickelt, allein anhand von Beobachtungen, die sie während der Fahrt zusammentragen konnten. Anscheinend insgeheim. Nessus war nicht gerade mitteilsam, als es um die Frage ging, warum sich überhaupt Gw’oth an Bord eines Puppenspieler-Schiffes befunden hatten.

So viel zur Idee, sich eine Pause von der Arbeit zu gönnen und sich auch nicht mehr so viele Sorgen zu machen.

»Voice«, wandte sich Louis an die KI, »Erklärung fortsetzen.« Ein Holo flammte auf: Text und Bilder wurden im Schnellgang durchgeblättert. Mittels einer knappen Geste konnte Louis den Ablauf des Materials beschleunigen oder verlangsamen. Ein virtueller Doppelklick öffnete zusätzliche Fenster mit weiterführender Information.

Häufiger jedoch führte so ein Doppelklick zu einer kurzen Erklärung durch Voice: »Es ist mir nicht gestattet, weitere Informationen bereitzustellen.« Nessus, bei dem es vielleicht anders gewesen wäre, reagierte nicht auf Anfragen.

Hin und wieder gestattete sich Louis einen kurzen Blick auf die Steuerkonsole des Piloten, genauer gesagt auf die transparente Kugel, von deren Zentrum aus Linien von nicht allzu großer Länge ausgingen. Die Puppenspieler-Variante dieses Geräts unterschied sich nur geringfügig von der, mit der Louis vertraut war. Vielleicht war das Konzept eines Massenanzeigers einfach zu schlicht, um in der Umsetzung mehr als eine Variante zu gestatten.

Jede der vom Zentrum der Kugel ausgehenden Linien verwies auf einen nahe gelegenen Stern. Je länger die Linie war, desto stärker war der Einfluss der Gravitation dieses Himmelskörpers – natürlich immer proportional zu Masse durch Quadrat des Abstand. Im Hyperraum bestand die große Kunst der Navigation darin, dafür zu sorgen, dass die gewünschte Linie immer schön auf einen selbst gerichtet blieb.

Das hätte auch ein dafür ausgebildeter Hund hinbekommen, nur dass der Massenanzeiger ausschließlich auf einen vernunftbegabten Verstand reagierte. Was hieß: KIs konnten einen Massenanzeiger auch nicht bedienen. Selbstverständlich gab es dafür eine Erklärung. Nur verlangten die Outsider dafür ihren Preis – weit jenseits dessen, was irgendjemand zu zahlen bereit gewesen wäre.

Wenn sich die besagte Linie der Oberfläche der Kugel zu sehr annäherte, musste man den Kurs ändern oder in den Einstein-Raum zurückkehren. Soweit man das verstanden hatte, gab es dann, mathematisch bedingt, Probleme mit gravitationsbedingten Singularitäten. Wenn man zu lange wartete, dann ...

Nun, was dann geschah, das war wieder eines dieser Themen, über die sich die »Experten« beständig in den Haaren lagen. Nur bei einem waren sich alle sicher: Wem immer das passierte, wurde nie wieder gesehen.

Genauso, wie Louis seine Heimat nie wiedersehen würde?

Wieder blickte er zum Massenanzeiger hinüber. Die Logik gebot, dass es ausreichte, ein- oder zweimal am Tag auf die Kugel zu schauen. Selbst wenn man unter Hyperantrieb fuhr, lagen die einzelnen Sterne mehrere Tage weit voneinander entfernt. Nur vermochte die Logik eben nicht diesen nagenden Zweifel zu zerstreuen, dass das wirkliche Universum, jener Ort, in dem es Wärme, Licht und Materie gab, immer noch existierte. Die Logik kannte keine Erklärung für dieses fast unwiderstehliche Bedürfnis, doch ein Sichtfenster zu aktivieren, obwohl man dann nur in dieses Weniger-als-nichts starrte. Deswegen kehrten Piloten, Logik hin oder her, im Abstand weniger Tage immer wieder aus dem Hyperraum zurück, einfach nur um wieder Sterne zu sehen. Das zu tun war der geistigen Gesundheit zweifellos zuträglich.

Wann hatte Louis eigentlich das letzte Mal einen Stern gesehen?

