3. KAPITEL
006
Die Aktionsebenen des Loslassens
Spätestens ab der Lebensmitte beginnen Menschen die Last all des Überflüssigen zu fühlen, die sich, je älter man wird, immer drückender auf die Seele legt. Es erstaunt mich immer wieder, wie wenig konkret diese Belastungen bezeichnet werden können. Fast scheint es, als würde so mancher sein »Pinkerl« wie ein Geheimnis hüten oder es schamhaft verbergen wollen, wie ein an versteckter Stelle aufgetretenes Furunkel, mit dem man sich abgefunden und irgendwie arrangiert hat. »Es ist eben, wie es ist. Da kann man nichts ändern«, bekomme ich dann meist mit einem Seufzer verbunden zu hören.
Wir haben, bei allem was wir tun, grundsätzlich drei Möglichkeiten zu entscheiden:
1. das vollkommene, klaglose Annehmen der Gegebenheit, die Bejahung, das Take It;
2. das kompromisslose, finale Loslösen vom Bestehenden, die Verneinung, das Leave It;
3. das abwartende, beobachtende Ausharren, das Neutrale, welches auf die Zeichen der Zeit wartet, um dann zu reagieren, das Change It.
Für eine dieser drei Möglichkeiten sollte man sich möglichst klar entscheiden und die daraus resultierenden Konsequenzen ohne Wehleidigkeit tragen. Das Erste und Wichtigste ist jedoch, klar festzustellen und laut auszusprechen, was man als Belastung empfindet. Es kostet so manchen braven Sohn, Vater oder Ehemann und gar manche treu sorgende Tochter, Mutter und/oder Ehefrau eine riesige Überwindung auszusprechen, dass sie (Schwieger-)Eltern, Kinder, Chef, Freundin, Freund, Kollege am liebsten eliminiert sähen, wenn es denn leicht und schmerzlos vonstatten gehen könnte. Auch das wäre eine Form des Loslassens, für die ich in so manchen Fällen mehr Verständnis aufbringen könnte, als von einer sanftmütigen, spirituellen Lehrerin erwartet werden darf. Solch eine wütende Empfindung wäre die Konsequenz einer dauernden Belastung, die schließlich zur Überbelastung wird und letztendlich die Leidensgrenze (Toleranz!) sprengt.
Erinnern Sie sich noch an die »Delphischen Anweisungen« im vorhergehenden Kapitel? Da steht doch geschrieben: »Entferne alles …« Und: »Wahre deine Würde!« Jeder von uns hat eine Vorstellung davon, wie er als »Ich« gesehen und wahrgenommen werden möchte, und zwar sowohl von sich selbst wie auch von anderen. »In jedem ruht ein Bild des, was er werden soll …«, sagt Friedrich Rückert und meint damit das Idealbild, die Idealvorstellung. Ich kenne keinen Menschen, der sich selbst als Versager, nervöses Wrack oder heruntergekommenen Schwächling sehen möchte oder von anderen so bezeichnet werden will. Sieht sich ein Mensch über längere Zeit einer solchen oder anderen, deutlich negativen Wahrnehmung durch andere ausgesetzt oder empfindet sich selbst als nicht mehr lebensmächtig, wird er/sie aggressiv, depressiv oder süchtig. Süchtig nach Erleichterung, Trost, Bestätigung, Erlösung, Befreiung und - Lust.
Denn bevor ich die viel geforderte »Freude« erwarten kann, muss ich nicht nur die Lust entwickelt haben, sie überhaupt erleben zu wollen, sondern auch geklärt haben, nach welcher Art von Freude sich meine Seele sehnt.
007
Merke: Freude ist eine Folge, keine Voraussetzung, und mit Spaß hat sie schon gar nichts zu tun.
In den letzten Jahrzehnten scheint sich die Idee immer mehr eingebürgert zu haben, dass wir ein »Anrecht auf Freude im Leben« haben. Alle Versuche, diese Freude herzustellen, die ich beobachten konnte, haben mich, den grüblerischen, introvertierten Skorpion, entweder belustigt oder verscheucht. Hier einige der vermeintlich wirksamen Freudenhilfsmittel unserer Spaßgesellschaft: Partys, Comedy-Humor, Shopping-Touren, Events mit dem Kennzeichen »viel Lärm, viele Leute« wie Volksfeste, Fasching, Discotheken, Clubs, Sportveranstaltungen und so weiter. Außerdem Alkohol, Drogen und - Sex.
»Aha«, werden Sie denken, »diese Frau ist eine kommunikationsgestörte, triste und zu allem Überfluss auch noch prüde und sexfeindliche Einsiedlerin, die niemandem ein bisschen Spaß gönnt und selber keinen versteht.«
Ich versichere Ihnen: Ich habe alles, aber auch wirklich alles mitgemacht, manches nur als Zuschauerin, vieles als aktiv Beteiligte, oft als Protagonistin. Doch ich musste sehr schnell feststellen, dass ich wohl anders gebaut war und dass es in meiner Umgebung anscheinend nur sehr wenige ähnliche »Gebäude« gab. Ich wollte mehr, denn ich habe den Anspruch, mich von Erlebtem aufgebaut, verbessert und weitergebracht zu fühlen.
Die Qualität eines Abends zeigt sich am nächsten Morgen, und zwar im ersten Moment des Erwachens, wo die Vorausplanung der kommenden Stunden im Gedankenspiel noch nicht wirksam ist. Was lässt sich da fühlen?
Bleiben Sie in diesem kostbaren Moment, in dem Ihre Seele aus dem durch den Schlaf vermittelten »Heimaturlaub« zurückkehrt, doch einmal ganz bewusst bei sich. Bei den Empfindungen, die sich Ihnen in diesen wenigen Sekunden mitteilen, bevor Ihre Gedankenwelt wieder aktiv wird, handelt es sich um die wahrhaftige Eigenbeurteilung Ihrer Vergangenheit mit allen Erlebnissen, Handlungen und Beobachtungen. In diesem kurzen Moment könnten Sie ungestört feststellen, was Ihnen (Ihrer Seele) gutgetan, also Freude gemacht hat und was schlecht und überflüssig war oder Ihnen sogar Schaden zugefügt hat. Diese immens kurze Zeitspanne - meist sind es nur drei bis fünf Sekunden - können Sie, nachdem Sie die in einem späteren Kapitel besprochene Gedankenkontrolle erlernt haben, beliebig verlängern und speichern, und das ist wichtiger als das »Merken« von Träumen.
Erfahrungsgemäß kann von einem jungen Menschen (bis 28) noch nicht verlangt werden, dass er diese Beobachtungen macht und Konsequenzen daraus zieht. Ab 30 sollte diese kontemplative Selbstbetrachtung jedoch so selbstverständlich werden wie das Zähneputzen. Warum?
Weil diese Betrachtung Ihnen eindeutige Hinweise auf Ihre Dos and Don’ts gibt, und weil Sie in diesen kostbaren Augenblicken, in denen Sie noch eins mit Ihrem Selbst sind, ganz klar erkennen können, was Sie loslassen müssen und was Sie festhalten und ausbauen sollten. Es gibt einen Film, in dem diese bewusste Vereinigung von Animus, Anima und Höherem Ich in vollendet schönen Symbolbildern gezeigt wird: Der Tag des Falken. Rutger Hauer spielt darin einen mit einem Fluch belegten Gardekommandanten, der nächtens zum Wolf wird. Begleitet wird er von seiner ebenfalls unter einem Zauberbann stehenden Geliebten (Michelle Pfeiffer), die tagsüber ein Falke ist und erst, wenn die Sonne untergeht, wieder ihre menschliche Gestalt erhält. Nur in dem winzigen Moment des ersten Lichteinfalls ist es den beiden Liebenden vergönnt, sich gegenseitig als das Menschenpaar wahrzunehmen, das sie einst waren und sehnsüchtig wieder zu werden versuchen.
Wir alle werden aus der Gewissheit der Vollkommenheit geboren. Doch die irdischen Bedingungen decken diese Gewissheit zu und machen aus ihr eine vage Erinnerung, eine Ahnung, die zeitlebens vom Zweifel einer Sterblichkeit bedroht wird, welche uns die Materie suggeriert. Dabei hätten wir die besten Möglichkeiten, unsere Schutzschilder oder sogar Waffen gegen diese Vereinnahmung zu erheben. Das Erstaunliche ist, dass sich nur etwa fünf Prozent aller Menschen dieser Abwehrmöglichkeiten bewusst sind und dass - noch erstaunlicher - nur etwa anderthalb bis zwei Prozent sie wirklich einsetzen.
Es gibt überraschend viele Anbieter von Kursen, deren Beschreibungstexte die Hoffnung wecken, dass die Verwendung der eben erwähnten Schutzmaßnahmen dort vermittelt wird. Und manche Kurse erfüllen diese Hoffnungen sogar. Doch der Prozentsatz der Kursteilnehmer, die das Erlernte auf Dauer tatsächlich anwenden, ist wiederum verschwindend klein.
»Zu wenig Zeit« ist das am häufigsten vorgebrachte Argument. »Zu wenig Bewusstsein«, muss man leider antworten. Denn hier wird zwar eine Rüstung angeboten, doch anschließend wird ein Seidenhemdchen daraus gemacht.
»Wir müssen wach sein
Aus Träumen hochgeschreckt
Wir müssen wach sein
Von Argwohn geweckt
Wir müssen wach sein
Und nicht zu schwach sein,
Um nicht durchzudrehen …«
So sang einst die italienische Künstlerin Milva. Das Wachwerden ist ein schmerzlicher Reinigungs- und Erkenntnisprozess, der dem bewussten und dadurch selbstverständlichen Loslassen vorausgehen muss, denn sonst werden Sie in dem ständigen Gefühl leben, schmerzlich auf etwas verzichtet oder etwas Wichtiges versäumt zu haben, oder Sie würden ständig am Nutzen der ganzen Aktion zweifeln, was noch schlimmer wäre.
Bevor ich nun sämtliche Abwehrmöglichkeiten mit Ihnen bespreche, möchte ich, dass Sie wirklich wissen, wogegen Sie sich wehren und schützen sollten, und auch eine Ahnung davon bekommen, wie Sie mit dem Thema Angst umgehen können. Denn das »Losgelassene«, das seinen Halt und seine Heimat bei Ihnen gefunden zu haben glaubte, hat seine Existenz durch eine Kraft legitimiert, die es aus Ihrem Seelenkörper gezogen hat, und wird diesen Entzug nicht kampflos hinnehmen. Seine »Wiederverwendungsangebote« und die notwendige, mit dem Loslassen einhergehende Veränderung der Perspektiven und Muster erzeugen fast immer einen Zustand, auf den der Seelenkörper mit einer Neuorientierung seiner Kräfte reagieren muss, was von der betreffenden Person als »schlechtes Befinden« oder Angstgefühl empfunden wird.
