FÜNFTES KAPITEL
Der Zweikampf
Es ist leicht erklärlich, daß der ganze Stamm der Beni Sallah sich in einer ungeheuren Aufregung befand. Es sollte sich entscheiden, wer Scheik sein werde. Ein Fremder und Unbekannter hatte sich mit zum Kampf gemeldet. Falehds Riesenkraft war bekannt. Es gab keinen einzigen, der gezweifelt hätte, daß er Sieger sein werde.
Draußen vor dem Lager war der Kampflatz mit Speeren abgesteckt. Rundherum standen einige Reihen Zuschauer zu Fuß, hinter ihnen Reiter zu Pferd und hinter denselben dann die Reiter auf hohem Kamelhöcker.
Als die Königin erschienen war, nahm sie an einem Ende des Kampfplatzes auf einem Teppich Platz, der für sie ausgebreitet worden war. Ihr Gesicht war leichenblaß. Sie vermochte kaum ihre innere Angst zu verbergen. Neben ihr saßen ihr Vater und ihre Schwester. Zu beiden Seiten standen Tarik und Hilal.
Der Riese hatte sich am entgegengesetzten Ende der Walstatt niedergesetzt. Sein häßliches Gesicht zeigte den Ausdruck der Schadenfreude und des Triumphes. An seiner Seite saßen Ibrahim Pascha und der Russe, hinter ihnen einige seiner Anhänger. Einige mit Wasser gefüllte, ausgehöhlte Kürbisse waren vorhanden, damit die Kämpfenden sich erquicken konnten.
Der alte Muezzin und Kalaf standen in der Mitte des Platzes. Sie waren von der Versammlung der Ältesten erwählt worden, die Angelegenheit zu leiten.
„Er ist noch nicht da“, sagte der Riese zu seinen beiden Nachbarn. „Der Hund wird Angst bekommen haben.“
„Er wird es sich doch nicht einfallen lassen, vom Kampf zurückzutreten?“ meinte Ibrahim Pascha.
„Das ist unmöglich.“
„Es wäre das höchst fatal. Der Kerl muß sterben. Wenn er sich durch den Zurücktritt aus der Schlinge zieht, kann er uns großen Schaden machen.“
„Ich gebe ihn nicht los.“
„Wenn er aber doch nicht mittut?“
„So zwinge ich ihn. Wenn ich auf ihn einschlage, so wird er sich wohl verteidigen müssen. Übrigens hat er sich, wenn er sein Wort nicht hält, als Feigling hingestellt, und kein Mensch wird ihn dann noch ansehen. Nur die Flucht kann ihn vor mir retten.“
„Vielleicht ist er fort. Ich habe ihn während der ganzen Zeit nicht gesehen.“
„So reite ihm nach und stich ihn nieder.“
„Ich möchte nur wissen, was er, falls er Sieger –“
„Sieger?“ fiel Falehd höhnisch ein. „Das ist unmöglich!“
„Bei Allah ist nichts unmöglich, und auch die bösen Geister besitzen große Macht. Wenn sie dir einen Schabernack spielen wollen, so siehst du deinen Gegner nicht und schlägst daneben. Dann siegt er.“
„Verdammt! Diese Geister werden doch nicht etwa –“
„Ich möchte nur wissen, was der Mann mit der Königin machen will. Gedenkt er als Scheik hier zu bleiben?“
„Der Teufel soll es ihm raten“, fuhr der Riese auf. „Aber du hast von bösen Geistern gesprochen. Ich will vorsichtig sein und mir ein Amulett einstecken, daß sie mir nichts anhaben können.“
Er borgte sich von einem seiner Anhänger ein Amulett, das in einem Zettelchen bestand, auf das ein Koranspruch geschrieben war. Der Zettel war in Leder eingenäht. Wer ihn bei sich trug, dem konnte weder der Teufel noch sonst irgendein böser Geist etwas anhaben. Jetzt hielt der Riese sich gegen alle Eventualitäten für gerüstet. Er befürchtete nur noch, daß sein Gegner gar nicht erscheinen werde.
Darin hatte er sich aber geirrt, denn soeben kam Steinbach, von Normann begleitet.
Aller Augen richteten sich neugierig auf ihn, ob er wohl Angst verspüren möge. Aber es war ihm nicht das geringste anzusehen. Sein Gesicht hatte ganz die gewöhnliche Farbe, sein Auge blickte ruhig und mild; sein Mund lächelte leise. Das bildete freilich einen großen Gegensatz zu Falehd, der sich erhoben hatte. Dessen Augen starrten wie die eines wütenden Stieres auf Steinbach; seine Zähne waren zusammengebissen, und die quer über sein Gesicht laufende Narbe hatte sich dunkelrot gefärbt, ein sicheres Zeichen, daß Kampfeswut ihm das Blut emportrieb.
„Warum kommst du nicht?“ rief er Steinbach zornig entgegen.
„Hier bin ich ja“, antwortete dieser ruhig.
„Aber zu spät.“
„Für dich jedenfalls nicht.“
„Ein Tapferer läßt seinen Feind nicht warten.“
„Sieh deinen Schatten an. Es ist jetzt genau Mittag. Übrigens bin ich nicht gekommen, mich mit dir in Worten zu streiten. Taten sollen es tun.“
„Und sie werden es tun. Beginnen wir!“
Falehd wollte mit geballten Fäusten geradewegs auf Steinbach los; da aber trat ihm Kalaf entgegen:
„Halt! Vorher müssen wir vor allen diesen Zeugen die Regeln besprochen werden!“
„Regeln? Ich brauche keine Regeln!“
„Der Kampf soll ehrlich sein. Also vor allen Dingen, in welcher Kleidung wird gekämpft?“
„Jeder tut, was er will.“
„Gibt es Gnade?“
„Nein.“
„Das ist gegen unsere Gesetze. Der Kämpfer, der um Gnade bittet, muß geschont werden.“
„Das ist ehrlos.“
„Darum wird er aus dem Stamm gestoßen, aber sein Leben hat er doch gerettet. Nach welchen Regeln soll geschlagen werden?“
„Nach gar keiner Regel. Jeder schlägt so zu, wie es ihm beliebt.“
„Bist du damit einverstanden?“ fragte Kalaf Steinbach.
„Ja“, antwortete dieser.
„So wird die Königin das Zeichen zum Beginn geben.“
Der Riese warf den Burnus ab und stand da, nur noch mit der Hose bekleidet. Der nackte Körper war eingeölt, damit die Hand des Gegners abrutschen solle. Dieser mächtige Knochenbau schien gar nicht erschüttert werden zu können, und diese gewaltigen Muskeln waren wie aus Stahl gespannt.
„Also tot“, flüsterte ihm der Pascha zu.
„Auf den ersten Hieb schlage ich ihn nieder!“ antwortete Falehd, indem er mit geringschätziger Miene Steinbach musterte, der auch seinen Burnus abgeworfen hatte, aber sonst noch vollständig bekleidet war. Er hatte außerdem nicht einmal die türkische Jacke, die er unter dem Burnus trug, zugeknöpft.
„Um Allahs willen, ziehe dich aus!“ warnte der wohlmeinende Alte. „Er kann dich ja ganz leicht fassen.“
„Das wird er bleibenlassen.“
„Du bist unvorsichtig!“
„Pah!“
Jetzt trat tiefe Stille ein, und aller Augen richteten sich auf die Königin, die das Zeichen zum Beginn geben sollte. Da aber sagte ihr Vater mit lauter Stimme:
„So wie jetzt darf doch der Kampf nicht beginnen. Ist es hier nicht Sitte, daß vor dem Anfang sich die Gegner die Hände reichen als Versicherung, daß keiner den anderen übervorteilen werde?“
„Die Hand reichen? Diesem Hund?“ lachte der Riese auf. „Er ist nicht wert, daß ich ihn anspucke. Wie kann ich ihm da die Hand reichen! Der Hund mag nur herkommen, damit ich ihn erwürge!“
Damit streckte er Steinbach die beiden Fäuste entgegen. Dieser antwortete:
„Ich hatte es gut mit dir vor, aber da du mich auch hier noch mit Schimpfreden beleidigst, werde ich dich nicht so schonen, wie ich es beabsichtigte. Höre also: Mein erster Hieb wird dich dein linkes Auge kosten, der zweite die Zähne, und nach dem dritten wirst du zu meinen Füßen liegen.“
„Mensch, du bist toll! Bereits mit dem ersten Schlage werde ich dir den Schädel zerschmettern.“
„Gut. Versuche es!“
Steinbach stand da, mit dem Rücken nach der Königin gewendet, in einer Haltung, als ob er sich um nichts auf der Welt zu kümmern habe, die Hände in den Taschen seiner Hose. Der Riese hingegen hielt den Blick mit Spannung nach der Königin gerichtet.
„Na, schnell“, rief er. „Ich habe Durst nach dem Blut dieses Menschen.“
Man sah es Badija an, wie schwer es ihr wurde. Jetzt aber erhob sie die Hand.
„Los!“ sagte Kalaf.
Es ist gar nicht zu beschreiben, mit welchem Ausdruck die Hunderte von Gesichtern sich nach dem Kampfplatz richteten. Der Riese stieß einen lauten Jubelruf aus und kam aus der Entfernung von zwanzig Schritten auf Steinbach losgestürmt, als ob er ein Haus umrennen wollte. Die linke Hand ausgestreckt, um ihn zu packen, holte er mit der rechten Faust schon von weitem zum tödlichen Schlag aus. Steinbach stand immer noch scheinbar so gleichgültig da wie vorher. Er schien gar nicht auf den Gegner achten zu wollen.
„Paß auf! Paß doch auf!“ schrie es ihm von allen Seiten zu. „Er kommt ja.“
Steinbach warf nur verächtlich den stolzen, männlich schönen Kopf nach hinten, obgleich der Riese von ihm kaum noch sechs Schritte entfernt war. Dann aber ein Ruck, und seine Gestalt schien gewachsen zu sein, und sein Auge sprühte förmlich dem Beduinen entgegen.
„Hier, Hund, hast du!“ brüllte dieser.
Da aber tat Steinbach einen Sprung ihm entgegen, so daß beide in einem weithin hörbaren Stoß fürchterlich zusammenstießen. Der Riese wurde nicht nur zum Stehen gebracht, sondern er prallte förmlich zurück und fuhr sich mit beiden Händen nach dem Gesicht, sie auf das linke Auge legend, und wie erstarrt stehenbleibend.
Er hatte in seinem blinden Anstürmen den Punkt, an dem Steinbach stand, genau im Auge gehabt. Der beabsichtigte Griff seiner Linken und der Hieb, den er mit der Rechten tun wollte, waren beide auf diesen Punkt gerechnet gewesen. Durch den Sprung Steinbachs aber war dieser Punkt mit blitzähnlicher Schnelligkeit um mehrere Fuß weit vorgerückt worden. Als sie zusammenprallten, hatte der Riese die beiden Arme noch weit auseinander, und ehe er sich besann und sie schloß, erhielt er von der Rechten Steinbachs einen Hieb unter das Kinn, während die linke geballte Hand desselben ihn an den Augenknochen traf und der Daumen dieser Hand ihm das Auge aus der Höhle trieb.
Steinbach stand im nächsten Moment wieder da, als ob er gar nicht von seiner Stelle gewichen sei. Dann wandte er sich zur Königin und rief:
„Rakam wahid, el ain el alßemal – Nummer eins, das linke Auge!“
Die Worte erweckten den Riesen aus seiner momentanen Betäubung. Er fühlte die Verwundung und stieß einen furchtbaren Fluch aus.
„Tajib, tajib! Ahsant, ahsant – gut, gut! Bravo, bravo!“ rief es von allen Seiten.
Die Zuschauer waren von Bewunderung hingerissen. Steinbach hatte nicht nur den ersten, toddrohenden Angriff des für unüberwindlich gehaltenen Riesen pariert, sondern sogar sein Wort wahr gemacht, ihm das Auge zu nehmen.
Diese Bravorufe entsprangen nicht etwa der Parteilichkeit, sondern ganz allein nur der Bewunderung. Der beduinische Krieger erkennt die Tapferkeit und Geschicklichkeit selbst seines ärgsten Feindes an. Dennoch aber wurde dadurch die Wut des Riesen verdoppelt. Er stand in einer Entfernung von nur vier Schritten von Steinbach, erhob beide geballte Fäuste und brüllte:
„Das war Zufall. Jetzt aber fährst du zur Hölle!“
Dann tat er einen Sprung vorwärts, und zwar mit aller Gewalt, um Steinbach gleich umzurennen und den am Boden Liegenden zu töten. Der Deutsche aber empfing ihn mit schnell erhobenem Fuß und versetzte ihm einen solchen Tritt in die Magengegend, daß Falehd aufschreiend zurücktaumelte und gar nicht dazu kam, den Gegner auch nur zu berühren. Dann – keiner wußte, wie es gekommen war und wie es hatte geschehen können – ward der Riese zu Boden geschleudert. Man hatte nur den rechten Arm Steinbachs in Bewegung gesehen. Dieser wandte sich an die Königin und meldete:
„Rakam itnehn, el aßnahn – Nummer zwei, die Zähne!“
Die Beifall spendenden Zurufe erhoben sich von neuem. Falehd sprang vom Boden auf. Sein Gesicht war schrecklich entstellt. Er spie die aus den Kiefern geschlagenen Zähne aus, brüllte auf wie ein wildgewordener Büffelstier und rief:
„Er steht mit dem Teufel im Bund! Die bösen Geister helfen ihm! Aber ich sende ihn trotzdem in die Hölle!“
Vor Wut auch auf dem unbeschädigten Auge fast blind, hatte Falehd jetzt doch die Überlegung, daß er mit dem zweimal vergeblich versuchten Ansprung nichts erreichen werde. Er schritt also langsam auf Steinbach zu und zischte ihm, von tödlichem Haß erfüllt, entgegen:
„Komm her, Wurm! Jetzt zermalme ich dich.“
„Wenn du es fertigbringst, will ich dich loben!“
Der Deutsche sagte das mit überlegenem Lächeln. Er erwartete den Riesen in größter Ruhe und Gleichgültigkeit, während die Brust des letzteren vor innerer Aufregung sichtbar auf- und niederwogte. Jetzt steckte Falehd die Arme aus, um den Feind zu erfassen, wurde aber in demselben Augenblick selbst gepackt. Steinbach hatte ihn mit einer schraubenartigen Bewegung seiner Arme hart hinter den Handgelenken ergriffen und dabei seine Hände so verdreht, daß, wenn er sie wieder in die rechte Lage brachte, Falehds Arme ebenso verdreht werden mußten. Er zog diese mit einem furchtbaren Ruck an sich. Da brüllte der Riese auf. Seine Arme waren ihm durch dieses unvorhergesehene Manöver fast aus den Achseln gedreht worden und hingen einen Augenblick lang schlaff herab. Diesen Augenblick benutzte Steinbach, faßte den Goliath bei den Hüften, hob ihn hoch empor, schmetterte ihn zu Boden und versetzte ihm, sich leicht bückend, zugleich einen Faustschlag an den Schädel, daß man es weithin dröhnen hörte.
Das war natürlich viel, viel schneller geschehen, als man es zu erzählen vermag. Man hatte die gedankenschnell aufeinanderfolgenden Bewegungen Steinbachs gar nicht unterscheiden können. Es war klar, daß er durch seine Gewandtheit und Besonnenheit dem Riesen überlegen war, aber daß er dabei auch eine so horrende Körperkraft entwickelte, das war beinahe undenkbar, das versetzte alle in solches Erstaunen, daß sie geradezu vergaßen, ihm Beifall zu spenden.
Steinbach aber wandte sich zum dritten Mal zur Königin um und meldete:
„Rakam salahsa, el ard – Nummer drei, auf der Erde!“
Da brach es los. Erst halblaut und einzeln, dann aber stärker und immer stärker erhoben sich die Beifallsrufe. Alle, außer den Anhängern Falehds, fühlten es wie Erlösung über sich kommen. Der Riese war ihnen ein wirklicher Tyrann gewesen, ohne daß sie es sich gegenseitig offen eingestanden hatten. Bei dem Blick auf die hohe, edle, ritterliche Gestalt des Deutschen hatte ein jeder ihm im stillen den Sieg gegönnt und ihn heimlich bedauert, da er ja von allen für verloren betrachtet wurde. Jetzt aber, wo er stolz neben dem Feind stand, wie der Löwe an der Leiche des von ihm erlegten riesigen Krokodils des Nils, fragte man sich zunächst, ob dieser unerwartete Sieg denn auch in Wirklichkeit bestehe, und als man sich überzeugte, daß es keine Täuschung sei, brach der Jubel desto lauter und aufrichtiger hervor. Wäre Falehd Sieger geworden, ihm hätte man gewiß nicht einen solchen Beifall gespendet.
Obgleich alle Anwesenden förmlich elektrisiert waren, bewegte sich doch keiner von seinem Platz. Das Schauspiel war ja noch nicht zu Ende. Nur Kalaf, der Alte, trat auf Steinbach zu, gab ihm die Hand und sagte:
„Du hast wahr gemacht, was du gestern während unseres nächtlichen Spaziergangs zu mir sagtest. Ich habe es für unmöglich gehalten. Allah hat dir die Stärke des Elefanten und den Stolz des Löwen gegeben. Meine Worte sind unzureichend zu deinem Lob, darum schweige ich lieber. Ist Falehd tot?“
„Ich will einmal nachsehen.“
Steinbach fühlte dem Riesen an das Herz. Es schlug, wenn auch sehr langsam und leise.
„Er lebt noch. Er ist nur besinnungslos.“
„Töte ihn!“
„Meinst du das im Ernst?“
„Ja. Du hast dein Messer im Gürtel. Stoße es ihm in das schwarze Herz!“
„Ich bin kein Mörder.“
„Er befindet sich aber in deiner Gewalt!“
„Es wurde ja festgestellt, daß der Besiegte um Gnade bitten darf.“
„Er hat es nicht getan, er hat sogleich die Besinnung verloren. Wie lange soll der Sieger auf die Bitte warten? Sein Leben gehört dir!“
„Ich werde ihn erst wieder zum Bewußtsein kommen lassen, mich aber versichern, daß er unschädlich ist.“
Damit zog Steinbach mehrere Riemen aus der Tasche.
„Was willst du?“
„Ihn binden.“
„Welche Schande für ihn! Fesseln getragen zu haben, das verwindet kein Beduine. Falehd kann dich unmöglich um Schonung, um sein Leben bitten. Hast du diese Riemen stets bei dir?“
„Nein. Ich brachte sie nur zu dem Zweck mit, ihn zu fesseln.“
„So genau wußtest du, daß du Sieger sein würdest?“
„Ja.“
„Du bist ein großer Mann. Binde ihn und komm dann zur Königin.“
Normann trat auch herbei.
