Ich musste zu Chrisi diesen verdammten Abstand halten, zu der Frau die ich seit Jahrhunderten liebte. Es war zu gefährlich auch nur in ihrer Nähe zu sein. Das könnte ihr wieder den Tod bringen, wie es schon einmal vor langer Zeit geschehen war. Mein Halbbruder Christian hatte sie vor vielen Jahren auf eine hinterlistige Art und Weise aus meinem Leben gerissen, was mir das Herz brach und dass sollte auf keinen Fall noch einmal geschehen nachdem ich sie nach so langer Zeit wieder gefunden habe. Nicht in diesem Leben. 
Und ich, ich war ein Verdammter, ein Vampir und ich wusste nicht in wie weit ich mich beherrschen konnte wenn sie in meiner Nähe war. Natürlich hatte ich in den letzten Jahren gelernt unter den Menschen zu leben und mein Verlangen nach Blut zu kontrollieren und auf diesen auf eine andere Art und Weise zu stillen. Trotzdem, ich musste den sicheren Weg gehen, auch wenn das hieß, dass ich sie nie mehr in meinen Armen halten und küssen durfte. Von daher war es gut, dass sie in Deutschland lebte und ich auf Vancouver Island, auch wenn mich tagtäglich die Sehnsucht nach ihr quälte und mich auffraß.

Bärbel meine allerliebste Kollegin, mit der ich jetzt bereits seit über fünf Jahren ein Büro in einem Mittelständischen Betrieb für Metallverarbeitung teilte in dem wir als Bürokauffrauen arbeiteten, hatte es wieder einmal geschafft. Leise war sie von hinten an mich angeschlichen und bescherte mir eine fiese Schrecksekunde, indem sie mich wieder einmal aus meinen Tagträumen riss in denen ich oft schwebte. Sie liebte dieses Spiel und ich war dann immer total an genervt von ihr. Dieses Mal war ich ihm schon so nahe gewesen, dass ich fast sein Gesicht erkennen konnte. Ich war frustriert und machte mich auf den Weg nach Hause.
Wie gut das München ein sehr gut ausgebautes öffentliches Verkehrsnetz besaß, somit konnte ich mich in der U-Bahn wieder meinen Gedanken hingeben bis ich aussteigen musste.
Seit nun gut fünf Jahren wohnte ich in dieser Stadt und sie gefällt mir super gut. Ich brauche kein Auto, komme aber trotzdem überall hin. Einkaufen kann man hier an fast jeder Ecke. Vor allem dort wo ich wohnte, hatte ich direkt die Riem Arkaden vor der Türe. Das war so was von perfekt. Ich musste an meine Teenie Zeiten denken.
Mit fünfzehn Jahren wurde mir von meinen Eltern eröffnet, dass ich im Alter von nur einem Jahr von ihnen adoptiert worden war. Ab diesem Tag träumte ich seltsamerweise immer wieder von diesem einen Mann. Ich kannte ihn nicht, habe ihn nie im wahren Leben zu Gesicht bekommen, aber er gehörte zu meinem Leben wie kein zweiter und ich fühlte mich sehr zu ihm hingezogen. Kein anderer Mann war mir je so nahe gekommen wie er, was verrückt ist, ich weiß. Und ihr könnt mir glauben, dass ich den einen oder anderen Anlauf, was Männer betrifft, bereits genommen habe in meinem Leben, aber für keinen Empfand ich annähernd das was ich für diesen Unbekannten Traummann empfand. Eine innere Stimme sagte mir dass ich diesen Typen eines Tages kennenlernen werde, da war ich mir sicher.  
Damals fühlte ich mich nach dieser Hiobsbotschaft, dass ich adoptiert worden war,  wie in zwei Hälften zerrissen, absolut unvollständig. Die eine Seite die ich kannte, mit der ich aufgewachsen und die mir so sehr vertraut war und dann noch die andere Hälfte meines Daseins, die mir völlig fremd war. Und dieser Mann aus meinen Träumen, den ich leider bis heute immer nur aus der Ferne bewundern durfte, half mir sehr über diese Zeit des Zerrissen seins hinweg.  
Ab diesem Zeitpunkt, als ich mir klar darüber war dass sich für mich trotz der Tatsache Adoptivkind zu sein auch in Zukunft nichts ändern würde, fing ich an mal mehr mal weniger intensiv meine eigentliche Herkunft zu ergründen. 
In meiner Kindheit suchte ich oft die Gemeinsamkeiten zwischen mir und meinen Eltern und vermisste diese schmerzlich. Mein Vater besaß kräftiges  schwarzes Haar mit einem leichten Ansatz von Geheimratsecken und meine Mutter feines rotes. Ich dagegen war dunkelblond und mit grünen Augen, aber mein Teint war dunkler als der meiner Eltern. Was mir eher ein exotisches aussehen verlieh. Noch nicht einmal die Größe passte. Mit meinen einen Meter fünfundsechzig war ich ein gutes Stück kleiner als meine Eltern. 
Ab diesen Tag X war mir natürlich klar warum ich nie auch nur ansatzweise Ähnlichkeiten fand oder finden würde.
Dieser Tag, an dem sich mein Leben von Grund auf änderte, lag nun bereits schon  vierzehn Jahre zurück. Und bis zum heutigen Tag war ich meinem Ursprung nicht ein bisschen näher gekommen. Das lag mit Sicherheit auch an mir. Einerseits nagte die Neugierde an mir, aber andererseits hatte ich Angst davor. Was erwartet mich, wenn ich meine biologischen Eltern treffe? Wollten sie mich überhaupt sehen?
Doch nun war es endlich an der Zeit, alles über mich und meine wahre Herkunft zu erfahren.
Die U-Bahn war in Riem an der Haltestelle angekommen. Wie eine Schlafwandlerin stieg ich aus und machte mich auf den Weg zu meiner Wohnung, die sich  in einem Mehrfamilienhaus befand, das auf dem ehemaligen Flughafengelände von München gebaut worden war.
Bei einer Sache war ich mir sicher, was ich definitiv nicht wollte, war meine Eltern mit dieser Suche zu verletzen. Meine Adoptiveltern waren mir wirklich liebevolle Eltern, die mich auf jeden meiner Wege des Erwachsen Werdens begleiteten. Ohne nicht auch bei Bedarf, mit der nötigen Strenge zu reagieren. Nein, ich fühlte mich stets geliebt und gut behütet.
Mein Vater war Major bei der Army gewesen und er ist ein toller Mann, der für sein Alter, dank seines durchtrainierten Bodys, noch verdammt gut aussieht. 
Er war sicherlich Streng, aber auch gerecht und verdammt liebevoll.
Wie es bei der Army ebenso ist, wurde auch mein Vater, vor seinem Ruhestand,  immer wieder an andere Einsatzorte versetzt. Und vor über achtzehn Jahren, als ich gerade elf Jahre alt war,  war mein Vater erst nach Bad Aibling in Bayern versetzt worden, und im Laufe der Zeit landeten wir dann Schlussendlich in Heidelberg bei Frankfurt. 
Meine Mutter war immer die brave, herzensgute und verständnisvolle Soldatenfrau und Mutter, die sich ein Mann in diesem Beruf nur wünschen konnte. Sie waren als Eltern einfach nur perfekt. Doch mir drängte sich immer wieder die Frage auf ob sich nicht irgendwo auf dieser Welt noch Geschwister von mir befanden, die vielleicht auch nach mir suchten?
Nach dreimonatigen Ringen engagierte ich einen Detektiv, der mir dabei helfen sollte mehr über mich rauszufinden. Meine Eltern konnten mir hierbei leider nicht viel sagen, was weiterhelfen konnte.
Sie wussten nur dass ich auf Vancouver Island zur Welt kam. Und alles damals ungewöhnlich schnell mit der Adoption über die Bühne gegangen sein musste. Aber damals wollten sie sich darüber keine Gedanken machen, sie waren einfach nur glücklich darüber gewesen mich bekommen zu haben.
Jetzt hoffte ich, dass mir dieser Detektiv weiterhelfen konnte. Er war eine Empfehlung von Daniela, einer sehr guten Freundin gewesen, die über diesen Mann ihren lange verschollenen Vater fand. Sie meinte das er ein wenig seltsam sei, aber wusste was er tut und sein Geld wert ist. Na, ihr Wort in Gottes Ohr. Da wir uns bereits seit der ersten Klasse kannten, vertraute ich ihr in solchen Dingen, denn sie wusste so gut wie kein anderer wie mich dieses Thema im Laufe meines Lebens immer wieder beschäftigte.   
Der Detektiv war ein Mann von 55 Jahren, mit einem Rauschebart, der alleine schon deshalb etwas sonderbar aussah. Obendrein besaß er die seltsame Angewohnheit jedes wichtige Detail immer zweimal zu sagen. Sein Name war Ralf Steiner. Und dieser Ralf Steiner rief mich vor zwei Tagen an und erzählte mir mit seiner sehr quietschig und schleimig klingenden Stimme dass er die Adoptionsagentur in Vancouver ausfindig machen konnte, die damals meine Adoption abwickelte. Doch die größte Überraschung war die Nachricht, dass in Vancouver selbst angeblich noch eine Schwester von mir lebte, die ebenfalls nach mir und unserer Familie auf der Suche war. 
Mir blieb bei dieser super, Wahnsinns Nachricht fast das Herz stehen, ich konnte es nicht glauben. Ich schlug mir mit der flachen Hand auf die Stirn, darauf hüpfte ich wie eine gestörte durch mein Wohnzimmer und wusste nicht ob ich weinen oder lachen sollte. Sobald ich wieder einigermaßen bei Sinnen gewesen war, informierte ich sofort tränenüberströmt Daniela über die absolut geile Nachricht und ich versprach ihr, sie bei der nächsten Möglichkeit abzuknutschen und sie als Dank für ihre Hilfe ganz fein zum Essen einzuladen. Danach gönnte ich mir zu meiner Beruhigung eine heiße Tasse Kakao mit einem großen Schuss Amaretto. 
Eine handfeste Information . Ich hatte endlich nach so vielen Jahren eine handfeste Information die mich meinen biologischen Eltern näherbrachte und mindestens einer Schwester.
Jetzt war ich Feuer und Flamme. Nun konnte ich es nicht mehr erwarten noch mehr zu erfahren. Gab es noch mehr Geschwister? Was würde ich noch alles erfahren? Wie wohl meine Eltern aussahen? Ob ich meiner Schwester ähnlich war? Ob sie genauso tollpatschig wie ich war?
Mein Magen zog sich nur bei den Gedanken an die Zukunft zusammen.
Unruhig lief ich in meinem Wohnzimmer, zwischen meiner beigefarbenen Couch und meinem nusshölzernen Wohnzimmerschrank hin und her. Wie sollte ich nun weiterverfahren?
„Autsch, Mist aber auch.“ Zum fünftausendsten Mal schlug ich mir mein Knie an meinem ebenfalls nusshölzernen Wohnzimmertisch an. Das gab einen blauen Fleck. Mit der flachen Hand rieb ich an der schmerzenden Stelle.
Ich war als Einzelkind aufgewachsen. Auch wenn Einzelkind sein, seine Vorteile hat, man bekommt mehr Geschenke, man muss mit niemanden etwas teilen oder die Klamotten tragen die deine Geschwister vorher bereits trugen. Alleine aufzuwachsen ohne jemanden zu haben mit dem man die Eltern ärgern  oder geheime Dinge austauschen konnte, fehlte damals in meinem Leben. Ich muss zugeben, ich habe oft meine Freundinnen beneidet, die Geschwister zu Hause hatten. Aber andererseits haben die mich oft um mein Einzelkind da sein beneidet. Vielleicht war es ganz einfach egal welche Situation man vorfand, man wollte wahrscheinlich immer das Gegenteil davon haben. Geschwister wären lieber Einzelkinder, Einzelkinder hätten gerne Geschwister, Frauen mit lockigen Haaren wollen lieber glatte und Frauen mit glatten Haaren wollen lieber Locken. So oder so, war man nie zufrieden.
Ich beschloss kurzerhand einen unbezahlten Urlaub zu nehmen und nach Vancouver zu fliegen.
Am nächsten Tag überfiel ich meinen Chef mit meiner kurzfristigen Planung. Natürlich war er ganz und gar nicht davon begeistert und bohrte nach.
„Also Chrisi, du bist dir ganz sicher das dieser Detektiv auch koscher ist? Ich will nur nicht, dass du am Ende vor einer Enttäuschung stehst und dafür noch einen Haufen Geld ausgegeben hast. Keine Frage, ich kann dich absolut verstehen, ich würde es auch wissen wollen, aber es fällt mir wirklich schwer dich für eine unbekannten Zeitraum freizustellen.“
Mein Chef, der nicht gerade unattraktiv war, mit seinen einen Meter und achtzig, sportlicher Figur und lockigen braunen Haaren, setzte mit seinen braunen Kulleraugen einen Hundeblick auf, den er über die Jahre perfektioniert hatte. Am Anfang meiner Tätigkeit bei dieser Firma, war ich ein wenig verliebt in ihn, was aber ohne Zukunft war, da er glücklich verheiratet und Vater zweier bezaubernder Töchter von drei und fünf Jahren war.
Mein schlechtes Gewissen meldete sich kurz, aber ich wollte mich nicht von diesem Hundeblick einwickeln lassen und zeigte ihm meine Entschlossenheit mit fester Stimme.
„Ja ich weiß Karl und es tut mir auch furchtbar leid dass das alles sehr kurzfristig passiert, aber ich muss es tun, auch auf die Gefahr hin das sich dieser Detektiv geirrt hat.“
Mit einem lauten Seufzer, stellte Karl mich frei. Juhu.    
Ein Flug nach Vancouver, den ich noch am selben Tag buchte, schmälerte mein Sparbuch schmerzhaft. Die nötigsten Dinge, die man für eine Reise benötigte, waren für eine Frau, die eigentlich nie weiß was sie einpacken soll, in Rekordzeit gepackt. Denn die Reise begann bereits am nächsten Tag. 
Aufgeregt verabschiedete ich von meinen Eltern. Immer ermunterten sie mich diesen Schritt zu gehen und nun, da es soweit war, sprachen ihre Gesichter eine andere Sprache, auch wenn sie ihre Gefühle mir gegenüber zu unterdrücken versuchten und würden es auch nie zugeben. Sicher fühlten sie die gleiche Angst, wie ich bis dato. Wir könnten uns verlieren. Danach wäre nichts mehr wie zuvor und dieses Wissen konnte einen schon beängstigen. Ich war überzeugt davon, dass dies nicht geschehen würde, trotzdem verließ mich mein schlechtes Gewissen nicht.
Mit beruhigenden Worten versuchte ich ihre Sorgen zu mildern. Lange würde ich sowieso nicht weg sein und die wichtigsten Menschen in meinem Leben waren hier in Deutschland und nicht in Kanada. Daran würde sich niemals etwas ändern.
Zumindest ging ich zu diesem Zeitpunkt davon aus. 
Die Reise dauerte gefühlte fünfzig Stunden, obwohl es nur ein zwölf Stunden Flug war. Mein Gefühlsmäßiges Innenleben war in Aufruhr. Ich war nervös und konnte keinen klaren Gedanken fassen. Was würde ich vorfinden? Mir war schon ganz übel vor Aufregung und ich vergaß sogar für diese Stunden meinen Tagtraum Prinzen. 
Von der Ankunft in Vancouver selbst, bis hin zur Abholung meines Gepäcks und Finden eines Taxis, bekam ich so gut wie nichts mit. Erst als ich in dem Taxi ein wenig zur Ruhe kam, konnte ich den Ausblick genießen und Vancouver erst richtig wahrnehmen. Es war eine tolle Stadt. Multikulti dynamische bot sie einem alles. Einige Informationen holte ich mir über das Internet. Einige Infos besaß ich ja schon vorab, aber ich fühlte mich wirklich von dieser Stadt eingenommen, wie zu Hause angekommen. 
Selbst Norfolk, die Stadt in der ich mit meinen Adoptiveltern einen Teil meiner Kindheit verbrachte, kam mir bereits wie in einem anderen Leben vor und diese Zeit war bei weitem noch nicht sehr lange her und ich hatte mich dort nie zu Hause gefühlt was die Stadt betraf. 
So viele Eindrücke die mir bekannt vorkamen. Ich konnte es mir selbst nicht erklären, aber es war einfach so.
Das Taxi fuhr mich direkt vom Flughafen in die Granville Street 156, in der sich die Adoptionsagentur befand.
Mit der gespiegelten Glasfront und den gradlinigen Strukturen, gab sich das Gebäude absolut professionell und rein geschäftsmäßig. Vor dem Eingang drehte ich mich einmal um mich selbst und bekam große Augen, von hier aus konnte man sogar das beeindruckende Gebäude des Orpheum Theaters sehen.
Wie ein Schwamm sog ich alles Gesehene in mir auf. Meine Nerven waren bis auf das äußerste gespannt, meine Hände feucht vor Nervosität und mein ganzer Körper zitterte leicht. Ich hoffte nicht vor dem Gebäude zusammen zu brechen und an einem Herzinfarkt zu sterben. Das wäre ein absolut unpassender Augenblick, jetzt wo ich so kurz vor meinem Ziel stand.
Die elementarste Frage die sich mir heute stellte war, würde ich heute alles erfahren worauf ich schon so lange wartete? Oder stellte sich das Ganze als dummen Irrtum heraus? Gott, stand ich hiernach wieder am Ende einer Sackgasse? Meiner Sackgasse? Und würde ich danach die Kraft finden von neuem zu beginnen?
So wie im Erdgeschoss angeschrieben fuhr ich mit einem gläsernen Aufzug in die siebte Etage. Hier durfte man eindeutig keine Höhenangst haben. 
Alles sah so elegant aus. Ich kam mir wie ein kleines Schulmädchen vor, das mit einem zwiespältigen Gefühl, als ob man zum Schuldirektor musste und Weihnachtsgeschenke aufmachen gleichzeitig, den Gang entlangwanderte. 
Möglichst leise verlies ich den Aufzug und ich lief auf einen dunklen Teppich entlang, der gnädig jeden meiner Schritte schluckte. Mein Herz raste wie wild. Ich hatte das Gefühl als würde es gleich aus meinem Hals hüpfen.
Eine Million Fragen surrten durch meinen Kopf, nicht eine Sinnvolle und  mir wurde doch tatsächlich leicht schwindelig.  Unsicher machte ich mich auf die Suche nach der Eingangstüre zur Adoptionsagentur.  Ich mochte es nicht gerne in ein Gebäude zu gehen in dem ich mich nicht auskannte, was meine noch immer vorhandene Nervosität nicht einfacher machte.
Die Wände, die in einem hellen Beigen Ton gehalten waren und an denen in regelmäßigen Abständen Bilder von Vancouver selbst platziert worden waren, zogen vorbei an mir wie in einem unwirklichen Traum. Doch ich hatte nicht die innere Ruhe sie mir anzusehen. Ich wollte jetzt nur noch so schnell wie möglich erfahren, wo sich meine Familie befand und alles hinter mich bringen.
Ein Schild Adoptionsagentur wies mir die Richtung. Wenigstens war ich schon einmal im richtigen Stockwerk. Mit einer schnellen Bewegung wischte ich mir an meiner Hose die klebrigen, feuchten Handflächen ab, mit wenig Erfolg.
Ich schluckte schwer als ich vor dem Eingang zur Agentur stand. Mein Herz pochte wie wild, normalerweise hätten die Angestellten alleine vom wilden schlagen meines Herzens auf mich aufmerksam werden müssen.
Zaghaft klopfte ich. Niemand meldete sich mit einem herein.
