ZWEITES KAPITEL

Hilal, der Beduine

Die an beiden Ufern des Nils gelegene Hauptstadt von Ägypten, die bei uns fälschlicherweise Kairo genannt wird, heißt eigentlich Kahira, das ist die Siegreiche. Und diesen Namen verdient sie mit vollem Rechte.

Siegreich hat sie sich durch Jahrhunderte erhalten, und siegreich steht sie noch heute an der Grenze zweier gewaltiger Erdteile. Noch bis vor kurzem war sie der Typus echt orientalischer Eigentümlichkeit, doch seit ungefähr fünfzehn Jahren beginnt sie leider, sich in mehr abendländische Gewänder zu hüllen.

Die Franzosen und Engländer sind gekommen, ihr den Hof zu machen, und seitdem besitzt sie ganze Stadtteile, die ein europäisches Aussehen haben. Nur in den alten arabischen Vierteln findet man noch ein Gewirr von engen Gäßchen, die sehr oft sackartig enden und dabei so schmal sind, daß man sich aus den gegenüberliegenden Erkern die Hände reichen oder von dem einen platten Dache auf das andere hinüberspringen kann.

Wer hier den Orient kennenlernen will mit all seinen Vorzügen und Mängeln, der muß sich in ein Haus irgendeiner solchen Gasse einquartieren.

Das hatten jedenfalls auch die beiden Männer gedacht, die sich kurze Zeit nach den geschilderten Ereignissen in einem Raum gegenüber saßen, der eher den Namen eines Loches als den einer Stube verdiente.

Diese Wohnung hatte weder Tisch noch Stuhl, weder Sofa noch Bett, weder Spiegel noch sonst etwas Ähnliches. Die beiden Männer saßen mit untergeschlagenen Beinen auf Strohmatten, die sich gegenüber lagen. Licht erhielt der Raum nur durch ein kleines Loch in der Wand und durch eine schmale Treppe, die hinauf auf das platte Dach führte und nicht verschlossen war.

Der eine war sehr lang und hager. Zu seinem sehr ausgeprägten Gesicht wollte das kleine Stumpfnäschen gar nicht passen, das die Caprice hatte, sich mit dem Aussehen einer runden Kastanie gerade in die Mitte des Gesichtes zu postieren. Er trug einen riesigen Turban, einen langen blauen Kaftan und Pantoffeln an den nackten Füßen. Sollte man meinen, daß dieser Mann der ehrenwerte Lord Eaglenest sei?

Der andere war mehr untersetzt und außerordentlich kräftig gebaut. Er hatte Hände, mit denen man vielleicht einen Elefanten hätte erschlagen können, und trug genau dieselbe Kleidung wie der Lord. Dieser Mann war Mister Smith, der ehrenhafte Steuermann der Jacht.

Mister Smith hatte sich in Konstantinopel ein arabisches Wörterverzeichnis gekauft und dasselbe während der Fahrt nach Tunis und auch später so fleißig in Gebrauch genommen, daß er bereits einige hundert arabische Wörter verstand.

Das hatte der Lord in Erfahrung gebracht. In Kahira angekommen, hatte er sich schleunigst etwas Ähnliches gekauft, sich hier in einem echt arabischen Haus eingemietet, und nun saßen sie beisammen, der Steuermann als Lehrer und der Lord als Schüler, um auch das zu lernen, was ersterer bereits gelernt hatte. Leider aber war der gute Lord kein sprachliches Genie. Eben jetzt fragte er den Seemann:

„Schmeckt heute dein Gurab?“

„Gurab? Was meinen Eure Lordschaft?“

„Na, das Priemchen, von dem ich dir ein Pfund gekauft habe.“

„Priemchen heißt Girab. Gurab aber heißt ein lederner Sack. Sie haben mich also gefragt, ob mir heute mein Ledersack schmeckt.“

„Das ist dumm. Ich glaube, ich bin ein bißchen gofer.“

„Gofer? Hm!“

„Ist auch das dumm?“

„Gofer ist eine Kamelkrankheit, etwas Ähnliches, wie es bei den Pferden der Dampf ist. Sie meinen also, daß Eure Lordschaft dämpfig sind.“

