DRITTES KAPITEL
Die Herausforderung
Hiluja und die Alte waren während des Zornausbruchs der letzteren an der Landungsbrücke angelangt. Jetzt schritten sie hinüber auf das Deck der Jacht. Dort saß der Lord hinter dem Wetterschirm des Kajüteneingangs. Er hatte sie beobachtet, ohne von ihnen bemerkt worden zu sein. Während der Fahrt war es ihm gelungen, sich wenigstens einige türkische Ausdrücke und einige Wörter der Lingua Franca zu merken. Daher lachte er ihnen entgegen, deutete nach der Richtung, in der Hilal verschwunden war, und fragte:
„Aschyk? Nicht wahr, das war der Aschyk?“
Das Wort Aschyk bedeutet soviel wie Geliebter, Liebhaber. Das Mädchen errötete über das nicht etwa sehr zart zu nennende Wort. Die Alte ärgerte sich, deutete auf den Lord und sagte:
„Achmak, Achmak!“
Dann verschwand sie in der Kajüte, Hiluja nach sich ziehend. Sofort sprang der Lord von seinem Sitz auf und ging nach dem Hinterdeck, wo der Steuermann saß.
„Hm! Steuermann, was mag wohl das Wort Achmak bedeuten?“ fragte er.
„Gefällt es Eurer Lordschaft?“
„Nicht übel. Es hat einen so melodiösen Klang.“
„Ja, die Bedeutung ist auch nicht übel.“
„Eine gute?“
„Sehr!“
„Dachte es mir. Die Alte hat es jedenfalls gut gemeint. Sie ist eine brave Lady.“
„Die Alte? Hat sie das Wort gesagt?“
„Ja.“
„Hm! Zu wem?“
„Zu mir natürlich!“
„Oh! Ah! Ei, ei!“
„Wieso? Was bedeutet es denn?“
„Ich möchte es lieber nicht sagen.“
„Nur heraus damit! Ich werde mir nicht viel darauf einbilden, und wenn die Bedeutung eine noch so schöne ist! Auch fällt es mir gar nicht ein, es für eine Schmeichelei seitens des Übersetzers zu halten.“
„Des Übersetzers? Das wäre also ich. Nun, Mylord, um mich ist es mir auch gar nicht zu tun, sondern nur um die Alte. Ich komme dabei ganz gewiß nicht in Gefahr, für einen Schmeichler gehalten zu werden, aber für die Alte könnten vielleicht doch einige Hiebe mit der neunschwänzigen Katze abfallen.“
„Fällt mir gar nicht ein! Sie hat es jedenfalls gut gemeint, und wenn sie mir ein Wort sagt, welches ein wenig höflicher oder wohl vielleicht zärtlicher ist, als ich es verdiene, so platze ich doch deshalb noch lange nicht vor Hochmut und Einbildung auseinander.“
„Ja, davon bin ich überzeugt, besonders in diesem Fall“, nickte der Steuermann, indem er eine höchst eigentümliche Grimasse zog.
„Also was bedeutet das Wort?“
„Das Wort heißt geradesoviel wie Dummkopf.“
„Dumm – kopf?“ fragte der Lord, indem ihm vor Erstaunen der Mund offenblieb.
„Ja, ganz wörtlich Dummkopf.“
„Alle Wetter!“
„Schöne Schmeichelei!“
„Hol's der Teufel! Was heißt denn eigentlich Aschyk?“
„Liebhaber.“
„Also doch! Ich habe keinen Fehler gemacht. Ich sage Aschyk, und sie antwortet Achmak. Wunderbar! Diese Alte hat den Teufel im Leib! Oder hat sie es so aufgenommen, als ob ich meine, jener barfüßige Araber sei ihr Anbeter? Der ihrige? Sapperment! Das wäre doch auch keine Beleidigung für so eine alte Kanalschleusenhaube! Hm, hm! Wunderbar!“
Er schritt langsam und kopfschüttelnd nach der Kajütentreppe und stieg diese hinab, mit sich noch nicht ganz darüber einig, ob er die Sünderin seinen Zorn fühlen lassen wolle oder nicht.
Als er in die Kajüte trat, fand er die Anwesenden in einer sehr lebhaften Unterhaltung. Er verstand allerdings kein Wort von dem, was Hiluja erzählte, nur hörte er dann endlich, daß Steinbach, zu Normann und Wallert, die soeben auch von ihrem Spaziergang zurückgekehrt waren, gewandt ganz erstaunt ausrief:
„Hilal? Das ist ja derselbe Hilal, den mir der Vizekönig senden will, wie ich Ihnen vorhin erzählte. Diese Arnauten haben irgendeine Schlechtigkeit gegen ihn vor. Wir müssen auf alle Fälle hinaus nach dem See, um ihn womöglich vor Schaden zu bewahren.“
„Schaden? Arnauten? Schlechtigkeit? See? Gefahr?“ fragte der Lord. „Was gibt es denn?“
Steinbach erklärte ihm das Geschehene.
„Tod und Teufel! Ich gehe mit!“ rief der Lord.
„Das wird nicht ratsam sein.“
„Warum nicht?“
„In diesem Aufzug?“
„Aufzug? Sie meinen Anzug? Kann ich in demselben etwa niemand retten?“
„Verzeihen Sie! Wir wissen noch gar nicht, was wir zu tun haben. Vielleicht ist es möglich, daß wir uns für Eingeborene ausgeben müssen –“
„Dann bin ich eben auch eingeboren! Geben Sie mich meinetwegen doch für einen Eskimo oder Kaffern oder Tungusen aus, es ist mir alles egal, aber ich will auch mit retten und helfen!“
Er wollte durchaus nicht einsehen, daß sein ganzes Äußere geeignet sei, den Plan zu verderben, und war nur nach langer Mühe zu bewegen, auf das Mitgehen zu verzichten, allerdings nur scheinbar, er tat nur so, als habe er verzichtet, horchte aber desto aufmerksamer auf die Worte, die gesprochen wurden.
Dann brachen Steinbach, Wallert und Normann bis an die Zähne bewaffnet auf. Sie nahmen sogar den Maschinisten und den Diener Will mit.
Der Lord aber folgte ihnen auf das Verdeck, blickte ihnen nach, bis sie verschwunden waren, und trat dann in das Steuerhäuschen, wo die Karten und Pläne lagen. Hier rief er den Steuermann zu sich und fragte ihn:
„Gibt es hier in der Umgegend nicht einen See, welcher El Chiyam heißt?“
„Wollen sehen!“
Der Gefragte suchte auf der Karte der Umgegend von Kairo und antwortete:
„Hier steht Birket el Chiyam. Birket heißt See. Das ist also der gesuchte.“
„Wie weit ist er von hier entfernt?“
„Eine gute halbe Stunde nach West zu, wenn die Zeichnung richtig ist.“
„Diese Kerle sind erst hinauf nach der Brücke. Das gibt einen Umweg. Wenn ich mich gleich geradeüber rudern lasse, komme ich eher an als sie.“
„Mylord wollen nach dem See?“
„Ja.“
„Die anderen Misters sind wohl auch hin?“
„Natürlich. Die Kerle wollten mich nicht mitnehmen.“
„So würde ich raten, an Bord zu bleiben. Mister Steinbach ist ein Mann, der nichts tut ohne vorherige reifliche Überlegung; er weiß stets, was er will.“
„Ich weiß ebensogut, was ich will, verstanden? Ich brauche keinen Rat! Jetzt das kleine Boot hinab. Ich gehe an das andere Ufer!“
Er sagte das in einem so strengen Ton, wie ihn der brave Steuermann noch nie von ihm gehört hatte, und begab sich dann nach seiner Kabine. Von dort kehrte er zurück, als der Steuermann eben das Boot hinabgelassen, und hatte Regenschirm und Fernrohr mitgebracht. In einem roten Tuch, das er sich um die Hüfte geschlungen hatte, staken außerdem zwei Messer, zwei Revolver, zwei Pistolen und das Handbeil des Feuermannes. Ferner hingen ihm zwei doppelläufige Gewehre über die Schulter.
„Um Gottes willen!“ rief der Steuermann erschrocken. „Wollen Eure Lordschaft unter die Räuber und Banditen gehen?“
„Gerade das Gegenteil! Ich will unter den Räubern und Banditen aufräumen, daß man hier in Kairo noch nach hundert Jahren von mir erzählen soll!“
„Es ist doch nicht etwa Gefahr dabei?“
„Sogar riesige Gefahr! Aber – was mache ich mir aus solcher Gefahr?“
„Ich würde doch raten, hierzubleiben.“
„Mund halten! Brauche keinen Rat! Bin mein eigener Geheim- und Kommerzienrat!“
„Aber wann werden Mylord zurückkommen?“
„Wenn die Rettung vollendet ist.“
„O weh! Das ist sehr unbestimmt!“
„Ja. Bei solchen Kriegs- und Feldzügen muß man sich eben höchst diplomatisch ausdrücken.“
„Wenn nun die anderen Misters eher zurückkehren und nach Mylord fragen, was soll ich antworten?“
„Daß ich ausgezogen bin mit Roß und Troß, um zu retten, was sie nicht haben retten können. Ich bin nämlich überzeugt, daß diesen guten Leute es sehr verkehrt anfangen werden. Ich hingegen werde es außerordentlich schlau anfangen. Die Arnauten sollen mich kennenlernen –“
„Arnauten! Um Gottes willen! Die Arnauten sollen ganz gewalttätige und grausame Menschen sein.“
„Darum eben putze ich sie von der Erde weg.“
„Wenn nur Eure Lordschaft nicht geputzt werden.“
„Ruhig! Still! Sonst wird der geputzt, der es wagt, den Mund noch einmal aufzutun! Ich werde diesen Herren, die mich nicht mitnehmen wollten, einmal zeigen, daß ich ganz allein mehr fertigbringe, als sie alle miteinander! Ich soll in meinem Aufzug kein Eingeborener sein? Welcher Unsinn! Ich werde gerade da geboren, wo es mir beliebt, aber nicht etwa da, wo diese Herren denken! Vorwärts!“
Er war während dieses Räsonnements hinab in das Boot gestiegen. Der Steuermann griff nun zu den Riemen und ruderte ihn nach empfangener Weisung um die Insel Baleq herum, um ihn in der Nähe des Palastes Tusuhn zu landen.
Dort stieg der Engländer aus, warf die Gewehre über, drückte sich den karierten Zylinder fest auf den Kopf, wie einer, der einen Sturm heranwirbeln hört oder einem Hund entgegengeht, und schritt dann dem Kanal zu, über den er mußte, wenn er sein Ziel erreichen wollte.
Er hatte sich die einzuhaltende Richtung ganz genau gemerkt und freute sich wie ein Schneekönig auf das Abenteuer. Welcher Art dasselbe sei und wie es verlaufen werde, davon hatte er allerdings keine Ahnung. Er wußte nur, daß er eins erleben werde.
Während er so mit Riesenschritten vorwärts eilte, um den anderen zuvorzukommen, ruderte der brave Steuermann, von Zeit zu Zeit bedenklich den Kopf schüttelnd und Worte ernster Besorgnis murmelnd, wieder nach der Jacht zurück. Soviel er von seinem Herrn vernommen hatte, hielt er es für gewiß, daß das Unternehmen desselben ein sehr gewagtes sei.
Dem Lord hingegen fiel es gar nicht ein, dieselbe Ansicht zu hegen. Er freute sich auf das Abenteuer, das ihm bevorstand. Er fand glücklicherweise gerade da, wo er den nach Gizeh führenden Kanal erreichte, eine Überbrückung desselben, so daß er nicht durch langes Suchen nach dem Übergang aufgehalten wurde, und setzte seinen Weg mit solcher Eile fort, daß er wirklich vor den anderen an dem See anlangte.
Dieser war allerdings jetzt kein See zu nennen und lag vollständig trocken da. Während der Zeit der Nilüberschwemmung bildete er jedenfalls ein nicht unbedeutendes Wasserbassin, trat aber der Nil in seine Ufer zurück, so hörte der Zufluß auf, und das Wasser verdunstete, so daß der flache Grund des Sees wohl mehrere Monate des Jahres hindurch nur einige wenige Lachen zeigte.
Dennoch gab es an seinem Rand eine Vegetation, die jetzt freilich zu ruhen schien, zur Regenzeit aber schnell und üppig aufwucherte. Das Schilf war zwar scharf und trocken, doch mannshoch aufgeschossen. Es schien für den Engländer ein gutes Versteck zu bieten. Als er aber versuchte, in dasselbe einzudringen, fand er, daß es wie Messer schnitt.
Prüfend ließ er daher seinen Blick über die Umgebung schweifen und murmelte leise:
„Da rechts liegen die Steine, von denen dieser Mister Steinbach sprach. Dort also wird der Zweikampf vor sich gehen. Dort werden sie sich treffen, und wenn ich mich dort verstecken wollte, würde man mich entdecken. Das darf nicht sein. Wohin aber soll ich denn sonst? Ah, was ist denn das für ein Ding? Ist das hohl?“
Am Rand des Sees, ganz in seiner Nähe, befand sich nämlich eine ziemlich steile Bodenerhöhung und an einer Stelle dieser Böschung eine Steinplatte mit einer eingegrabenen, jedenfalls sehr alten Inschrift. Rasch trat der Lord hinzu und entzifferte mit einiger Mühe:
„Hier ruht James Burton, Esq. aus Leeds. Gestorben im April 1816 an einem Schlangenbiß. Gott schenke ihm die ewige Ruhe!“
„Ein Engländer!“ meinte der Lord. „Hm! Jedenfalls eine Aushöhlung! Wenn ich mich da hineinstecken könnte! Master James Burton aus Leeds würde es mir wohl nicht übelnehmen, wir sind ja Landsleute.“
Er versuchte darauf, ob die Platte sich bewegen lasse. Diese war zwar nicht so klein, aber dünn, und es bedurfte keiner großen Anstrengung, sie zu entfernen. Hinter ihr kam jetzt eine Höhlung zum Vorschein. Der Lord bückte sich und kroch in sie hinein.
Die Höhlung war tief, viel tiefer, als er dachte, und er mußte sich ein Streichhölzchen anbrennen, um ihren Inhalt zu untersuchen. Da gab es aber überhaupt keinen Inhalt; sie war leer.
„Sapperment!“ lachte nun der Lord. „Mister Burton scheint heute ausgegangen zu sein! Er wird sich wundern, bei seiner Rückkehr zu finden, daß er Besuch hat. Oder haben diese Ägypter das Grab ausgeraubt? Es ist jedenfalls nicht für ihn hergestellt worden, sondern stammt aus uralter Zeit, denn es ist aus Luftziegeln gemauert. Hier bleibe ich. Aber an der Steinplatte fehlt eine Ecke, daß ich ganz gut hinaussehen kann, selbst wenn ich sie vor den Eingang lege. Das gibt ein Versteck, wie ich es gar nicht besser hätte finden können!“
Er trat dann wieder hinaus und versuchte die Platte über die Grube zu ziehen. Dabei fiel sein Blick nach der Richtung der Stadt. Von dorther kamen Leute.
„Ob das bereits die Arnauten sind?“ fragte er sich. „Höchstwahrscheinlich. Ich muß mich also beeilen.“
Schnell verschloß er den Eingang der Grabhöhlung hinter sich. Die Platte paßte so genau in die Eindrücke, die durch sie selbst entstanden waren, daß jetzt kein Mensch sehen konnte, daß sie soeben entfernt worden war. Da, wo an ihr die obere Ecke fehlte, konnte der Lord hinaussehen, und da bemerkte er nun an den Anzügen der sich Nahenden, daß es allerdings die Arnauten waren.
Es waren ihrer sechs, also nicht alle, welche kommen wollten. Sie waren den anderen vorausgegangen, um einen Plan zu besprechen, von dem der Korporal nichts wissen sollte. Als sie die bezeichneten Steine erreichten, blieben sie stehen, um sich zu orientieren.
„Meint ihr, daß man sich hinter einem dieser Steine verstecken könnte?“ fragte einer.
„Nein“, antwortete der zweite. „Das geht nicht. Wer da einen Schuß abgeben soll, der muß sich natürlich hinter dem Stein emporrichten, und da wird er gesehen.“
„Das ist richtig. Aber es gibt ja kein zweites Versteck.“
„O doch! Das Schilf.“
„Das ist scharf wie ein Säbel. Ich mag mich nicht heineinstecken. Übrigens muß derjenige, der dort stecken würde, sich ja ebenso aufrichten, wenn er schießen will, und da würde er auch gesehen. Ich wüßte einen Ort, aber der ist nicht nach jedermanns Geschmack.“
„Welchen?“
„Dort das Grab des Engländers.“
„Allah!“
„Sie, wie du dich fürchtest!“
„Das Grab eines Ungläubigen! Hast du nicht gehört, daß sein Geist keine Ruhe findet und des Nachts hier umgeht? Er soll bei Vollmond heulen wie eine Hyäne.“
„Das habe ich freilich gehört – aber wir haben jetzt doch nicht Vollmond, sondern es ist Tag. Übrigens ist die Leiche ja gar nicht mehr vorhanden.“
„Weißt du das genau?“
„Ja. Sie ist während der letzten Überschwemmung mit fortgerissen worden.“
„Warum lehnt man da den Stein wieder vor?“
„Das weiß ich nicht, jedenfalls doch, weil er hingehört.“
„Ich mag nicht hinein.“
„Memme!“
„Schimpf nicht! Du kennst mich und weißt, daß ich mich nicht fürchte. Aber mit den Toten mag ich nichts zu tun haben.“
„Es ist ja kein Toter drin.“
„Aber er war darin; das ist genug. Er war ein Ungläubiger. Soll ich mich etwa im Grab eines Christen verunreinigen? Das fällt mir nicht ein.“
„Das ist nicht gefährlich. Man spricht das Gebet der Reinigung und ist die Verunreinigung los. Wir brauchen uns ja nicht zu streiten, denn wir wissen noch gar nicht, welcher von uns bestimmt ist, den Schuß zu tun. Wollen wir losen oder würfeln?“
„Würfeln!“
Die Arnauten pflegen stets mit Würfeln versehen zu sein; es ist ihr Lieblingsspiel. Sie kauerten sich also nieder, und einer zog drei Würfel aus der Tasche. „Die höchste oder die niedrigste Nummer?“ fragte er.
„Die niedrigste!“
Das wurde angenommen, und gerade derjenige warf sie, der vorhin über die Furcht vor dem Engländer gelacht hatte.