„So ein Mist, reiß dich zusammen McKenzie, sei nicht so ein verdammter  Schiesser!“
Fast verwegen klopfte ich erneut. Und schrak zusammen, denn es war etwas zu laut ausgefallen. Die denken bestimmt, dass eine Irre vor ihrer Tür steht, schoss es mir voller Panik durch den Kopf. Die setzen mich bestimmt gleich wieder vor die Türe. Von einem Bein auf das andere zappelnd versuchte ich mir eine glaubhafte Ausrede einfallen zu lassen. Ich könnte aber auch schnell weglaufen und später wieder zu kommen und dann musste ich nur so tun als ob ich von nichts wüsste. Oh Gott, oh Gott, oh Gott, was mach ich bloß? Ich erzähl denen einfach, dass mein Flieger verspätet gelandet ist, das wäre doch eine gute Ausrede. Irgendetwas würde mir da schon einfallen. Da drang auch schon das zuvor vermisste „herein“ an mein Ohr. Zu meiner Verwunderung hörte es sich absolut freundlich an.
Eilig wischte ich meine erneut verschwitzten Hände ab. Meine rechte Handwanderte zitternd wie bei einer alten Frau in Richtung Türklinke. Bevor ich sie jedoch berührte wischte ich sie mir noch schnell mal mit einer fahrigen Bewegung an meiner Hose trocken. So ein Mist, konnten die nicht mal trocken bleiben? Dann nahm ich total verkrampft die Klinke in die Hand und plötzlich schoss mir wie ein kurzer Stromstoß, ein Gefühl der Angst und gleichzeitig auch der Vertrautheit durch meinen Körper. Ein Bild meines Tagtraummannes schob sich kurz vor mein inneres Auge. Es sah aus als ob er mir zuwinken würde. Verstört wich ich einen Schritt zurück und zog meine Hand von der Klinke weg. Langsam schwang die Türe auf. Verwirrt blieb ich wie angewurzelt stehen und starrte die Türklinke an. Was zum Teufel war das denn gerade gewesen? Hatte ich mich auf den Weg hierher an dem Teppich so sehr aufgeladen, dass so etwas passieren konnte? Aber diese Gefühle? Das war schon mehr als seltsam gewesen.
Ich wurde durch ein „Ja bitte“, aus meinen Gedanken gerissen. Immer noch verwirrt und mit einem verlegenen Lächeln betrat ich den Empfangsbereich der Agentur, dabei stolperte ich auch noch über meine eigenen Füße und rammte die Eingangstüre mit meiner Schulter ganz auf, so das sie mit Schwung nach innen, ganz auf und gegen die Mauer knallte. Ich konnte mich gerade noch so auf den Füßen halten. Man wie peinlich war das denn?
Nun stand ich mit hochrotem Kopf und verwirrt vor einer jungen hübschen Brünetten. Sie sah mir mit ihren leuchtend blauen Augen freundlich entgegen. Verlegen stammelte ich ein „sorry“ vor mich hin und suchte das Loch in das ich versinken konnte. Doch die junge Frau lächelte mich weiter an. 
In Gedanken betete ich dafür dass ich nicht gleich in Ohnmacht falle. In meinen Kopf versuchte ich meine Gedanken wieder zu ordnen.
Beweg dich vorwärts, freundlich Lächeln und vergiss das Atmen nicht, damit du nicht doch noch umkippst, flüsterte meine innere Stimme und im nächsten Moment stand die Empfangsdame schon vor mir.
„Hallo ich bin Emily Ryan und sie sind wahrscheinlich Chrisi McKenzie?“
Sofort merkte ich wie die Anspannung von mir abfiel und ich mich wieder ohne Probleme auf die wesentliche Sache konzentrieren konnte.
„Ja“, antwortete ich ihr mit einer etwas kratzigen Stimme.
„Schön sie persönlich kennenzulernen. Ich hoffe sie hatten einen guten Flug?“
Nach einem kurzen räuspern antwortete ich ihr. „Es war o.k.“ Meine Stimme klang langsam wieder wie meine eigene.
„Kommen sie doch rein Ms McKenzie. Darf ich ihnen etwas zu trinken anbieten? Kaffee, Tee, Wasser oder Saft?“
„Saft wäre schön.“
Oh Gott, was redete ich nur? Saft wäre schön, so was Blödes.
„Bringe ich ihnen sofort, wenn sie bitte in der Zwischenzeit bis Mrs. Stevens so weit ist, hier Platz nehmen würden? Sie führt gerade noch ein Telefonat.“
Sie deutete auf eine rote, gemütlich aber teuer aussehende Sitzgarnitur. Schnell nickte ich ihr zu und setzte mich artig darauf. Wieder war das Schulmädchen da.
Tief atmete ich durch und ich lehnte mich zurück. Die Sitzgarnitur sah nicht nur gemütlich aus, sie war es auch.
In den nächsten Minuten lenkte ich mich damit ab, wie komfortabel doch diese Couch war und was diese denn im Laden kostete. Ich wollte nicht über das seltsame nachdenken was gerade beim Eintreten passiert war. Vielleicht stand ich auch nur zu sehr unter Spannung, was ja in dieser Situation kein Wunder wäre.
Mit einem Lächeln wie aus der Zahnpasta Werbung kam Emily zurück und brachte mir in einem aussehenden Kristallglas meinen Apfelsaft. Ich bedankte  mich dafür und nahm sofort einen großen Schluck davon um die Trockenheit die sich vor lauter Aufregung gebildet hat zu verbannen und dabei gab ich peinlichst darauf Acht mich nicht auch noch zu verschlucken. Mit Sicherheit würden die es mir übel nehmen, wenn ich den guten Apfelsaft auf die bequeme Couch spuckte. Und ich hatte für so etwas definitiv das Talent dazu. 
„Mrs. Stevens ist gleich soweit, es dauert nur noch einen kleinen Moment.“
Mit einem Lächeln, das wahrscheinlich wie eine Monsterfratze rüberkam, nickte ich Emily zu.
„Bitte Gott lass es  nicht mehr lange dauern, sonst platze ich noch“, betete ich leise vor mich hin. Zu meinem Glück meinte es Gott ausnahmsweise gut mit mir und erhörte mein flehen.
Die schwere Holztür zum angrenzenden Büro ging auf und eine rassige rothaarige Frau, die ohne Probleme als Model durchgehen konnte, betrat den Raum. Ihr Blick heftete sich sofort an mir fest und sie steuerte, mit einem ebenso freundlichen Lächeln wie Emily anfangs, auf mich zu. Schnell sprang ich auf. Dabei achtete ich aber peinlichst darauf von dem Apfelsaft nichts zu verschütten, den ich immer noch in der Hand hielt, da ich keine Flecken auf den Glastisch hinterlassen wollte.
 Neben dieser Frau kam ich mir mit meinen normal dunkelblonden, schulterlangen Haaren und meinem nichtgerade durchtrainierten Körper, wie das hässliche Entlein höchstpersönlich vor. Ein wenig Neid stieg in mir auf. Sie überragte mich um eineinhalb Köpfe und hatte Traummaße was ihren Körperbau betraf. . 
„Hallo Ms Mc Kenzie, ich bin Jessica Stevens, schön sie kennenzulernen.“ Überschwänglich schüttelte sie mir meine Hand.
„Ich hoffe ich habe sie nicht all zulange warten lassen?“
Schüchtern wie ein Kleinkind schüttelte ich den Kopf und brachte kein Wort hervor. Gott, was war nur mit mir los?
„Schön, dann folgen sie mir bitte in mein Büro.“ Während wir uns auf den Weg ins Büro machten, sprach sie ohne Unterbrechung weiter. Wie denn mein Flug gewesen wäre, dass das Wetter heute hervorragend wäre usw., usw. Irgendwie konnte ich ihrem Gespräch aber nur schwer folgen, denn mich interessierte nur eines und auf das würde sie erst kommen, wenn wir in ihrem Büro waren. Doch dann wechselte Mrs. Stevens urplötzlich das Thema und ich wurde hellhörig.
„Also Ms. McKenzie, durch ihre Angaben die sie und ihr Detektiv mir ja schon telefonisch durchgaben, sind wir mit unseren Nachforschungen schon ein gutes Stück weiter gekommen. Und ich habe auch noch eine Überraschung für sie, ihre Schwester wird auch bald hier eintreffen, das ist schon mal vorab die gute Nachricht für sie.“
Als ich das hörte, stieg mein Puls wieder schlagartig auf 380 an. Ich hatte tatsächlich eine Schwester die ich gleich kennenlernen sollte. Ich konnte es immer noch nicht glauben.
Sie war, bald standen wir uns persönlich gegenüber. Ob sie älter oder jünger war als ich? 
Allerdings war mir auch nicht der mit einem gewisse Unterton in ihrem,  „das ist schon mal die gute Nachricht“ entgangen. Was mich doch ein wenig beunruhigte.
Schnell lief ich die drei Schritte zu Mrs. Stevens rüber und fragte nach. „Was heißt das genau bitte? Gibt es auch eine schlechte Nachricht für mich?“ fragte ich vorsichtig nach. Ich hoffte inständig dass sie diese Frage verneinen würde. Aber diesen Gefallen tat sie mir leider nicht.
„Ja leider Ms. Mc Kenzie. Aber darauf würde ich gerne näher eingehen wenn ihre Schwester Helen auch anwesend ist, was jeden Moment der Fall sein dürfte.“
In meinem Bauch machten sich, bei dem Gedanken daran, gleich meine Schwester zu treffen, Glücksgefühle breit.
Ihr Name war also Helen. Ich hatte eine Schwester mit dem Namen Helen, dass alleine war doch schon total genial. Wie sie wohl aussah? 
Unruhig rutschte ich auf dem sehr bequemen roten Sessel, auf dem ich in der Zwischenzeit Platz genommen hatte und in Mrs. Stevens Büro stand  hin und her. Der Chef dieses Agentur stand wohl offensichtlich auf Rot.
Mrs. Stevens setzte sich hinter ihren großen modernen Schreibtisch und wollte gerade etwas sagen, als die sympathische Stimme von Emily aus einer Sprechanlage erklang.
 „Mrs. Stevens, Ms. Seale ist jetzt eingetroffen.“
„Ah ja, begleiten sie doch Ms. Seale bitte gleich in mein Büro Emily.  Danke.“
Mrs. Stevens stand von Bürosessel auf und ging zur Türe die auch schon, nach einem kurzen klopfen,  von außen geöffnet wurde. Dummerweise stand Mrs. Stevens so, dass ich nicht an ihr vorbei sehen konnte. Selbst als ich mich nach links beugte konnte ich nur den Zipfel einer schwarzen Jacke sehen. So ein verdammter Mist.
„Hallo Ms Seale, schön sie wieder zu sehen.“ Hörte ich sie reden. Angestrengt lauschte ich. Ein nervöses Räuspern drang an mein Ohr. „Hallo Mrs. Stevens, ja ich freue mich auch. Ist meine Schwester Chrisi schon da?“
Sie wusste meinen Namen. Mein Herz machte einen Freudensprung. Nun hielt mich nichts mehr auf meinem Sessel und ich sprang förmlich auf,  meinen Blick wie gebannt auf den Rücken von Mrs. Stevens gerichtet. Sie hatte auf die Frage nur genickt, lächelnd wahrscheinlich und machte endlich einen Schritt zur Seite mit einer Handbewegung in meine Richtung.
Da stand sie, meine Schwester Helen.
Ein dicker Kloß wuchs in meinem Hals, ich schluckte schwer. Doch ich konnte die Tränen die sich nun mit aller Macht einen Weg nach draußen bahnten nicht mehr zurückhalten. Helen und ich rannten beide heulend und mit offenen Armen  aufeinander zu und begrüßten einander herzlich umschlungen.
Schluchzend hörte ich sie sagen, „Oh mein Gott, ich kann es nicht glauben, ich habe dich wirklich gefunden! Ich hatte die Hoffnung schon beinahe aufgegeben.“
Wir drückten uns noch fester aneinander. Ich wollte sie nie mehr los lassen.
Ich brachte nur ein herzzerreißendes „Mhm“ hervor, zu mehr war ich in diesem Moment nicht im stande. Mein Körper bebte vor Glück und Erleichterung, dass meine Schwester ebenso froh über dieses Zusammentreffen war wie ich. Wir lösten uns voneinander, hielten uns aber weiterhin an den Händen fest. Durch einen Schleier von Tränen sahen wir uns in die Augen. Mir wurde es vor Freude innerlich heiß und kalt zugleich. Ich konnte dieses Wunder immer noch nicht fassen.  
Helen konnte sich also noch an mich erinnern, somit musste sie älter sein als ich. Alleine diese Erkenntnis lies meine Freude ins unermessliche steigen.
Helen hatte im Gegensatz zu mir schwarze Haare aber auch braune Augen. Dennoch sahen wir uns unheimlich ähnlich. 
Nach einer gefühlt viel zu kurzen Zeit, sprach uns Ms Stevens an, doch erst beim zweiten Anlauf reagierten Helen und ich darauf. Mir fiel auf dass auch in Ms. Stevens Augen tränen schimmerten, was in mir wieder eine erneute Heulwelle lostrat.
„Meine Damen es tut mir leid, ich möchte ihren trauten Moment nur ungern stören, doch ich habe gute Gründe die auch in ihrem Interesse liegen. Sie werden später noch erfahren welche. Ich habe noch ein paar Informationen für sie, die für sie beide sehr wichtig sind. Setzen wir uns doch bitte, dann redet sich es besser miteinander.“
Nur schwer konnten Helen und ich voneinander und von diesem Augenblick loslassen. Hand in Hand folgten wir der freundlichen Aufforderung.
Wir setzten uns, doch meine Schwester und ich hielten uns weiterhin an den Händen fest.
Mrs. Stevens räusperte sich und wurde als sie mit den Neuigkeiten zu berichten anfing wieder ganz geschäftsmäßig.
Ich lächelte Helen überglücklich an und drückte sanft ihre Hand, was sie sofort erwiderte.
„Ich freue mich wirklich für sie beide, dass sie sich nach so langer Zeit wieder gefunden haben und wir ihnen dabei behilflich sein durften und auch konnten.“
Mrs. Stevens machte eine kurze Pause und blätterte in ihren Unterlagen.
„Leider muss ich ihnen beiden auch eine weniger schöne Nachricht mitteilen.“
Ein ungutes Gefühl beschlich mich, ein kalter Schauer rieselte mir den Rücken hinab. Mein Gefühl sagte mir dass das was jetzt auf uns zukam ganz und gar nicht gut war und am liebsten hätte ich mir die Ohren zugehalten, denn ich war gerade eigentlich sehr glücklich und wollte mir das durch nichts kaputt machen lassen. Aber es war wichtig diese Sache zu erfahren, um einen inneren Frieden zu finden.
„Wie wir es besprochen hatten, haben wir natürlich auch nach ihren Eltern gesucht, und dabei herausgefunden dass ihre Eltern Jack und Catherine Rickwood, geborene Kilvert waren. Wie es ihnen wahrscheinlich schon aufgefallen ist, habe ich in der Vergangenheit von ihren Eltern gesprochen. Es tut mir so leid ihnen keine bessere Nachricht in dieser Angelegenheit überbringen zu können,  aber ihre Eltern sind damals leider bei einem tragischen Unfall ums Leben gekommen, was auch letztendlich der Grund für ihre Adoptionsfreigabe war. Es tut mir wirklich sehr leid. Gerne hätte ich ihnen eine bessere Nachricht, was ihre Eltern betrifft, überbracht.“
Mrs. Stevens ließ uns die Zeit, die wir benötigten um das gerade gehörte zu verdauen.
Für einen Moment lang wusste ich nicht was ich fühlen soll. Ich hielt Helens Hand fest, dabei sahen wir uns für einen Moment an.
Was wohl in Helens Kopf gerade vorging? Ich für meinen Teil wusste nicht, wie ich mit dieser Nachricht umgehen sollte. Einerseits sprachen wir gerade von meinen leiblichen Eltern und sie waren tot. Andererseits habe ich sie nie bewusst gekannt und es war so lange her. Doch die Endgültigkeit darin, sie auch nie mehr kennenlernen zu dürfen, machte mir mehr zu schaffen als ich mir selbst eingestehen wollte.
Nach einer kurzen Pause sprach Mrs. Stevens weiter.
„Ihre Eltern sind in Campbell River geboren und aufgewachsen, genauso wie sie Ms Mc Kenzie und Ms Seale in Campbell River geboren wurden.“
Campbell River. Das war mein Geburtsort. Hörte sich doch gut an. Chrisi Mc Kenzie, geboren in Campbell River, Kanada.
Ich wandte mich an Ms Stevens.
„Wo liegt dieses Campbell River denn eigentlich genau? Und wissen sie vielleicht etwas über die Umstände des Unfalls bei dem unsere Eltern ums Leben gekommen sind?“
„Campbell River liegt auf Vancouver Island. Es ist eine große und sehr schöne Insel vor Vancouver und auch geschichtlich gesehen schon das eine oder andere hinter sich hat. Was aber den Tod ihrer Eltern betrifft…. laut Polizeibericht konnte ich nur erfahren das die beiden in ihrem Haus bei einem Brand  im Schlaf ums Leben gekommen sind. Sie beide, Ms Mc Kenzie und Ms Seale haben nur überlebt, da sie in dieser Nacht bei ihrer Großmutter geschlafen haben und somit nicht zu Hause gewesen sind. Genauere Details weiß ich leider nicht. Aber es gibt einen Anwalt in Campbell River der ihnen vielleicht mehr dazu sagen kann, er hatte, soviel ich weiß, mit ihrer Großmutter Kontakt.“
Mrs. Stevens kramte in den Unterlagen und zog eine Visitenkarte hervor und drückte sie Helen in die freie Hand.
„Rechtsanwalt Robert Mitchell“, las sie laut vor.
„Bei diesem Anwalt sollten sie sich melden, der kann ihnen bestimmt mehr über den tragischen Hergang erzählen und wie alles zu der Adoption kam. Er war der Anwalt ihrer Großmutter gewesen.“
 Helen und ich hielten uns noch immer fest an der Hand, so als hätten wir Angst davor, uns im nächsten Moment wieder zu verlieren.
„Und hier muss ich ihnen leider noch etwas Trauriges mitteilen.“, fuhr Mrs. Stevens fort. „Ihre Großmutter mütterlicherseits, ist vor knapp zwei Wochen an einem Herzinfarkt gestorben.  Es tut mir wirklich sehr leid.“
Ich atmete tief durch. Wieso hatte ich die Suche nicht ein paar Monate früher in Auftrag gegeben? Dann hätte ich meine Großmutter noch kennenlernen dürfen.
„Was die Hinterlassenschaft ihrer Großmutter betrifft, sie hat ihnen einiges in Campbell River hinterlassen. In dieser Sache sollten sie sich ebenfalls bei Mr. Mitchell so bald wie möglich melden, denn er ist ebenfalls auf der Suche nach ihnen, da sie beide die einzigen Nachkommen sind. Am besten suchen sie Mr. Mitchell bereits morgen auf, damit sie alles klären können. Jetzt wo sie beide sich nach so langer Zeit gefunden haben und ihnen dieses Erbe rechtlich zusteht.“
Geknickt senkte ich meinen Kopf.  Es war zu spät und vielleicht sollten wir sie einfach nicht kennenlernen? Schließlich wurde von ihrer Seite aus nie ein Suchauftrag gestartet.
Nachdenklich sah ich Mrs Stevens an. „Wenn wir eine Großmutter hatten, warum hat sie uns dann nicht genommen als unsere Eltern gestorben waren?“
Auch Helen fragte, „Ja warum eigentlich nicht? Das ist eine gute Frage.“
Mrs. Stevens hob ihre Schultern.
„Dazu kann ich leider nichts sagen, aber ich denke Mr. Mitchel der der persönliche Anwalt ihrer Großmutter war, kann ihnen auch dazu mehr mitteilen.“
Etwas enttäuscht über diese Antwort, nahm ich Helen die Visitenkarte aus der Hand und las zum wiederholten Male die Visitenkarte.
