Ich musste zu Chrisi
diesen verdammten Abstand halten, zu der Frau die ich seit
Jahrhunderten liebte. Es war zu gefährlich auch nur in ihrer Nähe
zu sein. Das könnte ihr wieder den Tod bringen, wie es schon einmal
vor langer Zeit geschehen war. Mein Halbbruder Christian hatte sie
vor vielen Jahren auf eine hinterlistige Art und Weise aus meinem
Leben gerissen, was mir das Herz brach und dass sollte auf keinen
Fall noch einmal geschehen nachdem ich sie nach so langer Zeit
wieder gefunden habe. Nicht in diesem Leben.
Und ich, ich war ein Verdammter, ein Vampir und ich wusste nicht in
wie weit ich mich beherrschen konnte wenn sie in meiner Nähe war.
Natürlich hatte ich in den letzten Jahren gelernt unter den
Menschen zu leben und mein Verlangen nach Blut zu kontrollieren und
auf diesen auf eine andere Art und Weise zu stillen. Trotzdem, ich
musste den sicheren Weg gehen, auch wenn das hieß, dass ich sie nie
mehr in meinen Armen halten und küssen durfte. Von daher war es
gut, dass sie in Deutschland lebte und ich auf Vancouver Island,
auch wenn mich tagtäglich die Sehnsucht nach ihr quälte und mich
auffraß.
Bärbel meine
allerliebste Kollegin, mit der ich jetzt bereits seit über fünf
Jahren ein Büro in einem Mittelständischen Betrieb für
Metallverarbeitung teilte in dem wir als Bürokauffrauen arbeiteten,
hatte es wieder einmal geschafft. Leise war sie von hinten an mich
angeschlichen und bescherte mir eine fiese Schrecksekunde, indem
sie mich wieder einmal aus meinen Tagträumen riss in denen ich oft
schwebte. Sie liebte dieses Spiel und ich war dann immer total an
genervt von ihr. Dieses Mal war ich ihm schon so nahe gewesen, dass
ich fast sein Gesicht erkennen konnte. Ich war frustriert und
machte mich auf den Weg nach Hause.
Wie gut das München ein sehr gut ausgebautes öffentliches
Verkehrsnetz besaß, somit konnte ich mich in der U-Bahn wieder
meinen Gedanken hingeben bis ich aussteigen musste.
Seit nun gut fünf Jahren wohnte ich in dieser Stadt und sie gefällt
mir super gut. Ich brauche kein Auto, komme aber trotzdem überall
hin. Einkaufen kann man hier an fast jeder Ecke. Vor allem dort wo
ich wohnte, hatte ich direkt die Riem Arkaden vor der Türe. Das war
so was von perfekt. Ich musste an meine Teenie Zeiten
denken.
Mit fünfzehn Jahren wurde mir von meinen Eltern eröffnet, dass ich
im Alter von nur einem Jahr von ihnen adoptiert worden war. Ab
diesem Tag träumte ich seltsamerweise immer wieder von diesem einen
Mann. Ich kannte ihn nicht, habe ihn nie im wahren Leben zu Gesicht
bekommen, aber er gehörte zu meinem Leben wie kein zweiter und ich
fühlte mich sehr zu ihm hingezogen. Kein anderer Mann war mir je so
nahe gekommen wie er, was verrückt ist, ich weiß. Und ihr könnt mir
glauben, dass ich den einen oder anderen Anlauf, was Männer
betrifft, bereits genommen habe in meinem Leben, aber für keinen
Empfand ich annähernd das was ich für diesen Unbekannten Traummann
empfand. Eine innere Stimme sagte mir dass ich diesen Typen eines
Tages kennenlernen werde, da war ich mir
sicher.
Damals fühlte ich mich nach dieser Hiobsbotschaft, dass ich
adoptiert worden war, wie in zwei Hälften zerrissen, absolut
unvollständig. Die eine Seite die ich kannte, mit der ich
aufgewachsen und die mir so sehr vertraut war und dann noch die
andere Hälfte meines Daseins, die mir völlig fremd war. Und dieser
Mann aus meinen Träumen, den ich leider bis heute immer nur aus der
Ferne bewundern durfte, half mir sehr über diese Zeit des Zerrissen
seins hinweg.
Ab diesem Zeitpunkt, als ich mir klar darüber war dass sich für
mich trotz der Tatsache Adoptivkind zu sein auch in Zukunft nichts
ändern würde, fing ich an mal mehr mal weniger intensiv meine
eigentliche Herkunft zu ergründen.
In meiner Kindheit suchte ich oft die Gemeinsamkeiten zwischen mir
und meinen Eltern und vermisste diese schmerzlich. Mein Vater besaß
kräftiges schwarzes Haar mit einem leichten Ansatz von
Geheimratsecken und meine Mutter feines rotes. Ich dagegen war
dunkelblond und mit grünen Augen, aber mein Teint war dunkler als
der meiner Eltern. Was mir eher ein exotisches aussehen verlieh.
Noch nicht einmal die Größe passte. Mit meinen einen Meter
fünfundsechzig war ich ein gutes Stück kleiner als meine
Eltern.
Ab diesen Tag X war mir natürlich klar warum ich nie auch nur
ansatzweise Ähnlichkeiten fand oder finden würde.
Dieser Tag, an dem sich mein Leben von Grund auf änderte, lag nun
bereits schon vierzehn Jahre zurück. Und bis zum heutigen Tag
war ich meinem Ursprung nicht ein bisschen näher gekommen. Das lag
mit Sicherheit auch an mir. Einerseits nagte die Neugierde an mir,
aber andererseits hatte ich Angst davor. Was erwartet mich, wenn
ich meine biologischen Eltern treffe? Wollten sie mich überhaupt
sehen?
Doch nun war es endlich an der Zeit, alles über mich und meine
wahre Herkunft zu erfahren.
Die U-Bahn war in Riem an der Haltestelle angekommen. Wie eine
Schlafwandlerin stieg ich aus und machte mich auf den Weg zu meiner
Wohnung, die sich in einem Mehrfamilienhaus befand, das auf
dem ehemaligen Flughafengelände von München gebaut worden
war.
Bei einer Sache war ich mir sicher, was ich definitiv nicht wollte,
war meine Eltern mit dieser Suche zu verletzen. Meine Adoptiveltern
waren mir wirklich liebevolle Eltern, die mich auf jeden meiner
Wege des Erwachsen Werdens begleiteten. Ohne nicht auch bei Bedarf,
mit der nötigen Strenge zu reagieren. Nein, ich fühlte mich stets
geliebt und gut behütet.
Mein Vater war Major bei der Army gewesen und er ist ein toller
Mann, der für sein Alter, dank seines durchtrainierten Bodys, noch
verdammt gut aussieht.
Er war sicherlich Streng, aber auch gerecht und verdammt
liebevoll.
Wie es bei der Army ebenso ist, wurde auch mein Vater, vor seinem
Ruhestand, immer wieder an andere Einsatzorte versetzt. Und
vor über achtzehn Jahren, als ich gerade elf Jahre alt war,
war mein Vater erst nach Bad Aibling in Bayern versetzt worden, und
im Laufe der Zeit landeten wir dann Schlussendlich in Heidelberg
bei Frankfurt.
Meine Mutter war immer die brave, herzensgute und verständnisvolle
Soldatenfrau und Mutter, die sich ein Mann in diesem Beruf nur
wünschen konnte. Sie waren als Eltern einfach nur perfekt. Doch mir
drängte sich immer wieder die Frage auf ob sich nicht irgendwo auf
dieser Welt noch Geschwister von mir befanden, die vielleicht auch
nach mir suchten?
Nach dreimonatigen Ringen engagierte ich einen Detektiv, der mir
dabei helfen sollte mehr über mich rauszufinden. Meine Eltern
konnten mir hierbei leider nicht viel sagen, was weiterhelfen
konnte.
Sie wussten nur dass ich auf Vancouver Island zur Welt kam. Und
alles damals ungewöhnlich schnell mit der Adoption über die Bühne
gegangen sein musste. Aber damals wollten sie sich darüber keine
Gedanken machen, sie waren einfach nur glücklich darüber gewesen
mich bekommen zu haben.
Jetzt hoffte ich, dass mir dieser Detektiv weiterhelfen konnte. Er
war eine Empfehlung von Daniela, einer sehr guten Freundin gewesen,
die über diesen Mann ihren lange verschollenen Vater fand. Sie
meinte das er ein wenig seltsam sei, aber wusste was er tut und
sein Geld wert ist. Na, ihr Wort in Gottes Ohr. Da wir uns bereits
seit der ersten Klasse kannten, vertraute ich ihr in solchen
Dingen, denn sie wusste so gut wie kein anderer wie mich dieses
Thema im Laufe meines Lebens immer wieder
beschäftigte.
Der Detektiv war ein Mann von 55 Jahren, mit einem Rauschebart, der
alleine schon deshalb etwas sonderbar aussah. Obendrein besaß er
die seltsame Angewohnheit jedes wichtige Detail immer zweimal zu
sagen. Sein Name war Ralf Steiner. Und dieser Ralf Steiner rief
mich vor zwei Tagen an und erzählte mir mit seiner sehr quietschig
und schleimig klingenden Stimme dass er die Adoptionsagentur in
Vancouver ausfindig machen konnte, die damals meine Adoption
abwickelte. Doch die größte Überraschung war die Nachricht, dass in
Vancouver selbst angeblich noch eine Schwester von mir lebte, die
ebenfalls nach mir und unserer Familie auf der Suche
war.
Mir blieb bei dieser super, Wahnsinns Nachricht fast das Herz
stehen, ich konnte es nicht glauben. Ich schlug mir mit der flachen
Hand auf die Stirn, darauf hüpfte ich wie eine gestörte durch mein
Wohnzimmer und wusste nicht ob ich weinen oder lachen sollte.
Sobald ich wieder einigermaßen bei Sinnen gewesen war, informierte
ich sofort tränenüberströmt Daniela über die absolut geile
Nachricht und ich versprach ihr, sie bei der nächsten Möglichkeit
abzuknutschen und sie als Dank für ihre Hilfe ganz fein zum Essen
einzuladen. Danach gönnte ich mir zu meiner Beruhigung eine heiße
Tasse Kakao mit einem großen Schuss Amaretto.
Eine handfeste Information . Ich hatte endlich nach so vielen
Jahren eine handfeste Information die mich meinen biologischen
Eltern näherbrachte und mindestens einer Schwester.
Jetzt war ich Feuer und Flamme. Nun konnte ich es nicht mehr
erwarten noch mehr zu erfahren. Gab es noch mehr Geschwister? Was
würde ich noch alles erfahren? Wie wohl meine Eltern aussahen? Ob
ich meiner Schwester ähnlich war? Ob sie genauso tollpatschig wie
ich war?
Mein Magen zog sich nur bei den Gedanken an die Zukunft
zusammen.
Unruhig lief ich in meinem Wohnzimmer, zwischen meiner
beigefarbenen Couch und meinem nusshölzernen Wohnzimmerschrank hin
und her. Wie sollte ich nun weiterverfahren?
„Autsch, Mist aber auch.“ Zum fünftausendsten Mal schlug ich mir
mein Knie an meinem ebenfalls nusshölzernen Wohnzimmertisch an. Das
gab einen blauen Fleck. Mit der flachen Hand rieb ich an der
schmerzenden Stelle.
Ich war als Einzelkind aufgewachsen. Auch wenn Einzelkind sein,
seine Vorteile hat, man bekommt mehr Geschenke, man muss mit
niemanden etwas teilen oder die Klamotten tragen die deine
Geschwister vorher bereits trugen. Alleine aufzuwachsen ohne
jemanden zu haben mit dem man die Eltern ärgern oder geheime
Dinge austauschen konnte, fehlte damals in meinem Leben. Ich muss
zugeben, ich habe oft meine Freundinnen beneidet, die Geschwister
zu Hause hatten. Aber andererseits haben die mich oft um mein
Einzelkind da sein beneidet. Vielleicht war es ganz einfach egal
welche Situation man vorfand, man wollte wahrscheinlich immer das
Gegenteil davon haben. Geschwister wären lieber Einzelkinder,
Einzelkinder hätten gerne Geschwister, Frauen mit lockigen Haaren
wollen lieber glatte und Frauen mit glatten Haaren wollen lieber
Locken. So oder so, war man nie zufrieden.
Ich beschloss kurzerhand einen unbezahlten Urlaub zu nehmen und
nach Vancouver zu fliegen.
Am nächsten Tag überfiel ich meinen Chef mit meiner kurzfristigen
Planung. Natürlich war er ganz und gar nicht davon begeistert und
bohrte nach.
„Also Chrisi, du bist dir ganz sicher das dieser Detektiv auch
koscher ist? Ich will nur nicht, dass du am Ende vor einer
Enttäuschung stehst und dafür noch einen Haufen Geld ausgegeben
hast. Keine Frage, ich kann dich absolut verstehen, ich würde es
auch wissen wollen, aber es fällt mir wirklich schwer dich für eine
unbekannten Zeitraum freizustellen.“
Mein Chef, der nicht gerade unattraktiv war, mit seinen einen Meter
und achtzig, sportlicher Figur und lockigen braunen Haaren, setzte
mit seinen braunen Kulleraugen einen Hundeblick auf, den er über
die Jahre perfektioniert hatte. Am Anfang meiner Tätigkeit bei
dieser Firma, war ich ein wenig verliebt in ihn, was aber ohne
Zukunft war, da er glücklich verheiratet und Vater zweier
bezaubernder Töchter von drei und fünf Jahren war.
Mein schlechtes Gewissen meldete sich kurz, aber ich wollte mich
nicht von diesem Hundeblick einwickeln lassen und zeigte ihm meine
Entschlossenheit mit fester Stimme.
„Ja ich weiß Karl und es tut mir auch furchtbar leid dass das alles
sehr kurzfristig passiert, aber ich muss es tun, auch auf die
Gefahr hin das sich dieser Detektiv geirrt hat.“
Mit einem lauten Seufzer, stellte Karl mich frei.
Juhu.
Ein Flug nach Vancouver, den ich noch am selben Tag buchte,
schmälerte mein Sparbuch schmerzhaft. Die nötigsten Dinge, die man
für eine Reise benötigte, waren für eine Frau, die eigentlich nie
weiß was sie einpacken soll, in Rekordzeit gepackt. Denn die Reise
begann bereits am nächsten Tag.
Aufgeregt verabschiedete ich von meinen Eltern. Immer ermunterten
sie mich diesen Schritt zu gehen und nun, da es soweit war,
sprachen ihre Gesichter eine andere Sprache, auch wenn sie ihre
Gefühle mir gegenüber zu unterdrücken versuchten und würden es auch
nie zugeben. Sicher fühlten sie die gleiche Angst, wie ich bis
dato. Wir könnten uns verlieren. Danach wäre nichts mehr wie zuvor
und dieses Wissen konnte einen schon beängstigen. Ich war überzeugt
davon, dass dies nicht geschehen würde, trotzdem verließ mich mein
schlechtes Gewissen nicht.
Mit beruhigenden Worten versuchte ich ihre Sorgen zu mildern. Lange
würde ich sowieso nicht weg sein und die wichtigsten Menschen in
meinem Leben waren hier in Deutschland und nicht in Kanada. Daran
würde sich niemals etwas ändern.
Zumindest ging ich zu diesem Zeitpunkt davon aus.
Die Reise dauerte gefühlte fünfzig Stunden, obwohl es nur ein zwölf
Stunden Flug war. Mein Gefühlsmäßiges Innenleben war in Aufruhr.
Ich war nervös und konnte keinen klaren Gedanken fassen. Was würde
ich vorfinden? Mir war schon ganz übel vor Aufregung und ich vergaß
sogar für diese Stunden meinen Tagtraum Prinzen.
Von der Ankunft in Vancouver selbst, bis hin zur Abholung meines
Gepäcks und Finden eines Taxis, bekam ich so gut wie nichts mit.
Erst als ich in dem Taxi ein wenig zur Ruhe kam, konnte ich den
Ausblick genießen und Vancouver erst richtig wahrnehmen. Es war
eine tolle Stadt. Multikulti dynamische bot sie einem alles. Einige
Informationen holte ich mir über das Internet. Einige Infos besaß
ich ja schon vorab, aber ich fühlte mich wirklich von dieser Stadt
eingenommen, wie zu Hause angekommen.
Selbst Norfolk, die Stadt in der ich mit meinen Adoptiveltern einen
Teil meiner Kindheit verbrachte, kam mir bereits wie in einem
anderen Leben vor und diese Zeit war bei weitem noch nicht sehr
lange her und ich hatte mich dort nie zu Hause gefühlt was die
Stadt betraf.
So viele Eindrücke die mir bekannt vorkamen. Ich konnte es mir
selbst nicht erklären, aber es war einfach so.
Das Taxi fuhr mich direkt vom Flughafen in die Granville Street
156, in der sich die Adoptionsagentur befand.
Mit der gespiegelten Glasfront und den gradlinigen Strukturen, gab
sich das Gebäude absolut professionell und rein geschäftsmäßig. Vor
dem Eingang drehte ich mich einmal um mich selbst und bekam große
Augen, von hier aus konnte man sogar das beeindruckende Gebäude des
Orpheum Theaters sehen.
Wie ein Schwamm sog ich alles Gesehene in mir auf. Meine Nerven
waren bis auf das äußerste gespannt, meine Hände feucht vor
Nervosität und mein ganzer Körper zitterte leicht. Ich hoffte nicht
vor dem Gebäude zusammen zu brechen und an einem Herzinfarkt zu
sterben. Das wäre ein absolut unpassender Augenblick, jetzt wo ich
so kurz vor meinem Ziel stand.
Die elementarste Frage die sich mir heute stellte war, würde ich
heute alles erfahren worauf ich schon so lange wartete? Oder
stellte sich das Ganze als dummen Irrtum heraus? Gott, stand ich
hiernach wieder am Ende einer Sackgasse? Meiner Sackgasse? Und
würde ich danach die Kraft finden von neuem zu beginnen?
So wie im Erdgeschoss angeschrieben fuhr ich mit einem gläsernen
Aufzug in die siebte Etage. Hier durfte man eindeutig keine
Höhenangst haben.
Alles sah so elegant aus. Ich kam mir wie ein kleines Schulmädchen
vor, das mit einem zwiespältigen Gefühl, als ob man zum
Schuldirektor musste und Weihnachtsgeschenke aufmachen
gleichzeitig, den Gang entlangwanderte.
Möglichst leise verlies ich den Aufzug und ich lief auf einen
dunklen Teppich entlang, der gnädig jeden meiner Schritte
schluckte. Mein Herz raste wie wild. Ich hatte das Gefühl als würde
es gleich aus meinem Hals hüpfen.
Eine Million Fragen surrten durch meinen Kopf, nicht eine Sinnvolle
und mir wurde doch tatsächlich leicht schwindelig.
Unsicher machte ich mich auf die Suche nach der Eingangstüre zur
Adoptionsagentur. Ich mochte es nicht gerne in ein Gebäude zu
gehen in dem ich mich nicht auskannte, was meine noch immer
vorhandene Nervosität nicht einfacher machte.
Die Wände, die in einem hellen Beigen Ton gehalten waren und an
denen in regelmäßigen Abständen Bilder von Vancouver selbst
platziert worden waren, zogen vorbei an mir wie in einem
unwirklichen Traum. Doch ich hatte nicht die innere Ruhe sie mir
anzusehen. Ich wollte jetzt nur noch so schnell wie möglich
erfahren, wo sich meine Familie befand und alles hinter mich
bringen.
Ein Schild Adoptionsagentur wies mir die Richtung. Wenigstens war
ich schon einmal im richtigen Stockwerk. Mit einer schnellen
Bewegung wischte ich mir an meiner Hose die klebrigen, feuchten
Handflächen ab, mit wenig Erfolg.
Ich schluckte schwer als ich vor dem Eingang zur Agentur stand.
Mein Herz pochte wie wild, normalerweise hätten die Angestellten
alleine vom wilden schlagen meines Herzens auf mich aufmerksam
werden müssen.
Zaghaft klopfte ich. Niemand meldete sich mit einem
herein.