Fürchten Sie sich vor Umzügen? Ich habe gerade meinen 23. (!) hinter mir, und er fand statt, während (!) ich dieses Buch schrieb. Er hat nicht wirklich gestört, denn als bestens trainierter Ortswechsler weiß ich: Der Horror muss und wird enden, und das wird umso schneller gehen, je klarer mir ist, dass ich und nur ich Produzent, Regisseur und Hauptdarsteller in diesem Film bin. Selbst wenn ich delegiere, habe ich die Übersicht (sprich Aufsicht) zu behalten, die Verantwortung zu tragen, für geeignete Hilfskräfte zu sorgen, klare Anweisungen zu geben und genügend Erholungsmomente einzuplanen. Vorbereitung ist alles. Die Planung muss fachmännisch sein. Und dennoch muss von vornherein akzeptiert werden, dass nichts so laufen wird, wie es geplant war, weil die Dinge des Lebens eine Eigendynamik haben, die sich zu fünfzig Prozent der klügsten Planung entzieht. Wer das begriffen hat, kann als Bankräuber erfolgreich sein, jede Spielbank sprengen oder zum Meister des Loslassens werden. Die Grundlage muss stimmen, Ihre ganz persönliche Einstellung muss gut und klug vorbereitet sein, damit das »Werk«, Ihr Vorhaben schließlich von Erfolg gekrönt sein kann.
Ich kann einen Umzug heute beschließen und ihn übermorgen beendet haben. Das kostet unendlich viel Kraft, sehr viel Geld und noch mehr Nerven. Aber es ist möglich, wenn ich weiß, wie es geht. Natürlich können Sie auch Ihr Loslass-Programm innerhalb von drei Tagen durchziehen. Fragt sich nur: Warum diese Gewaltaktion? Es sei denn, es geschieht ganz einfach und selbstverständlich, so wie bei Lisa della Casa: Ich mache nicht mehr mit. Ich bin raus aus dem Spiel. Und Tschüss! Keine Nerven, keine Kraft. Kein Geld. Nur: Nein, danke!
Allerdings - wenn Sie ganz sicher wüssten, dass es bei Ihnen genau so ablaufen würde, hätten Sie nicht zu diesem Buch gegriffen. Es soll Sie nicht reuen, denn möglicherweise können auch Sie den »Della-Casa-Effekt« erleben, wenn Sie sich der Realität stellen und bereit sind, ohne Kompromisse entsprechende Konsequenzen zu ziehen. Je besser ein Mensch über die innere Beschaffenheit von Vorgängen informiert ist, desto weniger wird er sich ängstigen oder abschrecken lassen und desto klüger kann er agieren und reagieren.
Deswegen werde ich Ihnen hier zunächst das »technische Grundlagenwissen« vermitteln, das Ihnen die Auswahl erleichtert und das auch die Durchführung Ihres Loslass-Prozesses überschaubarer und leichter machen wird. Ihr Loslassen, das wir ab sofort auch Ihre Selbst-Transformation nennen, findet immer auf drei Ebenen gleichzeitig statt, nämlich auf der geistigen, der seelischen und der materiellen. Innerhalb dieser drei Dimensionen haben Sie mehrere Möglichkeiten, Ihre Veränderung zu gestalten, Ihre ganz persönliche Form des Absegnens Ihrer »Verlassenschaft«, nämlich:
a. die bewusste, freiwillige, aktive Veränderung,
b. die an das Höhere Selbst abgegebene Veränderung,
c. die Bejahung einer schicksalsmäßig herbeigeführten Veränderung.
Version A würde von Ihnen verlangen, dass Sie in absehbarer Zeit aufstehen, laut sagen, was Sie verändern werden (nicht wollen!), und es dann hundertprozentig tun. Diese Handlungsweise erfordert zunächst eine kontemplative Innenschau, eine genaue Betrachtung Ihres bisherigen Lebens und eine klare Erkenntnis der bisherigen Korrektureingriffe des Schicksals.
Muten Sie sich keine großartigen Verzichtsaktionen zu, die Sie später nicht durchhalten können. Lieber mit kleinen Schritten gewinnen, als mit großen zu stolpern. Ihre Selbstbeurteilung muss ohne Emotion und Emphase erfolgen, dafür aber mit kühlem Verstand und im Bewusstsein der Verantwortung für die Konsequenzen, die Sie selbst tragen müssen und denen auch Ihr Umfeld ausgesetzt sein wird. Diese Art der Selbsterziehung ist nur starken Persönlichkeiten und willenserprobten Charakteren zu empfehlen.
Möglichkeit B eignet sich für Menschen, die fest entschlossen sind, ihr Leben zu ändern, sich aber selbst nicht in der Lage sehen, diese Veränderung herbeizuführen. Hier wird etwas an den Kosmos abgegeben, und zwar in vollem Vertrauen auf eine übergeordnete Weisheit, welche für die besten Möglichkeiten und Fügungen sorgen wird, um das Loslassen zu bewirken.
Version C ist die am wenigsten empfehlenswerte, denn sie läuft ohne Terminplan und ohne thematische Festlegung ab. Hier wird es einfach dem Lauf des Schicksals überlassen, ob, wann und wie sich die Veränderung anbietet.
Ich will nicht verschweigen, dass ich selbst Methode C sehr schätze. Aber um sie nutzbringend anzuwenden, benötigt man ein paar Voraussetzungen, die nur nach intensiven Vorarbeiten gegeben sind. Dazu gehören die genaue Kenntnis des eigenen Schicksalsplans, die absolute Einhaltung der persönlichen Doand-Don’t-Liste und nicht zuletzt sehr viel Mut und spontane Entschlusskraft.
Nun müssen die drei Möglichkeiten in Zusammenhang mit den drei Ebenen (geistig, seelisch, materiell) gebracht werden, denn das Loslassen bezieht sich auf jede dieser Ebenen, ganz gleich, ob Sie sich vom großmütterlichen Kuchenbuffet trennen, aus einer Beziehung lösen oder Ihren Beruf wechseln wollen.
Beschäftigen wir uns also einmal mit der geistigen Dimension und versuchen uns vorzustellen, wie sich ein »Loslassen« auf dieser Ebene abspielen könnte. Unser Gehirn kann als eine Art Atmungsorgan des Geistes angesehen werden, das sich jedoch individuell einsetzen und prägen lässt. Es besteht aus über hundert Milliarden Nervenzellen, die auf einer 760 000 Kilometer langen Verbindungsstrecke interagieren, das heißt, auf die Reize reagieren, die wir ihnen bieten. Diese Reize können über mentale Einflüsse, seelische Empfindungen oder materielle Konfrontation erfolgen, allerdings nicht ohne den Kraftstoff »Geist«, denn ohne ihn funktioniert gar nichts.
Was ist unter »Geist« und »geistig« zu verstehen? Wie wir alle wissen, ist Geist immateriell, also nicht greifbar, sichtbar oder hörbar. Mithilfe des Geistes, den wir über die Schaltzentrale unseres Körpers, das Gehirn, in Anspruch nehmen und unserer Wahrnehmung zur Verfügung stellen, funktioniert unsere gesamte Gedankenwelt, und das schließt intelligente Problemlösungen genauso ein, wie unsere Überlegungen zur Gestaltung eines netten Abendessens.
Obwohl wir den Geist ganz selbstverständlich verwenden und uns häufig als Erzeuger fühlen, die sich dieses »Stoffes« bedienen und ihn auf sämtliche Funktionen ihrer Physis übertragen, ist es bei genauer Betrachtung ähnlich lächerlich zu behaupten, dass wir Geist »erzeugen«, als würden wir von unserem Laptop behaupten, er stelle die elektrische Energie, mit denen er seine Funktion erfüllt, selbst her. Der Laptop ist und bleibt eine Empfänger-, Sende- und Speicherkonstruktion, genauso wie das Menschenhirn. Beide können nur durch ein geistbegabtes Wesen in Aktion gebracht werden, das sich über diese, zugegeben genialen, materiellen Medien ausdrückt.
Je weniger ein Mensch gelernt hat, mit seinem Gehirn (Computer, Auto usw.) umzugehen, desto mehr wird er das Gefühl haben, dessen Funktionen ausgeliefert zu sein. Je umfangreicher seine Informationen sind und je mehr Erkenntnisse er durch Beschäftigung, Interesse und Erfahrung gewonnen hat, desto größer wird die »Mächtigkeit« des Benutzers. Ohne Geist (elektrischen Strom, Benzin u. ä. Kraftstoffe) kommt der »Apparat« zum Erliegen. Und wenn der »Apparat kaputt« ist, existiert der Geist (Benzin, Strom) zwar noch immer, kann sich aber nicht mehr ausdrücken, weil das Ausdrucksmedium fehlt. Wir Menschen sind Ausdrucksmittel eines individuell (ich) und (nicht oder!) kollektiv (wir) wahrgenommenen Kraftwesens, dem wir zugehörig sind und auf dessen Gestaltung und Entwicklung wir Einfluss nehmen, genau wie dieses Kraftwesen mittels »Geist« auf uns Einfluss nimmt.
Die Intensität dieser Wechselwirkung hängt von der Bewusstheit des Benutzers ab, in diesem Fall also von der Bewusstheit des Menschen. Gebe Gott, oder welche Macht auch immer, dass es irgendjemandem vergönnt sein wird, diese Zusammenhänge endlich mit naturwissenschaftlichen Mitteln zu beweisen, damit diese, eigentlich seit mehr als 2000 Jahren bekannten Zusammenhänge nicht mehr Gegenstand endloser Diskussionen sein müssen. Für dieses Buch genügt es zu wissen, dass wir »Geist« nach Charakter und intelligentem Vermögen verwenden können und dass sich unser sogenanntes Wesen, also das Ich, mithilfe von Geist auf dieser Erde physisch darstellen lässt.
Innerhalb dieses komplexen Systems Mensch haust das Ich, das für den Rest des Buches die Hauptrolle spielen wird. Dieses Ich ist der Teil Ihrer Person, den Sie als das anerkennen, was sie von sich und über sich selbst verstehen, wenn Sie »Ich« sagen. Niemand anderer kann dieses Wort für Sie verwenden. In dem Moment, wo Sie es aussprechen, teilen Sie einem Du, einer Gruppe oder dem Rest der Welt etwas über eine Aktion, eine Befindlichkeit oder eine Selbstwahrnehmung mit, und das ist bei achtzig Prozent der Aussagen, die Sie tätigen, von einer Willensäußerung gekennzeichnet.