 
                                           Robert Mitchel
                                            Rechtsanwalt

„Was ich ihnen aber noch über ihre Herkunft sagen kann, ist dass ihr Vater übrigens ein Eingeborener von Vancouver Island war. Er war ein Nuu-chah-nulth, ein stolzes Volk mit einer langen und interessanten Geschichte. Ich denke das sie Ms. Seale, wenn ich mir dieses Foto von ihren Eltern ansehe, was mir Mr. Mitchell zugesendet hat, dass sie nach ihrem Vater kommen dürften. Die schwarzen Haare, die braunen Augen. Aber der Rest des Gesichtes ist eindeutig ihrer Mutter zu zuschreiben.  Und sie Ms Mc Kenzie kommen vom Aussehen ebenfalls nach ihrer Mutter, die blonden Haare, doch die Farbe ihre Augen sind ebenfalls ihr Vater.“
Helen und ich stürzten und gleichzeitig auf das Foto das  Mrs. Stevens uns entgegenhielt. Mein Blick saugte sich an den Personen auf diesem Bild fest. Sie waren ein so hübsches Paar gewesen. Wie gerne hätte ich die beiden kennengelernt. Warum nur mussten sie sterben?
„Gibt es denn von Mutters Seite noch Verwandte?“ hackte ich nach.
Mrs. Stevens schüttelte den Kopf, „nein wir konnten leider keine weiteren Verwandten mehr ausfindig machen. Aber ich würde ihnen wirklich ans Herz legen, sich heute noch auf den Weg nach Campbell River machen. Sie würden noch leicht die Fähre um siebzehn Uhr dreißig erreichen. Morgen ist Freitag, da müsste Mr. Mitchel auf alle Fälle erreichbar sein, heute ist er soviel ich weiß nicht in seinem Büro mehr anzutreffen.“
Helen und ich sahen uns an, wir mussten nichts zueinander sagen, beide wussten wir dass wir uns mit absoluter Sicherheit heute noch auf den Weg nach Campbell River machen würden.
Es war ein unglaubliches Gefühl, wir kannten uns erst seit ein paar Minuten, aber alles war so vertraut.

Helen hatte ihren VW Golf aus grauer Vorzeit in einem Parkhaus, nicht weit von der Adoptionsagentur geparkt. Gut dass ich nicht viel Gepäck dabei hatte. Alles Weitere konnten mir meine Adoptionseltern per Post zusenden, wenn nötig. Ein schlechtes Gewissen breitete sich in mir gegenüber den beiden aus. Doch sie hatten gesagt sie würden es verstehen und mich in allem unterstützen was nötig war um meine Vergangenheit aufzuklären. Ich schellte mich selbst, ich wollte damit doch nur mein schlechtes Gewissen wieder etwas beruhigen, was aber nicht ganz klappte. Die beiden waren so gut zu mir und ich verletzte sie zum Dank dafür damit, dass ich sie sogar verließ, auf der Suche nach meiner Vergangenheit. War das fair? Ich wollte auf alle Fälle so schnell wie nur möglich wieder Kontakt zu Mum und Dad aufnehmen und mit ihnen alles besprechen.

Helen und ich fuhren noch bei ihr zu Hause vorbei um ein paar Sachen zu holen. Sie hatte eine kleine Ein-Zimmerwohnung in einer netten Gegend von West End von Vancouver.
„O.k. Chrisi wir haben noch ein wenig Zeit, hast du Hunger? Dann kann ich dir noch schnell ein Sandwich machen.“ Bot Helen an als wir in ihrer Wohnung standen und sie das Nötigste einpackte.
 „Für ein größeres Gericht müsste ich erst einkaufen gehen, dafür fehlt uns aber leider die Zeit.“
Wie auf Kommando fing mein Magen zu knurren an. „Muss ich noch etwas dazu sagen? Ein Sandwich reicht vollkommen aus. Du kannst mich ja ein anderes Mal bekochen.“
 Beide mussten wir herzhaft lachen. Eines stand fest, Helen und ich waren auf einer Wellenlänge. Uns verband etwas, was man nicht beschreiben konnte und was über die Jahre hinweg gehalten hatte.
„Wenn du auf Fertiggerichte stehst? Dann gerne“, scherzte Helen.
„Wenn das so ist, werde ich lieber das mit dem Kochen übernehmen. Magst du auch gute deutsche Küche?“
„Ich esse alles, solange ich es nicht selbst kochen muss“, schmunzelte Helen.
Als ich meinen Magen mit Essen beruhigt hatte, machten wir uns schleunigst auf den Weg zur Fähre, die wir auf keinen Fall verpassen wollten.
Ich war innerlich total aufgewühlt. Es war als ob Weihnachten wäre, ich mein Geschenk in den Händen halten würde aber noch nicht wusste was drin war. Es war unbeschreiblich toll dieses Gefühl.
Wir fuhren  als zweites Auto auf die Fähre. Und das Ding war beim losfahren brechend voll.
Die Überfahrt nach Vancouver Island dauerte ein klein wenig und somit hatten Helen und ich Zeit uns schon mal besser kennenzulernen. Wir stellten fest dass Helen zwei Jahre älter war, als ich. Somit hatte auch Helen nur leider bruchstückhafte Erinnerungen an unsere Eltern. Helen war von einer Familie in Vancouver adoptiert worden, die sie liebevoll großgezogen und auch verzogen haben, wie sie von sich selbst behauptete.   
Die Fähre hatte gerade die Hälfte der Strecke nach Vancouver Island geschafft und wir beide lehnten entspannt an der Reling des Schiffes und sahen auf das Meer hinaus, als mir ganz unvorbereitet ganz komisch in der Magengegend wurde. So etwas kannte ich gar nicht von mir. Normalerweise konnte ich sogar bei schwerem Seegang in einem kleinen Boot mitfahren ohne dass mir schlecht dabei wurde, geschweige denn Seekrank. Dieses Unwohlsein entwickelte sein Eigenleben und wurde noch schlimmer. Plötzlich wurde mir schwarz vor  Augen und ich hatte das Gefühl in ein tiefes Loch zu fallen. Sekunden später, als sich mein Blick wieder klärte,  befand ich mich aus irgendeinen Grund auch immer, nicht mehr auf der Fähre sondern in einem kleinen Boot, das von einem windgepeitschten Meer wild hin und her geschaukelt wurde. Wie kam ich nur hier her? Mit aller Kraft krallte ich mich am Rand des Bootes fest und hielt verzweifelt Ausschau nach Helen. Wo war sie nur hingekommen?
Ich kniff meine Augen ein wenig zusammen um besser sehen zu können, als ich meinen Traummann, keine hundert Meter von mir an Land stehen sah, den ich aber leider nur durch die hochpeitschende Gischt verschwommen erkennen konnte. Er hielt seine Hände wie einen Trichter vor den Mund und schrie mir etwas zu was von dem Wind von mir weggetragen wurde und ich einfach nicht verstand.
In mir stieg eine unerklärliche und für mich auch gerade in dieser Situation unangenehme Hitze auf obwohl ich schon Pietsch nass war und ich eigentlich frieren sollte.
Er fuchtelte wild mit seinen Händen herum und deutete mir an, ich sollte zu ihm an Land kommen.
Sofort schaute ich mich im Boot nach den Paddeln um, die nicht aufzufinden waren. Somit war es für mich unmöglich nur ansatzweise in Richtung Land zu gelangen. Ich versuchte ihm mein Problem zuzurufen und er reagierte auch prompt.  Er sprang ins Wasser und versuchte mit großer Kraftanstrengung gegen die Wellen und der Strömung zu mir zu schwimmen. Es war irgendwie seltsam, aber ich fühlte mich sogar auf diese Entfernung hin sehr hingezogen zu ihm. 
Er hatte das Boot schon fast erreicht, als ich von irgendetwas an der Schulter gepackt und durchgeschüttelt wurde.
Ich blickte mich verwundert um, denn gerade eben war ich ja noch alleine auf dem Boot gewesen. Wer zum Teufel rüttelte den da auf einmal an mir rum? Und von einer auf die andere Sekunde stand ich wieder auf der Fähre. Es war wie verhext und ich war mehr als verwirrt. Helens Hand lag immer noch auf meiner Schulter und sie sah mich besorgt an.
 „Chrisi ist alles in Ordnung mit dir? Du bist ganz blass, wirst du etwa See krank?“
Verwirrt sah ich mich um und fasste mir an die Stirn. „N..nein“, stotterte ich, „Es ist alles in Ordnung, ich hatte nur gerade so etwas wie… einen Tagtraum, …glaube ich.“
Ein breites Grinsen machte sich in Helens Gesicht breit.
„Oh…, das hört sich etwas verrückt an wenn du mich fragst, aber wenigstens wirst du mir nicht krank. Wer weiß vielleicht liegt ja ein genetisch veranlagter Wahnsinn in unserer Familie?“, sagte Helen mit einem ironischen Unterton erleichtert.
Erleichtert darüber das Helen mich nicht gleich einweisen ließ, lachte ich, noch immer etwas neben der Spur stehend, auf, „das würde ich doch nie wagen. Sag mal wie lange wird es noch dauern bis wir in Campbell River sind?“ Lenkte ich ab.
Ich fühlte mich plötzlich sehr müde, was wahrscheinlich an der langen Anreise lag. Den kleinen Tagtraum verdrängte ich in den hintersten Winkel meines Gehirns, so etwas hatte im Moment keinen Platz in meinem Leben. Ich wollte voll und ganz die Zeit mit meiner Schwester genießen.
Helen legte ihren Kopf schief und grinste mich verlegen an.
„Weist du Chrisi, ich habe einen Orientierungssinn oder auch ein Zeitgefühl wie ein totes Schwein, musst du wissen. Ich weiß gerade mal wie lange ich von mir zu Hause aus bis in meine Arbeit brauche, und das auch nur, weil ich diese Strecke schon seit fünf Jahren fahre.“
Mitleidig sah ich Helen an und streichelte sie bemitleidenswert an ihrer Schulter.
„Tja, das haben wir dann wohl beide von unserer Mutter vererbt bekommen. Unser Vater wird wohl als Ureinwohner den besseren Orientierungssinn gehabt haben. So wie es aussieht können wir nur darauf hoffen, mal jemanden kennenzulernen, der uns von A nach B bringen kann ohne sich zu verlaufen. Oder ist da bei dir schon jemand, der auf dich aufpasst?“ Machte ich geschickt eine Überleitung und fragte neugierig mit einem Augenzwinkern nach.
Helen schüttelte den Kopf, „Nein, Mr. Right ist mir noch nicht untergekommen. Ich bin jetzt zweiunddreißig Jahre und schaffe es nicht einen Mann länger als drei Monate zu halten. Vielleicht liege ich ja mit meinen Ansprüchen einfach zu hoch?“  sagte sie etwas verunsichert.
„Ha, soweit kommt es noch!“ platzte es aus mir empört heraus, „ nur weil alle Männer absolut verkorkst sind, und wir Wert auf Treue, Humor, Zuverlässigkeit und Vertrauen legen, soll die Schuld bei uns liegen? Mit Sicherheit nicht Ms Seale! Das Problem liegt einzig und allein nur bei den Männern. Das war schon immer so und das wird auch immer so bleiben!“
Aufmunternd klopfte ich ihr dabei auf die Schulter.
„Aber wir sollten die Hoffnung nie aufgeben, dass der Richtige doch noch irgendwo da draußen rumläuft und sich in unsere zärtlichen und verständnisvollen Arme verirrt.“ Fügte ich hinzu.
Eine Durchsage des Fährenführers oder wie man zu so jemand sagt, unterbrach unser Gespräch und ließ uns aufhorchen. 
Meine Damen und Herren, wir legen in ein paar Minuten in Nanaimo an. Wenn sich bitte alle Fahrer zu ihren PKW’s begeben, damit wir ohne Verzögerung entladen können.
Schnell waren wir bei Helen‘s alten VW Golf. Die Fähre legte am Kai von Nanaimo an und die große schwere Eisenrampe wurde langsam herunter gefahren. Holprig sprang der Golf an und Helen fuhr ihn langsam über die Rampe auf das Hafengelände hinunter und dann etwas schneller weiter um auf einem Parkplatz zu parken.
„Chrisi ich mache noch eine Pinkelpause und erkundige mich mal bei dem Kiosk da drüben wie wir am besten nach Campbell River kommen ohne uns zu verfahren, schließlich will ich nicht von einem Bären gefressen werden, nur weil wir nicht fähig sind den richtigen Weg zu finden. Kommst du mit?“
Ich grinste, „es geht doch nichts über Gruppenpinkeln. Natürlich komme ich mit und passe auf was wir für eine Richtung einschlagen müssen. Denn wenn du den Weg nicht mehr weist, dann bin ich unsere letzte Hoffnung.“ Neckte ich sie. Worauf ich eine rausgestreckte Zunge als Antwort bekam.
Es war so weit, zum ersten Mal setzte ich meinen Fuß auf Vancouver Island. Es war ein komisches Gefühl. Es fühlte sich einerseits sehr vertraut an, wie sich ein „zu Hause“ eben anfühlen sollte aber andererseits war alles neu für mich. Trotzdem, ich konnte mich nicht daran erinnern, mich jemals an einem Ort so wohl gefühlt zu haben. 
Auf dem Weg zum Kiosk blieb mir wieder wie aus dem nichts und ohne Vorwarnung die Luft weg. Mein Herz fing an zu rasen. Hastig versuchte ich tief Luft zu holen, dabei achtete ich darauf das ich hinter Helen blieb, sie musste das ja nicht schon wieder mitbekommen. Am Ende dachte sie wirklich noch das ich nicht ganz bei Trost bin.  
Mir wurde kurz schwarz vor den Augen und wieder schob sich ein Bild von meinem Traummann vor mein geistiges  Auge. Wieder sah ich ihn nur in der Ferne. Er winkte mir zu. In meinem inneren wurde es unerwartet angenehm warm und es kribbelte als ob tausend Schmetterlinge in mir wären. Meine Atmung beruhigte sich bei seinem Anblick von alleine. Dann war das Bild auch schon wieder verschwunden, zusammen mit der angenehmen Wärme. In all den Jahren in denen ich diese Tagträume hatte, waren sie nie dermaßen intensiv gewesen und vor allem hatte ich dann die Kontrolle über meine Träume und nicht umgekehrt. Was war hier nur los? Machte das die neue Umgebung aus? Oder lag es ganz einfach nur am Jetlag?
Zu meinem Glück, war Helen sehr auf ihre Mission als Fahrerin konzentriert gewesen so dass sie meinen Tagtraumanfall dieses mal nicht mitbekam. Tief atmete ich durch und versuchte dieses angenehme Gefühl von gerade eben wieder heraufzubeschwören, was mir aber leider, so sehr ich mich auch anstrengte, nicht gelang.
Zweiundzwanzig Stunden ohne Schlaf waren eindeutig zu viel für mich.
Pinkeln und nach dem Weg fragen war schnell erledigt. Zur Sicherheit kauften wir uns noch eine Karte von Vancouver Island. Wir fuhren auf dem Neunzehner Highway entlang in Richtung Campbell River. Der Mann hatte gesagt wenn wir immer auf diesem Highway bleiben, konnten wir Campbell River gar nicht verfehlen. Sein Wort in Gottes Ohr dachte ich mir, der weiß nicht was ich schon alles geschafft hatte um mich zu verirren, obwohl es normalweise damals auch keine andere Möglichkeit gegeben hätte um sich eigentlich zu verirren. Ich musste grinsen. Mein Blick wanderte zu Helen. Aber dieses Mal war ich nicht alleine unterwegs und zu meinem Glück war es Helen die fuhr und der ich die Schuld zuschieben konnte wenn wir uns doch noch verfahren sollten. Es ist doch erstaunlich, für was Schwestern alles gut sind, vor allem wenn sie auch noch älter sind und als Vorbild dienen mussten.

Alexander atmete schwer aus und hielt sich krampfhaft an dem Lenkrad seines schweren Sechser BMWs fest. Dieses Gefühl, diese Vision war so urplötzlich und gewaltig gekommen dass er es gerade noch geschafft hatte seinen BMW am Straßenrand mit einer Vollbremsung zum Stehen zu bringen. Jenny, die hübsche Blondine, die auf dem Beifahrersitz saß sah ihn erschrocken mit weit aufgerissenen Augen an.
„Alexander was ist mit dir?“
So hatte sie ihn noch nie gesehen. Alexander war ein stattlicher und attraktiver Mann, dem nichts so schnell aus der Fassung bringen konnte. Sofern man ihn als Mann bezeichnen konnte. Alexander trug ein dunkles Geheimnis mit sich, in den nur ein kleiner Kreis eingeweiht war und von denen ebenfalls fast jeder so war wie Alexander selbst.
„Was zum Teufel war das gerade? Was ist passiert?“ fragte Jenny noch einmal als sie keine Antwort bekam und legte beruhigend ihre Hand auf seine Schulter.
Alexander hatte sich wieder Einigermaßen unter Kontrolle. Er starrte aus dem verdunkelten Seitenfenster in Richtung Vancouver, was er aber nicht sehen konnte, da viel Natur und auch Berge dazwischen waren.
„Sie ist auf der Insel. Verdammt noch mal, sie ist hier und kommt geradewegs nach Campbell River.“ Sagte er mit zusammengepressten Zähnen.
Dieses Gefühl von Liebe und Vertrautheit hatte Alexander eiskalt erwischt. Das erwischte ihn nur, wenn sie in seiner Nähe war.
Jenny sah ihn verwirrt an. Bis sie verstand was Alexander meinte.
„Nein, das kann nicht sein Alexander! Chrisi kann nicht auf Vancouver Island sein, sie war doch vor ein paar Tagen noch in Deutschland! Und da gab es nicht mal den Hauch eines Anzeichens das sie eine Reise plant.“
Alexander schloss seine Augen und lies sein Innerstes nach Chrisi fühlen. Lange Zeit hatte er sie mit jeder Faser seines Körpers vermisst, doch das sie hier war, war nicht richtig und auch nicht gut für sie.
„Chrisi hat wohl zu ihrem Ursprung zurückgefunden.“ Sagte Alexander traurig und hoffnungsvoll zugleich.
„Alexander was sollen wir machen? Wie kann ich dir helfen?“
Jenny war ein Schatz und Alexander wusste, wenn er es zulassen würde, dass sie auch gerne mehr für ihn wäre als nur eine gute Freundin. Doch sein Herz gehörte seit vierhundertfünfzig Jahren nur einer Frau, die vor neunundzwanzig Jahren widergeboren worden war, nämlich Chrisi.
„Jenny Schatz, wir können heute nicht mehr viel ausrichten. Die Sonne scheint zu stark und Chrisi fühlt sich müde. Ich denke sie wird es heute nicht mehr schaffen sich unnötig in Gefahr zu bringen.“
Jenny flüsterte, „dein Wort in Gottes Ohr. Du kennst doch ihr Talent jede Gefahr, die in ihrer Nähe lauert, auf sich zu ziehen.“
„Ich weiß, ich weiß.“ Antwortete Alexander Jenny mit Wehmut in der Stimme.
Alexander lies den schweren BMW wieder an und machte sich mit einer Mischung aus unguten Bauchgefühl und einem verdammt sehnsuchtsvollen Gefühl, auf den Weg nach Hause, sie mussten endlich aus der Sonne raus.

Ich hatte keine Ahnung wie lange wir schon unterwegs waren, als Helen mich unsanft aufweckte. Irgendwann auf der Fahrt hierher musste ich wohl eingeschlafen sein. Verwirrt sah ich Helen an.
„Sind wir schon da?“ fragte ich sie.
„Ja du Schlafmütze, und das ganz ohne deine Hilfe.“ Gab sie mit einem breiten Siegergrinsen von sich. „Habe sogar schon eine Unterkunft für uns gefunden, muss aber erst nachfragen ob noch etwas frei ist.“
Helen deutete auf das nett anzusehende Einfamilienhaus.