„Ah, also ich!“ sagte er. „So ist gar nichts weiter zu reden. Ich fürchte mich vor diesem Grab nicht und werde mich also hineinstecken. Das Übrige ist eure Sache. Seht, hier fehlt die Ecke an der Platte. Das gibt ein Loch, durch welches ich in aller Gemütlichkeit meine Kugel senden kann. Es ist eigentlich ärgerlich, daß wir zu einem solchen Mittel greifen müssen: aber seit er uns gesagt hat, daß er Hilal ist, steht es fest, daß er uns alle erschießen wird, einen nach dem anderen. Diese Söhne des Blitzes verfehlen ihr Ziel nie. Man sagt, daß ein alter, berühmter Marabut, ein frommer Einsiedler, über ihre Gewehre den Segen gesprochen habe. Seit jener Zeit haben sie keinen einzigen Fehlschuß getan, und ihre Kugeln gehen fünfmal weiter, als diejenigen anderer Schützen. Nur List kann hier helfen.“
„Was aber sagen wir, wenn du dich ins Grab hier steckst, und der Onbaschi fragt nach dir?“
„Was sollt ihr sagen? Ich bin einfach nicht da. Nun aber müßt ihr dafür sorgen, daß der Araber so gestellt wird, daß ich ihn vor meine Flinte bekomme. Der Onbaschi wird das Zeichen geben, wann geschossen werden soll. In demselben Augenblick drücke auch ich ab. Der Araber muß so nahe an diesem Grab stehen, daß ich ihn auf alle Fälle treffe. Und dann –“
„Halt, ist er das nicht, der dort jenseits der Steine kommt?“
„Ja, das ist er.“
„Dann schnell hinein, ehe er es bemerken kann!“
Der Lord kauerte indessen im Inneren der Höhle hinter dem Stein und blickte durch das Eckloch heraus. Er sah die Arnauten, er hörte sie auch, da er aber des Türkischen nicht mächtig war, so verstand er nicht, was sie sagten, und hatte keine Ahnung davon, daß der eine zu ihm hineinzukommen beabsichtigte.
Jetzt sah er, daß zwei nach der Platte griffen.
„Sapperment!“ flüsterte er. „Ich glaube gar, ich bekomme Besuch. Dann nur rasch soweit nach hinten wie möglich! Vielleicht bemerken sie mich gar nicht.“
Und wirklich, sie bemerkten ihn auch nicht. Sie mußten ja so rasch handeln, daß ihnen gar keine Zeit blieb, nachzusehen, ob die Grabhöhle auch wirklich leer sei. Jetzt hatten sie die Platte zur Seite geschoben, und der Arnaut kroch rasch hinein.
„Also, Achmed, sorge dafür, daß ich ihn gut zu Schuß bekomme!“ sagte er noch.
Dann legten seine Kameraden den Stein wieder vor.
Der Engländer hatte sich inzwischen bis an das Ende der Höhle zurückgezogen, wo er sich nun, seine Gewehre an sich ziehend, still zusammenkauerte. –
Hilal näherte sich langsam. Er war ganz allein.
Als er die Arnauten erblickte, tat er, als ob er sie nicht bemerke, und lehnte sich an einen der großen Quadersteine, die seit Jahrhunderten an dieser Stelle lagen.
Er hatte wohl bemerkt, daß noch nicht alle beisammen waren, und wartete nun, bis die anderen kommen würden. Dies dauerte nicht lange. Eben als die Sonne im Westen den Horizont scheinbar berührte, kam der Onbaschi, bei dem sich die übrigen befanden.
Als dieser Hilal bemerkte, sagte er im Ton der Erleichterung zu ihm:
„Du hast Wort gehalten. Das ist seht gut. Ich hatte meine Ehre verpfändet.“
„Ich habe mein Wort noch nie gebrochen.“
„Es war doch leicht möglich, daß du nicht kamst.“
„Warum?“
„So viele gegen einen!“
„Glaubst du etwa, daß ich mich vor ihnen fürchte? Meine Kugel wird sie alle treffen. Und selbst wenn ich gewußt hätte, daß ich getötet würde, wäre ich doch gekommen. Ein Sohn der Wüste stirbt lieber, als daß er von sich sagen läßt, er wäre wortbrüchig geworden. Beginnen wir?“
„Ja“, antwortete der Onbaschi. „Die Sonne ist fast verschwunden. Wir haben keine Zeit zur verlieren. Sind alle beisammen?“
Dann überflog sein Auge die Versammlung, und er fragte verwundert:
„Omar fehlt. Wo ist er?“
„Er ging erst noch zum Tabakverkäufer und wird bald nachkommen“, entgegnete derjenige, der Achmed genannt worden war.
Der Onbaschi beruhigte sich nunmehr und musterte die Umgebung. Dann fragte er den Beduinen:
„Wieviel Schritte Entfernung wünschst du?“
„Soviel ihr haben wollt, einen oder dreihundert“, klang die stolze Antwort.
„Einen Schritt nur? Das wäre dein sicheres Verderben.“
„Versucht es! Was ist das für ein Loch?“
„Ein Grab.“
Hilal hob die Hand bis zur Stirn empor. In der Wüste gibt es keine Gottesäcker. Die ganze Sahara ist ein einziger großer Kirchhof. Der Araber wird da begraben, wo er stirbt. Aber der Ort, an dem ein Toter seiner Auferstehung harrt, ist dem Bewohner der Wüste heilig.
„Dort liegt nur ein Engländer“, erklärte der Onbaschi, als er das Zeichen der Ehrfurcht bemerkte, welches Hilal machte.
„Hat ein Engländer nicht auch eine Seele?“ fragte dieser. „Gibt es für ihn nicht auch eine Auferstehung und ein Gericht? Allah sei seiner Seele gnädig!“
„Er war ein Ungläubiger und ist in seinen Sünden dahingefahren. Man hört ihn des Nachts hier am Ufer des Sees heulen. Er brüllt vor Angst, daß er in die Hölle wandern muß. Ich mag hier nicht in der Nähe sein, wenn es finstere Nacht ist. Darum laßt uns eilen! Ich denke, daß wir uns aus einer Entfernung von ungefähr hundert Schritten schießen. Wer will es anders?“
Keiner antwortete.
„Wie und wo stellen sich die Kämpfenden auf?“
Jetzt war es Zeit für Achmed, dafür zu sorgen, daß diese Aufstellung eine für seine Absicht günstige sei. Er nahm deshalb für die anderen das Wort und sagte:
„Nehmen wir dieses Grab in die Mitte. Fünfzig Schritte vorwärts mag dieser Araber sich aufstellen und fünfzig Schritte rückwärts derjenige von uns, an welchem die Reihe des Schusses ist. Du, Onbaschi bist nicht unter den Kämpfenden, du magst das Zeichen geben. Wenn du bis drei zählst, schießen beide zu gleicher Zeit.“
„Ja, so mag es sein“, stimmte auch Hilal bei. „Vorher wollen wir aber nach der Sitte der Wüste handeln und den Schwur des Kampfes ablegen.“
„Den Schwur des Kampfes?“ fragte Achmed. „Was ist das?“
„Jeder Kämpfende hat zu schwören, daß der Kampf ein ehrlicher sein solle, und daß den Sieger nicht eine tückische Rache treffen kann. Seid ihr dazu bereit?“
„Ja.“
„Eigentlich hat der Scheik oder Imam oder ein Marabut diesen Schwur abzunehmen. Da aber kein solcher zugegen ist, so müssen wir uns an den Toten wenden.“
„An den? Wie meinst du das?“
„Ein Grab ist eine ehrwürdige Stätte, selbst wenn es den Leib eines Ungläubigen birgt. Ein Schwur am Grab hat dieselbe Gültigkeit, wie ein Eid vor dem Allerheiligsten der Moschee. Tretet also herzu und legt eure rechten Hände an die Tür dieses Grabes! Ich werde euch dann die Worte des Eides vorsprechen.“
„Was fällt dir ein? Eines solchen Schwures bedarf es doch bei uns nicht!“
„Wenn ihr es nicht tut, so muß ich annehmen, daß ihr auf eine Hinterlist sinnt. Und in diesem Fall gehe ich fort, ohne mit euch gekämpft zu haben.“
„Oho! Du hast uns beleidigt und unseren Tschausch gelähmt. Das werden wir rächen, und du wirst auf alle Fälle gezwungen sein, mit uns allen zu kämpfen!“
„Ich werde tun, was mir gefällt! Seid ihr bereit, den Schwur zu leisten?“
„Ja, sie werden ihn leisten“, antwortete der Onbaschi. „Auch ich verlange, daß der Kampf ein ehrlicher sei. Legt also eure Hände an den Stein!“
Das kam den Arnauten keineswegs gelegen. Dem Mohammedaner ist ein Schwur außerordentlich heilig. Zudem fühlten sie ein unbesiegbares Grauen vor diesem Grab, in dem eine Seele steckte, die des Nachts umherirren mußte. Dennoch aber gehorchten sie dem Gebot des Korporals und traten eng zusammen, um die Platte mit ihren Händen zu berühren. Auch der Araber legte seine Hand an dieselbe und sagte:
„Seid ihr jetzt bereit, mir den Eid nachzusprechen?“
„Ja“, antworteten sie alle.
„So sagt, wie ich, folgendes: Im Namen des Allgerechten! Wir schwören hier an diesem Grab, daß wir auf keinerlei Hinterlist sinnen und daß der Sieger, wenn der Kampf zu Ende ist, diesen Ort verlassen kann, ohne eine Heimtücke befürchten zu müssen. Wer diesen Schwur nicht hält, den mag der Geist dieses Grabes packen und ihn festhalten, daß er keine Ruhe findet weder bei Tag noch bei Nacht in alle Ewigkeit. Das schwören wir zu Allah. Amen!“
Alle sprachen diese Worte in den Pausen, die Hilal machte, nach, und es war ihnen keineswegs lächerlich zumute, denn der Abend begann bereits seine ersten Schatten über die einsame Gegend zu werfen, in kurzer Zeit mußte es dunkel sein, und dann kämpften sie auch gegen einen berühmten Schützen. Wer von ihnen würde die Sonne des nächsten Tages erblicken? Es begann ihnen zu grauen. Dennoch sagte einer, als der Schwur abgelegt worden war:
„Was will der Geist eines Engländers, der vor so vielen Jahren starb, wissen von dem, was hier geschieht! Es ist lächerlich!“
Es war ihm keineswegs ernst mit diesen Worten. Er glich denjenigen Menschen, die im Finstern, wenn sie sich allein befinden, irgendeine Melodie pfeifen, um ihre Furcht zu beschwichtigen. Achmed stimmte ein:
„Du hast recht. Ich muß lachen, wenn ich mir denke, daß der Geist dieses Engländers herauskäme, um einen von uns zu packen. Ein Geist, gekleidet in der Weise der Engländer, mit weißen und schwarzen Vierecken auf dem Gewand und einem Hut auf dem Kopf, so wie die Briten ihn lächerlicherweise zu tragen pflegen! Fangen wir lieber endlich an!“
„Ja“, sagte der Onbaschi. „Gebt Würfel her! Wer am höchsten würfelt, hat den ersten Schuß.“
Es wurde nun gewürfelt. Einer warf siebzehn. Da nahm er seine Flinte und zählte fünfzig Schritte nach rückwärts ab, und auch Hilal ergriff sein Gewehr und ging genau fünfzig Schritte vorwärts, wo er sich dann umdrehte. Nun standen sich die beiden Duellanten so gegenüber, daß das Grab in ihrer Mitte lag. Die Arnauten aber wichen zurück, um aus der Schußlinie zu kommen. Sie wußten, daß Omar irgendwo versteckt sei, um dem Beduinen aus größerer Nähe als hundert Schritt eine sichere Kugel zu geben, und diejenigen, die zuerst gekommen waren, kannten das Versteck noch genauer. Sie hielten daher ihre Blicke mit außerordentlicher Spannung nach dem Grab gerichtet.
„Aufgepaßt!“ rief jetzt der Onbaschi laut. „Ich werde zählen. Bei drei wird geschossen. Und dann – alle Teufel! Was ist das?“
Er wandte sich zur Seite, wo in diesem Augenblick Steinbach mit seinen Begleitern um die Ecke des Sees bog. Sie waren bisher von dem hohen Schilf den Augen der Arnauten verborgen gewesen. Steinbach bemerkte sogleich, daß er gerade im letzten Moment erschienen sei; er kam daher schnell herbei und sagte, sich an den Onbaschi wendend:
„Zwei Männer einander mit dem Gewehr gegenüber! Was geht da vor?“
„Was geht es dich an?“
„Das geht einen jeden an. Wollt ihr euch morden?“
„Nein. Es ist ein Duell.“
„Das ist etwas anderes. Hoffentlich dürfen wir es uns mit ansehen?“
„Das ist nicht notwendig. Geht eures Weges.“
„Unser Weg führt uns just nur bis hierher. Wir werden also hierbleiben.“
Der Onbaschi maß Steinbach mit einem zornigen Blick und trat dann näher an die Seinigen heran. Sie flüsterten einige Sekunden miteinander. Dann wandte sich der Onbaschi wieder zu Steinbach:
„Wer seid ihr?“
„Das ist von keiner Bedeutung. Wir sind hier, das ist genug. Wenn es sich wirklich um ein ehrliches Duell handelt, werden wir zwar zusehen, euch aber nicht stören. Demjenigen jedoch, der unehrlich handelt, werde ich eine Kugel durch den Kopf jagen!“
„Oho! Du redest ja, als ob du der Pasch selbst seiest!“
„Ich komme vom Pascha, das mag euch genug sein. Wenn Hilal mit euch kämpfen will, mit einem nach dem anderen, so ist das seine Sache, und ich werde ihn keineswegs daran hindern, aber ehrlich soll der Kampf sein, das verlange ich!“
„Wie? Du weißt es? Du kennst ihn?“
„Ich weiß alles. Ich stehe hier im Namen des Vizekönigs, um seinen Gast zu beschützen. Der Kampf soll erst jetzt beginnen?“
„Ja. Eben sollte der erste Schuß fallen.“
„Wer kommandiert?“
„Ich. Bei drei schießen beide zugleich.“
„Gut! Ich bin befriedigt. Ihr steht drüben, wir stehen hüben. Wacht ihr für euch, und wir wachen für Hilal. Ich könnt beginnen.“
„Ah, er hat es angezeigt. Er hat euch herbeibestellt.“
„Nein. Er weiß nichts von uns, und er kennt uns nicht. Wir haben es zufällig erfahren; aber er ist unser Freund, und wir beschützen ihn.“
Steinbach sprach so ernst, so bestimmt und selbstbewußt, daß der Eindruck seiner Worte unausbleiblich war. Der Onbaschi flüsterte nun abermals mit den Seinigen und sagte dann:
„Wir brauchen es nicht zu leiden, daß wir von Unberufenen gestört werden –“
„Wir stören euch ja nicht!“ fiel Steinbach ein.
„Das würde ich euch auch nicht raten! Unsere Angelegenheit geht euch gar nichts an. Wir fechten sie unter uns aus. Ihr mögt meinetwegen zusehen. Das ist aber auch alles, was wir euch erlauben. Wollt ihr euch mehr gestatten, so würden unsere Gewehre sprechen!“
„Und die unserigen mit!“
Hilal war ganz erstaunt, so plötzlich Beschützer zu finden, die er nicht einmal kannte. Er kam daher herbei und fragte Steinbach:
„Wer seid ihr? Ehe der Kampf beginnt, möchte ich wissen, was ich von euch zu erwarten habe.“
„Du hast nur Gutes zu erwarten. Hiluja sendet uns zu deinem Schutz.“
„Hiluja!“ lächelte er ganz glücklich. „Ich danke euch! Doch braucht ihr keine Sorge um mich zu haben. In kurzer Zeit wird keiner dieser Arnauten mehr leben. Laßt sie immerhin gewähren. Sie haben geschworen, daß der Kampf ein ehrlicher sein solle. Ich habe also nichts zu befürchten, desto mehr aber sie.“
Dann schritt er wieder nach der Stelle zurück, an der er sich vorher befunden hatte. Die Arnauten standen eng beisammen. Ihre Augen funkelten zornig auf Steinbach und dessen Begleiter herüber. Sie hatten ihre Gewehre fester gefaßt. Da sie sich in der Mehrzahl befanden, hätten sie sich eine Einmischung nicht gefallen lassen; aber sie sahen die Waffen der Neuangekommenen und mußten sich gestehen, daß diese ihnen darin überlegen seien. Zudem machte das gebieterische Wesen Steinbachs einen Eindruck auf sie, der es ihnen doch geraten erscheinen ließ, von Feindseligkeiten abzusehen.
„Nun“, sagte endlich Steinbach, „in fünf Minuten ist es dunkel. Ihr dürft nicht zögern, wenn Hilal mit allen fertigwerden soll.“
„Ha, beginnen wir endlich!“ stimmte der Onbaschi bei. „Also aufgepaßt! Eins – zwei –“
Hilal hatte sein Gewehr erhoben. Der Kolben desselben lag an der Wange. Sein Gegner hatte dasselbe getan. Es war ein Augenblick der größten Spannung. Im nächsten Moment mußten die Schüsse fallen. Aber bevor noch der Onbaschi das verhängnisvolle ‚drei‘ aussprechen konnte, passierte etwas, woran niemand gedacht hatte.
Nämlich es fiel ein Schuß, aber nicht aus der Flinte eines der Duellanten, sondern aus dem Grab. Und im selben Augenblick wurde von innen der Stein umgeworfen, und Omar flog heraus, wie aus dem Lauf einer Kanone geschossen, und vor Angst und Entsetzen aus vollem Hals brüllend.
„Alle Teufel!“ rief der Onbaschi erschrocken. „Du, Omar, du da drin! Was zeterst du?“
Der Flüchtige flog mitten unter seine Kameraden hinein und rief jammernd:
„Allah illa Allah! Mohammed rassuhl Allah!“
Das ist das Glaubensbekenntnis der Mohammedaner. Sie gebrauchen es auch geradeso, wie man wohl bei uns ausruft: „Alle guten Geister loben ihren Meister!“
„Was ist denn? Was ist denn? Was ist denn da drinnen?“ fragte der Unteroffizier, indem er den Schreienden festhielt.
„Er, er!“
„Wer denn?“
„Der Geist! Die Seele!“
„Wessen Geist?“
„Des Engländers!“
„Du bist verrückt!“
„Ja, er ist drinnen! Er hat mich gepackt! Dieser Hilal hat ja bei dem Schwur gesagt, daß uns der Geist packen soll, wenn wir hinterlistig – Oh, Allah! Da kommt er!“
Wirklich, in diesem Augenblick schob sich der Engländer aus dem Loch, ganz so, wie vorhin der Arnaut gesagt hatte; weiße und schwarze Vierecke auf dem Gewand und ganz so einen dummen Hut auf dem Kopf, wie ihn die Briten tragen.
„O Mohammed! O Allah! Allah! Allah!“ brüllten da die erschrockenen Menschen, einer so laut wie der andere.
Der Engländer aber streckte seine langen Arme aus und schnellte sich mit zwei Sprüngen seiner noch längeren Beine mitten in den Haufen hinein.
„Der Geist! Die Seele! Das Gespenst! Fort, fliehet, rettet euch! Allah! Allah! Allah!“
So rief, schrie und brüllte es aus allen Kehlen. Und die Flinten von sich werfend, rannten die Arnauten aus Leibeskräften davon, der Lord immer hinter ihnen her, indem auch er in allen möglichen Tonarten und Stimmen brüllte, so laut, wie er es nur immer fertigbrachte.