„Ich gratuliere!“ sagte er im Ton aufrichtigster Bewunderung. „Das war ein Meisterstück. Ich gestehe, daß ich für Sie gezittert habe!“
„Pah! Ich kannte mich und hielt ihn zwar für stark, aber auch für dumm und unbeholfen. Daß ich mich da nicht geirrt habe, bedarf gar keines Lobes. Wollen Sie mir helfen, ihm die Arme und Beine zu binden? Es geht rascher.“
„Gern. Ah! Sehen Sie den Kerl an! Welch ein schreckliches Gesicht! Sie haben ihm die Zähne wirklich eingeschlagen. Und dieses Auge!“
„Bringen wir es in die Höhle zurück. Sehen wird er freilich nicht wieder darauf lernen. Wie ich bemerke, ist der Nerv zerrissen.“
„So wollen Sie ihm das Leben wirklich schenken?“
„Ich ermorde ihn auf keinen Fall. Sein Leben mag nach den hiesigen Gebräuchen mir gehören, ich aber bin Christ und Mensch. Seine Tötung wäre nichts als ein feiger Mord, der mir mein Gewissen bis an das Ende meines Lebens beschweren würde.“
„Aber bedenken Sie, wie gefährlich es ist, ein wildes Tier am Leben zu lassen. Sie leisten damit sich selbst und den Beni Sallah gewiß keinen guten Dienst.“
„Ich weiß das, aber ich tue meine Pflicht.“
So banden sie Falehd also und wuschen ihm auch das Gesicht. Keiner seiner Anhänger näherte sich ihm. Nach ihrer Ansicht war er das ausschließliche Eigentum des Siegers, und sie hatten kein Recht mehr, sich um ihn zu kümmern.
Als dann Steinbach zu der Königin trat, streckte sie ihm die Hand entgegen und sagte:
„Ich danke dir. Du hast mich von einem schlimmen Feind befreit. Ich werde dir das nie vergessen!“
Dennoch aber vermochte sie nicht, ihn dabei frei anzusehen. Ihr war trotz der Überwindung ihres Feindes angst und bange im Herzen. Sie gehörte dem Sieger. Wie sollte das werden?
Ihr Vater aber streckte Steinbach die Hände entgegen und rief laut aus:
„Sei mir willkommen! Du bist der Held der Helden und der Tapferste unter den Tapfern. Meine Tochter wird sicher wohnen in deinem Zelt, und du wirst den Beni Sallah von Sieg zu Sieg führen, daß sie berühmt werden vom Anfang bis zum Niedergang!“
Jetzt kam auch der Muezzin herbei. Er fragte gar nicht erst, was er zu tun habe. Er wußte es ja. Er schlug an sein Brett und rief:
„Hört, ihr Männer und Frauen vom edlen Stamm der Beni Sallah! Masr-Effendi, der berühmte Kämpfer aus fernem Land, hat erlegt Falehd, den Bewerber um die Königin. Sie gehört dem Sieger! Allah segne ihn und gebe ihm Kinder und Kindeskinder, so viele, wie Sandkörner in der Wüste liegen. Es wird eine großartige Fantasia veranstaltet werden, dem neuen Scheik zu Ehren, und Boten werden in alle Winde reiten, um seinen Namen den Stämmen zu verkündigen. Schlachtet die Schafe und Lämmer, backt Brote und kocht fetten Kuskussu mit Rosinen. Holt herbei Lagmi, den Saft der Palmen, und bringt Saiten und Pfeifen, mit Musik und Gesang zu verherrlichen die Taten des Siegers und den Glanz seiner zukünftigen Tage!“
Er war im Fluß seiner Rede. Er wollte mehr, noch viel mehr sprechen, aber jetzt machte er eine kurze Pause. Das benutzte Steinbach, um mit lauter, weithin hörbarer Stimme einzufallen:
„Hört auch mich, ihr tapferen Männer und ihr schönen Frauen der Beni Sallah! Ich bitte die Versammlung der Ältesten, sich zu beraten und mir ganz genau zu sagen, ob die Königin und die Würde des Scheiks mir so gehören, daß niemand einen Einspruch erheben kann.“
Sofort erschollen die drei Schläge des Muezzins, und die Greise traten zu einer kurzen Beratung zusammen. Bereits nach wenigen Minuten erhob Kalaf, der Älteste, seine Stimme, um zu verkünden:
„Masr-Effendi ist Sieger, ihm gehört die Königin, und er wird unser Anführer sein, ohne daß ihm ein Mensch dies streitig zu machen vermag!“
Da antwortete Steinbach laut, daß alle es hören konnten:
„Ich danke den grauen Vätern des Stammes für das Vertrauen, das sie mir erweisen. Es gibt keine größere Ehre, als der Anführer eines so berühmten Stammes zu sein, und ich kenne kein größeres Glück, als ein Weib zu besitzen wie Badija, die Königin. Aber Gerechtigkeit ist des Mannes Zierde. Ich will nicht ein Gut besitzen, das zu besitzen auch andere ein Recht haben. Vier Männer hatten sich zum Kampfe gemeldet. Einer wurde besiegt, der zweite hat den Preis einstweilen erstritten; hier nun stehen der dritte und der vierte, die Söhne des Blitzes. Sollen sie sich den Preis entgehen lassen? Sollen sie auf ihn verzichten, ohne um ihn gekämpft zu haben? Die Versammlung der Ältesten mag entscheiden, ob sie ein Recht haben zu dem Versuch, ihn mir im Kampf wieder abzunehmen.“
„Dein Wille soll geschehen!“ sagte Kalaf.
Die Greise berieten eine kurze Weile, und dann verkündete der Genannte die Entscheidung:
„Die Söhne des Blitzes haben das Recht, mit Masr-Effendi zu kämpfen.“
Ein allgemeiner Beifall belobte diesen Beschluß. Gab es doch nun eine Fortsetzung des interessanten Schauspieles.
„Wollt ihr den Kampf aufnehmen?“ fragte der Deutsche die beiden Brüder.
„Herr, wollen wir einander töten?“ antwortete Tarik.
„Das ist nicht meine Absicht.“
„Ich weiß, daß du uns besiegen wirst. Hast du den Riesen erlegt, so bist du uns noch viel mehr überlegen. Ich fürchte mich nicht, mein Leben zu wagen, aber ich würde anders kämpfen als Falehd, und ich glaube nicht, daß du unverletzt aus dem Kampf hervorgehen würdest. Soll ich aber denjenigen verletzen, der an uns so Großes getan hat?“
„Es wird ganz anders werden. Kalaf mag mir sagen, ob ich jetzt, da ich der Besitzer der Königin bin, die Waffen zu bestimmen habe.“
„Du hast sie zu wählen“, antwortete der Alte.
„So werden wir nicht mit Fäusten kämpfen, sondern mit unseren Flinten.“
„O Allah!“ rief Tarik aus. „So bist du verloren!“
„Meinst du wirklich?“
„Ja. Bedenke, daß wir die Söhne des Blitzes genannt werden, weil stets und unfehlbar unser Feind fällt, sobald unser Gewehr aufleuchtet.“
„Oh“, lächelte Steinbach, „auch der beste Schütze kann zuweilen einen Fehlschuß tun!“
„Wir aber nicht. Paß auf! Blicke da hinauf!“
Oben über ihnen schwebte ein Aasgeier. Tarik legte sein Gewehr an, zielte nur einen Augenblick und drückte dann ab. Der Geier zuckte zusammen und kam in einer engen Schneckenlinie herabgestürzt. Dann bewegte er noch einmal die Flügel und war tot.
„Siehst du“, sagte Tarik. „Wolltest du auch jetzt noch wagen, dich mit mir zu schießen?“
Steinbach gab ihm die Hand und antwortete freundlich:
„Das war wirklich ein sehr guter Schuß. Ich sehe, daß ich dich zu fürchten habe, doch was ein Mann sagt, dabei muß es bleiben. Wir werden uns schießen.“
„Nun gut! Du willst es so haben, und ich kann nicht zurücktreten, aber sei überzeugt, daß ich dich nicht töten werde. Ich werde versuchen, dir nur eine kleine, ungefährliche Wunde beizubringen.“
„Ja, tue das! Tue das!“ fiel die Königin ein, der jetzt das Herz leichter wurde. Dies sah man daraus, daß das Blut wieder in ihre Wangen zurückgekehrt war.
„Ich danke euch!“ antwortete Steinbach mit fröhlichem Lächeln. „Aber ich habe euch ja noch gar nicht gesagt, nach wem oder wonach wir schießen wollen.“
„Also nicht nach uns?“ fragte Tarik erstaunt.
„O nein. Wir bestimmen irgendein anderes Ziel.“
„Wird man uns nicht für feige halten?“
„Das glaube ich nicht. Du bist mir im Schießen weit überlegen, darum ist es nicht Mutlosigkeit von dir, wenn du auf meinen Vorschlag eingehst. Und ich habe den Riesen besiegt. Wer will behaupten, daß ich ein Feigling sei? Ich würde sofort auf Leben und Tod mit ihm kämpfen.“
„Keiner, keiner würde das behaupten!“
„Davon bin auch ich überzeugt. Es ist ja gar nicht notwendig, daß derjenige, der die Königin nicht bekommt, nun gerade sterben muß. Der Stamm braucht einen Scheik, der tapfer ist und geschickt in der Führung der Waffen. Diese Geschicklichkeit aber kann man beweisen, auch ohne daß man andere erschießt.“
„Du hast recht. Nach welchem Ziel jedoch wollen wir schießen? Du hast das zu bestimmen.“
„Wir errichten da oben auf der Ecke der Ruine eine Zeltstange, auf deren Spitze wir einen Stein legen. Jeder von uns beiden tut fünf Schüsse, um den Stein herabzuschießen. Wer das Ziel öfters trifft als der andere, ist der Sieger. Ist dir das recht?“
„Oh, sehr recht, sehr“, antwortete Tarik, tief aufatmend. Es war ihm eine große Last vom Herzen genommen. Er war jetzt überzeugt, daß er Sieger sein werde, denn im Gebrauch des Gewehrs hatte es ihm außer Hilal noch keiner gleichgetan. Und doch brauchte er seinen Gegner dabei weder zu verwunden, noch zu töten.
Auch die andern in der Nähe Stehenden begrüßten den Beschluß mit Freuden, nur der alte Scheik der Beni Abbas sagte unzufrieden:
„Ist meine Tochter nicht eines ernsten Kampfes wert?“
„Sie ist es wert, ich habe es bewiesen, indem ich mit Falehd kämpfte. Es kann aber Allah nicht gefallen, wenn seine Gläubigen sich zerfleischen oder gar töten, ohne daß es nötig ist. Warum sollen sich Freunde erschießen, da sie ihr Leben noch sparen können zum Kampfe gegen ihre gemeinsamen Feinde!“
„So mag die Versammlung entscheiden, ob es nicht feig ist, auf einen ernsten Kampf zu verzichten!“
Die Alten traten wieder zusammen und entschieden zugunsten von Steinbachs Vorschlag. Das war ja unbedingt der beste Ausweg aus dem Dilemma, daß zwei Freunde nach demselben Preis rangen.
Als der Beschluß verkündet wurde, löste sich die bisherige Ordnung der Zuschauer auf. Das Ziel war hoch, und so konnte man es auch aus größerer Entfernung sehen.
Die Spannung, die sich der Leute bemächtigte, war vielleicht noch größer als die vorherige. Man kannte Tarik als den vorzüglichsten Schützen, aber man hatte auch bereits vernommen, was Normann über Steinbach gesagt hatte, nämlich, daß er niemals einen Fehlschuß tue. Man brannte also förmlich darauf, den Ausgang dieses interessanten Duells zu erfahren. Jetzt, da es nicht mehr um das Leben ging, hätten sich gern noch viele andere zum Kampf gemeldet.
Tarik entfernte sich, um sich Munition zu den fünf Schüssen zu holen. Auch Steinbach sagte zu Normann:
„Ich will mein Gewehr holen. Bleiben Sie hier bei dem Riesen, um zu verhindern, daß er sich mit seinen Freunden ins Einvernehmen setzt.“
„Befürchten sie eine Heimtücke?“
„Ich traue weder ihm noch ihnen. Er wird sich jedenfalls zu rächen suchen.“
„Oh, er wird ja sterben.“
„Das wollen wir nur abwarten.“
„Er wird doch nicht die fürchterliche Schande auf sich laden, um sein Leben zu bitten!“
„Ich traue es ihm aber doch zu. Übrigens werde ich ihn auf keinen Fall töten.“
„So muß er, wenn er wirklich ein tapferer Mann ist, sich selbst umbringen. So erheischen es die grausamen Sitten dieser halbwilden Völkerschaften.“
„In diesem Fall würde er wohl erst mich umbringen, hinterrücks natürlich. Darum sollen Sie ihn jetzt bewachen, damit er isoliert bleibt.“
„Schauen Sie her! Er ist noch besinnungslos.“
„Meinen Sie? Ich sah seine Wimper zucken und glaube, daß er sich nur so stellt. Er hat das Bewußtsein bereits wieder, schämt sich aber, seinem Überwinder in das Angesicht zu sehen.“
Steinbach ging nach der Ruine, von der er bald, das Gewehr in der Hand, zurückkehrte.
Es gab in der Nähe der Ruine ein außerordentlich reges, lärmendes Treiben. Man stritt hin und her, man bot sich Wetten an. Steinbach war Zeuge, daß mehrere auf ihn wetteten, und zwar setzten sie einen Preis, der im Verhältnis zu ihrem Besitz ein sehr bedeutender war. Das tat ihm leid. Darum ließ er die verschiedenen Parteien vor sich kommen und bestimmte sie, den Wortlaut der Wetten dahin zu formulieren, daß der Ausdruck ‚Fehlschuß‘ mit aufgenommen wurde.
Ein junger Beni Sallah hatte eine Zeltstange geholt und sie an der angegebenen Ecke befestigt. Er legte dann einen etwa faustgroßen Stein auf die Spitze derselben und trat nachher zurück, um nicht etwa selbst getroffen zu werden.
Die beiden Wettenden wurden darauf von dem alten Kalaf auf einen für sie freigelassenen Platz geführt. Dort saß auch die Königin mit Hiluja. Ihr Vater hatte sich einen anderen Punkt gewählt, von dem aus er das Ziel beobachten wollte. Die Königin winkte Tarik zu sich heran und bat leise:
„Gib dir ja Mühe, keinen Fehlschuß zu tun!“
„Hab keine Sorge!“ beruhigte er sie. „Ich werde alle fünf Male treffen.“
„Gib mir die Kugeln!“
Er gab sie ihr, sie aber schloß sie in ihre hohlen Hände und flüsterte dabei die Worte des Korans:
„Das sind die Kugeln, von Allah gesegnet. Sie eilen an ihr Ziel, von Engeln getragen, und nichts vermag sie aufzuhalten oder aus der Richtung zu bringen. Selbst der neunmal gesteinigte Teufel hat keine Gewalt über sie. Allah sei Dank für seine Güte!“
Viele Beduinen glauben, daß keine Kugel, über die diese Worte gesprochen worden sind, fehlgehen könne. So sagte auch Tarik, als Badija ihm die Projektile wieder zurückgab:
„Ich danke dir! Nun werde ich den Stein ganz sicher von der Stange schießen. Ich bin unbesiegbar.“
Der Augenblick des Kampfes war endlich gekommen. Alles blickte mit Spannung auf Steinbach und Tarik.
„Wer schießt zuerst?“ fragte letzterer.
„Masr-Effendi“, antwortete Kalaf. „Er ist der Sieger von vorher und auch ein vornehmer Mann, dem man Höflichkeit schuldig ist.“
„Ich lasse Tarik den Vorrang“, antwortete Steinbach. „Er ist ein Sohn der Beni Sallah. Wenn es sich um eine Tochter der Beni Sallah handelt, hat er also das Recht, vor mir zu schießen.“
Dies gab einen kurzen, freundschaftlichen Streit, den wieder die Ältesten entscheiden mußten. Sie taten dies zugunsten Steinbachs, mit der Begründung, er wolle den Beni Sallah eine Ehre erweisen, und so zieme es sich auch für diese, höflich gegen ihn zu sein, indem man ihm seinen Wunsch erfülle. Tarik schoß also zuerst.
Als er die Flinte erhob, schlug der Muezzin an sein Brett, um alle Anwesenden zu benachrichtigen, daß der Augenblick gekommen sei.
Es handelte sich um sehr viel, um den Besitz des schönsten Weibes des Stammes und um die Würde des Scheiks, also um das Höchste, was es überhaupt für einen Beduinen geben kann. Darum verfuhr Tarik mit der größten Sorgsamkeit. Er zielte lange, so lange, daß sich einige halblaute, unmutige Ausrufe hören ließen. Er kümmerte sich nicht um dieselben, und auch Hilal, der neben ihm stand, flüsterte ihm zu:
„Laß dich nicht zur Eile verleiten. Du weißt, es steht alles auf dem Spiel.“
Tarik stand, wie aus Erz gegossen. Er war wirklich ein schöner junger Mann. Das sah man so recht deutlich, als er den Burnus abgelegt hatte und nun nach Beduinensitte nur halb bekleidet, in der Stellung eines Schützen dastand.
Endlich krachte der Schuß. Ein Augenblick atemloser Spannung – dann brach von allen Seiten lauter Jubel los. Dieser Beifall wuchs von Schuß zu Schuß. Jede der Kugeln erreichte das Ziel, nur die fünfte, die letzte, streifte den Stein, ohne ihn herabzuwerfen. Der junge Mann war seiner Sache zuletzt doch ein wenig zu sicher gewesen.
Jetzt begann ein Streit, wofür diese Kugel zu rechnen sei. War der letzte Schuß ein Treffer oder ein Fehlschuß? Die Versammlung der Ältesten entschied, daß es zwar kein Fehlschuß sei, da er den Stein getroffen habe, da es sich aber darum handle, den Stein herabzuschießen, so könne der letzte Schuß nicht als Treffer gelten. Tarik hatte also Steinbach gegenüber nur vier Treffer aufzuweisen.
Es begann jetzt dem jungen Manne doch bange zu werden. Wenn Steinbach fünf Treffer tat, so war die Königin unwiederbringlich für ihn verloren. Da faltete Tarik in seiner Herzensangst die Hände und betete flüsternd vor sich hin:
„O Allah! O Erbarmer! O Gnädiger! O Gütiger! O Mitleidiger! Schlage ihm die Flinte beiseite, daß keine seiner Kugeln treffe!“
Steinbach hatte die Worte wohl gehört, da der Sprecher in seiner Angst doch etwas zu laut gesprochen hatte. Er wandte sich daher lachend zu ihm und sagte, mit dem Finger drohend:
„Und du nennst dich meinen Freund! Allah wird deine Untreue gegen mich dadurch bestrafen, daß er mich den Stein fünfmal treffen läßt!“
Und sich zu dem alten Kalaf wendend, zeigte er diesem die Waffe und sagte:
„Siehe, das ist so eine neue Flinte. Jetzt sollst du sehen, wie man damit schießen kann!“
Der Alte nahm ihm das Gewehr aus der Hand, betrachtete es aufmerksam, schüttelte in höchster Verwunderung den Kopf und antwortete endlich:
„Die kannst du doch auch nur von vorn laden. Hinten hat sie ja kein Loch!“
„Sie hat eins. Schau!“
Steinbach öffnete die Kammer, zeigte und erklärte den Mechanismus, schob die Patrone ein und verschloß dann das Gewehr wieder. Als er dann anlegte, schlug der Muezzin wieder an sein Brett.
„Allah illah Allah!“ betete Tarik.
„Mohammed Rassuhl Allah!“ fügte Badija hinzu.
Der Schuß krachte, und der Stein flog herab. Der junge Mann oben an der Stange hatte kaum einen anderen darauf gelegt, so flog auch dieser herab und dann auch der dritte.
„Allah 'l Allah!“ flüsterte Tarik, dem jetzt der Angstschweiß auf der Stirn stand.