„So ein Mist, reiß dich zusammen McKenzie, sei nicht so ein
verdammter Schiesser!“
Fast verwegen klopfte ich erneut. Und schrak zusammen, denn es war
etwas zu laut ausgefallen. Die denken bestimmt, dass eine Irre vor
ihrer Tür steht, schoss es mir voller Panik durch den Kopf. Die
setzen mich bestimmt gleich wieder vor die Türe. Von einem Bein auf
das andere zappelnd versuchte ich mir eine glaubhafte Ausrede
einfallen zu lassen. Ich könnte aber auch schnell weglaufen und
später wieder zu kommen und dann musste ich nur so tun als ob ich
von nichts wüsste. Oh Gott, oh Gott, oh Gott, was mach ich bloß?
Ich erzähl denen einfach, dass mein Flieger verspätet gelandet ist,
das wäre doch eine gute Ausrede. Irgendetwas würde mir da schon
einfallen. Da drang auch schon das zuvor vermisste „herein“ an mein
Ohr. Zu meiner Verwunderung hörte es sich absolut freundlich
an.
Eilig wischte ich meine erneut verschwitzten Hände ab. Meine rechte
Handwanderte zitternd wie bei einer alten Frau in Richtung
Türklinke. Bevor ich sie jedoch berührte wischte ich sie mir noch
schnell mal mit einer fahrigen Bewegung an meiner Hose trocken. So
ein Mist, konnten die nicht mal trocken bleiben? Dann nahm ich
total verkrampft die Klinke in die Hand und plötzlich schoss mir
wie ein kurzer Stromstoß, ein Gefühl der Angst und gleichzeitig
auch der Vertrautheit durch meinen Körper. Ein Bild meines
Tagtraummannes schob sich kurz vor mein inneres Auge. Es sah aus
als ob er mir zuwinken würde. Verstört wich ich einen Schritt
zurück und zog meine Hand von der Klinke weg. Langsam schwang die
Türe auf. Verwirrt blieb ich wie angewurzelt stehen und starrte die
Türklinke an. Was zum Teufel war das denn gerade gewesen? Hatte ich
mich auf den Weg hierher an dem Teppich so sehr aufgeladen, dass so
etwas passieren konnte? Aber diese Gefühle? Das war schon mehr als
seltsam gewesen.
Ich wurde durch ein „Ja bitte“, aus meinen Gedanken gerissen. Immer
noch verwirrt und mit einem verlegenen Lächeln betrat ich den
Empfangsbereich der Agentur, dabei stolperte ich auch noch über
meine eigenen Füße und rammte die Eingangstüre mit meiner Schulter
ganz auf, so das sie mit Schwung nach innen, ganz auf und gegen die
Mauer knallte. Ich konnte mich gerade noch so auf den Füßen halten.
Man wie peinlich war das denn?
Nun stand ich mit hochrotem Kopf und verwirrt vor einer jungen
hübschen Brünetten. Sie sah mir mit ihren leuchtend blauen Augen
freundlich entgegen. Verlegen stammelte ich ein „sorry“ vor mich
hin und suchte das Loch in das ich versinken konnte. Doch die junge
Frau lächelte mich weiter an.
In Gedanken betete ich dafür dass ich nicht gleich in Ohnmacht
falle. In meinen Kopf versuchte ich meine Gedanken wieder zu
ordnen.
Beweg dich vorwärts, freundlich Lächeln und vergiss das Atmen
nicht, damit du nicht doch noch umkippst, flüsterte meine innere
Stimme und im nächsten Moment stand die Empfangsdame schon vor
mir.
„Hallo ich bin Emily Ryan und sie sind wahrscheinlich Chrisi
McKenzie?“
Sofort merkte ich wie die Anspannung von mir abfiel und ich mich
wieder ohne Probleme auf die wesentliche Sache konzentrieren
konnte.
„Ja“, antwortete ich ihr mit einer etwas kratzigen
Stimme.
„Schön sie persönlich kennenzulernen. Ich hoffe sie hatten einen
guten Flug?“
Nach einem kurzen räuspern antwortete ich ihr. „Es war o.k.“ Meine
Stimme klang langsam wieder wie meine eigene.
„Kommen sie doch rein Ms McKenzie. Darf ich ihnen etwas zu trinken
anbieten? Kaffee, Tee, Wasser oder Saft?“
„Saft wäre schön.“
Oh Gott, was redete ich nur? Saft wäre schön, so was
Blödes.
„Bringe ich ihnen sofort, wenn sie bitte in der Zwischenzeit bis
Mrs. Stevens so weit ist, hier Platz nehmen würden? Sie führt
gerade noch ein Telefonat.“
Sie deutete auf eine rote, gemütlich aber teuer aussehende
Sitzgarnitur. Schnell nickte ich ihr zu und setzte mich artig
darauf. Wieder war das Schulmädchen da.
Tief atmete ich durch und ich lehnte mich zurück. Die Sitzgarnitur
sah nicht nur gemütlich aus, sie war es auch.
In den nächsten Minuten lenkte ich mich damit ab, wie komfortabel
doch diese Couch war und was diese denn im Laden kostete. Ich
wollte nicht über das seltsame nachdenken was gerade beim Eintreten
passiert war. Vielleicht stand ich auch nur zu sehr unter Spannung,
was ja in dieser Situation kein Wunder wäre.
Mit einem Lächeln wie aus der Zahnpasta Werbung kam Emily zurück
und brachte mir in einem aussehenden Kristallglas meinen Apfelsaft.
Ich bedankte mich dafür und nahm sofort einen großen Schluck
davon um die Trockenheit die sich vor lauter Aufregung gebildet hat
zu verbannen und dabei gab ich peinlichst darauf Acht mich nicht
auch noch zu verschlucken. Mit Sicherheit würden die es mir übel
nehmen, wenn ich den guten Apfelsaft auf die bequeme Couch spuckte.
Und ich hatte für so etwas definitiv das Talent
dazu.
„Mrs. Stevens ist gleich soweit, es dauert nur noch einen kleinen
Moment.“
Mit einem Lächeln, das wahrscheinlich wie eine Monsterfratze
rüberkam, nickte ich Emily zu.
„Bitte Gott lass es nicht mehr lange dauern, sonst platze ich
noch“, betete ich leise vor mich hin. Zu meinem Glück meinte es
Gott ausnahmsweise gut mit mir und erhörte mein flehen.
Die schwere Holztür zum angrenzenden Büro ging auf und eine rassige
rothaarige Frau, die ohne Probleme als Model durchgehen konnte,
betrat den Raum. Ihr Blick heftete sich sofort an mir fest und sie
steuerte, mit einem ebenso freundlichen Lächeln wie Emily anfangs,
auf mich zu. Schnell sprang ich auf. Dabei achtete ich aber
peinlichst darauf von dem Apfelsaft nichts zu verschütten, den ich
immer noch in der Hand hielt, da ich keine Flecken auf den
Glastisch hinterlassen wollte.
Neben dieser Frau kam ich mir mit meinen normal
dunkelblonden, schulterlangen Haaren und meinem nichtgerade
durchtrainierten Körper, wie das hässliche Entlein höchstpersönlich
vor. Ein wenig Neid stieg in mir auf. Sie überragte mich um
eineinhalb Köpfe und hatte Traummaße was ihren Körperbau betraf.
.
„Hallo Ms Mc Kenzie, ich bin Jessica Stevens, schön sie
kennenzulernen.“ Überschwänglich schüttelte sie mir meine
Hand.
„Ich hoffe ich habe sie nicht all zulange warten lassen?“
Schüchtern wie ein Kleinkind schüttelte ich den Kopf und brachte
kein Wort hervor. Gott, was war nur mit mir los?
„Schön, dann folgen sie mir bitte in mein Büro.“ Während wir uns
auf den Weg ins Büro machten, sprach sie ohne Unterbrechung weiter.
Wie denn mein Flug gewesen wäre, dass das Wetter heute hervorragend
wäre usw., usw. Irgendwie konnte ich ihrem Gespräch aber nur schwer
folgen, denn mich interessierte nur eines und auf das würde sie
erst kommen, wenn wir in ihrem Büro waren. Doch dann wechselte Mrs.
Stevens urplötzlich das Thema und ich wurde hellhörig.
„Also Ms. McKenzie, durch ihre Angaben die sie und ihr Detektiv mir
ja schon telefonisch durchgaben, sind wir mit unseren
Nachforschungen schon ein gutes Stück weiter gekommen. Und ich habe
auch noch eine Überraschung für sie, ihre Schwester wird auch bald
hier eintreffen, das ist schon mal vorab die gute Nachricht für
sie.“
Als ich das hörte, stieg mein Puls wieder schlagartig auf 380 an.
Ich hatte tatsächlich eine Schwester die ich gleich kennenlernen
sollte. Ich konnte es immer noch nicht glauben.
Sie war, bald standen wir uns persönlich gegenüber. Ob sie älter
oder jünger war als ich?
Allerdings war mir auch nicht der mit einem gewisse Unterton in
ihrem, „das ist schon mal die gute Nachricht“ entgangen. Was
mich doch ein wenig beunruhigte.
Schnell lief ich die drei Schritte zu Mrs. Stevens rüber und fragte
nach. „Was heißt das genau bitte? Gibt es auch eine schlechte
Nachricht für mich?“ fragte ich vorsichtig nach. Ich hoffte
inständig dass sie diese Frage verneinen würde. Aber diesen
Gefallen tat sie mir leider nicht.
„Ja leider Ms. Mc Kenzie. Aber darauf würde ich gerne näher
eingehen wenn ihre Schwester Helen auch anwesend ist, was jeden
Moment der Fall sein dürfte.“
In meinem Bauch machten sich, bei dem Gedanken daran, gleich meine
Schwester zu treffen, Glücksgefühle breit.
Ihr Name war also Helen. Ich hatte eine Schwester mit dem Namen
Helen, dass alleine war doch schon total genial. Wie sie wohl
aussah?
Unruhig rutschte ich auf dem sehr bequemen roten Sessel, auf dem
ich in der Zwischenzeit Platz genommen hatte und in Mrs. Stevens
Büro stand hin und her. Der Chef dieses Agentur stand wohl
offensichtlich auf Rot.
Mrs. Stevens setzte sich hinter ihren großen modernen Schreibtisch
und wollte gerade etwas sagen, als die sympathische Stimme von
Emily aus einer Sprechanlage erklang.
„Mrs. Stevens, Ms. Seale ist jetzt eingetroffen.“
„Ah ja, begleiten sie doch Ms. Seale bitte gleich in mein Büro
Emily. Danke.“
Mrs. Stevens stand von Bürosessel auf und ging zur Türe die auch
schon, nach einem kurzen klopfen, von außen geöffnet wurde.
Dummerweise stand Mrs. Stevens so, dass ich nicht an ihr vorbei
sehen konnte. Selbst als ich mich nach links beugte konnte ich nur
den Zipfel einer schwarzen Jacke sehen. So ein verdammter
Mist.
„Hallo Ms Seale, schön sie wieder zu sehen.“ Hörte ich sie reden.
Angestrengt lauschte ich. Ein nervöses Räuspern drang an mein Ohr.
„Hallo Mrs. Stevens, ja ich freue mich auch. Ist meine Schwester
Chrisi schon da?“
Sie wusste meinen Namen. Mein Herz machte einen Freudensprung. Nun
hielt mich nichts mehr auf meinem Sessel und ich sprang förmlich
auf, meinen Blick wie gebannt auf den Rücken von Mrs. Stevens
gerichtet. Sie hatte auf die Frage nur genickt, lächelnd
wahrscheinlich und machte endlich einen Schritt zur Seite mit einer
Handbewegung in meine Richtung.
Da stand sie, meine Schwester Helen.
Ein dicker Kloß wuchs in meinem Hals, ich schluckte schwer. Doch
ich konnte die Tränen die sich nun mit aller Macht einen Weg nach
draußen bahnten nicht mehr zurückhalten. Helen und ich rannten
beide heulend und mit offenen Armen aufeinander zu und
begrüßten einander herzlich umschlungen.
Schluchzend hörte ich sie sagen, „Oh mein Gott, ich kann es nicht
glauben, ich habe dich wirklich gefunden! Ich hatte die Hoffnung
schon beinahe aufgegeben.“
Wir drückten uns noch fester aneinander. Ich wollte sie nie mehr
los lassen.
Ich brachte nur ein herzzerreißendes „Mhm“ hervor, zu mehr war ich
in diesem Moment nicht im stande. Mein Körper bebte vor Glück und
Erleichterung, dass meine Schwester ebenso froh über dieses
Zusammentreffen war wie ich. Wir lösten uns voneinander, hielten
uns aber weiterhin an den Händen fest. Durch einen Schleier von
Tränen sahen wir uns in die Augen. Mir wurde es vor Freude
innerlich heiß und kalt zugleich. Ich konnte dieses Wunder immer
noch nicht fassen.
Helen konnte sich also noch an mich erinnern, somit musste sie
älter sein als ich. Alleine diese Erkenntnis lies meine Freude ins
unermessliche steigen.
Helen hatte im Gegensatz zu mir schwarze Haare aber auch braune
Augen. Dennoch sahen wir uns unheimlich ähnlich.
Nach einer gefühlt viel zu kurzen Zeit, sprach uns Ms Stevens an,
doch erst beim zweiten Anlauf reagierten Helen und ich darauf. Mir
fiel auf dass auch in Ms. Stevens Augen tränen schimmerten, was in
mir wieder eine erneute Heulwelle lostrat.
„Meine Damen es tut mir leid, ich möchte ihren trauten Moment nur
ungern stören, doch ich habe gute Gründe die auch in ihrem
Interesse liegen. Sie werden später noch erfahren welche. Ich habe
noch ein paar Informationen für sie, die für sie beide sehr wichtig
sind. Setzen wir uns doch bitte, dann redet sich es besser
miteinander.“
Nur schwer konnten Helen und ich voneinander und von diesem
Augenblick loslassen. Hand in Hand folgten wir der freundlichen
Aufforderung.
Wir setzten uns, doch meine Schwester und ich hielten uns weiterhin
an den Händen fest.
Mrs. Stevens räusperte sich und wurde als sie mit den Neuigkeiten
zu berichten anfing wieder ganz geschäftsmäßig.
Ich lächelte Helen überglücklich an und drückte sanft ihre Hand,
was sie sofort erwiderte.
„Ich freue mich wirklich für sie beide, dass sie sich nach so
langer Zeit wieder gefunden haben und wir ihnen dabei behilflich
sein durften und auch konnten.“
Mrs. Stevens machte eine kurze Pause und blätterte in ihren
Unterlagen.
„Leider muss ich ihnen beiden auch eine weniger schöne Nachricht
mitteilen.“
Ein ungutes Gefühl beschlich mich, ein kalter Schauer rieselte mir
den Rücken hinab. Mein Gefühl sagte mir dass das was jetzt auf uns
zukam ganz und gar nicht gut war und am liebsten hätte ich mir die
Ohren zugehalten, denn ich war gerade eigentlich sehr glücklich und
wollte mir das durch nichts kaputt machen lassen. Aber es war
wichtig diese Sache zu erfahren, um einen inneren Frieden zu
finden.
„Wie wir es besprochen hatten, haben wir natürlich auch nach ihren
Eltern gesucht, und dabei herausgefunden dass ihre Eltern Jack und
Catherine Rickwood, geborene Kilvert waren. Wie es
ihnen wahrscheinlich schon aufgefallen ist, habe ich in der
Vergangenheit von ihren Eltern gesprochen. Es tut mir so leid ihnen
keine bessere Nachricht in dieser Angelegenheit überbringen zu
können, aber ihre Eltern sind damals leider bei einem
tragischen Unfall ums Leben gekommen, was auch letztendlich der
Grund für ihre Adoptionsfreigabe war. Es tut mir wirklich sehr
leid. Gerne hätte ich ihnen eine bessere Nachricht, was ihre Eltern
betrifft, überbracht.“
Mrs. Stevens ließ uns die Zeit, die wir benötigten um das gerade
gehörte zu verdauen.
Für einen Moment lang wusste ich nicht was ich fühlen soll. Ich
hielt Helens Hand fest, dabei sahen wir uns für einen Moment
an.
Was wohl in Helens Kopf gerade vorging? Ich für meinen Teil wusste
nicht, wie ich mit dieser Nachricht umgehen sollte. Einerseits
sprachen wir gerade von meinen leiblichen Eltern und sie waren tot.
Andererseits habe ich sie nie bewusst gekannt und es war so lange
her. Doch die Endgültigkeit darin, sie auch nie mehr kennenlernen
zu dürfen, machte mir mehr zu schaffen als ich mir selbst
eingestehen wollte.
Nach einer kurzen Pause sprach Mrs. Stevens weiter.
„Ihre Eltern sind in Campbell River geboren und aufgewachsen,
genauso wie sie Ms Mc Kenzie und Ms Seale in Campbell River geboren
wurden.“
Campbell River. Das war mein Geburtsort. Hörte sich doch gut an.
Chrisi Mc Kenzie, geboren in Campbell River, Kanada.
Ich wandte mich an Ms Stevens.
„Wo liegt dieses Campbell River denn eigentlich genau? Und wissen
sie vielleicht etwas über die Umstände des Unfalls bei dem unsere
Eltern ums Leben gekommen sind?“
„Campbell River liegt auf Vancouver Island. Es ist eine große und
sehr schöne Insel vor Vancouver und auch geschichtlich gesehen
schon das eine oder andere hinter sich hat. Was aber den Tod ihrer
Eltern betrifft…. laut Polizeibericht konnte ich nur erfahren das
die beiden in ihrem Haus bei einem Brand im Schlaf ums Leben
gekommen sind. Sie beide, Ms Mc Kenzie und Ms Seale haben nur
überlebt, da sie in dieser Nacht bei ihrer Großmutter geschlafen
haben und somit nicht zu Hause gewesen sind. Genauere Details weiß
ich leider nicht. Aber es gibt einen Anwalt in Campbell River der
ihnen vielleicht mehr dazu sagen kann, er hatte, soviel ich weiß,
mit ihrer Großmutter Kontakt.“
Mrs. Stevens kramte in den Unterlagen und zog eine Visitenkarte
hervor und drückte sie Helen in die freie Hand.
„Rechtsanwalt Robert Mitchell“, las sie laut vor.
„Bei diesem Anwalt sollten sie sich melden, der kann ihnen bestimmt
mehr über den tragischen Hergang erzählen und wie alles zu der
Adoption kam. Er war der Anwalt ihrer Großmutter
gewesen.“
Helen und ich hielten uns noch immer fest an der Hand, so als
hätten wir Angst davor, uns im nächsten Moment wieder zu
verlieren.
„Und hier muss ich ihnen leider noch etwas Trauriges mitteilen.“,
fuhr Mrs. Stevens fort. „Ihre Großmutter mütterlicherseits, ist vor
knapp zwei Wochen an einem Herzinfarkt gestorben. Es tut mir
wirklich sehr leid.“
Ich atmete tief durch. Wieso hatte ich die Suche nicht ein paar
Monate früher in Auftrag gegeben? Dann hätte ich meine Großmutter
noch kennenlernen dürfen.
„Was die Hinterlassenschaft ihrer Großmutter betrifft, sie hat
ihnen einiges in Campbell River hinterlassen. In dieser Sache
sollten sie sich ebenfalls bei Mr. Mitchell so bald wie möglich
melden, denn er ist ebenfalls auf der Suche nach ihnen, da sie
beide die einzigen Nachkommen sind. Am besten suchen sie Mr.
Mitchell bereits morgen auf, damit sie alles klären können. Jetzt
wo sie beide sich nach so langer Zeit gefunden haben und ihnen
dieses Erbe rechtlich zusteht.“
Geknickt senkte ich meinen Kopf. Es war zu spät und
vielleicht sollten wir sie einfach nicht kennenlernen? Schließlich
wurde von ihrer Seite aus nie ein Suchauftrag gestartet.
Nachdenklich sah ich Mrs Stevens an. „Wenn wir eine Großmutter
hatten, warum hat sie uns dann nicht genommen als unsere Eltern
gestorben waren?“
Auch Helen fragte, „Ja warum eigentlich nicht? Das ist eine gute
Frage.“
Mrs. Stevens hob ihre Schultern.
„Dazu kann ich leider nichts sagen, aber ich denke Mr. Mitchel der
der persönliche Anwalt ihrer Großmutter war, kann ihnen auch dazu
mehr mitteilen.“
Etwas enttäuscht über diese Antwort, nahm ich Helen die
Visitenkarte aus der Hand und las zum wiederholten Male die
Visitenkarte.