Dieser Wille, über dessen tatsächliche Freiheit auch die Forschungen in den nächsten sechzig Jahren noch neue (oder uralte) Erkenntnisse bringen werden, ist eine vom Ich verwaltete Instanz, die unentwegt angehalten ist, uns Entscheidungen abzuverlangen. Zum Glück ist es uns erspart geblieben, diese konstante Stressbelastung unentwegt mit vollem Bewusstsein wahrzunehmen. Trotzdem strengt sie uns permanent an und trägt - abgesehen von dem ganz normalen physischen Energieverbrauch - ganz erheblich zu der Müdigkeit bei, die zu einem erhöhten Schlafbedürfnis führt und schließlich zum Altern und zum Tod. Natürlich haben wir die Chance, während wir schlafen, Kraft zurückzugewinnen, doch ab der Lebensmitte (42) ist es niemals mehr dieselbe Menge an Kraft, die wir am Vortag im Moment des Erwachens zur Verfügung hatten. Jeder Morgen sieht uns ein bisschen älter und ein Stückchen weiter auf dem Lebensweg, der ebenso endlich ist wie unsere tägliche Kraftreserve.
Wenn Sie die letzten Zeilen aufmerksam gelesen haben, müsste jetzt eigentlich eine finale Erkenntnis in Ihnen aufgestiegen sein: Wenn es das ewige Hin und Her der Entscheidungen ist, das mich täglich meine Lebenskraft kostet, dann muss dies auf der Stelle reduziert werden!
Ganz richtig erkannt, diese Notwendigkeit. Und nun geht es nur noch darum, das Problem zu analysieren und in den Griff zu bekommen. Der Trick, den es zu erlernen gilt, heißt Selbst-Beobachtung. Ab dem Moment, wo Sie gelernt haben, sich selbst zu beobachten (im Gegensatz zu »sich selbst beachten«), können wir uns dem eigentlichen Thema dieses Buches zuwenden, das, wie Sie längst ahnen, »Neukoordination meines neuronalen Systems und Neugestaltung meiner Lebensführung« heißt. Die Kurzform für dieses persönliche »Relaunching« heißt Loslassen.
Wenn Sie sich jetzt bitte noch einmal die drei biografischen Skizzen im ersten Kapitel dieses Buches anschauen, wird Ihnen auffallen, dass dieses persönliche »Relaunching« in nur einem der geschilderten Fälle auf einer rein geistigen Ebene stattgefunden hat, nämlich bei Augustinus. Er ist aber keineswegs der Einzige, der eine solche Kollision mit dem Überbewusstsein, auch Über-Ich genannt, erlebte. Es kommt auch in der heutigen Zeit durchaus vor, dass ganz unauffälligen Normalbürgern an der Straßenbahnhaltestelle ein solches Erlebnis geschenkt wird, und dann sind diese Menschen genauso erschüttert und fühlen sich genauso fassungslos ausgeliefert wie der junge Augustinus.
Doch was hat sich bei Augustinus denn nun wirklich verändert? Was ist anders geworden an seinem Charakter und an seiner Persönlichkeit?
Geben Sie in eine Kartoffelsuppe fünf Esslöffel Zucker. Bringt dies die ursprüngliche Substanz zum Verschwinden? Genauso war alles, was den jungen Augustinus vorher ausgemacht hatte, auch nachher noch vorhanden. Doch ein Attribut war hinzugekommen, das seine bisherige Lebensform überflüssig, ja sogar unmöglich machte und bewirkte, dass sich sein Empfindungs- und Verstandesvermögen um 180 Grad drehte: ein inspirativer Erkenntnismoment. Auch Sie werden alles behalten, was Sie als die Persönlichkeit ausmacht, die man bis heute gekannt hat, wenn Sie sich auf eine individuelle Transformation auf der geistigen Ebene einlassen. Aber Ihr Umgang mit Ihrer Gedankenwelt wird sich verändern. Das wird sich sehr schnell auf Ihr emotionales Empfinden und Ihre Handlungen auswirken und damit auch auf Ihre Wegbegleiter, auf die materiellen Dinge, mit denen Sie sich umgeben und über die Sie sich definieren (Kleider, Schmuck, Wohnung, Auto usw.) sowie auf die Reviere, die Sie frequentieren (Geschäfte, Restaurants, Erholungsorte usw.).
Dies alles wird entweder sanft und selbstverständlich vor sich gehen oder wie ein Erdbeben. Es kann sieben oder siebzig Jahre oder sieben Stunden und sieben Minuten dauern, bis kein Stein mehr auf dem anderen liegt. Zu Ihrer Beruhigung, Sie werden dann in jedem Fall wissen und fühlen, dass es gut ist, selbst wenn die anschließenden Räumungsarbeiten aufwendig sein sollten.
Doch kommen wir zum Punkt. Wie erreichen Sie diese unglaubliche Transformation?
Da stellt sich zunächst die Gegenfrage: »Wollen Sie das A-, das B- oder das C-Erlebnis?« Also die sofortige, völlig bewusste und endgültige Veränderung, oder doch lieber das vom Kosmos (den Göttern, den Engeln, der Zeit usw.) unterstützte Modell? Oder wagen Sie gar Version C, bei der Sie nie wissen, aus welcher Ecke der Ball geflogen kommt, ihn aber trotzdem fangen müssen? Vermutlich sind Sie noch unentschlossen, weil Sie noch gar nicht wissen, was denn konkret getan werden muss.
Ich sage es Ihnen: Suchen Sie in Ihrer Gedankenwelt so lange, bis Sie eine nicht emotional verankerte Meinung oder Einstellung gefunden haben, an der Sie seit Jahren (je länger, desto lieber) festhalten. Es ist gar nicht so schwer, solche Stützpfeiler des eigenen Denkgebäudes aufzuspüren. Sie zu verändern gestaltet sich äußerst schwierig, sie auszulöschen ist schier unmöglich. Als Beispiel gebe ich Ihnen ein Denkmuster, das Sie sicher kennen und das man in der Regel als Kind implantiert bekommt, meist via Religionsunterricht. Es heißt: Wer sündigt, wird vom lieben Gott bestraft.
Sagen Sie jetzt nicht einfach, Sie hätten diesen Satz längst aus Ihrem persönlichen Schreckensrepertoire gestrichen. Machen Sie sich vielmehr klar, dass er zwei archaische Saugnäpfe enthält: die Worte »Gott« und »Sünde«. Jahrhundertelang haben sich unsere Vorfahren Geschichten von dem beleidigten Gott des Alten Testaments anhören müssen, der trotz aller Güte auch als fürchterlicher Rächer und Bestrafer auftreten konnte, wenn jemand zum Sünder geworden war. Sie wollen doch nicht wirklich glauben, dass Sie etwas, das schätzungsweise 4000 Jahre lang Glaubens- und Identitätsgrundlage einer ganzen Kultur war, in ein paar Jahrzehnten eliminieren können. Und selbst wenn dies möglich wäre, gilt immer noch: Wo man eine Basis radikal und ersatzlos entfernt, entsteht ein Vakuum und in der Folge machen sich Rat- und Haltlosigkeit breit.
Kommt Ihnen das bekannt vor? Ja, wir leben in einer ratund haltlosen Zeit, die uns für so manches losgelassene Denkmuster keinen Ersatz liefern konnte und wollte. Schließlich haben wir die große Freiheit entdeckt, die Liberation der Persönlichkeit und ihrer Entwicklung, die Selbstverwirklichung, die Emanzipation. Die Parole lautet: Kein Gott, keine Sünde, keine Moral, kein schlechtes Gewissen.
Was ist der Ersatz für diese entzogenen Orientierungspunkte, die sich samt und sonders auf die menschliche Seele und das geistige Lebens beziehen? Der Ersatz - bitter aber wahr - kam in Form von technischen Erzeugnissen, den Ergebnissen einer fast unerklärlich rasanten Entwicklung, und überfordert die gesamte Menschheit derart, dass sie völlig verrückt spielt und eben dabei ist, die Verbindung zu ihrer inneren Orientierungsinstanz zu verlieren, die als Höheres Ich bekannt ist und dafür sorgt, dass die menschliche Psyche (also das neuronale System) gebrauchsfähig bleibt.
Wen interessieren die Angriffe außerirdischer Intelligenzen? Die Angriffe überaus irdischer Intelligenzen, denen wir täglich ausgesetzt sind, sind so bedrohlich, dass es keiner Außerirdischen mehr bedarf, um unsere geistige und seelische Gesundheit und Sicherheit zu gefährden. Unsere Nervensysteme und Gehirne wurden buchstäblich von Handys gegrillt, vom Internet konditioniert und absorbiert, von Funkwellen bombardiert und von vergifteter Nahrung umprogrammiert. Und dann hören wir wie zum Trost, dass die Fernseher noch flacher, die Kommunikationsmaschinen noch schnurloser und die Ersatzteile für den menschlichen Körper noch vollkommener werden.
Erkennen Sie bitte (bitte, bitte!), was Sie zuerst loslassen müssen. Sie müssen vor allem anderen Ihre Bereitschaft loslassen, an diesem Höllenprogramm mitzuwirken. Und begreifen Sie bitte auch, dass Ihre einzige Waffe dieses neuronale Wunderwerk ist, das sich unter Ihrer Hirnschale befindet und das in spätestens zwanzig Jahren so deformiert sein wird, dass die Menschheit noch viel mehr Dinge gutheißen wird, über deren No-Go-Charakter sie sich einst vollkommen einig war. In spätestens zwanzig Jahren wird dieses Buch verbrannt werden und ich, so ich noch lebe, mit ihm (was, schon wieder?), denn wir sind der Sand im Getriebe einer ganz bestimmten Entwicklung, nämlich dem Fortschreiten der subliminalen Beeinflussung, welche die maschinelle Erzeugung von Denkmustern gutheißt und diese irgendwann offiziell anbieten wird. So wie man Ihnen heute Flatrates zum Sonderpreis und Kredite für Schönheitskorrekturen offeriert, wird man dann versuchen, Ihnen sogenannte »Intelligence Optimizer« unterzujubeln. Auch Schulen werden bald dazu übergehen, den Lernstoff mittels maschineller Übertragung in die Speicher unseres Cortex einzuschleusen und nebenbei sicher auch das, was wir heute in der Computersprache als »Trojaner« bezeichnen: scheinbar harmlose Software, über die dann zersetzende und zerstörende Schadprogramme eingeschleust werden. Ab sofort höre ich mir gern an, dass ich eine Schwarzmalerin bin, die nur die »dunkle Seite der Macht« sehen will. Doch es tut mir leid: Ich kann diese Dinge einfach nicht mehr übersehen. Und ich kann und will da auch nicht mitmachen.