„O Himmel, o Kadidscha, du Mutter der Gläubigen und der Seligen!“ stöhnte die Königin leise, die Hand ihrer Schwester ergreifend und so festdrückend, daß letztere einen Ruf des Schmerzes ausstieß.
„Er schießt viel besser noch als ich!“ gestand Tarik, mehr aus Angst als aus Aufrichtigkeit.
„Nicht wahr? Da kannst du recht haben“, sagte Steinbach, ihn lustig anlachend. „Aber du hast noch gar nicht gesehen, wie ich schieße. Ich werde es dir jetzt zeigen. Seht ihr dort draußen das große braune Kamel, das wiederkauend an der Erde liegt?“
„Ja“, lautete die Antwort.
„Was seht ihr auf seinem Höcker?“
„Einen Aßfur.“
Es gibt eine Vogelart, die sich gern in der Nähe der Kamele aufhält, weil sie da reichliche Nahrung findet. Diese Vögel fressen diesen gewöhnlich die Läuse aus dem Fell. Dies wissen die Kamele sehr genau, darum halten sie still, wenn ein solcher Vogel sich auf sie niederläßt. Der Beduine nennt dieses gefiederte Tier einfach Aßfur, was eben nur Vogel bedeutet.
„Und weiter rechts davon steht ein zweites Kamel“, fuhr Steinbach fort. „Was seht ihr auf dessen Rücken sitzen?“
„Auch einen Aßfur.“
„So merkt einmal auf, was jetzt mit diesen Aßafir geschieht!“
Aßafir ist die Mehrzahl von Aßfur, Vogel.
Steinbach erhob das Gewehr. Zwei Schüsse, schnell hintereinander abgefeuert, und – die Umstehenden blickten ihn staunend an, staunend über die für sie ungeheure Schnelligkeit, mit der er geladen hatte, und auch staunend über sein Benehmen, das sie sich nicht zu erklären vermochten.
Nach seinen drei ersten Schüssen war ihm von allen Seiten ein lebhafter Beifall entgegen geklungen; jetzt aber waren alle still. Sie wußten nicht, was er eigentlich gewollt hatte.
„Nun“, sagte er, „wo sind die beiden Aßafir?“
„Fort, weggeflogen“, antwortete Hilal.
„Hast du sie fortfliegen sehen?“
„Nein.“
„Gehe einmal hin, und suche nach ihnen!“
„Willst du sie etwa geschossen haben?“
„Ja.“
„Das ist unmöglich.“
„Warum?“
„Einen Aßfur in solcher Entfernung! Ich würde das Kamel erschießen, aber nicht den Vogel treffen.“
„So gehe nur hin! Du wirst beide finden.“
Da lief nicht nur Hilal, sondern viele andere sprangen mit ihm fort. Als sie bei den beiden Kamelen ankamen, erhoben sie ein lautes Jubelgeschrei und kehrten in eiligem Lauf zurück. Sie brachten die beiden Vögel, die wirklich getroffen waren und nun von Hand zu Hand gingen.
Es ist unmöglich, die Ausdrücke des Staunens und der Bewunderung zu schildern, die Steinbach anzuhören hatte, denn die arabische Sprache besitzt nicht nur einen fast unerschöpflichen Schatz an derbsten Schimpf- und Fluchwörtern, sie ist auch sehr reich an Ausdrücken, die in hohem Grad den ehren, bei dem sie angewendet werden. Erst nach längerer Zeit kam man auf den eigentlichen Gegenstand zurück, mit dem man es zu tun hatte. Der Jüngling nämlich, der oben bei der Zeltstange stand, sah, daß ihm jetzt gar keine Aufmerksamkeit geschenkt wurde, und ließ einen lauten Ruf vernehmen. Er erwartete, daß Steinbach noch zwei Schüsse tun werde. Dieser aber winkte ihm zu, herabzukommen. Das erregte ein abermaliges Erstaunen.
„Wie steht es denn mit den letzten beiden Schüssen?“ fragte der alte Kalaf.
„Die habe ich doch getan.“
„Nein. Du hast nur dreimal nach dem Stein geschossen. Es bleiben dir also noch zwei Kugeln.“
„Ich habe fünfmal geschossen. Fünf Schüsse waren ausgemacht, also bin ich fertig.“
„Allah! So willst du verzichten?“
„Nein, ich verzichte nicht; ich habe die bestimmte Anzahl Kugeln abgesandt. Tarik hat den Stein viermal getroffen, ich nur dreimal. Das muß doch ein jeder von euch zugeben. Ihr habt es ja gesehen und auch nachgezählt.“
„So ist Tarik doch der Sieger!“
„Ja, das ist er.“
„Herr, das hast du mit Fleiß getan!“
„Nein, die Vögel machten mich irre. Ich wollte euch zeigen, daß man mit einer solchen Flinte nicht nur Steine trifft, und so habe ich um der beiden Aßafir willen die Königin verloren und auch die Würde des Anführers. Ihr seht, welchen Schaden es bringt, wenn der Mensch zu hitzig und zu voreilig ist. Nehmt euch ein Beispiel an mir und handelt überlegter!“
Steinbach drängte sich durch den Haufen, der sich um ihn gesammelt hatte, hindurch und ging zu Normann, der noch bei dem Riesen saß. Tarik aber kam ihm eiligst nach, ergriff ihn am Arme und sagte:
„Herr, du hast doch nur Scherz getrieben?“
„O nein. Ich pflege niemals aus Scherz daneben zu schießen und mich auslachen zu lassen.“
„So sollen die beiden Schüsse also wirklich für voll gezählt werden?“
„Natürlich!“
„O Allah! So gehört ja Badija mir!“
„Ist dir das nicht lieb?“
„Nicht lieb? Herr, so wie mir kann es keinem der Seligen im siebenten Himmel zumute sein. Ich kann es gar nicht glauben, daß du Badija aufgibst, nachdem du um ihretwillen dein Leben gewagt hast.“
„Um ihretwillen? Nein, sondern um deinetwillen.“
„Wieso, Herr?“
„Nun, ich glaubte, daß der Riese dich besiegen würde, und da ich wußte, daß ich ihm überlegen bin, so trat ich an deine Stelle. Ich wollte mir die Königin erkämpfen, um sie dann an dich abzutreten.“
„Jetzt, jetzt verstehe ich dich! O Allah! Wie soll ich dir jemals danken!“
„Du bist mir gar keinen Dank schuldig.“
„Für so einen Großmut! Du trittst mir die schönste der Frauen freiwillig ab!“
„Lieber Tarik, es gibt noch hunderttausend Weiber, von denen jede einzelne die schönste der Frauen ist, nämlich für denjenigen, der gerade sie und keine andere liebt. Gehe hin und sei glücklich!“
Da bückte sich Tarik schnell, ehe Steinbach es verhindern konnte, nieder, küßte seine Hand und rief:
„Tausendmal Dank, millionenmal Dank! Ich werde für dich beten, solange ich lebe, und ich werde alle meine Kinder und Kindeskinder lehren, für deine Kinder und Kindeskinder zu beten!“
Steinbach antwortete lachend:
„Wir wollen jetzt unsere Nachkommen noch nicht so genau ausrechnen und auszählen. Bis jetzt sind wir nur die Urahnen ohne Nachkommen und ohne Frau. Eile, damit du recht bald die deinige erhältst! Ich wünsche dir, daß es in fünfzig Jahren einen Stamm der Beni Tarik gebe, der tausend Köpfe zählt!“
„O Allah, Allah, das ist zuviel, tausend Köpfe in fünfzig Jahren!“
Bei diesen Worten rannte Tarik davon. Er traf die beiden Schwestern nicht mehr an der Stelle, an der er sie verlassen hatte. Sie waren nach der Ruine gegangen, und er folgte ihnen nach, vor Glück und Seligkeit fieberhaft aufgeregt.
Unten verkündete der Muezzin den Ausgang des Kampfes. Die Veröffentlichung wurde mit allgemeinem Jubel aufgenommen, besonders auch aus dem Grund, weil niemand eine Wette verloren hatte, da faktisch kein Fehlschuß getan worden war. Man begann erst jetzt die Absichten Steinbachs klar zu durchschauen; man pries seine Weisheit, seine Stärke, seinen Mut, und selbst die Anhänger Falehds mußten mit einstimmen, um sich nicht mißliebig zu machen.
Als Tarik die Ruine erreichte, waren die Schwestern bereits im Innern derselben verschwunden. Er ging ihnen nach. Als er bei ihnen eintrat, entfernte sich Hiluja rücksichtsvoll. Sie sagte sich, daß diese beiden jetzt doch wohl am liebsten miteinander allein sein möchten, und sie hatte recht.
Badija und Tarik standen sich einander gegenüber, ohne sofort zu Wort zu kommen, er aber war noch verlegener als sie.
„Ich hörte noch unter der Tür die Schläge des Muezzins“, sagte Badija endlich. „Was wurde verkündigt?“
„Daß ich der Sieger bin.“
„Ich dachte es mir.“ Dann legte sie ihm die Hand auf die Schulter und fuhr fort: „Weißt du, was ich von diesem Masr-Effendi denke?“
„Er ist ein Held.“
„Er kommt mir noch viel mehr vor, nämlich wie ein Engel, den Allah uns vom Himmel gesandt hat, um uns die höchste Gnade und Barmherzigkeit zu erweisen. Du und Hilal, ihr hättet für mich gekämpft und wäret getötet worden. Masr-Effendi aber hat euch und mir das Leben gerettet, denn auch ich wäre gestorben. Tarik, hörst du, die Schläge erschallen wieder; es ist die Zeit des Nachmittagsgebetes. Laß uns vor allen Dingen hier miteinander niederknien, um Allah zu danken und zu preisen für seine unendliche Barmherzigkeit und ihn bitten, das ganze Maß seiner Liebe auszuschütten über unseren Retter, der sein Leben wagte, um uns vom schmählichen Tod zu erlösen!“
Sie knieten nebeneinander nieder und beteten, nicht laut, sondern still und inbrünstig. Der aber, zu dem sie beteten, hörte die Stimmen ihrer Herzen und sah die Aufrichtigkeit ihrer Wünsche. Welchen Namen man ihm auch geben möge, ob man ihn Herr, Gott, Manitou oder Allah nenne, er ist doch ein und derselbe, die ewige, unendliche Liebe, der Schöpfer und Vater aller Menschen, der nicht nach der Verschiedenheit der Bekenntnisse fragt, sondern nur das Herz und die Seele prüft. Vor ihm sind alle gleich, Christen, Juden, Türken, Heiden. Nicht das Bekenntnis tut es, nicht die Konfession, sondern der eine, große Gottesgedanke, von dem der Dichter sagt:
„So einigt er zu einem Strome
Die Menschheit all', von nah und fern,
Zu knien anbetend in dem Dome
Der Schöpfung vor dem einen Herrn.
Der Glaube nur kann triumphieren,
Der einen Gott und Vater kennt.
Die Namen sinken, und es führen
Die Wege all' zum Firmament!“
Es waren heilige Augenblicke, in denen die beiden da knieten und stilles Zwiegespräch mit Allah hielten. Und als sie sich erhoben und nun voreinander standen, fühlten sie sich erhoben und ergriffen, als ob sie einem Gottesdienst beigewohnt hätten. Die Weihe blieb noch über und auf ihnen, so daß es ihnen unmöglich gewesen wäre, jetzt von alltäglichen, profanen Dingen zu sprechen. Es gab vielmehr für sie nur einen großen Gedanken und ein großes, gewaltiges Empfinden: die Liebe. Badija reichte Tarik ihr kleines Händchen hin und sagte, glücklich lächelnd:
„Du bist der Sieger, ich gehöre dir!“
„Ich verstehe dich“, entgegnete Tarik vor Glück bebend, „und wage doch nicht zu glauben, dich zu verstehen. Wolltest du mir wirklich, wirklich das sein, als was ich dich zu besitzen wünsche – mein Weib?“
„Ja, das ist es, was ich sein möchte, dein Weib, aber doch zugleich noch ein ganz klein wenig deine Königin.“
Da zog er sie an sich, legte die Arme fest, fest um sie und sagte, im Flüsterton, denn laut zu sprechen, dies war ihm bei der gewaltigen, glücklichen Erregung, in der er sich befand, nicht möglich:
„Meine Badija! Meine Königin! Meine Geliebte und mein Weib!“
Sie vereinigten ihre Lippen, ohne sie wieder voneinander zu trennen. Es war, als ob dieser Kuß von derselben Dauer sein solle wie das Glück, von dem sie soeben gesprochen hatten – in alle, alle Ewigkeit.
Dann standen sie beisammen, flüsternd und lauschend, als hätte noch eins von ihnen des anderen Stimme gehört oder als ob jedes in der Stimme und dem Ton des anderen einen ganz neuen, bisher unbekannten und geheimnisvollen Wohlklang entdeckte.
Und so hätten sie wohl noch lange gestanden, sich einander in die Augen geblickt, sich geherzt und geküßt und einander erzählt von ihrer Liebe, Liebe und immer wieder Liebe, wenn nicht draußen sich plötzlich der brausende und vielstimmige Ruf erhoben hätte.
„Selamet, selamet, selamet el melik we melika – Heil, Heil, Heil dem König und der Königin!“
„Man ruft uns aus!“ fuhr Tarik aus seiner Verzückung empor. „Hörst du es?“
„Ja. Man hat also über dich beraten.“
„Und mich wirklich zum Scheik gemacht.“
„So sind die Anhänger Falehds, die Gegner des Vizekönigs, überwunden und geschlagen.“
„Und Falehd selbst wird nun tot sein. Komm, wir müssen uns dem Stamm zeigen!“
Sie gingen hinaus, Badija im ruhigen, überlegenen Bewußtsein ihres Glückes und ihrer Würde. Tarik aber wankend. Er befand sich wie im Traum, es schwirrte ihm vor den Ohren, es hatten ihn eine Art von Taumel ergriffen, aber solchen Taumels, daß er hätte wünschen mögen, derselbe möchte niemals von ihm weichen.
Was Tarik von Falehd gesagt hatte, war nun freilich nicht mit der Wahrheit übereinstimmend. Der Riese war nicht tot.
Als die beiden Schwestern sich entfernt hatten und Tarik ihnen nachgeeilt war, hatte Steinbach sich zur Stelle verfügt, an der der Besiegte lag, der von Normann bewacht wurde. Hilal und der Scheik der Ben Abbas waren auch hinzugekommen.
„Ist er erwacht?“ fragte Steinbach.
„Nein“, antwortete Normann.
„Das sollte mich wundern. Ich habe dieselbe Ansicht, die ich bereits vorher aussprach. Passen Sie auf.“
Steinbach hatte deutsch gesprochen, so daß der angeblich noch Besinnungslose die Worte nicht verstehen konnte. Am Boden lag ein Halm dürren Wüstengrases. Steinbach bückte sich, hob ihn auf und fuhr damit Falehd in das innere Ohr. Sofort schüttelte der Riese, schnell das rechte Auge öffnend, den Kopf. Er hatte nur so getan, als ob er noch immer ohnmächtig sei.
„Du lebst noch?“ sagte Steinbach im Ton des Erstaunens. „Ich glaubte dich tot. So wirst du nun sterben müssen.“
Er zog das Messer aus dem Gürtel und nahm es stoßgerecht in die Hand. In den Augen des Riesen blitze es glühend auf.
„Ich bin gefesselt!“ murmelte er.
„Das kann dir gleichgültig sein.“
„Es ist eine Beleidigung.“
„Wer vor dem Tod steht, achtet keiner Beleidigung mehr. Welche Wünsche hast du noch?“
„Daß dich der Teufel verschlingen möge!“
„Das tut er nicht, weil er an dir genug bekommen wird. Mache dein Wassiget nameh!“
Wassiget nameh heißt soviel wie Testament. Es waren jetzt noch viele andere hinzugetreten, die einen engen Kreis um die Gruppe bildeten. Der Verwundete zeigte keinen so häßlichen oder gar schrecklichen Anblick, wie man hätte denken sollen. Er hatte die Zähne, die ihm eingeschlagen worden waren, ausgespuckt, auch hielt er das linke Augenlid geschlossen, und da er übrigens vom Blut gereinigt worden war, so konnte man nur die geschwollenen Lippen und die außerordentlich blau angelaufene Nase als die Folgen des Kampfes erkennen.
„Willst du mich morden?“ knirschte er.
„Nicht morden. Dein Leben gehört mir, und ich kann also damit tun, was mir beliebt.“
„So tue es!“
„Ich werde es dir nehmen.“
„Nimm es und sei verflucht!“
„Du selbst hast keine Gnade geben wollen; ich aber bin bereit, dir das Leben zu schenken, wenn du mich jetzt um Gnade bittest.“
„Dich, niemals!“
„So mache dich bereit. Ich gebe dir fünf Minuten Zeit, deine letzten Verfügungen zu treffen.“
„Ich mag keine Verfügungen treffen. Tut was ihr wollt mit dem, was mir gehört!“
„So mag der Muezzin kommen, um das Gebet des Todes über dich zu sprechen.“
„Verdammt sei der Muezzin samt all seiner Plärrerei! Ich mag ihn nicht!“
„So mußt du ohne Gebet und Testament sterben. Allah mag sich deiner Seele erbarmen! Wie willst du sterben? Durch mein Messer oder durch meine Flinte?“
„Du bist ein Hund. Du bellst, aber du beißt nicht.“
„Du irrst dich. Du meinst, daß ich dich begnadigen werde, ohne daß du bittest; das aber tue ich nicht. Da du weder durch Messer noch durch Kugel sterben willst, so werde ich tun, was mir beliebt. Du schimpfst auf mich, trotzdem ich dir mein Erbarmen zeige, du bist nicht wert, den Tod eines Kriegers zu sterben. Ich werde ich aufhängen lassen!“
Da bäumte sich der Riese trotz seiner Fesseln auf und brüllte:
„Hund und Vater eines Hundes! Durch den Strick stirbt kein tapferer Beduine!“
„Das ist wahr, du aber wirst durch ihn sterben, denn du bist nicht tapfer, du bist nur roh, du beleidigst den, der dich besiegt. Nicht einmal das Aufhängen bist du wert, du sollst also erdrosselt werden. Und da der Prophet sagt, daß die Seele keines Mannes, der durch den Strick stirbt, in den Himmel eingehe, so wirst du in der Hölle braten, wohin du mich gewünscht hast. Man hole mir einen Kamelstrick!“
Normann ging und brachte nach wenigen Augenblicken einen aus Dattelfasern gefertigten Strick.
„Legen Sie ihm denselben um den Hals!“ sagte Steinbach.
Normann folgte dieser Aufforderung.
Als der Riese den Strick an seinem Hals fühlte, machte er eine gewaltige Anstrengung, seine Fessel zu zerreißen, und schrie, als ihm das nicht gelang:
„Das darfst du nicht! Du darfst mich nicht erwürgen!“
„Ich werde dir gleich zeigen, daß ich es darf!“
Steinbach ergriff das eine Ende des Strickes, während Normann das andere noch in der Hand hielt.
„Willst du selbst den Henker machen?“ schrie Falehd.
„Ja. Es ist keine Schande, denjenigen zu töten, den man vorher besiegt hat. Also machst du kein Testament?“
„Nein!“ antwortete der Riese, der noch immer nicht glaubte, daß man es wagen werde, ihn zu töten.