Steinbach und seine Begleiter waren nicht wenig erstaunt, den Lord hier aus dem Loch kommen zu sehen, den sie auf der Jacht glaubten. Diesen Umstand abgerechnet, war es ihnen aber gar nicht schwer, den Zusammenhang zu erraten. Als sie nun die tapferen Arnauten davonspringen sahen und den Engländer mit einem wahren Stiergebrüll und Elefantengetrompete hinterdrein, da brachen sie in ein Gelächter aus, das wenigstens ebensoweit zu hören war, wie das Angstgeschrei der Fliehenden. Sie konnten vor Lachen erst gar nicht zu Wort kommen. Sogar der fünfzig Schritt entfernt stehende Arnaut, der zum Schuß bereitgestanden hatte, war, augenblicklich sein Gewehr wegwerfend, mit davongerannt.
Hilal stand einer Bildsäule gleich. Erst das Lachen seiner Beschützer brachte seine Vermutung in die einzig wahre Richtung. Nun kam er langsam herbei und fragte:
„Ihr lacht! So war es also kein Toter?“
„Ein Toter?“ antwortete Normann, noch immer laut lachend. „Hast du Tote schon so springen sehen?“
„Nein“, meinte er sehr ernsthaft.
Dieser Ernst wirkte so, daß das Gelächter von neuem begann. Und nur mit großer Mühe gelang es Normann, die Erklärung auszusprechen:
„Dieser Geist ist ein Freund von uns, der auch hierherkam, dich zu beschützen.“
„Also kein Geist! Und doch ein Engländer!“
„Ja. Ist das so außerordentlich?“
„Ja, denn dies ist doch das Grab eines Engländers.“
„Ach so, so, so ist das! Jetzt begreife ich! In dieser Höhle wurde ein Engländer begraben?“
„Ja. Sein Geist geht um, das sagten die Arnauten.“
„Und den Lord haben sie für diesen Geist gehalten! Herrlich, kostbar, unvergleichlich!“
Das Lachen brach von neuem los.
„Ich ließ die Arnauten schwören, daß der Kampf ein ehrlicher sein solle. Ich drohte ihnen dabei mit dem Geist dieses Toten.“
„Aber es hat doch auch einer von ihnen drinnen gesteckt!“
„Das wußte ich nicht.“
„Was hat er drinnen gewollt?“
„Weiß ich es? Ich kann es nicht sagen.“
„So weiß es der Lord. Dort kommt er. Er mag uns dieses famose Abenteuer erklären.“
Der Engländer kehrte mit langen, eiligen Schritten zurück. Er wedelte schon von weitem mit den Armen wie mit Windmühlenflügeln. Sein Lachen klang überschnappend, wie die Töne einer überblasenen Klarinette, und erst, als er ganz nahe war, verstand man die Worte:
„War das – verteufelt, verteufelt! – war das – hahaha – war das nicht – hihihi – nicht göttlich?“
„Unbezahlbar!“ antwortete Steinbach.
„Nicht wahr –? Hihihihihihi! Ohohohohoho!“
Er krümmte sich vor Lachen. Sein Gesicht war zinnoberrot. Es war, als ob er ersticken müsse. Das sah so drollig aus, daß die anderen abermals zu lachen begannen, und es dauerte eine große Weile, ehe der Lachreiz so weit überwunden war, daß man nur einigermaßen ruhig zu fragen und zu antworten vermochte.
„Wir waren erstaunt, Sie hier zu sehen“, sagte endlich Steinbach. „Wie kommen denn Sie hierher?“
„Wie? Natürlich auf diesen meinen Beinen.“
„Sie sollten doch an Bord bleiben.“
„Sollte ich? Ja, ich sollte, ich sollte! Aber ich wollte nicht, verstanden? Ich wollte nicht! Und da machte ich mich auf die Beine und ging hierher. Sie hatten mir ja den Ort so genau beschrieben, daß ich gar nicht fehlgehen konnte.“
„Welche Unvorsichtigkeit!“
„Unvorsichtigkeit? Was Sie sagen! Es war der allerklügste Gedanke, den ich jemals gehabt habe. Wer weiß, ob mir in meinem ganzen Leben wieder eine so gescheite Idee kommt!“
„Da es in dieser Weise abgelaufen ist, so mag man es loben. Aber Ihr Leben stand auf dem Spiel!“
„Mein Leben? Ganz und gar nicht! Nicht das meinige, sondern dasjenige dieses arabischen Misters stand auf dem Spiel. Verstanden? So ist es!“
„Natürlich stand es auf dem Spiel, und zwar sehr. Es handelte sich ja um ein Massenduell, um einen Kampf mit so vielen Gegnern nacheinander.“
„Oh, das war es nicht! Er sollte erschossen werden.“
„Das wissen wir. Deshalb forderte man ihn ja.“
„Nicht so meine ich es. Er sollte meuchlings erschossen werden, und zwar nicht einmal von hinten, sondern von vorn und dennoch meuchlings.“
„Das verstehe ich nicht.“
„Haben Sie denn den Schuß aus dem Loche nicht gehört?“
„O doch!“
„Nun, dieser Schuß galt Hilal.“
„Wie? Wirklich?“
„Ja. Dieser Arnaut hatte sich in das Loch gesteckt, um Hilal aus diesem Versteck zu erschießen.“
„Das wäre wunderbar. Hilal hatte doch schon so viele Gegner, daß es eines solchen Anschlages gar nicht bedurfte.“
„Ja freilich. Ich ahnte und dachte es auch nicht, bis der verdammte Kerl den Lauf seines Gewehres zu dem Loch herausstreckte und auf Hilal zielte.“
„Wie sind denn Sie hineingekommen?“
„Ich bin hineingekrochen. Oder meinen Sie vielleicht, daß ich in einem Coupé erster Klasse per Kurierzug hineingedampft bin, Mister Steinbach?“
„Unsinn! Es versteht sich ganz von selbst, daß ich meine Frage nicht in dieser Weise gemeint habe. Wie sind Sie denn auf den Gedanken gekommen, sich in diesem Grab bei dem Arnauten zu verstecken?“
„Bei dem Arnauten? Ich war eher drinnen als er.“
„Das kann ich mir denken.“
„Ich ging hierher, um vielleicht Hilal einen Dienst zu erweisen. Dies mußte heimlich geschehen. Darum suchte ich mir ein Versteck, fand das Grab, kroch hinein und machte den Stein hinter mir wieder zu. Dann kamen die Arnauten und sprachen miteinander, ich konnte sie aber nicht verstehen. Schließlich kam einer von ihnen zu mir herein, und ich hatte grade noch Zeit genug, so weit nach hinten zu kriechen, daß er mich nicht bemerkte. Dann hörte ich draußen sprechen, verstand aber wieder nichts. Endlich vernahm ich auch Ihre Stimme, die ich natürlich sofort erkannte, Mister Steinbach, und da dachte ich mir, daß das Duell nun wohl beginnen werde. Plötzlich sah ich in dem schwachen Lichtschimmer, der durch eine an dem Stein fehlende Ecke in das Dunkel hineindrang, wie der Arnaut neben mir seine Flinte ergriff, den Lauf derselben an das Loch hielt und zielte. Natürlich sagte ich mir, daß er eine Schlechtigkeit beabsichtigte, sonst hätte er sich doch nicht versteckt. Ich rückte ihm also leise und heimlich näher. Das hörte ich draußen die Worte ‚ahad – itnehn –‘ und, obwohl ich nicht Arabisch verstehe, so viel weiß ich doch, daß diese Worte soviel bedeuten wie ‚eins – zwei‘, und konnte mir also denken, daß nun ‚drei‘ kommen werde.“
„Da wollte der Mensch schießen?“
„Natürlich! Wo stand Hilal?“
„Fünfzig Schritte nach dort.“
„Und sein Gegner?“
„In derselben Entfernung zurück.“
„Ah, so ist es mir jetzt klar. Aus dem Grab heraus war Hilal noch einmal so sicher zu treffen wie von dort her. Die Schüsse sollten zu gleicher Zeit fallen. Man hätte also gar nicht gewußt, woher die tödliche Kugel eigentlich gekommen wäre. Na also, als ich merkte, daß es für mich Zeit sei, zu handeln, und noch ehe das ‚drei‘ ausgesprochen wurde, packte ich den Menschen beim Genick. Er erschrak so, daß er losdrückte, und, wie ich jetzt sehe, ist die Kugel fehlgegangen, dann ließ er das Gewehr fallen, stieß den Stein um und schoß hinaus. Wie er gebrüllt hat, das haben Sie ja gehört.“
„Ja. Und dann kamen auch Sie.“
„Aber nicht gar zu schnell, denn ich mußte vorsichtig sein. Ich guckte erst sacht hinaus, um zu sehen, wie meine Aktien standen, und erst, als ich Sie erblickte, und sah, daß ich es wagen könne, hervorzukommen, fuhr ich mitten unter die Schurken hinein und nachher hinter ihnen drein.“
„Das war köstlich, köstlich!“
„Ich glaube, sie haben mich für den Geist des Engländers gehalten, der da drinnen gelegen hat.“
„Natürlich! Das hat gerade so wunderbar gepaßt!“
„Sie sehen also, daß Hilal erschossen worden wäre, obgleich Sie ihm zu Hilfe gekommen sind!“
„Das ist wahr. Wer hätte so etwas denken können!“
„Also ist Lord Eaglenest doch nicht ganz zwecklos auf die Welt gekommen!“
„Ja, Mylord, Sie sind heute Engländer, Gespenst, Geist und Schutzengel zu gleicher Zeit gewesen.“
„Schön, daß Sie das einmal einsehen! Merken Sie es sich, und nehmen Sie es sich zu Herzen. Unsereiner ist auch ein Kerl, der etwas vermag! Verstanden?“
„Sehr wohl! Ich werde mich seinerzeit daran erinnern. Jetzt, da ich klarsehe, will ich auch Hilal die Sache erklären, damit er hört, was er Ihnen zu verdanken hat.“
„O bitte! Das ist nicht nötig. Ich trachte nicht nach solcher Anerkennung. Ich habe mir einen ungeheuren Spaß gemacht und bin damit zufrieden.“
„Schön! Solche Abenteuer scheinen Ihnen besser zu gelingen als die Entführungen aus dem Harem.“
„Ja, ich muß mich nun auf diese Art von Heldentaten legen, gebe aber trotzdem die Hoffnung, eine Sultana entführen zu können, noch nicht auf. Besser wäre es noch gewesen, wenn ich verstanden hätte, was sie sprachen. Ich werde mich daher jetzt auf das Studium fremder Sprachen verlegen.“
Steinbach sagte nun Hilal, daß er habe ermordet werden sollen, und erklärte ihm den ganzen Vorgang. Der Beduine hörte ihm ruhig zu. Dann sagte er:
„So habe ich diesem Engländer mein Leben zu verdanken! Nur auf diese hinterlistige Weise konnten die Schurken mir schaden. Sonst hätte ich sie alle erschossen!“
„Bist du deiner Sache so gewiß?“ fragte Steinbach.
„Ja. Das sage ich nicht aus Stolz. Könntest du mich kennenlernen, so würdest du es mir glauben.“
„Ich werde dich kennenlernen.“
„Leider wohl nicht, denn schon morgen früh reise ich.“
„Ich auch. Ich reise mit dir.“
„Wohin?“ fragte Hilal überrascht.
„Zu den Deinen. Du bist beim Vizekönig gewesen, und in seinem Auftrag werde ich mit dir gehen, um den Kriegern der Beni Sallah seine Wünsche zu überbringen.“
„Allah sei Dank! Als ich zum letzten Mal mit ihm sprach, bat ich ihn, einen Boten zu senden, aber er schlug mir die Erfüllung dieser Bitte ab.“
„Ich würde vielleicht auch ohnedies zu den Sallah geritten sein, denn ich hätte Hiluja hingebracht.“
„Hiluja! Du sagtest mir vorhin, daß sie dich hierhergesandt habe, um mich zu beschützen. Gehörst du vielleicht auf das Schiff, auf dem sie wohnt?“
„Ja, es ist das Eigentum dieses Engländers.“
„So bist du wohl derjenige, der sie aus der Hand der Tuaregs gerettet hat?“
„Ja, es gelang mir, sie zu befreien.“
„So wird der Erfolg deiner Botschaft an ihre Schwester ein glücklicher sein. Die Königin der Wüste hängt mit ganzem Herzen an ihr, der Retter derselben wird unseren Zelten willkommen sein wie kein anderer.“
„Das soll mir lieb sein. Ebensosehr wünsche ich aber auch, daß du als Freund an mir handelst. Ich möchte gern alle Verhältnisse des Stammes genau kennen.“
„Ich werde dir alles sagen. Ich habe euch seit heute mein Leben zu verdanken. Ich werde alles tun, was ich zu deinem Besten zu tun vermag. Nun aber ist es dunkel geworden. Wir müssen gehen. Wo werde ich dich also morgen treffen?“
„Du wirst gleich jetzt mit uns auf das Schiff gehen und bei uns bleiben. Oder willst du nicht?“
Da dachte Hilal an Hiluja. Welche Seligkeit, auf dem Schiff bei ihr zu sein! Er antwortete also freudig zustimmend. Dann sagte er plötzlich:
„Diese Arnauten haben ihre Waffen weggeworfen, und ich sehe, daß deine Begleiter sie zusammengeholt haben. Was wirst du mit ihnen tun?“
„Ich werde sie dem Eigentümer, dem Vizekönig, überantworten. Sie gehören ihm.“
„Wie schade! Wäre es zum Kampf gekommen, so hätte ich gesiegt, und die Gewehre für mich genommen. In der Wüste braucht man Gewehre so notwendig, und nicht jeder Sohn der Araber besitzt eine gute Flinte.“
„So werde ich ein Wort mit dem Vizekönig sprechen. Vielleicht gelingt es mir, dir diesen Wunsch zu erfüllen.“
Jetzt reichte Hilal dem Engländer, seinem Retter, die Hand. Doch was er sagte, verstand dieser nicht, und Steinbach mußte den Dolmetscher machen. Der Lord holte darauf seine Sachen aus dem Grab, in dem sie zurückgeblieben waren, und dann wurde der Heimweg angetreten. Als sie endlich das Schiff betraten, war die Freude des Steuermanns, den Lord unversehrt wiederzufinden, groß. Ebensogroß, aber stiller war die Freude Hilujas, als sie erfuhr, daß Hilal gerettet sei.
Noch im Lauf des Abends begab sich Steinbach infolge der erhaltenen Einladung zu dem Vizekönig, von welchem er nähere und ausführliche Instruktionen empfing, und als er ihm von den Arnauten erzählte, ergrimmte der Khedive über diese Menschen derart, daß er versprach, sie streng bestrafen zu lassen. Auch die Gewehre erwähnte Steinbach, und der Khedive erklärte ihm nach kurzem Besinnen, daß er ihm eine ganze Partie guter Gewehre als Geschenk für die Königin der Wüste mitgeben wolle, dazu natürlich ein angemessene Quantität der notwendigen Munition.
Als Steinbach dann auf die Jacht zurückgekehrt war, wurde natürlich nur von der beabsichtigten Reise gesprochen. Steinbach hatte dabei immer vor dem Engländer ein stilles Bangen gehabt, da er glaubte, dieser werde ihn unter allen Umständen begleiten wollen. Daher war er freudig überrascht, als der Lord jetzt meinte:
„Sie werden mir zürnen, Mister Steinbach, aber es geht beim besten Willen nicht.“
„Was?“
„Daß ich mit Ihnen gehen kann.“
„Ah! Sie können nicht?“
„Nein. Ich will eine Sultana entführen, aber unter diesen Beduinen gibt es keine wirkliche, echte Sultana. Außerdem muß ich Arabisch lernen. Der Steuermann will mein Lehrer sein, und da muß ich bei ihm bleiben.“
„Das ist außerordentlich bedauerlich.“
„Wirklich?“
„Ja. Ich hätte Sie so gern bei mir gehabt, denn ich sage mir, daß mir Ihre Gegenwart von sehr großem Nutzen gewesen wäre.“
„Ja, seit ich heute bewiesen habe, was ich eigentlich zu leisten vermag, ist mein Wert bedeutend gestiegen. Aber ich muß dennoch verzichten. Sie haben übrigens die beiden Misters Normann und Wallert.“
„Es wird nur einer sein, den ich ersuchen werde, mich zu begleiten, nämlich Herr Normann. Tschita muß doch einen Beschützer haben, und da versteht es sich ja ganz von selbst, daß ihr Bruder bei ihr bleibt.“
„Wie Sie wollen“, entgegnete der Lord. „Was mich betrifft, so bleibe ich freilich nicht auf dem Schiff. Ich suche mir eine Wohnung in der Stadt, und zwar in einer stockarabischen Gegend, wo ich gar kein anderes Wort als nur Arabisch höre. Ich habe mir sagen lassen, daß man auf diese Weise am allerleichtesten eine fremde Sprache erlernt.“ – – –
Während Steinbach, Wallert und Normann ihre Vorbereitungen für die nächste Zukunft trafen, lehnte Hilal auf dem Deck an der Reling und blickte hinab in die Wasser des ewigen Flusses. Sie kamen weither, aus dem unerforschten, geheimnisvollen Süden und gingen weiter, um in der ebenso geheimnisvollen Unendlichkeit des Meeres zu verschwinden. Welche Gedanken hatte der Jüngling, als sein Blick an den nächtlich glitzernden Wellen hing? Gar keine. Es ist eigentümlich und doch so wahr, daß der Mensch in den glücklichsten Augenblicken seines Lebens gar keine Gedanken hat. Er befindet sich in einem traumartigen Zustand, währenddessen er zu keinem bewußten Denken kommt. Er hat das Gefühl seines Glücks, weiter nichts, und das ist ja genug, mehr als genug. Es ist das der erste Buchstabe des Alphabets der großen Seligkeit, die auch nicht im Denken, sondern nur im Gefühl besteht, im Anschauen Gottes.
Da hörte der einsame Träumer leise Schritte in seiner Nähe. Er wandte sich um. Hiluja war auf das Deck gekommen. Es war sternenhell geworden, und im Schimmer des Firmaments gewannen ihre schönen Züge eine Art überirdischen Ausdruck, den Hilal noch nie an einem Weib bemerkt hatte. Sie tat, als ob sie an ihm vorüber wolle.
„Hiluja!“ sagte er da leise und zagend.
„Riefst du mich?“ fragte sie stehenbleibend.