„ Hier werden Zimmer vermietet, von Privat und es sieht ganz nett aus.
Du solltest die Zeit nutzen um wieder einen Menschen aus dir machen, wir wollen die Leute ja nicht erschrecken.“
Helens Grinsen war unschlagbar. Sah ich denn wirklich so schlimm aus? Schnell klappte ich den Sonnenschutz herab und sah in den Spiegel. So schlimm war es doch gar nicht, fand ich. O.k. mein Mascara hatte sich unter meine Augen verirrt  und meine Haare sahen nicht mehr ganz so stylisch aus, aber sonst war alles in Ordnung. Ein paar Handgriffe hier und da, dann sah ich fast wieder perfekt aus.
Ich warf einen Blick zu Helen hin, die mit einer hübschen jungen blonden Frau sprach. Dann kam sie zurück und riss die Autotür auf, „komm sie haben zwei Zimmer für uns frei, falls du schon die Nase von mir voll haben solltest. Ich habe uns einen günstigen Preis ausgehandelt. Die sind super nett hier.“
„ Wer sind die? Du hast doch nur mit der Frau gesprochen. Und du kannst Preise aushandeln?“ stichelte ich. „Das hätte ich dir gar nicht zugetraut.“
Helen lachte und streckte mir ihre Zunge entgegen.
Beim Aussteigen wurde mir erst bewusst wie geschlaucht ich war. Mein Körper schmerzte überall und ich war so unendlich müde. Ein alter klappriger VW Golf war eben kein fünf Sterne Hotel.
Die blonde Frau kam auf mich zu, „Hallo ich bin Carmen, darf ich ihnen beim tragen ihres Gepäcks behilflich sein?“
Ich kam in die Versuchung ja zu sagen, so müde war ich, unterdrückte diese Versuchung aber dann doch, da mein Gepäck ja nur aus einer Reisetasche bestand und das wäre zu peinlich gewesen die von jemand anderem tragen zu lassen. Schließlich war ich ja noch keine siebzig.
„Hallo, ich bin Chrisi.“ Stellte ich mich höflicherweise vor. Jedes einzelne Wort kam nur schwer über meine Lippen, als ob sie mit Blei ausgegossen worden wären.
Dann war es wieder da, diese unbeschreibliche angenehme Wärme und dieses Kribbeln in meinem inneren. Was war das bloß? War ich auf dem besten Wege in die Wechseljahre und das schon in meinem Alter? Nein, das konnte es auf keinen Fall sein, ich weigerte mich an diese Möglichkeit auch nur ansatzweise zu glauben. Es lag ganz einfach nur an dem Stress der letzten Tage.
Das komische daran war, dass dieses Gefühl der Wärme genauso schnell wieder verschwand wie es kam. Also wahrscheinlich doch die Wechseljahre, dachte ich geknickt. Ich brauchte jetzt dringend eine Dusche und noch viel dringender ein Bett. Mit bleiernen Füßen folgte ich Carmen, die mich Mitleidig ansah. Helen dagegen konnte sich vor Lachen kaum noch halten.
„Ganz ehrlich Chrisi, Frankensteins Monster wäre im Moment nicht halb so gruselig wie du.“
In Gedanken stellte ich mir vor wie ich Helen die Zunge rausstreckte, das aber in die Tat umzusetzen und mir beim Sprechen dann nicht auch noch auf die Zunge zu beißen, überforderte mich gerade sehr.
„Wie sagt man so schön, bei solchen Freunden oder in deinem Fall Schwestern wie dir, braucht man keine Feinde mehr. Gute Nacht Helen, du wirst mich erst morgen früh wieder zu Gesicht bekommen, und dann kommt die Rache der Gerechten, du wirst es sehen.“
„Ooohhh ich zittere schon vor Angst. Schlaf gut mein Schwesterherz, ich werde mir noch ein gutes Abendessen genehmigen mit einem Glas Wein dazu. Wir sehen uns dann morgen früh wieder.“
Selbst ein Fünf Sterne Essen hätte mich jetzt nicht davon abgehalten ins Bett zu gehen. Die Dusche verschob ich auf morgen früh. Ich schaffte es gerade noch meine Sachen auszuziehen als ich auch schon auf dem himmlischen Bett eingeschlafen war.
Tief und Traumlos schlief ich die ganze Nacht durch, es hätte wahrscheinlich eine Bombe neben mir einschlagen können und ich wäre nicht aufgewacht.
Trotzdem fühlte ich mich am nächsten Morgen noch ein wenig gerädert. Gemächlich wälzte ich mich aus dem Bett. Die überfällige Dusche schaffte es dann endgültig dass ich mich wieder wie ein Mensch fühlte. Ich band mir meine Haare gerade zu einem Pferdeschwanz zusammen, als sich mein Magen unmissverständlich meldete, dass er jetzt dringend Nahrung benötigte. Was ich ihm auf keinen Fall verwehren wollte.
Leise schlich ich mich aus dem Zimmer die Treppen runter. Kurz blieb ich stehen um zu sehen und auch zu hören ob sich irgendwo ein menschliches Wesen befindet, das ich nach dem Weg fragen konnte.
Ich hörte niemanden reden, aber ich hörte so etwas wie Geschirrgeklapper. Das war schon mal kein schlechter Hinweis.
Ich ging in dem hellen Gang nur ein paar Schritte weiter, als ich vor der Türe stand, hinter der ich die Geräusche vermutete. Die Türe war nur angelehnt, also drückte ich sie vorsichtig auf. Und Bingo. Es war die Küche, in der sich schon Helen am Frühstückstisch befand und gebannt auf irgendetwas in diesem Raum starrte, was sich aus meinem Blickwinkel entzog. Helen war anscheinend so fasziniert von dem was sie da sah, dass sie mich nicht mal wahrnahm als ich die Küche betrat. Mein Auftritt fiel dafür etwas lauter als geplant aus.
„Guten Morgen Helen. Du bist auch schon wach?“
Gerne hätte ich mich umgedreht um zu sehen was da war, aber ich fürchtete dass es zu auffällig gewesen wäre und mich nur in eine peinliche Lage gebracht hätte.
Helen zuckte wie ertappt zusammen, „Aber Hallo, Frankensteins Monster hat sich wieder zu Chrisi gemausert. So müde wie du gestern gewesen bist, dachte ich nicht das du vor dem Mittagessen aufstehen würdest. Oder hat dich der Hunger aus dem Bett getrieben?“
Ich lächelte Helen mit meinem süßesten Lächeln an, und ging auf den Frühstückstisch zu.
 „ Ich bin eine Frühaufsteherin musst du wissen. Genauso wie du, wie es aussieht. Und der Hunger, ja das war auch mit ein Grund.“ Sagte ich grinsend zu ihr.
Als ich hinter mir ein Räuspern hörte. Verwirrt drehte ich mich um. Ein großer gutaussehender dunkelblonder Mann mit strahlend blauen Augen stand verlegen lächelnd, mit einem Geschirrtuch in der Hand vor mir.
„Bei dem Hungerproblem könnte ich weiter helfen.“ Schüchtern streckte er mir seine Hand entgegen. Wie vor eine Mauer gelaufen hob ich automatisch meine Hand und legte sie in seine.
„Hallo ich bin Tom, Carmens Bruder. Was darf ich ihnen denn zum Frühstück anbieten? Kaffee, Tee, Brötchen, Speck, Marmelade, Cornflakes?“
Als mir bewusst wurde das ich seine Hand immer noch festhielt, schoss mir das Blut in den Kopf und ich ließ sie schnell los. Etwas zu schnell vielleicht, den Tom sah mich etwas verwirrt an. Verlegen sah ich zu Boden.
„Ich heiße Chrisi“, stotterte ich vor mich hin.
„Ähm, wenn es keine Umstände macht, hätte ich gerne einen Kakao. Und zum Essen würden mir zwei Brötchen mit Butter und Marmelade reichen“, hauchte ich.
Tom lachte, „alles klar, das kriege ich hin.“ Und schon drehte er sich um, um sich an die Arbeit zu machen.
Ich setzte mich neben Helen auf den Stuhl, aber ich wählte bewusst die Seite des Tisches aus, in der ich Tom nicht direkt ansehen konnte und musste. Ich wollte mir die Peinlichkeit ersparen, dabei erwischt zu werden wie ich ihm auf seinen heißen Arsch starrte.  Scheiße war das eine Sahneschnitte.
Helen sah wie gebannt an mir vorbei zu Tom.
Ich gab ihr einen Stoß in die Rippen, „sag mal starrst du ihm etwa schon die ganze Zeit auf sein Hinterteil?“ Flüsterte ich ihr zu.
Helen lächelte versonnen und nickte nur.
„Komm schon Chrisi, so einen Knackarsch muss man einfach anstarren. Dann noch dieser geile Typ dazu, das ist ein perfektes Paket. Ist dir aufgefallen das er voll auf dich abfährt?“  Verschlagen zwinkerte sie mir zu.
Sofort spürte ich wie mir zum zweiten Mal an diesem Tag das Blut in den Kopf schoss.
„So ein Quatsch, der hat sicher irgendwo ein Model als Freundin. So ein Typ gibt sich nicht mit dem Durchschnitt ab. Aber mit einem muss ich dir recht geben, er sieht einfach zum Anbeißen aus.“
Ein leises seufzen entfuhr mir. Ich hoffte dass Tom es nicht gehört hatte. Immer wieder erwischte ich mich dabei dass ich über meine Schulter spähte um ihn anzusehen.
So ein Mist, ich hätte mich doch auf die andere Seite setzen sollen, doch nun war es zu spät dafür.
Tom brachte mir meinen Kakao, dabei berührte er mich zufällig an meinem Arm. Ein wohliger Schauer ran mir den Rücken hinab, als er mir noch dazu tief in die Augen sah. Er brachte die Brötchen, die Butter und die Marmelade. Und jedes Mal durchbohrten mich seine Stahlblauen Augen, die ein Gefühlscaos in mir entfachten. Am liebsten hätte ich ihn sofort auf den Frühstückstisch geschissen und anständig vernascht. Bei diesem Gedanken wurde ich total kribbelig.
„Helen darf ich dir noch etwas bringen?“
Oh Gott, diese Stimme, die ging einem durch und durch.
„Nein danke Tom, ich bin gut von dir versorgt worden.“ Seufzte Helen mit einem Hollywood Reifen Augenklimpern.
Was nun Tom die Schamesröte ins Gesicht trieb.
„Chrisi hast du noch einen Wunsch den ich dir noch erfüllen kann, bevor ich mich auf den Weg in die Arbeit mache?“, wandte er sich nun an mich.
Was er wollte verschwinden? Das konnte er doch nicht machen! Enttäuscht  aber mit einem Lächeln auf den Lippen schüttelte ich den Kopf.
„Nein danke Tom.“
„Gut. Wenn doch noch etwas sein sollte, Carmen kommt gleich und wird sich dann gerne darum kümmern. Ach ja, wenn ihr Lust habt, wir grillen heute Abend wenn das Wetter aushält. Laut Wetterbericht soll es bewölkt sein aber trocken bleiben. Ihr könnt gerne dazukommen.“ Hoffnungsvoll sah Tom mich an.
Mein Herz machte einen freudigen Sprung. Besser konnte es gar nicht laufen. Da würden mir dann auch noch ein paar Wünsche einfallen, die er mir jederzeit  erfüllen durfte.
„Klar, diese Einladung nehmen wir doch gerne an. Nicht wahr Helen?“
Ein fettes Lächeln breitete sich in seinem Gesicht aus.
„ Super, das wird bestimmt ein schöner Abend. Bis später dann.“ Sagte Tom, ohne Helens Antwort abzuwarten und verschwand winkend aus der Küche.
„Ja klar Chrisi, er steht ja so was von nicht auf dich. Das könnte sogar ein blinder mit Krückstock sehen, dass er dich am liebsten auf der Stelle vernaschen würde.“
Ich seufzte nur lächelnd vor mich hin.
„Nicht nur er mich, mein Schwesterherz, nicht nur er mich.“
Meine Gedanken schweiften zu dem Sahneschnittchen das gerade den Raum verlassen hatte ab.
„Erde an Chrisi, hallo. Du weist das wir heute noch einiges erledigen müssen? Warum wir eigentlich hier sind?“
„Schon gut“, lachte ich, „ ich habe es nicht vergessen. Was hast du für heute geplant Helen?“
„Ah bist du wieder unter den normal Sterblichen angekommen und bist nicht mehr im Sexhimmel.“ Helen boxte mir leicht in die Seite.
„Also als erstes werde ich versuchen einen Termin für heute bei diesem Anwalt zu bekommen. Und dann werden wir in der Umgebung herumschnüffeln um noch mehr von unseren Eltern zu erfahren. Irgendwer muss sie doch gekannt haben!“
Ich gab Helen recht, unsere Eltern hatten mit Sicherheit ihre Spuren hinterlassen als sie noch gelebt und irgendwer musste doch noch leben die sie gekannt haben.
Wir beeilten uns mit dem Frühstücken und räumten die Sachen auf die Anrichte der dunklen Kirschbaum Küche. Als Carmen herein kam und beschämt meinte dass wir das doch nicht machen müssten. Wir winkten ab und verzogen uns auf Helens Zimmer. Helen rief mit ihrem Mobilphone bei diesem Anwalt Robert Mitchel an. Das Gespräch dauerte eine ganze Zeit lang. Ich stellte fest, das Helens Zimmer genauso einfach aber schön eingerichtet war wie meines. Ein Schrank, der Naturfarben war, ein Doppelbett passend zum Schrank mit zwei Nachtkästchen auf denen je eine weiße Nachttischlampe stand. Und eine Türe die ins angrenzende kleine Badezimmer führte. Die Vorhänge waren in einem schönen orange gehalten.
„Gut“, sprach mich Helen an. „ Wir haben um elf Uhr Vormittag heute einen Termin. Dieser Mitchell war eigentlich sehr freundlich für einen Anwalt.“
Neugierig sah ich Helen an, „hat er schon etwas gesagt, was für uns interessant wäre?“
Helen schüttelte den Kopf, „ nein hat er nicht, du kennst doch Anwälte, am Telefon geben sie dir nie eine Auskunft. Wahrscheinlich ist das so ein unsympathischer, fetter, halbglatzköpfiger, vor Schweiß triefender Sesselpfurzer. “
Woher wusste Helen das wohl so genau?  Ich für meinen Teil hatte noch keine großartigen Erfahrungen mit Anwälten gemacht, worüber ich auch froh war.                          Da es schon kurz vor zehn Uhr war, machten wir uns auf den Weg. Campbell River war keine riesige Stadt aber auch keine Kleinstadt und bei unserem Talent mussten wir damit rechnen dass wir uns mindestens einmal verfahren werden. Helen hatte sich von Carmen den ungefähren Weg erklären lassen, was uns die ersten fünfhundert Meter etwas weiter brachte, dann waren wir auch schon in die falsche Straße abgebogen. Wir befanden uns in einer kleinen Seitenstraße, in der ich nicht parken wollen würde wenn es dunkel ist.
 Ein Polizeiwagen überholte uns und hielt uns keine fünfzig Meter weiter an. Es war uns ein Rätsel warum er das tat? Helen war nicht zu schnell gefahren. Eher zu langsam. Vielleicht war das ja hier in Campbell River eine grobe Straftat?
„Ich glaube der hat uns auf dem Kicker, der ist schon seit der Pension hinter uns gewesen“, flüsterte Helen mir misstrauisch zu.
Der Polizist, der nun bei uns am Autofenster stand und sich als Sheriff Thomson vorstellte verlangte sofort, auf nicht gerade freundliche Art und Weise, Helens Papiere. Auf meine Frage, warum wir den angehalten worden waren, ging er erst gar nicht ein. Dieser Mann war fast an die zwei Meter groß und sehr bullig gebaut. Er sah eigentlich ganz nett aus, mit seinen Rehbraunen Augen und dem aufgesetzten Lächeln im Gesicht. Trotzdem passte das Lächeln nicht mit seiner Ausstrahlung zusammen. Er war ein Widerspruch in sich.
Mir lief ein eiskalter Schauer den Rücken hinunter. Fest biss ich die Zähne zusammen und schlang meine Arme um meinen Oberkörper, damit er nicht sah wie es meinen Körper danach verlangte sich zu schütteln. Ständig wurde ich mit einem argwöhnischen Blick von ihm fixiert. Verunsichert schaute ich gerade aus  auf die Straße um Sheriff Thomsons Blick nicht begegnen zu müssen, als ich plötzlich wieder meine Hitzewallung bekam, was die kalten Schauer die mir immer noch über den Rücken jagten nicht erträglicher machten.
Verzweifelt versuchte ich mich auf etwas zu konzentrieren um diese Gefühle loszuwerden oder zumindest unter Kontrolle zu bekommen. Als mir ein schwerer schwarzer BMW auffiel der auf der Gegenüberliegenden Straßenseite gerade einparkte. Er fiel mir deshalb auf, da ich bis jetzt auf dieser Insel noch nicht viele Deutsche Autos gesehen hatte, außer Helens alte Rostlaube und dieser BMW gehörte  zu den Luxuskarossen und fiel alleine deswegen schon auf.
Komisch war auch, dass niemand ausstieg, obwohl der Wagen schon gut zwei Minuten da stand. Warum sollte jemand parken und dann nicht aussteigen? Es war fast so als ob uns der Fahrer beobachten würde. Oh Gott, bekam ich jetzt zu den Hitzewallungen auch schon Verfolgungswahn hinzu?
„Ms, hallo Ms.“ Ich reagierte erst beim zweiten Mal auf die Ansprache vom Sheriff und blickte ihn überrascht an.
„Entschuldigung Sheriff, was haben sie gesagt?“
Nun wanderte Sheriff Thomsons Blick ebenfalls in die Richtung in die ich eben noch konzentriert gesehen hatte. Sein Gesicht nahm plötzlich harte Züge an und sein Blick sprühte förmlich vor Wut, was er vor uns vergeblich zu verbergen versuchte. Unruhig trat er von einem Bein auf das andere.
„Ach das war nicht so wichtig, sie können nun weiterfahren und halten sie nicht den ganzen Verkehr auf“, fasste er sich kurz. Schmiss Helen die Papiere schon fast zu und verschwand ohne ein weiteres Wort an uns zu verlieren.
Helen und ich sahen uns fragend an.
„Was zum Teufel war das denn gerade?“ Sprach Helen das aus was wir beide dachten.
Ich konnte nur den Kopf schütteln und die Schultern heben. Auf die Reaktion des Sheriffs gerade eben, konnte ich mir keinen Reim machen.
Meine Hitzewallung war so intensiv wie nie in den letzten Tagen. Ich atmete tief ein und aus. Bei Hunden hilft das auch immer, dachte ich mir. Da fiel mir auf dass der schwarz BMW fast wie in Zeitlupe an uns vorbeifuhr. Mein Herz fing ohne einen für mich verständlichen Grund schneller an zu schlagen. Angestrengt versuchte ich in das Innere des Wagens zu sehen, doch der Wagen hatte dunkel getönte Scheiben, so dass ich nicht das Geringste erkennen konnte. Als er fast an uns vorbeigefahren war, gab er Stoff und verschwand wie ein Blitz, mit einem sportlichen Schnurren aus meinem Blickfeld.
Mit dem BMW löste sich auch langsam meine Hitzewallung in Luft auf. Was natürlich nur reiner Zufall sein konnte. Auch mein Herzschlag bewegte sich wieder auf einer normalen Frequenz.
„Mist, wenn der Sheriff es nicht so eilig gehabt hätte von uns wegzukommen, hätten wir ihn noch mal nach dem Weg fragen können.“ Meinte Helen ironisch und holte mich wieder in die Realität zurück.