Robert Mitchel
Rechtsanwalt
„Was ich ihnen aber noch über ihre Herkunft sagen kann, ist dass
ihr Vater übrigens ein Eingeborener von Vancouver Island war. Er
war ein Nuu-chah-nulth, ein stolzes Volk mit einer langen und
interessanten Geschichte. Ich denke das sie Ms. Seale, wenn ich mir
dieses Foto von ihren Eltern ansehe, was mir Mr. Mitchell
zugesendet hat, dass sie nach ihrem Vater kommen dürften. Die
schwarzen Haare, die braunen Augen. Aber der Rest des Gesichtes ist
eindeutig ihrer Mutter zu zuschreiben. Und sie Ms Mc Kenzie
kommen vom Aussehen ebenfalls nach ihrer Mutter, die blonden Haare,
doch die Farbe ihre Augen sind ebenfalls ihr Vater.“
Helen und ich stürzten und gleichzeitig auf das Foto das Mrs.
Stevens uns entgegenhielt. Mein Blick saugte sich an den Personen
auf diesem Bild fest. Sie waren ein so hübsches Paar gewesen. Wie
gerne hätte ich die beiden kennengelernt. Warum nur mussten sie
sterben?
„Gibt es denn von Mutters Seite noch Verwandte?“ hackte ich
nach.
Mrs. Stevens schüttelte den Kopf, „nein wir konnten leider keine
weiteren Verwandten mehr ausfindig machen. Aber ich würde ihnen
wirklich ans Herz legen, sich heute noch auf den Weg nach Campbell
River machen. Sie würden noch leicht die Fähre um siebzehn Uhr
dreißig erreichen. Morgen ist Freitag, da müsste Mr. Mitchel auf
alle Fälle erreichbar sein, heute ist er soviel ich weiß nicht in
seinem Büro mehr anzutreffen.“
Helen und ich sahen uns an, wir mussten nichts zueinander sagen,
beide wussten wir dass wir uns mit absoluter Sicherheit heute noch
auf den Weg nach Campbell River machen würden.
Es war ein unglaubliches Gefühl, wir kannten uns erst seit ein paar
Minuten, aber alles war so vertraut.
Helen hatte ihren VW
Golf aus grauer Vorzeit in einem Parkhaus, nicht weit von der
Adoptionsagentur geparkt. Gut dass ich nicht viel Gepäck dabei
hatte. Alles Weitere konnten mir meine Adoptionseltern per Post
zusenden, wenn nötig. Ein schlechtes Gewissen breitete sich in mir
gegenüber den beiden aus. Doch sie hatten gesagt sie würden es
verstehen und mich in allem unterstützen was nötig war um meine
Vergangenheit aufzuklären. Ich schellte mich selbst, ich wollte
damit doch nur mein schlechtes Gewissen wieder etwas beruhigen, was
aber nicht ganz klappte. Die beiden waren so gut zu mir und ich
verletzte sie zum Dank dafür damit, dass ich sie sogar verließ, auf
der Suche nach meiner Vergangenheit. War das fair? Ich wollte auf
alle Fälle so schnell wie nur möglich wieder Kontakt zu Mum und Dad
aufnehmen und mit ihnen alles besprechen.
Helen und ich fuhren
noch bei ihr zu Hause vorbei um ein paar Sachen zu holen. Sie hatte
eine kleine Ein-Zimmerwohnung in einer netten Gegend von West End
von Vancouver.
„O.k. Chrisi wir haben noch ein wenig Zeit, hast du Hunger? Dann
kann ich dir noch schnell ein Sandwich machen.“ Bot Helen an als
wir in ihrer Wohnung standen und sie das Nötigste
einpackte.
„Für ein größeres Gericht müsste ich erst einkaufen gehen,
dafür fehlt uns aber leider die Zeit.“
Wie auf Kommando fing mein Magen zu knurren an. „Muss ich noch
etwas dazu sagen? Ein Sandwich reicht vollkommen aus. Du kannst
mich ja ein anderes Mal bekochen.“
Beide mussten wir herzhaft lachen. Eines stand fest, Helen
und ich waren auf einer Wellenlänge. Uns verband etwas, was man
nicht beschreiben konnte und was über die Jahre hinweg gehalten
hatte.
„Wenn du auf Fertiggerichte stehst? Dann gerne“, scherzte
Helen.
„Wenn das so ist, werde ich lieber das mit dem Kochen übernehmen.
Magst du auch gute deutsche Küche?“
„Ich esse alles, solange ich es nicht selbst kochen muss“,
schmunzelte Helen.
Als ich meinen Magen mit Essen beruhigt hatte, machten wir uns
schleunigst auf den Weg zur Fähre, die wir auf keinen Fall
verpassen wollten.
Ich war innerlich total aufgewühlt. Es war als ob Weihnachten wäre,
ich mein Geschenk in den Händen halten würde aber noch nicht wusste
was drin war. Es war unbeschreiblich toll dieses Gefühl.
Wir fuhren als zweites Auto auf die Fähre. Und das Ding war
beim losfahren brechend voll.
Die Überfahrt nach Vancouver Island dauerte ein klein wenig und
somit hatten Helen und ich Zeit uns schon mal besser
kennenzulernen. Wir stellten fest dass Helen zwei Jahre älter war,
als ich. Somit hatte auch Helen nur leider bruchstückhafte
Erinnerungen an unsere Eltern. Helen war von einer Familie in
Vancouver adoptiert worden, die sie liebevoll großgezogen und auch
verzogen haben, wie sie von sich selbst
behauptete.
Die Fähre hatte gerade die Hälfte der Strecke nach Vancouver Island
geschafft und wir beide lehnten entspannt an der Reling des
Schiffes und sahen auf das Meer hinaus, als mir ganz unvorbereitet
ganz komisch in der Magengegend wurde. So etwas kannte ich gar
nicht von mir. Normalerweise konnte ich sogar bei schwerem Seegang
in einem kleinen Boot mitfahren ohne dass mir schlecht dabei wurde,
geschweige denn Seekrank. Dieses Unwohlsein entwickelte sein
Eigenleben und wurde noch schlimmer. Plötzlich wurde mir schwarz
vor Augen und ich hatte das Gefühl in ein tiefes Loch zu
fallen. Sekunden später, als sich mein Blick wieder klärte,
befand ich mich aus irgendeinen Grund auch immer, nicht mehr auf
der Fähre sondern in einem kleinen Boot, das von einem
windgepeitschten Meer wild hin und her geschaukelt wurde. Wie kam
ich nur hier her? Mit aller Kraft krallte ich mich am Rand des
Bootes fest und hielt verzweifelt Ausschau nach Helen. Wo war sie
nur hingekommen?
Ich kniff meine Augen ein wenig zusammen um besser sehen zu können,
als ich meinen Traummann, keine hundert Meter von mir an Land
stehen sah, den ich aber leider nur durch die hochpeitschende
Gischt verschwommen erkennen konnte. Er hielt seine Hände wie einen
Trichter vor den Mund und schrie mir etwas zu was von dem Wind von
mir weggetragen wurde und ich einfach nicht verstand.
In mir stieg eine unerklärliche und für mich auch gerade in dieser
Situation unangenehme Hitze auf obwohl ich schon Pietsch nass war
und ich eigentlich frieren sollte.
Er fuchtelte wild mit seinen Händen herum und deutete mir an, ich
sollte zu ihm an Land kommen.
Sofort schaute ich mich im Boot nach den Paddeln um, die nicht
aufzufinden waren. Somit war es für mich unmöglich nur ansatzweise
in Richtung Land zu gelangen. Ich versuchte ihm mein Problem
zuzurufen und er reagierte auch prompt. Er sprang ins Wasser
und versuchte mit großer Kraftanstrengung gegen die Wellen und der
Strömung zu mir zu schwimmen. Es war irgendwie seltsam, aber ich
fühlte mich sogar auf diese Entfernung hin sehr hingezogen zu
ihm.
Er hatte das Boot schon fast erreicht, als ich von irgendetwas an
der Schulter gepackt und durchgeschüttelt wurde.
Ich blickte mich verwundert um, denn gerade eben war ich ja noch
alleine auf dem Boot gewesen. Wer zum Teufel rüttelte den da auf
einmal an mir rum? Und von einer auf die andere Sekunde stand ich
wieder auf der Fähre. Es war wie verhext und ich war mehr als
verwirrt. Helens Hand lag immer noch auf meiner Schulter und sie
sah mich besorgt an.
„Chrisi ist alles in Ordnung mit dir? Du bist ganz blass,
wirst du etwa See krank?“
Verwirrt sah ich mich um und fasste mir an die Stirn. „N..nein“,
stotterte ich, „Es ist alles in Ordnung, ich hatte nur gerade so
etwas wie… einen Tagtraum, …glaube ich.“
Ein breites Grinsen machte sich in Helens Gesicht breit.
„Oh…, das hört sich etwas verrückt an wenn du mich fragst, aber
wenigstens wirst du mir nicht krank. Wer weiß vielleicht liegt ja
ein genetisch veranlagter Wahnsinn in unserer Familie?“, sagte
Helen mit einem ironischen Unterton erleichtert.
Erleichtert darüber das Helen mich nicht gleich einweisen ließ,
lachte ich, noch immer etwas neben der Spur stehend, auf, „das
würde ich doch nie wagen. Sag mal wie lange wird es noch dauern bis
wir in Campbell River sind?“ Lenkte ich ab.
Ich fühlte mich plötzlich sehr müde, was wahrscheinlich an der
langen Anreise lag. Den kleinen Tagtraum verdrängte ich in den
hintersten Winkel meines Gehirns, so etwas hatte im Moment keinen
Platz in meinem Leben. Ich wollte voll und ganz die Zeit mit meiner
Schwester genießen.
Helen legte ihren Kopf schief und grinste mich verlegen
an.
„Weist du Chrisi, ich habe einen Orientierungssinn oder auch ein
Zeitgefühl wie ein totes Schwein, musst du wissen. Ich weiß gerade
mal wie lange ich von mir zu Hause aus bis in meine Arbeit brauche,
und das auch nur, weil ich diese Strecke schon seit fünf Jahren
fahre.“
Mitleidig sah ich Helen an und streichelte sie bemitleidenswert an
ihrer Schulter.
„Tja, das haben wir dann wohl beide von unserer Mutter vererbt
bekommen. Unser Vater wird wohl als Ureinwohner den besseren
Orientierungssinn gehabt haben. So wie es aussieht können wir nur
darauf hoffen, mal jemanden kennenzulernen, der uns von A nach B
bringen kann ohne sich zu verlaufen. Oder ist da bei dir schon
jemand, der auf dich aufpasst?“ Machte ich geschickt eine
Überleitung und fragte neugierig mit einem Augenzwinkern
nach.
Helen schüttelte den Kopf, „Nein, Mr. Right ist mir noch nicht
untergekommen. Ich bin jetzt zweiunddreißig Jahre und schaffe es
nicht einen Mann länger als drei Monate zu halten. Vielleicht liege
ich ja mit meinen Ansprüchen einfach zu hoch?“ sagte sie
etwas verunsichert.
„Ha, soweit kommt es noch!“ platzte es aus mir empört heraus, „ nur
weil alle Männer absolut verkorkst sind, und wir Wert auf Treue,
Humor, Zuverlässigkeit und Vertrauen legen, soll die Schuld bei uns
liegen? Mit Sicherheit nicht Ms Seale! Das Problem liegt einzig und
allein nur bei den Männern. Das war schon immer so und das wird
auch immer so bleiben!“
Aufmunternd klopfte ich ihr dabei auf die Schulter.
„Aber wir sollten die Hoffnung nie aufgeben, dass der Richtige doch
noch irgendwo da draußen rumläuft und sich in unsere zärtlichen und
verständnisvollen Arme verirrt.“ Fügte ich hinzu.
Eine Durchsage des Fährenführers oder wie man zu so jemand sagt,
unterbrach unser Gespräch und ließ uns aufhorchen.
Meine Damen und Herren, wir legen in ein paar Minuten in Nanaimo
an. Wenn sich bitte alle Fahrer zu ihren PKW’s begeben, damit wir
ohne Verzögerung entladen können.
Schnell waren wir bei Helen‘s alten VW Golf. Die Fähre legte am Kai
von Nanaimo an und die große schwere Eisenrampe wurde langsam
herunter gefahren. Holprig sprang der Golf an und Helen fuhr ihn
langsam über die Rampe auf das Hafengelände hinunter und dann etwas
schneller weiter um auf einem Parkplatz zu parken.
„Chrisi ich mache noch eine Pinkelpause und erkundige mich mal bei
dem Kiosk da drüben wie wir am besten nach Campbell River kommen
ohne uns zu verfahren, schließlich will ich nicht von einem Bären
gefressen werden, nur weil wir nicht fähig sind den richtigen Weg
zu finden. Kommst du mit?“
Ich grinste, „es geht doch nichts über Gruppenpinkeln. Natürlich
komme ich mit und passe auf was wir für eine Richtung einschlagen
müssen. Denn wenn du den Weg nicht mehr weist, dann bin ich unsere
letzte Hoffnung.“ Neckte ich sie. Worauf ich eine rausgestreckte
Zunge als Antwort bekam.
Es war so weit, zum ersten Mal setzte ich meinen Fuß auf Vancouver
Island. Es war ein komisches Gefühl. Es fühlte sich einerseits sehr
vertraut an, wie sich ein „zu Hause“ eben anfühlen sollte aber
andererseits war alles neu für mich. Trotzdem, ich konnte mich
nicht daran erinnern, mich jemals an einem Ort so wohl gefühlt zu
haben.
Auf dem Weg zum Kiosk blieb mir wieder wie aus dem nichts und ohne
Vorwarnung die Luft weg. Mein Herz fing an zu rasen. Hastig
versuchte ich tief Luft zu holen, dabei achtete ich darauf das ich
hinter Helen blieb, sie musste das ja nicht schon wieder
mitbekommen. Am Ende dachte sie wirklich noch das ich nicht ganz
bei Trost bin.
Mir wurde kurz schwarz vor den Augen und wieder schob sich ein Bild
von meinem Traummann vor mein geistiges Auge. Wieder sah ich
ihn nur in der Ferne. Er winkte mir zu. In meinem inneren wurde es
unerwartet angenehm warm und es kribbelte als ob tausend
Schmetterlinge in mir wären. Meine Atmung beruhigte sich bei seinem
Anblick von alleine. Dann war das Bild auch schon wieder
verschwunden, zusammen mit der angenehmen Wärme. In all den Jahren
in denen ich diese Tagträume hatte, waren sie nie dermaßen intensiv
gewesen und vor allem hatte ich dann die Kontrolle über meine
Träume und nicht umgekehrt. Was war hier nur los? Machte das die
neue Umgebung aus? Oder lag es ganz einfach nur am
Jetlag?
Zu meinem Glück, war Helen sehr auf ihre Mission als Fahrerin
konzentriert gewesen so dass sie meinen Tagtraumanfall dieses mal
nicht mitbekam. Tief atmete ich durch und versuchte dieses
angenehme Gefühl von gerade eben wieder heraufzubeschwören, was mir
aber leider, so sehr ich mich auch anstrengte, nicht
gelang.
Zweiundzwanzig Stunden ohne Schlaf waren eindeutig zu viel für
mich.
Pinkeln und nach dem Weg fragen war schnell erledigt. Zur
Sicherheit kauften wir uns noch eine Karte von Vancouver Island.
Wir fuhren auf dem Neunzehner Highway entlang in Richtung Campbell
River. Der Mann hatte gesagt wenn wir immer auf diesem Highway
bleiben, konnten wir Campbell River gar nicht verfehlen. Sein Wort
in Gottes Ohr dachte ich mir, der weiß nicht was ich schon alles
geschafft hatte um mich zu verirren, obwohl es normalweise damals
auch keine andere Möglichkeit gegeben hätte um sich eigentlich zu
verirren. Ich musste grinsen. Mein Blick wanderte zu Helen. Aber
dieses Mal war ich nicht alleine unterwegs und zu meinem Glück war
es Helen die fuhr und der ich die Schuld zuschieben konnte wenn wir
uns doch noch verfahren sollten. Es ist doch erstaunlich, für was
Schwestern alles gut sind, vor allem wenn sie auch noch älter sind
und als Vorbild dienen mussten.
Alexander atmete
schwer aus und hielt sich krampfhaft an dem Lenkrad seines schweren
Sechser BMWs fest. Dieses Gefühl, diese Vision war so urplötzlich
und gewaltig gekommen dass er es gerade noch geschafft hatte seinen
BMW am Straßenrand mit einer Vollbremsung zum Stehen zu bringen.
Jenny, die hübsche Blondine, die auf dem Beifahrersitz saß sah ihn
erschrocken mit weit aufgerissenen Augen an.
„Alexander was ist mit dir?“
So hatte sie ihn noch nie gesehen. Alexander war ein stattlicher
und attraktiver Mann, dem nichts so schnell aus der Fassung bringen
konnte. Sofern man ihn als Mann bezeichnen konnte. Alexander trug
ein dunkles Geheimnis mit sich, in den nur ein kleiner Kreis
eingeweiht war und von denen ebenfalls fast jeder so war wie
Alexander selbst.
„Was zum Teufel war das gerade? Was ist passiert?“ fragte Jenny
noch einmal als sie keine Antwort bekam und legte beruhigend ihre
Hand auf seine Schulter.
Alexander hatte sich wieder Einigermaßen unter Kontrolle. Er
starrte aus dem verdunkelten Seitenfenster in Richtung Vancouver,
was er aber nicht sehen konnte, da viel Natur und auch Berge
dazwischen waren.
„Sie ist auf der Insel. Verdammt noch mal, sie ist hier und kommt
geradewegs nach Campbell River.“ Sagte er mit zusammengepressten
Zähnen.
Dieses Gefühl von Liebe und Vertrautheit hatte Alexander eiskalt
erwischt. Das erwischte ihn nur, wenn sie in seiner Nähe
war.
Jenny sah ihn verwirrt an. Bis sie verstand was Alexander
meinte.
„Nein, das kann nicht sein Alexander! Chrisi kann nicht auf
Vancouver Island sein, sie war doch vor ein paar Tagen noch in
Deutschland! Und da gab es nicht mal den Hauch eines Anzeichens das
sie eine Reise plant.“
Alexander schloss seine Augen und lies sein Innerstes nach Chrisi
fühlen. Lange Zeit hatte er sie mit jeder Faser seines Körpers
vermisst, doch das sie hier war, war nicht richtig und auch nicht
gut für sie.
„Chrisi hat wohl zu ihrem Ursprung zurückgefunden.“ Sagte Alexander
traurig und hoffnungsvoll zugleich.
„Alexander was sollen wir machen? Wie kann ich dir
helfen?“
Jenny war ein Schatz und Alexander wusste, wenn er es zulassen
würde, dass sie auch gerne mehr für ihn wäre als nur eine gute
Freundin. Doch sein Herz gehörte seit vierhundertfünfzig Jahren nur
einer Frau, die vor neunundzwanzig Jahren widergeboren worden war,
nämlich Chrisi.
„Jenny Schatz, wir können heute nicht mehr viel ausrichten. Die
Sonne scheint zu stark und Chrisi fühlt sich müde. Ich denke sie
wird es heute nicht mehr schaffen sich unnötig in Gefahr zu
bringen.“
Jenny flüsterte, „dein Wort in Gottes Ohr. Du kennst doch ihr
Talent jede Gefahr, die in ihrer Nähe lauert, auf sich zu
ziehen.“
„Ich weiß, ich weiß.“ Antwortete Alexander Jenny mit Wehmut in der
Stimme.
Alexander lies den schweren BMW wieder an und machte sich mit einer
Mischung aus unguten Bauchgefühl und einem verdammt
sehnsuchtsvollen Gefühl, auf den Weg nach Hause, sie mussten
endlich aus der Sonne raus.
Ich hatte keine Ahnung
wie lange wir schon unterwegs waren, als Helen mich unsanft
aufweckte. Irgendwann auf der Fahrt hierher musste ich wohl
eingeschlafen sein. Verwirrt sah ich Helen an.
„Sind wir schon da?“ fragte ich sie.
„Ja du Schlafmütze, und das ganz ohne deine Hilfe.“ Gab sie mit
einem breiten Siegergrinsen von sich. „Habe sogar schon eine
Unterkunft für uns gefunden, muss aber erst nachfragen ob noch
etwas frei ist.“
Helen deutete auf das nett anzusehende Einfamilienhaus.
