3. KAPITEL

Die Aktionsebenen des Loslassens
Spätestens ab der Lebensmitte beginnen Menschen
die Last all des Überflüssigen zu fühlen, die sich, je älter man
wird, immer drückender auf die Seele legt. Es erstaunt mich immer
wieder, wie wenig konkret diese Belastungen bezeichnet werden
können. Fast scheint es, als würde so mancher sein »Pinkerl« wie
ein Geheimnis hüten oder es schamhaft verbergen wollen, wie ein an
versteckter Stelle aufgetretenes Furunkel, mit dem man sich
abgefunden und irgendwie arrangiert hat. »Es ist eben, wie es ist.
Da kann man nichts ändern«, bekomme ich dann meist mit einem
Seufzer verbunden zu hören.
Wir haben, bei allem was wir tun, grundsätzlich
drei Möglichkeiten zu entscheiden:
1. das vollkommene, klaglose Annehmen der
Gegebenheit, die Bejahung, das Take It;
2. das kompromisslose, finale Loslösen vom
Bestehenden, die Verneinung, das Leave It;
3. das abwartende, beobachtende Ausharren, das
Neutrale, welches auf die Zeichen der Zeit wartet, um dann zu
reagieren, das Change It.
Für eine dieser drei Möglichkeiten sollte man sich möglichst klar
entscheiden und die daraus resultierenden Konsequenzen ohne
Wehleidigkeit tragen. Das Erste und Wichtigste ist jedoch, klar
festzustellen und laut auszusprechen, was man als Belastung
empfindet. Es kostet so manchen braven Sohn, Vater oder Ehemann und
gar manche treu sorgende Tochter, Mutter und/oder Ehefrau eine
riesige Überwindung auszusprechen, dass sie (Schwieger-)Eltern,
Kinder, Chef, Freundin, Freund, Kollege am liebsten eliminiert
sähen, wenn es denn leicht und schmerzlos vonstatten gehen könnte.
Auch das wäre eine Form des Loslassens, für die ich in so manchen
Fällen mehr Verständnis aufbringen könnte, als von einer
sanftmütigen, spirituellen Lehrerin erwartet werden darf. Solch
eine wütende Empfindung wäre die Konsequenz einer dauernden
Belastung, die schließlich zur Überbelastung wird und letztendlich
die Leidensgrenze (Toleranz!) sprengt.Erinnern Sie sich noch an die »Delphischen
Anweisungen« im vorhergehenden Kapitel? Da steht doch geschrieben:
»Entferne alles …« Und: »Wahre deine Würde!« Jeder von uns hat eine
Vorstellung davon, wie er als »Ich« gesehen und wahrgenommen werden
möchte, und zwar sowohl von sich selbst wie auch von anderen. »In
jedem ruht ein Bild des, was er werden soll …«, sagt Friedrich
Rückert und meint damit das Idealbild, die Idealvorstellung. Ich
kenne keinen Menschen, der sich selbst als Versager, nervöses Wrack
oder heruntergekommenen Schwächling sehen möchte oder von anderen
so bezeichnet werden will. Sieht sich ein Mensch über längere Zeit
einer solchen oder anderen, deutlich negativen Wahrnehmung durch
andere ausgesetzt oder empfindet sich selbst als nicht mehr
lebensmächtig, wird er/sie aggressiv, depressiv oder süchtig.
Süchtig nach Erleichterung, Trost, Bestätigung, Erlösung, Befreiung
und - Lust.
Denn bevor ich die viel geforderte »Freude«
erwarten kann, muss ich nicht nur die Lust entwickelt haben, sie
überhaupt erleben zu wollen, sondern auch geklärt haben, nach
welcher Art von Freude sich meine Seele sehnt.

Merke: Freude ist eine Folge, keine
Voraussetzung, und mit Spaß hat sie schon gar nichts zu
tun.
In den letzten Jahrzehnten scheint sich die Idee
immer mehr eingebürgert zu haben, dass wir ein »Anrecht auf Freude
im Leben« haben. Alle Versuche, diese Freude herzustellen, die ich
beobachten konnte, haben mich, den grüblerischen, introvertierten
Skorpion, entweder belustigt oder verscheucht. Hier einige der
vermeintlich wirksamen Freudenhilfsmittel unserer Spaßgesellschaft:
Partys, Comedy-Humor, Shopping-Touren, Events mit dem Kennzeichen
»viel Lärm, viele Leute« wie Volksfeste, Fasching, Discotheken,
Clubs, Sportveranstaltungen und so weiter. Außerdem Alkohol, Drogen
und - Sex.
»Aha«, werden Sie denken, »diese Frau ist eine
kommunikationsgestörte, triste und zu allem Überfluss auch noch
prüde und sexfeindliche Einsiedlerin, die niemandem ein bisschen
Spaß gönnt und selber keinen versteht.«
Ich versichere Ihnen: Ich habe alles, aber auch
wirklich alles mitgemacht, manches nur als Zuschauerin, vieles als
aktiv Beteiligte, oft als Protagonistin. Doch ich musste sehr
schnell feststellen, dass ich wohl anders gebaut war und dass es in
meiner Umgebung anscheinend nur sehr wenige ähnliche »Gebäude« gab.
Ich wollte mehr, denn ich habe den Anspruch, mich von Erlebtem
aufgebaut, verbessert und weitergebracht zu fühlen.
Die Qualität eines Abends zeigt sich am nächsten
Morgen, und zwar im ersten Moment des Erwachens, wo die
Vorausplanung der kommenden Stunden im Gedankenspiel noch nicht
wirksam ist. Was lässt sich da fühlen?
Bleiben Sie in diesem kostbaren Moment, in dem Ihre
Seele aus dem durch den Schlaf vermittelten »Heimaturlaub«
zurückkehrt, doch einmal ganz bewusst bei sich. Bei den
Empfindungen, die sich Ihnen in diesen wenigen Sekunden mitteilen,
bevor Ihre Gedankenwelt wieder aktiv wird, handelt es sich um die
wahrhaftige Eigenbeurteilung Ihrer Vergangenheit mit allen
Erlebnissen, Handlungen und Beobachtungen. In diesem kurzen Moment
könnten Sie ungestört feststellen, was Ihnen (Ihrer Seele)
gutgetan, also Freude gemacht hat und was schlecht und überflüssig
war oder Ihnen sogar Schaden zugefügt hat. Diese immens kurze
Zeitspanne - meist sind es nur drei bis fünf Sekunden - können Sie,
nachdem Sie die in einem späteren Kapitel besprochene
Gedankenkontrolle erlernt haben, beliebig verlängern und speichern,
und das ist wichtiger als das »Merken« von Träumen.
Erfahrungsgemäß kann von einem jungen Menschen (bis
28) noch nicht verlangt werden, dass er diese Beobachtungen macht
und Konsequenzen daraus zieht. Ab 30 sollte diese kontemplative
Selbstbetrachtung jedoch so selbstverständlich werden wie das
Zähneputzen. Warum?
Weil diese Betrachtung Ihnen eindeutige Hinweise
auf Ihre Dos and Don’ts gibt, und weil Sie in diesen kostbaren
Augenblicken, in denen Sie noch eins mit Ihrem Selbst sind, ganz
klar erkennen können, was Sie loslassen müssen und was Sie
festhalten und ausbauen sollten. Es gibt einen Film, in dem diese
bewusste Vereinigung von Animus, Anima und Höherem Ich in vollendet
schönen Symbolbildern gezeigt wird: Der Tag des Falken.
Rutger Hauer spielt darin einen mit einem Fluch belegten
Gardekommandanten, der nächtens zum Wolf wird. Begleitet wird er
von seiner ebenfalls unter einem Zauberbann stehenden Geliebten
(Michelle Pfeiffer), die tagsüber ein Falke ist und erst, wenn die
Sonne untergeht, wieder ihre menschliche Gestalt erhält. Nur in dem
winzigen Moment des ersten Lichteinfalls ist es den beiden
Liebenden vergönnt, sich gegenseitig als das Menschenpaar
wahrzunehmen, das sie einst waren und sehnsüchtig wieder zu werden
versuchen.
Wir alle werden aus der Gewissheit der
Vollkommenheit geboren. Doch die irdischen Bedingungen decken diese
Gewissheit zu und machen aus ihr eine vage Erinnerung, eine Ahnung,
die zeitlebens vom Zweifel einer Sterblichkeit bedroht wird, welche
uns die Materie suggeriert. Dabei hätten wir die besten
Möglichkeiten, unsere Schutzschilder oder sogar Waffen gegen diese
Vereinnahmung zu erheben. Das Erstaunliche ist, dass sich nur etwa
fünf Prozent aller Menschen dieser Abwehrmöglichkeiten bewusst sind
und dass - noch erstaunlicher - nur etwa anderthalb bis zwei
Prozent sie wirklich einsetzen.
Es gibt überraschend viele Anbieter von Kursen,
deren Beschreibungstexte die Hoffnung wecken, dass die Verwendung
der eben erwähnten Schutzmaßnahmen dort vermittelt wird. Und manche
Kurse erfüllen diese Hoffnungen sogar. Doch der Prozentsatz der
Kursteilnehmer, die das Erlernte auf Dauer tatsächlich anwenden,
ist wiederum verschwindend klein.
»Zu wenig Zeit« ist das am häufigsten vorgebrachte
Argument. »Zu wenig Bewusstsein«, muss man leider antworten. Denn
hier wird zwar eine Rüstung angeboten, doch anschließend wird ein
Seidenhemdchen daraus gemacht.
»Wir müssen wach sein
Aus Träumen hochgeschreckt
Wir müssen wach sein
Von Argwohn geweckt
Wir müssen wach sein
Und nicht zu schwach sein,
Um nicht durchzudrehen …«
Aus Träumen hochgeschreckt
Wir müssen wach sein
Von Argwohn geweckt
Wir müssen wach sein
Und nicht zu schwach sein,
Um nicht durchzudrehen …«
So sang einst die italienische Künstlerin Milva.
Das Wachwerden ist ein schmerzlicher Reinigungs- und
Erkenntnisprozess, der dem bewussten und dadurch
selbstverständlichen Loslassen vorausgehen muss, denn sonst
werden Sie in dem ständigen Gefühl leben, schmerzlich auf etwas
verzichtet oder etwas Wichtiges versäumt zu haben, oder Sie würden
ständig am Nutzen der ganzen Aktion zweifeln, was noch schlimmer
wäre.
Bevor ich nun sämtliche Abwehrmöglichkeiten mit
Ihnen bespreche, möchte ich, dass Sie wirklich wissen, wogegen Sie
sich wehren und schützen sollten, und auch eine Ahnung davon
bekommen, wie Sie mit dem Thema Angst umgehen können. Denn das
»Losgelassene«, das seinen Halt und seine Heimat bei Ihnen gefunden
zu haben glaubte, hat seine Existenz durch eine Kraft legitimiert,
die es aus Ihrem Seelenkörper gezogen hat, und wird diesen Entzug
nicht kampflos hinnehmen. Seine »Wiederverwendungsangebote« und die
notwendige, mit dem Loslassen einhergehende Veränderung der
Perspektiven und Muster erzeugen fast immer einen Zustand, auf den
der Seelenkörper mit einer Neuorientierung seiner Kräfte reagieren
muss, was von der betreffenden Person als »schlechtes Befinden«
oder Angstgefühl empfunden wird.