„Pfui Teufel! Ich meinte vergeßlich.“

„Das heißt nicht gofer, sondern goser.“

„Der Teufel mag sich diese Unterschiede merken. Aber horch, da singt sie wieder!“

Man hörte in der Tat jetzt eine weibliche Stimme, die folgende Strophe, und zwar mit hoher Fistelstimme, sang:

„Fid-daghle ma tera jekun?
Ehammin hu Nabuliun
Ma balu-hu jedubb hena?
Kussu-hu, ja fitjanena.“

Dann hörte die Sängerin auf. Der Lord brummte:

„Diese Melodie ist mir bekannt.“

„Mir auch. Es ist die Melodie zu dem deutschen Liede: ‚Was kraucht dort in dem Busch herum‘.“

„Ja, richtig! Hier singt eine Haremsdame das Kutschkelied in arabischer Sprache!“

„Ich muß nur einmal sehen, wo sie steckt!“ meinte der Lord und trat an das kleine Fensterloch.

„Da drüben ist es“, sagte er mit Sicherheit. „Vielleicht auf dem Dach. Wollen einmal die Treppe hinaufsteigen.“

Und kaum hatte er den Kopf mit dem riesigen Turban hinausgesteckt, so rief er entzückt:

„Ja, sie sitzt da drüben auf dem platten Dach.“

„Frau oder Mädchen?“

„Weiß nicht. Es ist eine Schwarze.“

„Alt oder jung?“

„Wohl jung. Bei den Negerinnen kann man das Alter nicht so genau erkennen. Aber fett ist sie, sehr fett! Alle Teufel! Jetzt blickt sie herüber!“

„Und sieht Sie, Mylord?“

„Natürlich!“

„Dann ist sie natürlich ausgerissen?“

„Fällt ihr nicht ein. Sie bleibt sitzen und guckt mich an –“

„Freundlich?“

„Sehr! Ich sehe alle Zähne.“

„Ah, die ist zahm.“

„Ja, sie scheint sehr kirre zu sein.“

„Was macht sie denn eigentlich da oben?“

„Ich weiß nicht. Sie heftelt an einem Tuch herum. Ich glaube, sie flickt. Höre, Smith, was heißt Liebe?“

„Mahabbe.“

Sofort flüsterte der Lord hinüber: „Mahabbe, mahabbe!“

„Was antwortet sie denn?“ fragte auf der halben Treppe neugierig der Steuermann.

„Sie nickt und lacht.“

Jetzt hörte der Steuermann ein eigentümliches Geräusch. Er erriet sogleich, was es war, fragte aber doch:

„Was tun Sie?“

„Ich gebe ihr ein paar Kußhändchen.“

„Und was antwortet sie?“

„Sie nickt und lacht wieder. Und horch! Sie sagte da soeben etwas herüber.“

„Was?“

„Ach, und jetzt tut sie verschämt und reißt aus; aber ich habe das Wort doch verstanden. Es hieß Asieje.“

„Das heißt Abend.“

„Donnerwetter! Steuermann, was meinst du?“

Bei dieser Frage kam der Lord die Treppe herabgestiegen.

„Hm!“ schmunzelte Mister Smith.

„Ja!“ schmunzelte auch der Lord. „Ich glaube, sie hat mich für den Abend bestellt.“

„Sicher.“

„Was sagst du dazu?“

„Na, eine Schwarze!“

„Aber immerhin eine Haremsfrau!“

„Nigger!“

„Kann aber das Kutschkelied singen. Dazu gehört doch politische und kriegerische Bildung. Man könnte ganz leicht hinüber. Die Gasse ist kaum zwei Meter breit. Man brauchte keine solchen Sprünge zu wagen, wie die des Mister Steinbach und Normann damals in das Boot hinüber. Wo sie nur stecken mögen! Welch eine Dummheit! Quartieren sich da in ein französisches Hotel ein! Die werden zeit ihres Lebens auch keine richtigen Araber. Unsereins bringt es schon weiter.“