Führen Sie sich bitte noch einmal das Denkmuster vor Augen, das da heißt: Wer sündigt, wird vom lieben Gott bestraft. Bevor wir dieses Denkmuster transformieren, werde ich Ihnen erklären, warum wir uns mit diesen sieben Worten auseinandersetzen müssen. Dieser Sieben-Worte-Bau ist die Grundlage unserer geistigen Existenz, unserer Triebe und unseres Willens, unseres sozialen Verhaltens, unserer Moral und ethischen Einstellung, unserer Kommunikationsfähigkeit. Soll ich fortfahren?
Nein, ich will Sie nicht in alttestamentarische oder inquisitorische Szenarien zurückversetzen, sondern nur Versäumtes nachholen, damit Sie das Loslassen wirklich tun können, sprich: damit Sie sich wirklich von dem lösen können, was Sie nicht nur festhält, sondern regelrecht verblöden lässt, manipulierbar macht und zu einem willigen Werkzeug von Machthabern, die Sie ganz bestimmt nicht gerahmt in Ihrem Wohnzimmer hängen haben wollen.
Es ist sinnlos, Ihnen trickreiche Übungen zur Veränderung Ihrer Denkmuster anzubieten, solange Ihre natürlichen Seelenkräfte nicht stark genug sind, diese Übungen durchzuhalten. Vielleicht ist Ihnen bis jetzt noch gar nicht aufgefallen, wie viel Prozent Ihrer ursprünglichen geistig-seelischen Widerstandskräfte Ihnen bereits abhandengekommen sind. Denn dieser Verlust Ihres moralisch-ethischen Empfindens und Ihrer anderen Denk- und Seelenkräfte ist ein schleichender Prozess, den Sie schon deswegen kaum bemerken, weil Ihr normales Bewusstsein mit den unglaublichsten Ablenkungsmanövern buchstäblich betäubt wird.
»Wer tut so etwas?«, werden Sie jetzt erschreckt oder erstaunt fragen. Dazu kann ich nur sagen: Wenn Sie sich wirklich umfassend über dieses Thema informieren wollen, wenden Sie sich an einen Physiker oder, noch genauer, an die beiden Atomphysiker Grazyna Fosar und Franz Bludorf. Diese beiden können Ihnen nicht nur die tiefsten wissenschaftlich fundierten Hintergründe aufzeigen, sondern riskieren es auch, die Namen derer zu nennen, die ein Interesse an einer Bewusstseinsverlagerung des Volkes haben. Bei mir selbst waren keine physikalischen Abhandlungen nötig. Ich bin diesem schleichenden Verlust einfach dadurch auf die Spur gekommen, dass ich die Veränderung meines Verhaltens, meines Denkens und meiner Be- und Empfindlichkeit unmittelbar nach bestimmten, länger (mehr als 10 Minuten) andauernden Beschäftigungen beobachtet habe. Es handelte sich um folgende Beschäftigungen:
• das Anhören sogenannter U-Musik, wie sie heute von allen bekannten Sendestationen ausgestrahlt wird,
• das Surfen im Internet,
• die Beschäftigung mit Computerspielen,
• Telefonate mit einem DECT-Telefon oder einem Mobiltelefon (Handy),
• Aufenthalte in sogenannten Einkaufszentren und
• Aufenthalte in Räumlichkeiten, die unter Beobachtung stehen, beispielsweise Flughäfen, öffentliche Verkehrsmittel, Banken usw.
Die negative Veränderung, die ich spürte, bezog sich auf folgende Fähigkeiten: Konzentration, Wahrnehmung, Reaktion, Aufnahme- und Denkvermögen, Kreativität, Gedächtnisleistung, Kommunikation, seelischer Widerstand, Beurteilungsschärfe, soziales Verhalten wie Geduld, Hilfsbereitschaft, Toleranz und so weiter. Außerdem stellten sich wie aus dem Nichts Depressionen, Hochstimmungen und extreme Gefühlsschwankungen ein.
Nein, ich war nicht in den Wechseljahren, nehme keine Drogen, trinke nicht und achte auf genügend Schlaf. Weiterhin bin ich, wie alle anderen Leidensgenossen, die ich im Laufe von zwölf Jahren traf, von keiner Krankheit befallen, welche die Störungen hätte bewirken können. Das am meisten Auffallende war und ist jedoch die nahezu lähmende Müdigkeit, die sich bei uns allen einzustellen pflegte, wenn wir uns länger als 30 Minuten an bestimmten Orten aufhielten oder von einer der vorgenannten Betätigungen absorbiert waren.
Ich war bis vor elf Jahren ein Fernsehfreak, begeisterter Musikhörer, Telefonierer und Computerbenutzer. Dann erkannte ich die Zusammenhänge, und nach vielen Gesprächen mit Neurologen, Physikern und Pädagogen-Kollegen änderte ich meine diesbezüglichen Verhaltensweisen radikal. Ich wollte nicht mehr subliminal beeinflusst werden. Doch erstaunlicherweise reichte mein Wille allein nicht mehr aus. Um mein Abwehrsystem wieder in voller Kraft und mit vollem Bewusstsein nutzen zu können, musste ich mir bestimmte Fähigkeiten buchstäblich zurückerobern, und zwar dadurch, dass ich gewisse Denkmuster, die sich ganz unschuldig und unscheinbar bei mir eingenistet hatten, zu korrigieren und zu entfernen begann. Eine Chemotherapie hätte nicht anstrengender sein können. Mir war, als müsse ich jeden Tag gegen einen sehr viel stärkeren Widersacher mit sehr überzeugenden Gegenargumenten antreten. Es ging lange Zeit drei Schritte vor und zwei zurück, doch dann schien das, was mich zu vereinnahmen versuchte, die Lust an mir zu verlieren.
Dachte ich.
Ich dachte falsch.
Denn plötzlich veränderten sich die Verhaltensweisen in meiner Umgebung. Die Menschen wurden zunehmend aggressiv. Ganz gleich, ob ich bei einer Behörde vorsprach, in der U-Bahn fuhr oder ins Kaufhaus ging, ich wurde in einer Weise angefeindet wie noch nie in meinem Leben. Nein, die Leute kannten mich nicht, und ich verhielt mich nachweislich nicht anders als zuvor. Ich versuchte, gleichbleibend gleichgültig zu reagieren, doch das schien meine Umgebung nur noch mehr anzustacheln. Schließlich wandte ich mich an Monnica Hackl.
Dr. Monnica Hackl ist Schamanin. Sie verstand sofort, was ich meinte, und sie spürte wie ich, dass da »etwas« war. Dieses »Etwas« ist kein böser Geist, kein austreibungswürdiges Besetzungswesen und auch keine außerirdische Macht, sondern ein bestimmtes Kraftfeld, das in Aktion tritt, wenn ein Individualfeld sich dem Kollektiv nicht mehr wie bisher ein- und unterordnet, sondern entgegen dem »Mainstream« neu orientiert und entsprechend anders verhält. Ich bin weder fanatisch noch ein Querulant und durchlaufe auch keine Entwicklung in diese Richtung. Monnica Hackl erkannte das und erklärte mir, dass bei Hypersensibilität all diese Vorgänge vom Betroffenen um ein Vielfaches stärker wahrgenommen werden. Der seelisch-geistige Widerstand führt dazu, dass sich eine Person auf eine höhere Ebene einschwingt als die anderen und dass sie dadurch von den anderen als »Fremdkörper« empfunden und bekämpft wird.
Ich war also zur Fremdratte im Labor geworden. Vielleicht haben Sie schon von diesen Versuchen gehört: In einem bestehenden Rattenverband wird eine Ratte aus einer anderen Gruppe ausgesetzt, was sofort missbilligend konstatiert wird, denn sie »riecht« anders. Weil ihre Ausdünstung dem Geruch ihrer eigenen Stammesgenossen entspricht, wird sie von dem bestehenden Verband als bedrohlicher Eindringling und feindliche Existenz klassifiziert. Die neue Ratte stirbt nach relativ kurzer Zeit, und zwar nicht, weil ihre Artgenossen sie totbeißen oder ihr den Zutritt zum Futternapf verwehren. Nein, sie stirbt aus Angst. Diese Angst ist eine Reaktion auf die Feindausdünstung, die ihr die Rattengesellschaft entgegenstellt und die ihr suggeriert: »Verschwinde, sonst bringen wir dich um!« Die Verhaltensforscher fanden auch heraus, wie man diesen Tötungsmodus umgehen kann: Man nehme die Fremdratte und reibe sie eine Zeit lang an einigen Ratten des Verbandes, damit sie den Geruch der Gruppe annimmt, in welcher man sie aussetzen will. Und siehe da: Kurzes Schnuppern und schon findet eine automatische Akzeptanz und Eingliederung statt.
Obwohl mir Maskierungen dieser Art widerstreben, dämmerte mir, dass in diesem Laborversuch zumindest der Denkansatz für eine Wiederherstellung des früheren Sicherheitszustandes enthalten sein könnte. Ich sprach mit Fosar und Bludorf über dieses Verhaltensmodell, und sie wussten sofort, was ich meinte. »Du hast zwei Möglichkeiten«, sagten sie. »Entweder du schottest dich ab sofort von der Umwelt ab oder du lernst, dich zu schützen.« Ich wollte mich nicht schützen.
»Du musst«, sagten die beiden, »du bist zu auffällig.«
»Für wen denn, bitte?«, fragte ich verzweifelt.
»Für die Kräfte, die eine geistig-spirituelle Entwicklung der Menschheit zugunsten einer totalen Technisierung verhindern wollen.«
Wer bitte, wer sind diese dunklen Kräfte, die sich über uns entladen und »Resistance-Angehörige« angreifen, schwächen und in den Ruin treiben? Es sind dieselben Kräfte, von denen die Mitmacher unterstützt und stabil gehalten werden und die ihnen vermeintliches Glück und Wohlstand verschaffen. Diese geistigen Energien hat es immer gegeben und sie werden ihren Einfluss auch weiterhin geltend machen. Niemand kann sich ihrem Einfluss entziehen, aber jeder kann sich dagegen wehren, und zwar durch Verweigerung der gedanklichen Beteiligung und aller damit zusammenhängenden Handlungen.
Der nachfolgende Brief, für dessen sehr freie Übersetzung ich mich bei allen Humanisten im Voraus entschuldige, zeigt, wie vor etwa zweitausend Jahren mit dem schon damals bekannten Problem umgegangen wurde, und könnte zusätzlich einige Verhaltensregeln beisteuern.
Lieber Lucilius,
dass Du Dich unbeirrt anstrengst und versuchst, täglich besser zu werden, ist lobenswert und freut mich. Ich stehe absolut hinter Dir und bitte Dich: Mach weiter so! Aber fang jetzt ja nicht an, durch Benehmen und Lebensführung aufzufallen, so wie bestimmte Leute, denen es nicht darum geht, im besten Sinn weiterzukommen, sondern die nur auffallen wollen.