Er drückte einen Knopf auf dem Intercom. »Ich werde uns für einen Augenblick in den Normalraum zurückbringen.« Damit gab er Nessus zumindest die Gelegenheit zu widersprechen. Aber nur kurz. »Noch fünf, vier, drei, zwei, eins, jetzt.« Louis aktivierte das Sichtfenster. Inmitten der unendlichen Schwärze des Alls glommen Sterne, gleißende Diamanten. Steuerbords funkelte ein Nebel.

Es gab das Universum immer noch. Nun endlich löste sich zumindest ein Teil der Anspannung, die sich Louis nicht einmal selbst eingestanden hätte.

Welche dieser Sterne befanden sich wohl im Bekannten Weltraum? Das nicht zu wissen verschaffte Louis eine ernst zu nehmende Gänsehaut. (»Du möchtest zumindest gern glauben, dass es daran liegt – und nicht etwa daran, dass du immer noch auf die Pillen scharf bist.«)

Der ’Doc hatte Louis’ Handgelenksimplantat ausgeworfen. Damit niemand anhand des darin verbauten Computers Rückschlüsse auf den Heimweg ziehen konnte? Da Louis nicht wusste, wie lange er in diesem ’Doc gelegen hatte, konnte er noch nicht einmal Vermutungen darüber anstellen, wie weit von Wunderland sie mittlerweile wohl entfernt waren.

Vielleicht schenkte kein einziger dieser Sterne dort draußen sein Licht einer Welt, die einem Menschen bekannt war. Bevor sich Nessus in seine Kabine zurückzog, hatte er Louis erklärt, welchen Stern er ansteuern müsse. Nach dieser Etappe käme dann eine weitere und noch eine und noch eine.

Je länger diese Reise dauerte, desto unwahrscheinlicher erschien es Louis, jemals wieder nach Hause zurückzukehren.

Egal, in welches Zuhause. Auswahl hatte er ja genug.

Zunächst einmal war da Home, die Welt, auf der Nathan Graynor aufgewachsen war. Und von der er fortgelaufen war, kaum dass er eine Möglichkeit dazu gefunden hatte.

Danach kam Fafnir, jene Welt, die die Graynors hinter sich gelassen hatten. Im Gegensatz zu Home waren auf Fafnir auch Gruppenehen statthaft. Nathan war von Home nach Fafnir auf der Suche nach seiner Vergangenheit gekommen. Jemand aber, der die Informationen in den öffentlich zugänglichen Archiven auf Fafnir einem kritischen Blick unterzog, stellte schnell fest, dass die Graynors, die sich dort finden ließen, nicht die Graynors waren, die Nathan kannte. Einmal ganz abgesehen davon, dass zu der Fafnir-Version dieser Familie noch eine zweite Frau gehörte.

Um sich als diese fremde Familie auf den Archiv-Holos ausgeben zu können, musste auch zu seiner Familie eine zweite Ehefrau gehört haben. Wer war diese Frau? Wo war sie jetzt?

Fafnir war eine Wasserwelt, auf der es nur einen kleinen Kontinent gab und ansonsten jede Menge Koralleninseln. Die Schwerkraft war höher, nicht ganz leicht zu ertragen für jemanden, der andere Verhältnisse gewohnt war. Der Tag dauerte nur zweiundzwanzig Standardstunden. (An die »zweiundzwanzig« erinnerte Louis sich. Was »Standard« bedeutete, hatte er vergessen.) Und wem das noch nicht genug war, um Fafnir nicht sonderlich zu mögen, waren noch reichlich Kzinti – eine aufrecht gehende Großkatzen-Tigerartige Spezies von ungefähr zweieinhalb Meter Größe – auf jener Welt zurückgeblieben, nachdem das Patriarchat wieder einmal einen Krieg verloren und den Planeten menschlichen Siedlern hatte überlassen müssen.

Alles nicht sonderlich erdähnlich.

Home hingegen war angeblich von allen von Menschen besiedelten Welten die, die der Erde am ähnlichsten war. Die aktive Plattentektonik des Planeten hatte mehrere Kontinente hervorgebracht. Die Schwerkraft entsprach praktisch dem Standard, und ein Tag war etwas mehr als dreiundzwanzig Stunden lang. Selbst ein Teil der Biosphäre entsprach der der Erde. Aber einheimische Pathogene waren mutiert und hatten die Siedler der ersten Besiedlungswelle ausgelöscht.