„ Hier werden Zimmer vermietet, von Privat und es sieht ganz nett
aus.
Du solltest die Zeit nutzen um wieder einen Menschen aus dir
machen, wir wollen die Leute ja nicht erschrecken.“
Helens Grinsen war unschlagbar. Sah ich denn wirklich so schlimm
aus? Schnell klappte ich den Sonnenschutz herab und sah in den
Spiegel. So schlimm war es doch gar nicht, fand ich. O.k. mein
Mascara hatte sich unter meine Augen verirrt und meine Haare
sahen nicht mehr ganz so stylisch aus, aber sonst war alles in
Ordnung. Ein paar Handgriffe hier und da, dann sah ich fast wieder
perfekt aus.
Ich warf einen Blick zu Helen hin, die mit einer hübschen jungen
blonden Frau sprach. Dann kam sie zurück und riss die Autotür auf,
„komm sie haben zwei Zimmer für uns frei, falls du schon die Nase
von mir voll haben solltest. Ich habe uns einen günstigen Preis
ausgehandelt. Die sind super nett hier.“
„ Wer sind die? Du hast doch nur mit der Frau gesprochen. Und du
kannst Preise aushandeln?“ stichelte ich. „Das hätte ich dir gar
nicht zugetraut.“
Helen lachte und streckte mir ihre Zunge entgegen.
Beim Aussteigen wurde mir erst bewusst wie geschlaucht ich war.
Mein Körper schmerzte überall und ich war so unendlich müde. Ein
alter klappriger VW Golf war eben kein fünf Sterne Hotel.
Die blonde Frau kam auf mich zu, „Hallo ich bin Carmen, darf ich
ihnen beim tragen ihres Gepäcks behilflich sein?“
Ich kam in die Versuchung ja zu sagen, so müde war ich,
unterdrückte diese Versuchung aber dann doch, da mein Gepäck ja nur
aus einer Reisetasche bestand und das wäre zu peinlich gewesen die
von jemand anderem tragen zu lassen. Schließlich war ich ja noch
keine siebzig.
„Hallo, ich bin Chrisi.“ Stellte ich mich höflicherweise vor. Jedes
einzelne Wort kam nur schwer über meine Lippen, als ob sie mit Blei
ausgegossen worden wären.
Dann war es wieder da, diese unbeschreibliche angenehme Wärme und
dieses Kribbeln in meinem inneren. Was war das bloß? War ich auf
dem besten Wege in die Wechseljahre und das schon in meinem Alter?
Nein, das konnte es auf keinen Fall sein, ich weigerte mich an
diese Möglichkeit auch nur ansatzweise zu glauben. Es lag ganz
einfach nur an dem Stress der letzten Tage.
Das komische daran war, dass dieses Gefühl der Wärme genauso
schnell wieder verschwand wie es kam. Also wahrscheinlich doch die
Wechseljahre, dachte ich geknickt. Ich brauchte jetzt dringend eine
Dusche und noch viel dringender ein Bett. Mit bleiernen Füßen
folgte ich Carmen, die mich Mitleidig ansah. Helen dagegen konnte
sich vor Lachen kaum noch halten.
„Ganz ehrlich Chrisi, Frankensteins Monster wäre im Moment nicht
halb so gruselig wie du.“
In Gedanken stellte ich mir vor wie ich Helen die Zunge
rausstreckte, das aber in die Tat umzusetzen und mir beim Sprechen
dann nicht auch noch auf die Zunge zu beißen, überforderte mich
gerade sehr.
„Wie sagt man so schön, bei solchen Freunden oder in deinem Fall
Schwestern wie dir, braucht man keine Feinde mehr. Gute Nacht
Helen, du wirst mich erst morgen früh wieder zu Gesicht bekommen,
und dann kommt die Rache der Gerechten, du wirst es
sehen.“
„Ooohhh ich zittere schon vor Angst. Schlaf gut mein Schwesterherz,
ich werde mir noch ein gutes Abendessen genehmigen mit einem Glas
Wein dazu. Wir sehen uns dann morgen früh wieder.“
Selbst ein Fünf Sterne Essen hätte mich jetzt nicht davon
abgehalten ins Bett zu gehen. Die Dusche verschob ich auf morgen
früh. Ich schaffte es gerade noch meine Sachen auszuziehen als ich
auch schon auf dem himmlischen Bett eingeschlafen war.
Tief und Traumlos schlief ich die ganze Nacht durch, es hätte
wahrscheinlich eine Bombe neben mir einschlagen können und ich wäre
nicht aufgewacht.
Trotzdem fühlte ich mich am nächsten Morgen noch ein wenig
gerädert. Gemächlich wälzte ich mich aus dem Bett. Die überfällige
Dusche schaffte es dann endgültig dass ich mich wieder wie ein
Mensch fühlte. Ich band mir meine Haare gerade zu einem
Pferdeschwanz zusammen, als sich mein Magen unmissverständlich
meldete, dass er jetzt dringend Nahrung benötigte. Was ich ihm auf
keinen Fall verwehren wollte.
Leise schlich ich mich aus dem Zimmer die Treppen runter. Kurz
blieb ich stehen um zu sehen und auch zu hören ob sich irgendwo ein
menschliches Wesen befindet, das ich nach dem Weg fragen
konnte.
Ich hörte niemanden reden, aber ich hörte so etwas wie
Geschirrgeklapper. Das war schon mal kein schlechter
Hinweis.
Ich ging in dem hellen Gang nur ein paar Schritte weiter, als ich
vor der Türe stand, hinter der ich die Geräusche vermutete. Die
Türe war nur angelehnt, also drückte ich sie vorsichtig auf. Und
Bingo. Es war die Küche, in der sich schon Helen am Frühstückstisch
befand und gebannt auf irgendetwas in diesem Raum starrte, was sich
aus meinem Blickwinkel entzog. Helen war anscheinend so fasziniert
von dem was sie da sah, dass sie mich nicht mal wahrnahm als ich
die Küche betrat. Mein Auftritt fiel dafür etwas lauter als geplant
aus.
„Guten Morgen Helen. Du bist auch schon wach?“
Gerne hätte ich mich umgedreht um zu sehen was da war, aber ich
fürchtete dass es zu auffällig gewesen wäre und mich nur in eine
peinliche Lage gebracht hätte.
Helen zuckte wie ertappt zusammen, „Aber Hallo, Frankensteins
Monster hat sich wieder zu Chrisi gemausert. So müde wie du gestern
gewesen bist, dachte ich nicht das du vor dem Mittagessen aufstehen
würdest. Oder hat dich der Hunger aus dem Bett
getrieben?“
Ich lächelte Helen mit meinem süßesten Lächeln an, und ging auf den
Frühstückstisch zu.
„ Ich bin eine Frühaufsteherin musst du wissen. Genauso wie
du, wie es aussieht. Und der Hunger, ja das war auch mit ein
Grund.“ Sagte ich grinsend zu ihr.
Als ich hinter mir ein Räuspern hörte. Verwirrt drehte ich mich um.
Ein großer gutaussehender dunkelblonder Mann mit strahlend blauen
Augen stand verlegen lächelnd, mit einem Geschirrtuch in der Hand
vor mir.
„Bei dem Hungerproblem könnte ich weiter helfen.“ Schüchtern
streckte er mir seine Hand entgegen. Wie vor eine Mauer gelaufen
hob ich automatisch meine Hand und legte sie in seine.
„Hallo ich bin Tom, Carmens Bruder. Was darf ich ihnen denn zum
Frühstück anbieten? Kaffee, Tee, Brötchen, Speck, Marmelade,
Cornflakes?“
Als mir bewusst wurde das ich seine Hand immer noch festhielt,
schoss mir das Blut in den Kopf und ich ließ sie schnell los. Etwas
zu schnell vielleicht, den Tom sah mich etwas verwirrt an. Verlegen
sah ich zu Boden.
„Ich heiße Chrisi“, stotterte ich vor mich hin.
„Ähm, wenn es keine Umstände macht, hätte ich gerne einen Kakao.
Und zum Essen würden mir zwei Brötchen mit Butter und Marmelade
reichen“, hauchte ich.
Tom lachte, „alles klar, das kriege ich hin.“ Und schon drehte er
sich um, um sich an die Arbeit zu machen.
Ich setzte mich neben Helen auf den Stuhl, aber ich wählte bewusst
die Seite des Tisches aus, in der ich Tom nicht direkt ansehen
konnte und musste. Ich wollte mir die Peinlichkeit ersparen, dabei
erwischt zu werden wie ich ihm auf seinen heißen Arsch
starrte. Scheiße war das eine Sahneschnitte.
Helen sah wie gebannt an mir vorbei zu Tom.
Ich gab ihr einen Stoß in die Rippen, „sag mal starrst du ihm etwa
schon die ganze Zeit auf sein Hinterteil?“ Flüsterte ich ihr
zu.
Helen lächelte versonnen und nickte nur.
„Komm schon Chrisi, so einen Knackarsch muss man einfach anstarren.
Dann noch dieser geile Typ dazu, das ist ein perfektes Paket. Ist
dir aufgefallen das er voll auf dich abfährt?“ Verschlagen
zwinkerte sie mir zu.
Sofort spürte ich wie mir zum zweiten Mal an diesem Tag das Blut in
den Kopf schoss.
„So ein Quatsch, der hat sicher irgendwo ein Model als Freundin. So
ein Typ gibt sich nicht mit dem Durchschnitt ab. Aber mit einem
muss ich dir recht geben, er sieht einfach zum Anbeißen
aus.“
Ein leises seufzen entfuhr mir. Ich hoffte dass Tom es nicht gehört
hatte. Immer wieder erwischte ich mich dabei dass ich über meine
Schulter spähte um ihn anzusehen.
So ein Mist, ich hätte mich doch auf die andere Seite setzen
sollen, doch nun war es zu spät dafür.
Tom brachte mir meinen Kakao, dabei berührte er mich zufällig an
meinem Arm. Ein wohliger Schauer ran mir den Rücken hinab, als er
mir noch dazu tief in die Augen sah. Er brachte die Brötchen, die
Butter und die Marmelade. Und jedes Mal durchbohrten mich seine
Stahlblauen Augen, die ein Gefühlscaos in mir entfachten. Am
liebsten hätte ich ihn sofort auf den Frühstückstisch geschissen
und anständig vernascht. Bei diesem Gedanken wurde ich total
kribbelig.
„Helen darf ich dir noch etwas bringen?“
Oh Gott, diese Stimme, die ging einem durch und durch.
„Nein danke Tom, ich bin gut von dir versorgt worden.“ Seufzte
Helen mit einem Hollywood Reifen Augenklimpern.
Was nun Tom die Schamesröte ins Gesicht trieb.
„Chrisi hast du noch einen Wunsch den ich dir noch erfüllen kann,
bevor ich mich auf den Weg in die Arbeit mache?“, wandte er sich
nun an mich.
Was er wollte verschwinden? Das konnte er doch nicht machen!
Enttäuscht aber mit einem Lächeln auf den Lippen schüttelte
ich den Kopf.
„Nein danke Tom.“
„Gut. Wenn doch noch etwas sein sollte, Carmen kommt gleich und
wird sich dann gerne darum kümmern. Ach ja, wenn ihr Lust habt, wir
grillen heute Abend wenn das Wetter aushält. Laut Wetterbericht
soll es bewölkt sein aber trocken bleiben. Ihr könnt gerne
dazukommen.“ Hoffnungsvoll sah Tom mich an.
Mein Herz machte einen freudigen Sprung. Besser konnte es gar nicht
laufen. Da würden mir dann auch noch ein paar Wünsche einfallen,
die er mir jederzeit erfüllen durfte.
„Klar, diese Einladung nehmen wir doch gerne an. Nicht wahr
Helen?“
Ein fettes Lächeln breitete sich in seinem Gesicht aus.
„ Super, das wird bestimmt ein schöner Abend. Bis später dann.“
Sagte Tom, ohne Helens Antwort abzuwarten und verschwand winkend
aus der Küche.
„Ja klar Chrisi, er steht ja so was von nicht auf dich. Das könnte
sogar ein blinder mit Krückstock sehen, dass er dich am liebsten
auf der Stelle vernaschen würde.“
Ich seufzte nur lächelnd vor mich hin.
„Nicht nur er mich, mein Schwesterherz, nicht nur er
mich.“
Meine Gedanken schweiften zu dem Sahneschnittchen das gerade den
Raum verlassen hatte ab.
„Erde an Chrisi, hallo. Du weist das wir heute noch einiges
erledigen müssen? Warum wir eigentlich hier sind?“
„Schon gut“, lachte ich, „ ich habe es nicht vergessen. Was hast du
für heute geplant Helen?“
„Ah bist du wieder unter den normal Sterblichen angekommen und bist
nicht mehr im Sexhimmel.“ Helen boxte mir leicht in die
Seite.
„Also als erstes werde ich versuchen einen Termin für heute bei
diesem Anwalt zu bekommen. Und dann werden wir in der Umgebung
herumschnüffeln um noch mehr von unseren Eltern zu erfahren.
Irgendwer muss sie doch gekannt haben!“
Ich gab Helen recht, unsere Eltern hatten mit Sicherheit ihre
Spuren hinterlassen als sie noch gelebt und irgendwer musste doch
noch leben die sie gekannt haben.
Wir beeilten uns mit dem Frühstücken und räumten die Sachen auf die
Anrichte der dunklen Kirschbaum Küche. Als Carmen herein kam und
beschämt meinte dass wir das doch nicht machen müssten. Wir winkten
ab und verzogen uns auf Helens Zimmer. Helen rief mit ihrem
Mobilphone bei diesem Anwalt Robert Mitchel an. Das Gespräch
dauerte eine ganze Zeit lang. Ich stellte fest, das Helens Zimmer
genauso einfach aber schön eingerichtet war wie meines. Ein
Schrank, der Naturfarben war, ein Doppelbett passend zum Schrank
mit zwei Nachtkästchen auf denen je eine weiße Nachttischlampe
stand. Und eine Türe die ins angrenzende kleine Badezimmer führte.
Die Vorhänge waren in einem schönen orange gehalten.
„Gut“, sprach mich Helen an. „ Wir haben um elf Uhr Vormittag heute
einen Termin. Dieser Mitchell war eigentlich sehr freundlich für
einen Anwalt.“
Neugierig sah ich Helen an, „hat er schon etwas gesagt, was für uns
interessant wäre?“
Helen schüttelte den Kopf, „ nein hat er nicht, du kennst doch
Anwälte, am Telefon geben sie dir nie eine Auskunft. Wahrscheinlich
ist das so ein unsympathischer, fetter, halbglatzköpfiger, vor
Schweiß triefender Sesselpfurzer. “
Woher wusste Helen das wohl so genau? Ich für meinen Teil
hatte noch keine großartigen Erfahrungen mit Anwälten gemacht,
worüber ich auch froh
war.
Da es schon kurz vor zehn Uhr war, machten wir uns auf den Weg.
Campbell River war keine riesige Stadt aber auch keine Kleinstadt
und bei unserem Talent mussten wir damit rechnen dass wir uns
mindestens einmal verfahren werden. Helen hatte sich von Carmen den
ungefähren Weg erklären lassen, was uns die ersten fünfhundert
Meter etwas weiter brachte, dann waren wir auch schon in die
falsche Straße abgebogen. Wir befanden uns in einer kleinen
Seitenstraße, in der ich nicht parken wollen würde wenn es dunkel
ist.
Ein Polizeiwagen überholte uns und hielt uns keine fünfzig
Meter weiter an. Es war uns ein Rätsel warum er das tat? Helen war
nicht zu schnell gefahren. Eher zu langsam. Vielleicht war das ja
hier in Campbell River eine grobe Straftat?
„Ich glaube der hat uns auf dem Kicker, der ist schon seit der
Pension hinter uns gewesen“, flüsterte Helen mir misstrauisch
zu.
Der Polizist, der nun bei uns am Autofenster stand und sich als
Sheriff Thomson vorstellte verlangte sofort, auf nicht gerade
freundliche Art und Weise, Helens Papiere. Auf meine Frage, warum
wir den angehalten worden waren, ging er erst gar nicht ein. Dieser
Mann war fast an die zwei Meter groß und sehr bullig gebaut. Er sah
eigentlich ganz nett aus, mit seinen Rehbraunen Augen und dem
aufgesetzten Lächeln im Gesicht. Trotzdem passte das Lächeln nicht
mit seiner Ausstrahlung zusammen. Er war ein Widerspruch in
sich.
Mir lief ein eiskalter Schauer den Rücken hinunter. Fest biss ich
die Zähne zusammen und schlang meine Arme um meinen Oberkörper,
damit er nicht sah wie es meinen Körper danach verlangte sich zu
schütteln. Ständig wurde ich mit einem argwöhnischen Blick von ihm
fixiert. Verunsichert schaute ich gerade aus auf die Straße
um Sheriff Thomsons Blick nicht begegnen zu müssen, als ich
plötzlich wieder meine Hitzewallung bekam, was die kalten Schauer
die mir immer noch über den Rücken jagten nicht erträglicher
machten.
Verzweifelt versuchte ich mich auf etwas zu konzentrieren um diese
Gefühle loszuwerden oder zumindest unter Kontrolle zu bekommen. Als
mir ein schwerer schwarzer BMW auffiel der auf der
Gegenüberliegenden Straßenseite gerade einparkte. Er fiel mir
deshalb auf, da ich bis jetzt auf dieser Insel noch nicht viele
Deutsche Autos gesehen hatte, außer Helens alte Rostlaube und
dieser BMW gehörte zu den Luxuskarossen und fiel alleine
deswegen schon auf.
Komisch war auch, dass niemand ausstieg, obwohl der Wagen schon gut
zwei Minuten da stand. Warum sollte jemand parken und dann nicht
aussteigen? Es war fast so als ob uns der Fahrer beobachten würde.
Oh Gott, bekam ich jetzt zu den Hitzewallungen auch schon
Verfolgungswahn hinzu?
„Ms, hallo Ms.“ Ich reagierte erst beim zweiten Mal auf die
Ansprache vom Sheriff und blickte ihn überrascht an.
„Entschuldigung Sheriff, was haben sie gesagt?“
Nun wanderte Sheriff Thomsons Blick ebenfalls in die Richtung in
die ich eben noch konzentriert gesehen hatte. Sein Gesicht nahm
plötzlich harte Züge an und sein Blick sprühte förmlich vor Wut,
was er vor uns vergeblich zu verbergen versuchte. Unruhig trat er
von einem Bein auf das andere.
„Ach das war nicht so wichtig, sie können nun weiterfahren und
halten sie nicht den ganzen Verkehr auf“, fasste er sich kurz.
Schmiss Helen die Papiere schon fast zu und verschwand ohne ein
weiteres Wort an uns zu verlieren.
Helen und ich sahen uns fragend an.
„Was zum Teufel war das denn gerade?“ Sprach Helen das aus was wir
beide dachten.
Ich konnte nur den Kopf schütteln und die Schultern heben. Auf die
Reaktion des Sheriffs gerade eben, konnte ich mir keinen Reim
machen.
Meine Hitzewallung war so intensiv wie nie in den letzten Tagen.
Ich atmete tief ein und aus. Bei Hunden hilft das auch immer,
dachte ich mir. Da fiel mir auf dass der schwarz BMW fast wie in
Zeitlupe an uns vorbeifuhr. Mein Herz fing ohne einen für mich
verständlichen Grund schneller an zu schlagen. Angestrengt
versuchte ich in das Innere des Wagens zu sehen, doch der Wagen
hatte dunkel getönte Scheiben, so dass ich nicht das Geringste
erkennen konnte. Als er fast an uns vorbeigefahren war, gab er
Stoff und verschwand wie ein Blitz, mit einem sportlichen Schnurren
aus meinem Blickfeld.
Mit dem BMW löste sich auch langsam meine Hitzewallung in Luft auf.
Was natürlich nur reiner Zufall sein konnte. Auch mein Herzschlag
bewegte sich wieder auf einer normalen Frequenz.
„Mist, wenn der Sheriff es nicht so eilig gehabt hätte von uns
wegzukommen, hätten wir ihn noch mal nach dem Weg fragen können.“
Meinte Helen ironisch und holte mich wieder in die Realität
zurück.
„Was für ein unheimlicher Mensch der doch ist, findest du nicht?