„Ich wollte nicht, aber ehe ich es mir versah, hatte ich deinen Namen gesagt. Verzeihe mir!“
„Und ich sah dich, wollte dich aber nicht stören. Du warst so tief in Gedanken.“
„Meine Gedanken waren bei dir. Ich weiß, daß ich auch dieses dir nicht sagen sollte. Du mußt mir abermals verzeihen.“
„Wie hätte ich dir etwas zu verzeihen? Du bist ja mein Retter. Du bist für mich in Todesgefahr gegangen.“
„Oh, es war gar nicht gefährlich!“
„Das sagst du, weil du die Gefahr liebst. Ich aber habe um dich gebangt. Noch weiß ich nicht, wie es dir da draußen am See ergangen ist. Als ich dich jetzt erblickte, glaubte ich, du könntest es mir erzählen.“
„Sehr gern.“
„Wirst du mir zürnen, daß ich dir die Effendis hinausgesandt habe?“
„Zürnen? Ich habe dir vielmehr dafür zu danken. Hättest du es nicht getan, so lebte ich nicht mehr, denn man hatte die Absicht, mich meuchlings zu ermorden.“
Hilal stattete nunmehr Hiluja einen ausführlichen Bericht ab. Die Szene, als der Lord aus dem Grab gekommen war, gab auch ihr unendlichen Spaß, doch wurde sie schnell wieder ernst bei dem Gedanken an die große Gefahr, in der Hilal geschwebt hatte.
Von da kamen sie auf die Reise zu sprechen, die morgen begonnen werden solle, und nun erzählte auch Hiluja von ihren Erlebnissen, von ihrer Heimat, von ihrer Gefangenschaft und der Errettung aus derselben. Sodann erkundigte sie sich:
„So kennst du also meine Schwester, die Königin der Wüste, ganz genau?“
„So genau, als ob sie meine Schwester wäre. Ich war einer der ersten unseres Stammes, der sie sah und kennenlernte. Ich gehörte zu denen, die ihr entgegenritten, um sie dann in die Arme des Scheiks zu geleiten. Mein Bruder war der Anführer dieser Schar.“
„Sie ging nicht gern von der Heimat fort. Sie hatte den Scheik noch nie gesehen; sie wußte nicht, ob sie ihn würde lieben können. Er war bereits alt, dreimal so alt wie sie. Er war aber berühmt, und mein Vater war berühmt, und die Freundschaft der Stämme sollte begründet und gefestigt werden dadurch, daß der Scheik der Sallah die Tochter der Beni Abbas zum Weib nahm.“
„Hast du viel Botschaft von ihr erhalten?“
„Nur selten. Dann lud sie mich ein, sie zu besuchen. Ich machte mich daher unter dem Schutz von dreißig unserer Krieger zu ihr auf. Sie sind alle von den Tuaregs ermordet worden.“
„Ich werde ihren Tod rächen!“
„Du?“ fragte Hiluja verwundert. „Es waren doch nicht Verwandte von dir!“
„Nein; aber sie waren deine Beschützer. Wer sie tötet, der ist mein Todfeind.“
„Du bist ein Held!“
„Und du ein Engel, vom Himmel herabgestiegen, um verehrt und angebetet zu werden.“
„Ich hätte so gern gewußt, ob meine Schwester an der Seite des Scheiks glücklich geworden ist.“
„Hat sie es dich nicht wissen lassen?“
„Sie hat keinem Boten ein Wort darüber anvertraut. Sie ist viel, viel zu stolz, so etwas zu tun. Aber da du sie so genau kennst, als ob du ihr Bruder seist, wirst du es mir vielleicht sagen können.“
„Ich könnte wohl.“
„Aber du willst nicht?“
„Ich weiß nicht, ob ich darf. Sie wird es dir selbst sagen, wenn du zu ihr kommst. Sagte ich es dir jetzt, so würde sie mir vielleicht zürnen.“
„Sie zürnt dir nicht. Und wenn sie es täte, würde ich dich in Schutz nehmen. Willst du mir wirklich diese Bitte nicht erfüllen?“
„Wenn du bittest, so muß ich sprechen. Deine Bitte ist mir so, als wenn der Prophet selbst vom Himmel käme, um mir einen Befehl zu geben.“
„Ich höre schon aus deiner vorsichtigen Weigerung, daß sie nicht glücklich war.“
„Nein, sie war es nicht.“
„Die Arme! Warum aber nicht?“
„Das ist eine schwere Frage. Weißt du, im heiligen Buch der Christen steht geschrieben, daß Allah den Menschen zu seinem Bild geschaffen habe, den Mann zum Bild seiner Allmacht und das Weib zum Bild seiner Liebe. Daher kann der Mann nur glücklich werden durch den Erfolg seiner Taten und das Weib nur durch den Erfolg seiner Liebe. Der Mann lebt in und durch seinen Willen, das Weib aber in und durch das Gefühl, das Empfinden. Und Badija, die Königin, deine Schwester, konnte ihren Gemahl nicht lieben.“
„Wie bedaure ich sie! Warum vermochte sie es nicht?“
„Frage ihr Herz. Nur dieses kennt das Warum und Woher. Das Herz ist ein unberechenbares Ding. Es will sehr oft das, was der Kopf nicht will, und es will das nicht, was von ihm gefordert wird. Er war ein berühmter, tapferer, aber auch rauher Mann. Er verstand es nicht, sich Liebe zu erwerben. Weißt du vielleicht, was Liebe ist?“
„Ja.“
„Allah! Du hast bereits geliebt?“
„Ja.“
Er senkte den Kopf tief herab.
„Wen?“ fragte er leise und traurig.
„Den Vater, die Mutter und die Schwester.“
Da ging sein Kopf schnell wieder in die Höhe.
„Ah, diese Liebe meinst du?“
„Welche soll ich denn sonst meinen?“
„Es gibt noch eine andere Liebe, die viel, viel seliger macht als die Eltern- und die Kindesliebe.“
„Welche meinst du?“
„Die – Gattenliebe.“
„Oh“, lächelte sie, „die kenne ich nicht. Wie sollte ich sie kennen? Ich habe ja keinen Mann!“
„So hast du noch keinen Mann so geliebt, daß du gewünscht hättest, sein Weib zu sein?“
„Nein. Aber – aber – aber –“
Sie stockte.
„Was willst du sagen?“
„Einmal, ein einziges Mal habe ich von einem gedacht, er sei so, wie ich mir den wünsche, dessen Weib ich sein soll.“
„Wer ist das?“
„Steinbach Effendi.“
„Ah, dein Retter?“
„Ja. Er ist so hoch, so stolz, so herrlich. Er ist tapfer, ein Held der Helden, und doch ist er auch so mild, so warm, so freundlich. Du kennst ihn noch nicht genau.“
„Nein, aber ich liebe ihn bereits. Also stolz und tapfer müßte der sein, den du lieben möchtest?“
„Ja; aber nicht das allein. Er müßte auch mild und gütig sein. Und so ist der Scheik der Sallah nicht gewesen?“
„Nein. Er war sogar ein grausamer Mann. Und dazu kam – ich will es dir sagen: Deine Schwester liebte einen anderen.“
„O Allah! Wie ist das möglich?“
„Frage da wieder ihr Herz!“
„Sie hat es mir ja nie gesagt!“
„Sie lernte ihn erst kennen, nachdem sie dich verlassen hatte. Er ist ein Beni Sallah. Er war der Anführer derer, die der Scheik ihr entgegensandte.“
„Sagtest du nicht vorhin, dein Bruder sei dieser Anführer gewesen?“
„Ja, ich sagte es.“
„So ist er es, den sie liebt?“
„Er ist es.“
Hiluja faltete die kleinen Händchen zusammen und blickte ihn wie bestürzt an.
„Deinen Bruder liebt sie! Deinen Bruder! O Allah! Hat denn er sie auch lieb?“
„So lieb, daß es gar nicht zu sagen und zu beschreiben ist. Er ist so, genauso, wie du vorhin verlangtest, daß ein Mann sein müsse. Er hat die Kühnheit eines Löwen, oder vielmehr eines Panthers und dabei doch das weiche Gemüt eines Kindes. Er ist der berühmteste Krieger des Stammes.“
„Ist er schön?“
„Fast glaube ich es. Er mußte ihr entgegenreiten. Sie sahen sich und liebten sich von diesem Augenblick an. Aber sie haben es sich nie gesagt und nie gestanden. Sie wissen es, und das ist genug für sie. Nun ist der Scheik gestorben, und nach dem Gesetz des Stammes wird der Krieger Scheik, den die Witwe des Toten zum Mann wählt.“
„So wählt sie deinen Bruder?“
„Sie möchte wohl. Aber er ist arm, und der Bruder des Toten hat bereits um sie geworben.“
„O Himmel! Der Bruder des Toten! Sind eure Gesetze auch so, daß sie diesen nehmen muß?“
„Ja. Nur der Tod kann dazwischentreten. Es ist Gesetz, daß sie ihrem Schwager gehören muß. Will sie einen anderen lieben, so muß dieser andere mit dem ersteren kämpfen, und das Gesetz fordert, daß dieser Kampf nur mit dem Tod des einen enden darf.“
„So mag doch dein Bruder mit dem Schwager meiner Schwester kämpfen.“
Hilal antwortete nicht. Erst nach einer Weile sagte er:
„Es gibt zwei Worte, die dies verbieten, nämlich das Wort Falehd und das Wort Blutrache.“
„Das letztere kenne ich, das erstere aber nicht!“
„Wie? Du hättest nie von Falehd gehört?“
„Nein. Ist das ein Name?“
„Ja. Falehd ist eben der Bruder des verstorbenen Scheiks, er ist's, der deine Schwester zum Weib begehrt, die nicht nur schön wie eine Huri des Paradieses, sondern auch ebenso klug ist. Seit sie Witwe ist und als solche den Stamm beherrscht, hat dieser sich unter ihrer Regierung weit ausgebreitet nach allen Richtungen des Himmels, und die Zahl unserer Krieger hat sich verdoppelt, und unsere Herden weiden in den Oasen, die wir eroberten. Darum nennt man sie auch die Königin der Wüste. Falehd will nun der König sein. Er ist ein Riese an Gestalt. Ich habe keinen Mann gesehen, der einen Körper hat, wie der seinige ist. Er besitzt eine Kraft, daß man von ihm behauptet, er könne mit einem Löwen ringen, ganz ohne Waffen. Kein Mensch wagt sich an ihn.“
„So fürchtet sich auch dein Bruder, mit ihm um den Besitz meiner Schwester zu kämpfen?“
„Mein Bruder kennt keine Furcht; er weiß aber, daß dies sein sicherer Tod sein würde. In einem Kampf mit dem Messer oder einer anderen Waffe würde mein Bruder ihn besiegen; Falehd aber würde so klug sein, nur auf einen Kampf mit der Faust einzugehen, und da ist er unüberwindlich. Und selbst wenn Tarik ihn besiegte, würde er den Preis doch nicht erringen. Da ist das Wort Blutrache, das ich vorhin nannte.“
„Ich verstehe dich nicht.“
„Nun, wenn mein Bruder Falehd besiegt, so muß er ihn nach dem Gesetz töten. Dieser Tod aber muß dann durch Falehds Verwandte gerächt werden. Wer aber ist der nächste Verwandte?“
„Meine Schwester.“
„Ja. Sie ist seine Schwägerin und zugleich die Königin des Stammes. Sie müßte die Blutrache übernehmen, und sie dürfte nicht ruhen und nicht rasten, bis auch mein Bruder getötet ist. Kann sie da sein Weib sein?“
„Allah ist groß, aber hier kann selbst er nicht helfen.“
„Allah ist allmächtig; er kann helfen, wenn er will. Ich hatte einen Traum, in dem mir Allah zeigte, wie Hilfe möglich ist. Als ich erwachte, nahm ich mir vor, dem Rat meines Traumes zu gehorchen. Ich hätte es getan, bald, sehr bald, aber …“
Hilal schwieg und blickte düster vor sich nieder.
„Nun willst du es nicht tun?“ fragte Hiluja.
„Ich möchte wohl, aber es ist etwas dazwischengekommen, wodurch es fast unmöglich gemacht wird.“
„Was träumte dir denn?“
„Mir träumte, daß ich mit Falehd ränge, und ich besiegte ihn.“
„O Himmel! Du willst mit ihm ringen?“ fragte sie erschrocken.
„Es träumte mir, und ich wollte es tun.“
„Du, gegen die Kraft eines solchen Riesen?“
„Hast du heute nicht gesehen, wie ich mit dem Tschausch kämpfte? Als ich ihm endlich standhielt, hat er da meinen Fuß oder meine Hand um ein Haarbreit zu bewegen vermocht? Ich glaube, nach Falehd bin ich der stärkste, obgleich ich nicht als Riese gewachsen bin, aber ich habe mich geübt, und vielleicht wollte es Allah, daß mir ein glücklicher Umstand im Kampf gegen den Stärkeren zu Hilfe käme. Ja, ich wollte es wagen; aber seit heute gibt es ein Hindernis.“
„Welches?“
„Mein Leben gehört nicht mehr mir, ich darf es nicht für den Bruder verschenken.“
„Wem sollte es denn gehören?“
„Ich darf es nicht sagen!“
„Auch mir nicht?“
„Nein. Dir ganz und gar nicht.“
„Wenn ich dich nun darum bitte?“
„Auch dann nicht.“
„Du meintest heute, daß du niemals eine Unwahrheit sagest, und doch hast du eine gesagt.“
„Ich weiß nichts davon.“
„Du sagtest vorhin, eine Bitte von mir sei ganz so, als ob Allah dir einen Befehl vom Himmel sende, und jetzt behauptest du, daß du mir meine Bitte nicht erfüllen könntest.“
„Weil du mir zürnen würdest.“
„O nein, nein! Dir kann ich niemals zürnen. Also bitte, sage mir, wem dein Leben gehört.“
„So sollst du es hören: Es gehört dir, dir allein.“
Sie wandte sich schnell ab und schwieg. Ihr Händchen hatte nach dem Herzen gegriffen.
„Siehe, wie du mir zürnst!“ sagte er.
„Nein, es ist nicht der Fall.“
„So verzeihst du mir?“
„Ja.“
„Aber du hast dich von mir abgewandt!“
„Weil ich nicht weiß, warum dein Leben mir gehören soll. Du hast mich heute erst gesehen. Du hast mir nichts zu verdanken. Ich bin dir fremd.“
„Fremd?“ lächelte er. „Ich kenne dich schon lange, lange Zeit.“
„Das ist ja ganz unmöglich!“
„O nein. Mein Bruder erblickte deine Schwester und liebte sie. Auch ich sah sie in all ihrer Schönheit und Herrlichkeit. Mein Herz wurde weiter und größer. Ich wußte auf einmal, daß diejenige, für die ich leben solle, ganz so sein müsse wie sie. So hatte ich ein Fikirden, die Franken nennen das ein Ideal. Ich träumte von demselben im Schlaf und im Wachen. Heute aber sah ich dich, und du bist wie deine Schwester, die Königin; du bist das Ideal, und dir gebe ich mein Leben!“
Hilal hörte ihren Atem gehen; er sah, daß ihr Busen sich hob und senkte. Da fuhr er schnell fort:
„Verstehe mich recht! Ich weihe dir mein Leben, ich gehöre dir; aber du bleibst trotzdem dein eigen.“
„Wie wäre das möglich!“ seufzte sie, ohne zu fühlen, was sie damit sagte.
Er holte tief Atem, verschlang die Arme über der Brust und sprach:
„Als dich heute die Arnauten beleidigten und mich nach meinem Recht über dich fragten, sagte ich, du seist meine Braut; ich küßte dich sogar, und du littest es. Nach dem Gesetz der Wüste müßtest du nun mein Weib werden. Aber du hast diesen Kuß angenommen, um von diesen Arnauten erlöst zu sein; ich gebe dir daher mein Recht zurück. Es soll nie ein Mensch erfahren, daß mein Mund deine Lippen berührte. Du bist frei, aber ich bin dein Diener und dein Sklave. Erlaube mir, deine Wünsche zu erraten, und deine Gedanken mir zu deuten. So will ich dein sein ohne Ansprüche, ohne einen Dank von dir. Siehst du nun ein, daß ich mein Leben nicht für den Bruder hinzugeben vermag?“
Hiluja schwieg. Sie wußte nicht, was sie antworten solle.
„Du sagst nichts! Stößt du mich von dir?“
„O nein! Wie aber habe ich das verdient?“
„Frage die Sonne, wie sie es verdient, daß sich Millionen Blicke nach ihr richten! Es ist Allahs Wille, und so muß es geschehen. Nun sage mir noch, ob du mir zürnst!“
„Ich habe dir bereits gesagt, daß dies mir ganz unmöglich sei.“
„Ich danke dir! Allah segne dich!“
Hilal ging, langsam und zögernd, als ob er ein Wort von ihr erwarte, das ihn zum Bleiben auffordere. Hiluja wollte es sagen, aber das Herz war ihr so voll, so übervoll, daß sie keinen Laut mehr hervorbrachte. Erst als er fort war, legte sie beide Hände auf die Brust und ließ einen nur mühsam unterdrückten Laut hören. War es ein Ruf der Freude, des Glückes?
„Allah, o Allah!“ flüsterte sie. „Wie tut mir das Herz so weh! Weh? Ist das wirklich Schmerz? Ober ist es Freude, eine Freude, die mir das Herz zersprengen will, so daß ich denke, es tut weh? Ich weiß es nicht; ich weiß es nicht!“ – – –
Drückende Sonnenglut lag auf der Wüste. Es war wie in dem Bibelwort: „Der Himmel über Dir soll sein wie Feuer und die Erde unter Dir wie glühendes Erz.“ Die brennenden Strahlen fielen auf den Sand; aber er nahm sie nicht mehr an, er war bereits gesättigt von der tödlichen Hitze und warf die Strahlen zurück, so daß sie wie ein flüssiges Glutmeer, dessen Oberfläche in blendenden Lichtern flimmert, auf der Erde lag.
Durch den tiefen Sand wateten fünf Kamele, drei Reit- und zwei Lastkamele. Die beiden letzteren trugen die ausgetrockneten Wasserschläuche, in denen kein einziger Tropfen mehr vorhanden war, und die übrigen Habseligkeiten der Reisenden. Die kleine Gesellschaft bestand aus drei Personen, zwei männlichen und einer weiblichen. Letztere lag in der mit Vorhängen verschlossenen Sänfte, die auf dem hohen Rücken des Kamels von einer Seite auf die andere wankte. Es war – Zykyma. Neben ihr ritten Ibrahim Pascha und Said, der treue Arabadschi.
Dem geblendeten Auge war es unmöglich, in die Ferne zu schauen. Der Blick wurde, wenn er in die Ferne schweifen wollte, von der auf dem Boden lagernden Glut förmlich wieder zurückgeworfen.
Ein tiefes, schmerzliches Stöhnen ließ sich soeben von der Sänfte her vernehmen.
„Verfluchte Sandhölle!“ knirschte der Pascha. „Da gibt es nirgends eine Spur von der Oase, die so nahe sein soll. Siehst du etwas, Said?“
„Nein, Herr. Und doch – da drüben, links von uns, bewegt sich etwas.“
Der Pascha versuchte, den Blick auf den erwähnten Gegenstand zu fixieren, vermochte es aber nicht.