„Was für ein unheimlicher Mensch der doch ist, findest du nicht? Mir hat der richtig Angst gemacht.“ Nun endlich konnte mein Körper sich nach Herzenslust ausschütteln. Alleine bei dem Gedanken an den Typen bekam ich eine Gänsehaut mit Schüttelreiz.
„Findest du? Ich finde ganz einfach das er ein unfreundlicher Arsch ist. Wie der nur an sein Amt gekommen ist? So einen Arsch kann man doch normalerweise nicht auf die Menschheit los lassen. Wer wählt so jemanden? Sind die Leute damals bestochen worden?“
Helen konnte sich schier nicht mehr einkriegen, was diesen Arsch mit Ohren betraf und sie hatte definitiv Recht was diesen Punkt betraf.
Helen wendete den alten Golf und wir fuhren weiter.
„Du hast gehört, du sollst nicht den ganzen Verkehr aufhalten.“ Äffte ich den Sheriff nach.
Wir hofften das wir auf dem  richtigen Weg waren. Doch zur Vorsicht hielten wir an der nächsten Tankstelle an die uns unterkam und Helen holte sich erneut die Wegbeschreibung. Prompt waren wir keine zwanzig Minuten später in der Hilchey Road. Ein Parkplatz war schnell gefunden. Und wie durch ein Wunder waren wir sogar fünf Minuten zu früh da.
„Na Chrisi, was sagst du? Sind wir gut oder sind wir einfach nur gut?“ Freudestrahlend klopfte Helen mir auf die Schulter.
„Und da behaupte noch jemand wir hätten keinen Orientierungssinn.“
„Haben wir doch auch nicht“, gab ich von mir.
Helen und ich betraten ein kleines unscheinbares Bürohaus. Alles war schlicht und einfach gehalten. Die Empfangsdame die sich in dem Eingangsbereich befand, schickte uns in den ersten Stock des Hauses. Dort war es das zweite Büro auf der rechten Seite, hatte sie uns gesagt.
Das Namensschild an der Türe bestätigte uns diese Information. In schwarzen Buchstaben stand dort Robert Mitchell Rechtsanwalt.
Ich ließ meiner Schwester den Vortritt. Selbstbewusst wie sie war klopfte sie an die Türe. Sofort erklang ein tiefes angenehmes „Herein“. Helen öffnete schwungvoll und sehr professionell die Türe, ging ein paar Schritte und blieb dann so unverhofft stehen, das ich fast gegen sie gerannt wäre. Vorsichtig schaute ich an ihr vorbei um nach den Grund zu sehen warum Helen so unvermutet stehen geblieben war. Aber ich konnte außer Mr. Mitchell sonst in diesem Büro nichts entdecken was diese Reaktion ausgelöst haben konnte. Also musste ich Schlussfolgern dass er der Grund für die Vollbremsung gewesen sein musste.
Mr. Mitchell kam freudestrahlend auf uns zu.
„Schön sie kennenzulernen Ms Seale und Ms Mc Kenzie.“
Mit einem angenehmen Händedruck begrüßte er uns.
Woher wusste er zum Teufel wer, wer von uns beiden war? Mr. Mitchell fing laut zu lachen an als er meinen verdutzten Gesichtsausdruck sah, der anscheinend selten dämlich gewesen sein musste.
„Keine Angst Ms Mc Kenzie, ich kann nicht hell sehen. Unsere Empfangsdame gibt mir immer Tipps. Bei ihnen beiden war es die Haarfarbe.“
Erleichtert atmete ich auf, „ich dachte schon sie wären mit dem Teufel im Bunde. Sie wissen schon, wie in dem Film mit Keanu Reeves.“
Beide fingen wir zu lachen an, nur Helen lachte nicht. Sie starrte Mr. Mitchel nur an und gab keinen Mucks von sich.
„Ich muss sie leider enttäuschen Ms Mc Kenzie, nicht alle Anwälte sind mit dem Teufel im Bunde. Aber bei manchen Kollegen trifft das mit Sicherheit zu. Bitte setzen sie sich doch.“
Mr. Mitchell deutete auf zwei schwarze Ledersessel. Helen hatte immer noch kein Wort herausgebracht. Wie ferngesteuert nahm sie auf einen der Sessel platz. So kannte ich sie noch gar nicht, so ungewöhnlich still. Mr. Mitchell war aber auch ein attraktiver Mann. Er war einen Kopf größer als wir. Ebenso wie wir hatte er einen dunklen Teint und schwarze Haare wie Helen, aber er hatte einen modischen Kurzhaarschnitt. Ob er wohl auch von Indianern abstammte? Seine warmen braunen Augen wanderten immer wieder mit einem bewundernden Blick zu Helen. Er verschlang sie regelrecht damit. Helen saß wie ein kleines Schulmädchen mit hochrotem Kopf und einem verlegenen Lächeln auf ihrem Stuhl und gab keinen Laut von sich, also ergriff ich die Initiative und erklärte ihm weshalb wir hier waren. Auch Mr. Mitchel hatte viele Neuigkeiten für uns die er uns mitteilte.
Wir erfuhren dass wir ein Grundstück in Campbell River geerbt haben, auf dem früher das Haus unserer Eltern gestanden hatte. Das sich seit dieser Zeit niemand mehr darum gekümmert hat und es dementsprechend alles verwildert war. Was übersetzt hieß, wenn man etwas draus machen wollte, musste man erst viel Arbeit, Zeit, Schweiß und Wasserblasen hineinstecken. Dann hatten wir noch ein kleines Häuschen mit Grund von unserer Großmutter geerbt. Das leer stand, aber auch hier hatte die Zeit seine Spuren hinterlassen. Es musste renoviert werden, falls wir uns dazu entschlossen in Campbell River zu bleiben. Was mich persönlich im Moment nicht störte, denn so hatte ich noch Zeit Tom öfter zu sehen und besser kennenzulernen. Zum Glück hatte unsere Großmutter vorgesorgt und für die Renovierung etwas Geld auf die Seite gelegt, was nun auch für uns bestimmt war. Wir mussten die Unterlagen für die Erbschaftsanerkennung unterschreiben und bekamen alle dazugehörigen Unterlagen ausgehändigt.
„Auf diesen Unterlagen stehen auch die Adressen ihres Hauses und dem Grundstück. Auf diesem Blatt stehen die Kontodaten auf dem das Geld deponiert worden ist.“ Erklärte Mr. Mitchel uns die restlichen Einzelheiten.
„Danke Mr. Mitchell.“
Das Geschäftliche war geklärt, nun musste er mit dem Privaten Details unserer Familie heraus rücken. Wenn er nicht wollte, dann würde ich ihn mit Helen erpressen. Er würde sie nur genauer kennenlernen dürfen wenn er uns die Auskunft gibt. Bei diesem Gedanken musste ich mir das Grinsen verkneifen. Ich atmete noch einmal tief durch und setzte ihm das Messer auf die Brust, rein hypothetisch natürlich.
„Mr. Mitchell können sie uns vielleicht sagen wie es damals zu dem Brand in dem Haus unserer Eltern gekommen ist?“ Fragte ich ihn Hoffnungsvoll um endlich mehr Licht ins dunkle zu bekommen.
Mr. Mitchell setzte einen ernsten Gesichtsausdruck auf.
„Ich kann ihnen nur so viel sagen, dass es vermutlich ein elektrischer Defekt war. Wirklich aufgelöst wurde dieser Fall nie. Ich habe mit älteren Kollegen darüber gesprochen und die erzählten mir dass damals von Seiten der Polizei viele Fehler bei der Aufnahme der Beweisstücke gemacht worden waren. Und alles unter den Tisch gekehrt worden war, es aber anfangs nach Brandstiftung ausgesehen haben musste. Aber da es dann offiziell zu einem elektrischen Defekt gemacht worden war, wurde die Akte geschlossen. Ihre Großmutter, übrigens war eine tolle Frau, sie kämpfte lange für die Wahrheit. Leider mit keinen großen Erfolg.“
Ich horchte auf.
„ Sie kannten unsere Großmutter? Wie war sie denn so?“ meldete sich plötzlich Helen leise, bevor ich dazu kam noch etwas zu sagen.
„Ja ich kannte sie. Ich habe sie in den letzten Jahren in allen Rechtslagen betreut. Ich würde ihnen beiden gerne vorschlagen, dass wir uns privat einmal treffen und da erzähle ich ihnen dann gerne mehr über ihre Großmutter. Ich mochte die alte Dame. Wäre das o.k. für sie?“ Mit großen fragenden Augen sah er erst mich dann Helen an. Dort blieb sein Hundeblick dann auch hängen. Es fehlte nur noch das er die Zunge raus hängen lies und Männchen machte. Bei dieser Vorstellung fiel es mir verdammt schwer nicht in lautes Gelächter auszubrechen.
Helen schnappte vor Glückseligkeit nach Luft. Ich hatte Angst das sie mir vor lauter Glückseligkeit noch in Ohnmacht fallen würde.
„Natürlich ist das in Ordnung“, sprudelte es aus ihr heraus. „Hätten sie vielleicht Lust heute Abend zu unserer Pension zu kommen? Wenn es nicht zu regnen beginnt wird dort heute noch gegrillt, was bestimmt lustig wird.“ sprudelte es unaufhaltsam weiter aus ihr heraus.
Helen wirkte total euphorisch. Mr. Mitchell sagte natürlich sofort zu. Uhrzeit und Adresse waren schnell ausgetauscht. Beim Verabschieden musste ich Helen schon fast gewaltsam aus dem Büro ziehen. Sie war zu ihrer alten Lebhaften Form zurückgekehrt.

„Dieser verdammte Sheriff Thomson. Wie hat er nur so schnell rausgefunden das Chrisi auf der Insel ist?“ fragte Alexander mehr sich selbst, als das er von Patrick und Paul die es sich im Wohnzimmer auf der Couch bequem gemacht hatten und die Türsteher in seinem Club waren, eine Antwort erwartete. Außerdem waren die drei sehr gute Freunde. Ihnen würde Alexander jederzeit ohne Wenn und Aber sein Leben anvertrauen. Es würde aber mit Sicherheit  nicht viele Menschen geben die es wagen würden, sich gegen Patrick und Paul zu wenden, denn die beiden waren große, sehr gut durchtrainierte Schränke von Männern.
„Wahrscheinlich wurde Chrisi auch von ihrer Seite aus in Deutschland beobachtet.“, warf die zierlich gebaute Jenny dazwischen, die lässig an der dunkelbraunen Glasvitrine lehnte.
Alexander lief wie ein unruhiger Löwe im Käfig auf und ab.
„Wir können sie nicht ohne Beobachtung hier rumlaufen lassen. Chrisi ist hier nicht sicher. Am besten, wir haben abwechselnd ein Auge auf sie. Lasst euch aber von Chrisi nicht erwischen, sonst holt sie Thomson weil sie sich gestalkt fühlt und wir haben ein noch größeres Problem wenn sie sich den Wölfen freiwillig und unwissend zum Fraß serviert.“
Alexander teilte die Schichten ein, wer wann von ihnen auf Chrisi aufpassen soll. Als ersten erwischte es Paul. So eine rundum Schicht machte ihm nichts aus, da keiner von ihnen Schlaf benötigte. Doch zur Tarnung musste jeder von ihnen seinen Verpflichtungen nachgehen.
„Mach dich auf die Suche nach ihr. Sie müsste wieder in dieser Pension sein, bei der Chrisi und ihre Schwester eingecheckt haben. Ich mach mich auf die Suche nach Direktor Link. Paul ich muss mit ihm sprechen. Melde dich bitte sofort bei mir wenn du sie gefunden hast. Und Paul, wenn Gefahr aufzieht ruf uns. Keine Alleingänge, ist das klar?“ Befahl Alexander.
„Alles klar Boss mach dir keine Sorgen, ich weiß doch wie wichtig sie dir ist.“ Paul legte seinen Arm um Alexanders Schulter, „ich passe schon gut auf sie auf, schließlich kenne ich sie schon seit sie schon zum wievielten Male? in die Windeln gemacht hat.“
Paul hielt sich die Nase zu und verschwand grinsend als Alexander ihm freundschaftlich in die Seite boxen wollte.

An weitere Nachforschungen war heute nicht mehr zu denken, Helen führte sich auf als ob sie unter Drogen stehen würde. Bei ihr war es eindeutig die Liebesdroge, die alle ihre Hormone in Wallung brachte.
Auf der ganzen fahrt zurück zur Pension hörte ich nur Robert hin und Robert da, wie nett Robert doch ist und wie gut er aussieht. Helen wollte nicht einmal etwas zu Mittag essen. Das was sie wollte war, schnell in ihr Zimmer und etwas passendes für heute Abend zum Anziehen finden. Duschen, hübsch stylen und dann sehnsüchtig schmachtend auf Robert warten. Ich für meinen Teil dagegen hatte einen Bärenhunger. Heute Morgen hatte ich auf der Fahrt in die Innenstadt, in der Nähe der Pension ein kleines Lokal namens Daisy entdeckt, das wollte ich aufsuchen. Ich hoffte nur dass ich es wiederfand, sonst müsste ich wohl elendig verhungern.
Doch das Glück war auf meiner Seite, das Lokal befand sich gleich um die Ecke. Es war nicht groß, aber sehr gemütlich. Eingerichtet mit kleinen Bistrotischen und Stühlen. Eine kleine Bar zierte die Wand gleich neben dem Eingang. Auf einer großen Tafel die an der Wand gegenüber von der Bar hing, standen die heutigen Mittagsangebote.
Ein Tisch in einer Ecke, von der aus ich alles übersehen konnte, wurde zu meinem Lieblingsplatz auserkoren. Denn ich war mir sicher dass ich nicht das letzte Mal hier war, vorausgesetzt das Essen schmeckte auch. Ich bestellte mir einen leckeren Burger. Bei den anderen Speisen war ich mir nicht immer sicher was es denn eigentlich war, da ich mit den einheimischen Speisen nicht sehr vertraut war. Mein Hunger war heute für Experimente in Sachen Essen einfach zu groß.
Am Nebentisch saß ein älterer Mann, der so um die sechzig war und eine herzliche Ausstrahlung besaß. Belustigt sah er mir beim Essen zu.
„Sie müssen schon sehr hungrig gewesen sein, so wie sie den armen Burger runter schlingen“, lachte er.
Da ich gerade einen großen Bissen genommen hatte, konnte ich nur mit „mhm“ antworten.
„Sie sind wohl nicht von hier, obwohl ich schwören könnte das  ich ihr Gesicht schon mal gesehen habe.“
Diese Aussage ließ mich aufhorchen, ich schluckte den noch viel zu großen Brocken Burger fast in einem Stück hinunter und verschluckte mich dummerweise noch dabei. Den sich nun bemerkbar machenden Hustenreiz, konnte ich nicht mehr unterdrücken. Mein Kopf lief rot an, so stark beschwerte sich mein innerstes über mein ungesundes Essverhalten.
„Na, na sie sollten besser kauen und nicht alles auf einmal versuchen zu schlucken, soviel Zeit sollten sie sich schon nehmen“, lachte der Mann, kam zu mir rüber und klopfte mir auf den Rücken.
Nach einer gefühlten Ewigkeit hatte ich mich und meinen geschundenen Körper wieder unter Kontrolle.
„Geht es wieder?“
Ich nickte, was der Mann als Zeichen sah sich wieder entfernen zu können und sich auf seinen Platz setzte.
Ich nahm einen großen Schluck von meiner gut gekühlten Cola light, „ ja danke, es geht schon.“ Sagte ich mit einer etwas kratzigen Stimme. 
Jetzt bekam der Mann einen schuldbewussten Gesichtsausdruck.
„Ich hoffe dass sie sich nicht wegen mir verschluckt haben? Das täte mir sehr leid, das lag bestimmt nicht in meiner Absicht.“
Ich winkte ab, „nein, nein ich bin einfach nur ein kleiner Tollpatsch. Ich bin Chrisi Mc Kenzie.“ Streckte dem Mann meine Hand hin und versuchte die peinliche Sache herunter zu spielen.
„Jordan Link, es freut mich sie kennenzulernen Chrisi Mc Kenzie.“
„Darf ich sie fragen was sie damit meinten, das sie mein Gesicht kennen?“
„Nun ja, ihre Art, ihre Gesichtszüge erinnern mich an eine sehr liebe Schülerin von früher, ihr Name war Cathrine Kilvert. Aber sie sind zu jung um Cathrine zu sein!“
Ich schluckte schwer. Konnte das noch ein Zufall sein?
 „Sie müssen wissen ich bin hier in Campbell River der Schuldirektor an der Highschool. Zu der damaligen Zeit allerdings war ich Geschichtslehrer und Cathrine war eine meiner Schülerinnen. Sie war sehr schlau. Allerdings das letzte was ich von ihr gehört hatte, war das sie bei einem Feuer umgekommen war. Die Arme. Sie hatte damals zwei Töchter das Inferno allerdings überlebt haben. Sind sie vielleicht eine Tochter von Cathrine?“
Mit großen neugierigen Augen sah er mich fragend an.
„Ja, das bin ich. Ich weiß es allerdings selbst erst seit kurzem. Unsere Großmutter hatte uns damals zur Adoption freigegeben. Helen, meine Schwester und ich sind in verschiedenen Familien aufgewachsen. Und nun, nach so langer Zeit,  sind wir hierhergekommen  um mehr über uns und unsere Eltern zu erfahren. Leider mussten wir feststellen dass wir keine Verwandten mehr haben, die uns mehr über unsere Eltern und unsere Großmutter erzählen können. Können sie uns in dieser Sache vielleicht weiterhelfen und uns mehr über unsere Eltern erzählen?“ fragte ich hoffnungsvoll den alten Mann.
„So gerne ich ihnen beiden weiterhelfen würde, aber das was ich weiß, habe ich ihnen gerade erzählt. Tut mir leid. Ich kannte nur Cathrine aus der Schule und euren Vater kannte ich gar nicht, er ist im Reservat in die Schule gegangen.“
Der kleine Hoffnungsschimmer der sich gerade aufgebaut hatte, starb mit einem Knall ab. Es wäre nur zu schön gewesen mehr über unsere Familie zu erfahren.
Oh diese verdammten Hitzewallungen, dachte ich mir. Jetzt geht das schon wieder los. Langsam erwärmte sich mein Körper. Wieder nahm ich einen Schluck von meiner kalten Cola, was aber keine Linderung brachte.
Jemand öffnete die Eingangstüre und mein Blick wanderte dorthin um zu sehen wer denn da kam. Mir blieb die Spucke weg, ein großer gutaussehender Mann mit Wahnsinns blauen Augen und kurzen schwarzen Haaren kam hereinspaziert. Er sah sich um, hielt einen kurzen Moment inne als er mich sah, so kam es mir jedenfalls vor, bevor sein Blick weiter wanderte und an Jordan hängen blieb. Zielstrebig steuerte er mit seinen Adonis Körper auf Jordan zu. 
Eine Reihe perfekter weißer Zähne blitzten auf, als Adonis Jordan Link lächelnd die Hand schüttelte. Ich musste mich zwingen ihn nicht wie eine Stalkerin anzustarren. Aber irgendetwas an ihm zog mich magisch an und er kam mir auf eine vertraute Art und Weise verdammt bekannt vor. Was natürlich Unsinn war. Nur schwer konnte ich mich unter Kontrolle halten nicht aufzustehen und ihm um den Hals zu fallen. Dieses Gefühl, diesen Mann schon ewig zu kennen, verstärkte sich von Minute zu Minute. Es war als würde uns eine Vergangenheit miteinander verbinden. Und er sah dem Typen ähnlich den ich in den letzten Jahren in meinen Träumen, wenn man es so nennen will, gesehen hatte.
„Hallo Direktor, sie sind der Mann den ich gesucht habe.“ Sagte Adonis mit einer tiefen, seidigen Bassstimme die mein innerstes erbeben ließ. Noch nie in meinem Leben hatte ich eine so erotische Stimme gehört.