Mir hat der richtig Angst gemacht.“ Nun endlich konnte mein Körper
sich nach Herzenslust ausschütteln. Alleine bei dem Gedanken an den
Typen bekam ich eine Gänsehaut mit Schüttelreiz.
„Findest du? Ich finde ganz einfach das er ein unfreundlicher Arsch
ist. Wie der nur an sein Amt gekommen ist? So einen Arsch kann man
doch normalerweise nicht auf die Menschheit los lassen. Wer wählt
so jemanden? Sind die Leute damals bestochen worden?“
Helen konnte sich schier nicht mehr einkriegen, was diesen Arsch
mit Ohren betraf und sie hatte definitiv Recht was diesen Punkt
betraf.
Helen wendete den alten Golf und wir fuhren weiter.
„Du hast gehört, du sollst nicht den ganzen Verkehr aufhalten.“
Äffte ich den Sheriff nach.
Wir hofften das wir auf dem richtigen Weg waren. Doch zur
Vorsicht hielten wir an der nächsten Tankstelle an die uns unterkam
und Helen holte sich erneut die Wegbeschreibung. Prompt waren wir
keine zwanzig Minuten später in der Hilchey Road. Ein Parkplatz war
schnell gefunden. Und wie durch ein Wunder waren wir sogar fünf
Minuten zu früh da.
„Na Chrisi, was sagst du? Sind wir gut oder sind wir einfach nur
gut?“ Freudestrahlend klopfte Helen mir auf die Schulter.
„Und da behaupte noch jemand wir hätten keinen
Orientierungssinn.“
„Haben wir doch auch nicht“, gab ich von mir.
Helen und ich betraten ein kleines unscheinbares Bürohaus. Alles
war schlicht und einfach gehalten. Die Empfangsdame die sich in dem
Eingangsbereich befand, schickte uns in den ersten Stock des
Hauses. Dort war es das zweite Büro auf der rechten Seite, hatte
sie uns gesagt.
Das Namensschild an der Türe bestätigte uns diese Information. In
schwarzen Buchstaben stand dort Robert Mitchell
Rechtsanwalt.
Ich ließ meiner Schwester den Vortritt. Selbstbewusst wie sie war
klopfte sie an die Türe. Sofort erklang ein tiefes angenehmes
„Herein“. Helen öffnete schwungvoll und sehr professionell die
Türe, ging ein paar Schritte und blieb dann so unverhofft stehen,
das ich fast gegen sie gerannt wäre. Vorsichtig schaute ich an ihr
vorbei um nach den Grund zu sehen warum Helen so unvermutet stehen
geblieben war. Aber ich konnte außer Mr. Mitchell sonst in diesem
Büro nichts entdecken was diese Reaktion ausgelöst haben konnte.
Also musste ich Schlussfolgern dass er der Grund für die
Vollbremsung gewesen sein musste.
Mr. Mitchell kam freudestrahlend auf uns zu.
„Schön sie kennenzulernen Ms Seale und Ms Mc Kenzie.“
Mit einem angenehmen Händedruck begrüßte er uns.
Woher wusste er zum Teufel wer, wer von uns beiden war? Mr.
Mitchell fing laut zu lachen an als er meinen verdutzten
Gesichtsausdruck sah, der anscheinend selten dämlich gewesen sein
musste.
„Keine Angst Ms Mc Kenzie, ich kann nicht hell sehen. Unsere
Empfangsdame gibt mir immer Tipps. Bei ihnen beiden war es die
Haarfarbe.“
Erleichtert atmete ich auf, „ich dachte schon sie wären mit dem
Teufel im Bunde. Sie wissen schon, wie in dem Film mit Keanu
Reeves.“
Beide fingen wir zu lachen an, nur Helen lachte nicht. Sie starrte
Mr. Mitchel nur an und gab keinen Mucks von sich.
„Ich muss sie leider enttäuschen Ms Mc Kenzie, nicht alle Anwälte
sind mit dem Teufel im Bunde. Aber bei manchen Kollegen trifft das
mit Sicherheit zu. Bitte setzen sie sich doch.“
Mr. Mitchell deutete auf zwei schwarze Ledersessel. Helen hatte
immer noch kein Wort herausgebracht. Wie ferngesteuert nahm sie auf
einen der Sessel platz. So kannte ich sie noch gar nicht, so
ungewöhnlich still. Mr. Mitchell war aber auch ein attraktiver
Mann. Er war einen Kopf größer als wir. Ebenso wie wir hatte er
einen dunklen Teint und schwarze Haare wie Helen, aber er hatte
einen modischen Kurzhaarschnitt. Ob er wohl auch von Indianern
abstammte? Seine warmen braunen Augen wanderten immer wieder mit
einem bewundernden Blick zu Helen. Er verschlang sie regelrecht
damit. Helen saß wie ein kleines Schulmädchen mit hochrotem Kopf
und einem verlegenen Lächeln auf ihrem Stuhl und gab keinen Laut
von sich, also ergriff ich die Initiative und erklärte ihm weshalb
wir hier waren. Auch Mr. Mitchel hatte viele Neuigkeiten für uns
die er uns mitteilte.
Wir erfuhren dass wir ein Grundstück in Campbell River geerbt
haben, auf dem früher das Haus unserer Eltern gestanden hatte. Das
sich seit dieser Zeit niemand mehr darum gekümmert hat und es
dementsprechend alles verwildert war. Was übersetzt hieß, wenn man
etwas draus machen wollte, musste man erst viel Arbeit, Zeit,
Schweiß und Wasserblasen hineinstecken. Dann hatten wir noch ein
kleines Häuschen mit Grund von unserer Großmutter geerbt. Das leer
stand, aber auch hier hatte die Zeit seine Spuren hinterlassen. Es
musste renoviert werden, falls wir uns dazu entschlossen in
Campbell River zu bleiben. Was mich persönlich im Moment nicht
störte, denn so hatte ich noch Zeit Tom öfter zu sehen und besser
kennenzulernen. Zum Glück hatte unsere Großmutter vorgesorgt und
für die Renovierung etwas Geld auf die Seite gelegt, was nun auch
für uns bestimmt war. Wir mussten die Unterlagen für die
Erbschaftsanerkennung unterschreiben und bekamen alle dazugehörigen
Unterlagen ausgehändigt.
„Auf diesen Unterlagen stehen auch die Adressen ihres Hauses und
dem Grundstück. Auf diesem Blatt stehen die Kontodaten auf dem das
Geld deponiert worden ist.“ Erklärte Mr. Mitchel uns die restlichen
Einzelheiten.
„Danke Mr. Mitchell.“
Das Geschäftliche war geklärt, nun musste er mit dem Privaten
Details unserer Familie heraus rücken. Wenn er nicht wollte, dann
würde ich ihn mit Helen erpressen. Er würde sie nur genauer
kennenlernen dürfen wenn er uns die Auskunft gibt. Bei diesem
Gedanken musste ich mir das Grinsen verkneifen. Ich atmete noch
einmal tief durch und setzte ihm das Messer auf die Brust, rein
hypothetisch natürlich.
„Mr. Mitchell können sie uns vielleicht sagen wie es damals zu dem
Brand in dem Haus unserer Eltern gekommen ist?“ Fragte ich ihn
Hoffnungsvoll um endlich mehr Licht ins dunkle zu
bekommen.
Mr. Mitchell setzte einen ernsten Gesichtsausdruck auf.
„Ich kann ihnen nur so viel sagen, dass es vermutlich ein
elektrischer Defekt war. Wirklich aufgelöst wurde dieser Fall nie.
Ich habe mit älteren Kollegen darüber gesprochen und die erzählten
mir dass damals von Seiten der Polizei viele Fehler bei der
Aufnahme der Beweisstücke gemacht worden waren. Und alles unter den
Tisch gekehrt worden war, es aber anfangs nach Brandstiftung
ausgesehen haben musste. Aber da es dann offiziell zu einem
elektrischen Defekt gemacht worden war, wurde die Akte geschlossen.
Ihre Großmutter, übrigens war eine tolle Frau, sie kämpfte lange
für die Wahrheit. Leider mit keinen großen Erfolg.“
Ich horchte auf.
„ Sie kannten unsere Großmutter? Wie war sie denn so?“ meldete sich
plötzlich Helen leise, bevor ich dazu kam noch etwas zu
sagen.
„Ja ich kannte sie. Ich habe sie in den letzten Jahren in allen
Rechtslagen betreut. Ich würde ihnen beiden gerne vorschlagen, dass
wir uns privat einmal treffen und da erzähle ich ihnen dann gerne
mehr über ihre Großmutter. Ich mochte die alte Dame. Wäre das o.k.
für sie?“ Mit großen fragenden Augen sah er erst mich dann Helen
an. Dort blieb sein Hundeblick dann auch hängen. Es fehlte nur noch
das er die Zunge raus hängen lies und Männchen machte. Bei dieser
Vorstellung fiel es mir verdammt schwer nicht in lautes Gelächter
auszubrechen.
Helen schnappte vor Glückseligkeit nach Luft. Ich hatte Angst das
sie mir vor lauter Glückseligkeit noch in Ohnmacht fallen
würde.
„Natürlich ist das in Ordnung“, sprudelte es aus ihr heraus.
„Hätten sie vielleicht Lust heute Abend zu unserer Pension zu
kommen? Wenn es nicht zu regnen beginnt wird dort heute noch
gegrillt, was bestimmt lustig wird.“ sprudelte es unaufhaltsam
weiter aus ihr heraus.
Helen wirkte total euphorisch. Mr. Mitchell sagte natürlich sofort
zu. Uhrzeit und Adresse waren schnell ausgetauscht. Beim
Verabschieden musste ich Helen schon fast gewaltsam aus dem Büro
ziehen. Sie war zu ihrer alten Lebhaften Form
zurückgekehrt.
„Dieser verdammte
Sheriff Thomson. Wie hat er nur so schnell rausgefunden das Chrisi
auf der Insel ist?“ fragte Alexander mehr sich selbst, als das er
von Patrick und Paul die es sich im Wohnzimmer auf der Couch bequem
gemacht hatten und die Türsteher in seinem Club waren, eine Antwort
erwartete. Außerdem waren die drei sehr gute Freunde. Ihnen würde
Alexander jederzeit ohne Wenn und Aber sein Leben anvertrauen. Es
würde aber mit Sicherheit nicht viele Menschen geben die es
wagen würden, sich gegen Patrick und Paul zu wenden, denn die
beiden waren große, sehr gut durchtrainierte Schränke von
Männern.
„Wahrscheinlich wurde Chrisi auch von ihrer Seite aus in
Deutschland beobachtet.“, warf die zierlich gebaute Jenny
dazwischen, die lässig an der dunkelbraunen Glasvitrine
lehnte.
Alexander lief wie ein unruhiger Löwe im Käfig auf und
ab.
„Wir können sie nicht ohne Beobachtung hier rumlaufen lassen.
Chrisi ist hier nicht sicher. Am besten, wir haben abwechselnd ein
Auge auf sie. Lasst euch aber von Chrisi nicht erwischen, sonst
holt sie Thomson weil sie sich gestalkt fühlt und wir haben ein
noch größeres Problem wenn sie sich den Wölfen freiwillig und
unwissend zum Fraß serviert.“
Alexander teilte die Schichten ein, wer wann von ihnen auf Chrisi
aufpassen soll. Als ersten erwischte es Paul. So eine rundum
Schicht machte ihm nichts aus, da keiner von ihnen Schlaf
benötigte. Doch zur Tarnung musste jeder von ihnen seinen
Verpflichtungen nachgehen.
„Mach dich auf die Suche nach ihr. Sie müsste wieder in dieser
Pension sein, bei der Chrisi und ihre Schwester eingecheckt haben.
Ich mach mich auf die Suche nach Direktor Link. Paul ich muss mit
ihm sprechen. Melde dich bitte sofort bei mir wenn du sie gefunden
hast. Und Paul, wenn Gefahr aufzieht ruf uns. Keine Alleingänge,
ist das klar?“ Befahl Alexander.
„Alles klar Boss mach dir keine Sorgen, ich weiß doch wie wichtig
sie dir ist.“ Paul legte seinen Arm um Alexanders Schulter, „ich
passe schon gut auf sie auf, schließlich kenne ich sie schon seit
sie schon zum wievielten Male? in die Windeln gemacht
hat.“
Paul hielt sich die Nase zu und verschwand grinsend als Alexander
ihm freundschaftlich in die Seite boxen wollte.
An weitere
Nachforschungen war heute nicht mehr zu denken, Helen führte sich
auf als ob sie unter Drogen stehen würde. Bei ihr war es eindeutig
die Liebesdroge, die alle ihre Hormone in Wallung
brachte.
Auf der ganzen fahrt zurück zur Pension hörte ich nur Robert hin
und Robert da, wie nett Robert doch ist und wie gut er aussieht.
Helen wollte nicht einmal etwas zu Mittag essen. Das was sie wollte
war, schnell in ihr Zimmer und etwas passendes für heute Abend zum
Anziehen finden. Duschen, hübsch stylen und dann sehnsüchtig
schmachtend auf Robert warten. Ich für meinen Teil dagegen hatte
einen Bärenhunger. Heute Morgen hatte ich auf der Fahrt in die
Innenstadt, in der Nähe der Pension ein kleines Lokal namens Daisy
entdeckt, das wollte ich aufsuchen. Ich hoffte nur dass ich es
wiederfand, sonst müsste ich wohl elendig verhungern.
Doch das Glück war auf meiner Seite, das Lokal befand sich gleich
um die Ecke. Es war nicht groß, aber sehr gemütlich. Eingerichtet
mit kleinen Bistrotischen und Stühlen. Eine kleine Bar zierte die
Wand gleich neben dem Eingang. Auf einer großen Tafel die an der
Wand gegenüber von der Bar hing, standen die heutigen
Mittagsangebote.
Ein Tisch in einer Ecke, von der aus ich alles übersehen konnte,
wurde zu meinem Lieblingsplatz auserkoren. Denn ich war mir sicher
dass ich nicht das letzte Mal hier war, vorausgesetzt das Essen
schmeckte auch. Ich bestellte mir einen leckeren Burger. Bei den
anderen Speisen war ich mir nicht immer sicher was es denn
eigentlich war, da ich mit den einheimischen Speisen nicht sehr
vertraut war. Mein Hunger war heute für Experimente in Sachen Essen
einfach zu groß.
Am Nebentisch saß ein älterer Mann, der so um die sechzig war und
eine herzliche Ausstrahlung besaß. Belustigt sah er mir beim Essen
zu.
„Sie müssen schon sehr hungrig gewesen sein, so wie sie den armen
Burger runter schlingen“, lachte er.
Da ich gerade einen großen Bissen genommen hatte, konnte ich nur
mit „mhm“ antworten.
„Sie sind wohl nicht von hier, obwohl ich schwören könnte das
ich ihr Gesicht schon mal gesehen habe.“
Diese Aussage ließ mich aufhorchen, ich schluckte den noch viel zu
großen Brocken Burger fast in einem Stück hinunter und verschluckte
mich dummerweise noch dabei. Den sich nun bemerkbar machenden
Hustenreiz, konnte ich nicht mehr unterdrücken. Mein Kopf lief rot
an, so stark beschwerte sich mein innerstes über mein ungesundes
Essverhalten.
„Na, na sie sollten besser kauen und nicht alles auf einmal
versuchen zu schlucken, soviel Zeit sollten sie sich schon nehmen“,
lachte der Mann, kam zu mir rüber und klopfte mir auf den
Rücken.
Nach einer gefühlten Ewigkeit hatte ich mich und meinen
geschundenen Körper wieder unter Kontrolle.
„Geht es wieder?“
Ich nickte, was der Mann als Zeichen sah sich wieder entfernen zu
können und sich auf seinen Platz setzte.
Ich nahm einen großen Schluck von meiner gut gekühlten Cola light,
„ ja danke, es geht schon.“ Sagte ich mit einer etwas kratzigen
Stimme.
Jetzt bekam der Mann einen schuldbewussten
Gesichtsausdruck.
„Ich hoffe dass sie sich nicht wegen mir verschluckt haben? Das
täte mir sehr leid, das lag bestimmt nicht in meiner
Absicht.“
Ich winkte ab, „nein, nein ich bin einfach nur ein kleiner
Tollpatsch. Ich bin Chrisi Mc Kenzie.“ Streckte dem Mann meine Hand
hin und versuchte die peinliche Sache herunter zu
spielen.
„Jordan Link, es freut mich sie kennenzulernen Chrisi Mc
Kenzie.“
„Darf ich sie fragen was sie damit meinten, das sie mein Gesicht
kennen?“
„Nun ja, ihre Art, ihre Gesichtszüge erinnern mich an eine sehr
liebe Schülerin von früher, ihr Name war Cathrine Kilvert. Aber sie
sind zu jung um Cathrine zu sein!“
Ich schluckte schwer. Konnte das noch ein Zufall sein?
„Sie müssen wissen ich bin hier in Campbell River der
Schuldirektor an der Highschool. Zu der damaligen Zeit allerdings
war ich Geschichtslehrer und Cathrine war eine meiner Schülerinnen.
Sie war sehr schlau. Allerdings das letzte was ich von ihr gehört
hatte, war das sie bei einem Feuer umgekommen war. Die Arme. Sie
hatte damals zwei Töchter das Inferno allerdings überlebt haben.
Sind sie vielleicht eine Tochter von Cathrine?“
Mit großen neugierigen Augen sah er mich fragend an.
„Ja, das bin ich. Ich weiß es allerdings selbst erst seit kurzem.
Unsere Großmutter hatte uns damals zur Adoption freigegeben. Helen,
meine Schwester und ich sind in verschiedenen Familien
aufgewachsen. Und nun, nach so langer Zeit, sind wir
hierhergekommen um mehr über uns und unsere Eltern zu
erfahren. Leider mussten wir feststellen dass wir keine Verwandten
mehr haben, die uns mehr über unsere Eltern und unsere Großmutter
erzählen können. Können sie uns in dieser Sache vielleicht
weiterhelfen und uns mehr über unsere Eltern erzählen?“ fragte ich
hoffnungsvoll den alten Mann.
„So gerne ich ihnen beiden weiterhelfen würde, aber das was ich
weiß, habe ich ihnen gerade erzählt. Tut mir leid. Ich kannte nur
Cathrine aus der Schule und euren Vater kannte ich gar nicht, er
ist im Reservat in die Schule gegangen.“
Der kleine Hoffnungsschimmer der sich gerade aufgebaut hatte, starb
mit einem Knall ab. Es wäre nur zu schön gewesen mehr über unsere
Familie zu erfahren.
Oh diese verdammten Hitzewallungen, dachte ich mir. Jetzt geht das
schon wieder los. Langsam erwärmte sich mein Körper. Wieder nahm
ich einen Schluck von meiner kalten Cola, was aber keine Linderung
brachte.
Jemand öffnete die Eingangstüre und mein Blick wanderte dorthin um
zu sehen wer denn da kam. Mir blieb die Spucke weg, ein großer
gutaussehender Mann mit Wahnsinns blauen Augen und kurzen schwarzen
Haaren kam hereinspaziert. Er sah sich um, hielt einen kurzen
Moment inne als er mich sah, so kam es mir jedenfalls vor, bevor
sein Blick weiter wanderte und an Jordan hängen blieb. Zielstrebig
steuerte er mit seinen Adonis Körper auf Jordan zu.
Eine Reihe perfekter weißer Zähne blitzten auf, als Adonis Jordan
Link lächelnd die Hand schüttelte. Ich musste mich zwingen ihn
nicht wie eine Stalkerin anzustarren. Aber irgendetwas an ihm zog
mich magisch an und er kam mir auf eine vertraute Art und Weise
verdammt bekannt vor. Was natürlich Unsinn war. Nur schwer konnte
ich mich unter Kontrolle halten nicht aufzustehen und ihm um den
Hals zu fallen. Dieses Gefühl, diesen Mann schon ewig zu kennen,
verstärkte sich von Minute zu Minute. Es war als würde uns eine
Vergangenheit miteinander verbinden. Und er sah dem Typen ähnlich
den ich in den letzten Jahren in meinen Träumen, wenn man es so
nennen will, gesehen hatte.
„Hallo Direktor, sie sind der Mann den ich gesucht habe.“ Sagte
Adonis mit einer tiefen, seidigen Bassstimme die mein innerstes
erbeben ließ. Noch nie in meinem Leben hatte ich eine so erotische
Stimme gehört.
„Hallo Alexander, schön dich zu sehen. Setz dich zu mir mein Junge.