„Ich denke, sie studieren gerade jetzt die Wüste.“

„Wieso?“

„Nun, sie haben sich doch verabschiedet, um die ‚Königin der Wüste‘ aufzusuchen.“

„Ach so! Aber auch nur Steinbach und Wallert. Dieser Normann aber ist zurückgeblieben mit seiner Tschita, um sie zu bewachen, damit sie ihm nicht wieder gestohlen werde. Na, übelnehmen kann ich es ihm nun zwar nicht. Was?“

„Nein, Eure Lordschaft!“

„Ja. Sie ist ein Mädchen wie ein Blümchen. Man möchte nur so immer daran riechen. Leider aber dürfen wir das nicht. Wollen also weiter Arabisch lernen und heute abend passen wir auf, ob unsere Schwarze kommt.“

„Wollen Eure Lordschaft wirklich hinüber?“

„Ja, ich möchte!“

„Aber bitte, ein Lord Englands und eine Niggerin!“

Der Lord war ein eigen gearteter Mann, von keinem anderen als dem Steuermann ließ er sich eine solche Vorstellung machen. Er antwortete daher ganz so, als ob er ihm Rechenschaft schuldig sei:

„Ja, siehst du, da drüben in dem Fensterloch habe ich so ein feines, schönes, weiches und weißes Frauenzimmerangesicht gesehen. Wer diese hübsche Lady ist, möchte ich wissen. Die Schwarze, ihre Dienerin, geht mich gar nichts an.“

„Aber wie wollen Sie das erfahren, Mylord?“

„Sehr einfach, indem ich eben mit der Schwarzen spreche. Ich frage sie nach ihrer Herrin.“

„Das können Sie nicht. Sie sind ja der arabischen Sprache gar nicht mächtig.“

„Oho!“ antwortete der Lord in stolzem Ton. „Ich habe sie doch von dir gelernt.“

„Von mir? Oh, da sind Sie freilich schlimm daran. Ich kann selbst nur wenig. Mein Schüler weiß also noch viel weniger. Nein, das geht nicht. Wenn Sie durchaus über die schöne Unbekannte etwas erfahren wollen, so müssen wir es anders anfangen.“

„Nun, wie denn?“

„Nicht Sie, sondern ich möchte mit der Schwarzen sprechen. Ich kann mich ihr noch eher verständlich machen.“

„Hm! Der Gedanke ist allerdings nicht schlecht.“

„Nicht wahr? Soll ich heute abend einmal hinüberspringen, wenn sie kommt?“

„Ja, wollen es auf diese Weise versuchen. Du wirst mir dann Bericht erstatten. Vielleicht gibt es eine Entführung, die besser gelingt, als es in Konstantinopel und Tunis der Fall war!“

Der gute Lord merkte gar nicht, daß er im Eifer des Gespräches seinen Steuermann bald Du und bald Sie nannte, aber er hatte ein schönes Mädchen gesehen, er dachte, daß da vielleicht eine Entführung zustande gebracht werden könne, und dieser Gedanke nahm ihn so in Beschlag, daß er für so kleine Äußerlichkeiten keine Aufmerksamkeit übrig hatte.

Der Tag verging, und es wurde Abend. Da stiegen die beiden Männer, Herr und Diener, die Treppe hinauf auf das platte Dach des Hauses und setzten sich dort auf Strohdecken nieder, um zu warten, ob die Negerin sich drüben einstellen werde.

Aber es dauerte lange, lange Zeit, und sie wollte immer noch nicht erscheinen. Schon war der Mond aufgegangen und warf sein magisches Silberlicht über die Straßen und Häuser Kairos. Die Gasse, die der Lord bewohnte, lag einsam, aber von fern her drang aus den belebteren Straßen der Stadt das Geräusch des Lebens, das bewies, daß die Bevölkerung sich noch nicht zur Ruhe begeben habe.

Das Haus war hoch, so daß die beiden Männer die Dächer der umliegenden Häuser, soweit der Mondschein dies erlaubte, zu überblicken vermochten. Kein Mensch war zu sehen. In diesem Viertel wohnten strenggläubige Mohammedaner, die zeitig ihr Lager aufsuchen, um bei dem ersten Gebet des Tages, das für die Zeit des Sonnenaufganges vorgeschrieben ist, wieder munter zu sein.