Fürchten Sie sich vor Umzügen? Ich habe gerade
meinen 23. (!) hinter mir, und er fand statt, während (!) ich
dieses Buch schrieb. Er hat nicht wirklich gestört, denn als
bestens trainierter Ortswechsler weiß ich: Der Horror muss
und wird enden,
und das wird umso schneller gehen, je klarer mir ist, dass
ich und nur ich Produzent, Regisseur und
Hauptdarsteller in diesem Film bin. Selbst wenn ich delegiere, habe
ich die Übersicht (sprich Aufsicht) zu behalten, die Verantwortung
zu tragen, für geeignete Hilfskräfte zu sorgen, klare Anweisungen
zu geben und genügend Erholungsmomente einzuplanen. Vorbereitung
ist alles. Die Planung muss fachmännisch sein. Und dennoch muss von
vornherein akzeptiert werden, dass nichts so laufen wird, wie es
geplant war, weil die Dinge des Lebens eine Eigendynamik haben, die
sich zu fünfzig Prozent der klügsten Planung entzieht. Wer das
begriffen hat, kann als Bankräuber erfolgreich sein, jede Spielbank
sprengen oder zum Meister des Loslassens werden. Die Grundlage muss
stimmen, Ihre ganz persönliche Einstellung muss gut und klug
vorbereitet sein, damit das »Werk«, Ihr Vorhaben schließlich von
Erfolg gekrönt sein kann.
Ich kann einen Umzug heute beschließen und ihn
übermorgen beendet haben. Das kostet unendlich viel Kraft, sehr
viel Geld und noch mehr Nerven. Aber es ist möglich, wenn ich weiß,
wie es geht. Natürlich können Sie auch Ihr Loslass-Programm
innerhalb von drei Tagen durchziehen. Fragt sich nur: Warum diese
Gewaltaktion? Es sei denn, es geschieht ganz einfach und
selbstverständlich, so wie bei Lisa della Casa: Ich mache nicht
mehr mit. Ich bin raus aus dem Spiel. Und Tschüss! Keine Nerven,
keine Kraft. Kein Geld. Nur: Nein, danke!
Allerdings - wenn Sie ganz sicher wüssten, dass es
bei Ihnen genau so ablaufen würde, hätten Sie nicht zu diesem Buch
gegriffen. Es soll Sie nicht reuen, denn möglicherweise können auch
Sie den »Della-Casa-Effekt« erleben, wenn Sie sich der Realität
stellen und bereit sind, ohne Kompromisse entsprechende
Konsequenzen zu ziehen. Je besser ein Mensch über die innere
Beschaffenheit von Vorgängen informiert ist,
desto weniger wird er sich ängstigen oder abschrecken lassen und
desto klüger kann er agieren und reagieren.
Deswegen werde ich Ihnen hier zunächst das
»technische Grundlagenwissen« vermitteln, das Ihnen die Auswahl
erleichtert und das auch die Durchführung Ihres Loslass-Prozesses
überschaubarer und leichter machen wird. Ihr Loslassen, das wir
ab sofort auch Ihre Selbst-Transformation nennen, findet immer auf
drei Ebenen gleichzeitig statt, nämlich auf der geistigen, der
seelischen und der materiellen. Innerhalb dieser drei
Dimensionen haben Sie mehrere Möglichkeiten, Ihre Veränderung zu
gestalten, Ihre ganz persönliche Form des Absegnens Ihrer
»Verlassenschaft«, nämlich:
a. die bewusste, freiwillige, aktive
Veränderung,
b. die an das Höhere Selbst abgegebene
Veränderung,
c. die Bejahung einer schicksalsmäßig
herbeigeführten Veränderung.
Version A würde von Ihnen verlangen, dass Sie in absehbarer Zeit
aufstehen, laut sagen, was Sie verändern werden (nicht wollen!),
und es dann hundertprozentig tun. Diese Handlungsweise erfordert
zunächst eine kontemplative Innenschau, eine genaue Betrachtung
Ihres bisherigen Lebens und eine klare Erkenntnis der bisherigen
Korrektureingriffe des Schicksals.Muten Sie sich keine großartigen Verzichtsaktionen
zu, die Sie später nicht durchhalten können. Lieber mit kleinen
Schritten gewinnen, als mit großen zu stolpern. Ihre
Selbstbeurteilung muss ohne Emotion und Emphase erfolgen, dafür
aber mit kühlem Verstand und im Bewusstsein der Verantwortung für
die Konsequenzen, die Sie selbst tragen müssen und denen auch Ihr
Umfeld ausgesetzt sein wird. Diese Art der Selbsterziehung ist nur
starken Persönlichkeiten und willenserprobten Charakteren zu
empfehlen.
Möglichkeit B eignet sich für Menschen, die fest
entschlossen sind, ihr Leben zu ändern, sich aber selbst nicht in
der Lage sehen, diese Veränderung herbeizuführen. Hier wird etwas
an den Kosmos abgegeben, und zwar in vollem Vertrauen auf eine
übergeordnete Weisheit, welche für die besten Möglichkeiten und
Fügungen sorgen wird, um das Loslassen zu bewirken.
Version C ist die am wenigsten empfehlenswerte,
denn sie läuft ohne Terminplan und ohne thematische Festlegung ab.
Hier wird es einfach dem Lauf des Schicksals überlassen, ob, wann
und wie sich die Veränderung anbietet.
Ich will nicht verschweigen, dass ich selbst
Methode C sehr schätze. Aber um sie nutzbringend anzuwenden,
benötigt man ein paar Voraussetzungen, die nur nach intensiven
Vorarbeiten gegeben sind. Dazu gehören die genaue Kenntnis des
eigenen Schicksalsplans, die absolute Einhaltung der persönlichen
Doand-Don’t-Liste und nicht zuletzt sehr viel Mut und spontane
Entschlusskraft.
Nun müssen die drei Möglichkeiten in Zusammenhang
mit den drei Ebenen (geistig, seelisch, materiell) gebracht werden,
denn das Loslassen bezieht sich auf jede dieser Ebenen, ganz
gleich, ob Sie sich vom großmütterlichen Kuchenbuffet trennen, aus
einer Beziehung lösen oder Ihren Beruf wechseln wollen.
Beschäftigen wir uns also einmal mit der geistigen
Dimension und versuchen uns vorzustellen, wie sich ein »Loslassen«
auf dieser Ebene abspielen könnte. Unser Gehirn kann als eine Art
Atmungsorgan des Geistes angesehen werden, das sich jedoch
individuell einsetzen und prägen lässt. Es besteht aus über hundert
Milliarden Nervenzellen, die auf einer 760 000 Kilometer langen
Verbindungsstrecke interagieren, das heißt, auf die Reize
reagieren, die wir ihnen bieten. Diese Reize können über mentale
Einflüsse, seelische Empfindungen oder materielle
Konfrontation erfolgen, allerdings nicht ohne den Kraftstoff
»Geist«, denn ohne ihn funktioniert gar nichts.
Was ist unter »Geist« und »geistig« zu verstehen?
Wie wir alle wissen, ist Geist immateriell, also nicht greifbar,
sichtbar oder hörbar. Mithilfe des Geistes, den wir über die
Schaltzentrale unseres Körpers, das Gehirn, in Anspruch nehmen und
unserer Wahrnehmung zur Verfügung stellen, funktioniert unsere
gesamte Gedankenwelt, und das schließt intelligente Problemlösungen
genauso ein, wie unsere Überlegungen zur Gestaltung eines netten
Abendessens.
Obwohl wir den Geist ganz selbstverständlich
verwenden und uns häufig als Erzeuger fühlen, die sich dieses
»Stoffes« bedienen und ihn auf sämtliche Funktionen ihrer Physis
übertragen, ist es bei genauer Betrachtung ähnlich lächerlich zu
behaupten, dass wir Geist »erzeugen«, als würden wir von unserem
Laptop behaupten, er stelle die elektrische Energie, mit denen er
seine Funktion erfüllt, selbst her. Der Laptop ist und bleibt eine
Empfänger-, Sende- und Speicherkonstruktion, genauso wie das
Menschenhirn. Beide können nur durch ein geistbegabtes Wesen in
Aktion gebracht werden, das sich über diese, zugegeben genialen,
materiellen Medien ausdrückt.
Je weniger ein Mensch gelernt hat, mit seinem
Gehirn (Computer, Auto usw.) umzugehen, desto mehr wird er das
Gefühl haben, dessen Funktionen ausgeliefert zu sein. Je
umfangreicher seine Informationen sind und je mehr Erkenntnisse er
durch Beschäftigung, Interesse und Erfahrung gewonnen hat, desto
größer wird die »Mächtigkeit« des Benutzers. Ohne Geist
(elektrischen Strom, Benzin u. ä. Kraftstoffe) kommt der »Apparat«
zum Erliegen. Und wenn der »Apparat kaputt« ist, existiert der
Geist (Benzin, Strom) zwar noch immer, kann sich aber nicht mehr
ausdrücken, weil das Ausdrucksmedium fehlt. Wir Menschen sind
Ausdrucksmittel eines individuell (ich) und
(nicht oder!) kollektiv (wir) wahrgenommenen Kraftwesens, dem wir
zugehörig sind und auf dessen Gestaltung und Entwicklung wir
Einfluss nehmen, genau wie dieses Kraftwesen mittels »Geist« auf
uns Einfluss nimmt.
Die Intensität dieser Wechselwirkung hängt von der
Bewusstheit des Benutzers ab, in diesem Fall also von der
Bewusstheit des Menschen. Gebe Gott, oder welche Macht auch immer,
dass es irgendjemandem vergönnt sein wird, diese Zusammenhänge
endlich mit naturwissenschaftlichen Mitteln zu beweisen, damit
diese, eigentlich seit mehr als 2000 Jahren bekannten Zusammenhänge
nicht mehr Gegenstand endloser Diskussionen sein müssen. Für dieses
Buch genügt es zu wissen, dass wir »Geist« nach Charakter und
intelligentem Vermögen verwenden können und dass sich unser
sogenanntes Wesen, also das Ich, mithilfe von Geist auf dieser Erde
physisch darstellen lässt.
Innerhalb dieses komplexen Systems Mensch haust das
Ich, das für den Rest des Buches die Hauptrolle spielen wird.
Dieses Ich ist der Teil Ihrer Person, den Sie als das anerkennen,
was sie von sich und über sich selbst verstehen, wenn Sie »Ich«
sagen. Niemand anderer kann dieses Wort für Sie verwenden. In dem
Moment, wo Sie es aussprechen, teilen Sie einem Du, einer Gruppe
oder dem Rest der Welt etwas über eine Aktion, eine Befindlichkeit
oder eine Selbstwahrnehmung mit, und das ist bei achtzig Prozent
der Aussagen, die Sie tätigen, von einer Willensäußerung
gekennzeichnet.