„Du willst kein Sterbegebet?“
„Nein.“
„So fahre hin in allen deinen Sünden! Zieh an, da drüben! Eins – zwei – dr –“
Beide, Steinbach und Normann, stemmten die Füße ein, als ob sie an beiden Seiten des Strickes ziehen wollten, und zogen auch wirklich so weit an, daß sich die Schlinge fest um den Hals Falehds legte. Erst jetzt war dieser überzeugt, daß man Ernst mache, und so groß, wie vorher sein Selbstvertrauen gewesen war, so groß oder vielmehr noch größer war nun seine Angst. Entsetzt warf er sich mit dem Oberkörper empor und brüllte:
„Halt! Haltet ein!“
„Warum? Bittest du um Schonung?“
„Ja.“
„So tue es! Sprich das Wort aus, sonst gilt es nichts!“
„Aman, aman – Gnade, Gnade!“
„Gut! Das Leben sei dir geschenkt. Wir werden dich also losbinden.“
Steinbach bückte sich bereits, um dies zu tun, da aber ertönte es hinter ihm:
„Halt, noch nicht! So schnell darf man einem Besiegten das Leben nicht schenken. Zumal diesem hier nicht!“
Kalaf, der Alte, war es, der diesen Einspruch erhob.
„Er hat ja um Gnade gebeten!“ meinte Steinbach.
„Ja, das hat er, aber es fragt sich, ob er auch die Folgen dieser Bitte auf sich nehmen will. Er ist der Bruder des toten Scheiks, er hat sich für den Mächtigsten und Unüberwindlichsten gehalten, dem alles untertan sein muß; vielleicht glaubt er, daß wir aus lauter Angst und Respekt vor ihm gar nicht daran denken, ihn die Folgen seiner Gnadenbitte fühlen zu lassen. Daher will ich erst einige Worte mit ihm sprechen, ehe du ihm das Leben schenkst.“
Das von der Sonne verbrannte Gesicht des Riesen wurde erdfahl. Das war der sicherste Beweis, daß der vorsichtige Alte das Richtige gedacht hatte. Falehd hatte wirklich gemeint, daß er, der Angesehene und Gefürchtete, sich begnadigen lassen könne, ohne auch die Schande tragen zu müssen. Ja, vielleicht hatte er wohl gar gemeint, daß der Stamm überhaupt nicht zugeben werde, daß der stärkste seiner Krieger von Steinbach getötet und nun gar erdrosselt werden könne, wenigstens war dies aus seinem vorherigen Vorhaben sehr leicht zu ersehen. Jetzt erkannte er, daß weder das eine noch das andere der Fall sei. Er hatte keine Rücksicht, keinen Vorzug zu erwarten; diese Überzeugung trieb ihm mit aller Gewalt das Blut aus dem Gesicht in das Herz zurück.
Die Ältesten, welche die Worte Kalafs gehört hatten, traten mit ernsten Mienen herbei. Es war das erste Mal in ihrem ganzen, langen Leben, daß ein Angehöriger des Stammes um Gnade gebeten hatte. Und nun gar derjenige, der sie bisher tyrannisiert und sich für den besten und edelsten von ihnen allen gehalten hatte. Kalaf fragte ihn:
„Weißt du auch, was du tust?“
„Ich habe es stets gewußt und weiß es auch jetzt.“
„Wer um Gnade bittet, erhält zwar sein Leben, nicht aber sein Eigentum.“
„Freßt meine Kamele und erstickt an ihnen.“
„Er ist ehrlos für immer.“
„Ihr könnt mir weder Ehre geben noch sie mir nehmen.“
„Und wird aus dem Stamm gestoßen.“
„Ich gehe selbst!“
„Er ist vogelfrei!“
„Das will ich ja sein!“
„Und wenn er innerhalb der Grenzen des Stammgebietes sich sehen läßt, kann ein jeder ihn töten, ohne die Blutrache befürchten zu müssen.“
„Hahaha! Man mag mich töten, wenn man sich an mich wagen will. Ihr seid alle Hunde, die ich mit meinen Füßen zertreten werde.“
„Ein Ehrloser kann keinen braven Krieger mehr beleidigen. Also, du willst Gnade?“
Falehd schwieg. Es wurde ihm doch schwer, auf eine solche Frage antworten zu müssen.
„Ich frage dich zum letzten Mal. Antwortest du nicht, so ist jede spätere Bitte vergeblich. Also, willst du Gnade?“
„Ja.“
„So werde ich dir selbst die Fesseln nehmen.“
Kalaf machte die Knoten der Riemen auf. Da sprang der Riese empor, streckte die Arme aus, schüttelte sich wie ein wildes Tier, das angekettet gewesen ist, und sagte:
„Frei, frei! Jetzt sollt ihr mich kennenlernen!“
„Wir kennen dich, du bist ohne Ehre für alle Zeit, und wer deinen Namen nennt, der wird dabei ausspeien. Vergessen sei dein Vater, und vergessen sei diejenige, die dich geboren hat! Mit den Schakalen und Hyänen sollst du leben, und wenn deine Leiche in der Wüste verfault, wird der Wanderer in einem weiten Bogen ausweichen, damit dein Anblick ihn nicht verunreinige.“
„Oh, ehe ich sterbe“, antwortete Falehd, „werden viele von euch vorher verfaulen müssen!“
„Und zum Zeichen, daß du keine Ehre mehr besitzt“, fuhr Kalaf fort, „werde ich als der erste dir das geben, was dir von jetzt an gebührt. Erhebet eure Stimmen, ihr Männer, und ruft mit mir, was ich über ihn rufe: Ja mußibe, ia ghumma, ia elehm, ia rezalet – o Unglück, o Kummer, o Schmerz, o Schande!“
„Ja mußibe, ia ghumm, ia elehm, ia rezalet – o Unglück, o Kummer, o Schmerz, o Schande!“ riefen alle Versammelten nach, die Hände ausstreckend, um ihren Abscheu zu zeigen.
„Hier ist, was dir gehört! Pfui!“
Kalaf spie den Riesen an.
Und „pfui!“ machten alle es ihm nach, indem auch sie den Riesen anspuckten.
Dieser stand still, ohne eine Miene zu verziehen. Er hielt das gesunde Auge ebenso geschlossen wie das andere. Er wollte gar nichts sehen. Aber als er es öffnete, sprühte der Blick förmlich unter dem Lid hervor.
„Seid ihr fertig?“ fragte er höhnisch.
Das sollte ruhig klingen, und Falehd gab sich alle Mühe, keine Aufregung zu zeigen, aber seine Stimme klang heiser, und die Worte drangen zitternd zwischen seinen Lippen hervor.
„Ja“, antwortete Kalaf. „Gehe in dein Zelt. Du sollst in kurzer Zeit erfahren, was die Versammlung der Ältesten noch über dich beschließt.“
„Noch beschließt? Es ist ja bereits beschlossen!“
„Dieser tapfere Masr-Effendi hat dir das Leben geschenkt; vielleicht ist die Versammlung auch gnadenreich gesinnt, dich wenigstens nicht als Bettler von sich zu lassen. Erwarte ihren Spruch.“
„Beschließt, was ihr wollt! Eins wird euch von mir sicher sein: Rache, Rache, Rache!“
Falehd wandte sich darauf ab und ging, stolz und erhobenen Hauptes, als ob er der Sieger sei, nicht aber der Besiegte und Ehrlose.
Er war kaum in sein Zelt getreten, so kamen Ibrahim Pascha und der Russe zu ihm. Auch sie beide hatten dem Kampf und den nachherigen Verhandlungen beigewohnt, allerdings nur von weitem.
„Wie, ihr kommt zu mir?“ fragte Falehd in grimmigstem Hohn.
„Wundert dich das?“ antwortete der Pascha.
„Natürlich! Ich bin ja ehrlos!“
„Was geht das uns an!“
„Ihr verunreinigt euch, wenn ihr euch mir nähert!“
„Das ist lächerlich. Diese Räuber können keinem Menschen die Ehre geben und sie auch keinem nehmen.“
„Habt ihr denn alles gesehen und gehört?“
„Ja.“
„So sehe ich freilich, daß ihr meine Freunde seid, denn sonst wäret ihr nicht zu mir gekommen. Setzt euch nieder. Raucht von meinem Tabak, der bald nicht mehr mein sein wird, und trinkt den Kaffee, den ich euch nicht mehr als den meinigen anbieten darf!“
Polikeff und Ibrahim Pascha kamen dieser Aufforderung nach. Falehd aber zog sich ein Wassergefäß herbei, um Auge, Nase und Mund zu kühlen, und knurrte zornig:
„Seht ihr, daß dieses Auge verloren ist? Aber es soll diesem Masr-Effendi seine beiden kosten!“
„Wie war das nur möglich!“ sagte der Russe. „Du bist an Stärke ein Elefant und warst vorher völlig siegesgewiß!“
„Denkt ihr etwa, er hat mich besiegt?“
„Etwa nicht?“
„Nein, er nicht!“
„Wer sonst?“
„Er hat einen Zauber, er muß einen haben, sonst wäre es nicht möglich gewesen. Nicht einmal das Amulett hat mir etwas genützt. Er sei verflucht!“
„Glaubst du an Zauberei und Amulette?“
„Ja. Und wenn ich noch nicht daran geglaubt hätte, jetzt würde ich es glauben. Habt ihr nicht gesehen, daß er, als ich zuerst auf ihn einsprang, gar nicht mehr dort stand, wo er gestanden hatte?“
„Er sprang dir entgegen.“
„Nein, nein! Er hat sich unsichtbar gemacht. Darum konnte er den Hieb ausführen, mit dem er mir das Auge ausschlug. Und so war es auch beim zweiten und beim dritten Mal.“
„Er ist ein starker Kerl!“
„Stark? Gehört Stärke dazu, einem das Auge und die Zähne auszuschlagen, wenn man sich unsichtbar gemacht hat? Gar keine!“
„Laß dich nicht durch solchen Aberglauben verleiten! Es ist besser, den Feind richtig kennenzulernen. Wer seinen Gegner unterschätzt, der kann leicht von ihm überwunden werden. Dieser Kerl besitzt weder einen Zauber noch ein Amulett, er ist nur riesenstark und dabei außerordentlich gewandt. Ich habe das ja auch an ihm erlebt. Ich schlug ihm mit dem Ruder über den Kopf, daß die Hirnschale eines jeden anderen sofort in Stücke gesprungen wäre; er aber ist, wie es scheint, gar nicht einmal betäubt gewesen. Im Nahkampf kann keiner mit ihm etwas anfangen. Er muß aus der Ferne getötet werden!“
„Getötet?“ knirschte der Riese. „Nein, das werde ich nicht tun, auf keinen Fall!“
„Ich denke, du hast ihm Rache geschworen!“
„Ja, aber meinst du, daß es genügend Rache sein würde, ihn zu töten?“
„Was hast du denn vor?“
„Auge um Auge, Zahn um Zahn! So steht es im Gesetz der Blutrache. Er hat mir die vorderen Zähne eingeschlagen; ich schlage sie ihm alle ein. Er hat mich gebunden und gefesselt wohl eine Stunde lang; ich aber werde ihn binden und fessel für immer; ich werde ihn an Stricken mit mir herumführen, solange er lebt, oder solange ich lebe!“
Falehd sagte das in einem solchen Ton, daß die beiden anderen schauderten, obgleich sie weder sehr zarte Nerven noch ein zartes Gewissen besaßen. Der Pascha, in dessen Interesse es ebenso wie in demjenigen des Russen lag, Steinbach vernichtet zu sehen, fragte:
„So gedenkst du, ihn in deine Gewalt zu bekommen?“
„Ja.“
„Das wird wohl kaum möglich sein.“
„Was Falehd will, das tut er auch!“
„Oh, du wolltest ihn besiegen und hast es doch nicht getan!“
„Schweig! Willst du zu meinem Grimm auch noch deinen Hohn fügen? Ich konnte nicht ahnen, daß dieser Hund so stark ist. Jetzt, da ich es weiß, kann ich mich danach richten.“
„Wie aber willst du dich seiner bemächtigen? Du wirst ja den Stamm verlassen müssen!“
„Das würde ich auch tun, wenn ich nicht dazu gezwungen wäre. Bleibe ich hier, so könnte ich mich unmöglich rächen.“
„Ich errate deine Gedanken. Du willst so lange in der Nähe herumschleichen, bis der Deutsche in deine Hände gefallen ist.“
„Meinst du? Du scheinst mich für einen Mann zu halten, dem trotz der Wüstenhitze das Gehirn erfroren ist. Hast du denn nicht gehört, daß ich vogelfrei bin?“
„Allerdings.“
„Jeder kann mich töten. Ich würde also ermordet sein, bevor ich diesen Effendi nur zu sehen bekäme. Außerdem wird er sich ja gar nicht lange hier aufhalten.“
„So willst du ihn auf der Rückreise überfallen?“
„Daß ich dumm wäre! Ich kenne die Zeit seiner Abreise nicht und müßte also von jetzt an in der Wüste liegen, bis er kommt. Wie kann ich das bei meinem Auge, das der Pflege bedarf? Und wie könnte ich es allein, da er doch mit Begleitung reisen wird?“
„So willst du dir Beistand holen?“
„Ja. Endlich kommt dir der richtige Gedanke.“
„Von wem erwartest du Hilfe? Von unseren hiesigen Freunden?“
„Von ihnen? Der Teufel fresse sie! Habt ihr nicht gesehen, daß auch sie vor mir ausspuckten? Wenn der Löwe tot ist, setzen sich alle Vögel auf sein Fell, um ihn zu verhöhnen. Nein. Der Unglückliche hat lauter Feinde, aber keine Freunde.“
„Das ist nicht wahr. Du hast noch Freunde.“
„So nennt sie mir doch einmal mit Namen! Jetzt, wo dieser Knabe Tarik die Königin zum Weib bekommt, wird er Scheik des Stammes. Es ist ein Anhänger des Vizekönigs, und alle, die vorher zu uns gehalten haben, weil sie glaubten, daß ich Scheik sein würde, werden ihm den Speichel lecken. Ich habe nur einen Freund hier, einen einzigen.“
„Wer ist das?“
„Suef, mein Sklave.“
„Und noch zwei andere.“
„Wen? Etwa ihr?“
„Ja.“
Falehd lachte höhnisch auf.
„Ihr meine Freunde? Ihr werdet euch hüten, euch zu mir, dem Ausgestoßenen, dem Aussätzigen zu bekennen!“
„Das werden wir allerdings nicht tun; das wäre eine große Dummheit; aber deine Freunde sind wir trotzdem. Sage uns, in welcher Weise wir dir dienen können; wir werden es gern tun!“
„Ich traue weder dem Obersten der Teufel noch einem einzigen seiner Untertanen!“
„Das ist eine Beleidigung für uns!“
„Nehmt es, wie ihr wollt. Ich kann euch nichts mehr nützen, und ihr könnt mir nicht helfen.“
„Vielleicht doch!“
„Nein. Ihr seid vielleicht noch hilfloser als ich selbst. Dieser Effendi wird mich laufenlassen, ohne sich weiter um mich zu kümmern; auf euch aber hat er es abgesehen. Sobald ihr das Lager verlassen habt, wird er hinter euch her sein. Nun sagt mir, wer schlimmer daran ist, ich oder ihr?“
„Beide gleich schlimm. Darum wird es das beste sein, wenn wir uns gegenseitig unterstützen.“
„Unterstützen! Drei Hilflose sich unterstützen.“
Falehd lachte laut auf, wurde aber schnell wieder ernst, verfiel in ein kurzes Nachdenken und sagte:
„Hm! Vielleicht habt ihr nicht ganz unrecht. Drei Schwache haben doch wohl mehr Kraft als ein Starker. Ich weiß freilich nicht, ob ich euch trauen kann!“
„Wenn du an unserer Aufrichtigkeit zweifelst, so gibst du damit nicht den Beweis großen Scharfsinnes. Masr-Effendi ist unser Todfeind, der uns verderben will. Um uns zu retten, müssen wir darauf bedacht sein, ihn unschädlich zu machen. Wir hatten alle unsere Hoffnungen auf dich gesetzt; wir waren überzeugt, daß er unter deinen Streichen fallen werde. Wir haben uns getäuscht. Nun muß uns alles willkommen sein, was geeignet ist, uns von ihm zu befreien.“
„Das ist eine verständige Rede, dir mir freilich die Überzeugung bringt, daß ich euch trauen darf. Also, ihr würdet mir helfen?“
„Ja.“
„So will ich euch einen Plan mitteilen. Er ist gut, obgleich ich ihn erst vor einigen Minuten fassen konnte. Kennt ihr die Beni Suef?“
„Nein. Wir wissen nur, daß sie die grimmigsten Feinde deines Stammes sind.“
„Das sind sie; ja, bei Allah, das sind sie. Ich habe sie öfters besiegt und brachte von einem solchen Sieg auch meinen Sklaven mit heim, von dem ich vorhin sprach. Ich habe ihn nach dem Namen seines Stammes Suef genannt und ihn sehr gut behandelt, da ich doch zuweilen daran dachte, daß ich ihn einmal gebrauchen könnte. Jetzt ist das eingetroffen. Weil er es gut bei mir hatte, ist er mir treu und haßt die anderen Beni Sallah bis zum Tod. Man stößt mich aus dem Stamm, ich trete zu den Beni Suef über.“
„Ah! Das ist's! Werden sie dich aufnehmen?“
„Fragt, ob eine Herde von Stuten den Hengst aufnehmen wird, der sie gegen die Wölfe schützt! Sie werden mich hoch willkommen heißen, und ich werde sie gegen den Beni Sallah führen.“
„Nun verstehen wir dich. Du willst die Beni Sallah mit den Beni Suef überfallen und dabei diesen Masr-Effendi gefangennehmen?“
„Ja, das will ich, und das werde ich.“
„Möge es dir gelingen!“
„Es gelingt. Ich wünsche euch, ebenso überzeugt sein zu können, daß ihr dem Deutschen entgeht.“
„Das könnten wir jetzt leicht. Nimm uns mit!“
„Daran habe ich auch schon gedacht. Die Beni Suef sind Feinde des Vizekönigs, wie sie die unsrigen sind. Mit ihrer Hilfe könnt ihr die Beni Sallah besiegen und sie zwingen, gegen den Khedive zu ziehen.“
„Nun, anderes und Besseres können wir ja gar nicht wünschen und verlangen. Wir fragen dich also hiermit, ob du uns mitnehmen willst.“
„Gut, ihr sollt mit mir reiten.“
„Wann wirst du aufbrechen?“
„Man hält jetzt noch Beratung. Jedenfalls muß ich noch vor Sonnenuntergang fort, denn wer sich bei Einbruch der Dunkelheit im Lager befindet, ist Gast des Stammes, selbst der Ausgestoßene, er darf nicht fortgewiesen werden.“
„So wollen wir uns immer bereitmachen.“
Ibrahim Pascha erhob sich von der Decke, auf der er gesessen hatte. Der Riese aber, der sich während dieses Gesprächs immerfort das Auge gekühlt hatte, ergriff ihn schnell am Arm, zog ihn nieder und sagte:
„Was fällt dir ein! Meinst du etwa, daß ihr mit mir zusammen aufbrechen werdet?“
„Was sonst?“
„Ich habe dich für klüger gehalten. Es darf ja doch kein Mensch ahnen, daß wir uns heimlich miteinander zum Verderben des Stammes geeinigt haben. Und sodann ist es gewiß, daß euch, sobald ihr das Lager verlaßt, dieser verdammte Deutsche sogleich folgen würde. Ihr hättet ihn also hinter euch und ich ihn auch hinter mir. Was sollte da aus unserem Plan werden!“
„Du meinst also, daß wir heimlich abziehen?“
„Natürlich.“
„Das wird sehr schwer gehen. Vielleicht ist es ganz und gar unmöglich. Wie können wir von hier entkommen, ohne bemerkt zu werden?“
„Dafür laßt nur mich sorgen! Horcht!“
Eben jetzt erhob sich draußen der bereits erwähnte vielstimmige und jubelnde Ruf:
„Heil dem König und der Königin!“
Der Riese schlug mit der geballten Faust auf den neben ihm sich erhebenden Feuerherd, daß die Steine desselben prasselnd zusammenstürzten, und sagte:
„Da habt ihr es! Der Knabe ist König, ist Scheik und Anführer geworden. Nun können die Männer gehen!“
„Um wiederkommen und sich rächen zu dürfen!“ fiel der Russe ein.