Dem Engländer wurde die Zeit lang. Er brummte verschiedene Male recht unmutig vor sich hin und meinte endlich:

„Sie scheint nicht zu kommen. Gehen wir wieder hinab!“

„Vielleicht ist es besser, wir warten noch, Mylord.“

„Ja, und holen uns eine Augenentzündung!“

„In dieser schönen Abendluft?“

„Gerade in dieser Luft. Sie scheint balsamisch zu sein, ist aber im höchsten Grad heimtückisch. Der Fremde hat sich hier in acht zu nehmen. Besonders soll er sich hüten, des Nachts außerhalb des Zimmers zu sein. Es hat da schon mancher sein Augenlicht verloren.“

„So werden wir überhaupt darauf verzichten müssen, mit der Schwarzen zu sprechen. Bei Tag kann dies nicht geschehen, und des Abends werden wir blind.“

„Na, so schlimm ist es gerade nicht, und – da! Siehst du etwas, he?“

„Ja.“

„Ich glaube, dort aus der Dachöffnung guckt ein schwarzer Kopf hervor. Das wird sie sein!“

„Sie ist es, ja, sie kommt herauf. Sehen Sie!“

Der schwarze Kopf drüben stieg höher, bald kam der Körper zum Vorschein, und jetzt hob sich die ganze Gestalt aus der Treppenöffnung auf das Dach. Die Schwarze sah sich vorsichtig um, blickte dann herüber und erkannte die beiden. Da kam sie näher herangeschritten, ganz bis an den Rand des Dachs.

„Soll ich?“ fragte der Steuermann leise.

„Natürlich!“

Nun stand ersterer auf, ging auch seinerseits bis an den Rand des Dachs und grüßte nach der Art der Mohammedaner:

„Sallam!“

„Sallam!“ antwortete sie. „Sprich leiser, damit kein Mensch es hört. Und laß dich nieder. Wenn wir so aufrecht stehen bleiben, können wir sehr leicht gesehen werden.“

„Soll ich nicht hinüberkommen?“

„Der Raum ist zu breit. Du wirst hinab auf die Gasse stürzen.“

„O nein. Tritt zurück. Ich komme!“

Damit holte er aus, und ein kühner Sprung brachte ihn an ihre Seite.

„So!“ lachte er leise. „Da bin ich. Nun können wir uns setzen und miteinander plaudern.“

„Komm!“ entgegnete sie darauf, ergriff ihn bei der Hand und führte ihn einige Schritte weiter, wo an der Westseite des Dachs ein geflochtener Schirm angebracht war, der dazu diente, die Bewohner des Hauses, wenn sie sich am Tag auf dem Dach befanden, vor dem glühenden, austrocknenden und oft mit einem staubartigen Sand geschwängerten Wüstenwind zu schützen.

Dort zog sie ihn neben sich nieder, betrachtete ihn zunächst ein Weilchen sehr aufmerksam und sagte dann:

„Wie groß und stark du bist, viel größer und stärker als die Bewohner dieses Landes. Wo bist du her?“

„Aus dem Land der Riesen.“

„Das muß wohl so sein, denn deine Hand ist viermal so groß wie die meinige. Was arbeitest du?“

„Ich schiebe die Schiffe über das Meer.“

„Ja, eine solche Körperkraft scheinst du allerdings zu haben. Was ist aber der andere, der noch da drüben sitzt?“

„Er ist der König der Riesen.“

„Haben die Riesenkönige so kleine Nasen?“

„Ja. Sobald ein Riesenkönig den Thron besteigt, muß er sich nach altem, heiligen Brauch die Spitze seiner Nase abbeißen. Erst dann, wenn er dieses Kunststück fertigbringt, ist er würdig, sein Land und sein Volk zu regieren.“

„O Allah! Was gibt es doch für wunderbare Völker!“

„Ihr selbst seid ja auch wunderbar.“

„Warum?“

„Weil Ihr eine so schwarze Haut habt.“

„Das ist doch nichts Wunderbares! Viel wunderlicher ist es, daß die Eurige so hell ist. Ich betrachte meine Herrin sehr oft im stillen, um zu sehen, woran es liegt, daß sie gar keine Farbe hat, aber ich kann die Ursache nicht finden.“