„Ich kann nichts sehen“, klagte er. „Es ist, als ob die Sonne mir die Augen aus den Höhlen brennen wolle.“
„Mir geht es auch so. Aber es kommt näher.“
„Was ist es?“
„Ich kann es nicht unterscheiden.“
Er hatte recht. In dem Glutmeere zerflossen alle Konturen und Linien, als ob sie von der Sonne zerstört oder verzehrt würden.
Endlich aber nahm die Gestalt eine größere Deutlichkeit an. Es war ein Reiter auf einem Kamel. Er kam im allerschärfsten Trab herbei. Als er die kleine Karawane erreichte, hielt er sein Tier an und musterte sie mit finsterem Blick.
Sein Kamel war riesig groß, und er selbst von wahrhaft herkulischer Gestalt. Gehüllt war er von oben bis unten in einen weißen Haïk, dessen Kapuze er über den Kopf gezogen hatte. Sein dunkles Gesicht war frei. Quer über dasselbe, von einer Wange bis zur anderen, die Nase zerschneidend, zog sich eine Narbe, die von einer fürchterlichen Verwundung zurückgelassen sein mußte.
„Sallam!“ grüßte er kurz und rauh, als er mit seiner Beobachtung fertig war.
„Salem aaleïkum!“ antwortete der Pascha.
„Wer bist du?“
„Mein Name ist Hulam.“
„Und was bist du?“
„Kaufmann.“
„Hat Allah dir den Verstand eines Ochsen gegeben, daß du nicht besser und ausführlicher antwortest? Oder soll ich dir etwa die Auskunft hier mit meiner Kamelpeitsche abkaufen? Wo bist du her?“
„Aus Smyrna.“
Der Pascha wagte nicht, auf die groben Worte ebenso grob zu antworten.
„Wo willst du hin?“
„Zu den Beni Sallah.“
„Zu den Beni Sallah?“ lachte der Riese. „Wer hat dir denn den Weg gezeigt?“
„Mein Führer. Er verließ uns aber; er getraute sich nicht weiter mit, da sein Stamm mit den Sallah nicht in guter Freundschaft lebt.“
„So, er fürchtet sich? Nun, er hat auch allen Grund dazu! Was wollt ihr aber bei den Beni Sallah?“
„Gastfreundschaft.“
„Kennt ihr denn jemand unter ihnen?“
„Nein.“
„Da steht es schlimm mit der Gastfreundschaft, die ihr sucht. Der Stamm ist ein sehr kriegerischer und nimmt nicht einen jeden bei sich auf. Wer sind diese beiden anderen?“
„Mein Weib und mein Diener.“
„Du bist von der Richtung, die dir angegeben worden ist, abgewichen. Wenn du so fortreitest, reitest du dem Tod entgegen. Gut, daß ich euch von weitem gesehen habe. Kommt mit mir!“
Der Riese lenkte hierauf in einem scharfen Winkel nach Süden ab, und die anderen folgten ihm. Eine Zeitlang ritt man in der neuen Richtung in tiefem Schweigen dahin, und der Pascha betrachtete den Riesen mit unruhigen Blicken. Endlich sagte er:
„Bist du vielleicht ein Beni Sallah?“
„Ja.“
„Kennst du Falehd, den Bruder des verstorbenen Scheiks?“
„Warum sollte ich ihn nicht kennen? Willst du etwa zu ihm?“
„Ja.“
„Nimm dich in acht! Er ist kein Menschenfreund!“
Über das Gesicht des Sprechenden ging ein höhnisches und doch auch selbstzufriedenes Lächeln. Der Pascha antwortete:
„Du scheinst ebensowenig einer zu sein.“
„So? Warum denkst du das?“
„Ich sehe es nicht nur, sondern höre es auch.“
„Hm! Was willst du bei Falehd?“
„Viel und wenig.“
„Hölle und Teufel! Hältst du mich keiner besseren Antwort für wert?“
„Vielleicht antworte ich anders, wenn ich dich zuvor kennengelernt habe.“
„Das will ich dir auch raten! Da kommt übrigens mein Begleiter, den ich verlassen habe, als ich euch von weitem erblickte. Vielleicht wäre es doch besser gewesen, ich hätte euch in das Meer ohne Wasser reiten lassen!“
Sie stießen jetzt auf einen anderen Reiter, der auch den weiten Haïk trug.
„Dieser Mann ist ein Kaufmann aus Smyrna und heißt Hulam“, sagte der Riese zu ihm.
Erst jetzt betrachtete der Reiter den Genannten. Da prägte sich in seinem Gesicht eine große Überraschung aus, und er rief verwundert:
„Hulam? Pah! Ibrahim Pascha!“
„Graf Polikeff!“ entgegnete ebenso erstaunt der Pascha.
„Ist es möglich!“
„Allah ist groß und allmächtig. Er macht selbst das Unmögliche möglich!“
Der Riese stieß einen Fluch aus und schlug mit seiner Reitpeitsche durch die Luft.
„Ibrahim Pascha!“ rief er wütend. „Also nicht Hulam?“
„Nein“, lachte derjenige, den Ibrahim Graf Polikeff genannt hatte.
„Allah verdamme dich! Warum belügst du mich?“
„Mein Name ist nicht für jedermann“, antwortete der Pascha.
„Ibrahim Pascha! Ich kenne keinen!“
„Du sollst ihn kennenlernen“, sagte der Graf. „Er ist mein Freund. Ich hätte es nicht für möglich gehalten, ihn hier in der Wüste zu treffen. Nun, da er aber hier ist, bin ich überzeugt, daß er ganz dasselbe will, was auch ich will, nämlich dein Wohl, Falehd.“
„Falehd?“ rief der Pascha.
„Nun ja!“
„Dieser Mann hier ist Falehd?“
„Weißt du das noch nicht?“
„Nein. Er hat es mir nicht gesagt, trotzdem ich ihm mitteilte, daß ich zum Bruder des toten Scheik will.“
„Du würdest es noch zur rechten Zeit erfahren haben, wer ich bin“, knurrte der Riese. „Kommst du aus Stambul vom Sultan?“
„Ja. Vorher aber war ich in Tunis.“
„Bei Mohammed es Sadak Bei? Warst du auch in Kairo beim Vizekönig?“
„Nein. Mit ihm habe ich nichts zu schaffen. Er will dir nicht wohl; ich aber komme als dein Freund.“
„Hast du Vorschläge für mich?“
„Sogar höchst vorteilhafte.“
„So bist du mir willkommen. Du sollst zwei Zelte haben, eins für dich und eins für dein Weib. Jetzt aber laßt uns eilen. Es kommt die Zeit des Nachmittaggebets, zu der wir im Lager sein müssen.“
Bereits nach kurzer Zeit verdoppelten die Kamele freiwillig ihr Tempo, denn sie witterten das Wasser der Oase. Der Sand verschwand allmählich und machte einer immer dichter werdenden Grasfläche Platz. Palmen wuchsen hoch empor, Zelte lagen im Schatten derselben, Herden weideten ringsum. Der Riese ritt stolz hindurch, keinen Menschen beachtend, von allen aber mit scheuen, wohl auch finsteren Blicken betrachtet. Dann ließ er auf einem freien, von den Zelten gebildeten Platz halten, dessen Umwohner zu den wohlhabenden Leuten des Stammes zu gehören schienen, denn diese Zelte waren aus teureren Stoffen gefertigt als die anderen.
Was aber am meisten auffiel, das war ein auf mächtigen Steinquadern fundiertes umfangreiches Gemäuer, das sich seitlich hoch über das Zeltlager erhob. Wie kamen diese großen, schweren Steine hierher, wo es im Umkreise von vielen Meilen keinen Felsen gab? Jedenfalls war das Bauwerk in jener Zeit errichtet worden, als die Römer Ägypten erobert hatten und sich mit ihrer Kultur auch in die Wüste wagten. Wie man denn auch tief in der Sahara noch Überreste riesiger Wasserleitungen und massiver Schlösser findet, die heute freilich halb von Flugsand überschüttet sind, die aber dennoch Zeugnis von dem Unternehmungsgeist eines Volkes geben, das mit riesiger Anstrengung Leben mitten in den Tod der Wüste zu bringen verstand.
Das erwähnte Gemäuer schien mitten in der Oase errichtet worden zu sein. Ob es bewohnt war, konnte man von außen nicht sehen.
In jedem größeren Beduinenlager pflegt ein Gastzelt, oft auch mehrere, vorhanden zu sein. So war es auch hier. Ibrahim Pascha erhielt daher ein leeres Zelt angewiesen, Zykyma aber, die er für seine Frau ausgegeben hatte, ein zweites. Beide Zelte waren mit den nötigen Matten und Decken versehen, und bald wurden die beiden Genannten auch mit allem anderen versorgt, was ihnen notwendig war.
Dann, als man dem Pascha Zeit gelassen hatte, sich von dem anstrengenden Ritt auszuruhen, wurde er von Falehd und dem Grafen Polikeff besucht, die eine so lange Unterredung mit ihm hatten, daß die Sonne bereits tief stand, ehe die beiden wieder aus dem Zelt traten.
Der Graf begab sich nunmehr nach dem Zelt, das ihm bei seiner Ankunft angewiesen worden war. Der Riese aber schritt zwischen den Zelten hindurch nach der Ruine hin. Sein verbranntes Gesicht hatte einen harten, entschlossenen Ausdruck, und es lag wie Hohn und Schadenfreude in den Zügen, die auf jeden Beschauer einen abstoßenden Eindruck hervorbringen mußten.
Das Gemäuer lag auf einer Bodenerhöhung, die steil aus der Ebene emporstieg. Eine breite, wie für ein Riesengeschlecht gebaute Treppe führte zu ihm empor, zu deren beiden Seiten bewaffnete Araber saßen. Sie erhoben sich ehrfurchtsvoll, als er zwischen ihnen emporschritt. Am Eingang zur Ruine lehnte ein junger Beduine an der Wand. Derselbe war nur mit Hose und Jacke bekleidet, und ein dünnes weißes Tuch wand sich als Schutz vor der Sonnenglut um seinen Kopf. In dem kamelhärenen Strick, der ihm als Gürtel diente, stak ein langes, zweischneidiges Messer, die einzige Waffe, die er außer der langen Flinte trug, die neben ihm an der Mauer lehnte.
Dies war ganz dieselbe Bewaffnung, die auch Hilal in Kairo getragen hatte, und wer in das Gesicht des Beduinen sah, mußte sich über die Ähnlichkeit wundern, die er mit dem Genannten hatte. Und er war auch in Wirklichkeit kein anderer als Tarik, Hilals Bruder.
Als er den Riesen die Treppe besteigen sah, zogen seine Brauen sich unwillkürlich zusammen, doch hatte er Selbstbeherrschung genug, sein Gesicht schnell wieder zu glätten, er trat einen Schritt zur Seite, so daß er nun gerade vor dem Eingang stand. Falehd bemerkte dies wohl, und sein Gesicht nahm einen drohenden Ausdruck an. Trotzig blieb er auf der obersten Stufe stehen und richtete den Blick zur Seite, über das Zeltlager hinweg, als ob er da draußen, wo die Herden weideten, nach irgend etwas suche. Er erwartete offenbar, daß Tarik, ohne aufgefordert zu sein, zur Seite treten werde. Als dies aber nicht geschah, wandte er sein stechendes Auge dem Jüngling zu und sagte:
„Siehst du nicht, daß ich hier bin?“
In dem Ton seiner Worte lag eine nur mühsam unterdrückte Feindseligkeit. Tarik aber tat, als ob er dies gar nicht bemerke, und zwang sich, in verwundertem Ton zu antworten:
„Ja, ich sehe es.“
„Nun, ich bin auch groß genug, um bemerkt zu werden. Doch sage mir jetzt noch, ob du klug genug bist, zu erraten, was ich hier will!“
„Ich stehe hier als Anführer der Leibwache der Königin und habe nicht die Pflicht, deine Gedanken zu erraten. Meine Pflicht ist nur, der Königin zu dienen.“
„So will ich mich herablassen, dir zu sagen, daß ich zu ihr will. Mache also Platz!“
Wenn der Riese der Ansicht gewesen war, daß Tarik ihm nun den Eingang freigeben werde, so hatte er sich geirrt. Der Genannte behielt vielmehr seine Stellung bei und meinte:
„Ist es etwas Notwendiges, was du ihr zu sagen hast?“
„Hast du mich etwa danach zu fragen?“
„Ja.“
„Ha! Weißt du nicht mehr, wer ich bin?“
„Ich weiß es.“
„Nun, ich bin der Bruder des Scheiks, der Oberste in der Versammlung der Ältesten, infolgedessen auch der Oberste des ganzen Stammes.“
„Ich weiß bis jetzt nur, daß die Witwe des Scheiks die Anführerin des Stammes ist, und ich als Anführer ihrer Wache habe also zu tun, was sie mir befohlen hat.“
„Befohlen?“ lachte Falehd höhnisch. „Läßt ein freigeborener Beduine sich einen Befehl geben?“
„Ja, von dem, dem er sich freiwillig unterordnet. Die Königin ist in ihrem Gemach. Sie will sich nur dann stören lassen, wenn dies durchaus notwendig ist.“
„Es ist notwendig. Mach also Platz.“
„Verzeih! Ich werde sie erst fragen, ob sie bereit ist, dich zu empfangen.“
Da ballte der Riese drohend die Faust, stieß einen Fluch aus und rief in verächtlichem Ton:
„Du? Du willst mir den Eingang verbieten. Was fällt dir ein! Ich lasse mich von keinem Hund anbellen, und –“
„Halt!“ antwortete da Tarik, ihm schnell in die Rede fallend. „Bedenke deine Worte wohl, ehe du sie sprichst! Du stehst keineswegs über mir. Ich bin ebenso wie du ein freier Sohn meines Stammes und würde jede Beleidigung augenblicklich mit einer Kugel beantworten.“
So sprechend, hatte er blitzschnell seine Flinte ergriffen und den Finger an den Drücker gelegt. Falehd hatte keine Schußwaffe bei sich und mußte trotz seiner Körperstärke erkennen, daß Tarik ihm in diesem Augenblick überlegen sei. Ebenso wußte er auch, daß dieser das Recht habe, jede Beleidigung augenblicklich mit einer Kugel zu beantworten. Darum hielt er an sich und sagte in einem scheinbar ruhigeren Ton:
„Soll ich etwa nicht zur Königin?“
„Wenn sie es nicht erlaubt, nein.“
„Sie ist aber doch meine Schwägerin!“
„Ein Weib braucht keinen anderen Mann als den seinigen bei sich zu empfangen. Keiner kann es zwingen. Und das Recht, das es als Weib hat, hat es als Königin doppelt.“
„Bei Allah, deine Ansicht ist sonderbar!“
Tarik antwortete nicht, drehte sich um und stieß einen scharfen Pfiff aus. Schon nach wenigen Augenblicken ließ sich von innen eine fragende weibliche Stimme hören.
„Falehd ist hier und hat notwendig mit der Herrin zu sprechen“, rief ihr Tarik zu.
„Ich werde sie fragen“, antwortete dieselbe.
Der Riese, der inzwischen einen Schritt zurückgetreten war, stampfte mit dem Fuß.
„Auf diese Weise werden, wie ich gehört habe, die Diener der abendländischen Herrscher empfangen“, knirschte er. „Ich aber bin kein Sklave. Ich komme, wann ich will, und gehe, wenn es mir beliebt. Diese neue Sitte, den Ältesten des Stammes zu empfangen, soll nicht lange mehr geduldet werden. Das verspreche ich dir!“
Tarik antwortete wiederum nicht; er zuckte nur gleichmütig mit der Achsel und horchte dann in den Eingang zurück, wo sich soeben die betreffende Stimme abermals hören ließ:
„Er soll kommen!“
„Du darfst eintreten“, sagte jetzt der jugendliche Wächter, indem er die Tür freigab.
„Ich darf? So? Darf ich wirklich?“ höhnte der Riese.
„Ja“, lachte der andere.
Und dieses Lachen hatte etwas so Selbstbewußtes und zugleich Ironisches, daß Falehd die beiden Fäuste erhob und wütend ausrief:
„Nun, die Zeit, in der ich darf, wird bald vorüber sein. Dann wird die Zeit kommen, in der ich zu bestimmen habe, was ich und andere dürfen. Und da wirst du derjenige sein, der gar nichts darf!“
Nach dieser Drohung trat er ein, und er mußte sich bücken, um nicht oben an das Mauerwerk zu stoßen, denn auf ihn hätte das Bibelwort gepaßt: „Er ist allein übriggeblieben von den Kindern der Riesen.“ Das enge Tor führte durch eine mehrere Meter starke Mauer, dann gelangte man in einen kleinen, viereckigen Hof, der gerade gegenüber eine ähnliche Tür offenließ. Diese führte in einen ziemlich langen, finsteren Gang, der in einem kleinen Gemach endete, dessen ganze Ausstattung in einer brennenden Palmöllampe und zwei auf dem Boden liegenden Kokosfaserdecken bestand.
Der Riese wurde hier von einer alten Frau erwartet, derselben, die auf Tariks Pfiff geantwortet hatte.
„Bleibe hier!“ sagte sie. „Badija wird gleich kommen.“
Falehd starrte sie mit blitzenden Augen an.
„Was? Hier bleiben?“ fragte er.
„Ja.“
„Warten soll ich?“ lachte er laut auf. „Falehd soll warten! Bei allen Teufeln der untersten Hölle, das ist lustig! Willst du etwa auch hier bleiben?“
„Ich habe bei dir zu warten, bis sie kommt.“
„Wie herrlich! Wie entzückend! Du, die Liebliche, die Bezaubernde, sollst bei mir bleiben, bis es deiner Herrin beliebt, zu Falehd zu kommen!“ Und mit ausgestreckten Fäusten auf die Frau zutretend, fuhr er fort:
„Pack dich, Hexe! Wenn du nicht augenblicklich verschwindest, werfe ich dich an die Wand, daß du mit Leib und Seele daran kleben bleibst, als ewiges Beispiel, welch ein Wagnis es ist, Falehd zu erzürnen!“
Sie kreischte vor Angst laut auf und entfloh durch die dem Eingang gegenüberliegende Tür.
„Allah inhal el bakk!“ knurrte er ihr zornig nach.
Das heißt zu deutsch: Gott verdamme die Wanze! Das Wort Wanze ist aber der verächtlichste Ausdruck, den der Araber einer weiblichen Person zu geben vermag.
Falehd hatte nicht lange zu warten, denn kaum war das Weib verschwunden, so trat die Königin der Wüste ein. Bei ihrem Anblick leuchteten seine Augen verlangend auf. Und er hatte wohl Veranlassung dazu.