Schlampige Kleider, ungewaschene Haare, unkontrollierter Bartwuchs, offen zur Schau gestellte Missachtung des Geldes, Herumlungern in der Öffentlichkeit und was der menschlichen Überheblichkeit sonst noch einfallen könnte, das meide!
Das Wort »spirituell« wird generell nicht gern gehört, auch wenn man sich noch so zurückhaltend zeigt. Wie wäre es erst, wenn wir anfangen würden, uns dem allgemein üblichen Lebensstil entgegenzusetzen? Im Inneren, da muss alles ganz anders sein, aber unser Aussehen muss sich dem Üblichen anpassen. Unsere Kleidung sollte nicht übertrieben modisch wirken, aber auch nicht schlampig. Wir haben es nicht nötig, uns mit Silber und Gold zu umgeben, sollten diesen Verzicht aber auch nicht demonstrativ als Zeichen unserer Bescheidenheit einsetzen. Unser Vorsatz sollte sein, durchweg auf eine bessere Lebensführung zu achten als die Allgemeinheit, aber nicht so auffallend anders, dass wir diejenigen abstoßen und von uns wegtreiben, die wir bessern möchten, und diese dann gar nichts mehr von uns übernehmen wollen, weil sie fürchten, überfordert zu werden. Spirituelles Bewusstsein fordert vor allem eine normale Lebensweise und einen freundlichen Umgang mit den Menschen, und würden wir uns dauernd anders benehmen, dann könnte unser vorbildliches »Anderssein« bald belächelt, wenn nicht sogar verhasst werden. Unsere Grundlage ist ein der Natürlichkeit entsprechendes Leben, nicht aber, den eigenen Körper zu misshandeln, die Regeln einfachster Sauberkeit nicht einzuhalten, das Schmutzige zu suchen, nicht nur minderwertige, sondern sogar ekelhafte, künstliche Nahrung zu sich zu nehmen, denn das ist naturwidrig. Genau so wie es Verschwendung ist, Delikatessen für sich zu beanspruchen, ist es verrückt, die üblichen gesunden und preiswerten Nahrungsmittel zu verschmähen. Zurückhaltung ist es, welche die Spiritualität verlangt, und nicht Selbstquälerei! Zurückhaltung und adrettes Auftreten vertragen sich aber absolut. Das, was mir gefällt, ist das richtige Mittelmaß, der goldene Mittelweg, den wir zwischen einer strengen Ordnung und dem allgemeinen Verhalten gehen müssen. Alle sollen unsere Art zu leben genau anschauen dürfen, aber sie sollte möglichst keinen Widerwillen auszulösen.
Tun wir dann aber eigentlich nicht dasselbe wie alle anderen? Gibt es denn dann noch einen Unterschied zwischen uns und den anderen? Doch, einen sehr großen! Jeder, der sich näher mit uns beschäftigt, soll finden, dass wir ganz anders sind als das Übliche. Wer uns besucht, der soll nicht so sehr unsere Einrichtung bewundern, als vielmehr uns selbst. Wer mit Tongeschirr so umgeht, als sei es aus Silber, der hat es wirklich geschafft!
Dieser Brief wurde vor fast zweitausend Jahren von dem großen Philosophen Seneca verfasst, und ich muss zugeben, dass ich die ursprünglichen Begriffe »Philosophie« und »philosophisch« durch »spirituelles Bewusstsein« und »spirituell« ersetzt habe, um den aktuellen Bezug deutlicher zu machen. Ich hoffe, der große Seneca verzeiht es mir mit der für ihn typischen stoischen Gelassenheit. Allerdings kann ich es mir nicht verkneifen, Ihnen mitzuteilen, dass Seneca es mit dem Verzicht auf das Demonstrieren materiellen Wohlstandes in Form von Gold und Silber, den er Lucilius hier empfiehl, selber nicht gerade übertrieben hat. Immerhin war er einer der reichsten Männer seiner Zeit, ein römischer Rockefeller sozusagen. Aber das braucht uns nicht zu stören. Die Frage ist nämlich nicht, wie viel jemand besitzt, sondern wie sehr er an diesem Besitz hängt.
Der Brief zeigt, dass unsere Themen nicht neu sind und dass es auch vor langer Zeit schon Probleme gab, wenn sich jemand in eine andere Richtung entwickelte als die Allgemeinheit. Seneca rät, sich unverstellt und eindeutig zu zeigen, völlig selbstverständlich und unaufdringlich: »Jeder, der sich näher mit uns beschäftigt, soll finden, dass wir ganz anders sind als das Übliche.« Das Selbstverständliche muss das Überzeugende sein, findet Seneca, und der Schutz, von dem meine beiden Physiker sprachen, entsteht bei ihm durch Unauffälligkeit sowie durch klares und bewusstes Abgrenzen von allem, was man als geistigen Hochmut bezeichnen könnte. Doch, um der Wahrheit wieder einmal die Ehre zu geben, sei auch gesagt: Der geistige Hochmut hat seine Heimat überall auf diesem Planeten und blüht vor allem innerhalb des Mainstreams, der seine Berechtigung und Bestätigung vor allem aus seinen massenkompatiblen Eigenschaften bezieht und den Mitmachern zumindest eine Zeitlang suggeriert, »recht« zu haben. Doch jeder Mainstream geht irgendwann buchstäblich »den Bach runter«, auch wenn er noch so lange andauert. Und was dann bleibt, sind die Tradition und die Formen, die man als konventionell bezeichnet.
Die Entwicklung bringt es mit sich, dass sich das Altbewährte, Edle und Gute ständig gegenüber dem Mainstream rechtfertigen muss, doch in dieser Konfrontation zeigt sich, was Bestand hat und was scheinbar oder tatsächlich für immer untergehen muss. Das scheinbare Verschwinden und eventuelle Wiederauftauchen findet erstaunlicherweise immer in einem Zeitraum von sieben Monaten oder sieben Jahren beziehungsweise einem Vielfachen von sieben Jahren (14, 28, 35, usw.) bis hin zu siebzig Jahren statt. Was dann nicht wieder aufgetaucht ist, hat sich entweder zugunsten eines anderen Potenzials aufgelöst oder kommt in anderer Verkleidung wieder, um seinen Segen oder sein Unwesen weiter zu verbreiten.
So mancher, auch längerfristige Mainstream ist abgrundtief unedel und würdelos, und das war schon immer so. Doch immer gab es gleichzeitig auch Menschen, die das Gute und Edle unbeirrt bewahrten und sich nicht auf die angeblich so befreienden Angebote und Segnungen einer neuen Zeit einließen, weil sie wussten, dass es Irrwege waren. Es ist nun weniger die Frage, woher diese Menschen ihre Sicherheit und die Kraft zu widerstehen hernahmen, als vielmehr, warum alle anderen sie nicht aufbrachten und die »Widerständischen« sogar angriffen, denunzierten und nicht selten umbrachten. Waren die Betroffenen auch noch wohlhabend, war der Gerichtsprozess, wenn es denn überhaupt einen gab, eine reine Farce und das Todesurteil eine von vornherein beschlossene Sache. Die Massaker von Masada und Montségur, die Ausrottung der Katharer, und die zahllosen anderen, schauerlichen Übergriffe in der Zeit der Inquisition sind nur einige Beispiele aus der etwas weiter zurückliegenden Vergangenheit. Und immer ging es ausschließlich um die drei bekannten Dinge: Besitz, Macht/Ruhm, Sex. Die Verteidigung des Glaubens war nur das Deckmäntelchen für dieses unselige Trio. Die Massaker der Neuzeit sind den damaligen Morden in ihrer perfiden Grausamkeit durchaus vergleichbar. Und die Denunziationen von heute sind nicht weniger infam als die vor fünfhundert und mehr Jahren.
Doch was sind das für Leute, die sich, von aggressiven Intentionen getrieben, dazu benutzen lassen, bewusst oder unbewusst negativ auf sensible Menschen zu reagieren? Ich musste lernen, dass es vor allem die sogenannten ganz Normalen waren, die wenig oder nichts hinterfragen und aus allem, was sich anbietet, das für sich herausholen, was ihnen zu nützen scheint oder »Spaß« macht. Diese Eigenschaften, die auf den ersten Blick völlig legitim und harmlos erscheinen, enthüllen ihre latente Gefährlichkeit im Charakter der Persönlichkeiten, deren Schwachstelle die Bereitschaft zum Mitläufertum, also Opportunismus ist. Mitläufer lieben den Mainstream, diesen goldenen Strom, von dem sich die Mehrheit so bereitwillig tragen lässt und dessen wirklichen Initiator eigentlich niemand genau zu benennen weiß. Denn diejenigen, von denen man glaubt, sie seien die Initiatoren, sind meist nur die allerschnellsten im Erkennen und Aufgreifen der angebotenen Richtung, unbewusst reagierende Marionetten, die sich als Protagonisten aufspielen. Diese Kapitäne der Mainstream-Schifffahrtsgesellschaft, die sich, getragen von der Energie des Zeitgeistes, als Erzeuger dünken, sind letztlich nichts weiter als die Handlanger von Systemen, denen sie zwar entsprechen, aber von denen sie keine Ahnung haben.
Nehmen Sie nur den jährlich hervorquellenden Mode-Mainstream. Glauben Sie wirklich, dass auch nur einer dieser »Designer« die Deformationsgebilde, die den Frauen hier als »letzter Schrei« angedient werden, selber anziehen oder an seiner Frau gern sehen würde? Haben Sie nicht schon selbst kopfschüttelnd Teile aus Ihrem Kleiderschrank entfernt, die Sie noch vor gar nicht allzu langer Zeit als unverzichtbar eingestuft hatten? Zum Glück schadet Mode nur dem Geldbeutel und den Nieren, wenn wieder bauchfrei proklamiert wird. Die Seele bleibt dabei relativ unbeschadet. Wäre doch alles so einfach zu entfernen wie Fehlkäufe aus dem Kleiderschrank! Doch leider ist die Menschenseele, die unentwegt aufgefordert ist, sich für oder gegen »Einkäufe« zu entscheiden, nicht so leicht zu entrümpeln. Denn das Seelengerümpel, das weit weniger genau begutachtet und abgewogen wird als Kleider, hat die fatale Eigenschaft, sich umso nachhaltiger einzulagern, je unbewusster es »eingefahren« wurde.
Vor nun fast dreihundert Jahren wurde Jean Jacques Rousseau geboren, der irgendwann in seinem Leben zu der Erkenntnis gelangte, dass der Mensch von seinem ursprünglichen Wesen her »gut« sei. In dem Satz davor widerspricht er sich zur Vorsicht selbst, lastet aber dieses »Schlechtsein« des Menschen ausschließlich der Gesellschaft an. Rousseau hat recht, und zwar mit beiden Behauptungen:
a. Der Mensch ist gut.
b. Der Mensch ist schlecht.