„Wer ist denn deine Herrin?“

„Sie ist eine sehr vornehme Sultana.“

„Und wer ist ihr Sultan?“

„Das habe ich mich schon sehr oft gefragt, aber ich finde keine Antwort darauf.“

„Nun, wenn sie eine Sultana ist, muß sie doch einen Sultan haben?“

„Du meinst, einen Herrn?“

„Einen Mann.“

„Das verstehe ich nicht. Bei uns gibt es nur Herren. Als sie in dieses Haus zog, war ihr Herr bei ihr. Jetzt aber ist er fort.“

„Wohin?“

„Das weiß ich nicht. Sie hat es mir nicht gesagt. Sie spricht gar nicht von ihm.“

„Du sagst, ‚als sie in dieses Haus zog‘, es gehört ihm also nicht?“

„Nein.“

„Ah, so ist er arm?“

„Nein, er ist vielmehr sehr reich. Er ist aber nicht von hier.“

„Kein Ägypter?“

„Nein, trotzdem er unsere Kleidung trägt. Beide verstehen die Sprache des Landes, aber wenn sie allein waren, so sprachen sie eine andere Sprache.“

„Welche?“

„Auch das weiß ich nicht. Ich glaube aber, daß es eine Sprache der Franken ist.“

„So ist sie vielleicht gar nicht Mohammedanerin?“

„Sie hält die Gebete des Islam nicht ein. Sie geht zwar nicht aus, und selbst wenn sie auf das Dach steigt, um die frische Luft zu genießen, so trägt sie den Schleier, aber sie betet nicht zu Allah.“

„Sie betet wohl gar nicht?“

„Oh, sie betet gar viel und oft. Sie weint sogar dazu und seufzt und faltet die Hände, als ob sie einen stillen Jammer im Herzen trage, und ruft dabei die Namen eines fremden Gottes an.“

„Welcher Gott mag das sein?“

„Oh, ich kenne seinen Namen. Sie hat sie so oft genannt, wenn sie glaubt, allein zu sein, daß es mir leicht geworden ist, sie mir zu merken, obgleich ich ähnliche Namen noch niemals gehört habe. Zuweilen nennt sie ihren Gott Oskar.“

„Oskar?“ fragte der Steuermann überrascht.

„Ja.“

„Da mußt du dich wohl verhört haben!“

„O nein. Ich habe diesen Namen sehr deutlich gehört. Dann faltet sie die Hände und ruft seufzend: O Oskar, mein lieber, lieber Oskar!“

„Sapperment! Und da meinst du, daß dies der Name ihres Gottes sei?“

„Natürlich! Sie faltet ja die Hände dabei, und das tut man doch nur, wenn man betet.“

„Ach so! Du bist wirklich ein sehr kluges Mädchen! Wie ist denn der andere Name dieses Gottes?“

„Steinbach.“

Der Steuermann wäre vor Überraschung fast von seinem Sitz aufgesprungen.

„Steinbach? Oskar Steinbach?“ fragte er erstaunt.

„Ja. Aber so sprich doch nicht so laut! Wenn man uns hört, so bin ich verloren.“

„Wieso?“

„Ich bin nur die Sklavin des Besitzers dieses Hauses. Ich habe die Fremde zu bedienen, solange sie bei uns wohnt, und darf mit keinem Menschen von ihr sprechen. Wenn mein Herr bemerkte, daß du hier auf dem Dach bei mir bist, so würde ich eine Strafe erhalten, die ich wohl nicht überleben könnte.“

„Oskar Steinbach! Wunderbar!“

„Nicht wahr, das ist ein Gott?“

„Nein, es gibt aber einen Menschen, der diesen Namen trägt.“

„Allah l' Allah! Also betet sie nicht!“

„Nein.“

„Warum aber faltet sie die Hände, wenn sie diesen Namen nennt? Warum seufzt sie dabei, wie man nur seufzt, wenn man zu Allah betet, daß er einen aus einer Gefahr erretten solle? Warum klagt sie? Warum weint sie? Warum jammert sie nach Befreiung?“