Badija war vollständig in feines weißes Linnen gekleidet. Ihr Gewand bestand nur aus Hose, Hemd und einem kleinen Jäckchen, so daß ihre herrlichen Formen mehr hervorgehoben als verborgen wurden. Eine schönere Rundung als die Linien ihres Körpers zeigten, konnte es gar nicht geben. Das nackte Füßchen schien einem Kind anzugehören und war von blendender Weiße. Das allerliebste und doch sehr fleischige Händchen harmonierte vollständig mit demselben. Da, wo die Hose sich um die Taille legte, glitt sie über Hüften, von denen der Blick nur schwer zu trennen war. Die Jacke, die oben eng um den wie aus Marmor gemeißelten Hals befestigt war, lief über der Brust auseinander und ließ den von dem Hemd bedeckten jungfräulichen Busen sehen. Das Gesicht zeigte eine große Ähnlichkeit mit demjenigen ihrer Schwester Hiluja. Es war ebenso weich, aber in den Zügen ernster, tiefer und nachdenklicher. Die nicht zu hohe Stirn erhob sich über dunklen Brauen von wunderbarer Zeichnung. In den ebenso dunklen Augen schienen die sämtlichen Geheimnisse des Morgenlandes zu schlafen, um bei dem ersten Wort einer erwiderten Liebe zu voller Seligkeit zu erwachen, und das leicht gebogene Näschen ließ in seinen feinen, rosig angehauchten Flügeln, die leise zu zittern schienen, vermuten, daß Badijas Seele rasch in Erregung zu bringen sei. Die vollen roten, zum Küssen geformten Lippen waren in ihren Winkeln aber ein wenig nach oben gezogen, ein sicheres Zeichen, daß dieser schöne Mund in letzter Zeit wohl oft Gelegenheit und Veranlassung zum Zürnen gehabt. Das rabenschwarze Haar hing in zwei langen Zöpfen fast bis auf den Boden herab. Es war nicht mit dem mindesten Schmuck versehen, den doch sonst die Beduininnen so sehr lieben. Wozu auch? Es bildete ja selbst den herrlichsten Schmuck der Königin der Wüste, und einen Schmuck zu schmücken wäre widersinnig gewesen.
Bei dem Anblick dieses herrlichen Wesens vergaß der Riese seinen Zorn.
„Sallam!“ grüßte er. „Allah gebe dir Frieden!“
„Das wünschest du mir, du?“ fragte sie, den Blick verwundert auf ihn richtend.
„Ja, ich. Du hörst es ja!“
„So stimmen deine Wünsche nicht mit deinen Handlungen überein. Von dir ist mir noch nie Friede gekommen. Selbst jetzt erschreckst du meine Dienerin.“
„Sie ist ein dummes Weib, ein Scheusal –“
„Scheu – sal –?!“
Badija richtete ihre Gestalt stolz empor. Der Ton, in dem sie sein Wort wiederholt hatte, war ein eigenartiger, er konnte nicht beschrieben werden; er war nicht scharf, nicht herrisch, aber es war dennoch nicht möglich, ihm zu widerstehen. Selbst Falehd, dieser stolze, eingebildete und rücksichtslose Mann, sah sich durch ihn zu einer Entschuldigung gezwungen:
„Verzeih! Sie erzürnte mich.“
„Du verlangst meine Verzeihung und konntest ebensogut selbst ihr verzeihen. Ich glaube, du hast sie erzürnt. Es klingt sogar für einen Helden rühmlich, wenn man von ihm sagt, daß er höflich sei.“
„Das weiß ich, und ich hoffe, daß du mir Gelegenheit gibst, höflich gegen dich zu sein und auch höflich gegen dich zu bleiben!“
„Ich gebe niemandem Veranlassung, die Achtung zu vergessen, die man der Frau und der Anführerin schuldig ist. Du hast mir sagen lassen, daß du Notwendiges mit mir zu sprechen habest. Setze dich!“
Sie deutete auf eine der Decken, die sich gegenüberlagen. Der Riese bückte sich bereits, um ihrer Aufforderung nachzukommen, richtete sich aber unter dem Einfluß eines plötzlichen Gedankens wieder auf.
„Wirst du dich auch setzen?“ fragte er.
„Nein. Ich kann dich stehend hören.“
„So werde auch ich stehend sprechen.“
„Ich erlaube dir doch, dich zu setzen.“
„Ich danke dir! Ich würde mich, wenn es mir beliebte, auch ohne deine Erlaubnis setzen; aber ich verzichte darauf. Man könnte dann vielleicht sagen, ich hätte meine Knie vor dir gebeugt. Falehd beugt sich nie.“
„So bleibe stehen und sprich!“
Sie legte bei diesen Worten die Arme über der Brust zusammen. Wenn das aber eine Frau tut, so kann man als sicher annehmen, daß sie Energie und festen Willen besitzt. Falehd ließ sein Auge bewundernd über ihre stolze Gestalt gleiten.
„Kannst du denn nicht erraten, was ich will?“ fragte er und versuchte, seiner Stimme einen weichen Klang zu geben.
Badija ließ ihren Blick kalt und forschend über seine Gestalt gleiten und antwortete:
„Ich bin nicht hier, um zu raten, du hast mit mir sprechen wollen, also sprich!“
„Bei Allah, du tust, als seist du wirklich eine Königin!“
„Ich weiß, daß ich es nicht bin. Ich dulde nur den Namen, den ihr mir gegeben habt.“
„Du wirst ihn nicht mehr lange tragen. Jetzt allerdings bist du noch die Beherrscherin des Stammes; aber weißt du nicht, seit welcher Zeit mein Bruder tot ist?“
„Seit einem Jahr; das weiß jedermann.“
„Seit einem Jahr, ja. Das Jahr der Trauer ist aber nun vorüber, und wir brauchen dir nicht mehr zu gehorchen.“
„So gehorcht meinetwegen einer oder einem anderen.“
„Das werden wir auch. Du aber sollst nach den Gesetzen unseres Stammes das Weib dieses anderen sein.“
„Muß ich?“
„Ja, du mußt.“
„Muß ich wirklich?“
Bei dieser Wiederholung ihrer Frage klang Badijas Stimme plötzlich schneidend, und ihr Blick richtete sich zornig auf den Sprecher. Er zuckte jedoch nur überlegen die Achseln und schüttelte wie verwundert den Kopf.
„Natürlich mußt du!“ antwortete er. „Das versteht sich ganz von selbst. Du bist die Angehörige unseres Stammes, und als solche hast du am allerersten die Verpflichtung, die Gesetze desselben zu achten.“
„Und wenn ich das nicht täte?“
„Oh, das kann ja gar nicht vorkommen!“
„Ich sage dir, es kann sogar sehr leicht vorkommen!“
„So würden wir dich zwingen!“
Auch Falehd legte jetzt die Arme über der Brust zusammen und lehnte sich hochaufgerichtet an die Mauer, so wie Badija drüben sich angelehnt hatte. So standen sich die beiden drohend gegenüber, sie ein schwaches Weib, und doch so schön, so herrlich, so entzückend, und er, trotz seiner Kraft und Stärke so häßlich und abstoßend!
„Mich zwingen?“ lächelte sie. „Ich möchte den sehen, der mich zwingen wollte, das Weib eines Mannes zu werden, den ich nicht mag!“
„Jeder, jeder wird dich dazu zwingen!“
„Ah! Du wohl auch?“
„Ja, ich auch. Du bist die unsrige, und hast dich nach unseren Gebräuchen zu richten.“
„Die eurige?“ fragte sie. „Das sagst du wohl, aber es ist nicht so; ich bin nie die eurige gewesen!“
Ihre Stimme klang dabei so, als ob ihr vor irgend etwas graue. Langsam und stockend fuhr sie fort:
„Dein Bruder begehrte mich zwar zum Weib; aber er war alt, er konnte kein Herz erobern, und ich gehorchte nur meinem Vater, der ihm seinen Wunsch erfüllte, denn ich war gewohnt, dem Vater zu gehorchen, und es gab keinen, dem mein Herz gehörte. Nur darum wurde ich das Weib deines Bruders.“
„Das war ja sehr gnädig und barmherzig von dir gegen uns gehandelt!“ höhnte er. „Gibt es vielleicht jetzt einen, dem dein Herz gehört?“
„Hast du danach zu fragen?“
„Vielleicht ja!“
„Oh, laß das bleiben! Denn obwohl ich deines Bruders Weib wurde, so konnte ich ihn dennoch nicht lieben, und ich blieb ihm fremd, wie er mir. Nie hat er mich berühren dürfen. Daraus magst du erkennen, daß ich nicht die eurige bin. Ich werde nur dem gehören, dem mein Herz gehört. Gibt es hier so einen Mann, so wird er euer Scheik sein; gibt es keinen, so bleibe ich ledig und eure Anführerin oder, wenn ihr das nicht wollt, gehe ich nach Hause zu den Zelten meines Stammes.“
Falehd antwortete nicht. Erst nach einer Weile fragte er:
„Aber du schläfst!“
„Oh, ich glaube, sehr wach zu sein.“
„Nein, du schläfst, denn du träumst. Das, was du soeben sagtest, kannst du nur im Traum gesagt haben. Du magst meinem Bruder erlaubt haben oder nicht, dich zu berühren, so bist du doch jetzt eine Angehörige der Beduinen des Stammes der Sallah, und bei uns gilt das Gesetz, daß eine Witwe dem nächsten Verwandten ihres verstorbenen Mannes gehört. Der nächste Verwandte meines Bruders bin aber ich, und du wirst also mein Weib sein!“
„Niemals!“
„Ah! Du liebst mich nicht?“ lachte er.
„Ich hasse dich!“
„Das stört mich nicht. Du wirst mich noch lieben lernen, denn ich werde dich anders behandeln als mein Bruder. Er war nur stolz darauf, daß du sein Weib hießest; ich aber werde dafür sorgen, daß du es auch wirklich bist.“
„Das wird nie geschehen!“
„Sogar sehr bald. Ich komme ja eben, um dir zu sagen, daß heute abend die Versammlung der Ältesten zusammentreten wird, um über diese Frage zu entscheiden. Das Jahr ist vorüber, und der Entscheidung dieser Versammlung mußt du dich fügen.“
„Lieber sterben!“
„Weshalb? Du wirst in meinen Armen die glücklichste der Sterblichen sein. Ja, man muß dich mir zusprechen. Nur ein Kampf auf Leben und Tod könnte dich zum Weib eines andern machen. Und glaubst du, daß es jemals einen geben könnte, der es wagen möchte, mit mir, mit Falehd zu kämpfen?“
„Ich weiß es, daß du mit deiner Stärke prahlst; aber Allah ist mächtig, er kann einem Knaben die Kräfte eines Riesen geben.“
„So wollen wir abwarten, ob er es tut. Nach dem Gebrauch des Stammes muß ich, wenn du mir zugesprochen wirst, drei Tage lang warten, ob sich jener findet, der mit mir kämpfen will. Fürwahr, ich würde mich freuen, wenn sich einer meldete, denn ich würde ihn zermalmen, daß selbst die Fetzen seiner Seele nicht mehr zu finden wären. Am vierten Tag bist du dann mein Weib, und niemand kann daran das geringste ändern, selbst du nicht. Es wird wahrlich Zeit, daß der Stamm wieder einen Scheik bekommt. Die Zeiten sind ernst. In wenigen Wochen wird sich über Ägypten das Geschrei des Krieges erheben, und auch unsere Tapferen werden nach dem Nil ziehen, um dem Vizekönig zu zeigen, was sie vermögen.“
„Ihr wollt gegen ihn kämpfen?“
„Was sonst? Ist er unser Freund?“
„Ist er etwa euer Feind?“
„Er ist der Feind aller Söhne der Wüste. Er hat ihnen ihr Land genommen; er fordert Steuern und Tribut, und er läßt den Fellah, der dies nicht bezahlt, von seinen Arnauten peitschen. Heute aber ist ein Abgesandter des Sultans gekommen, des eigentlichen Beherrschers des Landes; ein Gesandter des Sultans von Rußland ist schon längst hier. Beide werden an der Versammlung der Ältesten mit teilnehmen, und die ehrwürdigen Männer werden den Krieg gegen den Vizekönig beschließen. Das ist sicher und gewiß!“
„Möge Allah es verhüten.“
„Du bist ein Weib. Was verstehst du von diesen Dingen! Das ist Männersache!“
„Vielleicht verstehe ich ebensoviel davon wie du! Der Sultan der Russen ist nie der Freund des Sultans von Stambul gewesen. Wenn sich die Gesandten dieser beiden Herrscher hier bei uns befinden, so spielt wenigstens einer dieser Gesandten eine falsche Rolle. Übrigens glaube ich nicht, daß diese zwei hier sind.“
„Sie sind allerdings hier!“
„Dann müßte ich es ebensogut wissen.“
„Du vergißt immer, daß du ein Weib bist!“
„Ich werde dir zeigen, daß ich auch Mann sein kann! Du wirst es heute in der Versammlung erfahren.“
„Ah! Willst du vielleicht auch kommen?“
„Ja.“
„Ich hindere dich keineswegs daran; du wirst nur Zeuge meines Sieges sein. In vier Tagen bist du meine Frau, mein Eigentum. Daran kann kein Mensch etwas ändern.“
„Wenn kein anderer, so doch ich selbst!“
„Du wirst und mußt dich fügen! Ich will dich besitzen, und so werde ich dich besitzen.“
„Es wäre mein Tod oder der deinige!“
„Du träumst wieder! Was wolltest du tun? Könntest du es mir zum Beispiel verwehren, wenn ich dich jetzt hier umarmen wollte?“
„Ja!“
„Du träumst wirklich!“
„So ersiehst du daraus, daß es mir selbst im Traum nicht einfallen würde, mich von dir berühren zu lassen!“
„Und im Wachen wohl noch viel weniger?“
„Ja!“
Falehd war ihr einen Schritt nähergetreten. Seine Augen glühten. Er hatte sie stets nur in der Umhüllung des Mantels, nie aber so wie jetzt gesehen. Daher fühlte er den Eindruck ihrer Schönheit in seiner unwiderstehlichen Stärke und hatte wirklich die Absicht, ihr seine Liebkosung aufzuzwingen.
Badija sah dies, aber obwohl sie erbleichte, so wich sie dennoch nicht von der Stelle, auf der sie stand. So bohrten sich ihre Blicke ineinander.
„Mir, mir wolltest du widerstehen?“ zischte er.
„Ich fürchte dich nicht, obgleich deine Liebe noch entsetzlicher ist als dein Zorn und deine Feindschaft.“
„So sage ich dir, daß ich dich jetzt küssen werde!“
„Das wäre eine Beleidigung des ganzen Stammes. Ich bin die Witwe des Scheiks und gehöre noch keinem anderen!“
„Was schere ich mich um den Stamm!“
„Die Beleidigung würde auch augenblicklich gerächt werden.“
„Das wollen wir sehen! Komm in meine Arme!“
Falehd öffnete wirklich die Arme und trat auf sie zu.
Da rief sie ihm zu:
„Zurück, Elender!“
Und das klang so befehlend, so unerschrocken, daß er unwillkürlich einen Schritt zurückwich und sie mit Erstaunen betrachtete. Dann aber sagte er lachend:
„Das, was du hier tust, soll man bei den Ungläubigen tun, wenn sie Theater spielen, wie ich gehört habe. Hier aber ist nicht der Ort dazu. Ich habe Lust, dich zu küssen, und ich möchte den Menschen sehen, dem es einfallen könnte, mich daran zu hindern!“
„Ich habe meine Leibwache.“
„Diese Kerle hocken draußen auf der Treppe. Oder meinst du, daß ich mich vor ihrem Anführer fürchten würde? Er könnte hier stehen, und doch würde ich dich umarmen und küssen.“
„Versuche es!“
„Wohlan, sogleich!“
Falehd erhob beide Arme, sie zu umfangen. Da wies Badija nach dem Eingang.
Dort war der Lauf einer Flinte gerade auf Falehd gerichtet. Den Besitzer des Gewehres aber konnte man nicht sehen, da derselbe im Dunkel stand, wohin der Lampenschein nicht drang.
„Hölle und Teufel!“ rief der Riese aus und trat schnell so weit zurück, daß er aus der Schußlinie kam.
„Nun, so küsse mich doch!“
„Wer ist der Kerl, der das wagt?“
„Sieh ihn dir nur an!“
„Etwa gar Tarik? Allah verdamme ihn!“
Falehd ging. Draußen am Tor blieb er stehen. Neben demselben lehnte, wie vorher, Tarik neben seinem Gewehre und tat, gleichgültig in die Ferne blickend, als ob er den Riesen nicht bemerke.
„Bist du von hier fortgewesen?“ fragte dieser.
„Wie darf ich meinen Posten verlassen?“ antwortete der Gefragte mit gutgespieltem Erstaunen.
„Du warst nicht da drin?“
„Ich? Ich denke, du bist dringewesen!“
„Höre, Jüngling, meine nicht etwa, daß du mit mir scherzen darfst! Ich frage dich, ob du dagewesen bist, wo auch ich mich befand!“
„Ich brauche dir nicht zu antworten. Aber da du denken könntest, daß ich mich vor dir fürchte, will ich dir sagen, daß ich drinnen war.“
„Allah! Du hast auf mich gezielt?“
„Ja.“
„Du? Du? Hättest du geschossen?“
„Meine Kugel hätte in demselben Augenblick, in dem du die Königin berührtest, deinen Kopf zerschmettert. Du warst klug, zurückzuweichen.“
Das Gesicht des Riesen nahm einen beängstigenden Ausdruck an. Es war, als ob ein Panther sich auf sein Opfer stürzen wolle. Er rief heiser:
„Und das sagst du mir – mir – mir?“
„Ja.“
„Hund und Sohn eines …“
„Halt! Kein Wort weiter und keine Bewegung!“
Falehd hatte wirklich Tarik packen wollen; der mutige Jüngling aber hatte blitzschnell sein Gewehr ergriffen, einen Seitensprung getan und den Lauf auf die Brust des Riesen gerichtet. Den Finger am Drücker, rief er drohend:
„Du sagtest das Schimpfwort Hund. Wen meintest du?“
Der Riese schwieg, denn es gibt für den Beduinen keine größere Beleidigung, als ein Hund genannt zu werden. In diesem Fall ist der Beleidigte berechtigt, den Beleidiger sofort zu töten, ohne die Blutrache fürchten zu müssen. Falehd erkannte, daß er hier trotz seiner Körperstärke nichts machen könne. Er wußte, daß im Fall der Bejahung Tarik augenblicklich losdrücken werde, doch sein Stolz bäumte sich auch dagegen auf, sich zu einer feigen Lüge zwingen zu lassen.
„Wen meintest du?“ wiederholte Tarik.
„Geht das dich etwas an?“ wich Falehd aus.
„Ja, denn ich war es, in dessen Gegenwart du das Wort aussprachst. Ich habe nicht lange Zeit zu warten. Also antworte! Meintest du mich?“
Und als der Gefragte auch jetzt noch mit der Antwort zögerte, fügte Tarik hinzu:
„Antwortest du nicht, so muß ich das Wort auf mich beziehen. Also, hast du mich gemeint? Eins – zwei –“
„Halt! Nein! Dich nicht!“ stieß der Riese hervor.
„So gehe ruhig weiter!“
Tarik nahm zwar das Gewehr von der Backe, trat aber vorsichtig noch zwei Schritte zurück, damit er nicht durch einen schnellen Sprung Falehds in die Gewalt desselben geraten und waffenlos gemacht werden konnte.