Dieser Wille, über dessen tatsächliche Freiheit
auch die Forschungen in den nächsten sechzig Jahren noch neue (oder
uralte) Erkenntnisse bringen werden, ist eine vom Ich verwaltete
Instanz, die unentwegt angehalten ist, uns Entscheidungen
abzuverlangen. Zum Glück ist es uns erspart geblieben, diese
konstante Stressbelastung unentwegt mit vollem Bewusstsein
wahrzunehmen. Trotzdem strengt sie uns permanent an und trägt -
abgesehen von dem ganz normalen physischen Energieverbrauch - ganz
erheblich zu der Müdigkeit bei, die zu einem erhöhten
Schlafbedürfnis führt und schließlich zum Altern und zum Tod.
Natürlich haben wir die Chance, während wir schlafen, Kraft
zurückzugewinnen, doch ab der Lebensmitte (42) ist es niemals mehr
dieselbe Menge an Kraft, die wir am Vortag im Moment des Erwachens
zur Verfügung hatten. Jeder Morgen sieht uns ein bisschen älter und
ein Stückchen weiter auf dem Lebensweg, der ebenso endlich ist wie
unsere tägliche Kraftreserve.
Wenn Sie die letzten Zeilen aufmerksam gelesen
haben, müsste jetzt eigentlich eine finale Erkenntnis in Ihnen
aufgestiegen sein: Wenn es das ewige Hin und Her der Entscheidungen
ist, das mich täglich meine Lebenskraft kostet, dann muss dies auf
der Stelle reduziert werden!
Ganz richtig erkannt, diese Notwendigkeit. Und nun
geht es nur noch darum, das Problem zu analysieren und in den Griff
zu bekommen. Der Trick, den es zu erlernen gilt, heißt
Selbst-Beobachtung. Ab dem Moment, wo Sie gelernt haben, sich
selbst zu beobachten (im Gegensatz zu »sich selbst beachten«),
können wir uns dem eigentlichen Thema dieses Buches zuwenden, das,
wie Sie längst ahnen, »Neukoordination meines neuronalen Systems
und Neugestaltung meiner Lebensführung« heißt. Die Kurzform für
dieses persönliche »Relaunching« heißt Loslassen.
Wenn Sie sich jetzt bitte noch einmal die drei
biografischen Skizzen im ersten Kapitel dieses Buches anschauen,
wird Ihnen auffallen, dass dieses persönliche »Relaunching« in nur
einem der geschilderten Fälle auf einer rein geistigen Ebene
stattgefunden hat, nämlich bei Augustinus. Er ist aber keineswegs
der Einzige, der eine solche Kollision mit dem Überbewusstsein,
auch Über-Ich genannt, erlebte. Es kommt auch in der heutigen Zeit
durchaus vor, dass ganz unauffälligen Normalbürgern an der
Straßenbahnhaltestelle ein solches Erlebnis geschenkt wird, und
dann sind diese Menschen genauso erschüttert und fühlen sich
genauso fassungslos ausgeliefert wie der junge Augustinus.
Doch was hat sich bei Augustinus denn nun wirklich
verändert? Was ist anders geworden an seinem Charakter und an
seiner Persönlichkeit?
Geben Sie in eine Kartoffelsuppe fünf Esslöffel
Zucker. Bringt dies die ursprüngliche Substanz zum Verschwinden?
Genauso war alles, was den jungen Augustinus vorher ausgemacht
hatte, auch nachher noch vorhanden. Doch ein Attribut war
hinzugekommen, das seine bisherige Lebensform überflüssig, ja sogar
unmöglich machte und bewirkte, dass sich sein Empfindungs- und
Verstandesvermögen um 180 Grad drehte: ein inspirativer
Erkenntnismoment. Auch Sie werden alles behalten, was Sie als die
Persönlichkeit ausmacht, die man bis heute gekannt hat, wenn Sie
sich auf eine individuelle Transformation auf der geistigen Ebene
einlassen. Aber Ihr Umgang mit Ihrer Gedankenwelt wird sich
verändern. Das wird sich sehr schnell auf Ihr emotionales Empfinden
und Ihre Handlungen auswirken und damit auch auf Ihre Wegbegleiter,
auf die materiellen Dinge, mit denen Sie sich umgeben und über die
Sie sich definieren (Kleider, Schmuck, Wohnung, Auto usw.) sowie
auf die Reviere, die Sie frequentieren (Geschäfte, Restaurants,
Erholungsorte usw.).
Dies alles wird entweder sanft und
selbstverständlich vor sich gehen oder wie ein Erdbeben. Es kann
sieben oder siebzig Jahre oder sieben Stunden und sieben Minuten
dauern, bis kein Stein mehr auf dem anderen liegt. Zu Ihrer
Beruhigung, Sie werden dann in jedem Fall wissen und fühlen, dass
es gut
ist, selbst wenn die anschließenden Räumungsarbeiten aufwendig
sein sollten.
Doch kommen wir zum Punkt. Wie erreichen Sie diese
unglaubliche Transformation?
Da stellt sich zunächst die Gegenfrage: »Wollen Sie
das A-, das B- oder das C-Erlebnis?« Also die sofortige, völlig
bewusste und endgültige Veränderung, oder doch lieber das vom
Kosmos (den Göttern, den Engeln, der Zeit usw.) unterstützte
Modell? Oder wagen Sie gar Version C, bei der Sie nie wissen, aus
welcher Ecke der Ball geflogen kommt, ihn aber trotzdem fangen
müssen? Vermutlich sind Sie noch unentschlossen, weil Sie noch gar
nicht wissen, was denn konkret getan werden
muss.
Ich sage es Ihnen: Suchen Sie in Ihrer Gedankenwelt
so lange, bis Sie eine nicht emotional verankerte Meinung oder
Einstellung gefunden haben, an der Sie seit Jahren (je länger,
desto lieber) festhalten. Es ist gar nicht so schwer, solche
Stützpfeiler des eigenen Denkgebäudes aufzuspüren. Sie zu verändern
gestaltet sich äußerst schwierig, sie auszulöschen ist schier
unmöglich. Als Beispiel gebe ich Ihnen ein Denkmuster, das Sie
sicher kennen und das man in der Regel als Kind implantiert
bekommt, meist via Religionsunterricht. Es heißt: Wer sündigt,
wird vom lieben Gott bestraft.
Sagen Sie jetzt nicht einfach, Sie hätten diesen
Satz längst aus Ihrem persönlichen Schreckensrepertoire gestrichen.
Machen Sie sich vielmehr klar, dass er zwei archaische Saugnäpfe
enthält: die Worte »Gott« und »Sünde«. Jahrhundertelang haben sich
unsere Vorfahren Geschichten von dem beleidigten Gott des Alten
Testaments anhören müssen, der trotz aller Güte auch als
fürchterlicher Rächer und Bestrafer auftreten konnte, wenn jemand
zum Sünder geworden war. Sie wollen doch nicht wirklich glauben,
dass Sie etwas, das schätzungsweise 4000 Jahre lang Glaubens- und
Identitätsgrundlage einer ganzen
Kultur war, in ein paar Jahrzehnten eliminieren können. Und selbst
wenn dies möglich wäre, gilt immer noch: Wo man eine Basis radikal
und ersatzlos entfernt, entsteht ein Vakuum und in der Folge machen
sich Rat- und Haltlosigkeit breit.
Kommt Ihnen das bekannt vor? Ja, wir leben in einer
ratund haltlosen Zeit, die uns für so manches losgelassene
Denkmuster keinen Ersatz liefern konnte und wollte. Schließlich
haben wir die große Freiheit entdeckt, die Liberation der
Persönlichkeit und ihrer Entwicklung, die Selbstverwirklichung, die
Emanzipation. Die Parole lautet: Kein Gott, keine Sünde, keine
Moral, kein schlechtes Gewissen.
Was ist der Ersatz für diese entzogenen
Orientierungspunkte, die sich samt und sonders auf die menschliche
Seele und das geistige Lebens beziehen? Der Ersatz - bitter aber
wahr - kam in Form von technischen Erzeugnissen, den Ergebnissen
einer fast unerklärlich rasanten Entwicklung, und überfordert die
gesamte Menschheit derart, dass sie völlig verrückt spielt und eben
dabei ist, die Verbindung zu ihrer inneren Orientierungsinstanz zu
verlieren, die als Höheres Ich bekannt ist und dafür sorgt, dass
die menschliche Psyche (also das neuronale System) gebrauchsfähig
bleibt.
Wen interessieren die Angriffe außerirdischer
Intelligenzen? Die Angriffe überaus irdischer Intelligenzen, denen
wir täglich ausgesetzt sind, sind so bedrohlich, dass es keiner
Außerirdischen mehr bedarf, um unsere geistige und seelische
Gesundheit und Sicherheit zu gefährden. Unsere Nervensysteme und
Gehirne wurden buchstäblich von Handys gegrillt, vom Internet
konditioniert und absorbiert, von Funkwellen bombardiert und von
vergifteter Nahrung umprogrammiert. Und dann hören wir wie zum
Trost, dass die Fernseher noch flacher, die Kommunikationsmaschinen
noch schnurloser und die Ersatzteile für den menschlichen Körper
noch vollkommener werden.
Erkennen Sie bitte (bitte, bitte!), was Sie zuerst
loslassen müssen. Sie müssen vor allem anderen Ihre Bereitschaft
loslassen, an diesem Höllenprogramm mitzuwirken. Und begreifen Sie
bitte auch, dass Ihre einzige Waffe dieses neuronale Wunderwerk
ist, das sich unter Ihrer Hirnschale befindet und das in spätestens
zwanzig Jahren so deformiert sein wird, dass die Menschheit noch
viel mehr Dinge gutheißen wird, über deren No-Go-Charakter sie sich
einst vollkommen einig war. In spätestens zwanzig Jahren wird
dieses Buch verbrannt werden und ich, so ich noch lebe, mit ihm
(was, schon wieder?), denn wir sind der Sand im Getriebe einer ganz
bestimmten Entwicklung, nämlich dem Fortschreiten der subliminalen
Beeinflussung, welche die maschinelle Erzeugung von Denkmustern
gutheißt und diese irgendwann offiziell anbieten wird. So wie man
Ihnen heute Flatrates zum Sonderpreis und Kredite für
Schönheitskorrekturen offeriert, wird man dann versuchen, Ihnen
sogenannte »Intelligence Optimizer« unterzujubeln. Auch Schulen
werden bald dazu übergehen, den Lernstoff mittels maschineller
Übertragung in die Speicher unseres Cortex einzuschleusen und
nebenbei sicher auch das, was wir heute in der Computersprache als
»Trojaner« bezeichnen: scheinbar harmlose Software, über die dann
zersetzende und zerstörende Schadprogramme eingeschleust werden. Ab
sofort höre ich mir gern an, dass ich eine Schwarzmalerin bin, die
nur die »dunkle Seite der Macht« sehen will. Doch es tut mir leid:
Ich kann diese Dinge einfach nicht mehr übersehen. Und ich kann und
will da auch nicht mitmachen.