„Tut sie das denn?“

„Ja. Und das begreife ich nicht. Sie ist nicht etwa gefangen. Sie könnte ausgehen und wiederkommen, wann und sooft es ihr beliebt. Nur soll sie mich mitnehmen, und ich habe dann genau aufzumerken, mit wem sie spricht und was sie redet.“

„Wer hat dir das befohlen?“

„Mein Herr, und der hat diesen Befehl von dem Herrn der Fremden empfangen. Sie aber geht gar nicht fort. Wenn sie in ihrem Zimmer ist, und ich schlafe vor ihrer Tür, so höre ich, daß sie immer und fast während der ganzen Nacht ruhelos auf und ab geht und dabei die beiden Namen nennt. Sie spricht viel in einer Sprache, die ich nicht verstehe; aber sie redet auch arabisch, und da höre ich, daß sie um Rettung fleht.“

„Das ist sehr wunderbar, sehr geheimnisvoll! Ist sie gut gegen dich?“

„So gut, daß ich Ihr mein ganzes Herz geschenkt habe. Wenn ich sie retten könnte, würde ich es sofort tun, aber ich weiß doch gar nicht, aus welcher Gefahr sie errettet sein will.“

„Hast du nicht einmal danach gefragt?“

„Nein. Ich wollte wohl zuweilen, aber ich getraue es mich nicht. Sie ist eine Sultana, so schön, so licht, so herrlich, als ob sie aus Allahs höchstem Himmel herniedergestiegen sei. Woher soll ich da den Mut nehmen, von Dingen mit ihr zu sprechen, die sie mir verschweigt?“

„Weißt du, wie sie heißt?“

„Wir müssen sie Gökala nennen.“

„Gökala! Hm! Warte!“

Der Steuermann sann eine ganze Weile nach. Dieses schöne, geheimnisvolle Wesen nannte Steinbachs Namen. Es war unglücklich, es sehnte sich nach Rettung. Es mußte daher Steinbach kennen und sich in einer Lage befinden, aus der es befreit zu werden wünschte. So fragte er denn endlich weiter:

„Würdest du gern etwas tun, worüber sie Freude hat?“

„Ist es gefährlich für mich?“

„Ganz und gar nicht.“

„Was ist es?“

„Ich möchte mit Gökala sprechen.“

„Das ist unmöglich.“

„Warum?“

„Sie wird es nicht tun wollen. Was soll ich ihr auch sagen? Ich kann doch nicht verraten, daß ich hier oben mit dir eine heimliche Zusammenkunft gehabt habe. Sie würde mir über alle Maßen zürnen.“

„O nein, ganz und gar nicht. Sie würde dir vielmehr im höchsten Grad dankbar sein.“

„Denkst du das wirklich?“ fragte sie zweifelnd.

„Ganz gewiß! Was tut sie jetzt?“

„Sie befindet sich in ihrer Stube. Ich weiß nur, daß sie noch nicht schläft.“

„Und der Herr des Hauses und die anderen Bewohner desselben, was tun diese?“

„Sie schlafen.“

„Nun, da ist doch gar keine Gefahr dabei. Hast du vielleicht bereits einmal das Wort Deutschland gehört?“

„O ja. Man spricht in allen Harems von diesem Land. Die Bewohner desselben werden Deutsche genannt. Sie führten einst einen großen Krieg gegen den Kaiser der Franken; sie besiegten ihn in allen Schlachten und nahmen ihn sogar gefangen.“

„Gut! So gehe einmal hinab zu dieser Gökala und frage sie, ob Oskar Steinbach ein Deutscher sei. Ist er das, so sage ihr, daß ich ihn kenne und daß sie zu mir kommen solle, wenn sie Rettung wünscht.“

„Sie wird dies nicht tun.“

„Doch, sie wird kommen, darauf kannst du dich verlassen. Sage ihr nur auch, daß ich sogar in der Sprache der Deutschen mit ihr sprechen kann.“