„Hallo Alexander, schön dich zu sehen. Setz dich zu mir mein Junge. Wie kann ich dir denn heute helfen? Welcher meiner Schüler hat in deinem Club wieder Ärger gemacht?“ Fragte Jordan wie selbstverständlich.
Stückchenweise aß ich an meinem Burger weiter, der nun schon fast kalt war, und schon ein wenig ledrig.
Als ich auf meine Uhr sah erschrak ich, war es wirklich schon so spät geworden? Ich wollte doch noch für heute Abend Fleisch und ein paar andere Dinge zum Grillen besorgen. So schwer mir es auch fiel in diesem Augenblick zu gehen, ließ ich mir die Rechnung bringen und zahlte. Zögernd ging ich auf den Tisch der beiden Männer zu.
„Direktor Link, ich muss jetzt leider gehen, aber dürfte ich trotzdem noch einmal auf sie zukommen, und sie in den nächsten Tagen in der Highschool besuchen? Vielleicht fällt ihnen noch etwas zu meiner Mutter ein?“
„Natürlich dürfen sie das Chrisi, jederzeit. Ich lasse mir das Ganze auch noch einmal durch den Kopf gehen, es kann schließlich sein das mir das eine oder andere noch einfällt. Ich bin nicht mehr der Jüngste und da vergisst man schon so manches. Ach Chrisi darf ich ihnen Alexander Roven vorstellen? Er hat einen netten Tanzclub auf der anderen Seite der Stadt. Alexander das ist Chrisi Mc Kenzie, ihre Mutter ging bei mir in die Klasse, als ich noch aktiver Lehrer war.“
Leicht nervös reichte ich Alexander Roven die Hand, die er mit einer fließenden elegant wirkenden Bewegung seinerseits entgegennahm.
„Hallo Ms Mc Kenzie schön sie kennenzulernen.“
Unsere Hände hatten sich kaum berührt als sich wieder das Bild von dem Mann am Strand vor meine Augen schob. Es war nur ein kurzer Augenblick, doch die Berührung und die Vision lösten in mir ein absolutes Gefühlscaos aus und raubten mir für einen Moment den Atem. Warum löste dieser Mann eine solch heftige Reaktion bei mir aus? Erschrocken wich ich einen Schritt zurück.
Alexanders sah mich besorgt an, doch er sagte nichts. Jordan dagegen hatte von meiner Atemlosigkeit nicht das geringste mitbekommen.
„Hallo.. Mr. Roven.“ stotterte ich und versuchte mein peinliches Verhalten zu überspielen.
Schnell zog ich meine Hand wieder zurück und blickte verlegen zu Boden.
„Also bis bald Direktor, Mr. Roven.“ Ich nickte den beiden Männern höflich zu. ich musste hier schnell raus.
Fast fluchtartig verließ ich das Lokal. Draußen vor der Türe holte ich erst einmal tief Luft. Mein Blick fiel dabei geradewegs auf einen schwarzen BMW. Es war der gleiche BMW den ich heute Morgen schon gesehen hatte. Konnte das nur Zufall sein?
Nachdenklich machte ich mich auf den Weg zurück zur Pension. Je weiter ich mich entfernte, umso mehr bekam ich auch meine Hitzewallung und auch mich selbst wieder unter Kontrolle. Meine Gedanken kreisten um diesen Alexander Roven und um den BMW der vor dem Lokal geparkt hatte. Alexander hatte etwas Besonderes an sich. Etwas was ich nicht erklären konnte, zog mich wie magisch in seinen Bann.
Ich war so sehr in meine Gedanken vertieft, dass ich erst merkte dass ein mir fremdes Auto langsam, mit herunter gelassenem Fenster neben mir herfuhr, als ich auch schon aus dem Auto heraus angesprochen wurde.
„Hallo Chrisi.“ sagte eine mir bekannte Stimme. Ein Lächeln schmuggelte sich auf mein Gesicht. Ich bückte mich leicht um besser in das Auto sehen zu können.
„Hallo Tom, schon fertig mit arbeiten?“ sagte ich überrascht.
Nur schwer konnte ich die Gedanken an Roven verdrängen, aber Tom half mir sichtlich dabei.
„Ja, am Freitag lassen sie uns schon mittags aus unseren Käfigen raus und nach fünf Peitschenhiebe wieder nach Hause.“ grinste Tom. „Aber ich war ehrlich gesagt auf der Suche nach dir. Ich wollte dich fragen ob du mit zum Einkaufen fahren willst? Für heute Abend zum Grillen brauchen wir noch einige Sachen.“
Mir kam es so vor als ob Tom bei dieser Frage rot angelaufen war, obwohl es eine so banale Frage gewesen war. Was wiederrum bewirkte dass sich bei mir ein paar Schmetterlinge im Bauch bemerkbar machten.
„Ja gerne, ich war sowieso gerade auf dem Weg zurück zu euch, ich wollte Helen um ihr Auto bitten, damit ich alle Besorgungen erledigen kann. Da sie ja voll und ganz mit stylen beschäftigt ist. Heute Abend kommt nämlich auch unser Anwalt in den sich Helen tierisch verguckt hat. Ich hoffe das ist kein Problem wenn unser Anwalt auch kommt?“ Fragte ich vorsichtshalber mit einem schlechten Gewissen nach, da ich Tom gerade mit dieser Tatsache überfahren hatte. Doch er winkte ab und setzte sein absolut charmantes Lächeln auf.
„Nein, nein so lange er keine Klage für uns mit hat! Und es ist auch nun mal eine Tatsache, je mehr Leute da sind umso lustiger wird es. Obwohl ich heute schon alleine darüber glücklich wäre, wenn nur du kommen würdest.“
Verlegen sah er sein Lenkrad an und knetete es durch. 
„Komm steig schon ein, ich beiße auch nicht. Versprochen“, dabei klopfte er mit der Hand auf den Beifahrersitz.
Ich schlüpfte ins Auto und gurtete mich an.
„Woher hast du eigentlich gewusst wo du mich suchen musst?“
„Na ja, Helen hat mir gesagt das du zum Essen gehen wolltest und da nur das Daisy in unmittelbarer Nähe und das zu Fuß erreichbar ist, habe ich dich sofort gefunden. Ich hoffe du empfindest das nicht als zu aufdringlich?“
Ich lachte auf.
„Nein natürlich nicht Tom, ich bin froh das ich mit dir mitfahren kann. So finde ich wenigstens wieder zurück zur Pension. Ich habe nämlich keinen sehr guten Orientierungssinn musst du wissen. Und dann hättet ihr heute ohne mich gegrillt und ich wäre dann irgendwo in Campbell River jämmerlich und vor mich hin weinend verhungert.“
Tom kriegte sich vor Lachen fast nicht mehr ein.
Tom war ein ruhiger und guter Fahrer, ganz anders als ich, meine Fahrweise war hektischer und ich schimpfte gerne über die anderen Autofahrer, auch wenn es meine Schuld war.
Ich fühlte mich in Toms Nähe wohl. Er strahlte Wärme und Geborgenheit aus.
 Tom parkte seinen Wagen der sich als Toyota entpuppte, auf dem Parkplatz vor einem großen Lebensmitteldiscounter.
Ich kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. So einen riesen Discounter fand man in Deutschland nicht. Regale die ewig hoch waren und unendlich lange. Ein Gang war alleine nur für Corn Flakes da, man konnte Corn Flakes mit Zimt, Corn Flakes mit Nougat, Corn Flakes ohne alles, und, und, und haben.  An der Fleischtheke wusste ich sofort dass ich mich an das mir alt bekannte und vor allem am fettlosen Fleisch halten werde.
Tom wich mir bei der ganzen Einkaufstour nicht einmal von der Seite bis wir wieder bei seinem Auto angekommen waren. Immer wieder berührten wir uns wie zufällig und sofort machten sich dann die Schmetterlinge in meinem Bauch bemerkbar, auch wenn diese Gefühle anders waren, als die, die ich für diesen Roven empfand.
„Chrisi ich muss nur noch schnell zwei Straßen weiter in der Reinigung etwas für meine Schwester abholen, dann können wir nach Hause fahren. Ist das o.k. für dich?“ Riss Tom mich aus meinen Gedanken.
„Natürlich ist das o.k., schließlich bist du der Fahrer und ich will nicht mitten in Campbell River ausgesetzt werden.“ Sagte ich gespielt panisch.
Tom grinste, „mit dir wird es wohl selten langweilig.“
„Das kann ich dir leider nicht sagen, das musst du schon selbst herausfinden.“ Sagte ich herausfordernd.
„Das werde ich Chrisi, das werde ich.“
„Tom denkst du dass das Wetter heute Abend durchhält?“ fragte ich mit einem besorgten Blick nach oben. Den ganzen Tag schwebten schon graue Wolken über uns hinweg.
„Keine Sorge, das hält aus. Der Wetterbericht hat erst für Morgen Regen angesagt, und meistens behält der Wetterbericht auch recht.“ Beruhigte er mich.
„O.k. wenn du das sagst, will ich dir das mal glauben.“
Tom bog gerade auf die Hauptstraße ab, als ich die langsam aufsteigende Wärme in mir spürte. Jetzt ging das schon wieder los. Ich öffnete das Seitenfenster einen Spalt um mir etwas Abkühlung  zu verschaffen. Tom hatte die Straße schnell erreicht in der die Reinigung lag.
„Ich bin gleich wieder da!“ Tom stieg aus und war in der Reinigung verschwunden.
Ich stieg ebenfalls aus und lehnte mich an den Toyota. Die Wärme in mir hatte jetzt seinen Höhepunkt erreicht. Tief atmete ich die kühle Luft ein. Plötzlich wurde mir schwindelig. Vor meinen Augen baute sich ein Bild auf. Ein großer Mann ohne Gesicht, der einen anderen Mann, der mir bekannt vorkam und der Roven verdammt ähnlich sah, mit einem Stoß einen Abgrund hinunterstürzte. Mir stockte der Atem, ich hatte das Gefühl schreien zu müssen, konnte es aber nicht. Panik und Angst um den gestürzten Mann machte sich in mir breit. Ich hörte jemanden meinen Namen rufen.
„Ms Mc Kenzie ist alles in Ordnung mit ihnen?“
Jemand rüttelte mich leicht durch. Mein Blick klärte sich langsam wieder, ich befand mich immer noch neben dem Toyota, nur kniete ich jetzt schwer atmend daneben. Mein Herz raste wie verrückt. Ich spürte zwei Hände die mich stützten damit ich nicht umkippte. Langsam stemmte ich mich in die Höhe und lehnte mich wieder mit dem Rücken gegen das Auto. Das kühle Blech tat mir gut.
„Langsam Ms Mc Kenzie, nicht das sie mir wieder umfallen.“
 Der Schwindel legte sich nun auch wieder, nachdem die Vision wieder verschwunden war. Die fremden Hände stützten mich immer noch sanft aber sicher.
„Geht’s wieder? Oder soll ich einen Arzt holen?“ fragte mich eine mir bekannte tiefe Stimme, die aber einen sehr besorgten Unterton hatte. Ich hob meinen Kopf und ich sah in die blauen Augen die mir heute schon einmal begegnet waren und mir den Kopf verdreht hatten.
Aus dem Hintergrund vernahm ich jetzt eine andere mir bekannte Männerstimme.
„Chrisi was ist passiert? Geht es dir nicht gut?“
Tom drängte sich an Alexander Roven vorbei, der mich etwas irritiert ansah.  Tom dagegen kassierte einen bösen Blick, was Tom aber kalt lies.
Immer noch mit leicht erhöhten Atembewegungen antwortete ich, „ nein es geht schon wieder. Ich denke das ist der Jetlag der sich immer noch bemerkbar macht, es würde mir wahrscheinlich nicht schaden wenn ich mehr trinken würde bei einem so langen Flug, so wie es immer in den Broschüren empfohlen wird.“
Was redete ich nur für ein dummes Zeug zusammen? Das interessierte doch niemanden.
Tom und Mr. Roven sahen mich immer noch sehr besorgt an, aber ignorierten sich gegenseitig.
„Mr. Roven, danke für ihre Hilfe, aber ich glaube ich habe das schlimmste hinter mir. In der Pension werde ich mich noch etwas zum Schlafen hinlegen.“ versuchte ich die beiden zu beruhigen.
„Und sie brauchen wirklich keinen Arzt? Es wäre gut wenn sie sich wenigstens nur mal den Blutdruck messen lassen würden oder was man sonst noch alles in so einer Situation macht.“ Schlug Roven vor und strich mir dabei sanft an meinem Arm entlang, was mir einen angenehmen Schauer den Rücken runter jagte und mir automatisch den Blutdruck in die Höhe drückte.
„Nein ich denke das ist nicht nötig. Mir geht es wirklich schon wieder besser!“
Tom drängte sich jetzt forsch zwischen mich und Alexander, das Alexander keine Chance mehr bekam mich zu berühren, geschweige denn anzusehen.
„Sie hat gesagt das es ihr wieder gut geht, ich denke nicht das wir noch länger ihre Hilfe brauchen Mr. Roven. Ich kümmere mich schon um Chrisi, ich bringe sie gut nach Hause damit sie sich ausruhen kann“, sagte Tom in einem etwas zu gereiztem Ton für meinen Geschmack. Oh immer diese Testosteronkämpfe der Männer.
„Tom er hat mir doch nur geholfen“, versuchte ich zu schlichten.
Alexanders Augen sprühten Tom vor Wut nur so an, dabei kam es mir so vor, als ob sich seine Augenfarbe verändert hätte. Sie erschienen plötzlich in einem sehr hellen blau. Ich konnte mich aber auch täuschen, da Tom sich immer noch vor mir wie ein Bodyguard aufbaute und auch mir damit größtenteils die Sicht auf Alexander nahm.
Tom öffnete die Wagentüre, und schob mich von ihm gestützt auf den Beifahrersitz.
„Gleich kannst du dich ausruhen Chrisi. In zehn Minuten sind wir zu Hause. Ich bereite in der Zeit in der du dich erholst alles für unseren Grillabend vor damit du anschließend sofort was essen kannst, wenn du wieder aufgestanden bist.“
Bevor ich mich noch einmal bei Alexander für seine Hilfe bedanken konnte, ließ Tom die Wagentüre zufallen. Warf nun seinerseits Alexander einen wütenden Blick zu, stieg in den Toyota und fuhr los.
Alexander stand mit geballten Fäusten auf dem Gehweg. Wenn Blicke in diesem Moment töten hätten können, wäre Tom auf der Stelle tot umgefallen. Sein Blick eiste sich von Tom los und schweifte zu mir. Jetzt lag wieder diese Besorgnis in seinem Blick gemischt mit Traurigkeit. Ich hob die Hand und winkte im zum Abschied zu. Irgendwie fühlte ich mich elend. Es konnte nicht richtig sein Alexander einfach stehen zu lassen. Dieser Anblick zerriss mich innerlich, die Sehnsucht nach Roven stieg ins unermessliche.
Was natürlich Quatsch war, da ich diesen Mann ja nicht mal kannte. Wir hatten uns doch erst zweimal getroffen. Es war wahrscheinlich nur das schlechte Gewissen das mich so fühlen lies. Dann war da noch Tom, den ich mochte, der sich gerade aber wie ein Testosteron gesteuertes Kind benommen hatte.
Hier drängte sich mir die Frage auf, konnte man sich in zwei Männer gleichzeitig verlieben? Wieso konnte das Leben nicht einmal nur einfach sein, nein es musste gleich wieder kompliziert werden.
Mein Gedankengang wurde von Tom unterbrochen.
„Chrisi geht es dir wirklich wieder gut? Ich kann auch Doc Gardener rufen damit er dich mal durchcheckt?“
Ich grinste verlegen. „Das ist wirklich nicht nötig Tom, mir geht es wieder gut. Mir war nur kurz schwindlig. Ich wäre dir auch sehr dankbar wenn du Helen davon nichts erzählen würdest, sie würde sich dann nur unnötig Sorgen machen. Tust du mir bitte den Gefallen, Tom?“
„Wenn es dir so wichtig ist, sag ich Helen nichts davon, aber sollte das noch einmal passieren, musst du mir versprechen dass du einen Arzt aufsuchst. Bitte Chrisi!“
Ich seufzte, „o.k. ich verspreche es dir, aber es ist bestimmt nichts. Es liegt einfach nur an der Anstrengung der letzten Tage, nicht mehr und nicht weniger. “ Versuchte ich ihn zu beruhigen.
Wenn ich ehrlich war hatte mich dieses Erlebnis gerade mehr geschlaucht als ich zugeben wollte. Mein Körper fühlte sich müde und erschöpft an. Ich versuchte dieses Gefühl der Müdigkeit zu verdrängen und konzentrierte mich auf das eben geschehene. Was hatte ich da gerade nur gesehen? Warum hatte ich ständig diese Visionen? Und vor allem, warum erst seit ich mich auf den Weg nach Vancouver Island gemacht habe? Früher hatte ich nicht mal annähernd  so etwas wie eine Vision. O.k. ich hatte oft ganz verrückte Träume mit Vampiren und Werwölfen, die sich auch oft wiederholten, aber mehr schon auch nicht.
An der Pension angekommen, sprang Tom förmlich aus seinem Auto, rannte drum herum, öffnete mir die Türe und half mir beim aussteigen.
„Danke Tom, aber den Rest des Weges schaffe ich alleine.“
Tom nickte nur und ließ mich nur mit wiederstrebend los. Ich war so was von froh als ich endlich in meinem Bett lag. Sofort fiel ich in einen tiefen und Traumlosen Schlaf.

Kurz darauf, so kam es mir jedenfalls vor, klopfte jemand an meine Türe.
„Ich schlafe noch.“ Brummte ich.
 Eine weibliche Stimme, die ich Helen zuordnen konnte, meldete sich, dabei öffnete sie vorsichtig die Türe meines Zimmers und streckte den Kopf herein.
„Chrisi bist du wach? Wenn nicht dann werde jetzt bitte wach. Wir warten alle im Garten auf dich. Es ist Abendessenszeit. Tom ist dabei leckeres Fleisch zu grillen. Er hat mir auch aufgetragen nicht ohne dich runter zu kommen.“ Dabei grinste sie über das ganze Gesicht.
„Es hat ihn wirklich schwer erwischt.“
Nur schwer konnte ich meine Augen öffnen. Ich fühlte mich als ob ich von einem Truck angefahren worden wäre.
„Wie spät haben wir es denn?“ seufzte ich.
„Es ist kurz vor sieben Uhr, du hast geschlagene vier Stunden geschlafen.“
„Was?“ schreckte ich im Bett hoch. „Das kann nicht sein, ich habe mich doch gerade erst zum hingelegt! Zumindest kommt es mir so vor.“ Ich ließ mich wieder zurück fallen.
Helen machte es sich bei mir auf dem Bett bequem.
„Nein mein Schatz, du liegst schon länger im Schlaf der Gerechten, als du schlafen solltest. Schließlich wartet im Garten ein attraktiver Mann, der es nicht erwarten kann, bis er dich wieder sieht. Trotzdem war es komisch, ich wollte dich ja schon früher aufwecken, aber Tom hat es mir mehr oder weniger verboten. Ständig hat er sich etwas einfallen lassen womit er mich davon abgehalten hat dich zu wecken. Weiß ich etwas nicht? Hast du etwa Geheimnisse vor mir?“
Ich wälzte mich aus meinem Bett und versuchte das Thema zu wechseln. Wenn ich gerade aufgestanden bin, konnte ich noch nicht über Liebe reden, zumindest nicht wenn es sich dabei um mich drehte.
„Ist Robert schon da?“ Stellte ich  die Frage aller Fragen und konnte Helen damit auf ein anderes Thema lenken.
„Nein, er müsste aber jeden Moment kommen, sonst wäre ich doch nicht hier bei dir, wenn Robert schon da wäre.“
Wie auf das Stichwort hörten wir wie ein Auto vor das Haus fuhr und parkte. Helen sprang wie von der Tarantel gestochen aus meinem Bett und rannte zum Fenster.