Wie kann ich dir denn heute helfen? Welcher meiner Schüler hat in
deinem Club wieder Ärger gemacht?“ Fragte Jordan wie
selbstverständlich.
Stückchenweise aß ich an meinem Burger weiter, der nun schon fast
kalt war, und schon ein wenig ledrig.
Als ich auf meine Uhr sah erschrak ich, war es wirklich schon so
spät geworden? Ich wollte doch noch für heute Abend Fleisch und ein
paar andere Dinge zum Grillen besorgen. So schwer mir es auch fiel
in diesem Augenblick zu gehen, ließ ich mir die Rechnung bringen
und zahlte. Zögernd ging ich auf den Tisch der beiden Männer
zu.
„Direktor Link, ich muss jetzt leider gehen, aber dürfte ich
trotzdem noch einmal auf sie zukommen, und sie in den nächsten
Tagen in der Highschool besuchen? Vielleicht fällt ihnen noch etwas
zu meiner Mutter ein?“
„Natürlich dürfen sie das Chrisi, jederzeit. Ich lasse mir das
Ganze auch noch einmal durch den Kopf gehen, es kann schließlich
sein das mir das eine oder andere noch einfällt. Ich bin nicht mehr
der Jüngste und da vergisst man schon so manches. Ach Chrisi darf
ich ihnen Alexander Roven vorstellen? Er hat einen netten Tanzclub
auf der anderen Seite der Stadt. Alexander das ist Chrisi Mc
Kenzie, ihre Mutter ging bei mir in die Klasse, als ich noch
aktiver Lehrer war.“
Leicht nervös reichte ich Alexander Roven die Hand, die er mit
einer fließenden elegant wirkenden Bewegung seinerseits
entgegennahm.
„Hallo Ms Mc Kenzie schön sie kennenzulernen.“
Unsere Hände hatten sich kaum berührt als sich wieder das Bild von
dem Mann am Strand vor meine Augen schob. Es war nur ein kurzer
Augenblick, doch die Berührung und die Vision lösten in mir ein
absolutes Gefühlscaos aus und raubten mir für einen Moment den
Atem. Warum löste dieser Mann eine solch heftige Reaktion bei mir
aus? Erschrocken wich ich einen Schritt zurück.
Alexanders sah mich besorgt an, doch er sagte nichts. Jordan
dagegen hatte von meiner Atemlosigkeit nicht das geringste
mitbekommen.
„Hallo.. Mr. Roven.“ stotterte ich und versuchte mein peinliches
Verhalten zu überspielen.
Schnell zog ich meine Hand wieder zurück und blickte verlegen zu
Boden.
„Also bis bald Direktor, Mr. Roven.“ Ich nickte den beiden Männern
höflich zu. ich musste hier schnell raus.
Fast fluchtartig verließ ich das Lokal. Draußen vor der Türe holte
ich erst einmal tief Luft. Mein Blick fiel dabei geradewegs auf
einen schwarzen BMW. Es war der gleiche BMW den ich heute Morgen
schon gesehen hatte. Konnte das nur Zufall sein?
Nachdenklich machte ich mich auf den Weg zurück zur Pension. Je
weiter ich mich entfernte, umso mehr bekam ich auch meine
Hitzewallung und auch mich selbst wieder unter Kontrolle. Meine
Gedanken kreisten um diesen Alexander Roven und um den BMW der vor
dem Lokal geparkt hatte. Alexander hatte etwas Besonderes an sich.
Etwas was ich nicht erklären konnte, zog mich wie magisch in seinen
Bann.
Ich war so sehr in meine Gedanken vertieft, dass ich erst merkte
dass ein mir fremdes Auto langsam, mit herunter gelassenem Fenster
neben mir herfuhr, als ich auch schon aus dem Auto heraus
angesprochen wurde.
„Hallo Chrisi.“ sagte eine mir bekannte Stimme. Ein Lächeln
schmuggelte sich auf mein Gesicht. Ich bückte mich leicht um besser
in das Auto sehen zu können.
„Hallo Tom, schon fertig mit arbeiten?“ sagte ich
überrascht.
Nur schwer konnte ich die Gedanken an Roven verdrängen, aber Tom
half mir sichtlich dabei.
„Ja, am Freitag lassen sie uns schon mittags aus unseren Käfigen
raus und nach fünf Peitschenhiebe wieder nach Hause.“ grinste Tom.
„Aber ich war ehrlich gesagt auf der Suche nach dir. Ich wollte
dich fragen ob du mit zum Einkaufen fahren willst? Für heute Abend
zum Grillen brauchen wir noch einige Sachen.“
Mir kam es so vor als ob Tom bei dieser Frage rot angelaufen war,
obwohl es eine so banale Frage gewesen war. Was wiederrum bewirkte
dass sich bei mir ein paar Schmetterlinge im Bauch bemerkbar
machten.
„Ja gerne, ich war sowieso gerade auf dem Weg zurück zu euch, ich
wollte Helen um ihr Auto bitten, damit ich alle Besorgungen
erledigen kann. Da sie ja voll und ganz mit stylen beschäftigt ist.
Heute Abend kommt nämlich auch unser Anwalt in den sich Helen
tierisch verguckt hat. Ich hoffe das ist kein Problem wenn unser
Anwalt auch kommt?“ Fragte ich vorsichtshalber mit einem schlechten
Gewissen nach, da ich Tom gerade mit dieser Tatsache überfahren
hatte. Doch er winkte ab und setzte sein absolut charmantes Lächeln
auf.
„Nein, nein so lange er keine Klage für uns mit hat! Und es ist
auch nun mal eine Tatsache, je mehr Leute da sind umso lustiger
wird es. Obwohl ich heute schon alleine darüber glücklich wäre,
wenn nur du kommen würdest.“
Verlegen sah er sein Lenkrad an und knetete es
durch.
„Komm steig schon ein, ich beiße auch nicht. Versprochen“, dabei
klopfte er mit der Hand auf den Beifahrersitz.
Ich schlüpfte ins Auto und gurtete mich an.
„Woher hast du eigentlich gewusst wo du mich suchen
musst?“
„Na ja, Helen hat mir gesagt das du zum Essen gehen wolltest und da
nur das Daisy in unmittelbarer Nähe und das zu Fuß erreichbar ist,
habe ich dich sofort gefunden. Ich hoffe du empfindest das nicht
als zu aufdringlich?“
Ich lachte auf.
„Nein natürlich nicht Tom, ich bin froh das ich mit dir mitfahren
kann. So finde ich wenigstens wieder zurück zur Pension. Ich habe
nämlich keinen sehr guten Orientierungssinn musst du wissen. Und
dann hättet ihr heute ohne mich gegrillt und ich wäre dann irgendwo
in Campbell River jämmerlich und vor mich hin weinend
verhungert.“
Tom kriegte sich vor Lachen fast nicht mehr ein.
Tom war ein ruhiger und guter Fahrer, ganz anders als ich, meine
Fahrweise war hektischer und ich schimpfte gerne über die anderen
Autofahrer, auch wenn es meine Schuld war.
Ich fühlte mich in Toms Nähe wohl. Er strahlte Wärme und
Geborgenheit aus.
Tom parkte seinen Wagen der sich als Toyota entpuppte, auf
dem Parkplatz vor einem großen Lebensmitteldiscounter.
Ich kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. So einen riesen
Discounter fand man in Deutschland nicht. Regale die ewig hoch
waren und unendlich lange. Ein Gang war alleine nur für Corn Flakes
da, man konnte Corn Flakes mit Zimt, Corn Flakes mit Nougat, Corn
Flakes ohne alles, und, und, und haben. An der Fleischtheke
wusste ich sofort dass ich mich an das mir alt bekannte und vor
allem am fettlosen Fleisch halten werde.
Tom wich mir bei der ganzen Einkaufstour nicht einmal von der Seite
bis wir wieder bei seinem Auto angekommen waren. Immer wieder
berührten wir uns wie zufällig und sofort machten sich dann die
Schmetterlinge in meinem Bauch bemerkbar, auch wenn diese Gefühle
anders waren, als die, die ich für diesen Roven empfand.
„Chrisi ich muss nur noch schnell zwei Straßen weiter in der
Reinigung etwas für meine Schwester abholen, dann können wir nach
Hause fahren. Ist das o.k. für dich?“ Riss Tom mich aus meinen
Gedanken.
„Natürlich ist das o.k., schließlich bist du der Fahrer und ich
will nicht mitten in Campbell River ausgesetzt werden.“ Sagte ich
gespielt panisch.
Tom grinste, „mit dir wird es wohl selten langweilig.“
„Das kann ich dir leider nicht sagen, das musst du schon selbst
herausfinden.“ Sagte ich herausfordernd.
„Das werde ich Chrisi, das werde ich.“
„Tom denkst du dass das Wetter heute Abend durchhält?“ fragte ich
mit einem besorgten Blick nach oben. Den ganzen Tag schwebten schon
graue Wolken über uns hinweg.
„Keine Sorge, das hält aus. Der Wetterbericht hat erst für Morgen
Regen angesagt, und meistens behält der Wetterbericht auch recht.“
Beruhigte er mich.
„O.k. wenn du das sagst, will ich dir das mal glauben.“
Tom bog gerade auf die Hauptstraße ab, als ich die langsam
aufsteigende Wärme in mir spürte. Jetzt ging das schon wieder los.
Ich öffnete das Seitenfenster einen Spalt um mir etwas
Abkühlung zu verschaffen. Tom hatte die Straße schnell
erreicht in der die Reinigung lag.
„Ich bin gleich wieder da!“ Tom stieg aus und war in der Reinigung
verschwunden.
Ich stieg ebenfalls aus und lehnte mich an den Toyota. Die Wärme in
mir hatte jetzt seinen Höhepunkt erreicht. Tief atmete ich die
kühle Luft ein. Plötzlich wurde mir schwindelig. Vor meinen Augen
baute sich ein Bild auf. Ein großer Mann ohne Gesicht, der einen
anderen Mann, der mir bekannt vorkam und der Roven verdammt ähnlich
sah, mit einem Stoß einen Abgrund hinunterstürzte. Mir stockte der
Atem, ich hatte das Gefühl schreien zu müssen, konnte es aber
nicht. Panik und Angst um den gestürzten Mann machte sich in mir
breit. Ich hörte jemanden meinen Namen rufen.
„Ms Mc Kenzie ist alles in Ordnung mit ihnen?“
Jemand rüttelte mich leicht durch. Mein Blick klärte sich langsam
wieder, ich befand mich immer noch neben dem Toyota, nur kniete ich
jetzt schwer atmend daneben. Mein Herz raste wie verrückt. Ich
spürte zwei Hände die mich stützten damit ich nicht umkippte.
Langsam stemmte ich mich in die Höhe und lehnte mich wieder mit dem
Rücken gegen das Auto. Das kühle Blech tat mir gut.
„Langsam Ms Mc Kenzie, nicht das sie mir wieder
umfallen.“
Der Schwindel legte sich nun auch wieder, nachdem die Vision
wieder verschwunden war. Die fremden Hände stützten mich immer noch
sanft aber sicher.
„Geht’s wieder? Oder soll ich einen Arzt holen?“ fragte mich eine
mir bekannte tiefe Stimme, die aber einen sehr besorgten Unterton
hatte. Ich hob meinen Kopf und ich sah in die blauen Augen die mir
heute schon einmal begegnet waren und mir den Kopf verdreht
hatten.
Aus dem Hintergrund vernahm ich jetzt eine andere mir bekannte
Männerstimme.
„Chrisi was ist passiert? Geht es dir nicht gut?“
Tom drängte sich an Alexander Roven vorbei, der mich etwas
irritiert ansah. Tom dagegen kassierte einen bösen Blick, was
Tom aber kalt lies.
Immer noch mit leicht erhöhten Atembewegungen antwortete ich, „
nein es geht schon wieder. Ich denke das ist der Jetlag der sich
immer noch bemerkbar macht, es würde mir wahrscheinlich nicht
schaden wenn ich mehr trinken würde bei einem so langen Flug, so
wie es immer in den Broschüren empfohlen wird.“
Was redete ich nur für ein dummes Zeug zusammen? Das interessierte
doch niemanden.
Tom und Mr. Roven sahen mich immer noch sehr besorgt an, aber
ignorierten sich gegenseitig.
„Mr. Roven, danke für ihre Hilfe, aber ich glaube ich habe das
schlimmste hinter mir. In der Pension werde ich mich noch etwas zum
Schlafen hinlegen.“ versuchte ich die beiden zu
beruhigen.
„Und sie brauchen wirklich keinen Arzt? Es wäre gut wenn sie sich
wenigstens nur mal den Blutdruck messen lassen würden oder was man
sonst noch alles in so einer Situation macht.“ Schlug Roven vor und
strich mir dabei sanft an meinem Arm entlang, was mir einen
angenehmen Schauer den Rücken runter jagte und mir automatisch den
Blutdruck in die Höhe drückte.
„Nein ich denke das ist nicht nötig. Mir geht es wirklich schon
wieder besser!“
Tom drängte sich jetzt forsch zwischen mich und Alexander, das
Alexander keine Chance mehr bekam mich zu berühren, geschweige denn
anzusehen.
„Sie hat gesagt das es ihr wieder gut geht, ich denke nicht das wir
noch länger ihre Hilfe brauchen Mr. Roven. Ich kümmere mich schon
um Chrisi, ich bringe sie gut nach Hause damit sie sich ausruhen
kann“, sagte Tom in einem etwas zu gereiztem Ton für meinen
Geschmack. Oh immer diese Testosteronkämpfe der Männer.
„Tom er hat mir doch nur geholfen“, versuchte ich zu
schlichten.
Alexanders Augen sprühten Tom vor Wut nur so an, dabei kam es mir
so vor, als ob sich seine Augenfarbe verändert hätte. Sie
erschienen plötzlich in einem sehr hellen blau. Ich konnte mich
aber auch täuschen, da Tom sich immer noch vor mir wie ein
Bodyguard aufbaute und auch mir damit größtenteils die Sicht auf
Alexander nahm.
Tom öffnete die Wagentüre, und schob mich von ihm gestützt auf den
Beifahrersitz.
„Gleich kannst du dich ausruhen Chrisi. In zehn Minuten sind wir zu
Hause. Ich bereite in der Zeit in der du dich erholst alles für
unseren Grillabend vor damit du anschließend sofort was essen
kannst, wenn du wieder aufgestanden bist.“
Bevor ich mich noch einmal bei Alexander für seine Hilfe bedanken
konnte, ließ Tom die Wagentüre zufallen. Warf nun seinerseits
Alexander einen wütenden Blick zu, stieg in den Toyota und fuhr
los.
Alexander stand mit geballten Fäusten auf dem Gehweg. Wenn Blicke
in diesem Moment töten hätten können, wäre Tom auf der Stelle tot
umgefallen. Sein Blick eiste sich von Tom los und schweifte zu mir.
Jetzt lag wieder diese Besorgnis in seinem Blick gemischt mit
Traurigkeit. Ich hob die Hand und winkte im zum Abschied zu.
Irgendwie fühlte ich mich elend. Es konnte nicht richtig sein
Alexander einfach stehen zu lassen. Dieser Anblick zerriss mich
innerlich, die Sehnsucht nach Roven stieg ins
unermessliche.
Was natürlich Quatsch war, da ich diesen Mann ja nicht mal kannte.
Wir hatten uns doch erst zweimal getroffen. Es war wahrscheinlich
nur das schlechte Gewissen das mich so fühlen lies. Dann war da
noch Tom, den ich mochte, der sich gerade aber wie ein Testosteron
gesteuertes Kind benommen hatte.
Hier drängte sich mir die Frage auf, konnte man sich in zwei Männer
gleichzeitig verlieben? Wieso konnte das Leben nicht einmal nur
einfach sein, nein es musste gleich wieder kompliziert
werden.
Mein Gedankengang wurde von Tom unterbrochen.
„Chrisi geht es dir wirklich wieder gut? Ich kann auch Doc Gardener
rufen damit er dich mal durchcheckt?“
Ich grinste verlegen. „Das ist wirklich nicht nötig Tom, mir geht
es wieder gut. Mir war nur kurz schwindlig. Ich wäre dir auch sehr
dankbar wenn du Helen davon nichts erzählen würdest, sie würde sich
dann nur unnötig Sorgen machen. Tust du mir bitte den Gefallen,
Tom?“
„Wenn es dir so wichtig ist, sag ich Helen nichts davon, aber
sollte das noch einmal passieren, musst du mir versprechen dass du
einen Arzt aufsuchst. Bitte Chrisi!“
Ich seufzte, „o.k. ich verspreche es dir, aber es ist bestimmt
nichts. Es liegt einfach nur an der Anstrengung der letzten Tage,
nicht mehr und nicht weniger. “ Versuchte ich ihn zu
beruhigen.
Wenn ich ehrlich war hatte mich dieses Erlebnis gerade mehr
geschlaucht als ich zugeben wollte. Mein Körper fühlte sich müde
und erschöpft an. Ich versuchte dieses Gefühl der Müdigkeit zu
verdrängen und konzentrierte mich auf das eben geschehene. Was
hatte ich da gerade nur gesehen? Warum hatte ich ständig diese
Visionen? Und vor allem, warum erst seit ich mich auf den Weg nach
Vancouver Island gemacht habe? Früher hatte ich nicht mal
annähernd so etwas wie eine Vision. O.k. ich hatte oft ganz
verrückte Träume mit Vampiren und Werwölfen, die sich auch oft
wiederholten, aber mehr schon auch nicht.
An der Pension angekommen, sprang Tom förmlich aus seinem Auto,
rannte drum herum, öffnete mir die Türe und half mir beim
aussteigen.
„Danke Tom, aber den Rest des Weges schaffe ich alleine.“
Tom nickte nur und ließ mich nur mit wiederstrebend los. Ich war so
was von froh als ich endlich in meinem Bett lag. Sofort fiel ich in
einen tiefen und Traumlosen Schlaf.
Kurz darauf, so kam es
mir jedenfalls vor, klopfte jemand an meine Türe.
„Ich schlafe noch.“ Brummte ich.
Eine weibliche Stimme, die ich Helen zuordnen konnte, meldete
sich, dabei öffnete sie vorsichtig die Türe meines Zimmers und
streckte den Kopf herein.
„Chrisi bist du wach? Wenn nicht dann werde jetzt bitte wach. Wir
warten alle im Garten auf dich. Es ist Abendessenszeit. Tom ist
dabei leckeres Fleisch zu grillen. Er hat mir auch aufgetragen
nicht ohne dich runter zu kommen.“ Dabei grinste sie über das ganze
Gesicht.
„Es hat ihn wirklich schwer erwischt.“
Nur schwer konnte ich meine Augen öffnen. Ich fühlte mich als ob
ich von einem Truck angefahren worden wäre.
„Wie spät haben wir es denn?“ seufzte ich.
„Es ist kurz vor sieben Uhr, du hast geschlagene vier Stunden
geschlafen.“
„Was?“ schreckte ich im Bett hoch. „Das kann nicht sein, ich habe
mich doch gerade erst zum hingelegt! Zumindest kommt es mir so
vor.“ Ich ließ mich wieder zurück fallen.
Helen machte es sich bei mir auf dem Bett bequem.
„Nein mein Schatz, du liegst schon länger im Schlaf der Gerechten,
als du schlafen solltest. Schließlich wartet im Garten ein
attraktiver Mann, der es nicht erwarten kann, bis er dich wieder
sieht. Trotzdem war es komisch, ich wollte dich ja schon früher
aufwecken, aber Tom hat es mir mehr oder weniger verboten. Ständig
hat er sich etwas einfallen lassen womit er mich davon abgehalten
hat dich zu wecken. Weiß ich etwas nicht? Hast du etwa Geheimnisse
vor mir?“
Ich wälzte mich aus meinem Bett und versuchte das Thema zu
wechseln. Wenn ich gerade aufgestanden bin, konnte ich noch nicht
über Liebe reden, zumindest nicht wenn es sich dabei um mich
drehte.
„Ist Robert schon da?“ Stellte ich die Frage aller Fragen und
konnte Helen damit auf ein anderes Thema lenken.
„Nein, er müsste aber jeden Moment kommen, sonst wäre ich doch
nicht hier bei dir, wenn Robert schon da wäre.“
Wie auf das Stichwort hörten wir wie ein Auto vor das Haus fuhr und
parkte. Helen sprang wie von der Tarantel gestochen aus meinem Bett
und rannte zum Fenster.