Trotz der Erdähnlichkeit hatte sich Nathans Mutter häufig im Haus verkrochen. Sie hatte dann am ganzen Leib gezittert, unruhig vor sich hin gemurmelt und jeden Vorhang zugezogen. Wenn Home ihr Panikattacken verpasste – Anflüge so genannter Flatland-Phobie, verbreitet unter Erdgeborenen –, wie hätte sie da auf Fafnir aufgewachsen sein können?

Ganz offensichtlich eben nicht.

Mommys Flatland-Phobie ließ nur einen Schluss zu: Sie stammte eigentlich von der Erde. (Galt das vielleicht ebenfalls für alle anderen »Graynors«?) Als Nathan endlich die Erde erreicht hatte, verstand er es mit einem Mal. Äonen der Evolution ließen sich nicht leugnen: Die Erde sah aus, als wäre sie die wahre Heimat, sie roch so, und sie fühlte sich auch so an.

Eine DNA-Probe hätte den örtlichen Behörden verraten können, wer er war. Monatelang hatte sich Nathan gemartert: Sollte er versuchen, es herauszufinden? Angenommen, die Erde wäre wirklich die Welt, auf der er geboren war. Man hätte ihn als Kind von dort weggeholt, ganz gewiss war er dann unschuldig. Aber seine Eltern ...

Wenn seine Vermutungen zuträfen, dann hatten sie sich immense Mühe gegeben zu entkommen. Sich zu verstecken. Aber warum? Vor wem? Waren sie Kriminelle oder Flüchtlinge? Für die Beantwortung dieser Frage reichte Louis’ Fantasie nicht aus. Da er es nicht wusste, konnte er nicht das Risiko eingehen, die Behörden wieder auf ihre Spur zu bringen.

Während er sich also redlich Mühe gegeben hatte, seine Herkunft nicht zu verraten, hatte er Paula Cherenkov kennen gelernt. Und sie wieder verloren. Er war vor seinem eigenen Leid und Elend nach Wunderland geflohen. Und hatte dort neues Leid und Elend gefunden.

Und er hatte sich zurück in Louis Wu verwandelt, den großen Helden – und Nicht-ganz-Gefangenen – der sagenhaften Puppenspieler.

Diese Erinnerungen, die auf ihn einstürzten, stachelten Louis’ Verlangen nach Drogen nur um so mehr an.

Je mehr Informationen Nessus Louis Stück für Stück zugänglich machte – und je mehr alte Erinnerungen diese Informationen weckten –, desto deutlicher wurde es: Louis’ Familie war gezwungen gewesen, sich zu verstecken. An Louis nagte jetzt, dass er ihr Leid noch vergrößert hatte, denn er hatte sie im Stich gelassen.

Und wenn er es wirklich nach Hause schaffte? Würde Nessus ihm überhaupt irgendwelche persönlichen Erinnerungen belassen? Hatte er sie ihm vielleicht schon genommen?

Voice hatte Louis’ Geistesabwesenheit nicht bemerkt. »Display anhalten!«, fauchte Louis. Er würde ein wenig zurückspulen müssen, um dem Ganzen folgen zu können. Er schüttelte seine Quetschflasche. Fast leer. Mit großen Schritten stapfte er in den Gemeinschaftsraum und redete sich ein, alles, was er wolle, wäre Kaffee ...

Und der tanj Synthesizer weigerte sich standhaft, ihm Schmerzmittel zu liefern! Zumindest so lange, bis Nessus einen entsprechenden Freigabecode eingäbe.

Daraufhin redete sich Louis ein, er habe ja nur wissen wollen, ob er überhaupt Pillen bekommen könnte. Seine Sucht war so lange nicht besiegt, bis er eine Gelegenheit hätte, rückfällig zu werden, und sie nicht nutzen würde. Er musste also die freie Wahl haben.

Louis wusste, dass er sich selbst belog. Er ging in seine Kabine und hoffte, Schlaf zu finden.