„Ja, das wollen wir, das wollen und werden wir! Nun aber bleibt uns nicht viel Zeit mehr übrig. Die Ältesten werden bald erscheinen, um mir das Ergebnis ihrer Beratung zu verkündigen. Da muß alles besprochen sein.“
„So mach schnell, uns zu sagen, wie wir uns zu verhalten haben!“
„Ich werde das Lager verlassen, indem ich nach Norden reite, um diese Halunken hier irrezuführen. Da aber die Beni Suef im Süden von hier wohnen, werde ich bald nach dieser Richtung einbiegen. Mein Sklave wird sich freuen, wenn er hört, daß er wieder zu den Seinen darf und frei sein wird.“
„Läßt man ihn denn fort?“
„Ich weiß es nicht und glaube es auch nicht. Aber das ist mir gerade lieb. Er ist jung, wird also zu den Wächtern des Lagers gehören. Ich sage ihm, wo er mich findet. Ihr packt heimlich zusammen, was euch gehört, und er wird kommen, euch abzuholen. Das ist alles, was ihr zu wissen nötig habt. Hört ihr die Schüsse und das Jubelgeschrei? Jetzt wird der neue Scheik mit der Königin auf der Ruine erscheinen, um sich dem Stamm zu zeigen. Dem Stamm? Ach, wir wollen nicht vergessen, daß dies hier das Lager nur eines Teiles des Stammes ist. Die Oase ist nicht so groß, daß sie alle Beni Sallah zu fassen vermöchte. Wir aber kommen mit sämtlichen Beni Suef zurück. Es wird uns also leicht sein, das Lager zu besiegen. Doch horch! Man kommt!“
Draußen ließen sich in der Tat Schritte vernehmen, und dann wurde der Name des Riesen gerufen. Er trat vor das Zelt, wo die Ältesten des Stammes, begleitet von vielen anderen Beduinen, standen.
„Tretet ein!“ sagte Falehd höhnisch-freundlich zu ihnen.
„In das Zelt eines Ehrlosen tritt kein Sohn der Beni Sallah“, antwortete der alte Kalaf. „Wir sind gekommen, dir unseren Beschluß zu verkündigen.“
„Er wird von Weisheit triefen wie das Maul eines Kamels, wenn es aus der Pfütze getrunken hat!“
„Du verhöhnst uns, trotzdem wir dir Gutes zugedacht haben. Um so größer wird Allah die Barmherzigkeit ansehen, die wir dir erweisen wollen. Du wirst das Lager verlassen in der Zeit, die von den Abendländern eine Stunde genannt wird.“
„Ich werde sehr gern noch eher gehen.“
„Eigentlich müßtest du gehen, so wie du hier stehst, denn alles, was ein Ausgestoßener besitzt, das fällt dem Verwandten anheim.“
„Wer ist der Verwandte?“
„Die Königin. Du warst ihr Schwager.“
„Also wird Tarik, das Kind, sich an meinem Eigentum ergötzen?“
„Er ist Nachfolger des verstorbenen Scheiks.“
„Er mag meine Herden fressen, bis er vor Fett zerplatzt. Dann wird er selbst von den Hyänen verzehrt werden. Das ist meine Weissagung.“
„Schimpfe immerhin den, der dir Gutes tut! Du müßtest eigentlich mit deinen Füßen das Lager verlassen; aber die Versammlung erlaubt dir, das beste deiner Reitkamele mitzunehmen. Auch sollst du zwei Lastkamele mit vollen Wasserschläuchen erhalten, denn du bist verwundet und brauchst in der Wüste viel Wasser, um dein Auge zu kühlen.“
„Oh, ich habe auch noch anderes zu kühlen, als nur das Auge, und dazu brauche ich mehr als nur Wasser.“
„Du sollst noch zwei weitere Kamele erhalten, um Mehl, Salz und Datteln und auch dein Zelt zu tragen, damit du nicht Hunger leidest und eine Wohnung hast in der Wüste. Das ist es, was wir dir schenken.“
„Ich danke euch! Ihr seid barmherzig. Ihr schenkt mit den Kern einer Dattel, behaltet aber die ganze fruchttragende Palme für euch. Möge dafür die Hölle euer Lohn sein in alle Ewigkeit!“
„Jetzt weißt du, was wir wollen. Ist die Stunde abgelaufen, und du befindest dich noch im Lager, so wirst du fortgewiesen, ohne etwas mitnehmen zu dürfen. Allah lenke deine Schritte, damit du nicht einem Beni Sallah begegnest!“
„Ich würde ihn töten!“
„Du wirst keine Waffen mitnehmen dürfen als nur allein das Messer. Einer Schlange nimmt man, wenn man sie leben läßt, das Gift, damit ihr Leben niemand in Gefahr bringen kann.“
„Soll ich etwa allein gehen?“
„Frage, ob jemand dich begleiten will.“
„Ich soll ein Reitkamel haben und vier Lastkamele. Ein einzelner Mann ist zu wenig für fünf Tiere.“
„Du bist ehrlos. Wer mit dir geht, wird auch ehrlos. Niemand wird dich begleiten wollen.“
„Suef, mein Sklave, wird es.“
„Er wird es nicht!“
„Ich befehle es ihm!“
„Du hast ihm nichts mehr zu befehlen; er ist nicht mehr dein Eigentum.“
„Gehört auch er jetzt Tarik?“
„Ja.“
„So wünsche ich diesem Knaben Tarik, daß er an dem Sklaven seine Freude erleben möge. Packt euch nun fort! Ich habe euch nun lange genug die Gnade meines Anblicks erwiesen. Ihr werdet mich nur dann erst wiedersehen, wenn ich komme, um über euch Gericht zu halten. Dann werdet ihr wünschen, tot zu sein, denn das ist besser, als sich in meinen Händen zu befinden.“
„Wir lachen deiner Drohung. Du gleichst dem Krokodil, dem man Kopf und Schwanz abgehackt hat, es kann weder leben noch schaden.“
Kalaf wandte sich um, und die Ältesten mit ihm. Sie hatten jetzt mehr zu tun, um länger hier bei diesem starrsinnigen Menschen verweilen zu können. Die Neuwahl eines Scheiks ist von so großem Einfluß für das Schicksal und das Wohlergehen des Stammes, daß ein solcher Tag stets mit außergewöhnlichen Feierlichkeiten und Festivitäten begangen wird. Die Ältesten hatten die dazu nötigen Arrangements zu treffen.
Die beiden Personen, die sich im Lager der Beni Sallah in der gehobensten Stimmung befanden, waren natürlich die Königin und Tarik. Aber auch die Verwandten derselben wurden von demselben Glücksgefühl ergriffen. Selig fühlte sich besonders auch Hilal. Die Worte, die Hiluja in der Nacht droben auf der Ruine zu ihm gesprochen hatte, klangen ihm immer noch wie Sphärenmusik in den Ohren. Es war ihm, als ob er gar nicht daran glauben dürfe.
Vorher hatte ihm die Sorge um den Zweikampf nicht völlig Raum gelassen, um an Hiluja zu denken, jetzt aber, wo diese Sorge behoben war, kehrte der Gedanke an die Geliebte mit voller Macht zurück. Es trieb ihn hinauf zu der Ruine, und während die Menge an der einen Seite derselben ihr „Heil, Heil“ erschallen ließ, kroch er unbemerkt in den verborgenen Eingang hinein und stieg die Treppe empor, die er gestern den beiden Deutschen gezeigt hatte. Von da aus gelangte er in die Wohnräume der Königin. Diese letzere war mit Tarik hinausgegangen, um sich den Jubelnden zu zeigen. Und da, wo sie mit ihm vor wenigen Sekunden gekost und gesprochen hatte, da stand, unentschieden, ob sie den beiden folgen solle oder nicht, Hiluja.
Sie hatte sich, wie bereits erwähnt, rücksichtsvoll zurückgezogen, war aber nun wieder eingetreten, nicht ahnend, daß sich noch jemand hinter ihr befinde. Darum erschrak sie, als sie den Eintretenden erkannte. „Ich glaubte dich unten bei den anderen.“
„Nun siehst du mich hier und erschrickst darüber?“
„Über dich nicht. Ich wußte nur nicht, daß jemand da sei. Wo ist mein Vater?“
„Noch unten. Doch wird er jedenfalls bald kommen. Oh, Hiluja, ich danke Allah, daß alles so abgelaufen ist. Wer hätte das denken sollen!“
„Der Riese besiegt!“
„Mein Bruder Scheik!“
„Meine Schwester seine Braut!“
„Das ist eine Wonne! Weißt du, Hiluja, daß ich jetzt der Schwager deiner Schwester werde?“
„Und ich die Schwägerin deines Bruders!“
„Ich glaube, dann bin ich auch mit dir verwandt!“
„Und ich mit dir!“
Beide lachten einander ganz glücklich an. Dann fragte Hiluja:
„Wie aber wird unsere Verwandtschaft zu nennen sein?“
„Wohl Schwager und Schwägerin?“
„Ja, das meine ich auch, aber das ärgert mich.“
„Warum?“
„Deine Schwester ist bereits meine Schwägerin. Wozu soll ich da noch eine zweite haben?“
„Ja, und da dein Bruder mein Schwager ist, brauche ich dich eigentlich nicht auch als solchen.“
„Also meinst du, daß es besser wäre, wenn wir miteinander nicht verwandt geworden wären?“
„O doch! Aber es müßte ein anderer Grad der Verwandtschaft sein.“
„Welcher ungefähr?“
„Nun, Vetter vielleicht?“
„O nein! Das wäre ja eine noch entferntere Stufe!“
„Du wünschst also eine nähere?“
„Ganz gewiß.“
„Es ist möglich, daß dies hübscher wäre. Aber was ist näher als Vetter und Schwager?“
„Das weißt du ganz gewiß. Welches ist denn wohl der nächste Grad der Verwandtschaft?“
„Vater und Sohn, Mutter und Tochter. Nicht?“
„Geh doch, Hiluja! Soll ich etwa dein Sohn sein?“
„Oder ich deine Tochter? Nein!“
Beide lachten einander wieder seelenvergnügt in das Gesicht. Dann ergriff Hilal die Hand Hilujas, zog sie ein wenig näher und fragte:
„Was muß denn eigentlich erst vorhanden sein, ehe es Sohn und Tochter geben kann?“
„Meinst du etwa Vater und Mutter?“ fragte Hiluja in wunderbar gut gespielter Naivität.
„Ja freilich. Die Eltern müssen doch erst da sein.“
„Und das ist die allerliebste Verwandtschaft, die es nur geben kann. Höre, Hiluja, wir wollen weder Vetter noch Muhme, weder Schwager noch Schwägerin, sondern Eltern sein!“
„Das ist nicht gut möglich!“
„Freilich ist es möglich! Du die Mutter und ich der Vater.“
„Von wem denn?“
Hiluja war bei Hilals letzten Worten sehr rot geworden. Er antwortete, beherzt anfangend:
„Von – von – nun, von –“
Hilal konnte nicht weiter und stockte. Er sah erst jetzt ein, in welch eine dumme Gasse er sich verlaufen hatte. Auch er wurde rot, doch war er geistesgegenwärtig genug, um sich so leicht nicht verblüffen zu lassen, und fuhr sogleich in entschiedenem Ton fort:
„Nein, das ist nichts, das geht nicht. Diese Verwandtschaft ist doch wohl ein wenig zu nahe. Höre, Hiluja, ich weiß wirklich nicht, was ich eigentlich habe sagen wollen.“
„Wenn du es nicht mehr weißt“, scherzte sie, „so hast du wohl überhaupt gar nichts sagen wollen?“
„O nein! Ich wollte dir im Gegenteil sehr, sehr vieles sagen, Hiluja.“
„So sage es doch!“
„Das ist unmöglich. Die Zeit ist zu kurz.“
„Ist denn das, was du sagen wolltest, gar so lang?“
„Ganz ungeheuer lang!“
„Wieviel Zeit also brauchtest du wohl dazu?“
„Mein ganzes Leben.“
„Da bin ich doch neugierig. Darf ich denn nicht wenigstens einen kleinen Anfang hören?“
„Ja, gern.“
„Wie lautet er denn?“
„Er lautet: Hiluja, ich bin dir unbeschreiblich gut!“
Hilal zog sie dabei warm an sich und küßte ihren Mund. Sie aber erwiderte ganz ohne Scheu seinen Kuß, strich leise mit der Hand über seine gebräunte Wange und flüsterte:
„Ist es denn wahr, daß du mir so sehr gut bist?“
„So sehr, daß es gar nicht zu beschreiben ist!“
Da nickte sie ihm wonnevoll zu und sagte:
„Auch ich hatte nur den einen Wunsch, von dir geliebt zu sein. Nun ist er mir erfüllt.“
„So gebe Allah seinen Segen, sonst werden wir niemals vereinigt sein.“
„Wieso?“
„Der Vater liebt mich nicht.“
„Wie wäre dies möglich! Ist er doch nur erst diese wenigen Stunden hier!“
„Und dennoch habe ich es bemerkt. Vorhin, wenige Augenblicke bevor ich zu dir kam, stand ich an der Mauer, und er schritt langsam mit einem der Ältesten vorüber. Dabei warf er einen kalten, stolzen, finsteren Blick auf mich und sagte in einer Weise, daß ich einsehen mußte, es gelte mir: ‚Badija ist ihm geschenkt. Mit Hiluja wäre dies unmöglich. Sie ist bereits versprochen.‘“
„Wie? Das hat er gesagt?“ fragte das junge Mädchen erschrocken. „Ich habe noch kein Wort davon vernommen.“
„Er würde es doch nicht sagen, wenn es nicht wahr wäre!“
„So hat er es ohne mein Wissen getan. Von meinem Vater aber sollte mich dies sehr wundern, daß er mich so innig liebt.“
„Vielleicht hat er es gerade deshalb getan. Derjenige, dessen Weib du werden sollst, ist vielleicht ein berühmter Scheik oder Krieger.“
„Was geht das mich an! Ich liebe dich. Nicht alle Berühmtheit macht glücklich, sondern nur die Liebe allein.“
„Vielleicht handelt er auch im Interesse seines Stammes?“
„Das ist mir gleich. Ich liebe dich; das ist mein Interesse!“
„Wenn er dich nun zwingen wollte?“
„Ich würde nicht gehorchen, ich lasse mich nicht zwingen.“
Hiluja sagte das in festem, bestimmtem Ton. Da zog er sie mit dem einen Arm an sich, strich mit der anderen Hand liebkosend das reiche Haar und erwiderte in beruhigendem Ton:
„Der Prophet spricht: ‚Der Segen der Eltern ist die oberste Stufe zum Paradiese.‘“
„So meinst du, daß ich gehorchen soll?“
„Ja, das meine ich.“
Zornig riß sie sich von ihm los.
„Das kannst du mir sagen! Du, du?“
„Ich muß es sagen, meine liebe, liebe Hiluja.“
„So liebst du mich nicht.“
„Mehr als je, wenn dies überhaupt möglich wäre.“
„Wie kannst du dann so ruhig denken, daß ich einem anderen gehören soll?“
„Ruhig?“ fragte er. „Meinst du wirklich, daß ich ruhig bin? Denkst du, daß ich leben möchte ohne dich?“
„Du sagtest doch, daß ich gehorchen soll.“
„Ja, das sagte ich, und ich sage es auch jetzt noch, denn im Koran steht geschrieben: ‚Wohl dem Kind, das dem Vater gehorcht. Gott wird ihm das gebrachte Opfer tausendfach anrechnen.‘ Bist du nicht auch dem Stamm schuldig, dem Vater zu gehorchen?“
Sie schwieg.
„Bitte, antworte mir.“
„Warum bist gerade du es, der mir dies sagt?“
„Weil ich es am ehrlichsten und aufrichtigsten mit dir meine.“
„Und weil du mich am wenigsten liebst.“
„Das sprichst du wieder, ohne es zu glauben. Es ist meine Pflicht, dir dies alles zu sagen. Aber meine nicht, daß ich dich ohne Kampf aufgeben würde. Ich werde mit deinem Vater reden –“
„Wann? Bald? Heute noch?“ fiel sie schnell und in freudigem Ton ein.
„Nein, so schnell nicht. Das wäre übereilt und unvorsichtig. Er soll mich erst kennenlernen.“
„Und wenn er dich abweist?“
„So werde ich ihn nach den Gründen fragen.“
„Wenn er sich aber weigert, sie dir zu sagen?“
„Ich bin ein Mann, dem er wohl Rede stehen wird. Tut er es nicht, so erkenne ich seine Gründe nicht an und nehme dich zum Weib auch gegen seinen Willen.“
„Mein lieber, lieber Hilal!“ jubelte sie auf. „Würdest du das wirklich tun?“
„Ja, ich täte es.“
„Wenn er dir aber seine Gründe sagte?“
„So käme es darauf an, ob ich sie anerkenne oder nicht. Im letzteren Fall würde ich nicht von dir lassen, im ersteren aber würde ich zu demjenigen gehen, dem du bestimmt bist, und mit ihm um dich kämpfen; deinem Vater aber würde ich keinen Widerstand leisten.“
„Allah sei Dank! Mein Herz ist wieder leicht.“
„Ja, du verstandest mich falsch.“
„Jetzt glaube ich wieder, daß du mich liebhast.“
„Hast du denn gar keine Ahnung, für wen er dich bestimmt haben könnte?“
„Ich könnte mir nur einen denken.“
„Wer ist das?“
„Der Sohn des Scheiks der Mescheer. Dieser Scheik war vor einem Jahr bei uns im Lager. Er fand Wohlgefallen an mir und erzählte mir sehr viel von seinem Sohne Mulei Abarak.“
„Mulei Abarak? Wehe, wehe!“
„Was ist's? Kennst du ihn?“
„Ich habe ihn nicht gesehen, aber desto mehr von ihm gehört. Er hat bereits mehrere Frauen gehabt, sie aber alle fortgeschickt, wenn er ihrer überdrüssig war. Diesem also sollte dein Vater dich bestimmt haben?“
„Ich wüßte keinen anderen.“
„Davor möge ihn und dich Gott behüten.“
„Das würdest du also wohl nicht dulden?“
„Nein. Ich würde mit diesem Menschen kämpfen. Und wenn ich auch kein Held bin wie Masr-Effendi, so weiß ich doch, daß ich ihn besiegen würde. Horch! Hörst du die Rufe?“
„O Spott, o Schande, o Fluch!“ erscholl es von unten herauf bis ins Innere der Ruine.
„Der Riese zieht ab“, erklärte Hilal.