„Oh Gott Chrisi er ist da. Robert ist da!“ Helen hüpfte wie ein
Pingpongball von einem Fuß auf den anderen. „Oohhh er sieht so gut
aus. Und du wirst es nicht glauben, er hat Blumen mitgebracht, die
sind bestimmt für mich. Ich geh jetzt runter und du solltest dich
endlich fertig machen. Tom schmachtet nach dir.“
Helen hatte es kaum ausgesprochen als sie auch schon aus meinem
Zimmer wie auf turbogesteuerte Wolken hinaus schwebte.
Ich schleppte mich ins Bad um mir mein Gesicht mit kaltem Wasser zu
waschen. Hoffentlich machte mich das wieder fit für den Abend der
vor mir lag. Eigentlich freute ich mich darauf den Abend mit Tom zu
verbringen, andererseits ging mir das geschehene nicht aus dem Kopf
genauso wie Alexander Roven. Immer wieder drängte er sich in meine
Gedanken, was die Sehnsucht nach ihm nicht schmälerte. Was stimmte
mit mir nur nicht?
Das kalte Wasser tat seine Wirkung und ich war wieder halbwegs ein
Mensch.
Ich machte mich auf den Weg in den Garten, der hinter dem Haus lag.
Lautes Gelächter war zu hören. Ich konnte Helen heraushören, sie
lachte lauter als normalerweise, was darauf deutete dass sie sehr
Nervös war, das hatte ich schon herausgefunden.
Tom stand am Grill und fuchtelte wie ein Profikoch mit der
Grillgabel herum. Ein Lächeln stahl sich auf mein Gesicht. Er sah
so sexy aus mit Grillgabel und Schürze. Wie er wohl aussah wenn er
nur die Grillschürze anhatte und nichts darunter? Mein Grinsen
wurde noch breiter. Ich schüttelte meinen Kopf um wieder anständige
Gedanken hineinzulassen.
Robert hing Helen an den Lippen, wie ein Alkoholiker an einer
Flasche Whiskey.
Keine Ahnung was sie ihm alles erzählte, aber es musste verdammt
spannend sein.
Dann war da noch Carmen mit einem Mann den ich nicht kannte, der
aber wie es aussah ihr Ehemann war.
Ich steuerte auf Tom zu. Seine Augen fingen zu strahlen an als er
mich entdeckte.
„Hallo Chrisi, hast du dich gut erholt von heute Nachmittag?“
fragte er mich Augenzwinkernd.
„Ja das habe ich Tom, ich denke mir fehlte einfach nur der Schlaf.
Hier geht es ja schon ganz schön rund.“
„Ja das tut es, und ist dir aufgefallen das hier nur Pärchen
sind?“
Ich verstand die Anspielung von Tom, wollte aber nicht darauf
eingehen. Mit hochrotem Kopf versuchte ich Tom auf ein anderes
Thema abzulenken.
Ich fragte ihn mit einem keine Ahnung Ton, „Wann ist denn das
Essen fertig?“
Und hoffte das diese Taktik nicht zu offensichtlich war.
Ein Grinsen breitete sich in Toms Gesicht aus. „Dauert nicht mehr
lange, es ist ein gutes Zeichen wenn du Hunger hast. Das erste und
größte Stück ist natürlich für dich reserviert.“
„Danke, ich fühle mich geehrt.“ Lachte ich.
Carmen kam auf mich zu. „Hallo Chrisi, hast du gut
geschlafen?“
„Ja das habe ich, danke. Ihr habt sehr gute Matratzen in euren
Zimmern.“
„Das freut mich zu hören. Darf ich dir meinen Mann Michael
vorstellen. Er ist immer die ganze Woche über in Vancouver. Durch
seinen Job geht das leider nicht anders. Michael das ist Chrisi,
Helens Schwester.“
Michael war ein sportlicher aber unscheinbarer Typ Mann. Nicht sehr
groß er überragte mich gerade mal einen halben Kopf. Durchaus hatte
Michael eine sympathische Ausstrahlung und er begrüßte mich ganz
herzlich. Seine Geheimratsecken waren schon sehr weit
fortgeschritten, und das in seinem Alter. Ich schätzte ihn auf gute
fünfunddreißig Jahre. Wie viele Haare er wohl dann mit
fünfundvierzig noch auf dem Kopf hat?
„Freut mich dich kennenzulernen Chrisi, wie ich gehört habe hast du
Tom ganz schön den Kopf verdreht.“
Michaels Grinsen war unschlagbar. Tom sah ihn böse an drehte dann
aber gleich seinen Kopf so weit in die andere Richtung damit ich
nicht sehen konnte das sein Gesicht rot wie eine Tomate
wurde.
„Ach wirklich?“ spöttelte ich zurück. „Wo hast du das denn gehört
Michael?“
„Tja wir haben da lauter kleine Wichtel im Garten die einem eine
solch bedeutende Nachricht gleich erzählen, musst du
wissen.“
„Du wolltest ja heute nichts zu essen, nicht wahr Michael?“ meldete
sich Tom peinlich berührt.
„Wieso Tom, wäre das ein Geheimnis gewesen? Dann hättest du es
besser verstecken müssen. Aber es wird sowieso mal Zeit das du
unter die Haube kommst. Du bist schon viel zu lange
alleine.“
Wieder bekam Michael einen bösen Blick zugeworfen. Zur Untermalung
des Blickes drohte ihm Tom dieses Mal mit der Grillgabel.
„Ich wenn du wäre Michael, würde heute gut auf dein Bier aufpassen,
nicht das dir noch einer aus Versehen rein spuckt.“
Ich konnte mich nicht mehr halten. Laut prustete ich los. „Da heißt
es immer wir Frauen wären Hormongebäutelt aber das Testosteron
übertrifft uns noch bei weitem.“
Helen und Robert hatten nichts von dem Gespräch mitbekommen, die
beiden waren so mit sich selbst beschäftigt, dass die Welt hätte
untergehen können und die beiden hätten es nicht bemerkt.
Der Abend verlief ruhig und lustig zu gleich. Das Fleisch war ein
Gedicht, zart und nicht zu trocken. Ich musste zugeben, Tom
verstand was vom Grillen.
Wie selbstverständlich waren wir alle Pärchen weise um den Tisch
gesessen. Robert erzählte uns lustige Anekdoten von unserer
Großmutter. Das sie eine starke Frau war und so mancher Vertreter
sein blaues Wunder erlebt hatte wenn er bei ihr vor der Türe stand.
Einer war laut Robert sogar weinend davongelaufen. Von dem
vielen Lachen liefen mir Tränen an meinen Wangen runter und diese
dann auch noch an zu schmerzen.
Da es zu dieser Jahreszeit kalt wurde, sobald die Dämmerung
hereinbrach, räumten wir gemeinsam auf und machten es uns
anschließend im Haus bequem.
Tom holte aus der Küche noch etwas zu trinken, ich ging ihm nach um
ihm zu helfen.
„Was kann ich dir abnehmen Tom?“
Tom und ich waren alleine in der Küche, die anderen machten es sich
bereits im Wohnzimmer bequem. Als Tom auf mich zukam, und mir tief
in meine Augen bis auf den Grund meiner Seele sah.
Mit seinen Fingerspitzen strich er mir sanft an meiner Wange
entlang. Mein Atem beschleunigte sich. Tom näherte sich langsam
meinem Mund. Zuerst küsste er mich zögerlich, dann wurde sein
Verlangen drängender als Tom spürte dass auch ich nicht abgeneigt
war. Seine Zunge drängte mit einem zärtlichen Druck in meinen
Mund, was ich nur zu gerne zuließ.
Wow konnte dieser Mann küssen! Ob Roven auch so gut küssen konnte?
Oh Gott, was soll denn das? Da küsst mich ein Wahnsinns Mann und
ich frage mich ob Roven auch so gut küssen kann. Bin ich noch bei
Trost?
„Tom wo bleibt der Wein?“ rief Carmen ungeduldig aus dem
Wohnzimmer.
Tom löste sich von mir und dabei verdrehte er die Augen, küsste
mich noch einmal kurz, „Schwestern die haben nie ein gutes
Timing.“
Ich lachte und verdrehte ebenfalls meine Augen, „in diesem Bereich
muss ich erst noch meine Erfahrungen sammeln.“
„Du wirst noch an mich denken, wenn es soweit ist.“ Lachte
Tom.
Beide gingen wir wieder zu den anderen als ob nichts gewesen wäre.
Das einzig offensichtliche was sich geändert hatte, war als
wir wieder auf der Couch saßen, Tom zärtlich meine Hand nahm.
Kurzzeitig wurde es still und viel sagende Blicke waren auf uns
gerichtet.
„Was? Habt ihr noch nie eine Frau und einen Mann gesehen die
Händchen halten?“ fragte Tom die anderen so belanglos wie
möglich.
Schnell wandten sich alle wieder ihrem Gespräch zu dem sie gefolgt
waren, bevor sie unser Anblick irritiert hatte.
Ich spielte gerade mit Toms Fingern als das Telefon klingelte.
Carmen stand auf.
„ Wer kann das denn noch um diese Uhrzeit sein? Eine Reservierung
vielleicht?“
Sie verschwand in der Küche. Im offiziellen Kundenbereich gab es
nur das eine Telefon und das war mit der Wand verkabelt. Carmen kam
mit einem fragenden Blick zurück.
„Chrisi der Telefonanruf ist für dich, ein gewisser Alexander
Roven.“ Carmen hob fragend die Schultern.
„Alexander Roven?“ Wiederholte ich.
Ich spürte wie sich Toms Körperhaltung anspannte und straffte.
Verunsichert stand ich auf, ging in die Küche und hob den Hörer an
mein Ohr.
„Chrisi Mc Kenzie“, meldete ich mich mit einem wahnsinnigen
Herzrasen.
Am anderen Ende der Leitung hörte ich die samtene Bassstimme, die
mir noch immer durch und durch ging wenn ich sie nur hörte und die
vor allem zwischen meinen Schenkeln einen Reiz auslösten, den ich
gerne mit ihm gestillt hätte.
„Hallo Ms Mc Kenzie, entschuldigen sie bitte wenn ich um
diese Uhrzeit noch störe, aber sie sind mir nicht aus dem Kopf
gegangen, bzw. das was heute Nachmittag passiert ist und ich wollte
einfach nur Sicher gehen das es ihnen wieder gut geht und keine
bleibenden Schäden zurück geblieben sind“, sagte er erleichtert und
belustigt zugleich.
„Das ist nett von ihnen Mr. Roven. Und ich kann sie beruhigen, mir
geht es wieder gut. Ich habe am Nachmittag noch etwas Schlaf
nachgeholt und dann war alles wieder in bester Ordnung.“
„Ms Mc Kenzie ich weiß sie kennen mich im Grunde nicht, trotzdem
will ich ihnen meine Hilfe anbieten. Sie können mich jederzeit
kontaktieren, egal um was es sich dabei handelt. Ich weiß das ein
Neuanfang in einem fremden Land nicht immer einfach ist.“
„Danke Mr. Roven für ihr Angebot, aber es ist noch nicht sicher
dass ich auch hier in Campbell River bleibe. Aber wenn es der Fall
sein sollte, werde ich ihr Angebot gerne in Anspruch nehmen.
Ich will mich auch noch einmal für ihre Hilfe heute Nachmittag
bedanken. Und es tut mir leid dass sie von Tom zur Seite gestoßen
worden sind.“
Näher wollte ich auf Toms Verhalten von heute Nachmittag nicht mehr
eingehen.
„Er macht sich eben Sorgen um sie. Ich würde ihnen aber trotzdem
jederzeit wieder zur Hilfe eilen, auch wenn mich Tom zur Seite
prügeln würde.“
„Ich denke nicht das Tom so weit gehen würde und wenn dann würde
ich es nicht zulassen.“
„Schön zu hören. Doch genug für heute, ich will sie nicht von etwas
wichtigem abhalten. Ich wünsche ihnen noch eine ruhige und
erholsame Nacht Ms Mc Kenzie und vielleicht sehen wir uns ja in den
nächsten Tagen. Es würde mich freuen.“
„Ja das wäre schön. Ich wünsche ihnen auch noch eine gute Nacht Mr.
Roven. Danke für ihren Anruf. Gute Nacht.“
„Gute Nacht.“
Es war nichts mehr am anderen Ende zu hören. Alexander hatte
aufgelegt. Woher hatte er gewusst wo ich wohne? Vielleicht kannte
er Tom und wusste somit das ich bei Carmen ein Zimmer gemietet
habe. Ich hatte den Hörer schon längst wieder aufgelegt, trotzdem
brauchte ich noch ein paar Minuten um mich wieder voll im Griff zu
haben, bevor ich wieder zu Tom ging. Tom sah mich prüfend und
fragend an als ich das Wohnzimmer betrat, genau wie alle
anderen.
Hatte Tom etwas gesagt, was am Nachmittag geschehen war? Ich hatte
das Gefühl etwas erklären zu müssen. Neben Tom nahm ich wieder mit
einem unguten Gefühl im Magen und einem Hauch schlechten Gewissens
platz.
„Mr. Roven hat mir nur bestätigt dass das Treffen mit Direktor Link
in Ordnung geht.“ Log ich und versuchte dabei niemanden in die
Augen zu sehen. „Ich habe die beiden heute Mittag im Daisy
getroffen“, gab ich eine weitere Erklärung ab.
Hier hatte ich den Vorteil dass mich keiner der Anwesenden sehr gut
kannte, sonst wüssten sie alle dass ich gelogen hatte. Ich war eine
Miserable Lügnerin, ich wurde beim Lügen immer unsicher und nervös.
Was ich gerade nur mit großer Mühe unterdrücken
konnte.
Alle schienen mit dieser Erklärung zufrieden zu sein. Nur nicht
Tom, der mich immer noch fragend ansah.
„Was ist?“ fragte ich unsicher.
„Das hast du gar nicht erzählt dass du Roven heute schon mal
getroffen hast. Kennt ihr euch schon länger?“ Toms Stimme hatte
einen leicht scharfen Unterton.
Verdammt, ich spürte wie mir das Blut in mein Gesicht schoss. Das
schlechte Gewissen meldete sich, obwohl ich nicht wusste warum,
schließlich hatte ich Roven heute wirklich zum ersten Mal
gesehen.
„Wie kommst du denn auf die Idee? Ich habe ihn heute im Daisy zum
ersten Mal, und nur zufällig getroffen, da ich ein Gespräch mit
Direktor Link führte und Roven ist dazu gestoßen. Wir haben über
meine Mutter gesprochen, die früher in die Klasse vom Direktor
gegangen war. Und als wir Roven später wieder trafen, bat ich ihn
doch einen Termin für mich mit dem Direktor auszumachen, das war
bevor ich meinen Schwächeanfall hatte. Und Roven hat mir diesen
Gefallen getan.“ sprach ich so leise, damit die anderen es
nicht mitkriegten.
Wieder vermied ich es Tom in die Augen zu sehen. Aus dem
Augenwinkel konnte ich erkennen dass sich seine Augen zu schlitzen
zusammenzogen. Hatte Tom mich schon durchschaut? Das wäre nicht
gut. Ganz und gar nicht gut. Natürlich war mir klar dass es nicht
unbedingt der beste Start in eine Beziehung war, den Partner gleich
am ersten Abend anzulügen, aber wenn ich an den Nachmittag
zurückdachte, als Tom und Alexander sich gegenüberstanden, sprühend
vor Testosteron, musste ich das Schicksal nicht noch mehr
herausfordern. Wie selbstverständlich kuschelte ich mich an Tom, so
kam ich nicht in Verlegenheit ihn direkt ansehen zu
müssen.
Alexander seufzte als
er die Verbindung mit Chrisi unterbrach. Sie war ihm so nahe, aber
doch unerreichbar für ihn. Er durfte ihr auf keinen Fall zu nahe
kommen, um sie nicht noch mehr zu gefährden. Er musste alles dafür
tun damit sie in Sicherheit war.
Ob Thomson sie erkannt hatte, als er den Golf angehalten hatte?
Oder wusste er es schon von vornherein das Chrisi, seine Rose war?
Wenn das der Fall war, wollte er vielleicht die beiden
Schwestern in dieser Seitenstraße in eine Falle locken? Bei diesem
Gedanken jagte ein kalter Schauer seinen Rücken hinab.
Was war wenn dies der Fall gewesen war? War dieser räudige Köter
gleich zu Christian gerannt und hat es ihm erzählt, das Chrisi in
der Stadt ist und ich ihm in die Quere gekommen bin, bevor er die
beiden aus dem Auto ziehen und verschleppen konnte?
Alexander machte sich auf den Weg zur zweiten versteckten
Kühlkammer, hinter der offiziellen Kühlkammer von seinem Tanzclub.
Denn der Hunger nach Blut nagte an ihm. Und er durfte sich auch
hier keinen Fehler erlauben, denn er wusste ja nicht wann er Chrisi
wiedersehen würde und da wäre der Hunger eine doppelte Gefahr für
sie. Alexander war bewusst dass auch er im innersten ein Monster
war und jederzeit gefährlich für sie werden konnte.
Niemand der nicht wusste wo diese Kammer war, würde sie je finden.
Denn in dieser Kammer lagen die Beweise dass Alexander nicht so war
wie alle anderen Menschen. Und so sollte es auch bleiben, die
Menschen sollten denken dass er war wie sie, ein Mann mit einem
netten Tanzclub in dem man sich gut amüsieren konnte. Er hatte sich
gut in dieser Stadt eingelebt. Und seine Blutbank in Vancouver war
ihm dabei eine große Hilfe gewesen. Natürlich schmeckte frisches,
warmes Blut von einem Menschen tausendmal besser und gab ihm mehr
Kraft als dieses gekühlte Zeug. Doch Alexander gehörte nicht zu den
Menschenaussaugenden Monstern, die ihm schon oft über den Weg
gelaufen waren, auch wenn er sich bei Gelegenheiten mal einen
Schluck gönnte. Die Menschen bekamen es nicht mit wenn er zubiss,
er gab ihnen dabei die schönsten Gefühle und Gedanken die man sich
vorstellen konnte.
Alexanders Gefährten die ihn über die letzten Jahre treu begleitet
hatten, waren mit der gleichen Einstellung zum Trinken bei ihm
geblieben. Sie waren ein eingeschworenes Team geworden, man konnte
sagen, sie waren eine Familie. Jeder von ihnen würde für den
anderen seine Existenz geben, wenn es die Situation erforderlich
machen würde.
Alexander riss mit den Zähnen den Blutbeutel auf und trank ihn mit
einem Zug leer. Ein zweiter und ein dritter folgten.
Wie wohl Chrisis Blut schmeckt? Alexander schüttelte seinen Kopf um
diesen Gedanken wieder wegzuwischen, was ihm nicht ganz gelang. Zu
groß war das Verlangen nach ihr. Sie roch einzigartig für ihn.
Chrisi hatte immer noch den gleichen anziehenden Duft wie damals
als sie noch in ihrem vorherigen Leben Rose war. Bevor sie ihm von
Christian weggenommen worden war.
Mit schweren Gedanken und frisch gestärkt machte sich Alexander auf
den Weg in seinen Tanzclub, der Proppenvoll war. Doch bevor
er ihn betrat, versicherte er sich noch einmal das an seinem Mund
keine verdächtigen Rückstände mehr zu sehen waren.
Der gestrige Abend war
nach dem Telefonat mit Roven, zwischen mir und Tom nicht mehr
ganz so locker und ungezwungen verlaufen wie er begonnen hatte. Ein
Schatten namens Roven lag zwischen uns. Ich war erleichtert, als
ich mich endlich in mein Zimmer schleichen konnte, als sich die
ersten Gäste verabschiedeten.
Bei Helen und Robert dauerte es noch lange bis er in sein Auto
stieg und davonfuhr. Gute eineinhalbstunden habe ich sie noch
reden, lachen und auch schweigen hören. Bis auch ich es endlich
schaffte einzuschlafen um den anstrengenden Tag hinter mir zu
lassen, der mich viel Kraft gekostet hatte. Trotz alledem fand ich
in keinen tiefen Schlaf, unruhig wälzte ich mich hin und her. Ich
träumte von Tom, wie er Alexander böse ansah, er hielt einen langen
blitzenden Gegenstand in seiner Hand mit dem er schreiend auf
Alexander losging. Und während Tom auf Alexander zu rannte,
verwandelte sich sein Gesicht in das des Sheriffs. Mit einem irren
Blick rammte dieser Alexander den glänzenden Gegenstand in die
Brust. Mir blieb vor Schreck der Atem stehen. Ich wollte schreien,
doch es ging nicht, jemand hielt mir den Mund zu. Meine Gegenwehr
wurde nicht wahrgenommen. Alexander brach wimmernd zusammen.