Der Philosoph hätte sich viel leichter getan, wenn er seinem Satz vom Gutsein des Menschen noch hinzugefügt hätte:
a. Der Mensch ist gut, solange er nicht wählen muss.
b. Der Mensch wird schlecht, wenn die Auswahl zu groß oder zu verlockend ist.
Und: Jeder Mensch will
a. Besitz,
b. Macht (Ruhm) und
c. Sex.
Als ich diese »Dreierbande« einmal in einem Kurs als Triebfeder des Menschen vorstellte, gab es großes Protestgeschrei! »Nein, nein«, hieß es da, »darüber sind wir weit hinaus, das wollen wir schon längst nicht mehr, das haben wir losgelassen!«
»Aha«, dachte ich mir, »ich bin also wieder mal im Club der Erleuchteten gelandet«, und ließ die Fee kommen. Meine Kursteilnehmer kennen meine Fee bestens. Sie taucht meist dann auf, wenn Lebenslügen geklärt werden müssen und ich nicht die Böse sein will, die sie aufdecken muss. Die Fee nimmt normalerweise die berühmten drei Wünsche entgegen. In meinen Kursen beschränkt sich das Füllhorn des Glücks wegen akuten Zeitmangels auf einen einzigen Wunsch - und der erfüllt sich dafür auch nicht gleich. Also, was wird gewünscht?
• Ich möchte heilen können.
• Ich möchte ein Super-Berater werden.
• Ich möchte ein Zentrum haben, in das alle kommen und wo sich alle wohl fühlen können.
• Ich möchte an meinem Arbeitsplatz mehr geachtet werden.
• Ich möchte eine andere Arbeit.
• Ich möchte eine/n Partner/in haben, mit dem/der ich mich wirklich (betont!) verstehe. Und so weiter, und so weiter.
Ja, und dann kommen die üblichen bösen Nachfragen der Fee, die es ganz genau wissen will, bevor sie zur eventuellen Wunscherfüllung schreitet:
»Warum willst du denn heilen können?«
»Ja, weil ich helfen will.«
»Warum bist du dann nicht Krankenschwester geworden?«
»Ach, da kann man doch nicht heilen!«
»Ach, glaubst du das?«
»Also, ich meine richtig heilen.«
»Was ist denn richtig heilen?«
»Also … ja … gesund machen auf der Stelle!«
»Aber das konnte bis jetzt nur Jesus, oder?«
»Ja, aber wenn ich den Wunsch frei hätte …«
»… dann wärst du gern wie Jesus?«
Mir geht es darum, meinen Lieben klarzumachen, dass sich alles, was sie sich gewünscht haben, in einem schicksalsangepassten Rahmen verwirklichen kann, dass sie es selbst verwirklichen können, und zwar durch ihrer Hirne und Hände Arbeit. Dann werden sie vielleicht nicht Jesus gleich oder der Über-Berater, dann haben sie vielleicht nicht plötzlich wie aus dem Nichts die Super-Arbeitsstelle oder den Traumpartner. Aber möglicherweise werden sie ein guter Arzt, eine gute Pflegerin, ein geduldiger Zuhörer oder Mediator, vielleicht auch ein Anwalt. Und wenn bei der Arbeit das, was getan werden soll, mit ganzem Herzen und einem inneren Ja erledigt wird, dann wird das mit der Achtung und sonstigen Verbesserungen auch ohne Fee klappen. Das Problem ist, dass die geäußerten Wünsche eigentlich etwas ganz anderes zum Ausdruck bringen, nämlich:
• Ich will als Berater und als Zentrumsbesitzer über allen anderen stehen.
• Mehr haben, mehr sein, mehr …
• Mehr Wohlstand, mehr Ruhm, mehr Macht
• Von der Allgemeinheit mehr ge- und beachtet und folglich besser bezahlt werden und dadurch …
Loslassen, Leute! »Der Charakter des Menschen ist sein Schicksal«, hat Heraklit vor etwa 2500 Jahren gesagt, und ich wage hinzuzufügen: Und seine Triebfeder, sein Wille und seine Rettung ist die kritische Selbst-Beobachtung. Der Mainstream sagt: nach vorn, nach oben, raus aus dem Sumpf des Allgemeinen, hinauf in die lichten Höhen des Superstars, koste es, was es wolle. Und alle machen mit! Die einen mit materiellen Mitteln, die anderen mit Bildung und Intellekt. Und dann gibt es noch ein langsam, aber stetig wachsendes Häuflein Menschen, die den Begriff »Superstar« durch »erwecktes Bewusstsein« ersetzen. Es gibt diese Menschen, und es sind gar nicht so wenige, die nur kaufen, was sie wirklich brauchen, und zwar geistig, seelisch und materiell. Sie haben ihr Fort- und Weiterkommen in Gottes Hand gelegt und ordnen ihr Sein seinem Willen unter, ohne bigott und fanatisch zu sein, ohne Demonstrationen und Dekorationen und ohne Druck auf ihre Umgebung auszuüben. Die wollen richtig loslassen!
Doch kommen wir zurück zu der Umgebung, die das nicht nur nicht honoriert oder in Ruhe wachsen lässt, sondern es auch mit fühlbarem Widerstand beantwortet. Aber warum?
Warum wir inkarnieren, oder was die Erde von uns will
Jeder, der auf dieser Erde geboren wird, hat - symbolisch betrachtet - zwei Vereinbarungen unterschrieben, und zwar mit folgendem Inhalt:

Vereinbarung 1
Hiermit stimme ich dem irdischen Pachtvertrag in vollem Umfang zu.

Vereinbarung 2
Hiermit stelle ich mich während meines irdischen Aufenthaltes meinen im Jenseits Hinterbliebenen in vollem Umfang zur Verfügung.

Zu Vereinbarung 1
Die Pachtbedingungen dieser Erde beinhalten, dass sich jedes inkarnierte Wesen während des irdischen Aufenthalts den Bedingungen der Materie unterwirft und ihre Gesetze befolgt. Die Bedingungen besagen, dass den Bedürfnissen unserer Physis in vollem Umfang entsprochen wird, was so viel heißt wie: Wachse und mehre dich so nachhaltig wie nur möglich und richte dein Augenmerk vor allem darauf, möglichst viel Materie zu ergattern und zu verwenden. Ernähre deinen Körper gut, sichere dein Revier und verteidige es gegen Eindringlinge.
So viel zum Erdenvertrag.

Zu Vereinbarung 2
Wir sind geistige Wesen, die sich in einem materiellen Körper einnisten, um in der Materie zu sein und auf sie Einfluss nehmen zu können. Der Auftrag unserer geistigen Verwandtschaft lautet: Identifiziere dich so wenig wie möglich mit der Materie, aber finde alles über sie heraus. Und teile uns das Gefundene mit, damit wir dir unsere Ideen vermitteln können.

Wir sehen also, dass wir hier auf Erden ein ziemlich ambivalentes Dasein fristen, das zu allem Überfluss auch noch vom stetigen Verfall der Materie beroht ist. Auf der einen Seite sollen wir wachsen, uns mehren, uns die Erde untertan machen und die geistigen Einflüsse unserer nicht inkarnierten Verwandtschaft auf sie übertragen, auf der anderen Seite sollen wir uns nicht mit Besitz belasten und uns schon gar nicht mit ihm identifizieren oder über ihn definieren. Denn wir sind ja schon allein aufgrund unserer geistigen Ursprungsnatur nur Touristen auf diesem Planeten und müssen alles Materielle, was wir uns aneignen und aufbauen, wieder abgeben oder dem Verfall preisgeben. Die eigentlichen Herrscher dieses Planeten sind geistige, also körperlose Wesen, die sich über den Geist in die Denkvorgänge einschalten können, diese steuern und beeinflussen und damit auch Einfluss auf unsere Handlungen nehmen. Diese Wesen hocken durchaus nicht auf jedem einzelnen wie weiland Freiligraths Löwe auf der Giraffe (in dem unseligen Gedicht »Löwenritt«), sondern nehmen vor allem Einfluss auf das sogenannte kollektive Denken und damit auf das kollektive Bewusstsein.
Die Wesen, von denen hier die Rede ist, sind erdgebunden, das heißt, sie haben keine Ambitionen, sich geistig über das Materielle zu erheben oder von ihm zu lösen. Im Gegenteil, es geht ihnen darum, ihren Heimatplaneten möglichst gegen zersetzende geistige Einflüsse zu verteidigen und abzuschirmen.
Zersetzende geistige Einflüsse sind aus Sicht dieser Wesen vor allem:
a. der Glaube an Gott,
b. der Glaube an die Unsterblichkeit,
c. das Wissen um die Gott-Ähnlichkeit des Menschen,
d. die Erkenntnis über den Charakter der Materie,
e. die Erkenntnis über erdgebundene Wesen.
Die gefährlichste Erkenntnis ist aus Sicht dieser Wesen die über den Charakter der Materie. Ich spreche hier nicht von der Kenntnis der physikalischen und chemischen Zusammenhänge, sondern über das Wissen um die Verbindung zwischen der Materie und dem menschlichen Sein. Denn während der Mensch hier seine Lebenszeit durchläuft, bildet sich zwischen ihm und der Materie eine mehr oder weniger enge Bindung, die im Menschen eine Grundlage für die Beurteilung seines irdischen Daseins schafft. Das kann so weit gehen, dass der Mensch schließlich der festen Meinung ist, er stamme von Materie ab und sei ihr vollkommen verwandt, und dass er dann seinen einzigen Lebenssinn in der Anhäufung von Materie sieht. Diese Einstellung akzeptiert zwar den Tod als letzte Instanz, negiert aber jedwede nachtodliche Existenz und damit auch jede Verantwortung und jede Verpflichtung, Rechenschaft abzulegen, denn sie erkennt auch keine höhere Macht an, deren Gesetz Folge geleistet werden muss. Das ist die Lieblingsdenkweise der vorher erwähnten erdgebundenen Wesen, die mit ihrer Beeinflussung nur eins bezwecken, nämlich aus möglichst vielen Menschen ebenfalls erdgebundene und vom Gottesbewusstsein losgelöste Wesen zu machen. Je mehr ein Mensch sein geistiges Ursprungsbewusstsein verliert, je intensiver er die geistigen Zusammenhänge leugnet und je radikaler er sich der Materie zuwendet, desto bevorzugter wird er von diesen Wesen unterstützt und gefördert, zum materiellen Erfolg geführt und dadurch in seiner materialistischen Ideologie bestärkt.