„Das müssen wir sehen. Komm!“
„Erst einen Kuß.“
Hilal zog sie nochmals an sich, und ihre Lippen vereinigten sich in einem langen, langen Kuß.
Dies gab einem Lauscher Zeit, sich unentdeckt entfernen zu können.
Als nämlich Tarik und der Königin von Seiten der Lagerbewohner die Ovation gebracht wurde, war der Scheik der Beni Abbas, Hilujas Vater, nach der Ruine gekommen, um an der Seite des glücklichen Paares Platz zu nehmen, und während Tarik dann mit der Braut hinabstieg, um verschiedene Wünsche seiner nunmehrigen Untertanen entgegenzunehmen, hatte der Scheik sich in das Innere der Ruine begeben.
Seine Schritte wurden durch die weichen Sandalen, die er trug, unhörbar gemacht. Die Tür des Gemaches, in dem sich Hilal mit der Geliebten befand, war offengeblieben, und so hörte der Vater der letzteren bereits von weitem die Stimmen der beiden Liebenden.
Er schlich sich nun ganz dicht an den Eingang heran, lauschte und wurde vom ersten bis zum letzten Wort Zeuge ihres Gesprächs, bis endlich der erwähnte Kuß ihm Zeit gab, sich schnell zu entfernen. Als Hilal und Hiluja ins Freie traten, stand er bereits an der Brüstung, an ganz derselben Stelle, wo wunderbarerweise in letzter Nacht die beiden Schwestern den beiden Brüdern ihre Liebeserklärung gemacht hatten.
Aber obwohl er sich Mühe gab, eine möglichst gleichgültige Haltung und Miene anzunehmen, faßte Hilal, dessen Blick ihn forschend überflog, doch Verdacht. Ehrerbietig trat er mit Hiluja zu ihm heran und fragte:
„Erlaubst du, daß ich auch hier stehen bleibe?“
„Wer könnte es dir verwehren?“
„Du.“
„Ich bin nur Gast.“
„Eben als solcher hast du mehr Rechte, als ich, besonders da ich dich bereits gestört habe.“
„Wieso?“
„Du wolltest zu Hiluja und tratest doch nicht ein, weil ich mich bei ihr befand.“
„Du irrst.“
„Ich hörte deinen Schritt.“
„Du irrst doch.“
„So ist es ein anderer gewesen. Wir sprachen von fernen Stämmen, auch von den Mescheer-Beduinen und von Mulei Abarak.“
Die Stirn des Scheiks zog sich in Falten, und sein Gesicht rötete sich.
„Warum sagst du mir das?“ fragte er.
„Ich denke, du kennst ihn?“
„Das ist noch kein Grund, mir zu sagen, daß ihr von ihm gesprochen habt.“
„Du hast sehr recht. Er ist ein Mann, von dem man überhaupt gar nicht sprechen sollte.“
„Ah! Kennst du ihn so genau?“
„So genau, daß ich vielleicht einmal mit ihm zusammengerate.“
„So nimm dich in acht!“
„Hilal braucht sich nicht zu fürchten“, fiel Hiluja schnell ein. „Er ist stark und mutig.“
„Weißt du das so genau?“
„Ja, und da er mich beschützt hat, solltest auch du nicht zweifeln.“
Dieser Vorwurf traf den Scheik am richtigen Ort, denn er war ein braver Mann und liebte seine Tochter. Übrigens hatte auch die belauschte Unterredung einen tiefen Eindruck auf ihn gemacht. Um sich jetzt aus der augenblicklichen Verlegenheit zu ziehen, deutete er hinaus und sagte:
„Ihr habt den Riesen nicht das Lager verlassen sehen. Dort reitet er.“
Ungefähr eine halbe englische Meile vom Lager entfernt, sah man in der Tat den Riesen traben. Er saß auf dem Reitkamele, und die Packkamele folgen ihm, immer eins an den Schwanz des anderen gebunden, nach.
Eben jetzt kam Steinbach die Stufen emporgestiegen und blieb bei dem Scheik, Hiluja und Hilal stehen, um auch seinerseits den Riesen eine kleine Weile mit seinen Blicken zu verfolgen.
„Er reitet gerade gegen Norden“, meinte er. „Ahnst du, weshalb er dies tut, Hilal?“
„Nein.“
„So denke darüber nach!“
„Es ist mir gleichgültig, wohin ein Ausgestoßener sich wendet. Er mag reiten, wohin er will.“
„Mir aber ist es nicht gleichgültig, wohin einer sich wendet, der dem Stamm Rache geschworen hat.“
„Ah! Hat er das wirklich?“
„Hast du es denn nicht gehört? Kennst du die Gegend, der er entgegenreitet?“
„Ich kenne die Wüste viele Tagereisen im Umkreis.“
„Gibt es dort im Norden Oasen?“
„Nein; Falehd müßte denn fünfundzwanzig Tage weit in gerader Richtung fortreiten.“
„Das kann er nicht. Ich denke, dort gegen Norden liegen die großen Sodaseen.“
„Sie liegen fünf Tagereisen von hier. An ihren Ufern wächst kein Halm; in ihrem Wasser gibt es kein lebendes Tier, und von den weißen, salzigen Flächen prallt der Strahl der Sonne so scharf ab, daß er das Auge blendet. Wer längere Zeit dort bleibt, muß erblinden. Dort ist auch das Tal der Verdammten.“
„Es kann also wohl kaum seine Absicht sein, dorthin zu reiten.“
„Ganz und gar nicht.“
„Er will uns nur irreleiten und über seine eigentliche Absicht täuschen. Nach Norden will er sicherlich nicht. Nach Osten, woher ich gekommen bin, kann er auch nicht; denn lange bevor er noch an einen Brunnen käme, hätte er sein Wasser verbraucht. Wer aber wohnt im Westen von unserem Lager?“
„Lauter Freunde von anderen Abteilungen unseres Stammes. Ich habe bereits Boten dahin abgesandt mit der Nachricht, daß Falehd ausgestoßen ist.“
„Sie würden ihn also nicht aufnehmen?“
„Sie würden ihn töten, wenn er es wagte, ihr Lager durch seine Gegenwart zu verunreinigen.“
„Hm! Und wer wohnt im Süden?“
„Die Beni Suef.“
„Ah, die Beni Suef! Ich habe von ihnen gehört. Sie sind räuberische, ruhelose Leute, mit denen ihr bereits manchen Strauß ausgefochten habt. Ihr lebt auch jetzt noch in Feindschaft mit ihnen?“
„Ja. Wir haben mehrere Bluträcher bei uns und bei ihnen; es muß also Blut fließen.“
„So ist mit Gewißheit anzunehmen, daß Falehd sich zu ihnen wendet.“
„Das ist möglich. Weshalb macht er aber den Umweg?“
„Um uns zu täuschen, wie ich bereits sagte.“
„Das wäre ganz unnötig. Wir hätten ihn nicht gehalten, selbst wenn er es uns offen gesagt hätte, daß er zu ihnen wolle.“
„Ihr hättet dann gewußt, wo er sich befindet, und eure Maßregeln treffen können. Da er aber so hinterlistig handelt, folgt daraus die Gewißheit, daß er Rache im Schilde führt. Ich möchte wetten, daß er die feste Absicht hat, die Beni Suef gegen euch aufzustacheln.“
„Sie sind es bereits; er hat also nicht nötig, es erst noch zu tun.“
„Du scheinst diese Sache sehr leicht zu nehmen.“
„Nein. Aber wir sind in jedem Augenblick, bei Tag und ebenso bei Nacht, von den Beni Suef bedroht, gerade wie sie von uns. Man wird an diese Gefahr so gewöhnt, daß man zwar noch auf sie achtet, nicht aber mehr von ihr spricht.“
„Wie weit lagern die Suef von hier?“
„In zwei Tagen kannst du sie auf einem Reitkamele erreichen. Ein Lastkamel braucht ganz sicher drei volle Tagereisen.“
„Das ist nahe genug. Nehmen wir uns in acht.“
„Habe keine Sorge! Du bist sicher bei uns! Du befindest dich ja in unserer Mitte.“
Das klang so selbstbewußt und sonderbar, daß Steinbach laut auflachte und fragte: „Glaubst du, daß ich vor irgend jemandem oder vor irgend etwas Angst haben könnte?“
„Verzeihe, Effendi!“ entgegnete Hilal errötend.
„Du bist“, fuhr Steinbach, noch immer lachend, fort, „in der Tat auf einmal ein noch viel größerer Held geworden, als du bereits vorher warst. Das ist aber begreiflich, denn wenn der Adler seine Frau zu beschützen hat, fühlt er stets doppelte Kraft und dreifachen Mut in sich.“
Da wurde Hilals Gesicht noch viel röter als vorher und glühte förmlich. Er sah sich ja von Steinbach durchschaut. Auch Hiluja fühlte ganz dasselbe, und da sie eben jetzt unten die Schwester erblickte, die von Tarik begleitet wurde, sagte sie zu dem Geliebten:
„Tarik winkt. Laß uns hinabgehen!“
Tarik hatte nun freilich nicht gewinkt, dennoch gingen sie hinab, so daß der Scheik mit Steinbach allein zurückblieb. Letzterer ergriff sofort die Gelegenheit, zugunsten der Liebenden einige Worte zu sprechen. Lächelnd blickte er beiden nach und sagte:
„Ein schönes Paar! Gerade als ob Allah sie füreinander bestimmt hätte!“
„Hat er sie füreinander bestimmt, so kann kein Mensch widerstehen, auch ich nicht.“
„Sein Wille geschehe!“
„Der wohl auch der meinige ist.“
„Du haßt Hilal?“
„Nein.“
„Fast hat es mir so geschienen.“
„Nein, denn er ist ein braver Mann. Ich habe ihn soeben belauscht, als er mit meiner Tochter sprach, was du ihm übrigens nicht wieder zu sagen brauchst. Sie sprachen von ihrer Liebe zueinander, und daß ich Hiluja wohl bereits für einen anderen bestimmt haben könnte; während Hiluja aber meinte, daß sie widerstreben werde, machte er sie auf den Koran und die Worte des Propheten aufmerksam, die dem Kind befehlen, dem Vater und Erzeuger Gehorsam zu erweisen.“
„Ah! Das hätte er getan?“
„Ja. Ich habe es mit meinen eigenen Ohren gehört.“
„Das freut mich herzlich, ich habe Hilal immer für einen sehr braven Menschen gehalten, aber eine solche Selbstlosigkeit hätte ich ihm doch nicht zugetraut.“
„Oh, er sprach dann freilich davon, daß er mit dem Mescheer kämpfen wolle, was mir wirklich leid tut, denn ich habe allerdings Hiluja dem Mescheer bestimmt, und er wird sie erhalten.“
Hilujas Vater hätte vielleicht noch weiter darüber gesprochen, aber unten an den Stufen, an denen die beiden Geschwisterpaare mit dem alten Kalaf standen, schien sich soeben eine kleine Szene vorbereiten zu wollen. Nämlich Ibrahim Pascha und der Russe näherten sich dem angegebenen Ort, und es war ihren Mienen wohl anzusehen, daß sie irgendeine Absicht hegten. Darum stieg auch Steinbach schnell zu ihnen hinab.
„Wir hören“, sagte unterdessen der Pascha, indem er einen halb ironischen Blick auf Tarik warf, „daß der glorreiche und berühmte Stamm der Beni Sallah einen neuen Scheik erhalten hat, und sind gekommen, ihm unsere Freundschaft und Ergebenheit zu bezeugen.“
Tarik, der in seinem unscheinbaren Gewandt vor dem Sprecher stand, ließ sich nicht aus der Fassung bringen. Mit der Würde eines Mannes, der bereits fünfzig Jahre lang Scheik gewesen ist, antwortete er:
„Ihr seid unsere Gäste und tut also wohl daran, uns eure Aufmerksamkeit und Höflichkeit zu erweisen. Die Ergebenheit, von der ihr sprecht, verlangen wir jedoch nicht. So hohe Männer, wie ihr seid, können uns armen Söhnen der Wüste nicht ergeben sein, und was eure Freundschaft anbelangt, so hoffen wir, daß ihr sie uns beweisen werdet, auch ohne viel von ihr zu reden.“
Das war zweifellos sehr brav gesprochen, und das hatten die zwei Kumpane diesem Mann, der in dem mit einem alten Strick zusammengebundenen Linnen vor ihnen stand, wohl schwerlich zugetraut, denn sie schauten ganz verblüfft drein, von ihm eine Antwort zu bekommen, die ihnen ein routinierter Diplomat nicht besser hätte geben können. Tarik wandte sich gleich darauf, zum Zeichen, daß nach seiner Meinung die Unterredung zu Ende sei, halb ab, da aber erwiderte der Pascha:
„Verzeih! Wir haben allerdings das Verlangen, euch von unserer Freundschaft zu überzeugen, und hoffen, daß uns dies von euch nicht so sehr erschwert werde wie bisher.“
„Erschwert? Wieso?“
„Ihr habt euch nicht in allem als Freunde gegen uns gezeigt.“
„Du siehst mich verwundert! Haben wir euch nicht aufgenommen, euch Obdach, Essen und Trinken gegeben? Hungert ihr? Dürstet Ihr?“
„Nein. Aber ihr habt mir mein Weib genommen!“
„Wir haben sie dir nicht genommen, sondern sie ist freiwillig zu uns gekommen. Sie ist unser Gast, ebensogut, wie du es bist, und wir müssen ihren Willen tun, so wie wir den deinigen erfüllen würden.“
„Ihr habt ihr alle Wünsche, nicht aber die meinigen erfüllt.“
„Vergleiche dich mit ihr, wenn ihr unsere Zelte verlassen habt. Jetzt wohnt sie noch unter unserem Schutz.“
„Sie wird euch niemals zu gleicher Zeit mit mir verlassen. Sie ist für mich verloren.“
„So hast du es nicht verstanden, ihre Liebe zu gewinnen; wir können nichts dafür.“
„Sodann habt ihr mir meinen Diener genommen!“
„Davon weiß ich nichts. Sprich hier mit Masr-Effendi, bei dem sich derjenige aufhält, von dem du redest.“
Der Pascha blickte Steinbach erstaunt an. Es war ihm ganz und gar nicht lieb, an diesen gewiesen zu werden. Er fragte daher in feindseligem Ton:
„Bei dir ist er? Wirklich?“
„Ehe ich antworten kann, muß ich erst wissen, von wem die Rede ist.“
„Von Said, meinem Arabadschi.“
„Der befindet sich allerdings bei mir.“
„Du hast ihn mir abspenstig gemacht?“
„Nein. Er kam zu mir und bat mich, ihn bei mir aufzunehmen. Ich habe ihm diese Bitte erfüllt.“
„Das durftest du nicht. Er war mein Diener!“
„Kannst du das beweisen?“
„Ja.“
„Womit?“
„Frage Zykyma, sie wird es mir bezeugen.“
„Das hat sie bereits getan. Sie hat gesagt, daß er dein Diener gewesen sei.“
„So schicke ihn zu mir zurück.“
„Er will nicht, und er hat auch keinen Augenblick nötig, länger bei dir zu bleiben. Du hast ihm weit über ein Jahr lang keinen Lohn bezahlt.“
„Ich werde ihn bezahlen!“
„Das glaubt er nicht. Er schenkt dir das Geld und bleibt lieber bei mir. Darüber kannst du nur froh sein!“
„Der Hund!“
„Schimpfe meinen Diener nicht, wenn du nicht zugleich mich beleidigen willst!“
„Ich durchschaue dich. Du bist voller Feindschaft gegen uns, du klagst uns wegen Sachen an, von denen wir gar nichts wissen, du möchtest uns am liebsten ganz verderben, wir aber wissen keinen einzigen Grund dazu und sind ganz im Gegenteil erbötig, dir alle Aufmerksamkeit und jeden Gefallen zu erweisen.“
„Das redet ihr nur. Ich kenne euch.“
„Nein! Gib uns Gelegenheit, dir einen Gefallen zu erweisen, so werden wir es sofort tun.“
„Nun wohl, ich will euch zeigen, daß dies bloß Heuchelei ist!“ entgegnete Steinbach und fuhr dann, sich an den Russen wendend, fort: „Du bist natürlich mir ebenso zu Diensten erbötig wie dein Gefährte hier?“
„Ja, sehr gern!“
„So beantworte mir die eine Frage: Wo befindet sich gegenwärtig Gökala?“
Der russische Graf erschrak. Diese direkte Frage hatte er nicht erwartet. Doch er raffte sich schleunigst zusammen und antwortete, eine möglichst verwunderte Miene annehmend:
„Gökala? Wer ist das?“
„Ah, du kennst die nicht, die mit im Harem des Sultans war und die ihr dann fortschlepptet, nachdem ihr mich getötet zu haben glaubtet?“
„Du siehst mich im höchsten Grad erstaunt. Von allem, was du hier sagst, verstehe ich kein Wort.“
„Pah! Mein Diener ist mit euch von Konstantinopel bis Alexandrien gefahren und forscht weiter. Ich habe dich gefunden, und er wird Gökala finden.“
Über das Gesicht des Grafen glitt es wie Schadenfreude und Besorgnis zugleich.
„Ich verstehe dich wirklich nicht“, antwortete er, „aber wenn alles wirklich so wäre, wie du sagst, so wäre ich wohl auch der Mann dazu, Gökala dahin zu bringen, wohin deine Nase nicht riechen dürfte, ohne sich in Gefahr zu befinden, dir verlorenzugehen. Du bist von einer fixen Idee besessen, und da du bei deinen Phantasien bleibst, so wollen wir uns keine weitere Mühe geben, dich zu kurieren. Allah ist reich an Gnade und Erbarmen; wenn es ihm beliebt, wird er dein Gehirn wieder in Ordnung bringen, auch ohne daß wir uns dabei anstrengen.“
Die beiden Biedermänner wandten sich ab und entfernten sich. Steinbach blickte ihnen nachdenklich nach. Es lag ihm fern, sich über ihr Verhalten und ihre Worte zu ärgern. Obwohl er mit ihnen eine Partie Schach spielte, bei der viel, sehr viel, vielleicht sein ganzes Lebensglück gewonnen oder verloren werden konnte, hatte er doch Objektivität genug, sich selbst durch solche Niederträchtigkeiten nicht aus der Fassung bringen zu lassen.
Indessen war der Kamelzug des Riesen dem Horizonte näher gekommen und hatte bis jetzt die ursprüngliche Richtung nach Norden beibehalten. Die Sonne hatte die größte Strecke ihres Tagebogens zurückgelegt und begann bereits sich zur Rüste zu neigen. Da bestieg Steinbach, von den beiden Söhnen des Blitzes gefolgt, wieder die Ruine, beschattete mit der Hand die Augen und verfolgte mit scharfem Blick den kleinen Zug des Riesen, und auch die anderen taten, dadurch aufmerksam gemacht, dasselbe. Die Tiere Falehds waren bald nicht mehr voneinander zu unterscheiden und bildeten nur noch einen einzigen Punkt, der scheinbar die Größe einer Erbse hatte und nur von einem höchst scharfen Auge von der grauduftigen Linie des Horizontes zu unterscheiden war. Plötzlich kauerte Steinbach nieder und legte das Gesicht an die Seite eines hohen Steinquaders, dessen eine obere Kante für ihn eine feste, unverrückbare Visierlinie bildete, mit der er die langsame Bewegung des erwähnten erbsengroßen Punktes vergleichen konnte.
Normann beobachtete ihn dabei.