„Ich möchte dies nicht gerne. Es ist zu gefährlich.“

„Es ist im Gegenteil gar keine Gefahr dabei. Ich werde dich doch nicht etwa verraten, und sie wird es auch nicht tun.“

„Aber sie wird dadurch erfahren, daß ich sie belauscht habe!“

„Nein. Wenn du vor ihrer Tür schläfst, mußt du ja hören, was sie spricht; dazu ist es gar nicht nötig, daß du die Lauscherin machst. Übrigens verlange ich dies nicht etwa umsonst.“

Das gab der Sache sofort eine andere Wendung. Eine schwarze Sklavin, die sich ein Bakschisch verdienen kann, läßt die Gelegenheit dazu gewiß nur vorübergehen, wenn die vollste Notwendigkeit des Verzichts vorliegt.

„Du willst mir etwas schenken?“ frage sie schnell.

„Ja.“

„Was? Geld?“

„Natürlich. Wieviel willst du?“

„Gib mir einen Piaster. Ich will mir schon seit langer Zeit eine goldene Nadel für mein Haar kaufen und habe doch kein Geld dazu.“

Der Steuermann lachte leise vor sich hin. Ein Piaster ist nicht ganz zwanzig Pfennige. Und für diese Summe wollte sie sich eine goldene Nadel kaufen! Das war natürlich im höchsten Grade spaßhaft, zumal sie es in solchem Ernst sagte. Er zog also ein Geldstück hervor, drückte es ihr in die Hand und sagte:

„Hier hast du fünf Piaster. Bist du zufrieden?“

„Fünf Pi –“

Das Wort blieb ihr im Mund stecken. Sie hatte in ihrem ganzen Leben nicht fünf Piaster als Eigentum besessen; ein einziger bildete bereits einen Reichtum für sie, die ja eine Sklavin war. Sie hielt daher das Geldstück gegen den Mond, so daß es in seinem Schein funkelte, und sagte:

„Fünf Piaster! Ist das dein Ernst?“

„Ja.“

„Herr, du mußt sehr reich sein!“

„Das bin ich freilich.“

„Sind alle Riesen so reich?“

„Alle! Wir haben so viele Piaster, wie in der Wüste Sandkörner liegen.“

„O Allah! Was seid ihr für glückliche Leute! Ich lasse mir dieses Geld wechseln, hänge einen Piaster an jedes Ohr, und für die drei übrigen kaufe ich mir Nadeln.“

„Dann wirst du so schön aussehen, daß alle jungen Männer dich zu ihrer Sultana begehren werden.“

„Meinst du?“

„Ja, denn du bist auch ohne Nadeln und Ohrgehänge ein sehr schönes Mädchen.“

„Gefalle ich dir wirklich? Nun, so will ich es auch wagen, für dich hinunter zur Herrin zu eilen.“

„Soll ich hier warten oder einstweilen wieder zu uns hinübergehen?“

„Warte lieber hier! Gleich aber werde ich wohl nicht zurückkehren, denn ich muß erst erforschen, was die Herrin für eine Laune hat.“

Damit stand die Negerin auf und stieg zur Treppe hinab. Diese war von Holz und sehr schmal, mehr eine Stiege als eine Treppe. Die Stufen führten nach einem engen, jetzt dunklen Gang. Aus diesem trat die Schwarze in eine Art Vorstübchen. An der Tür, die von da sich nach Gökalas Zimmer öffnete, blieb die Schwarze lauschend stehen. Ein leises, ununterbrochenes Geräusch sagte ihr, daß die Herrin noch nicht schlafe, sondern in dem Zimmer auf und ab gehe. Sie nahm nun allen ihren Mut zusammen und öffnete leise.

Die Stube, in die sie trat, war etwas größer als der Vorraum, nur weiß getüncht und ebenso einfach, fast ärmlich eingerichtet. In einem tönernen Leuchter brannte ein Licht.

Gökala, ja, sie, die in Konstantinopel die Freundin der Prinzessin Emineh gewesen war, bewohnte jetzt dieses armselige Lokal! Als sie das Öffnen der Tür hörte und die Schwarze erblickte, war sie erstaunt.