Edel sei der Mensch, hilfreich und gut, mahnt das Dichterwort, und tief schlummert in jeder Menschenseele die Sehnsucht, diesen Anspruch zu erfüllen. Aber mit dem hilfreichen Edelsein verhält es sich ähnlich wie mit dem Wissen um gesundes, maßvolles Essen: Man weiß genau, dass diese Form der Ernährung die beste und gesündeste ist, die außerdem noch die schlanke Figur bewahren würde, und trotzdem stopft man sich mit dem schauerlichsten Kunstfraß voll und schüttet noch Kaffee und Alkohol hinterher. Warum? Weil es Spaß macht, ist die Antwort, und weil Diät und betont gesundes Essen so langweilig und lästig sind wie eine theoretische Unterrichtsstunde in der Fahrschule. Und wie das dauernde Edeltum und Gutsein.
Doch wie lösen wir das Dilemma? Zumal wir an dem Punkt unserer Unterhaltung angekommen sind, wo wir zugeben müssen, dass die Menschheit doch regelmäßig sehr erfreut reagiert, wenn ein ausgewiesener Edel- oder Gutmensch beim Ausleben seiner Schattenseiten erwischt wird. Dann ist zwar der Ruf ruiniert, aber gewisse Sympathien sind wiederhergestellt, die für die exklusive Haltung nicht mehr erforderlich oder nicht zu ihr passend schienen. Fazit: Sondert sich ein Mensch allzu fühlbar vom Allgemeinen ab, ganz gleich ob durch Religion, Verhalten, Meinung oder Aussehen, wird er von der Allgemeinheit entweder belächelt, angegriffen oder übersehen. Oder gefeiert und zum Gott erhoben. Damit sind wir wieder bei der Fremdratte angelangt, die nur Überlebenschancen hat, wenn sie »fremd parfümiert« wird. Wenn sich einer im Menschenverband unbeschadet exponieren will, muss er den »Zurückgebliebenen« trotzdem noch das Gefühl geben, einer der ihren zu sein. Er muss beispielsweise weiterhin ihre Einladungen annehmen und an ihren Gesprächen teilnehmen, denn sonst heißt es bald: »Dem/der sind wir nicht mehr gut genug!« Und: »Gott, ist der/die arrogant geworden!« Und schon wird die Nachredenbildung einsetzen und ihre Kreise ziehen. Wenn derjenige dann seinen Standort ändert, also umzieht, hat er eine gewisse Chance, mehr oder weniger ungeschoren davonzukommen, aber dann muss er sich andernorts ein neues soziales Umfeld schaffen und neue Wurzeln schlagen. Das klappt nicht immer und umso weniger, je edler, religiöser und disziplinierter ein Mensch ist. Er ist - wie das krasse Gegenteil, der asoziale Störenfried - suspekt, weil er nicht der »Norm« entspricht. Und die Norm wird vom kollektiven Volksempfinden festgelegt, das einen unübersehbaren Hang zum kollektiv Schweinischen und Verderbten hat und sich zwar scheinbar über Repräsentanten dieser Verhaltensformen aufregt, es aber trotzdem »geil« findet, was der/die sich traut. Von dieser heimlichen Bewunderung leben ganze Wirtschaftszweige, etwa große Teile des Comedy-Geschäfts, die Filmindustrie mit ihren Stars, die Printmedien, die von den Eskapaden der Promis berichten und so weiter. Wenn ein Mensch eine edle Tat vollbringt, indem er beispielsweise heldenhaft einen Ertrinkenden rettet oder ein Unheil verhütet, dann bekommt er einen Artikel in der Tageszeitung, alle sagen: »Toll, toll!«, und damit hat es sich. Keiner will hören, wie es dem Edlen, Guten und Hilfsbereiten weiterhin ergangen ist. Führt sich aber etwa eine der bis zum Überdruss bekannten Promi-Damen wie eine Pottsau auf, dann will man weiter und weiter und weiter informiert werden und verhilft ihr damit zu noch mehr »Prominenz«.
Jean Jacques Rousseau, so viel wissen wir heute, hatte nicht recht mit seiner Behauptung, der Mensch sei grundsätzlich gut. Er ist zumindest nicht prinzipiell gut, solange er sich umgeben von materiellen Verführungsobjekten auf dieser Erde tummelt. Und doch hatte Rousseau auch wieder recht. Denken wir nur siebzig Jahre zurück, da hatten wir den Beweis doch im eigenen Land. Es ist ja immer noch mehr von den Verbrechern, Mitläufern und Nutznießern des Dritten Reiches die Rede, als von den unzähligen Rettern Widerstandskämpfern und stillen Helden, die in der Nazizeit gegen den Strom schwammen. Es gab ja nicht nur Franz Jägerstätter, Hans und Sophie Scholl und von Stauffenberg, sondern auch noch viele andere, die besser organisiert waren und geschickter agierten und damit vielen »Feinden des Volkes« das Leben retten konnten. Zählen Sie doch einmal nach, wie viele Dokumentationen und Filme über die helle und wie viele über die dunkle Seite dieser Zeit berichten. Dann sehen Sie, wo wir mit der Verarbeitung stehen. Dieses Trauma kann nur durch gemeinsames Betrauern erlöst werden, von der einen Seite wirklich begriffen und von der anderen wirklich verziehen. Nur wenn der Schmerz, die Angst, der Schrecken tief nachempfunden und die Vorkommnisse mit den Betroffenen tief betrauert werden, ist ein wirklicher Fortschritt möglich.
Loslassen heißt ja niemals, etwas ersatzlos fallen zu lassen. Es bedeutet vielmehr immer, auf einer weiteren und besser begriffenen Ebene des Bewusstseins mit dem transformierten Verbrauchten zu einer neuen Erkenntnis zu gelangen. So, wie wir keinen Gegenstand auf dieser Erde im Nichts verschwinden lassen können, genauso wenig können wir Gedanken, Verhaltensweisen, Meinungen und Beurteilungsmodi von heute auf morgen auslöschen.
Wer sündigt, wird von Gott bestraft.
Dies ist nur eines von vielen Meinungsimplantaten, welche zur Basis für unzählige andere Fehlinformationen wurden. Es ist bekannt, dass auf dieser Erde sehr oft die Verbrecher nicht bestraft, dafür aber Unschuldige umgebracht und gefoltert werden. Die oft gestellte Frage lautet: Wie kann der Allmächtige das nur dulden? Und hier noch einmal die Antwort: Der Allmächtige hat mit den Verhaltensweisen der Wesen, die sich der Materie unterworfen haben, nichts zu tun. Er hat die Sünde nicht erfunden und als großer Gleichgültiger auch nicht die Strafe. Wir sind es, die sich in Tausenden von Entwicklungsjahren an der Materie orientiert haben. Wir wollten uns mit ihr dekorieren und einfrieden und können nicht mehr von ihr lassen. So ist das entstanden, was wir Sünde nennen, ein Wort, dessen Herkunft so dunkel ist, wie der Sinn, der sich dahinter verbirgt, nämlich der Verstoß gegen die Gesetze, also die Festlegung von dem, was wir als Recht anerkennen. Die Rechtserkenntnis wird begleitet vom menschlichen Gewissen, das man als Urteilsinstanz unseres Bewusstseins anerkennt.
Aber was ist Gewissen wirklich, vor allem wenn man weiß, dass es manchen Menschen vollkommen daran mangelt? Im Lateinischen verwendet man dafür das Wort conscientia, »Mit-wissen« (von Lateinisch con = »mit« und scientia = »Wissen«). Wenn ein Mensch gewissenlos handelt, hat er dann noch nie Gewissen besessen oder hat er beschlossen, es nicht zu haben?
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Merke: Ein gutes Gewissen hat im Nachhinein derjenige, der im Moment des Geschehens, unabhängig von äußeren Einflüssen, fähig ist, die richtige Entscheidung zu treffen, und zwar zweifelsfrei.
Ist es nicht erstaunlich, dass es unzählige, bewusst gegen das Gesetz Handelnde gibt, die nicht den Hauch eines schlechten Gewissens haben?
Ist Gewissen trainierbar, ähnlich wie manuelle Geschicklichkeit oder das Gedächtnis? Nein, Gewissen ist, wie es ist, und es ist bei jedem Menschen im gleichen Maße im Charakter und in der Art der Willensverwendung verankert. Und da unser Wille mit unserem Höheren Ich verbunden ist, welches wiederum dem Göttlichen nah ist, steht uns die Möglichkeit oder Gnade zur Verfügung, über unser Gewissen den Willen, also das Gesetz des Allerhöchsten zu erfahren. Doch einige von uns entscheiden sich gegen ihre innere Stimme. Und das beruht auf einer einzigen Ursache: Sie wollen ein Ergebnis, eine Ernte auf der Stelle, und zwar um jeden Preis, also auf Kosten anderer und nur zu ihrem eigenen Vorteil. Dieser Entschluss bringt ihnen eine derart intensive Befriedigung, dass kein Gewissen der Welt dagegen wirken kann. Con-Scientia? Mit-Wissen? Ich sprach in den letzten Jahren vor seinem Tod des Öfteren mit einem hochbetagten Herrn, der immer und immer wieder betonte: »Ich bin zufrieden. Ich sterbe mit gutem Gewissen.«
Eines Abends, als die zwei Sätze nach dem dritten Glas Rotwein wieder ausgesprochen wurden, sagte ich zu ihm: »Wissen Sie, es gibt zwei Arten von Zufriedenheit im Alter. Die erste entsteht aus der Gewissheit, dass man alles so gut gemacht hat, wie man nur konnte, während die zweite nichts ist als Frustration, weil man erkennen muss, dass man an dem, was man angerichtet hat, sowieso nichts mehr ändern kann. Welche ist denn Ihre Zufriedenheit?«
Er sagte lange nichts, doch dann erzählte er mir von einem Erschießungsbefehl, den er als junger Oberleutnant im Zweiten Weltkrieg auszuführen hatte. »Es waren acht Kameraden«, sagte er und die Tränen rannen ihm über die Wangen, »aber es war doch Pflicht! Was hätte ich denn tun sollen?«
Kann ein Mensch jemals wieder Frieden in seinem Inneren finden, frage ich mich, wenn er so etwas erlebt und getan hat? Das Gewissen sagt: Nein! Aber was wäre die Alternative gewesen? Steht nicht im Matthäus-Evangelium geschrieben: »Was ihr dem geringsten meiner Brüder getan habt, das habt ihr mir getan«? Charakter zeigt sich in den Entscheidungen, die im Moment der Belastung getroffen werden. Was wäre in diesem Fall die optimale Handlungsweise gewesen? Vielleicht die Weigerung: »Nein, Herr General, ich töte keine Kameraden!« Oder was sonst? Er wäre sofort vor ein Kriegsgericht gekommen, oder, noch wahrscheinlicher, auf der Stelle mit den acht Kameraden exekutiert worden. Was wäre »besser« gewesen?