Führen Sie sich bitte noch einmal das Denkmuster
vor Augen, das da heißt: Wer sündigt, wird vom lieben Gott
bestraft. Bevor wir dieses Denkmuster transformieren, werde ich
Ihnen erklären, warum wir uns mit diesen sieben Worten
auseinandersetzen müssen. Dieser Sieben-Worte-Bau ist die Grundlage
unserer
geistigen Existenz, unserer Triebe und unseres Willens, unseres
sozialen Verhaltens, unserer Moral und ethischen Einstellung,
unserer Kommunikationsfähigkeit. Soll ich fortfahren?
Nein, ich will Sie nicht in alttestamentarische
oder inquisitorische Szenarien zurückversetzen, sondern nur
Versäumtes nachholen, damit Sie das Loslassen wirklich tun
können, sprich: damit Sie sich wirklich von dem lösen können, was
Sie nicht nur festhält, sondern regelrecht verblöden lässt,
manipulierbar macht und zu einem willigen Werkzeug von Machthabern,
die Sie ganz bestimmt nicht gerahmt in Ihrem Wohnzimmer hängen
haben wollen.
Es ist sinnlos, Ihnen trickreiche Übungen zur
Veränderung Ihrer Denkmuster anzubieten, solange Ihre natürlichen
Seelenkräfte nicht stark genug sind, diese Übungen durchzuhalten.
Vielleicht ist Ihnen bis jetzt noch gar nicht aufgefallen, wie viel
Prozent Ihrer ursprünglichen geistig-seelischen Widerstandskräfte
Ihnen bereits abhandengekommen sind. Denn dieser Verlust Ihres
moralisch-ethischen Empfindens und Ihrer anderen Denk- und
Seelenkräfte ist ein schleichender Prozess, den Sie schon deswegen
kaum bemerken, weil Ihr normales Bewusstsein mit den
unglaublichsten Ablenkungsmanövern buchstäblich betäubt wird.
»Wer tut so etwas?«, werden Sie jetzt erschreckt
oder erstaunt fragen. Dazu kann ich nur sagen: Wenn Sie sich
wirklich umfassend über dieses Thema informieren wollen, wenden Sie
sich an einen Physiker oder, noch genauer, an die beiden
Atomphysiker Grazyna Fosar und Franz Bludorf. Diese beiden können
Ihnen nicht nur die tiefsten wissenschaftlich fundierten
Hintergründe aufzeigen, sondern riskieren es auch, die Namen derer
zu nennen, die ein Interesse an einer Bewusstseinsverlagerung des
Volkes haben. Bei mir selbst waren keine
physikalischen Abhandlungen nötig. Ich bin diesem schleichenden
Verlust einfach dadurch auf die Spur gekommen, dass ich die
Veränderung meines Verhaltens, meines Denkens und meiner Be- und
Empfindlichkeit unmittelbar nach bestimmten, länger (mehr als 10
Minuten) andauernden Beschäftigungen beobachtet habe. Es handelte
sich um folgende Beschäftigungen:
• das Anhören sogenannter U-Musik, wie sie heute
von allen bekannten Sendestationen ausgestrahlt wird,
• das Surfen im Internet,
• die Beschäftigung mit Computerspielen,
• Telefonate mit einem DECT-Telefon oder einem
Mobiltelefon (Handy),
• Aufenthalte in sogenannten Einkaufszentren
und
• Aufenthalte in Räumlichkeiten, die unter
Beobachtung stehen, beispielsweise Flughäfen, öffentliche
Verkehrsmittel, Banken usw.
Die negative Veränderung, die ich spürte, bezog
sich auf folgende Fähigkeiten: Konzentration, Wahrnehmung,
Reaktion, Aufnahme- und Denkvermögen, Kreativität,
Gedächtnisleistung, Kommunikation, seelischer Widerstand,
Beurteilungsschärfe, soziales Verhalten wie Geduld,
Hilfsbereitschaft, Toleranz und so weiter. Außerdem stellten sich
wie aus dem Nichts Depressionen, Hochstimmungen und extreme
Gefühlsschwankungen ein.
Nein, ich war nicht in den Wechseljahren,
nehme keine Drogen, trinke nicht und achte auf genügend Schlaf.
Weiterhin bin ich, wie alle anderen Leidensgenossen, die ich im
Laufe von zwölf Jahren traf, von keiner Krankheit befallen, welche
die Störungen hätte bewirken können. Das am meisten Auffallende
war und ist jedoch die nahezu lähmende Müdigkeit, die sich bei uns
allen einzustellen pflegte, wenn wir uns länger als 30 Minuten an
bestimmten Orten aufhielten oder von einer der vorgenannten
Betätigungen absorbiert waren.
Ich war bis vor elf Jahren ein Fernsehfreak,
begeisterter Musikhörer, Telefonierer und Computerbenutzer. Dann
erkannte ich die Zusammenhänge, und nach vielen Gesprächen mit
Neurologen, Physikern und Pädagogen-Kollegen änderte ich meine
diesbezüglichen Verhaltensweisen radikal. Ich wollte nicht mehr
subliminal beeinflusst werden. Doch erstaunlicherweise reichte mein
Wille allein nicht mehr aus. Um mein Abwehrsystem wieder in voller
Kraft und mit vollem Bewusstsein nutzen zu können, musste ich mir
bestimmte Fähigkeiten buchstäblich zurückerobern, und zwar dadurch,
dass ich gewisse Denkmuster, die sich ganz unschuldig und
unscheinbar bei mir eingenistet hatten, zu korrigieren und zu
entfernen begann. Eine Chemotherapie hätte nicht anstrengender sein
können. Mir war, als müsse ich jeden Tag gegen einen sehr viel
stärkeren Widersacher mit sehr überzeugenden Gegenargumenten
antreten. Es ging lange Zeit drei Schritte vor und zwei zurück,
doch dann schien das, was mich zu vereinnahmen versuchte, die Lust
an mir zu verlieren.
Dachte ich.
Ich dachte falsch.
Denn plötzlich veränderten sich die
Verhaltensweisen in meiner Umgebung. Die Menschen wurden zunehmend
aggressiv. Ganz gleich, ob ich bei einer Behörde vorsprach, in der
U-Bahn fuhr oder ins Kaufhaus ging, ich wurde in einer Weise
angefeindet wie noch nie in meinem Leben. Nein, die Leute kannten
mich nicht, und ich verhielt mich nachweislich nicht anders
als zuvor. Ich versuchte, gleichbleibend gleichgültig zu reagieren,
doch das schien meine Umgebung nur noch
mehr anzustacheln. Schließlich wandte ich mich an Monnica
Hackl.
Dr. Monnica Hackl ist Schamanin. Sie verstand
sofort, was ich meinte, und sie spürte wie ich, dass da »etwas«
war. Dieses »Etwas« ist kein böser Geist, kein austreibungswürdiges
Besetzungswesen und auch keine außerirdische Macht, sondern ein
bestimmtes Kraftfeld, das in Aktion tritt, wenn ein Individualfeld
sich dem Kollektiv nicht mehr wie bisher ein- und unterordnet,
sondern entgegen dem »Mainstream« neu orientiert und entsprechend
anders verhält. Ich bin weder fanatisch noch ein Querulant und
durchlaufe auch keine Entwicklung in diese Richtung. Monnica Hackl
erkannte das und erklärte mir, dass bei Hypersensibilität all diese
Vorgänge vom Betroffenen um ein Vielfaches stärker wahrgenommen
werden. Der seelisch-geistige Widerstand führt dazu, dass sich eine
Person auf eine höhere Ebene einschwingt als die anderen und dass
sie dadurch von den anderen als »Fremdkörper« empfunden und
bekämpft wird.
Ich war also zur Fremdratte im Labor geworden.
Vielleicht haben Sie schon von diesen Versuchen gehört: In einem
bestehenden Rattenverband wird eine Ratte aus einer anderen Gruppe
ausgesetzt, was sofort missbilligend konstatiert wird, denn sie
»riecht« anders. Weil ihre Ausdünstung dem Geruch ihrer eigenen
Stammesgenossen entspricht, wird sie von dem bestehenden Verband
als bedrohlicher Eindringling und feindliche Existenz
klassifiziert. Die neue Ratte stirbt nach relativ kurzer Zeit, und
zwar nicht, weil ihre Artgenossen sie totbeißen oder ihr den
Zutritt zum Futternapf verwehren. Nein, sie stirbt aus Angst. Diese
Angst ist eine Reaktion auf die Feindausdünstung, die ihr die
Rattengesellschaft entgegenstellt und die ihr suggeriert:
»Verschwinde, sonst bringen wir dich um!« Die Verhaltensforscher
fanden auch heraus, wie man diesen Tötungsmodus umgehen kann: Man
nehme die Fremdratte
und reibe sie eine Zeit lang an einigen Ratten des Verbandes,
damit sie den Geruch der Gruppe annimmt, in welcher man sie
aussetzen will. Und siehe da: Kurzes Schnuppern und schon findet
eine automatische Akzeptanz und Eingliederung statt.
Obwohl mir Maskierungen dieser Art widerstreben,
dämmerte mir, dass in diesem Laborversuch zumindest der Denkansatz
für eine Wiederherstellung des früheren Sicherheitszustandes
enthalten sein könnte. Ich sprach mit Fosar und Bludorf über dieses
Verhaltensmodell, und sie wussten sofort, was ich meinte. »Du hast
zwei Möglichkeiten«, sagten sie. »Entweder du schottest dich ab
sofort von der Umwelt ab oder du lernst, dich zu schützen.« Ich
wollte mich nicht schützen.
»Du musst«, sagten die beiden, »du bist zu
auffällig.«
»Für wen denn, bitte?«, fragte ich
verzweifelt.
»Für die Kräfte, die eine geistig-spirituelle
Entwicklung der Menschheit zugunsten einer totalen Technisierung
verhindern wollen.«
Wer bitte, wer sind diese dunklen Kräfte,
die sich über uns entladen und »Resistance-Angehörige« angreifen,
schwächen und in den Ruin treiben? Es sind dieselben Kräfte, von
denen die Mitmacher unterstützt und stabil gehalten werden und die
ihnen vermeintliches Glück und Wohlstand verschaffen. Diese
geistigen Energien hat es immer gegeben und sie werden ihren
Einfluss auch weiterhin geltend machen. Niemand kann sich ihrem
Einfluss entziehen, aber jeder kann sich dagegen wehren, und zwar
durch Verweigerung der gedanklichen Beteiligung und aller damit
zusammenhängenden Handlungen.
Der nachfolgende Brief, für dessen sehr freie
Übersetzung ich mich bei allen Humanisten im Voraus entschuldige,
zeigt, wie vor etwa zweitausend Jahren mit dem schon damals
bekannten Problem umgegangen wurde, und könnte zusätzlich einige
Verhaltensregeln beisteuern.
Lieber Lucilius,
dass Du Dich unbeirrt anstrengst und versuchst,
täglich besser zu werden, ist lobenswert und freut mich. Ich stehe
absolut hinter Dir und bitte Dich: Mach weiter so! Aber fang jetzt
ja nicht an, durch Benehmen und Lebensführung aufzufallen, so wie
bestimmte Leute, denen es nicht darum geht, im besten Sinn
weiterzukommen, sondern die nur auffallen wollen.