„Ja, ich gehe!“ sagte dieser, tief Atem holend, und langsam stieg er die Stufen hinab.
„Er kocht vor Grimm!“ raunte einer der auf den Stufen Sitzenden Tarik zu.
„Er hat aus Angst gelogen, er, der stärkste des Stammes! Seine Ehre ist dahin!“ antwortete dieser.
„Ja, seine Ehre ist dahin. Morgen werden es alle Frauen und Kinder wissen, daß Falehd die Unwahrheit sagte, weil er sich vor dem Sohn des Blitzes fürchtete. Allah hat ihn verlassen!“
Auf der Treppe und am Eingange der Ruine war es ruhig geworden. Desto lebhafter aber ging es unten im Zeltlager und draußen vor demselben her.
Die Herden wurden zusammengetrieben und rund um dieselben Feuer angezündet, um die wilden Tiere abzuschrecken. Das Abendgebet war, während Falehd sich bei Badija befand, gesprochen worden; es wurde schnell dunkel, und auch vor den Zelten des Lagers brannte ein Feuer nach dem anderen auf.
Dann kam ein Mann langsam die Ruinenstufen herauf. Er hatte ein langes, an einer Schnur hängendes Brett in der einen Hand und einen Hammer in der andern. Dieser Mann war der Muezzin, der Gebetausrufer, der auch alle sonstigen Verkündigungen und Veröffentlichungen zu besorgen hatte. Er blieb nicht auf der obersten Stufe stehen, sondern kletterte möglichst hoch an den Quadern des alten Gebäudes empor, um recht weit gehört zu werden. Dann hielt er das Brett frei an der Schnur und schlug mit dem Hammer dreimal an dasselbe. Das gab einen eigentümlich melancholischen, aber doch weithin dringenden Ton.
Sofort trat im Lager die größte Ruhe ein. Und nun ertönte die Stimme des Ausrufers von der Höhe herab:
„Hört, ihr Gläubigen, ihr Männer! Gesegnet seien die Weisen und gebenedeit die Klugen! Allah gibt dem Alter die Kenntnis und dem grauen Kopf alle Wissenschaft. Sie werden kommen und sich um das Feuer setzen, einen Rat zu halten zum Wohl des Stammes und zum Segen der Angehörigen. Allah öffne ihre Augen! Friede sei mit allen!“
Das waren die allbekannten Worte, mit denen verkündigt zu werden pflegte, daß der Rat der Alten zusammentreten werde. Der Ausrufer stieg langsam und würdevoll wieder nieder, und nun flammte auf dem großen Zeltplatz ein Feuer empor, das denselben vollständig beleuchtete, und von allen Seiten kamen diejenigen herbei, die zur Versammlung gehörten, um an diesem Feuer Platz zu nehmen. Jeder andere mußte in angemessener, ehrerbietiger Entfernung bleiben.
Tarik lehnte oben auf der Plattform der Treppe. Er hatte die Arme auf einen einzeln stehenden Steinquader gelegt und blickte hinab auf die Zelte, die, vorn von der Flamme beleuchtet, nach hinten lange, gespenstische Schatten warfen.
Er wußte, welch ein wichtiger Gegenstand da unten verhandelt werden solle. Es war ihm so weh um das Herz. Er hätte am liebsten tot sein mögen, tot, nachdem er Badija gerettet hatte! Er konnte die Versammelten nicht sehen, aber er hörte ihre lauten Stimmen und zuerst diejenige des Riesen, der die Versammlung begrüßte und zur ernsten Erwägung der wichtigen Sache ermahnte.
Da fühlte Tarik sich an der Schulter berührt. Er wandte sich um und sah die Königin vor sich stehen.
Sie trug den langen weißen Frauenmantel. Fast ebenso weiß war ihr Gesicht. Dunkel nur schienen die Augen, in denen das kleine Bild der unten lodernden Flamme flackerte.
„Suchte er Streit mit dir?“ fragte sie.
„Ja, o Königin. Er nannte mich einen Hund.“
„O Allah! Das fordert Blut!“
„Nein. Ich legte das Gewehr an, und da sagte er, daß er mich nicht gemeint habe.“
„So ist er ehrlos; aber gerade deshalb wird er die erste Gelegenheit benutzen, dich zu töten.“
„Ich werde auf meiner Hut sein. Willst du wirklich in die Versammlung der Ältesten gehen?“
„Ja. Ich muß. Ich darf nicht zugeben, daß er mir die Anhänger des Guten durch schmeichelnde Reden untreu macht. Wenn doch Hilal bald zurückkehrte! Meinst du nicht, daß er schon wieder da sein könnte?“
„Er ist gut beritten. Ich erwartete ihn bereits gestern.“
„Meine einzige Hoffnung ruht auf ihm. Möge sie nicht getäuscht werden. Ich gehe jetzt.“
„Allah sei mit dir! Er segne deine Worte!“
„Ich werde versuchen, die Ältesten dahin zu bringen, daß sie heute noch nicht entscheiden, ob sich der Stamm für oder gegen den Vizekönig erklärt. Vielleicht kehrt unterdessen dein Bruder zurück.“
Das Auge Tariks folgte ihrer lichten Gestalt, wie sie die Treppe hinabstieg und dann zwischen den Zelten verschwand. Nachher hörte er ihre Stimme, ohne aber die einzelnen Worte verstehen zu können. Andere Stimmen, männliche natürlich, erhoben sich für und auch gegen sie; sie antwortete wieder, und so verging eine ziemlich lange Zeit, bis man einen Entschluß gefaßt zu haben schien; denn es wurde still auf dem Versammlungsplatz, und dann kam die Königin wieder zwischen den Zelten hervor und die Treppe heraufgestiegen.
Sie trat nicht in das Innere, sondern ging um die Ecke des Gemäuers herum, an Tarik vorüber.
„Komm!“ sagte sie im Vorbeigehen.
Er folgte ihr. Hier, an der breiten Seite der Ruine, gab es ein Wirrwarr von über- und durcheinandergestürzten Steinen. Mitten drin lag ein kleines, freies Plätzchen, durch hohe Quadern von der Umgebung abgeschlossen. Das war der Lieblingsaufenthalt der Königin. Hier pflegte sie des Abends stundenlang zu sitzen, um mit träumerischem Blick den Gang der Sterne zu verfolgen, die hier im Süden ganz anders leuchten als in dem kalten, lichtarmen Norden.
Tarik hatte in stillen, einsamen Stunden über ihre Sicherheit gewacht; nie aber war ihm das Wagnis in den Sinn gekommen, das Plätzchen zu betreten. Nur dann, wenn sie zur Ruhe gegangen war, hatte er sich hingeschlichen, um den Stein zu küssen, der der Herrlichen als Sitz gedient hatte. Nun forderte sie ihn selbst auf, ihr dorthin zu folgen. Er schloß daraus, daß sie ihm sehr Wichtiges zu sagen habe.
Als sie sich auf dem so wohlbekannten Stein niedergesetzt hatte, deutete sie auf einen danebenliegenden.
„Setz dich auch, Tarik! Ich habe mit dir zu sprechen. Meinst du, daß man uns belauschen wird?“
„Nein. Den Weg links herauf kennt niemand als du, ich und mein Bruder. Und hier von rechts kann keiner kommen, ohne die Treppe zu ersteigen. Meine Leute würden mich rufen.“
„Horch! Hast du etwas gehört?“
„Ein Schakal bellte draußen am Rand der Wüste.“
„Nein, das meine ich nicht. Ich glaubte, daß sich etwas hier links von uns bewegt habe.“
„Das ist unmöglich. Der Hauch des Abends hat sich erhoben; er streicht durch das Gemäuer.“
„Vielleicht war es der Wind, oder es hat sich ein Stein gelöst. Hast du alles gehört, was Falehd heute zu mir sagte?“
„Ja, alles, o Herrin!“
„Nenne mich nicht Herrin! In kurzer Zeit werde ich vielleicht elender und ärmer sein als die niedrigste Magd oder Sklavin.“
„Das wolle Allah verhüten!“
„Ich bete ebenso. Vielleicht sendet er mir einen Engel, um mich zu erretten. Ich habe also Falehd besiegt. Er und die beiden Fremden sprachen gegen den Pascha von Ägypten. Sie drangen auf eine schnelle Entscheidung; ich habe es jedoch durchgesetzt, daß man damit wartet, bis es sich zeigt, wer Scheik des Stammes sein wird. Dies ist mein Sieg. Dann bin ich aus der Versammlung gegangen, denn man begann, über mich zu beraten, und nun wird das Schlimme folgen, denn das Jahr der Trauer um meinen Gatten ist vorüber, und der Stamm verlangt einen Anführer, dessen Weib ich sein muß. Das wird aber niemand anders als Falehd sein!“
Badija schwieg eine Weile. Auch Tarik sagte nichts, sondern sah sinnend vor sich nieder. Sein Entschluß war schnell gefaßt, er wollte sie nur vorher aussprechen lassen, ehe er ihr denselben offenbarte. Langsam glitt sein Auge an ihr empor, und er sah wohl an der schweren Bewegung ihres Busens, wie erregt sie war.
„Kennst du ein Mittel der Rettung?“ fragte sie.
„Ja, nur eins, den Kampf“, antwortete er.
„Oh, ein Kampf mit Falehd wird mir keine Rettung bringen! Keiner vermag ihn ja zu besiegen.“
„Auch ich nicht?“
„Auch du nicht!“
„Herrin, willst du mir weh tun?“
„Nein, o nein! Du bist der Treueste, den ich kenne. Du würdest dein Leben für mich wagen; aber ich weiß auch, daß er der Sieger sein würde, und daß ich ihm dann doch gehorchen müßte.“
„Ich bin ihm im Schießen und Messerfechten überlegen.“
„Das wissen alle, und auch er weiß es. Darum wird er den Faustkampf wählen. Ich bin davon überzeugt.“
„Ich leider auch. Ein einziger Faustschlag von ihm genügt, einem Menschen den Schädel zu zerbrechen; aber ich werde auf meiner Hut sein, und Allah wird mich vielleicht schützen.“
„Nein, du darfst nicht mit ihm kämpfen! Es gibt noch ein anderes Mittel, mich zu retten.“
„Sage es! Was es auch sei, du kannst auf mich rechnen.“
„Die Flucht.“
Tarik erschrak und zögerte, zu antworten.
„Hältst du sie für unmöglich, da du erschrickst?“
„Für unmöglich nicht, aber sie ist gefährlich für dich.“
„Ich hatte auf deinen Schutz gerechnet.“
„Ich habe ihn dir bereits zugesagt. Wohin wolltest du deine Flucht lenken? Welchen Weg du auch wählen würdest, er brächte dich in große Gefahr. Bleibe also hier und erlaube mir, mit Falehd zu kämpfen.“
„Nein, nein, das darfst du auf keinen Fall. Ich verbiete es dir!“
„O Allah! Was soll ich tun?“
„Mir gehorchen.“
„Soll ich mich vor mir selbst schämen?“
„Das brauchst du nicht.“
„O doch, ich werde es bald! Bald wird der Ausrufer den Beschluß der Versammlung verkündigen, wird dreimal laut fragen, ob einer mit Falehd kämpfen will, und ich schweige!“
„Der ganze Stamm weiß, daß ich es dir verboten habe. Horch! Was war das für ein Geräusch da zu unserer Linken?“
„Es war ganz wie vorhin, ein Steinchen fiel von der Mauer. Der Luftzug hatte es herabgeworfen.“
Und wieder trat eine Pause ein, in der diese beiden guten und schönen Menschenkinder sich am liebsten einander in die Arme geworfen hätten.
Dann drang plötzlich ein lebhafter Lärm vom Versammlungsplatz zu ihnen herauf. Da erhob sich Tarik von seinem Sitze und sagte:
„Man ist zu Ende. Nun wird der Beschluß verkündet. Erlaube, daß ich gehe!“
Und schon wandte er sich nach vorn; da aber stand sie augenblicklich bei ihm und hielt ihn am Arme fest.
„Bleibe hier! Ich lasse dich nicht fort!“
„Man wird es vielleicht bemerken, daß ich hier bei dir bin!“
„Mag man es immerhin erfahren.“
„Aber da vorne ist mein Platz.“
„Jetzt ist dein Platz hier bei mir! Laß ich dich von hier fort, so meldest du dich zum Kampf. Versprich mir, dies nicht zu tun, so will ich gehen!“
„Ich kann es nicht versprechen.“
„So bleibe ich hier, und auch du bleibst.“
Mit diesen Worten ergriff sie ihn auch mit der anderen Hand und wollte ihn nach dem Stein zurückziehen, da strauchelte sie, und wie er nun schnell den Arm um sie legte, um sie festzuhalten, kam ihr Kopf an seine Schulter zu liegen, und er wußte es selbst nicht, wie es zuging, aber plötzlich lag sein Mund auf ihren Lippen, und sie küßten sich ein-, zwei-, dreimal.
„O Allah! Was tun wir!“
„Verzeihe mir!“ stotterte er in höchster Verlegenheit.
„Ich wollte es nicht. Ich weiß nicht – es kam – es war –“
„Horch!“
Mit diesem Worte unterbrach sie plötzlich seinen Versuch, sich zu rechtfertigen, denn seitwärts von ihnen kletterte soeben der Ausrufer am Gemäuer empor und schlug, droben angekommen, dreimal an das Brett.
Alle Angehörigen des Stammes wußten, über welchen Gegenstand die Ältesten zu beraten hatten. Es galt das Glück und die Zukunft der Königin. Als daher die drei Schläge ertönten, richteten sich aller Augen zur Ruine empor. Und da erklang auch schon die Stimme des Rufers:
„Hört meine Stimme und preiset Allah, der die Welt erleuchtet und dem Alter Verstand und Weisheit gibt! Es ist im Rat der Ältesten beschlossen worden, den verwaisten Beni Sallah einen neuen Scheik zu geben. Wer wird es sein, ihr Gläubigen? Falehd wird es sein, der Bruder des Verstorbenen. Falehd oder derjenige, der ihn im Kampf auf Leben und Tod besiegt. Darum wird die Stimme des Fragenden an drei aufeinanderfolgenden Abenden ertönen, ob es einen Tapferen gibt, der mit ihm kämpfen will. Drei Fragen an jedem Abend macht neun Fragen. Ist die neunte ohne Antwort erschallt, so gehört Badija, die Witwe und Königin, dem Bruder des Verstorbenen!“
Das ganze Lager harrte lautlos der folgenden Augenblicke. Ein jeder wußte, daß sich wohl keiner melden werde, denn eine solche Meldung war eine Anweisung auf den sicheren Tod. Der Ausrufer hatte seine Kunstpause bald beendet und fuhr fort:
„So ertöne denn die erste Frage: Gibt es einen, der mit Falehd kämpfen will um den Besitz der Königin der Wüste?“
Tarik wollte aufstehen und antworten. Da schlang die schöne jungfräuliche Witwe in ihrer Herzensangst beide Arme um ihn und bat flehend:
„Still! Um Allahs willen, sei still! Horch!“
Ein lautes „Ich!“ war nämlich plötzlich vorn in der Gegend der Treppe erklungen. Kein Mensch hatte dies erwartet, selbst der Ausrufer nicht. Daher dauerte es auch eine ganze Weile, bis dieser in seinem maßlosen Erstaunen sich auf seine Pflicht besann, nunmehr die weitere Frage zu tun:
„Wer bist du? Wie lautet dein Name?“
„Ich bin Hilal, der Sohn des Blitzes!“
Das mußte alle Hörer in Erstaunen setzen, denn sie wußten ja, daß Hilal einen sehr weiten Ritt unternommen hatte. Und nun ertönte so unvermutet seine Stimme von der Ruine herab.
„Hilal ist da! Er will mit ihm kämpfen!“ rief Tarik erregt. „Das darf nicht sein! Laß mich, laß mich fort! Ich muß zu ihm, zu ihm!“
Im nächsten Moment riß er sich los und eilte zu Hilal.
„Hilal, mein Bruder, du bist zurück?“
„Ja. Allah grüße dich!“
„Dich auch.“
Sie lagen sich in den Armen. Bald aber riß Tarik sich los, an die Gefahr denkend, in die sich der geliebte Bruder seinetwegen stürzen wollte.
„Um des Himmels willen, du willst mit ihm kämpfen?“
„Ja.“
„Er tötet dich!“
„Warten wir es ab!“
Das klang zwar sehr trotzig und siegesgewiß. Tarik aber war nicht derselben Meinung und entgegnete:
„Du darfst nicht. Ich werde es tun!“
„So tötet er dich!“ lachte Hilal.
„Eher mich als dich! Wie, du lachst?“
„Ja! Ich lache.“
„Die Sache ist ernst!“
„Warte es ab!“
Diese Worte waren ebenso rätselhaft wie Hilals Lachen.
„Ich verstehe dich nicht. Wann bist du gekommen?“
„Vor kurzer Zeit.“
„Ich habe doch nichts gehört und nichts gesehen.“
„Ich kam heimlich und bringe gute Botschaft. Horch!“
Der Ausrufer hatte sich inzwischen von seinem Erstaunen erholt, in welches ihn die Nennung des Namens Hilal versetzt hatte, und begann zum zweiten Mal:
„Hört, ihr Gläubigen! Ein Kämpfer hat sich gefunden, ein wackerer Held …“
„Den ich fressen werde, wie die Sonne das Wasser frißt!“
Alles schwieg ängstlich, denn es war Falehds laute Stimme gewesen, die diese Worte gesprochen hatte. Endlich fuhr der Ausrufer fort:
„So ertönt also meine Frage zum zweiten Mal: Gibt es noch einen, der mit ihm kämpfen will?“
„Ja“, antwortete es auch jetzt.
„Wer bist du?“
„Tarik, der andere Sohn des Blitzes.“
Da erscholl hinter den Steinen hervor ein unterdrückter Schrei, den die Königin ausgestoßen hatte.
„Wundere dich nicht“, flüsterte Tarik seinem Bruder zu. „Badija ist dort hinten und hat unsere Namen gehört.“
„Ich weiß es.“
„Ah! Woher? Kein Mensch hat sie gesehen.“
„Ihr seid doch gesehen und gehört worden.“
Tarik wollte fragen, von wem, aber da ließ sich Falehd abermals vernehmen:
„Er wird seinem Bruder in die Hölle nachfolgen, wo sie heulen und wimmern werden in alle Ewigkeit! Frage weiter, Muezzin, ob sich wohl ein dritter finden wird, der so wahnsinnig ist, mit mir zu kämpfen!“
Eine solche Szene hatte es bei den Beni Sallah noch nie gegeben. Selbst der Ausrufer war unterbrochen worden, ein höchst sündhaftes Beginnen in den Augen dieser einfachen und frommen Menschen. Aber er hatte Falehds Aufforderung gehört und rief abermals von oben herab:
„Es ertöne nun zum dritten Mal die Frage: Gibt es noch einen, der mit ihm kämpfen will?“
Die Hörer waren überzeugt, daß sich nun niemand mehr melden werde und gaben die Brüder verloren. Welch ein dritter hätte es wohl unternehmen wollen, ihrem Beispiel zu folgen! Aber man hatte sich da doch geirrt.