„Sie glauben wohl, daß er schon jetzt von seiner Richtung abweicht?“ fragte er.
„Ich glaube es nicht nur, sondern ich sah es bestimmt.“
„Da müssen Sie ein ungeheuer scharfes Auge haben.“
„Das habe ich auch. Nur konnte ich mich vorhin irren, denn ein Blick aus freier Hand ist, wenn ich mich dieses Ausdruckes bedienen kann, immer der Täuschung unterworfen. Darum visiere ich jetzt und bemerke nun, daß sich der Riese bereits nach links wendet. Er mag wohl denken, daß wir ihn nicht mehr zu sehen vermögen.“
„Also haben Sie doch recht mit Ihrer vorhin ausgesprochenen Vermutung, daß er uns mit seiner zuerst eingeschlagenen Richtung irreleiten will.“
„Das ist sicher. Aus der Schnelligkeit, mit der sich der Punkt jetzt bewegt, ist zu schließen, daß er galoppiert. Er wird das freilich nicht lange aushalten können.“
„Sie meinen, daß seine Lastkamele ermüden?“
„Das nicht. Aber sein Auge ist so beschädigt, daß sich durch die Anstrengung des Ritts das Wundfieber sehr bald einstellen wird. Dann ist er gezwungen, ein langsameres Tempo einzuschlagen oder gar innezuhalten. Ich habe sehr große Lust, ihn noch ein wenig zu beobachten.“
„Warum?“ fragte Tarik.
„Um zu wissen, ob er wirklich, wie wir vermuteten, einen Halbkreis bis nach Süden beschreibt.“
„Das wird er jedenfalls tun. Er geht zu den Beni Suef. Das weiß ich, auch ohne daß wir ihn beobachten.“
„Und dennoch! Ich traue ihm nicht! Er wird diesen feindlichen Stamm jedenfalls aus Rache zu einem Kriegszug bereden.“
„Dies können wir dadurch, daß wir ihm jetzt eine Strecke weit folgen, kaum verhindern!“
„Nein, aber ich habe sehr oft erfahren, daß man in solchen Fällen gar nicht zu viel tun kann. Wenn wir auf ihn stoßen, und er dadurch erkennen muß, daß wir uns nicht von ihm täuschen lassen, wird er denken, daß wir vorsichtig sind und uns auch für weiteres bereithalten werden.“
„Du hast recht“, sagte Hilal. „Wenn du also reiten willst, werde ich dich begleiten. Wir nehmen die beiden schnellsten Pferde.“
„Ein überflüssiger Ritt!“ bemerkte Normann.
„Gar nicht!“ antwortete Steinbach. „Ich möchte diesem Kerl zeigen, daß er doch nicht klug genug ist, uns zu täuschen, oder, anders ausgedrückt, daß wir nicht dumm genug sind, uns von ihm täuschen zu lassen. Laß also satteln, Hilal. Wir wollen den Spazierritt unternehmen.“
Der Genannte entfernte sich. Dann fuhr Steinbach fort:
„Ich habe nämlich auch noch einen zweiten Grund, dem Riesen zu zeigen, daß wir ihm auf die Finger sehen. Ich traue ihm nicht in Beziehung auf den Russen und auf Ibrahim Pascha.“
„Sie meinen, daß er mit ihnen konspiriere?“
„Oder bereits konspiriert hat. Diese Herren werden erkannt haben müssen, daß ihre Rolle hier ausgespielt ist, und sicherlich ahnen, was sie von mir zu erwarten haben. Es steht daher zu vermuten, daß sie auf den Gedanken gekommen sind, das Lager heimlich zu verlassen. Sie haben mit dem Riesen in dessen Zelt zusammengehockt und gesprochen. Wovon? Ohne Zweifel doch von dem so unerwarteten Ausgang des Kampfes, durch den ihre Absichten völlig durchkreuzt worden sind, von ihrem Zorn, ihrer Wut, und – ihrer Rache, und davon, daß es ihnen auch die größte Sicherheit verleihen würde, wenn es ihnen gelänge, mich unschädlich zu machen. Gehen Sie darum zu den Beni Suef, um diese zu einem Überfall unseres Lagers zu verleiten, und gelingt dieser Überfall, so haben sie sich nicht nur gerächt, sondern sind auch den Feind los, den sie am meisten zu fürchten haben – nämlich mich.“
„Hm! Ihre Folgerungen sind nicht unlogisch.“
„Nicht wahr? Ich halte es daher für sehr möglich, wenn nicht für wahrscheinlich, daß sie sich heute abend oder während der Nacht davonschleichen wollen und mit dem Riesen einen Punkt verabredet haben, an dem er sie erwarten soll.“
„So muß man sie bewachen!“
„Gewiß. Wollen Sie das übernehmen, Freund Normann, während ich mit Hilal abwesend bin?“
„Ja, gern.“
„Übrigens wird im Laufe des Abends noch eine wichtige Versammlung der Ältesten stattfinden, da der neue Scheik gewählt ist und daher darüber abgestimmt werden muß, wie sich der Stamm zu dem Vizekönig verhalten will. Die Entscheidung, die da gefällt wird, werden beide, der Pascha und der Graf, sicher noch abwarten; dann aber heißt es, ihr Zelt genau und unausgesetzt im Auge zu behalten.“
Jetzt rief Hilal von unten herauf, daß die Pferde bereit seien. Steinbach stieg sogleich zu ihm hinab, nachdem er sich noch für den Ritt bewaffnet hatte, und bald flogen die vortrefflichen Pferde und ihre Reiter mit der Schnelligkeit eines Eilzugs in die Wüste hinaus, nicht in nördlicher Richtung, wo nun der Riese am Horizonte verschwunden war, sondern nach Westen zu.
Dort war die Sonne mittlerweile hinabgesunken. Gerade als die beiden Reiter die Oase verließen, ertönten die Schläge des Muezzins und dann seine Worte:
„Auf, ihr Gläubigen, rüstet euch zum Gebet, denn die Sonne hat sich in das Sandmeer getaucht!“
Die letzten Strahlen flammten funkelnd über die weite Ebene herein, golden und voll, als ob man sie greifen und festhalten könne. Aber dieses Gold wurde schnell matter; es färbte sich orange, ging in ein helles, kupfernes Rot über, zuckte wie dünnflüssige Bronze über die Wüste, wich schnell und schneller zurück, wie eine riesige Ätherbrandung, die in das Lichtmeer der Unendlichkeit entweicht; sammelte sich dann an dem einen Punkt des Horizonts, unter dem der Sonnenball zur Ruhe gegangen war, und verlor sich endlich, nach und nach ersterbend, in einem fahlen Dämmerschein, der, zuweilen und immer langsamer noch von wenigen helleren Strahlen durchzuckt, endlich in das Dunkel des Abends überging und dem tiefen Blau wich, das von Osten her über den von hundert und tausend Sternen übersäten Himmel zog.
Den Riesen jetzt zu sehen, davon war natürlich keine Rede; dennoch wollten Steinbach und Hilal ihn treffen. Wie aber war das anzufangen? Der Weg, den er einschlug, war ja nur eine dünne Linie in der Endlosigkeit der Wüste! Aber wer sich bereits in jenen Strecken bewegt hat, der weiß sich zu helfen. Hilal zügelte nach einer Weile sein Pferd zu langsamerem Gange und sagte:
„Jetzt werden wir uns vielleicht da befinden, wo er vorüberkommt.“
„Woraus schließt du das?“
„Meinst du, daß Falehd einen größeren Umweg machen wird, als unbedingt nötig ist?“
„Ganz gewiß nicht.“
„Oder meinst du, daß er sich so nahe an unserem Lager hält, daß er befürchten müßte, entdeckt zu werden?“
„Auch das nicht.“
„So wird er also die Mitte zwischen beiden wählen, nicht zu nahe am Lager und auch nicht zu entfernt von demselben. Er kennt hier jeden Schrittbreit und vor allem auch unsere Angewohnheiten. So weiß er, daß die Jünglinge nach dem Abendgebet zuweilen noch eine Strecke weit in die Wüste jagen, um die Schnelligkeit der Pferde und ihre Geschicklichkeit zu erproben, und daß sie dabei nie über eine gewisse Entfernung hinausgehen, da die Sahara voller Gefahren ist. Diese Entfernung ist dem Riesen genau bekannt. Sie bildet einen Kreis von einem ganz bestimmten Durchmesser um das Lager, und gerade auf der Linie dieses Kreises wird er das letztere umreiten, um vom Norden nach dem Süden zu kommen.“
„So muß ich mich also auf dich verlassen?“
„Ja, ich werde dich führen. Diese Kreislinie ist zwar nicht durch den Sand gezogen, so daß sie zu sehen wäre, man muß sie sich aber denken. Dabei kommt es auf kleine Entfernungen gar nicht an. Es ist still um uns her, und wir werden den Schritt der Tiere, die Falehd bei sich hat, wohl hören. Der Sand ist tief, und wenn sie ihn mit den Füßen hinter sich werfen, so ergibt das einen Ton, der zwar nicht stark ist, dessen metallischen Klang man aber während der Nacht auf eine beträchtliche Entfernung hin vernehmen kann.“
„Wäre es da nicht geraten, uns zu trennen?“
„Dasselbe wollte ich dir soeben vorschlagen. Ich glaube, daß wir die richtige Entfernung erreicht haben. Postiere du dich also hier, ich reite noch einige hundert Pferdelängen in gerader Linie weiter. Dort steige ich vom Pferd und lasse es sich legen. Wenn du dich zu dem deinen setzt und ihm die Hand auf den Kopf legst, wird es sich nicht bewegen und auch nicht schnauben, wenn jemand vorüberreitet. Kommt er, so läßt du ihn vorbei und gibst mir ein Zeichen. Ich werde im selben Fall ganz dasselbe tun.“
„Weiches Zeichen?“
„Hast du schon einen Fennek bellen hören?“
„Ja.“
„Er geht noch weiter in die Wüste als die Hyäne oder der Schakal; es kann also gar nicht auffallen, wenn sich seine Stimme hier vernehmen läßt. Sein zweimaliges kurzes Bellen soll für den anderen das Zeichen sein, zu kommen.“
Der Fennek ist ein kleines, allerliebstes, fuchsähnliches Tierchen mit großen, breiten Ohren, die in ganz eigentümlicher Weise an dem Kopf sitzen. Seine Stimme ist scharf und hell, sie klingt wie ‚ia, ia‘, das I lang gedehnt und gedämpft, das A aber ganz kurz und sehr laut, fast wie man im Deutschen ein recht bekräftigendes kurzes Ja ausspricht, dessen ersten Laut man vorher lang angehalten hat.
Hilal ritt weiter. Steinbach aber stieg ab und schlug das Pferd auf die Kruppe, bei diesen Tieren das Zeichen, sich zu legen. Es gehorchte. Darauf setzte er sich neben das Pferd und legte ihm die Hand auf den Kopf. Sofort schmiegte es letzteren tief auf den Boden hin und holte noch einmal laut und langsam Atem, als ob es sagen wolle, daß es den Reiter sehr wohl verstanden habe. Von da an lag es ohne Bewegung still.
Minuten um Minuten vergingen. Droben strahlten die Sterne des Südens. Unten zog sich die Strecke grau in die dunkler und dunkler werdende Ferne hinein. Kein Laut war zu hören. Steinbach hatte fast das Gefühl, als ob er in einem kleinen, schwachen und schwankenden Boot im unendlichen Ozean treibe.
Es war kein Laut zu hören, nicht die Spur eines leisen Geräusches. So verging wohl eine halbe Stunde. Dann aber war es dem Lauschenden, als ob sich dort, wohin Hilal sich gewandt hatte, etwas hören lasse, ganz so, als ob ein leichter Lufthauch durch müde herabhängendes Blätterwerk gehe. War dies vielleicht das Geräusch des Sandes, von dem Hilal gesprochen hatte? Jedenfalls, denn wenige Sekunden später tönte ein bellendes ‚ia, ia‘ von dort herüber, das Zeichen, auf das Steinbach gewartet hatte.
Jenes Blätterrauschen war in der Tat nichts anderes gewesen, als das Geräusch, das die Tiere des Riesen im Sand hervorgebracht hatten.
Steinbach gab seinem Pferd die Erlaubnis, aufzustehen, stieg in den Sattel und trabte der Richtung zu, in der er den Beduinen wußte. Dieser kam ihm bereits entgegen.
„Ist er vorüber?“ fragte der Deutsche.
„Ja, ganz nahe an mir.“
„Ohne dich zu sehen?“
„Ein anderer hätte mich gesehen, aber sein Auge ist ja krank, und wenn das eine Auge leidet, so leidet das andere mit. Komm, ihm nach!“
Sie setzten ihre Pferde in Galopp. Die Tiere fegten in dem hohen Sand dahin, daß eine Wolke hinter ihnen emporflog. Bald erreichten sie den Ausgestoßenen. Er ritt in dem bekannten, ausgiebigen Kameltrott, der die Tiere nicht anstrengt, weil er ihnen natürlich ist, mit dem man aber trotzdem ungeheure Entfernungen zurücklegt.
„Wakkif, wakkif – halt, halt!“ rief Hilal.
Der Riese hörte den Ruf und hielt sein Pferd an.
„Wer ist da?“ fragte er, nach seinem Messer greifend, der einzigen Waffe, die er hatte mitnehmen dürfen.
„Wer bist denn du?“ antwortete Hilal, so tuend, als ob er es nicht wisse.
„Komm näher herbei, daß ich es dir sage!“
„Allah! Diese Stimme sollte ich kennen!“
„Ich die deinige auch!“
Jetzt waren die beiden an das vordere Kamel gekommen, das der Riese ritt.
„Falehd!“ rief Hilal, sich erstaunt stellend.
„Hilal! Der Knabe!“
„Wie kommst du hierher? Wir sahen doch, daß du nach Norden rittest.“
„Kann ich nicht da reiten, wo es mir beliebt?“
„Das kannst du. Aber du darfst nicht vergessen, daß du vogelfrei bist. Du sollst dich nicht in der Nähe des Lagers herumtreiben. Weißt du, daß ich das Recht habe, dich niederzuschießen?“
„Tue es, wenn es dir Ehre bringt, einen Wehrlosen und Verwundeten zu töten!“
„Bis heute hast du anders gesprochen. Ich werde dir das Leben schenken, aber mache, daß du fortkommst! Ein anderer wäre nicht so gnädig, wie wir beide es sind.“
„Wer ist dieser zweite Mann?“
„Dein sehr guter Freund Masr-Effendi.“
„Der Teufel mag ihn fressen! Was hat er hier in der Wüste zu suchen?“
„Dich“, antwortete Steinbach. „Ich wollte dir nur zeigen, daß ich dich überall zu finden weiß, wenn es mir beliebt, dich zu suchen. Reite jetzt weiter und grüße die tapferen Beni Suef von uns, zu denen du doch gehen willst!“
„Allah verdamme dich und euch alle!“ rief der Riese und schlug mit dem Stab, den jeder Kamelreiter bei sich führt, um sein Tier zu lenken, das Reitkamel zwischen die Ohren, daß es sich sofort in eiligen Lauf setzte, und die anderen liefen ebensoschnell, da sie ja an das erstere festgebunden waren.
Dann stieß er noch einige laute, kräftige Flüche aus und zog es darauf vor, zu schweigen.
Er sah sich, wenn auch nicht vollständig, aber doch soweit durchschaut, daß die Beni Sallah jetzt wußten, wohin er sich zu wenden beabsichtigte. Das ärgerte ihn gewaltig. Er befand sich seelisch in einem Zustand, der jeder Beschreibung spottete. Die Schande, besiegt und ausgestoßen worden zu sein, brannte wie Feuer in seinem Hirn. Er hatte nicht nur seine Ehre verloren, sondern auch seine Stellung, seine Habe. Er war ein Verfluchter, der seinem ärgsten Feind danken mußte, wenn dieser ihn nicht wie ein wildes Tier niederschoß. Alle negativen Gefühle, deren das menschliche Herz fähig ist, wühlten in seinem Inneren. Dazu kam der Schmerz, den ihm seine Verletzungen bereiteten. Die Nase war ihm dick angeschwollen, das Innere seines Mundes war ein einziges Geschwulst, das Auge schmerzte ihn ganz entsetzlich. Er hatte einen Wasserschlauch mit auf sein Reittier genommen, um sich Auge, Mund und Nase fortwährend zu kühlen. Er hätte sich am liebsten das Messer in das Herz gestoßen, doch hielt ihn der Gedanke, daß er sich ja rächen müsse, fürchterlich rächen, davon ab.
So ritt er weiter, vorsichtig in die Ferne lauschend, um ja nicht wieder eine solche Begegnung zu haben. Und doch sollte er nicht lange allein bleiben. Ganz plötzlich sah er einige dunkle Punkte vor sich in seinem Weg liegen, und noch ehe er sein Tier zu halten vermochte, begannen sie, sich zu bewegen.
Es waren abgestiegene Reiter, die jetzt in ihre Sättel sprangen und ihn umringten.
„Kimdir, kimdir!“ rief ihm der eine zu.
Dieses Wort heißt ‚Wer da‘, es ist türkisch, wird aber auch in den Ländern der arabischen Beduinen angewandt. Falehd glaubte natürlich, wieder Beni Sallah vor sich zu haben, trieb sein Tier also weiter und antwortete:
„Wer ich bin, geht euch nichts an! Laßt mich in Ruhe!“
Die Männer aber galoppierten mit derselben Schnelligkeit neben ihm her, und der vorige Sprecher sagte:
„Halte dein Tier an, sonst schieße ich dich herab!“
Die Nacht war sternenhell; der Riese sah den Lauf des Gewehres auf sich gerichtet und mußte gehorchen. Er gab daher seinem Tier das Zeichen, zu stehen.
„Fünf Kamele und nur ein Reiter?“ sagte der Mann verwundert. „Das begreife ich nicht. Woher kommst du?“
„Von Norden“, antwortete Falehd, der einzusehen begann, daß er keine Beni Sallah vor sich habe.