Schlampige Kleider, ungewaschene Haare,
unkontrollierter Bartwuchs, offen zur Schau gestellte Missachtung
des Geldes, Herumlungern in der Öffentlichkeit und was der
menschlichen Überheblichkeit sonst noch einfallen könnte, das
meide!
Das Wort »spirituell« wird generell nicht gern
gehört, auch wenn man sich noch so zurückhaltend zeigt. Wie wäre es
erst, wenn wir anfangen würden, uns dem allgemein üblichen
Lebensstil entgegenzusetzen? Im Inneren, da muss alles ganz anders
sein, aber unser Aussehen muss sich dem Üblichen anpassen. Unsere
Kleidung sollte nicht übertrieben modisch wirken, aber auch nicht
schlampig. Wir haben es nicht nötig, uns mit Silber und Gold zu
umgeben, sollten diesen Verzicht aber auch nicht demonstrativ als
Zeichen unserer Bescheidenheit einsetzen. Unser Vorsatz sollte
sein, durchweg auf eine bessere Lebensführung zu achten als die
Allgemeinheit, aber nicht so auffallend anders, dass wir diejenigen
abstoßen und von uns wegtreiben, die wir bessern möchten, und diese
dann gar nichts mehr von uns übernehmen wollen, weil sie fürchten,
überfordert zu werden. Spirituelles Bewusstsein fordert vor allem
eine normale Lebensweise und einen freundlichen Umgang mit den
Menschen, und würden wir uns dauernd anders benehmen,
dann könnte unser vorbildliches »Anderssein« bald belächelt, wenn
nicht sogar verhasst werden. Unsere Grundlage ist ein der
Natürlichkeit entsprechendes Leben, nicht aber, den eigenen Körper
zu misshandeln, die Regeln einfachster Sauberkeit nicht
einzuhalten, das Schmutzige zu suchen, nicht nur minderwertige,
sondern sogar ekelhafte, künstliche Nahrung zu sich zu nehmen, denn
das ist naturwidrig. Genau so wie es Verschwendung ist,
Delikatessen für sich zu beanspruchen, ist es verrückt, die
üblichen gesunden und preiswerten Nahrungsmittel zu verschmähen.
Zurückhaltung ist es, welche die Spiritualität verlangt, und nicht
Selbstquälerei! Zurückhaltung und adrettes Auftreten vertragen sich
aber absolut. Das, was mir gefällt, ist das richtige Mittelmaß, der
goldene Mittelweg, den wir zwischen einer strengen Ordnung und dem
allgemeinen Verhalten gehen müssen. Alle sollen unsere Art zu leben
genau anschauen dürfen, aber sie sollte möglichst keinen
Widerwillen auszulösen.
Tun wir dann aber eigentlich nicht dasselbe wie
alle anderen? Gibt es denn dann noch einen Unterschied zwischen uns
und den anderen? Doch, einen sehr großen! Jeder, der sich näher mit
uns beschäftigt, soll finden, dass wir ganz anders sind als das
Übliche. Wer uns besucht, der soll nicht so sehr unsere Einrichtung
bewundern, als vielmehr uns selbst. Wer mit Tongeschirr so umgeht,
als sei es aus Silber, der hat es wirklich geschafft!
Dieser Brief wurde vor fast zweitausend Jahren von
dem großen Philosophen Seneca verfasst, und ich muss zugeben, dass
ich die ursprünglichen Begriffe »Philosophie« und »philosophisch«
durch »spirituelles Bewusstsein« und »spirituell« ersetzt
habe, um den aktuellen Bezug deutlicher zu machen. Ich hoffe, der
große Seneca verzeiht es mir mit der für ihn typischen stoischen
Gelassenheit. Allerdings kann ich es mir nicht verkneifen, Ihnen
mitzuteilen, dass Seneca es mit dem Verzicht auf das Demonstrieren
materiellen Wohlstandes in Form von Gold und Silber, den er
Lucilius hier empfiehl, selber nicht gerade übertrieben hat.
Immerhin war er einer der reichsten Männer seiner Zeit, ein
römischer Rockefeller sozusagen. Aber das braucht uns nicht zu
stören. Die Frage ist nämlich nicht, wie viel jemand besitzt,
sondern wie sehr er an diesem Besitz hängt.
Der Brief zeigt, dass unsere Themen nicht neu sind
und dass es auch vor langer Zeit schon Probleme gab, wenn sich
jemand in eine andere Richtung entwickelte als die Allgemeinheit.
Seneca rät, sich unverstellt und eindeutig zu zeigen, völlig
selbstverständlich und unaufdringlich: »Jeder, der sich
näher mit uns beschäftigt, soll finden, dass wir ganz anders
sind als das Übliche.« Das Selbstverständliche muss das
Überzeugende sein, findet Seneca, und der Schutz, von dem meine
beiden Physiker sprachen, entsteht bei ihm durch Unauffälligkeit
sowie durch klares und bewusstes Abgrenzen von allem, was man als
geistigen Hochmut bezeichnen könnte. Doch, um der Wahrheit wieder
einmal die Ehre zu geben, sei auch gesagt: Der geistige Hochmut hat
seine Heimat überall auf diesem Planeten und blüht vor allem
innerhalb des Mainstreams, der seine Berechtigung und Bestätigung
vor allem aus seinen massenkompatiblen Eigenschaften bezieht und
den Mitmachern zumindest eine Zeitlang suggeriert, »recht« zu
haben. Doch jeder Mainstream geht irgendwann buchstäblich »den Bach
runter«, auch wenn er noch so lange andauert. Und was dann bleibt,
sind die Tradition und die Formen, die man als konventionell
bezeichnet.
Die Entwicklung bringt es mit sich, dass sich das
Altbewährte, Edle und Gute ständig gegenüber dem Mainstream
rechtfertigen muss, doch in dieser Konfrontation zeigt sich, was
Bestand hat und was scheinbar oder tatsächlich für immer untergehen
muss. Das scheinbare Verschwinden und eventuelle Wiederauftauchen
findet erstaunlicherweise immer in einem Zeitraum von sieben
Monaten oder sieben Jahren beziehungsweise einem Vielfachen von
sieben Jahren (14, 28, 35, usw.) bis hin zu siebzig Jahren statt.
Was dann nicht wieder aufgetaucht ist, hat sich entweder zugunsten
eines anderen Potenzials aufgelöst oder kommt in anderer
Verkleidung wieder, um seinen Segen oder sein Unwesen weiter zu
verbreiten.
So mancher, auch längerfristige Mainstream ist
abgrundtief unedel und würdelos, und das war schon immer so. Doch
immer gab es gleichzeitig auch Menschen, die das Gute und Edle
unbeirrt bewahrten und sich nicht auf die angeblich so befreienden
Angebote und Segnungen einer neuen Zeit einließen, weil sie
wussten, dass es Irrwege waren. Es ist nun weniger die Frage, woher
diese Menschen ihre Sicherheit und die Kraft zu widerstehen
hernahmen, als vielmehr, warum alle anderen sie nicht
aufbrachten und die »Widerständischen« sogar angriffen,
denunzierten und nicht selten umbrachten. Waren die Betroffenen
auch noch wohlhabend, war der Gerichtsprozess, wenn es denn
überhaupt einen gab, eine reine Farce und das Todesurteil eine von
vornherein beschlossene Sache. Die Massaker von Masada und
Montségur, die Ausrottung der Katharer, und die zahllosen anderen,
schauerlichen Übergriffe in der Zeit der Inquisition sind nur
einige Beispiele aus der etwas weiter zurückliegenden
Vergangenheit. Und immer ging es ausschließlich um die drei
bekannten Dinge: Besitz, Macht/Ruhm, Sex. Die Verteidigung des
Glaubens war nur das Deckmäntelchen für dieses unselige Trio. Die
Massaker der Neuzeit sind den
damaligen Morden in ihrer perfiden Grausamkeit durchaus
vergleichbar. Und die Denunziationen von heute sind nicht weniger
infam als die vor fünfhundert und mehr Jahren.
Doch was sind das für Leute, die sich, von
aggressiven Intentionen getrieben, dazu benutzen lassen, bewusst
oder unbewusst negativ auf sensible Menschen zu reagieren? Ich
musste lernen, dass es vor allem die sogenannten ganz Normalen
waren, die wenig oder nichts hinterfragen und aus allem, was sich
anbietet, das für sich herausholen, was ihnen zu nützen scheint
oder »Spaß« macht. Diese Eigenschaften, die auf den ersten Blick
völlig legitim und harmlos erscheinen, enthüllen ihre latente
Gefährlichkeit im Charakter der Persönlichkeiten, deren
Schwachstelle die Bereitschaft zum Mitläufertum, also Opportunismus
ist. Mitläufer lieben den Mainstream, diesen goldenen Strom, von
dem sich die Mehrheit so bereitwillig tragen lässt und dessen
wirklichen Initiator eigentlich niemand genau zu benennen weiß.
Denn diejenigen, von denen man glaubt, sie seien die Initiatoren,
sind meist nur die allerschnellsten im Erkennen und Aufgreifen der
angebotenen Richtung, unbewusst reagierende Marionetten, die sich
als Protagonisten aufspielen. Diese Kapitäne der
Mainstream-Schifffahrtsgesellschaft, die sich, getragen von der
Energie des Zeitgeistes, als Erzeuger dünken, sind letztlich nichts
weiter als die Handlanger von Systemen, denen sie zwar entsprechen,
aber von denen sie keine Ahnung haben.
Nehmen Sie nur den jährlich hervorquellenden
Mode-Mainstream. Glauben Sie wirklich, dass auch nur einer dieser
»Designer« die Deformationsgebilde, die den Frauen hier als
»letzter Schrei« angedient werden, selber anziehen oder an seiner
Frau gern sehen würde? Haben Sie nicht schon selbst kopfschüttelnd
Teile aus Ihrem Kleiderschrank entfernt, die Sie noch vor gar nicht
allzu langer Zeit als unverzichtbar eingestuft hatten? Zum Glück
schadet Mode nur dem Geldbeutel
und den Nieren, wenn wieder bauchfrei proklamiert wird. Die Seele
bleibt dabei relativ unbeschadet. Wäre doch alles so einfach zu
entfernen wie Fehlkäufe aus dem Kleiderschrank! Doch leider ist die
Menschenseele, die unentwegt aufgefordert ist, sich für oder gegen
»Einkäufe« zu entscheiden, nicht so leicht zu entrümpeln. Denn das
Seelengerümpel, das weit weniger genau begutachtet und abgewogen
wird als Kleider, hat die fatale Eigenschaft, sich umso
nachhaltiger einzulagern, je unbewusster es »eingefahren«
wurde.
Vor nun fast dreihundert Jahren wurde Jean Jacques
Rousseau geboren, der irgendwann in seinem Leben zu der Erkenntnis
gelangte, dass der Mensch von seinem ursprünglichen Wesen her »gut«
sei. In dem Satz davor widerspricht er sich zur Vorsicht selbst,
lastet aber dieses »Schlechtsein« des Menschen ausschließlich der
Gesellschaft an. Rousseau hat recht, und zwar mit beiden
Behauptungen:
a. Der Mensch ist gut.
b. Der Mensch ist schlecht.