Vielleicht fragen Sie jetzt: Was hat denn das mit »Loslassen« und mit meinen heutigen Problemen zu tun? Es soll Ihnen vor Augen führen, was Entscheidung und was Gewissen bedeutet und welche Rolle der freie Wille spielt. Es ist das Problem des Hausmeisters Jakob Schmid, der vor fast siebzig Jahren die Geschwister Scholl beim Verteilen ihrer Flugblätter beobachtete und sie bei der Gestapo denunzierte. Was hätte er tun sollen? Er war Parteimitglied und überzeugter Anhänger des Systems. Und er war weiterhin überzeugt, eine ruhmreiche und pflichtbewusste Handlung vollbracht zu haben, denn es waren ja seiner Meinung nach Systemschädlinge, denen er das Handwerk gelegt hatte.
In der Folge wurden zahlreiche Mitglieder der Widerstandsbewegung »Weiße Rose« verhaftet und enthauptet oder eingesperrt. Jakob Schmid wurde befördert und bekam als Belohnung für seine Heldentat 3 000 Reichsmark (vergleichbar mit etwa 10 000 Euro heute).
Jakob Schmids Tat ist, aus heutiger Sicht betrachtet und im Vergleich zu anderen Geschehnissen der damaligen Zeit, eher als »minder schweres Vergehen« einzustufen. So habe ich es noch in der Schule gehört und bin kurz darauf wegen »Störung des Unterrichts« aus der Klasse geflogen. Ich fand sein Verhalten nicht »minder schwer«, denn gilt nicht auch der Satz: »Unwissenheit schützt vor Strafe nicht«? Wird Unrecht zu Recht, wenn alle der Deformation beistimmen und sie mit Applaus begleiten? Macht, Wohlstand, Sex. Etwas sein wollen, etwas haben wollen, etwas spüren wollen? Um jeden Preis! Minder schwer?
Es geht mir um die Offenlegung des vermeintlichen Anspruchs auf Befriedigung dieses kleinen, immer hungrigen und gierigen Triebfaktors Ego, der nicht einmal weiß, wie Gewissen buchstabiert wird, und der, um die oben genannten drei Leckerbissen für sich verbuchen zu können, alles tun würde: Morden, verraten, intrigieren, denunzieren und, und, und.
Wer sündigt, wird von Gott betraft?
Bitte streichen Sie diesen Satz! Für immer!
Gott ist ein ewiges geistiges Prinzip. Das Ego ist ein sich prinzipiell an Materie orientierendes und deshalb sterbliches Wesen. Orientiert sich das Streben nach Macht an Materie? Sucht der Ruhmsüchtige die Materie? Bekommen wir Sex durch Materie?
Ja und dreimal ja! Denn Menschen sind der Materie untrennbar verhaftet durch ihren Körper, durch ihre Lebensführung und durch ihr Verständnis von Selbst-Bedeutung.
Gott straft die Sünder?
Gott führt in Versuchung?
Manchmal wünschte man wirklich, dass der Himmel sich öffnen und eine Stimme erschallen möge, die sich lautstark diese Zuweisungen verbittet!
Gott reagiert auf jeden Schritt, den wir in seine Richtung gehen oder, besser gesagt, denken, fühlen und handeln, und zu diesen Schritten gehören auch Reue und Erkenntnisstreben. Durch diese seelischen Vorgänge können ganz besondere Kräfte aktiviert werden, die uns helfen, Versuchungen zu durchschauen und zu überstehen. Wir leben in der Versuchung, und bei denen, die uns in diese Versuchung gelockt haben, handelt es sich um dieselben Wesenheiten, die hinter allem stecken, was Krieg, Ausbeutung und Perversion seit Tausenden von Jahren entstehen und existieren lässt, was mit Tausenden von Menschen und Kostümen als »Zeiterscheinung« verkleidet auftritt und sich manchmal sogar als »Notwendigkeit(!)« zelebrieren lässt. Dies ist kein Hirngespinst und auch kein Symbolismus, sondern verstörende Realität, die sich fatalerweise nur demjenigen zeigt, der sie durchschaut und der sich, der Erkenntnis folgend, nicht mehr als Handlanger missbrauchen lässt. Wer diesen Entschluss fasst, braucht sich am Ende seines Lebens nicht mit der Entschuldigung zu blamieren, er habe ja nur seine »Pflicht« getan.
Wie viele große Persönlichkeiten der Vergangenheit, wie viele unserer Vorfahren haben diese verstörende Realität mit ihren irdischen Repräsentanten selbst vor Augen gehabt und mit eigenen Ohren gehört, haben der Erkenntnis aber nicht Folge geleistet? Warum? Weil es immer um Besitz, Macht/ Ruhm und Sex geht, mit einem Wort: um Ego-Befriedigung.
Sie sagen, Besitz sei Ihnen egal?
Also, bitte!
Sie denken, Sie haben/wollen keinen Ruhm, Sie pfeifen auf Macht, und das bisschen »Erotik«, das Ihr Leben koloriert, gibt Ihnen keinen Anlass zu tieferem Nachdenken?
Ruhm ist aber nicht nur die ordengeschmückte Brust, das Bild in der Zeitung, der Beifall nach der Arie! Ruhm ist auch das kleine weiche Innenfutter eines Satzes, der mit »Also, ich habe … ich bin … oder ich werde …« anfängt. Alles, was Sie einem anderen gegenüber darzustellen wünschen, ist Streben nach Ruhm.
Gefallsucht ist Streben nach Ruhm.
Kritik an anderen ist Streben nach Ruhm.
Klatsch und Intrige sind Streben nach Ruhm.
Heuchelei ist Streben nach Ruhm.
Ich beende diese Aufzählung nur deshalb, weil ich weiß, dass Sie in der Lage sind, sie selbst endlos weiterzuführen.
Sie wollen keine Macht? Alles, was Sie, und sei es auch nur gedanklich, über einen anderen stellt, ist Streben nach Macht.
Neid ist ein Streben nach Macht.
Üble Nachrede ist ein Streben nach Macht.
Missachtung anderer ist ein Streben nach Macht.
Öffentlich zur Schau gestellte Hilfeleistung ist ein Streben nach Macht.
Und nun warten Sie darauf, was es mit dem »Sex« auf sich hat? Also gut:
Alles, was Sie für einen anderen ohne Gegenleistung tun, hat einen sexuellen Hintergrund!
Ich wusste, Sie würden böse auf mich werden, denn als ich diesen Satz zum ersten Mal zu hören bekam, wurde ich selbst ganz furchtbar böse. Und dann ganz, ganz still. Denn angeleitet durch kompromisslose Lehrer (Willst du den Weg der Klarheit gehen oder nicht?), begriff ich bald, dass jedes Geben als Gegenleistung entweder Wohlverhalten (I feel good!) erwartet oder Liebe (I feel better!) oder Freundlichkeit und Sympathie (I feel myself!) oder Körperkontakt (I feel …!) Haben Sie es gemerkt? Wir reden gerade von der Empfindsamkeit der Sinne und von ihrer Ansprüchlichkeit. Ich habe mit Absicht das Wort »Anspruch« vermieden. Es »greift« die Eigenschaft nicht, die ich beschreiben will. Unsere Sinne sind das Medium, das uns vermittelt, ob und inwieweit wir »angenommen« werden. Die niedrigste Form von Annahme (Kontakt) ist ein Kopfnicken, die höchste ist intime körperliche Hingabe. Die Skala zwischen dem einen und dem anderen ist weltumspannend und endlos und wird von Jung und Alt, König und Bettler, Tyrann und Habenichts ganz subtil verwendet.
Aber was ist dann mit denen, die selbstlos geben, helfen und sich verströmen? Ach, die Skala hat für jeden etwas parat, was dem Sinnenkörper Freude macht und oft noch viel mehr, als Außenstehende ahnen. Nein, ich spiele nicht auf die zölibatsgeschädigten Geistlichen an, deren erzwungenes Loslassen der stärksten Triebkraft des Menschen sie außer Kontrolle bringt. Ich spreche vielmehr von all den Mutter Teresas und Pater Pios, die den Ärmsten und Leidenden der Welt Trost und Linderung brachten. Dazu sei gesagt: Es gibt eine in die geistige Ebene transformierte Form der Sexualkraft, welche in der Literatur als Erfahrung der Glückseligkeit Gottes bezeichnet wird. Ein Hauch dieser Glückseligkeit lässt sich im Orgasmus erahnen. Doch die Skala ist, wie gesagt, unendlich. Und Gott ebenfalls.
Das Beruhigendste an ihm ist, dass alles menschlich Denkbare und Machbare schon vorher in Seiner Wissbarkeit vorhanden war und dass bei Gott alles möglich ist. Aber nicht notwendig. Um diesen tiefen Graben zwischen möglich und notwendig auszuloten, sind wir auf diese Erde gekommen - unerwünschte Fremdlinge in einer Diaspora, die das Letzte fordert, was ein Menschenwesen zu geben imstande ist, nämlich Leib und Leben.
Seit Millionen von Jahren hinterlassen wir diesem Planeten, auf dem wir unbedingt inkarnieren, also physisch erscheinen wollten, diese beiden untrennbar miteinander verbundenen Hab-Seligkeiten: Leib und Leben. Und seit Millionen von Jahren entwickeln, zerstören, kultivieren und degenerieren wir diese Hinterlassenschaft mit einer beinahe bewundernswerten Ausdauer, die (fast) an Verbissenheit grenzt.
Liebe Leute (hätte ich jetzt beinahe gesagt …), der Zenit ist erreicht, längst erreicht und schon überschritten. Es geht nicht mehr darum, von unseren kleinen persönlichen Habseligkeiten, unseren cerebralen Privattheatern und unseren Hirngespinsten Abschied zu nehmen, sondern vielmehr darum, endlich die Kontrolle über unser Triebleben zu gewinnen, welches uns immer und immer wieder in die Materie, in die Darstellung und in die Zeugung treibt. Wir müssen sie endlich in den Griff bekommen, diese Gier nach Macht, Ruhm und Sex und diese wahnsinnige Sehnsucht, die uns unentwegt antreibt, diese drei mit Händen begreifen, mit Sinnen zu erfahren und mit unseren Zeugungskräften am Leben erhalten zu wollen. Wir müssen loslassen, bevor wir dazu gezwungen werden, bevor die Not so groß ist, dass wir nicht mehr anders können und bevor wir als Geschlagene das Spiel des Lebens verloren geben müssen.
Fragen Sie noch immer, was loszulassen ist?
Ich wusste es: Sie werden mir böse sein …
Wir müssen diese Erde loslassen, bevor sie uns vollends vereinnahmt.