„Und wo willst du hin?“
„Nach Süden.“
„In die Wüste hinein?“
„Ja.“
„Lüge nicht.“
„Ich sage die Wahrheit.“
„Kein Reisender reitet an einem Lager vorüber, das ihm so nahe zu erreichen liegt!“
„Welches meinst du?“
„Willst du nicht zu den Beni Sallah?“
„Nein, Allah verdamme sie!“
„Sind sie deine Feinde?“
„Ja.“
„Ah! Welchem Stamm gehörst du an?“
„Keinem. Ich bin frei.“
„Ein Ausgestoßener etwa?“
„Ja.“
„Das lügst du wieder. Einem Ausgestoßenen gibt man nicht vier Lastkamele und ein solches Reittier mit!“
„Glaube, was du willst, und laß mich in Ruhe!“
„In Ruhe lassen?“ fiel ein anderer ein. „Diesen da? Nein, ihn nicht! Hört, ihr Männer, was für einen guten Fang wir gemacht haben! Seht seine Gestalt, seine Länge, seine Stärke! Es gibt nur einen einzigen, dem Allah eine solche Figur gegeben hat. Ich will in allen Höllen braten, wenn dieser Mann nicht Falehd ist, der Riese vom Stamm der Beni Sallah!“
„Allah ist groß! Ist das wahr?“
„Ja, er ist es. Ich schwöre es.“
„So muß ich ihn doch auch kennen. Steige herab vom Rücken deines Kamels, Mann, damit meine Augen sich an dem Anblick deines Angesichtes weiden mögen!“
„Wer ich bin, kann ich euch sagen, ohne daß ich den Sattel verlasse. Ja, ich bin Falehd.“
„Allah 'l Allah! Gepriesen sei Gott, der uns den Gedanken gegeben hat, in dieser Nacht hierherzureiten! Er hat den schlimmsten unserer Feinde in unsere Hand gegeben. Dieser soll mit seinem Leben den Preis bezahlen für das Blut, das er vergossen hat.“
„Ich glaube nicht, daß dies nötig sein wird“, meinte Falehd. „Ihr nennt mich euren Todfeind. Welchem Stamm gehört ihr denn an?“
„Wir sind Beni Suef.“
„Tod und Teufel! Ist das wahr?“
„Ja. Steige ab und überzeuge dich!“
„Zu euch will ich ja!“
„Zu uns? Bist du toll? Ein Beni Sallah, der zu uns kommt, bringt uns sein Leben!“
„Das will ich ja auch! Ich bringe euch mein Leben, zwar nicht, daß ihr es mir nehmen sollt, sondern weil ich es euch widmen will. Ich will an eurer Seite oder an eurer Spitze gegen die Beni Sallah kämpfen, bis keiner dieser Hunde mehr zu sehen ist.“
„Schweig still! Wir kennen dich! Du kommst von der Reise und willst in dein Lager. Dabei haben wir dich ergriffen. Nun gibt es nur ein Mittel, dich zu retten, indem du einer der Unsrigen zu werden versprichst. Aber wir glauben dir nicht, wir lassen uns nicht täuschen. Wir kennen dich. Deine Zunge hat mehrere Spitzen und vielerlei Rede.“
„Wartet! Ich werde absteigen.“
Falehd ließ sein Kamel niederknien und sprang aus dem hohen Sattel herab. Die anderen waren zu Pferd. Er zählte sechs Mann. Als er jetzt am Boden stand, sagte er:
„Habt ihr meinen Worten und meiner Stimme nicht angehört, daß ich verwundet bin? Tretet näher und seht mich an. Man hat mir in einem Kampf ein Auge genommen und mir die Nase zerschlagen und die Zähne zerschmettert. Das ist geschehen heute um die Mittagszeit im Lager der Beni Sallah, das ich verlassen habe, um mich zu rächen. Ich wollte zu den Beni Suef, deren Todfeind ich bisher war, um ihnen den ganzen Stamm der Beni Sallah in die Hände zu liefern. Allah sei deshalb Dank, daß ich euch treffe! Tut jetzt mit mir, was ihr wollt und denkt!“
Die Beduinen traten näher, betrachteten und befühlten ihn, dann sagte derjenige, der der Anführer zu sein schien:
„Ja, du bist verwundet, aber wir müssen sichergehen. Wenn du aufrichtig bist, wird es dir ganz gleichgültig sein, wenn wir dich gefangennehmen.“
„Tut es!“
„Und dich binden.“
„Hier sind meine Arme. Bindet sie!“
Es wurde nun ein Riemen hergenommen, mit dem man ihm die Hände auf den Rücken band. Falehd mußte sich dann setzen, und seine Kamele wurden durch leichte Hiebe an die Vorderbeine belehrt, daß sie sich legen sollten, was sie sogleich taten. Die Männer aber, die auch abgestiegen waren, setzten sich um ihn herum, ihn zu verhören. Falehd erzählte ihnen die letzten Ereignisse nach seiner Weise, so daß sein Verhalten in ein möglichst günstiges Licht gestellt wurde. Sie hörten ihm ruhig zu. Als er geendet hatte, sagte der Anführer:
„Wir wollen dir in der Hauptsache glauben, obgleich uns manches noch unerklärlich und bedenklich ist.“
„Fragt mich nur! Ich werde antworten.“
„Eigentlich sollte ich dir noch nichts sagen, denn ich weiß noch nicht gewiß, ob du es wirklich ehrlich meinst; aber du bist gebunden und also unschädlich. So will ich dir denn mitteilen, daß wir Kundschafter sind. Weißt du nun, was die Krieger der Beni Suef wollen?“
„Natürlich weiß ich es und freue mich darüber. Ihr wollt die Beni Sallah überfallen?“
„Ja, denn wir haben euch Blutrache geschworen und wählten die jetzige Zeit dazu aus besonderen Gründen. Wie wir wissen, wird eure Königin baldigst wieder einem Mann gehören –“
„Sie gehört ihm schon!“ fiel Falehd ein.
„Wie? Sie hat bereits gewählt?“
„Das war ja der Kampf, von dem ich erzählte.“
„So habt ihr um die Königin gekämpft?“
„Ja, mit einem Fremden. Dieser hat die Königin an Tarik abgetreten.“
„Meinst du den Sohn des Blitzes?“
„Ja.“
„Hört, ihr Männer, hört! Wie gut, wie sehr gut, daß wir den Riesen gefunden haben! Sage uns einmal, Falehd, ob nicht ein Pascha bei euch ist?“
„Allerdings.“
„Und dann noch ein Fremdling, den der Sultan der Russen gesandt hat?“
„Ja.“
„Beide sind Feinde des Vizekönigs von Ägypten?“
„So ist es. Sie kamen, um den Stamm für sich zu gewinnen. Dieser andere Fremde aber, der mich besiegte und durch seine Teufelskünste mich blind machte, daß ich seine Streiche nicht sehen konnte, hat den Stamm betört, daß er nun dem Vizekönig helfen will.“
„Welch eine Dummheit! Die Krieger der Beni Suef sind niemals dem Vizekönig verbündet gewesen und werden auch niemals seine Sklaven sein!“
„Das weiß ich, und darum komme ich zu euch.“
„Wir hatten von den beiden fremden Gesandten gehört; wir wußten von der Königin, daß für sie die Zeit gekommen sei, sich einen Mann zu wählen, und wir hatten Blutrache mit euch. Darum wurde ein Kriegszug beschlossen. Wir wollten die Gesandten in unsere Hände bekommen, um mit ihnen zu verhandeln und die Geschenke zu erhalten, die sie wohl für euch bestimmt haben. Wir wollten uns ferner der Königin bemächtigen, daß sie gezwungen sei, einen unseres Stammes zu wählen. Dann wäre die Blutrache erloschen, und die Beni Suef hätten sich mit den Beni Sallah zu einem einzigen Stamme vereinigt, der so mächtig gewesen wäre, daß er die Entscheidung über Krieg und Frieden in den sämtlichen Oasen Ägyptens und Nubiens gehabt hätte. Unser Scheik hat uns ausgesandt, alles zu erfahren und zu erkunden, und wir belauschen euch bereits seit drei Tagen, ohne aber etwas Wichtiges gesehen und gehört zu haben.“
„Wie gut, daß ihr da mich getroffen habt!“
„Ja, das ist gut, wenn du uns wirklich nichts als die reine Wahrheit gesagt hast.“
„Es ist kein Wort unwahr. Ja, ich kann euch noch viel Besseres sagen: Die beiden Gesandten, welche ihr haben wollt, wollen zu euch.“
„Ah! Wirklich?“
„Ja, ihr sollt noch heute mit ihnen sprechen. Man hält sie gefangen: sie aber werden heute in der Nacht entfliehen. Suef, mein Diener, den ich von euch gefangennahm, wird sie bringen. Ich habe ihm den Ort angegeben, wo er mich treffen soll.“
„Allah 'l Allah! Welch ein Wunder!“
„Die Königin könnt ihr auch noch haben, denn obwohl heute der Kampf stattgefunden hat, so werden doch erst am Tag nach Neumond Tarik und Badija Mann und Frau sein dürfen. Bis dahin fällt sie sicherlich in eure Hand. Und den Abgesandten des Vizekönigs, der sich Masr-Effendi nennt, werde ich euch ebenfalls in die Hände spielen.“
„Wenn du das tust, so soll dir alles Blut vergeben sein, das du in unserem Stamm vergossen hast!“
„Oh, ich werde noch mehr tun. Ich liefere euch noch zwei Personen, zwei sehr wichtige Personen aus. Hiluja, die Schwester der Königin, ist bei ihr zu Besuch.“
„Gott ist groß! Die Schwester der Königin! Ist sie jung und schön?“
„Jünger und schöner noch als Badija.“
„Wenn sie in unsere Hand gerät, soll dir Ehre erwiesen werden, wie selten einem widerfährt.“
„Auch ihr Vater ist da, der Scheik der Beni Abbas.“
„O Himmel! O Mohammed! Ist's wahr?“
„Er ist heute gekommen mit einer ganzen Menge von Kriegern.“
„Wir werden sie fangen! Welches Lösegeld wird das geben! Fast kann ich dir nicht mehr glauben, was du erzählst!“
„Ich lüge nicht!“
„Es ist zuviel, zuviel! Wüßte ich, daß wirklich alles wahr ist, so würde ich dir den Riemen nehmen und dich freilassen, und wir würden dich behandeln, als ob du bereits einer der Unsrigen seiest.“
„Es ist alles, alles wahr. Ich werde es euch beweisen.“
„Beweise es jetzt gleich, indem du es beschwörst!“
„Gut. Ich schwöre bei Allah, beim Propheten, bei dem Barte meines Vaters und dem meinigen, daß ich euch nicht belogen habe.“
„Und daß du alle diese Personen in unsere Hände liefern willst?“
„Ja, alle.“
„So komm her, ich binde dich los.“
Gleich darauf ließ der Anführer der Kundschafter seinem Wort die Tat folgen. Der Riese streckte und dehnte die Arme.
„Ich werde mein Wort halten“, sagte er, „doch könnt ihr euch denken, daß ich einige Bedingungen zu machen habe.“
„Sage sie.“
„Ich werde bei euch aufgenommen als Mitglied des Stammes der Beni Suef!“
„Das sage ich dir zu.“
„Es wird um die Königin gekämpft, und ich darf mich an dem Kampf beteiligen.“
„Das versteht sich ganz von selbst.“
„Erhalte ich die Königin nicht, so erhalte ich wenigstens Hiluja, ihre Schwester.“
„Auch das gestehe ich dir zu.“
„Und endlich bekomme ich alles Eigentum wieder, das ich zurücklassen mußte!“
„Es gehört dir. Niemand wird es dir vorenthalten, wenn es uns gelingt, die Beni Sallah zu besiegen.“
„Es gelingt, dafür laßt nur mich sorgen. Aber wird euer Scheik auch alles bestätigen, was ihr mir jetzt zugesagt habt?“
„Er wird es. Ich bin sein Eidam, der Mann seiner Tochter. Er wird mich nicht schamrot machen, indem er mir verbietet, mein Wort zu halten.“
„So sind wir einig, und ich gehöre euch. Nun aber sagt mir auch, für welchen Tag der Überfall verabredet ist. Ehe ihr euer Lager erreicht, braucht ihr zwei Tage, und eure Krieger werden drei Tage reiten müssen, ehe sie zum Angriff kommen. Sodann bedarf es einiger Tage zu der Rüstung. Dabei geht sehr viel Zeit verloren, und so ist es möglich, daß diejenigen, die ich in eure Hände liefern will, bereits wieder abgereist sind. Dann allerdings dürftet ihr nicht sagen, daß ich nicht Wort gehalten habe.“
„Du darfst keine Sorge haben. Es steht alles besser, als du denkst. Wir sind bereits gerüstet, ja, wir befinden uns nicht etwa auf unseren Weideplätzen. Nur die Greise, die Knaben, die Frauen und die Mädchen sind dort.“
„Wie! So sind eure Krieger bereits unterwegs?“
„Seit drei Tagen.“
„So sind sie schon in der Nähe?“
„Ja.“
„Wo?“ fragte der Riese in erstauntem Ton.
„Ich weiß nicht, ob ich es sagen darf.“
„O Allah! Wenn ich heute Sieger und Scheik geworden wäre, so wäre doch vielleicht in zwei oder drei Tagen schon meine ganze Herrlichkeit hin gewesen!“
„Ja, wir hätten euch überfallen und vernichtet, und ihr hättet vorher nichts geahnt. Wir wären über euch gekommen, wie das Heer der Millionen Heuschrecken über die Felder kommt – vom Himmel herab, aus den Wolken hernieder, ohne daß man es vorher denkt.“
„Wie gut, daß ich unterlegen bin! Nun wird alles gut, alles, alles! Ihr könnt euch auf mich verlassen, ihr könnt mir vertrauen und dürft mir getrost sagen, wo sich eure Krieger befinden. Bedenkt, daß ich meine Worte und mein ganzes Verhalten danach einzurichten habe!“
„Du magst recht haben, wenn du glaubst, wissen zu müssen, wo unsere Krieger sind. Sie halten sich im Ferß el Hadschar verborgen.“
„Im Ferß el Hadschar? Wie viele sind ihrer?“
„Volle sechshundert Mann, alle gut bewaffnet.“
„Beritten?“
„Mit Pferden. Speise und Munition haben wir auf Lastkamelen mitgebracht.“
„Wie ist das möglich? Sechshundert Mann mit ebensovielen Pferden, außer den Lastkamelen, in dem wilden, öden Ferß el Hadschar!“
Nämlich ziemlich halbwegs zwischen den Weideplätzen der Beni Suef und der Beni Sallah steigen aus der tiefsandigen Wüste steile, nackte Felsenhöhen empor, die wie Trümmer eines vor Jahrtausenden eingestürzten Gebirges auf- und übereinandergetürmt liegen. Man glaubt hier weder Weg noch Steg zu finden. Alles ringsumher bietet den Anblick des Todes, der Leblosigkeit. Diese Felsmasse wird Ferß el Hadschar genannt, zu deutsch das Bett der Steine.
Der Beduine hat für hundert ähnliche in der Wüste liegende Orte auch ähnliche Bezeichnungen: Battn el Hadschar, Bauch der Steine, Om el Hadschar, Mutter der Steine, Abu 'l Hadschar, Vater der Steine.
Der Riese kannte dieses ‚Bett der Steine‘. Er hielt es für unmöglich, daß so viele Menschen und so viele Tiere dort Aufenthalt nehmen könnten.
„Warum wunderst du dich?“ fragte der andere.
„Es ist kein Wasser da.“
Wasser ist allerdings in der Wüste das allererste und alleroberste Existenzbedürfnis. Wo dieses fehlt, da ist kein Leben, da flieht selbst der kühnste Beduine schnell wie ein lebloser Schatten vorüber.
„Kein Wasser? Weißt du das so gewiß?“
„Ja. Wir haben seit Menschenaltern dort nach Wasser gesucht und keinen Tropfen gefunden.“
„Ihr seid eben Beni Sallah und keine Beni Suef. Es gibt allerdings Wasser dort. Hast du nicht von den geheimen Quellen der Wüste gehört?“
„Wie sollte ich nicht! Das Kamel des dürstenden Wanderers bleibt in der dürrsten Einöde stehen, wo es keinen Tropfen zu geben scheint, und scharrt mit den Füßen im Sand. Der Reiter springt ab und gräbt mit den Händen weiter. Da kommt eine Quelle zum Vorschein. Er trinkt, läßt auch sein Tier sich satt trinken und füllt sich die Schläuche. Dann breitet er seine Decke über die Stelle und legt den Sand auf die Decke, so daß kein Vorüberkommender es ahnt, daß hier eine Quelle sei. Zu dieser Stelle kehrt er dann zurück, wenn er Wasser braucht. Sie bietet ihm Rettung in Not und Verfolgung. Solange er sie allein besitzt, kann kein Feind ihn überwinden.“
„So ist es aber nicht nur in der Wüste des Sandes, sondern auch in der Wüste des Felsens. Hast du nicht gehört aus dem Koran, daß Musa (Moses) Wasser aus dem Felsen schlug? Auch im Ferß el Hadschar gibt es zwei Quellen. Sie sind nur uns bekannt. Sie wurden von unseren Vätern entdeckt, und kein Angehöriger eines anderen Stammes wird jemals einen Tropfen aus ihnen erblicken und kosten. Dort befinden sich unsere Krieger.“
„Dorthin bedarf es nur einer Tagesreise. Wir könnten also morgen abend dort sein?“
„Ja. Wir werden dort anlangen, wenn die Sonne niedergesunken ist. Nicht wahr, du meinst, daß die beiden Gesandten mitreiten werden?“
„Ja. Ich werde euch nach der Stelle führen, wo ich sie erwarte.“
„Werden sie gute Reittiere haben?“
„Suef wird dafür sorgen, daß sie die besten bekommen, die vorhanden sind. Ich danke Allah, der euch in meinen Weg geführt hat. Vielleicht wäre ich verschmachtet und gestorben, ehe ich eure Weideplätze erreicht hätte. Der Schmerz frißt an meinem Mark. Das Wundfieber hätte mich niedergeworfen, mitten in der Wüste.“
„Ist die Wunde so schlimm?“
„Jener Hund hat mir das Auge herausgeschlagen, daß es mir über die Wange hing, es ist verloren, wenngleich er es mir, als er mich für besinnungslos hielt, wieder hineingesteckt hat. Habt ihr einen Mann in eurem Stamm, der Krankheiten heilt?“
„Wir haben mehrere, die sich auf Wunden verstehen, die werden dir helfen. Wir nehmen sie mit, weil wir kämpfen werden. Sie sollen die Verwundeten binden und pflegen.“
„Ich werde ihnen sehr dankbar sein, wenn sie mich wiederherstellen. Derjenige aber, der mir das Auge genommen hat, soll seine beiden hergeben und die Ohren und die Zunge dazu!“
Falehd stand, während er dies sagte, von seinem Platz auf, streckte den Arm nach der Gegend aus, in der sich das Lager befand, und fuhr in drohendem Ton fort:
„Sie haben mich ausgestoßen als den Schwachen, aber ich werde wiederkommen mit Macht. Die Alten sollen sterben und die Jungen verderben, die Mütter sollen jammern über die Frucht in ihren Leibern, und die Jungfrauen sollen sein wie die abgeschlachteten Schafe! Es wird ein Blutgeruch ausgehen von diesem verfluchten Ort, über den sich alle Welt entsetzen wird. Die aber, welche ich mir aussuche, die werde ich krumm fesseln und in Käfige stecken und mit mir herumführen, wie man die Brut der alten Krokodile in Töpfe steckt, um sie sehen zu lassen. Ich habe es gesagt, und Allah hat es gehört. Was ich schwöre, das halte ich auch!“
Es schauderte die Zuhörer bei seinen Worten.
„Glaubt ihr nun, daß ich ein Feind dieser von Allah und dem Teufel verfluchten Beni Sallah bin?“ fragte er.
„Ja, jetzt glauben wir es.“
„So kommt! Ich werde euch zur Stelle führen, an der wir zu warten haben.“
„Wird man uns dort nicht bemerken?“
„Nein. Ihr könnt euch doch denken, daß ich selbst nicht dahin gehen werde, wo man mich bemerken kann. Der Stamm hat mich für vogelfrei erklärt, ich erkläre nun alle Söhne und Töchter des Stammes für vogelfrei und werde nicht ruhen, als bis das Verhängnis über sie gekommen ist!“
„Haben wir lange zu warten?“
„Vor Mitternacht werden sie sich nicht entfernen können. Das ist mir aber um meines Auges willen nur lieb. Ich kann mich bis dahin ausruhen und pflegen.“
Falehd stieg auf, und die anderen taten dasselbe. Sie ritten fort und verschwanden im Dunkel der Nacht, ebenso wie ihre Absichten nächtig dunkel waren.