Der Philosoph hätte sich viel leichter getan, wenn
er seinem Satz vom Gutsein des Menschen noch hinzugefügt hätte:
a. Der Mensch ist gut, solange er nicht wählen
muss.
b. Der Mensch wird schlecht, wenn die Auswahl zu
groß oder zu verlockend ist.
Und: Jeder Mensch will
a. Besitz,
b. Macht (Ruhm) und
c. Sex.
Als ich diese »Dreierbande« einmal in einem Kurs als Triebfeder des
Menschen vorstellte, gab es großes Protestgeschrei! »Nein, nein«,
hieß es da, »darüber sind wir weit hinaus, das wollen wir schon
längst nicht mehr, das haben wir losgelassen!«»Aha«, dachte ich mir, »ich bin also wieder mal im
Club der Erleuchteten gelandet«, und ließ die Fee kommen. Meine
Kursteilnehmer kennen meine Fee bestens. Sie taucht meist dann auf,
wenn Lebenslügen geklärt werden müssen und ich nicht die Böse sein
will, die sie aufdecken muss. Die Fee nimmt normalerweise die
berühmten drei Wünsche entgegen. In meinen Kursen beschränkt sich
das Füllhorn des Glücks wegen akuten Zeitmangels auf einen einzigen
Wunsch - und der erfüllt sich dafür auch nicht gleich. Also, was
wird gewünscht?
• Ich möchte heilen können.
• Ich möchte ein Super-Berater werden.
• Ich möchte ein Zentrum haben, in das alle
kommen und wo sich alle wohl fühlen können.
• Ich möchte an meinem Arbeitsplatz mehr geachtet
werden.
• Ich möchte eine andere Arbeit.
• Ich möchte eine/n Partner/in haben, mit dem/der
ich mich wirklich (betont!) verstehe. Und so weiter, und so
weiter.
Ja, und dann kommen die üblichen bösen Nachfragen
der Fee, die es ganz genau wissen will, bevor sie zur eventuellen
Wunscherfüllung schreitet:
»Warum willst du denn heilen können?«
»Ja, weil ich helfen will.«
»Warum bist du dann nicht Krankenschwester geworden?«
»Ach, da kann man doch nicht heilen!«
»Ach, glaubst du das?«
»Also, ich meine richtig heilen.«
»Was ist denn richtig heilen?«
»Also … ja … gesund machen auf der Stelle!«
»Aber das konnte bis jetzt nur Jesus, oder?«
»Ja, aber wenn ich den Wunsch frei hätte …«
»… dann wärst du gern wie Jesus?«
»Ja, weil ich helfen will.«
»Warum bist du dann nicht Krankenschwester geworden?«
»Ach, da kann man doch nicht heilen!«
»Ach, glaubst du das?«
»Also, ich meine richtig heilen.«
»Was ist denn richtig heilen?«
»Also … ja … gesund machen auf der Stelle!«
»Aber das konnte bis jetzt nur Jesus, oder?«
»Ja, aber wenn ich den Wunsch frei hätte …«
»… dann wärst du gern wie Jesus?«
Mir geht es darum, meinen Lieben klarzumachen,
dass sich alles, was sie sich gewünscht haben, in einem
schicksalsangepassten Rahmen verwirklichen kann, dass sie es selbst
verwirklichen können, und zwar durch ihrer Hirne und Hände Arbeit.
Dann werden sie vielleicht nicht Jesus gleich oder der
Über-Berater, dann haben sie vielleicht nicht plötzlich wie aus dem
Nichts die Super-Arbeitsstelle oder den Traumpartner. Aber
möglicherweise werden sie ein guter Arzt, eine gute Pflegerin, ein
geduldiger Zuhörer oder Mediator, vielleicht auch ein Anwalt. Und
wenn bei der Arbeit das, was getan werden soll, mit ganzem Herzen
und einem inneren Ja erledigt wird, dann wird das mit der Achtung
und sonstigen Verbesserungen auch ohne Fee klappen. Das Problem
ist, dass die geäußerten Wünsche eigentlich etwas ganz anderes zum
Ausdruck bringen, nämlich:
• Ich will als Berater und als Zentrumsbesitzer
über allen anderen stehen.
• Mehr haben, mehr sein, mehr …
• Mehr Wohlstand, mehr Ruhm, mehr Macht
• Von der Allgemeinheit mehr ge- und beachtet und
folglich besser bezahlt werden und dadurch …
Loslassen, Leute! »Der Charakter des Menschen ist
sein Schicksal«, hat Heraklit vor etwa 2500 Jahren gesagt, und ich
wage hinzuzufügen: Und seine Triebfeder, sein Wille und seine
Rettung ist die kritische Selbst-Beobachtung. Der Mainstream sagt:
nach vorn, nach oben, raus aus dem Sumpf des Allgemeinen, hinauf in
die lichten Höhen des Superstars, koste es, was es wolle. Und alle
machen mit! Die einen mit materiellen Mitteln, die anderen mit
Bildung und Intellekt. Und dann gibt es noch ein langsam, aber
stetig wachsendes Häuflein Menschen, die den Begriff »Superstar«
durch »erwecktes Bewusstsein« ersetzen. Es gibt diese Menschen, und
es sind gar nicht so wenige, die nur kaufen, was sie
wirklich brauchen, und zwar geistig, seelisch und materiell.
Sie haben ihr Fort- und Weiterkommen in Gottes Hand gelegt und
ordnen ihr Sein seinem Willen unter, ohne bigott und fanatisch zu
sein, ohne Demonstrationen und Dekorationen und ohne Druck auf ihre
Umgebung auszuüben. Die wollen richtig loslassen!
Doch kommen wir zurück zu der Umgebung, die das
nicht nur nicht honoriert oder in Ruhe wachsen lässt, sondern es
auch mit fühlbarem Widerstand beantwortet. Aber warum?
Warum wir inkarnieren, oder was die Erde von uns
will
Jeder, der auf dieser Erde geboren wird, hat -
symbolisch betrachtet - zwei Vereinbarungen unterschrieben, und
zwar mit folgendem Inhalt:
Vereinbarung 1
Hiermit stimme ich dem irdischen Pachtvertrag in
vollem Umfang zu.
Vereinbarung 2
Hiermit stelle ich mich während meines irdischen
Aufenthaltes meinen im Jenseits Hinterbliebenen in vollem Umfang
zur Verfügung.
Zu Vereinbarung 1
Die Pachtbedingungen dieser Erde beinhalten, dass
sich jedes inkarnierte Wesen während des irdischen Aufenthalts den
Bedingungen der Materie unterwirft und ihre Gesetze befolgt. Die
Bedingungen besagen, dass den Bedürfnissen unserer Physis in vollem
Umfang entsprochen wird, was so viel heißt wie: Wachse und mehre
dich so nachhaltig wie nur möglich und richte dein Augenmerk vor
allem darauf, möglichst viel Materie zu ergattern und zu verwenden.
Ernähre deinen Körper gut, sichere dein Revier und verteidige es
gegen Eindringlinge.
So viel zum Erdenvertrag.
Zu Vereinbarung 2
Wir sind geistige Wesen, die sich in einem
materiellen Körper einnisten, um in der Materie zu sein und auf sie
Einfluss nehmen zu können. Der Auftrag unserer geistigen
Verwandtschaft lautet: Identifiziere dich so wenig wie möglich mit
der Materie, aber finde alles über sie heraus. Und teile uns das
Gefundene mit, damit wir dir unsere Ideen vermitteln können.
Wir sehen also, dass wir hier auf Erden ein
ziemlich ambivalentes Dasein fristen, das zu allem Überfluss auch
noch vom
stetigen Verfall der Materie beroht ist. Auf der einen Seite
sollen wir wachsen, uns mehren, uns die Erde untertan machen und
die geistigen Einflüsse unserer nicht inkarnierten Verwandtschaft
auf sie übertragen, auf der anderen Seite sollen wir uns nicht mit
Besitz belasten und uns schon gar nicht mit ihm identifizieren oder
über ihn definieren. Denn wir sind ja schon allein aufgrund unserer
geistigen Ursprungsnatur nur Touristen auf diesem Planeten und
müssen alles Materielle, was wir uns aneignen und aufbauen, wieder
abgeben oder dem Verfall preisgeben. Die eigentlichen Herrscher
dieses Planeten sind geistige, also körperlose Wesen, die sich über
den Geist in die Denkvorgänge einschalten können, diese steuern und
beeinflussen und damit auch Einfluss auf unsere Handlungen nehmen.
Diese Wesen hocken durchaus nicht auf jedem einzelnen wie weiland
Freiligraths Löwe auf der Giraffe (in dem unseligen Gedicht
»Löwenritt«), sondern nehmen vor allem Einfluss auf das sogenannte
kollektive Denken und damit auf das kollektive Bewusstsein.
Die Wesen, von denen hier die Rede ist, sind
erdgebunden, das heißt, sie haben keine Ambitionen, sich geistig
über das Materielle zu erheben oder von ihm zu lösen. Im Gegenteil,
es geht ihnen darum, ihren Heimatplaneten möglichst gegen
zersetzende geistige Einflüsse zu verteidigen und
abzuschirmen.
Zersetzende geistige Einflüsse sind aus Sicht
dieser Wesen vor allem:
a. der Glaube an Gott,
b. der Glaube an die Unsterblichkeit,
c. das Wissen um die Gott-Ähnlichkeit des
Menschen,
d. die Erkenntnis über den Charakter der
Materie,
e. die Erkenntnis über erdgebundene Wesen.
Die gefährlichste Erkenntnis ist aus Sicht dieser
Wesen die über den Charakter der Materie. Ich spreche hier nicht
von der Kenntnis der physikalischen und chemischen Zusammenhänge,
sondern über das Wissen um die Verbindung zwischen der Materie und
dem menschlichen Sein. Denn während der Mensch hier seine
Lebenszeit durchläuft, bildet sich zwischen ihm und der Materie
eine mehr oder weniger enge Bindung, die im Menschen eine Grundlage
für die Beurteilung seines irdischen Daseins schafft. Das kann so
weit gehen, dass der Mensch schließlich der festen Meinung ist, er
stamme von Materie ab und sei ihr vollkommen verwandt, und dass er
dann seinen einzigen Lebenssinn in der Anhäufung von Materie sieht.
Diese Einstellung akzeptiert zwar den Tod als letzte Instanz,
negiert aber jedwede nachtodliche Existenz und damit auch jede
Verantwortung und jede Verpflichtung, Rechenschaft abzulegen, denn
sie erkennt auch keine höhere Macht an, deren Gesetz Folge
geleistet werden muss. Das ist die Lieblingsdenkweise der vorher
erwähnten erdgebundenen Wesen, die mit ihrer Beeinflussung nur eins
bezwecken, nämlich aus möglichst vielen Menschen ebenfalls
erdgebundene und vom Gottesbewusstsein losgelöste Wesen zu machen.
Je mehr ein Mensch sein geistiges Ursprungsbewusstsein verliert, je
intensiver er die geistigen Zusammenhänge leugnet und je radikaler
er sich der Materie zuwendet, desto bevorzugter wird er von diesen
Wesen unterstützt und gefördert, zum materiellen Erfolg geführt und
dadurch in seiner materialistischen Ideologie bestärkt.