Weinend streckte ich meine Hand nach ihm aus. Alexander sah mich
an, öffnete seinen Mund und versuchte etwas zu sagen, doch ich
konnte ihn nicht verstehen.
Der Sheriff holte mit der Hand, die zur Faust geballt war, mit
aller Macht aus und schlug ihm ins Gesicht, was Alexander ganz zu
Fall brachte. Das was ich dann zu sehen bekam, ließ mich an meinem
Verstand zweifeln. Alexander konnte dem Schlag nichts
entgegensetzen, er war durch den glänzenden Gegenstand zu sehr
geschwächt worden. Doch plötzlich bäumte sich Alexander mit letzter
Kraft auf. Fauchte den Sheriff vor Wut wie ein wütender Tiger an.
Dabei stachen mir seine weißen mit Blut benetzten Zähne ins Auge.
Nur waren es keine Zähne wie ich sie hatte, es reihten sich zwei
Reißzähne dazwischen als wäre es das normalste der Welt. Alexanders
Augen, sie hatten wiederdiesen unnatürlichen hellen Blau ton
angenommen, den ich am Nachmittag schon bei ihm gesehen zu haben
glaubte. Es war als ob jemand Farbe von seinem natürlichen Blau der
Augen abgelassen hätte. Trotz alledem was ich da sah, verspürte ich
Alexander gegenüber nicht dem geringsten Hauch von Angst sondern
nur diese Vertrautheit und Liebe die schon seit Ewigkeit zwischen
uns zu herrschen schien. Ich wachte weinend auf, was mir noch nie
passiert war, so real war dieser Traum gewesen. Es dauerte eine
Weile bis ich mich wieder beruhigt hatte.
Den Rest der Nacht wälzte ich mich unruhig von einer Seite auf die
andere. Irgendwie schaffte ich es dann doch noch zwei Stunden
Schlaf zu bekommen, bevor mich die tägliche Routine aus dem Bett
holte.
Kurz vor acht Uhr zeigte mein Wecker an. Hundemüde schleppte ich
mich ins Bad um mich Öffentlichkeitstauglich zu machen.
Innerlich hoffte ich, als ich die Treppe hinunter schlich um in die
Küche zum Frühstücken zu gelangen, das Tom noch schläft und ich
mich ihm nicht stellen musste. Auf irgendwelche Diskussionen wegen
dem Telefonat gestern hatte ich um diese Uhrzeit noch keine große
Lust. Das Glück war mir hold, auch den Rest des Samstags.
Als ich Tom am frühen Nachmittag über den Weg lief, sprach er das
Telefonat mit keiner Silbe an und auch sonst gab es ausnahmsweise
keine Hitzewallungen oder Schwindelanfälle. Helen verbrachte den
Rest des Tages mit Robert und ich mit Tom, ein so genanntes Vierer
Date, so als ob es nie anders gewesen ist, was ein Glücksgefühl in
mir auslöste.
Ich gab mir große Mühe nicht an Alexander zu denken, was mir mehr
als schwer fiel und Tom schien das auch zu spüren, oder bildete ich
mir das nur ein? Tom verhielt sich im Gegensatz zu gestern Abend
sehr zurückhaltend, was mir wiederrum nicht gefiel. Doch waren wir
beide zu Feige das Thema Roven anzusprechen, der wie eine große
schwarze Wolke über uns schwebte.
Das Häuschen unserer
Großmutter war ein mittelgroßer renovierungsbedürftiger Traum von
einem Haus. Hier konnte man sich vorstellen, einmal seine Kinder
groß zu ziehen. Es hatte eine große Küche mit einer Essnische, ein
großes Wohnzimmer, drei Schlafzimmer und zwei Badezimmer. Der
Dachboden war noch ausbaufähig und der Keller dunkel und gruselig.
So wie man sie aus den Horrorfilmen kannte. Hier war ich mir
sicher, dass ich den Keller solange er so war wie er war, niemals
alleine runter gehen würde.
Ein riesengroßer Garten grenzte an das Haus an auf dem auch noch
ein kleines Nebengebäude stand, was als Waschküche und Vorratsraum
gedacht war. In meinem Kopf malten sich Bilder aus, wie das kleine
Häuschen eines Tages nach der Renovierung aussehen wird, meine
Kinder im Garten spielen und mein Mann, der Roven zufälligerweise
zum Verwechseln ähnlich sah, auf der Terrasse sitzt und unseren
Kindern beim Spielen zusieht. Ich sah natürlich immer noch genauso
gut aus wie jetzt, kein Gramm schwerer trotz Kinder.
Zu unserem Glück war nichts Schwerwiegendes zu machen. Kleine
Ausbesserungsarbeiten und ein wenig Farbe hier und da, das würde
alles schon viel Freundlicher wirken lassen. Unser Garten war ein
anderes Thema. Ich hoffte inständig dass Helen einen grünen Daumen
hatte, denn ich hatte ihn nicht. Für Helen und mich war sofort klar
gewesen als wir das Haus sahen, dass wir hier in Campbell River
bleiben würden. Natürlich erforderte das noch einiges an
Organisation. Aber das würden wir schon hinkriegen. Meine Eltern
und Helens Eltern konnten uns ja jederzeit besuchen, redete ich mir
mein schlechtes Gewissen weg.
Bei der Besichtigung des Vorgartens fiel mir auf das im Nachbarhaus
auch jemand gerade neu einzog. Es war ein schleimig grinsendes,
männliches etwas der gerade ins Haus verschwand. Ich nahm mir vor,
von diesem Mann niemals etwas auszuleihen. Dieser Mann strahlte
etwas Unheimliches aus. Normalerweise war ich nicht so schnell mit
Vorurteilen bei der Hand, doch bei diesem Mann konnte ich nicht
anders reagieren.
Helen und ich, wir machten uns auf den Weg zu unserem zweiten
Grundstück.
Das Grundstück auf dem vor langer Zeit das Haus meiner Eltern
gestanden hatte, war nur zwei Straßen weiter von Großmutters Haus
entfernt. Es grenzte direkt an den Wald an. Uralte Bäume umsäumten
das Grundstück, was dem ganzen einen mystischen Touch
gab.
Der Zaun der das Grundstück umgab, war teilweise nur mehr zu
erahnen. Die Natur hatte sich alles im Laufe der Zeit Stück für
Stück zurück erobert. Nicht einmal die Umrisse des Hauses
waren auf dem Boden mehr zu erkennen. Robert hatte erzählt das
Großmutter es vermieden hatte hierher zu kommen. Sie war immer fest
der Überzeugung gewesen, das der Brand kein Unfall gewesen war.
Aber der Sheriff wollte auf diese Theorie nie eingehen. Bei diesem
Gedanken lief es mir kalt den Rücken runter, was allein schon
passierte wenn ich an den Sheriff dachte. Der Typ war in seinem
Verhalten schon mehr als eigenartig, falls es zu dieser Zeit schon
derselbe gewesen sein sollte.
Warum er wohl nichts mit dieser Theorie zu tun haben wollte?
Vielleicht wollte er sich einfach nur nicht überarbeiten?
Schließlich war er ein Arsch mit Ohren der rein Zufällig in einer
Uniform steckte.
Tom und Robert boten sich sofort an uns beim Renovieren zu helfen,
was wir natürlich auch gleich gerne in Anspruch nahmen. So konnten
wir wenigstens viel Zeit mit den beiden verbringen. Was wir den
beiden auch zeigten in dem wir ihnen sofort um den Hals fielen und
mit Küssen überschütteten, was die beiden nur zu gern mit sich
machen liesen.
Meine Hitzewallungen
waren weniger intensiv geworden, sie kamen aber immer noch täglich.
Was mir mehr Kopf zerbrechen machte, waren meine Visionen, die
immer noch mit derselben Heftigkeit kamen. Es kostete mich jedes
Mal sehr viel Kraft, und danach war ich oft zu nichts mehr zu
gebrauchen. Das schwierigste war, dass ich es vor Tom und Helen
verheimlichen musste, die mich sonst als Irre abstempeln würden,
wenn ich ihnen von den Visionen erzählte. Ich konnte mir das ganze
ja selbst nicht erklären. Wenn Tom mich doch auf meine Müdigkeit
ansprach, schob ich das ganze immer auf die Renovierungsarbeiten,
die nun schon seit ein paar Tagen auf Hochtouren liefen.
Wir besserten die Wände des Hauses aus und anschließend mussten die
Wände noch gestrichen werden. Die Dachdecker waren auch schon
bestellt und hatten ihre Ankunft für die nächsten Tagen
zugesagt.
Tom, Robert und Helen waren in die Stadt gefahren um die gemeinsam
abgesprochene Farbe und die Arbeitsmaterialien zu besorgen die noch
fehlten. So war ich alleine zurück geblieben um weiter zu arbeiten
und um auch die kurze Ruhe zu genießen in der mal niemand etwas zu
erzählen hatte oder einen blöden Witz von sich gab.
Ich war gerade dabei das Treppengeländer für einen neuen Anstrich
anzuschleifen, als mir eine Vision sprichwörtlich in die Knochen
fuhr und mich buchstäblich von den Beinen riss.
Um mich herum wurde es dunkel, plötzlich befand ich mich in einem
Haus oben in der ersten Etage, auf der letzten Stufe der Treppe und
ich spähte angestrengt zur Haustüre, denn von dort hatte ich ein
Geräusch vernommen. Das Haus sah Großmutters Haus zum Verwechseln
ähnlich, aber es war ein anderes das offensichtlich bewohnt
war.
Durch die Eingangstüre schlich sich ein riesiges großes Etwas und
bewegte sich in der Dunkelheit auf mich zu. Mein Herz hämmerte wie
wild gegen meine Rippen. Meine Augen brannten vor
Anstrengung, in der Dunkelheit etwas erkennen zu können. Der
wuchtig wirkende Schatten bewegte sich geschmeidig die Treppen hoch
ohne auch nur einen Laut dabei zu erzeugen. Dem ersten Schatten
folgte noch ein zweiter Schatten der dem ersten in der Größe und
Wuchtigkeit in nichts nachstand.
Zitternd vor Angst wich ich zurück und versuchte die aufsteigende
Panik zu unterdrücken die von mir Besitz ergreifen wollte, bis ich
eine Wand in meinem Rücken spürte. Um nicht lauthals loszuschreien
presste ich mir in letzter Sekunde beide Hände auf den
Mund.
Zu meinem Glück bemerkten mich die beiden nicht, es war als ob ich
für sie nicht vorhanden wäre, oder sahen sie mich einfach nur
nicht?
Beide glitten an mir vorbei und verschwanden in einem der
Schlafzimmer. Es roch plötzlich sehr stark nach nassem Hund, obwohl
ich keinen Hund entdecken konnte. Meine Neugier zwang mich dazu,
den beiden zu folgen. Vorsichtig steckte ich meinen Kopf durch den
Spalt der Türe. Ich erstarrte vor Schreck zu einer
Statue.
Im Zimmer war es heller als im Gang, nun konnte ich die Schatten
besser erkennen, da eine Straßenlampe ihr Licht durch das Fenster
schickte. Das was ich sah, konnte einfach nicht möglich sein. Mein
Verstand weigerte sich das gesehene aufzunehmen, zu verstehen, da
es einfach unmöglich war was ich da sah.
Zwei Wesen die mich an aufrechtgehende riesengroße Wölfe erinnerten
standen links und rechts neben einem Ehebett in dem ein Mann und
eine Frau nichts ahnend schliefen. Ich wollte schreien und die
beiden warnen, aber ich brachte nur ein krächzen hervor. Die Panik
die ich vorher noch siegreich unterdrücken konnte, stieg nun
unaufhaltsam in mir hoch. Meine Hände waren schweißnass. Mein
Versuch in das Zimmer und auf das Bett zu springen um die beiden
aufzuwecken scheiterte ebenso kläglich, denn ich kam nicht weiter
als bis zu diesem verdammten Türrahmen, bei dem ich stand. Eine
unsichtbare Wand verhinderte mein Eintreten in das Schlafzimmer.
Ich hämmerte mit beiden Fäusten gegen diese Wand die nicht zu sehen
war, aber auch dadurch konnte ich das Ehepaar nicht
warnen.
Einer der Wölfe schnaubte kurz und sprang gleich darauf in die
Mitte des Bettes. Dabei packte er erst den Mann und dann die Frau
am Hals und drückte sie fest auf das Bett, so dass sie keine Chance
hatten zu entkommen. Die Frau, die mir irgendwie bekannt vorkam und
der Mann schreckten augenblicklich aus dem Schlaf auf und fingen zu
krächzen an, schreien war ihnen durch den Druck auf ihren Hals
unmöglich. Verzweifelt schlugen sie um sich, was den Wolf in
keinster Weise beeindruckte oder aus dem Gleichgewicht
brachte.
Der zweite Wolf gab so etwas wie ein Lachen von sich, er hatte
offensichtlich großen Gefallen an dem grauenvollen
Szenario.
Schreiend und weinend hämmerte ich wieder gegen die unsichtbare
Wand. Bis ich kraftlos und verzweifelt auf meine Knie
sank.
Das grauenhafte Monster neben dem Bett, holte umständlich ein Seil
von seiner Schulter, das mir vorher nicht aufgefallen war. Als er
das tat, verwandelte er sich in sekundenbruchteilen in einen
Menschen zurück und begann das Paar am Bett festzubinden. Ich hatte
das Gefühl verrückt werden zu müssen. Was geschah hier nur?
Solche Horrorszenarios gab es doch nur in Horrorgeschichten
oder Filmen, aber auf keinen Fall im wirklichen, im realen
Leben.
Die Frau und der Mann mussten Ohnmächtig geworden sein, denn sie
bewegten sich nicht mehr und gaben auch keinen Ton mehr von sich.
Ich hoffte das sie nur Ohnmächtig waren und nicht tot. Im gleichen
Moment als mir die Hoffnung durch den Kopf schoss, erkundigte sich
das Mensch gewordene Monster, bei dem auf dem Bett sitzenden Wolf
ob das Ehepaar noch lebte. Der Wolf nickte mit seinem plump
wirkenden Kopf. Dummerweise bewegte sich das menschliche Monster
immer so, dass sein Gesicht im Dunkeln war und ich nicht sehen
konnte wer hinter dem Wolf und der Stimme steckte. Doch seine
Stimme, kam mir bekannt vor, es war als ob ich sie vor nicht allzu
langer Zeit schon einmal gehört hatte nur konnte ich sie beim
besten Willen nicht einordnen.
Das Paar war felsenfest auf dem Bett verschnürt worden. Das
menschliche Monster steckte noch etwas in eine Steckdose und war
auch schon wieder in einen Wolf zurück verwandelt bevor er die
Schlafzimmertüre erreicht hatte. Beide kamen schnell zur Türe,
drehten sich noch einmal um, als ob sie auf etwas warten
würden.
Hastig kroch ich auf allen vieren ein Stück zurück und versteckte
mich in der Dunkelheit. Kurz darauf hörte ich ein zischen im
Schlafzimmer. Ich konnte nicht erkennen was da passierte Ich
bereute es, so weit nach hinten gekrochen zu sein.
Aber es musste das Startzeichen für die Wölfe gewesen sein,
denn beide verschwanden genauso leise wie sie gekommen waren.
Schnell rutschte ich wieder zur Schlafzimmertüre. Mein Atem
stockte. Außer dichten beißenden Qualm und kleine Feuerzungen die
sich rasch ausbreiteten, konnte ich nichts mehr erkennen. Atemlos
vor Angst schloss ich meine Augen. Krampfhaft klammerte ich mich an
etwas hartem fest. Tränen rannten wie Sturzbäche an meinen Wangen
hinab.
Die armen Menschen, auf eine so grausame Art, durfte niemand
sterben. Wieso nur musste ich das mit ansehen? Meine Verzweiflung
stieg ins unermessliche.
Erst jetzt bemerkte ich die Musik die mich wieder umgab. Langsam
öffnete ich meine Augen und sah dass ich immer noch auf der Treppe
saß, die ich gerade angeschliffen hatte und mich an einer Strebe
des Treppengeländers so krampfhaft festhielt, dass dabei die
Knochen meiner Hände weiß hervortraten. Nur mühsam und mit
schmerzen konnte ich meine Hände lösen. Mir wurde bewusst dass ich
wieder in der realen Welt war. Schiefer hatten sich von der Strebe
in meine Hände gebohrt und kleine Blutbahnen liefen an meinen
Händen entlang. Die Musik die ich hörte, kam aus dem Radio das wir
für eine bessere Arbeitsatmosphäre den ganzen Tag laufen
liesen.
Vorsichtig sah ich mich um, um sicher zu gehen dass ich wirklich
wieder im Haus meiner Großmutter war. Meine Kleider klebten vor
Schweiß nur so an mir als ob ich gerade aus der Dusche gekommen
wäre.
Beim Versuch aufzustehen, gaben meine Beine sofort kraftlos nach
und ich sackte wieder zusammen.
Ich hoffte dass Tom und die anderen jetzt nicht auftauchten. Wie
sollte ich ihnen meinen Zustand dann nur erklären? Wieso musste das
ausgerechnet mir passieren? Hatte ich vielleicht einen Gehirntumor
von dem ich nichts wusste und der diese Visionen verursachte? Und
wer war das Ehepaar, das auf so grausame Weise umgekommen war? War
das alles denn überhaupt real? Beim zweiten Versuch aufzustehen
klappte es schon besser. Meine Beine fühlten sich immer noch an wie
weicher Gummi. Aber das Treppengeländer gab mir den nötigen Halt
den ich brauchte, um nicht wieder umzufallen. Schritt für Schritt
ging ich wie in Zeitlupe die Treppe runter. Ich musste hier weg
bevor die anderen wieder zurückkamen. Tom würde mich sofort ins
Krankenhaus bringen wollen, wenn er mich so sah. Dem musste ich aus
dem Weg gehen. Was sollte ich dem Arzt erzählen wenn er mich fragt
was passiert ist? Ach Herr Doktor, ich hatte eine Vision von einem
Mord mit Werwölfen, aber sonst geht’s mir gut. Ich wäre im Nu in
einer Irrenanstalt eingewiesen und würde nie wieder
rauskommen.
Aber wie sollte ich das nur anstellen von hier wegzukommen? Ich
konnte mich ja nicht einmal von alleine ohne Stütze richtig
vorwärtsbewegen.
„Reiß dich zusammen Chrisi“, sagte ich zu mir selbst und biss
die Zähne noch fester zusammen.
Ich ging schleppend und die Wand als Unterstützung benutzend zur
Haustüre, öffnete sie und zwang mich dazu aufrecht das Haus zu
verlassen, was mir schwerer fiel als mir lieb war. Immer wieder
waren plötzlich diese fiesen schwarzen Punkte vor den Augen da, die
eine nahende Ohnmacht ankündigten. Ich schaffte es gerade noch so
die Ohnmacht zur Seite zu drängen und weiter zu gehen.
Nur noch einen Meter dann hatte ich den Gartenzaun erreicht, an dem
ich mich festhalten kann. Geschafft.
Einen Moment lang blieb ich dort stehen um wieder Kräfte zu
sammeln, sofern das noch möglich war.
Der Regen tropfte mir ins Gesicht, was ich nur noch nebenbei
mitbekam. Im Vordergrund war die mir inzwischen Altbekannte Wärme
die in mir hochstieg. Nein, das durfte nicht sein. Nicht auch noch
die Hitzewallung. Vor meinen Augen begann es zu flimmern. Schwarze
Punkte tanzten vor meinen Augen Rumba. Übelkeit breitete sich in
meiner Magengegend aus. Meine Beine schienen sich von einem Gummi
in eine schwere, mich nach unten ziehender Bleisuppe zu
verwandeln.
Durch den offenen Mund atmete ich die kühle Luft des verregneten
Tages ein und versuchte verzweifelt auf den Beinen zu bleiben, was
mir mit jeder Sekunde schwerer viel.
Bitte lieber Gott lass jetzt nur nicht Tom auftauchen, betete
ich.