„Ja!“ erscholl es nämlich in diesem Augenblick laut und kräftig, ohne daß man sagen konnte, aus welcher Gegend.
Man horchte nach allen Richtungen, vergebens.
„Wer war das?“ fragte Tarik.
„Du wirst es hören“, antwortete Hilal.
„Ah, du weißt es?“
„Ja, horch!“
„Wer bist du? Wie nennst du dich?“ rief der Muezzin, dem es kalt über den Rücken lief, denn es kam ihm vor, als sei die Stimme aus dem Himmel herabgedrungen.
„Ich bin Masr-Effendi, den noch keiner besiegt hat.“
Masr-Effendi heißt bei den Arabern das Land Ägypten. Den Namen Masr-Effendi hatte noch niemand gehört.
„Wir kennen dich nicht, und wir sehen dich nicht“, rief der Muezzin. „Wo bist du?“
„Hier!“
In diesem Augenblick stieg zischend ein Feuerstrahl aus den Ruinen empor und bildete hoch über denselben einen farbigen Flammenkranz, aus dem leuchtende Kugeln schossen. Dadurch wurde das ganze Lager taghell erleuchtet, und man sah oben auf der Zinne des Gesteines eine hohe, breitschultrige Gestalt stehen, in der einen Hand das Gewehr und in der anderen das Messer wie drohend ausstrecken. Dann verloschen die Flammen und Kugeln, so daß es wieder dunkel wurde, scheinbar dunkler, als es vorher gewesen war.
„O Allah! Allah! O Mohammed! O du Prophet!“
Diese und andere Ausrufe erschollen im Lager. Der Muezzin aber warf sein Brett von den Ruinen herab, schleuderte demselben den Hammer nach, sprang dann selbst mit solcher Eile von Stein zu Stein herunter, als ob er sich mit Gewalt den Hals brechen wollte, und schrie dabei aus vollem Halse:
„Hilfe! Hilfe! Der böse Dschin! Der böse Geist der Ruinen ist's gewesen. Eilt, ihr Gläubigen! Flieht, ihr Helden! Bringt euch in Sicherheit, ihr Väter, euch, eure Frauen und Töchter, eure Söhne und Kinder und Enkel und Enkelkinder!“
Er sauste förmlich an Tarik und Hilal vorüber und schoß der Treppe zu. Dort stürzte er über einen der Wächter weg und fuhr dann auf der hinteren Hälfte seines Körpers wie ein Schlitten die Stufen hinab. Unten angekommen, raffte er sich aber augenblicklich wieder empor und sprang mit langen Schritten immer weiter, dabei rufend:
„Fort, fort! Die Hölle ist geöffnet, und die bösen Geister strömen heraus wie die Heuschrecken zur Zeit ihrer Wanderschaft! Keiner kann ihnen entgehen, wenn er sich nicht augenblicklich in Sicherheit bringt!“
Er rannte mitten in die Versammlung der Ältesten, die noch ganz erstarrt standen, hinein und versuchte mittels Püffen und Ellbogenstößen durchzudringen. Da aber packte ihn Falehd mit kräftigen Armen und rief:
„Halt! War das wirklich ein böser Dschin, so mußt du bleiben, denn nur du kannst ihn bannen, da du allein ein Kenner des Korans bist!“
Das so wunderbare Ereignis, das eine so gewaltige Aufregung im Lager der Beni Sallah hervorgerufen hatte, war eigentlich sehr leicht zu erklären. Steinbach war mit ausgezeichneten Reitkamelen versehen worden, und da er, Normann, Hilal und Hiluja vorher die Dampfjacht des Lords benutzt hatten, so war ihre Reise mit außergewöhnlicher Schnelligkeit vonstatten gegangen.
Hilal hatte natürlich den Führer gemacht. Während der größten Hitze des heutigen Tages hatten sie geruht, sonst wären sie ganz sicher auf Ibrahim Pascha und Zykyma gestoßen, deren Spuren sie schon längst bemerkt hatten, ohne zu ahnen, wer vor ihnen ritt.
Sie brachen erst wieder auf, als die Sonne drei Viertel ihres Bogens zurückgelegt hatte. Darum kamen sie erst nach angebrochener Dunkelheit in der Nähe des Lagers an.
Da erklangen die drei Schläge des Ausrufers von der Gegend her, in der das letztere lag.
„Was ist das?“ fragte Normann.
„Der Muezzin jedenfalls“, antwortete Steinbach. „Unerklärlich ist mir freilich, daß er jetzt das Zeichen gibt. Die Zeit des Gebetes bei Sonnenuntergang ist ja vorüber. Wollen einmal Hilal fragen.“
Dieser erklärte ihnen:
„Das ist nicht das Zeichen des Gebetes, sondern das ist der Aufruf zur Versammlung der Ältesten. Jetzt wird man entscheiden, ob die Beni Sallah Freunde oder Feinde des Paschas von Ägypten sein sollen.“
„Ah! Wer dabei sein könnte!“
„Und ebenso wird über die Königin entschieden werden. Sie wird Falehd zugesprochen, und der Muezzin wird dies später verkündigen und dabei fragen, ob jemand mit Falehd um sie kämpfen will.“
„Wird sich jemand melden?“
„Keiner außer Tarik, meinem Bruder.“
Während der mehrtägigen Reise hatte Hilal so viel von den Beni Sallah und ihrem Lager erzählt, daß seine Begleiter die Verhältnisse nun sehr genau kannten. Darum sagte Steinbach:
„Dein Bruder wird aber unterliegen!“
„Ich befürchte es. Allah sei Dank, daß wir noch zur rechten Zeit kommen. Auch ich werde mich melden.“
„Gut! Ich auch.“
„Du?“ fragte Hilal verwundert.
„Ja“, antwortete Steinbach. „Ich bin doch begierig zu erfahren, ob dieser Falehd wirklich so ein Held und Riese ist. Aber was ist das für ein hoher, dunkler Gegenstand, der da vor uns emporsteigt?“
„Das ist die Ruine, von der ich euch erzählt habe.“
„Und wer kommt da?“
„Jedenfalls ein Wächter des Lagers. Dazu werden Jünglinge genommen, die noch nicht alt und stark genug zum Kampf sind. Sie haben während der Nacht das Lager zu umstreichen, damit dasselbe nicht plötzlich überfallen werde. Ich will ihm ein Zeichen geben.“
Hilal hielt sein Kamel an und ließ einen halblauten Pfiff hören. Der Wächter erkannte ihn sogleich an demselben als einen Angehörigen des Stammes und kam herbei.
„Wer seid ihr?“ fragte er an dem hochrückigen Kamel hinauf.
„Ich bin es, Hilal. Wie geht es im Lager?“
„Es ist alles in Ordnung, Bringst du Gäste?“
„Ja. Ich hörte das Zeichen des Muezzin. Was wird von den Ältesten beraten?“
„Ich weiß es nicht genau. Aber es ist vorgestern ein Pascha der Russen gekommen, und heute kam auch ein Pascha des Großsultans.“
„Kennst du seinen Namen?“ fragte Steinbach rasch.
„Nein.“
„Welche Begleitung hatte der letztere Pascha?“
„Er kam nur mit seinem Weib und einem Diener.“
„Wo wohnen die beiden Paschas?“ fragte Hilal.
„In den Gastzelten am großen Platz. Der andere, der Russe, ist allein gekommen. Man wird wohl über den Pascha von Ägypten beraten, und sodann wird Falehd die Königin begehren.“
Steinbachs Aufmerksamkeit war im höchsten Grad erregt. Ein russischer und ein türkischer Pascha, letzterer mit Weib und Diener! Sollte es Ibrahim Pascha mit Zykyma und dem braven Arabadschi sein? Das war doch kaum denkbar. Was wollte denn Ibrahim bei den Sallah-Beduinen?
Er beriet sich daher leise und kurz mit Normann und sagte dann zu Hilal:
„Ist es nicht vielleicht möglich, in das Lager zu kommen, ohne großes Aufsehen zu erregen?“
„Es ist möglich. Warum wünscht du das?“
„Ich glaube, daß einer der beiden Paschas ein Mann ist, den ich suche, und der mir entfliehen würde, wenn er mich bemerkt, ohne daß ich ihn sofort sehe.“
„Er ist ein Gast des Lagers. Du wirst ihm nichts Böses tun dürfen.“
„Das weiß ich sehr wohl. Ich habe auch nicht die Absicht, ihm Böses zuzufügen, solange er sich in eurem Lager befindet; aber ich wünsche nicht, daß er dieses Lager ohne mein Wissen wieder verläßt. Kommen wir jetzt mit unseren Reit- und Packtieren an, so erregen wir großes Aufsehen, und der Mann kann meiner gewahr werden, ehe ich ihn bemerke. Dann flieht er sicherlich. Könnte ich aber heimlich …“
„Es geht, es geht!“ fiel Hilal ein. „Steigt nur ab, ich werde euch führen. Unsere Tiere mögen sich hier legen, bis wir sie holen. Dieser Wächter wird mit unseren Fellahs bei ihnen bleiben.“
Steinbach hatte nämlich mehrere Fellahs gemietet, die zur Bedienung unumgänglich nötig waren. Er stieg jetzt mit Normann, Hilal und Hiluja ab.
„Wie freue ich mich, daß ich zur rechten Zeit komme, um auf die Aufforderung zum Kampf antworten zu können!“ wiederholte Hilal. „Man ahnt gar nicht, daß ich wieder da bin, und wird sich wundern, wenn ich plötzlich von der Ruine herab antworte!“
„Wie ist das möglich? Und was hat es mit der Aufforderung für eine Bewandtnis?“ fragte Steinbach.
Hilal beschrieb dem Frager, wie es dabei zuzugehen pflegt. Da meinte Steinbach lächelnd:
„Sie werden sich noch mehr als über deine Antwort darüber wundern, daß sich ganz unerwartet zwei zum Kampf melden. Und da kommt mir ein Gedanke. Wenn wir uns auf eine ungewöhnliche Art und Weise einführen, wird man doppelten Respekt haben. Der Khedive hat uns zu den Gewehren und der Munition, die als Geschenk für den Stamm bestimmt sind, einiges Feuerwerk mitgegeben. Wie wäre es, wenn wir uns unter dem Licht eines Schwärmers, einer Rakete oder verschiedener Leuchtkugeln präsentierten?“
„Ah, das ist nicht übel! Nehmen wir also so etwas mit!“
Dies geschah. Als dann Steinbach meinte, daß Hiluja wohl bei den Kamelen zurückbleiben müsse, sagte Hilal:
„Nein. Sie geht mit uns. Das gibt eine sehr große Überraschung für die Königin. Diese wird in der Versammlung erscheinen und also nicht in ihrer Wohnung sein. Dorthin bringen wir Hiluja. Wenn die Königin zurückkehrt, findet sie ihre Schwester.“
Nachdem die Zurückbleibenden gehörig instruiert worden waren, setzten sich die drei Männer mit der Araberin in Bewegung. Letztere zitterte förmlich vor Freude, nun endlich die Schwester zu sehen.
Sie schlugen einen Bogen um das Lager herum bis dahin, wo die Zelte nicht mehr nahe beisammenstanden, und gelangten ganz unbemerkt bis an den Fuß des festungsartigen Gebäudes.
„Hier ist der Stein, der den geheimen, nur mir, Tarik und der Königin bekannten Eingang verbirgt“, sagte der Beduine, auf einen der Quader deutend, aus denen der untere Teil der Mauer bestand.
„Läßt er sich denn bewegen?“
„Nur von dem, der seinen Mechanismus kennt.“
Hilal kniete nieder und drückte an einer Seite des Steines, letzterer wich nach innen, und nun zeigte es sich, daß er nicht ein kubischer Quader, sondern eine verhältnismäßig dünne Platte war, die auf unsichtbaren Rollen zurückwich. Es öffnete sich vor ihnen ein schmaler und so hoher Gang, daß ein Mann aufrecht hindurchgehen konnte. Die Platte wurde zurückgeschoben, und die vier schritten langsam in den Gang hinein, Hilal voran, sie darauf aufmerksam machend, wie sie zu gehen hatten.
Sie waren noch nicht weit in gerader Linie vorgedrungen, so führte eine Treppe sie aufwärts. Oben angekommen, sahen sie dann beim Schein eines Wachshölzchens, daß ein Gang geradeaus, ein anderer nach links und eine Treppe weiter aufwärts führte.
„Ich bringe euch an einen Ort, in dessen Nähe sich gerade jetzt die Königin mit meinem Bruder befindet“, flüsterte Hilal seinen Begleitern zu. „Ihr müßt sehr leise auftreten, um nicht gehört zu werden, wenn ihr euch die Freude der Überraschung nicht verderben wollt. Kommt jetzt.“
Rasch folgten sie ihm hinaus, wo die Steinquadern wirr über- und durcheinander lagen.
„Da sitzen sie“, flüsterte er, nach rechts deutend. „Wirst du dich wirklich zum Kampf melden, wenn der Muezzin fragt?“
„Ja, ganz gewiß.“
„So tue es erst nach mir. Du bist der Fremde und wirst mir das Vorrecht lassen. Jetzt gehe ich, um Hiluja weiterzuführen.“
Die beiden Zurückbleibenden hatten dann Gelegenheit, Tariks Unterhaltung mit der Königin zu belauschen. Bald aber zog Steinbach Normann eine Strecke nach links hin mit sich fort, um von den Belauschten nicht selbst gehört zu werden, und sagte:
„Wissen Sie, lieber Freund, ich denke, wenn ich mich bei magischer Beleuchtung präsentieren will, so würde das am besten da oben auf der Spitze sein. Das macht Eindruck, weil die Leute hier nicht denken, daß man da hinaufzukommen vermag. Meinen Sie nicht auch?“
„Ja. Steigen wir also nach oben!“
„Nein, Sie müssen hier bleiben. Wollten wir die Raketen von oben abbrennen, so würde der Effekt verfehlt werden. Die Füllung darf nicht allzu hoch über mir platzen. Ich gehe also allein, und Sie bleiben zurück, um das Ding hier in Brand zu stecken.“
„Und wie finden wir uns dann wieder? Soll ich vielleicht hinaufkommen?“
„Nein, sondern ich komme herab. Das ist das beste. Also, passen Sie auf!“
Er ging, und Normann traf seine Vorkehrungen. So leise sie sich bewegt hatten, so waren sie doch von Tarik und der Königin gehört worden, nur hatten die beiden geglaubt, daß sich irgendwo ein Steinchen gelöst habe und herabgefallen sei.
Das Zündhölzchen in der Hand, wartete Normann. Er hörte die Töne des Hammers auf dem Brett, die erste und zweite Frage des Muezzins nebst den beiden darauffolgenden Antworten. Dann, als Steinbach oben auf der Höhe sein „Ich“ erschallen ließ, brannte er das Hölzchen an, und die feurige Garbe stieg gerade im geeignetsten Augenblicke empor. Als die Helligkeit verschwunden war, kam Steinbach herab.
„Nun, wie war es?“ fragte er. „Haben sie mich gesehen?“
„Gewiß. Der Anblick war für diese Leute wirklich ein unbeschreiblicher, ein gespenstischer. Man hielt Sie für den bösen Geist der Ruine.“
„Desto besser! So habe ich mich also in Achtung gesetzt. Was aber tun wir nun?“
„Wir müssen auf alle Fälle hier warten, bis Hilal uns holt. Wir kennen keinen Weg.“
Normann hatte das kaum gesagt, so hörten sie Schritte in dem Gang, und der Genannte erschien.
„Kommt zur Königin“, sagte er.
„Weiß sie alles?“
„Nein. Es geht so schnell, daß es zum Erklären keine Zeit gibt.“
Hilal hatte vorhin Hiluja in die Wohnung ihrer Schwester geleitet und war dann weitergegangen, um hinaus an die Treppe zu gelangen. Dort waren die auf den oberen Stufen sitzenden Wächter nicht wenig erstaunt, den abwesend Geglaubten so unerwartet hier mitten im Lager zu sehen, hatten aber auf seinen kurzen warnenden Zuruf hin ihrer Überraschung keinen lauten Ausdruck gegeben. Er hörte von ihnen, daß sein Bruder sich in der Nähe befinde, dieser kam auch sogleich herbeigeeilt.
Als dann die Feuergarbe emporstieg, klärte Hilal Tarik in kurzen Worten auf und war damit kaum fertig, als auch die Königin herbeikam.
„Hilal, du hier?“ fragte sie. „Wann kamst du?“
„Vor kurzem.“
„Was war das für ein Feuer und für ein Mann? O Allah, bin ich erschrocken! Weißt du es?“
„Ja. Es ist ein Gast, den ich bringe.“
„Masr-Effendi?“
„Er heißt anders. Er hat sich nur so genannt, weil dieser Name ihm augenblicklich eingefallen ist, und wohl auch, um anzudeuten, daß er ein Freund Ägyptens ist.“
„Will er wirklich kämpfen?“
„Ja. Und das ist gut. Das Feuer hat dich erschreckt? Es ist Pulver und Farbe, weiter nichts.“
„Ist dieser Mann noch oben?“
„Ja. Ich werde ihn holen. Befinden sich der russische und der türkische Pascha noch hier?“
„Sie sind unten. Sie haben an der Beratung teilgenommen. Warum fragst du?“
„Das werdet ihr später hören. Es ist jetzt zu langen Erzählungen keine Zeit. Tarik mag hinuntergehen und aufpassen, daß diese Paschas nicht entfliehen.“
„Entfliehen?“ fragte Tarik erstaunt.
„Ja. Frage nicht, sondern gehe.“
Tarik gehorchte, und Hilal führte die Königin in ihre Wohnung. Er hatte Hiluja in dem hintersten Gemach gelassen. Sie aber war von der Neugierde getrieben worden, weiterzugehen. So kam es, daß sie gerade dann in das vordere Gemach trat, als die Königin von drüben hereinkam. Letztere blieb stehen, fast starr vor Überraschung.
„Allah, Allah! Hi – Hi – Hiluja!“ stotterte sie, mit weitaufgerissenen Augen die Schwester betrachtend.
„Badija! Endlich, endlich bin ich bei dir!“
Hiluja breitete die Arme aus, stürzte auf die Schwester zu und zog sie stürmisch an sich.
„O Gott, o Gott! Wirklich, wirklich?“ stammelte die Königin. „Du bist es, du?“
„Ja, ja! Siehst du es denn nicht? Fühlst du meine Küsse nicht?“
„Wirklich, wirklich?“
„Ja! Glaube es doch!“
Jetzt erst verschwand der Zweifel. Badija stieß einen lauten Jubelschrei aus und riß nun ihrerseits die Schwester an sich. Beider Entzücken machte sich in lautem Weinen Luft. Sie gaben sich unter Schluchzen die süßesten Kosenamen und umarmten sich immer wieder, um sich von neuem zu trennen und mit leuchtenden Augen zu betrachten.