Edel sei der Mensch, hilfreich und gut, mahnt das
Dichterwort, und tief schlummert in jeder Menschenseele die
Sehnsucht, diesen Anspruch zu erfüllen. Aber mit dem hilfreichen
Edelsein verhält es sich ähnlich wie mit dem Wissen um gesundes,
maßvolles Essen: Man weiß genau, dass diese Form der
Ernährung die beste und gesündeste ist, die außerdem noch die
schlanke Figur bewahren würde, und trotzdem stopft man sich mit dem
schauerlichsten Kunstfraß voll und schüttet noch Kaffee und Alkohol
hinterher. Warum? Weil es Spaß macht, ist die Antwort, und weil
Diät und betont gesundes Essen so langweilig und lästig sind wie
eine theoretische Unterrichtsstunde in der Fahrschule. Und wie das
dauernde Edeltum und Gutsein.
Doch wie lösen wir das Dilemma? Zumal wir an dem
Punkt unserer Unterhaltung angekommen sind, wo wir zugeben müssen,
dass die Menschheit doch regelmäßig sehr erfreut reagiert, wenn ein
ausgewiesener Edel- oder Gutmensch beim Ausleben seiner
Schattenseiten erwischt wird. Dann ist zwar der Ruf ruiniert, aber
gewisse Sympathien sind wiederhergestellt, die für die exklusive
Haltung nicht mehr erforderlich oder nicht zu ihr passend schienen.
Fazit: Sondert sich ein Mensch allzu fühlbar vom Allgemeinen ab,
ganz gleich ob durch Religion, Verhalten, Meinung oder Aussehen,
wird er von der Allgemeinheit entweder belächelt, angegriffen oder
übersehen. Oder gefeiert und zum Gott erhoben. Damit sind wir
wieder bei der Fremdratte angelangt, die nur Überlebenschancen hat,
wenn sie »fremd parfümiert« wird. Wenn sich einer im
Menschenverband unbeschadet exponieren will, muss er den
»Zurückgebliebenen« trotzdem noch das Gefühl geben, einer der ihren
zu sein. Er muss beispielsweise weiterhin ihre Einladungen annehmen
und an ihren Gesprächen teilnehmen, denn sonst heißt es bald:
»Dem/der sind wir nicht mehr gut genug!« Und: »Gott, ist der/die
arrogant geworden!« Und schon wird die Nachredenbildung einsetzen
und ihre Kreise ziehen. Wenn derjenige dann seinen Standort ändert,
also umzieht, hat er eine gewisse Chance, mehr oder weniger
ungeschoren davonzukommen, aber dann muss er sich andernorts
ein neues soziales Umfeld schaffen und neue Wurzeln schlagen. Das
klappt nicht immer und umso weniger, je edler, religiöser und
disziplinierter ein Mensch ist. Er ist - wie das krasse Gegenteil,
der asoziale Störenfried - suspekt, weil er nicht der »Norm«
entspricht. Und die Norm wird vom kollektiven Volksempfinden
festgelegt, das einen unübersehbaren Hang zum kollektiv
Schweinischen und Verderbten hat und sich zwar scheinbar über
Repräsentanten dieser Verhaltensformen aufregt, es aber trotzdem
»geil« findet, was der/die sich traut. Von dieser heimlichen
Bewunderung leben ganze Wirtschaftszweige, etwa große Teile des
Comedy-Geschäfts, die Filmindustrie mit ihren Stars, die
Printmedien, die von den Eskapaden der Promis berichten und so
weiter. Wenn ein Mensch eine edle Tat vollbringt, indem er
beispielsweise heldenhaft einen Ertrinkenden rettet oder ein Unheil
verhütet, dann bekommt er einen Artikel in der Tageszeitung, alle
sagen: »Toll, toll!«, und damit hat es sich. Keiner will hören, wie
es dem Edlen, Guten und Hilfsbereiten weiterhin ergangen ist. Führt
sich aber etwa eine der bis zum Überdruss bekannten Promi-Damen wie
eine Pottsau auf, dann will man weiter und weiter und weiter
informiert werden und verhilft ihr damit zu noch mehr
»Prominenz«.
Jean Jacques Rousseau, so viel wissen wir heute,
hatte nicht recht mit seiner Behauptung, der Mensch sei
grundsätzlich gut. Er ist zumindest nicht prinzipiell gut, solange
er sich umgeben von materiellen Verführungsobjekten auf dieser Erde
tummelt. Und doch hatte Rousseau auch wieder recht. Denken
wir nur siebzig Jahre zurück, da hatten wir den Beweis doch im
eigenen Land. Es ist ja immer noch mehr von den Verbrechern,
Mitläufern und Nutznießern des Dritten Reiches die Rede, als von
den unzähligen Rettern Widerstandskämpfern und stillen Helden, die
in der Nazizeit gegen den Strom
schwammen. Es gab ja nicht nur Franz Jägerstätter, Hans und Sophie
Scholl und von Stauffenberg, sondern auch noch viele andere, die
besser organisiert waren und geschickter agierten und damit vielen
»Feinden des Volkes« das Leben retten konnten. Zählen Sie doch
einmal nach, wie viele Dokumentationen und Filme über die helle und
wie viele über die dunkle Seite dieser Zeit berichten. Dann sehen
Sie, wo wir mit der Verarbeitung stehen. Dieses Trauma kann nur
durch gemeinsames Betrauern erlöst werden, von der einen Seite
wirklich begriffen und von der anderen wirklich verziehen. Nur wenn
der Schmerz, die Angst, der Schrecken tief nachempfunden und die
Vorkommnisse mit den Betroffenen tief betrauert werden, ist ein
wirklicher Fortschritt möglich.
Loslassen heißt ja niemals, etwas ersatzlos fallen
zu lassen. Es bedeutet vielmehr immer, auf einer weiteren und
besser begriffenen Ebene des Bewusstseins mit dem transformierten
Verbrauchten zu einer neuen Erkenntnis zu gelangen. So, wie wir
keinen Gegenstand auf dieser Erde im Nichts verschwinden lassen
können, genauso wenig können wir Gedanken, Verhaltensweisen,
Meinungen und Beurteilungsmodi von heute auf morgen
auslöschen.
Wer sündigt, wird von Gott bestraft.
Dies ist nur eines von vielen Meinungsimplantaten,
welche zur Basis für unzählige andere Fehlinformationen wurden. Es
ist bekannt, dass auf dieser Erde sehr oft die Verbrecher nicht
bestraft, dafür aber Unschuldige umgebracht und gefoltert werden.
Die oft gestellte Frage lautet: Wie kann der Allmächtige das nur
dulden? Und hier noch einmal die Antwort: Der Allmächtige hat mit
den Verhaltensweisen der Wesen, die sich der Materie unterworfen
haben, nichts zu tun. Er hat die Sünde nicht erfunden und als
großer Gleichgültiger auch nicht die Strafe. Wir sind es, die sich
in Tausenden von Entwicklungsjahren
an der Materie orientiert haben. Wir wollten uns mit ihr
dekorieren und einfrieden und können nicht mehr von ihr lassen. So
ist das entstanden, was wir Sünde nennen, ein Wort, dessen Herkunft
so dunkel ist, wie der Sinn, der sich dahinter verbirgt, nämlich
der Verstoß gegen die Gesetze, also die Festlegung von dem, was wir
als Recht anerkennen. Die Rechtserkenntnis wird begleitet vom
menschlichen Gewissen, das man als Urteilsinstanz unseres
Bewusstseins anerkennt.
Aber was ist Gewissen wirklich, vor allem wenn man
weiß, dass es manchen Menschen vollkommen daran mangelt? Im
Lateinischen verwendet man dafür das Wort conscientia,
»Mit-wissen« (von Lateinisch con = »mit« und scientia
= »Wissen«). Wenn ein Mensch gewissenlos handelt, hat er dann
noch nie Gewissen besessen oder hat er beschlossen, es nicht zu
haben?

Merke: Ein gutes Gewissen hat im
Nachhinein derjenige, der im Moment des Geschehens, unabhängig von
äußeren Einflüssen, fähig ist, die richtige Entscheidung zu
treffen, und zwar zweifelsfrei.
Ist es nicht erstaunlich, dass es unzählige,
bewusst gegen das Gesetz Handelnde gibt, die nicht den Hauch eines
schlechten Gewissens haben?
Ist Gewissen trainierbar, ähnlich wie manuelle
Geschicklichkeit oder das Gedächtnis? Nein, Gewissen ist, wie es
ist, und es ist bei jedem Menschen im gleichen Maße im Charakter
und in der Art der Willensverwendung verankert. Und da unser Wille
mit unserem Höheren Ich verbunden ist, welches wiederum
dem Göttlichen nah ist, steht uns die Möglichkeit oder Gnade zur
Verfügung, über unser Gewissen den Willen, also das Gesetz des
Allerhöchsten zu erfahren. Doch einige von uns entscheiden sich
gegen ihre innere Stimme. Und das beruht auf einer einzigen
Ursache: Sie wollen ein Ergebnis, eine Ernte auf der Stelle, und
zwar um jeden Preis, also auf Kosten anderer und nur zu ihrem
eigenen Vorteil. Dieser Entschluss bringt ihnen eine derart
intensive Befriedigung, dass kein Gewissen der Welt dagegen wirken
kann. Con-Scientia? Mit-Wissen? Ich sprach in den letzten Jahren
vor seinem Tod des Öfteren mit einem hochbetagten Herrn, der immer
und immer wieder betonte: »Ich bin zufrieden. Ich sterbe mit gutem
Gewissen.«
Eines Abends, als die zwei Sätze nach dem dritten
Glas Rotwein wieder ausgesprochen wurden, sagte ich zu ihm: »Wissen
Sie, es gibt zwei Arten von Zufriedenheit im Alter. Die erste
entsteht aus der Gewissheit, dass man alles so gut gemacht hat, wie
man nur konnte, während die zweite nichts ist als Frustration, weil
man erkennen muss, dass man an dem, was man angerichtet hat,
sowieso nichts mehr ändern kann. Welche ist denn Ihre
Zufriedenheit?«
Er sagte lange nichts, doch dann erzählte er mir
von einem Erschießungsbefehl, den er als junger Oberleutnant im
Zweiten Weltkrieg auszuführen hatte. »Es waren acht Kameraden«,
sagte er und die Tränen rannen ihm über die Wangen, »aber es war
doch Pflicht! Was hätte ich denn tun sollen?«
Kann ein Mensch jemals wieder Frieden in seinem
Inneren finden, frage ich mich, wenn er so etwas erlebt und getan
hat? Das Gewissen sagt: Nein! Aber was wäre die Alternative
gewesen? Steht nicht im Matthäus-Evangelium geschrieben: »Was ihr
dem geringsten meiner Brüder getan habt, das habt ihr mir getan«?
Charakter zeigt sich in den Entscheidungen, die im Moment der
Belastung getroffen werden. Was wäre in diesem
Fall die optimale Handlungsweise gewesen? Vielleicht die
Weigerung: »Nein, Herr General, ich töte keine Kameraden!« Oder was
sonst? Er wäre sofort vor ein Kriegsgericht gekommen, oder, noch
wahrscheinlicher, auf der Stelle mit den acht Kameraden exekutiert
worden. Was wäre »besser« gewesen?