„Oh Gott Chrisi er ist da. Robert ist da!“ Helen hüpfte wie ein Pingpongball von einem Fuß auf den anderen. „Oohhh er sieht so gut aus. Und du wirst es nicht glauben, er hat Blumen mitgebracht, die sind bestimmt für mich. Ich geh jetzt runter und du solltest dich endlich fertig machen. Tom schmachtet nach dir.“
Helen hatte es kaum ausgesprochen als sie auch schon aus meinem Zimmer wie auf turbogesteuerte Wolken hinaus schwebte.
Ich schleppte mich ins Bad um mir mein Gesicht mit kaltem Wasser zu waschen. Hoffentlich machte mich das wieder fit für den Abend der vor mir lag. Eigentlich freute ich mich darauf den Abend mit Tom zu verbringen, andererseits ging mir das geschehene nicht aus dem Kopf genauso wie Alexander Roven. Immer wieder drängte er sich in meine Gedanken, was die Sehnsucht nach ihm nicht schmälerte. Was stimmte mit mir nur nicht?
Das kalte Wasser tat seine Wirkung und ich war wieder halbwegs ein Mensch.
Ich machte mich auf den Weg in den Garten, der hinter dem Haus lag. Lautes Gelächter war zu hören. Ich konnte Helen heraushören, sie lachte lauter als normalerweise, was darauf deutete dass sie sehr Nervös war, das hatte ich schon herausgefunden.
Tom stand am Grill und fuchtelte wie ein Profikoch mit der Grillgabel herum. Ein Lächeln stahl sich auf mein Gesicht. Er sah so sexy aus mit Grillgabel und Schürze. Wie er wohl aussah wenn er nur die Grillschürze anhatte und nichts darunter? Mein Grinsen wurde noch breiter. Ich schüttelte meinen Kopf um wieder anständige Gedanken hineinzulassen.
Robert hing Helen an den Lippen, wie ein Alkoholiker an einer Flasche Whiskey.
Keine Ahnung was sie ihm alles erzählte, aber es musste verdammt spannend sein.
Dann war da noch Carmen mit einem Mann den ich nicht kannte, der aber wie es aussah ihr Ehemann war.
Ich steuerte auf Tom zu. Seine Augen fingen zu strahlen an als er mich entdeckte.
„Hallo Chrisi, hast du dich gut erholt von heute Nachmittag?“ fragte er mich Augenzwinkernd.
„Ja das habe ich Tom, ich denke mir fehlte einfach nur der Schlaf. Hier geht es ja schon ganz schön rund.“
„Ja das tut es, und ist dir aufgefallen das hier nur Pärchen sind?“
Ich verstand die Anspielung von Tom, wollte aber nicht darauf eingehen. Mit hochrotem Kopf versuchte ich Tom auf ein anderes Thema abzulenken.
Ich  fragte ihn mit einem keine Ahnung Ton, „Wann ist denn das Essen fertig?“
Und hoffte das diese Taktik nicht zu offensichtlich war.
Ein Grinsen breitete sich in Toms Gesicht aus. „Dauert nicht mehr lange, es ist ein gutes Zeichen wenn du Hunger hast. Das erste und größte Stück ist natürlich für dich reserviert.“
„Danke, ich fühle mich geehrt.“ Lachte ich.
Carmen kam auf mich zu. „Hallo Chrisi, hast du gut geschlafen?“
„Ja das habe ich, danke. Ihr habt sehr gute Matratzen in euren Zimmern.“
„Das freut mich zu hören. Darf ich dir meinen Mann Michael vorstellen. Er ist immer die ganze Woche über in Vancouver. Durch seinen Job geht das leider nicht anders. Michael das ist Chrisi, Helens Schwester.“
Michael war ein sportlicher aber unscheinbarer Typ Mann. Nicht sehr groß er überragte mich gerade mal einen halben Kopf. Durchaus hatte Michael eine sympathische Ausstrahlung und er begrüßte mich ganz herzlich. Seine Geheimratsecken waren schon sehr weit fortgeschritten, und das in seinem Alter. Ich schätzte ihn auf gute fünfunddreißig Jahre. Wie viele Haare er wohl dann mit fünfundvierzig noch auf dem Kopf hat?
„Freut mich dich kennenzulernen Chrisi, wie ich gehört habe hast du Tom ganz schön den Kopf verdreht.“
Michaels Grinsen war unschlagbar. Tom sah ihn böse an drehte dann aber gleich seinen Kopf so weit in die andere Richtung damit ich nicht sehen konnte das sein Gesicht rot wie eine Tomate wurde.
„Ach wirklich?“ spöttelte ich zurück. „Wo hast du das denn gehört Michael?“
„Tja wir haben da lauter kleine Wichtel im Garten die einem eine solch bedeutende Nachricht gleich erzählen, musst du wissen.“
„Du wolltest ja heute nichts zu essen, nicht wahr Michael?“ meldete sich Tom peinlich berührt.
„Wieso Tom, wäre das ein Geheimnis gewesen? Dann hättest du es besser verstecken müssen. Aber es wird sowieso mal Zeit das du unter die Haube kommst. Du bist schon viel zu lange alleine.“
Wieder bekam Michael einen bösen Blick zugeworfen. Zur Untermalung des Blickes drohte ihm Tom dieses Mal mit der Grillgabel.
„Ich wenn du wäre Michael, würde heute gut auf dein Bier aufpassen, nicht das dir noch einer aus Versehen rein spuckt.“
Ich konnte mich nicht mehr halten. Laut prustete ich los. „Da heißt es immer wir Frauen wären Hormongebäutelt aber das Testosteron übertrifft uns noch bei weitem.“
Helen und Robert hatten nichts von dem Gespräch mitbekommen, die beiden waren so mit sich selbst beschäftigt, dass die Welt hätte untergehen können und die beiden hätten es nicht bemerkt.
Der Abend verlief ruhig und lustig zu gleich. Das Fleisch war ein Gedicht, zart und nicht zu trocken. Ich musste zugeben, Tom verstand was vom Grillen.
Wie selbstverständlich waren wir alle Pärchen weise um den Tisch gesessen. Robert erzählte uns lustige Anekdoten von unserer Großmutter. Das sie eine starke Frau war und so mancher Vertreter sein blaues Wunder erlebt hatte wenn er bei ihr vor der Türe stand. Einer war laut Robert sogar weinend davongelaufen.  Von dem vielen Lachen liefen mir Tränen an meinen Wangen runter und diese dann auch noch an zu schmerzen.
Da es zu dieser Jahreszeit kalt wurde, sobald die Dämmerung hereinbrach, räumten wir gemeinsam auf und machten es uns anschließend im Haus bequem.
Tom holte aus der Küche noch etwas zu trinken, ich ging ihm nach um ihm zu helfen.
„Was kann ich dir abnehmen Tom?“ 
Tom und ich waren alleine in der Küche, die anderen machten es sich bereits im Wohnzimmer bequem. Als Tom auf mich zukam, und mir tief in meine Augen bis auf den Grund meiner Seele sah. 
Mit seinen Fingerspitzen strich er mir sanft an meiner Wange entlang. Mein Atem beschleunigte sich. Tom näherte sich langsam meinem Mund. Zuerst küsste er mich zögerlich, dann wurde sein Verlangen drängender als Tom spürte dass auch ich nicht abgeneigt war. Seine Zunge drängte mit einem zärtlichen Druck  in meinen Mund, was ich nur zu gerne zuließ.
Wow konnte dieser Mann küssen! Ob Roven auch so gut küssen konnte? Oh Gott, was soll denn das? Da küsst mich ein Wahnsinns Mann und ich frage mich ob Roven auch so gut küssen kann. Bin ich noch bei Trost? 
„Tom wo bleibt der Wein?“ rief Carmen ungeduldig aus dem Wohnzimmer.
Tom löste sich von mir und dabei verdrehte er die Augen, küsste mich noch einmal kurz, „Schwestern die haben nie ein gutes Timing.“
Ich lachte und verdrehte ebenfalls meine Augen, „in diesem Bereich muss ich erst noch meine Erfahrungen sammeln.“
„Du wirst noch an mich denken, wenn es soweit ist.“ Lachte Tom.
Beide gingen wir wieder zu den anderen als ob nichts gewesen wäre. Das einzig  offensichtliche was sich geändert hatte, war als wir wieder auf der Couch saßen, Tom zärtlich meine Hand nahm. Kurzzeitig wurde es still und viel sagende Blicke waren auf uns gerichtet.
„Was? Habt ihr noch nie eine Frau und einen Mann gesehen die Händchen halten?“ fragte Tom die anderen so belanglos wie möglich.
Schnell wandten sich alle wieder ihrem Gespräch zu dem sie gefolgt waren, bevor sie unser Anblick irritiert hatte.
Ich spielte gerade mit Toms Fingern als das Telefon klingelte. Carmen stand auf.
„ Wer kann das denn noch um diese Uhrzeit sein? Eine Reservierung vielleicht?“
Sie verschwand in der Küche. Im offiziellen Kundenbereich gab es nur das eine Telefon und das war mit der Wand verkabelt. Carmen kam mit einem fragenden Blick zurück.
„Chrisi der Telefonanruf ist für dich, ein gewisser Alexander Roven.“ Carmen hob fragend die Schultern.
„Alexander Roven?“ Wiederholte ich.
Ich spürte wie sich Toms Körperhaltung anspannte und straffte. Verunsichert stand ich auf, ging in die Küche und hob den Hörer an mein Ohr.
„Chrisi Mc Kenzie“, meldete ich mich mit einem wahnsinnigen Herzrasen.
Am anderen Ende der Leitung hörte ich die samtene Bassstimme, die mir noch immer durch und durch ging wenn ich sie nur hörte und die vor allem zwischen meinen Schenkeln einen Reiz auslösten, den ich gerne mit ihm gestillt hätte.
„Hallo  Ms Mc Kenzie, entschuldigen sie bitte wenn ich um diese Uhrzeit noch störe, aber sie sind mir nicht aus dem Kopf gegangen, bzw. das was heute Nachmittag passiert ist und ich wollte einfach nur Sicher gehen das es ihnen wieder gut geht und keine bleibenden Schäden zurück geblieben sind“, sagte er erleichtert und belustigt zugleich.
„Das ist nett von ihnen Mr. Roven. Und ich kann sie beruhigen, mir geht es wieder gut. Ich habe am Nachmittag noch etwas Schlaf nachgeholt und dann war alles wieder in bester Ordnung.“
„Ms Mc Kenzie ich weiß sie kennen mich im Grunde nicht, trotzdem will ich ihnen meine Hilfe anbieten. Sie können mich jederzeit kontaktieren, egal um was es sich dabei handelt. Ich weiß das ein Neuanfang in einem fremden Land nicht immer einfach ist.“
„Danke Mr. Roven für ihr Angebot, aber es ist noch nicht sicher dass ich auch hier in Campbell River bleibe. Aber wenn es der Fall sein sollte, werde ich ihr Angebot  gerne in Anspruch nehmen. Ich will mich auch noch einmal für ihre Hilfe heute Nachmittag bedanken. Und es tut mir leid dass sie von Tom zur Seite gestoßen worden sind.“
Näher wollte ich auf Toms Verhalten von heute Nachmittag nicht mehr eingehen.
„Er macht sich eben Sorgen um sie. Ich würde ihnen aber trotzdem jederzeit wieder zur Hilfe eilen, auch wenn mich Tom zur Seite prügeln würde.“
„Ich denke nicht das Tom so weit gehen würde und wenn dann würde ich es nicht zulassen.“
„Schön zu hören. Doch genug für heute, ich will sie nicht von etwas wichtigem abhalten. Ich wünsche ihnen noch eine ruhige und erholsame Nacht Ms Mc Kenzie und vielleicht sehen wir uns ja in den nächsten Tagen. Es würde mich freuen.“
„Ja das wäre schön. Ich wünsche ihnen auch noch eine gute Nacht Mr. Roven. Danke für ihren Anruf. Gute Nacht.“
„Gute Nacht.“
Es war nichts mehr am anderen Ende zu hören. Alexander hatte aufgelegt. Woher hatte er gewusst wo ich wohne? Vielleicht kannte er Tom und wusste somit das ich bei Carmen ein Zimmer gemietet habe. Ich hatte den Hörer schon längst wieder aufgelegt, trotzdem brauchte ich noch ein paar Minuten um mich wieder voll im Griff zu haben, bevor ich wieder zu Tom ging. Tom sah mich  prüfend und fragend an als ich das Wohnzimmer betrat, genau wie alle anderen.
Hatte Tom etwas gesagt, was am Nachmittag geschehen war? Ich hatte das Gefühl etwas erklären zu müssen. Neben Tom nahm ich wieder mit einem unguten Gefühl im Magen und einem Hauch schlechten Gewissens platz.
„Mr. Roven hat mir nur bestätigt dass das Treffen mit Direktor Link in Ordnung geht.“ Log ich und versuchte dabei niemanden in die Augen zu sehen. „Ich habe die beiden heute Mittag im Daisy getroffen“, gab ich eine weitere Erklärung ab.
Hier hatte ich den Vorteil dass mich keiner der Anwesenden sehr gut kannte, sonst wüssten sie alle dass ich gelogen hatte. Ich war eine Miserable Lügnerin, ich wurde beim Lügen immer unsicher und nervös. Was ich gerade nur mit großer Mühe unterdrücken konnte. 
Alle schienen mit dieser Erklärung zufrieden zu sein. Nur nicht Tom, der mich immer noch fragend ansah.
„Was ist?“ fragte ich unsicher.
„Das hast du gar nicht erzählt dass du Roven heute schon mal getroffen hast. Kennt ihr euch schon länger?“ Toms Stimme hatte einen leicht scharfen Unterton.
Verdammt, ich spürte wie mir das Blut in mein Gesicht schoss. Das schlechte Gewissen meldete sich, obwohl ich nicht wusste warum, schließlich hatte ich Roven heute wirklich zum ersten Mal gesehen.
„Wie kommst du denn auf die Idee? Ich habe ihn heute im Daisy zum ersten Mal, und nur zufällig getroffen, da ich ein Gespräch mit Direktor Link führte und Roven ist dazu gestoßen. Wir haben über meine Mutter gesprochen, die früher in die Klasse vom Direktor gegangen war. Und als wir Roven später wieder trafen, bat ich ihn doch einen Termin für mich mit dem Direktor auszumachen, das war bevor ich meinen Schwächeanfall hatte. Und Roven hat mir diesen Gefallen getan.“ sprach ich so leise, damit  die anderen es nicht mitkriegten.
Wieder vermied ich es Tom in die Augen zu sehen. Aus dem Augenwinkel konnte ich erkennen dass sich seine Augen zu schlitzen zusammenzogen. Hatte Tom mich schon durchschaut? Das wäre nicht gut. Ganz und gar nicht gut. Natürlich war mir klar dass es nicht unbedingt der beste Start in eine Beziehung war, den Partner gleich am ersten Abend anzulügen, aber wenn ich an den Nachmittag zurückdachte, als Tom und Alexander sich gegenüberstanden, sprühend vor Testosteron, musste ich das Schicksal nicht noch mehr herausfordern. Wie selbstverständlich kuschelte ich mich an Tom, so kam ich nicht in Verlegenheit ihn direkt ansehen zu müssen.

Alexander seufzte als er die Verbindung mit Chrisi unterbrach. Sie war ihm so nahe, aber doch unerreichbar für ihn. Er durfte ihr auf keinen Fall zu nahe kommen, um sie nicht noch mehr zu gefährden. Er musste alles dafür tun damit sie in Sicherheit war.
Ob Thomson sie erkannt hatte, als er den Golf angehalten hatte? Oder wusste er es schon von vornherein das Chrisi, seine Rose war? Wenn das der Fall war,  wollte er vielleicht die beiden Schwestern in dieser Seitenstraße in eine Falle locken? Bei diesem Gedanken jagte ein kalter Schauer seinen Rücken hinab.
Was war wenn dies der Fall gewesen war? War dieser räudige Köter gleich zu Christian gerannt und hat es ihm erzählt, das Chrisi in der Stadt ist und ich ihm in die Quere gekommen bin, bevor er die beiden aus dem Auto ziehen und verschleppen konnte? 
Alexander machte sich auf den Weg zur zweiten versteckten Kühlkammer, hinter der offiziellen Kühlkammer von seinem Tanzclub. Denn der Hunger nach Blut nagte an ihm. Und er durfte sich auch hier keinen Fehler erlauben, denn er wusste ja nicht wann er Chrisi wiedersehen würde und da wäre der Hunger eine doppelte Gefahr für sie. Alexander war bewusst dass auch er im innersten ein Monster war und jederzeit gefährlich für sie werden konnte.
Niemand der nicht wusste wo diese Kammer war, würde sie je finden. Denn in dieser Kammer lagen die Beweise dass Alexander nicht so war wie alle anderen Menschen. Und so sollte es auch bleiben, die Menschen sollten denken dass er war wie sie, ein Mann mit einem netten Tanzclub in dem man sich gut amüsieren konnte. Er hatte sich gut in dieser Stadt eingelebt. Und seine Blutbank in Vancouver war ihm dabei eine große Hilfe gewesen. Natürlich schmeckte frisches, warmes Blut von einem Menschen tausendmal besser und gab ihm mehr Kraft als dieses gekühlte Zeug. Doch Alexander gehörte nicht zu den Menschenaussaugenden Monstern, die ihm schon oft über den Weg gelaufen waren, auch wenn er sich bei Gelegenheiten mal einen Schluck gönnte. Die Menschen bekamen es nicht mit wenn er zubiss, er gab ihnen dabei die schönsten Gefühle und Gedanken die man sich vorstellen konnte.
Alexanders Gefährten die ihn über die letzten Jahre treu begleitet hatten, waren mit der gleichen Einstellung zum Trinken bei ihm geblieben. Sie waren ein eingeschworenes Team geworden, man konnte sagen, sie waren eine Familie. Jeder von ihnen würde für den anderen seine Existenz geben, wenn es die Situation erforderlich machen würde.
Alexander riss mit den Zähnen den Blutbeutel auf und trank ihn mit einem Zug leer. Ein zweiter und ein dritter folgten.
Wie wohl Chrisis Blut schmeckt? Alexander schüttelte seinen Kopf um diesen Gedanken wieder wegzuwischen, was ihm nicht ganz gelang. Zu groß war das Verlangen nach ihr. Sie roch einzigartig für ihn. Chrisi hatte immer noch den gleichen anziehenden Duft wie damals als sie noch in ihrem vorherigen Leben Rose war. Bevor sie ihm von Christian weggenommen worden war.
Mit schweren Gedanken und frisch gestärkt machte sich Alexander auf den Weg in seinen Tanzclub, der Proppenvoll war.  Doch bevor er ihn betrat, versicherte er sich noch einmal das an seinem Mund keine verdächtigen Rückstände mehr zu sehen waren.

Der gestrige Abend war nach dem Telefonat mit Roven, zwischen mir und Tom  nicht mehr ganz so locker und ungezwungen verlaufen wie er begonnen hatte. Ein Schatten namens Roven lag zwischen uns. Ich war erleichtert, als ich mich endlich in mein Zimmer schleichen konnte, als sich die ersten Gäste verabschiedeten.