Vielleicht fragen Sie jetzt: Was hat denn das mit
»Loslassen« und mit meinen heutigen Problemen zu tun? Es soll Ihnen
vor Augen führen, was Entscheidung und was Gewissen bedeutet und
welche Rolle der freie Wille spielt. Es ist das Problem des
Hausmeisters Jakob Schmid, der vor fast siebzig Jahren die
Geschwister Scholl beim Verteilen ihrer Flugblätter beobachtete und
sie bei der Gestapo denunzierte. Was hätte er tun sollen? Er war
Parteimitglied und überzeugter Anhänger des Systems. Und er war
weiterhin überzeugt, eine ruhmreiche und pflichtbewusste Handlung
vollbracht zu haben, denn es waren ja seiner Meinung nach
Systemschädlinge, denen er das Handwerk gelegt hatte.
In der Folge wurden zahlreiche Mitglieder der
Widerstandsbewegung »Weiße Rose« verhaftet und enthauptet oder
eingesperrt. Jakob Schmid wurde befördert und bekam als Belohnung
für seine Heldentat 3 000 Reichsmark (vergleichbar mit etwa 10 000
Euro heute).
Jakob Schmids Tat ist, aus heutiger Sicht
betrachtet und im Vergleich zu anderen Geschehnissen der damaligen
Zeit, eher als »minder schweres Vergehen« einzustufen. So habe ich
es noch in der Schule gehört und bin kurz darauf wegen »Störung des
Unterrichts« aus der Klasse geflogen. Ich fand sein Verhalten nicht
»minder schwer«, denn gilt nicht auch der Satz: »Unwissenheit
schützt vor Strafe nicht«? Wird Unrecht zu Recht, wenn alle der
Deformation beistimmen und sie mit Applaus begleiten? Macht,
Wohlstand, Sex. Etwas sein wollen, etwas haben wollen, etwas spüren
wollen? Um jeden Preis! Minder schwer?
Es geht mir um die Offenlegung des vermeintlichen
Anspruchs auf Befriedigung dieses kleinen, immer hungrigen und
gierigen Triebfaktors Ego, der nicht einmal weiß, wie Gewissen
buchstabiert wird, und der, um die oben genannten drei Leckerbissen
für sich verbuchen zu können, alles tun würde: Morden, verraten,
intrigieren, denunzieren und, und, und.
Wer sündigt, wird von Gott betraft?
Bitte streichen Sie diesen Satz! Für immer!
Gott ist ein ewiges geistiges Prinzip. Das Ego ist
ein sich prinzipiell an Materie orientierendes und deshalb
sterbliches Wesen. Orientiert sich das Streben nach Macht an
Materie? Sucht der Ruhmsüchtige die Materie? Bekommen wir Sex durch
Materie?
Ja und dreimal ja! Denn Menschen sind der Materie
untrennbar verhaftet durch ihren Körper, durch ihre Lebensführung
und durch ihr Verständnis von Selbst-Bedeutung.
Gott straft die Sünder?
Gott führt in Versuchung?
Manchmal wünschte man wirklich, dass der Himmel
sich öffnen und eine Stimme erschallen möge, die sich lautstark
diese Zuweisungen verbittet!
Gott reagiert auf jeden Schritt, den wir in seine
Richtung gehen oder, besser gesagt, denken, fühlen und handeln, und
zu diesen Schritten gehören auch Reue und Erkenntnisstreben. Durch
diese seelischen Vorgänge können ganz besondere Kräfte aktiviert
werden, die uns helfen, Versuchungen zu durchschauen und zu
überstehen. Wir leben in der Versuchung, und bei denen, die
uns in diese Versuchung gelockt haben, handelt es sich um dieselben
Wesenheiten, die hinter allem stecken, was Krieg, Ausbeutung und
Perversion seit Tausenden von Jahren entstehen und existieren
lässt, was mit Tausenden von Menschen und Kostümen als
»Zeiterscheinung« verkleidet
auftritt und sich manchmal sogar als »Notwendigkeit(!)«
zelebrieren lässt. Dies ist kein Hirngespinst und auch kein
Symbolismus, sondern verstörende Realität, die sich fatalerweise
nur demjenigen zeigt, der sie durchschaut und der sich, der
Erkenntnis folgend, nicht mehr als Handlanger missbrauchen lässt.
Wer diesen Entschluss fasst, braucht sich am Ende seines Lebens
nicht mit der Entschuldigung zu blamieren, er habe ja nur seine
»Pflicht« getan.
Wie viele große Persönlichkeiten der Vergangenheit,
wie viele unserer Vorfahren haben diese verstörende Realität mit
ihren irdischen Repräsentanten selbst vor Augen gehabt und mit
eigenen Ohren gehört, haben der Erkenntnis aber nicht Folge
geleistet? Warum? Weil es immer um Besitz, Macht/ Ruhm und Sex
geht, mit einem Wort: um Ego-Befriedigung.
Sie sagen, Besitz sei Ihnen egal?
Also, bitte!
Sie denken, Sie haben/wollen keinen Ruhm, Sie
pfeifen auf Macht, und das bisschen »Erotik«, das Ihr Leben
koloriert, gibt Ihnen keinen Anlass zu tieferem Nachdenken?
Ruhm ist aber nicht nur die ordengeschmückte Brust,
das Bild in der Zeitung, der Beifall nach der Arie! Ruhm ist auch
das kleine weiche Innenfutter eines Satzes, der mit »Also, ich habe
… ich bin … oder ich werde …« anfängt. Alles, was Sie einem anderen
gegenüber darzustellen wünschen, ist Streben nach Ruhm.
Gefallsucht ist Streben nach Ruhm.
Kritik an anderen ist Streben nach Ruhm.
Klatsch und Intrige sind Streben nach Ruhm.
Heuchelei ist Streben nach Ruhm.
Ich beende diese Aufzählung nur deshalb, weil ich
weiß, dass Sie in der Lage sind, sie selbst endlos
weiterzuführen.
Sie wollen keine Macht? Alles, was Sie, und sei es
auch nur gedanklich, über einen anderen stellt, ist Streben nach
Macht.
Neid ist ein Streben nach Macht.
Üble Nachrede ist ein Streben nach Macht.
Missachtung anderer ist ein Streben nach
Macht.
Öffentlich zur Schau gestellte Hilfeleistung ist
ein Streben nach Macht.
Und nun warten Sie darauf, was es mit dem »Sex« auf
sich hat? Also gut:
Alles, was Sie für einen anderen ohne Gegenleistung
tun, hat einen sexuellen Hintergrund!
Ich wusste, Sie würden böse auf mich werden, denn
als ich diesen Satz zum ersten Mal zu hören bekam, wurde ich selbst
ganz furchtbar böse. Und dann ganz, ganz still. Denn angeleitet
durch kompromisslose Lehrer (Willst du den Weg der Klarheit gehen
oder nicht?), begriff ich bald, dass jedes Geben als Gegenleistung
entweder Wohlverhalten (I feel good!) erwartet oder Liebe
(I feel better!) oder Freundlichkeit und Sympathie (I
feel myself!) oder Körperkontakt (I feel …!) Haben Sie
es gemerkt? Wir reden gerade von der Empfindsamkeit der Sinne und
von ihrer Ansprüchlichkeit. Ich habe mit Absicht das Wort
»Anspruch« vermieden. Es »greift« die Eigenschaft nicht, die ich
beschreiben will. Unsere Sinne sind das Medium, das uns vermittelt,
ob und inwieweit wir »angenommen« werden. Die niedrigste Form von
Annahme (Kontakt) ist ein Kopfnicken, die höchste ist intime
körperliche Hingabe. Die Skala zwischen dem einen und dem anderen
ist weltumspannend und endlos und wird von Jung und Alt, König und
Bettler, Tyrann und Habenichts ganz subtil verwendet.
Aber was ist dann mit denen, die selbstlos geben,
helfen und sich verströmen? Ach, die Skala hat für jeden etwas
parat, was dem Sinnenkörper Freude macht und oft noch viel mehr,
als Außenstehende ahnen. Nein, ich spiele nicht auf die
zölibatsgeschädigten Geistlichen an, deren erzwungenes Loslassen
der
stärksten Triebkraft des Menschen sie außer Kontrolle bringt. Ich
spreche vielmehr von all den Mutter Teresas und Pater Pios, die den
Ärmsten und Leidenden der Welt Trost und Linderung brachten. Dazu
sei gesagt: Es gibt eine in die geistige Ebene transformierte Form
der Sexualkraft, welche in der Literatur als Erfahrung der
Glückseligkeit Gottes bezeichnet wird. Ein Hauch dieser
Glückseligkeit lässt sich im Orgasmus erahnen. Doch die Skala ist,
wie gesagt, unendlich. Und Gott ebenfalls.
Das Beruhigendste an ihm ist, dass alles menschlich
Denkbare und Machbare schon vorher in Seiner Wissbarkeit vorhanden
war und dass bei Gott alles möglich ist. Aber nicht
notwendig. Um diesen tiefen Graben zwischen möglich und notwendig
auszuloten, sind wir auf diese Erde gekommen - unerwünschte
Fremdlinge in einer Diaspora, die das Letzte fordert, was ein
Menschenwesen zu geben imstande ist, nämlich Leib und Leben.
Seit Millionen von Jahren hinterlassen wir diesem
Planeten, auf dem wir unbedingt inkarnieren, also physisch
erscheinen wollten, diese beiden untrennbar miteinander verbundenen
Hab-Seligkeiten: Leib und Leben. Und seit Millionen von Jahren
entwickeln, zerstören, kultivieren und degenerieren wir diese
Hinterlassenschaft mit einer beinahe bewundernswerten Ausdauer, die
(fast) an Verbissenheit grenzt.
Liebe Leute (hätte ich jetzt beinahe gesagt …), der
Zenit ist erreicht, längst erreicht und schon überschritten. Es
geht nicht mehr darum, von unseren kleinen persönlichen
Habseligkeiten, unseren cerebralen Privattheatern und unseren
Hirngespinsten Abschied zu nehmen, sondern vielmehr darum, endlich
die Kontrolle über unser Triebleben zu gewinnen, welches uns immer
und immer wieder in die Materie, in die Darstellung und in die
Zeugung treibt. Wir müssen sie endlich in den Griff bekommen,
diese Gier nach Macht, Ruhm und Sex und diese wahnsinnige
Sehnsucht, die uns unentwegt antreibt, diese drei mit Händen
begreifen, mit Sinnen zu erfahren und mit unseren Zeugungskräften
am Leben erhalten zu wollen. Wir müssen loslassen, bevor wir dazu
gezwungen werden, bevor die Not so groß ist, dass wir nicht mehr
anders können und bevor wir als Geschlagene das Spiel des Lebens
verloren geben müssen.
Fragen Sie noch immer, was loszulassen
ist?
Ich wusste es: Sie werden mir böse sein …
Wir müssen diese Erde loslassen, bevor sie uns
vollends vereinnahmt.