Bei Helen und Robert dauerte es noch lange bis er in sein Auto stieg und davonfuhr. Gute eineinhalbstunden habe ich sie noch reden, lachen und auch schweigen hören. Bis auch ich es endlich schaffte einzuschlafen um den anstrengenden Tag hinter mir zu lassen, der mich viel Kraft gekostet hatte. Trotz alledem fand ich in keinen tiefen Schlaf, unruhig wälzte ich mich hin und her. Ich träumte von Tom, wie er Alexander böse ansah, er hielt einen langen blitzenden Gegenstand in seiner Hand mit dem er schreiend auf Alexander losging. Und während Tom auf Alexander zu rannte, verwandelte sich sein Gesicht in das des Sheriffs. Mit einem irren Blick rammte dieser Alexander den glänzenden Gegenstand in die Brust. Mir blieb vor Schreck der Atem stehen. Ich wollte schreien, doch es ging nicht, jemand hielt mir den Mund zu. Meine Gegenwehr wurde nicht wahrgenommen.  Alexander brach wimmernd zusammen. Weinend streckte ich meine Hand nach ihm aus. Alexander sah mich an, öffnete seinen Mund und versuchte etwas zu sagen, doch ich konnte ihn nicht verstehen.
Der Sheriff holte mit der Hand, die zur Faust geballt war, mit aller Macht aus und schlug ihm ins Gesicht, was Alexander ganz zu Fall brachte. Das was ich dann zu sehen bekam, ließ mich an meinem Verstand zweifeln. Alexander konnte dem Schlag nichts entgegensetzen, er war durch den glänzenden Gegenstand zu sehr geschwächt worden. Doch plötzlich bäumte sich Alexander mit letzter Kraft auf. Fauchte den Sheriff vor Wut wie ein wütender Tiger an. Dabei stachen mir seine weißen mit Blut benetzten Zähne ins Auge. Nur waren es keine Zähne wie ich sie hatte, es reihten sich zwei Reißzähne dazwischen als wäre es das normalste der Welt. Alexanders Augen, sie hatten wiederdiesen unnatürlichen hellen Blau ton angenommen, den ich am Nachmittag schon bei ihm gesehen zu haben glaubte. Es war als ob jemand Farbe von seinem natürlichen Blau der Augen abgelassen hätte. Trotz alledem was ich da sah, verspürte ich Alexander gegenüber nicht dem geringsten Hauch von Angst sondern nur diese Vertrautheit und Liebe die schon seit Ewigkeit zwischen uns zu herrschen schien. Ich wachte weinend auf, was mir noch nie passiert war, so real war dieser Traum gewesen. Es dauerte eine Weile bis ich mich wieder beruhigt hatte.
Den Rest der Nacht wälzte ich mich unruhig von einer Seite auf die andere. Irgendwie schaffte ich es dann doch noch zwei Stunden Schlaf zu bekommen, bevor mich die tägliche Routine aus dem Bett holte.
Kurz vor acht Uhr zeigte mein Wecker an. Hundemüde schleppte ich mich ins Bad um mich Öffentlichkeitstauglich zu machen.
Innerlich hoffte ich, als ich die Treppe hinunter schlich um in die Küche zum Frühstücken zu gelangen, das Tom noch schläft und ich mich ihm nicht stellen musste. Auf irgendwelche Diskussionen wegen dem Telefonat gestern hatte ich um diese Uhrzeit noch keine große Lust. Das Glück war mir hold, auch den Rest des Samstags.
Als ich Tom am frühen Nachmittag über den Weg lief, sprach er das Telefonat mit keiner Silbe an und auch sonst gab es ausnahmsweise keine Hitzewallungen oder Schwindelanfälle. Helen verbrachte den Rest des Tages mit Robert und ich mit Tom, ein so genanntes Vierer Date, so als ob es nie anders gewesen ist, was ein Glücksgefühl in mir auslöste.
Ich gab mir große Mühe nicht an Alexander zu denken, was mir mehr als schwer fiel und Tom schien das auch zu spüren, oder bildete ich mir das nur ein? Tom verhielt sich im Gegensatz zu gestern Abend sehr zurückhaltend, was mir wiederrum nicht gefiel. Doch waren wir beide zu Feige das Thema Roven anzusprechen, der wie eine große schwarze Wolke über uns schwebte.

Das Häuschen unserer Großmutter war ein mittelgroßer renovierungsbedürftiger Traum von einem Haus. Hier konnte man sich vorstellen, einmal seine Kinder groß zu ziehen. Es hatte eine große Küche mit einer Essnische, ein großes Wohnzimmer, drei Schlafzimmer und zwei Badezimmer. Der Dachboden war noch ausbaufähig und der Keller dunkel und gruselig. So wie man sie aus den Horrorfilmen kannte. Hier war ich mir sicher, dass ich den Keller solange er so war wie er war, niemals alleine runter gehen würde.
Ein riesengroßer Garten grenzte an das Haus an auf dem auch noch ein kleines Nebengebäude stand, was als Waschküche und Vorratsraum gedacht war. In meinem Kopf malten sich Bilder aus, wie das kleine Häuschen eines Tages nach der Renovierung aussehen wird, meine Kinder im Garten spielen und mein Mann, der Roven zufälligerweise zum Verwechseln ähnlich sah, auf der Terrasse sitzt und unseren Kindern beim Spielen zusieht. Ich sah natürlich immer noch genauso gut aus wie jetzt, kein Gramm schwerer trotz Kinder.
Zu unserem Glück war nichts Schwerwiegendes zu machen. Kleine Ausbesserungsarbeiten und ein wenig Farbe hier und da, das würde alles schon viel Freundlicher wirken lassen. Unser Garten war ein anderes Thema. Ich hoffte inständig dass Helen einen grünen Daumen hatte, denn ich hatte ihn nicht. Für Helen und mich war sofort klar gewesen als wir das Haus sahen, dass wir hier in Campbell River bleiben würden. Natürlich erforderte das noch einiges an Organisation. Aber das würden wir schon hinkriegen. Meine Eltern und Helens Eltern konnten uns ja jederzeit besuchen, redete ich mir mein schlechtes Gewissen weg.
Bei der Besichtigung des Vorgartens fiel mir auf das im Nachbarhaus auch jemand gerade neu einzog. Es war ein schleimig grinsendes, männliches etwas der gerade ins Haus verschwand. Ich nahm mir vor, von diesem Mann niemals etwas auszuleihen. Dieser Mann strahlte etwas Unheimliches aus. Normalerweise war ich nicht so schnell mit Vorurteilen bei der Hand, doch bei diesem Mann konnte ich nicht anders reagieren.
Helen und ich, wir machten uns auf den Weg zu unserem zweiten Grundstück.
Das Grundstück auf dem vor langer Zeit das Haus meiner Eltern gestanden hatte, war nur zwei Straßen weiter von Großmutters Haus entfernt. Es grenzte direkt an den Wald an. Uralte Bäume umsäumten das Grundstück, was dem ganzen einen mystischen Touch gab.
Der Zaun der das Grundstück umgab, war teilweise nur mehr zu erahnen. Die Natur hatte sich alles im Laufe der Zeit Stück für Stück  zurück erobert. Nicht einmal die Umrisse des Hauses waren auf dem Boden mehr zu erkennen. Robert hatte erzählt das Großmutter es vermieden hatte hierher zu kommen. Sie war immer fest der Überzeugung gewesen, das der Brand kein Unfall gewesen war. Aber der Sheriff wollte auf diese Theorie nie eingehen. Bei diesem Gedanken lief es mir kalt den Rücken runter, was allein schon passierte wenn ich an den Sheriff dachte. Der Typ war in seinem Verhalten schon mehr als eigenartig, falls es zu dieser Zeit schon derselbe gewesen sein sollte.
Warum er wohl nichts mit dieser Theorie zu tun haben wollte? Vielleicht wollte er sich einfach nur nicht überarbeiten? Schließlich war er ein Arsch mit Ohren der rein Zufällig in einer Uniform steckte.
Tom und Robert boten sich sofort an uns beim Renovieren zu helfen, was wir natürlich auch gleich gerne in Anspruch nahmen. So konnten wir wenigstens viel Zeit mit den beiden verbringen. Was wir den beiden auch zeigten in dem wir ihnen sofort um den Hals fielen und mit Küssen überschütteten, was die beiden nur zu gern mit sich machen liesen.

Meine Hitzewallungen waren weniger intensiv geworden, sie kamen aber immer noch täglich. Was mir mehr Kopf zerbrechen machte, waren meine Visionen, die immer noch mit derselben Heftigkeit kamen. Es kostete mich jedes Mal sehr viel Kraft, und danach war ich oft zu nichts mehr zu gebrauchen. Das schwierigste war, dass ich es vor Tom und Helen verheimlichen musste, die mich sonst als Irre abstempeln würden, wenn ich ihnen von den Visionen erzählte. Ich konnte mir das ganze ja selbst nicht erklären. Wenn Tom mich doch auf meine Müdigkeit ansprach, schob ich das ganze immer auf die Renovierungsarbeiten, die nun schon seit ein paar Tagen auf Hochtouren liefen.
Wir besserten die Wände des Hauses aus und anschließend mussten die Wände noch gestrichen werden. Die Dachdecker waren auch schon bestellt und hatten ihre Ankunft für die nächsten Tagen zugesagt.
Tom, Robert und Helen waren in die Stadt gefahren um die gemeinsam abgesprochene Farbe und die Arbeitsmaterialien zu besorgen die noch fehlten. So war ich alleine zurück geblieben um weiter zu arbeiten und um auch die kurze Ruhe zu genießen in der mal niemand etwas zu erzählen hatte oder einen blöden Witz von sich gab.
Ich war gerade dabei das Treppengeländer für einen neuen Anstrich anzuschleifen, als mir eine Vision sprichwörtlich in die Knochen fuhr und mich buchstäblich von den Beinen riss.
Um mich herum wurde es dunkel, plötzlich befand ich mich in einem Haus oben in der ersten Etage, auf der letzten Stufe der Treppe und ich spähte angestrengt zur Haustüre, denn von dort hatte ich ein Geräusch vernommen. Das Haus sah Großmutters Haus zum Verwechseln ähnlich, aber es war ein anderes das offensichtlich bewohnt war.
Durch die Eingangstüre schlich sich ein riesiges großes Etwas und bewegte sich in der Dunkelheit auf mich zu. Mein Herz hämmerte wie wild gegen meine Rippen. Meine Augen brannten vor Anstrengung,  in der Dunkelheit etwas erkennen zu können. Der wuchtig wirkende Schatten bewegte sich geschmeidig die Treppen hoch ohne auch nur einen Laut dabei zu erzeugen. Dem ersten Schatten folgte noch ein zweiter Schatten der dem ersten in der Größe und Wuchtigkeit in nichts nachstand.
Zitternd vor Angst wich ich zurück und versuchte die aufsteigende Panik zu unterdrücken die von mir Besitz ergreifen wollte, bis ich eine Wand in meinem Rücken spürte. Um nicht lauthals loszuschreien presste ich mir in letzter Sekunde beide Hände auf den Mund.
Zu meinem Glück bemerkten mich die beiden nicht, es war als ob ich für sie nicht vorhanden wäre, oder sahen sie mich einfach nur nicht?
Beide glitten an mir vorbei und verschwanden in einem der Schlafzimmer. Es roch plötzlich sehr stark nach nassem Hund, obwohl ich keinen Hund entdecken konnte. Meine Neugier zwang mich dazu, den beiden zu folgen. Vorsichtig steckte ich meinen Kopf durch den Spalt der Türe. Ich erstarrte vor Schreck zu einer Statue.
Im Zimmer war es heller als im Gang, nun konnte ich die Schatten besser erkennen, da eine Straßenlampe ihr Licht durch das Fenster schickte. Das was ich sah, konnte einfach nicht möglich sein. Mein Verstand weigerte sich das gesehene aufzunehmen, zu verstehen, da es einfach unmöglich war was ich da sah.
Zwei Wesen die mich an aufrechtgehende riesengroße Wölfe erinnerten standen links und rechts neben einem Ehebett in dem ein Mann und eine Frau nichts ahnend schliefen. Ich wollte schreien und die beiden warnen, aber ich brachte nur ein krächzen hervor. Die Panik die ich vorher noch siegreich unterdrücken konnte, stieg nun unaufhaltsam in mir hoch. Meine Hände waren schweißnass. Mein Versuch in das Zimmer und auf das Bett zu springen um die beiden aufzuwecken scheiterte ebenso kläglich, denn ich kam nicht weiter als bis zu diesem verdammten Türrahmen, bei dem ich stand. Eine unsichtbare Wand verhinderte mein Eintreten in das Schlafzimmer. Ich hämmerte mit beiden Fäusten gegen diese Wand die nicht zu sehen war, aber auch dadurch konnte ich das Ehepaar nicht warnen.
Einer der Wölfe schnaubte kurz und sprang gleich darauf in die Mitte des Bettes. Dabei packte er erst den Mann und dann die Frau am Hals und drückte sie fest auf das Bett, so dass sie keine Chance hatten zu entkommen. Die Frau, die mir irgendwie bekannt vorkam und der Mann schreckten augenblicklich aus dem Schlaf auf und fingen zu krächzen an, schreien war ihnen durch den Druck auf ihren Hals unmöglich. Verzweifelt schlugen sie um sich, was den Wolf in keinster Weise beeindruckte oder aus dem Gleichgewicht brachte.
Der zweite Wolf gab so etwas wie ein Lachen von sich, er hatte offensichtlich großen Gefallen an dem grauenvollen Szenario.
Schreiend und weinend hämmerte ich wieder gegen die unsichtbare Wand. Bis ich kraftlos und verzweifelt auf meine Knie sank.
Das grauenhafte Monster neben dem Bett, holte umständlich ein Seil von seiner Schulter, das mir vorher nicht aufgefallen war. Als er das tat, verwandelte er sich in sekundenbruchteilen in einen Menschen zurück und begann das Paar am Bett festzubinden. Ich hatte das Gefühl verrückt werden zu müssen. Was geschah hier nur?  Solche Horrorszenarios  gab es doch nur in Horrorgeschichten oder Filmen, aber auf keinen Fall im wirklichen, im realen Leben.
Die Frau und der Mann mussten Ohnmächtig geworden sein, denn sie bewegten sich nicht mehr und gaben auch keinen Ton mehr von sich. Ich hoffte das sie nur Ohnmächtig waren und nicht tot. Im gleichen Moment als mir die Hoffnung durch den Kopf schoss, erkundigte sich das Mensch gewordene Monster, bei dem auf dem Bett sitzenden Wolf ob das Ehepaar noch lebte. Der Wolf nickte mit seinem plump wirkenden Kopf. Dummerweise bewegte sich das menschliche Monster immer so, dass sein Gesicht im Dunkeln war und ich nicht sehen konnte wer hinter dem Wolf und der Stimme steckte. Doch seine Stimme, kam mir bekannt vor, es war als ob ich sie vor nicht allzu langer Zeit schon einmal gehört hatte nur konnte ich sie beim besten Willen nicht einordnen.
Das Paar war felsenfest auf dem Bett verschnürt worden. Das menschliche Monster steckte noch etwas in eine Steckdose und war auch schon wieder in einen Wolf zurück verwandelt bevor er die Schlafzimmertüre erreicht hatte. Beide kamen schnell zur Türe, drehten sich noch einmal um, als ob sie auf etwas warten würden.
Hastig kroch ich auf allen vieren ein Stück zurück und versteckte mich in der Dunkelheit. Kurz darauf hörte ich ein zischen im Schlafzimmer. Ich konnte nicht erkennen was da passierte Ich bereute es, so weit nach hinten gekrochen zu sein.
 Aber es musste das Startzeichen für die Wölfe gewesen sein, denn beide verschwanden genauso leise wie sie gekommen waren. Schnell rutschte ich wieder zur Schlafzimmertüre. Mein Atem stockte. Außer dichten beißenden Qualm und kleine Feuerzungen die sich rasch ausbreiteten, konnte ich nichts mehr erkennen. Atemlos vor Angst schloss ich meine Augen. Krampfhaft klammerte ich mich an etwas hartem fest. Tränen rannten wie Sturzbäche an meinen Wangen hinab.
Die armen Menschen, auf eine so grausame Art, durfte niemand sterben. Wieso nur musste ich das mit ansehen? Meine Verzweiflung stieg ins unermessliche.
Erst jetzt bemerkte ich die Musik die mich wieder umgab. Langsam öffnete ich meine Augen und sah dass ich immer noch auf der Treppe saß, die ich gerade angeschliffen hatte und mich an einer Strebe des Treppengeländers so krampfhaft festhielt, dass dabei die Knochen meiner Hände weiß hervortraten. Nur mühsam und mit schmerzen konnte ich meine Hände lösen. Mir wurde bewusst dass ich wieder in der realen Welt war. Schiefer hatten sich von der Strebe in meine Hände gebohrt und kleine Blutbahnen liefen an meinen Händen entlang. Die Musik die ich hörte, kam aus dem Radio das wir für eine bessere Arbeitsatmosphäre den ganzen Tag laufen liesen.
Vorsichtig sah ich mich um, um sicher zu gehen dass ich wirklich wieder im Haus meiner Großmutter war. Meine Kleider klebten vor Schweiß nur so an mir als ob ich gerade aus der Dusche gekommen wäre.
Beim Versuch aufzustehen, gaben meine Beine sofort kraftlos nach und ich sackte wieder zusammen.
Ich hoffte dass Tom und die anderen jetzt nicht auftauchten. Wie sollte ich ihnen meinen Zustand dann nur erklären? Wieso musste das ausgerechnet mir passieren? Hatte ich vielleicht einen Gehirntumor von dem ich nichts wusste und der diese Visionen verursachte? Und wer war das Ehepaar, das auf so grausame Weise umgekommen war? War das alles denn überhaupt real? Beim zweiten Versuch aufzustehen klappte es schon besser. Meine Beine fühlten sich immer noch an wie weicher Gummi. Aber das Treppengeländer gab mir den nötigen Halt den ich brauchte, um nicht wieder umzufallen. Schritt für Schritt ging ich wie in Zeitlupe die Treppe runter. Ich musste hier weg bevor die anderen wieder zurückkamen. Tom würde mich sofort ins Krankenhaus bringen wollen, wenn er mich so sah. Dem musste ich aus dem Weg gehen. Was sollte ich dem Arzt erzählen wenn er mich fragt was passiert ist? Ach Herr Doktor, ich hatte eine Vision von einem Mord mit Werwölfen, aber sonst geht’s mir gut. Ich wäre im Nu in einer Irrenanstalt eingewiesen und würde nie wieder rauskommen. 
Aber wie sollte ich das nur anstellen von hier wegzukommen? Ich konnte mich ja nicht einmal von alleine ohne Stütze richtig vorwärtsbewegen.
 „Reiß dich zusammen Chrisi“, sagte ich zu mir selbst und biss die Zähne noch fester zusammen.
Ich ging schleppend und die Wand als Unterstützung benutzend zur Haustüre, öffnete sie und zwang mich dazu aufrecht das Haus zu verlassen, was mir schwerer fiel als mir lieb war. Immer wieder waren plötzlich diese fiesen schwarzen Punkte vor den Augen da, die eine nahende Ohnmacht ankündigten. Ich schaffte es gerade noch so die Ohnmacht zur Seite zu drängen und weiter zu gehen.
Nur noch einen Meter dann hatte ich den Gartenzaun erreicht, an dem ich mich festhalten kann. Geschafft.
Einen Moment lang blieb ich dort stehen um wieder Kräfte zu sammeln, sofern das noch möglich war.
Der Regen tropfte mir ins Gesicht, was ich nur noch nebenbei mitbekam. Im Vordergrund war die mir inzwischen Altbekannte Wärme die in mir hochstieg. Nein, das durfte nicht sein. Nicht auch noch die Hitzewallung. Vor meinen Augen begann es zu flimmern. Schwarze Punkte tanzten vor meinen Augen Rumba. Übelkeit breitete sich in meiner Magengegend aus. Meine Beine schienen sich von einem Gummi in eine schwere, mich nach unten ziehender Bleisuppe zu verwandeln.
Durch den offenen Mund atmete ich die kühle Luft des verregneten Tages ein und versuchte verzweifelt auf den Beinen zu bleiben, was mir mit jeder Sekunde schwerer viel.
Bitte lieber Gott lass jetzt nur nicht Tom auftauchen, betete ich.