„Was willst du noch?“ fragte sie, doch keineswegs unfreundlich. „Wir haben uns doch bereits den Nachtgruß gegeben.“

„Zürne mir nicht, o Herrin!“ bat die Gefragte. „Ich bin gekommen, um dich nach dem Land der Riesen zu fragen. Kennst du es?“

„Das Land der Riesen? Nein.“

„Aber es gibt doch eins!“

„Es wird in vielen Märchen von diesem Land erzählt.“

„Oh, es ist kein Märchen. Es gibt wirklich ein Volk der Riesen, dessen König sich die Spitze der Nase abbeißen muß, wenn er den Thron besteigt.“

„Wirklich?“ fragte Gökala lächelnd. „Wer hat dir das gesagt?“

„Einer, der selbst ein solcher Riese ist.“

„Wo? Wohl im Traum?“

„O nein.“

„Kind, du hast doch geträumt!“

„Ich bin doch heute nicht schlafen gegangen!“

„Heute also hat er es dir gesagt?“

„Ja, soeben jetzt. Er redet die Sprache der Deutschen.“

Das versetzte Gökala in Erstaunen.

„Die Sprache der Deutschen?“ fragte sie schnell. „Was weißt und was verstehst du von dieser Sprache?“

„Gar nichts; aber ich soll dir sagen, daß er diese Sprache spricht. Und ich soll dich auch fragen, ob Oskar Steinbach zum Volk der Deutschen gehört.“

„Herrgott! Oskar Steinbach! Mädchen, was fällt dir ein! Was redest du?“

Gökala war zurückgewichen, dann aber schnell auf die Schwarze zugetreten, faßte sie bei den Schultern und blickte ihr erregt in das Gesicht.

„Ich dachte es mir, daß du mir zürnen würdest!“ klagte die Sklavin.

„Nein, nein, ich zürne dir nicht. Aber sage mir, was du meinst! Du nennst Steinbachs Namen. Was weißt du von ihm?“

„Ich habe ihn von dir gehört.“

„Von mir? Ich habe ihn dir nie genannt.“

„Nein. Aber wenn du denkst, daß ich draußen schlafe, so nennst du ihn immer und unaufhörlich.“

„Ah, so! Hast du davon auch zu dem Wirt gesprochen?“

„Kein Wort.“

„Tue es ja nicht; ich bitte dich darum! Aber Kind, Mädchen, woher weißt du, daß er ein Deutscher ist?“

„Ich sollte dich danach fragen. Der Riese gebot es mir.“

„Der Riese! Er existiert also nicht nur in deiner Phantasie und im Märchen. Wo ist er denn?“

„Droben auf dem Dache.“

„Allah! Was fällt dir ein! Ist etwa ein fremder Mann auf dem Dach?“

„Verzeihe, Herrin! Ja, er ist oben. Sage es aber meinem Herrn nicht; sonst schlägt er mich tot.“

„Was hast du getan!“

Gökala ergriff das Licht, leuchtete in das Vorzimmer und auch den Gang hinaus, um sich zu überzeugen, daß kein Lauscher vorhanden sei, und sagte dann, nachdem sie die Tür sorgfältig wieder geschlossen hatte, vorwurfsvoll:

„Warum hast du ihm das erlaubt?“

Die Schwarze befand sich in großer Angst. Sie antwortete, vor Furcht weinend:

„Ich habe dich so lieb. Ich wollte dich gern retten und konnte doch nicht.“

„Mich retten? Inwiefern habe ich denn Rettung nötig?“

„Du betest ja immer um Hilfe, wenn du denkst, daß ich schlafe. Da drüben in dem anderen Haus aber wohnen zwei Riesen; der eine ist der König mit der halben Nase, und Riesen sind so stark und mächtig, und ich dachte, sie könnten dich retten, und als mir der König heute am Tag winkte, erlaubte ich ihm des Abends auf das Dach herüberzukommen.“

„Was hast du da getan? Ich glaube gar, du hast zu ihm von mir gesprochen?“

„Es ist ja nicht der König, sondern nur sein Diener. Es ist ein so guter Herr. Siehe, was er mir gegeben hat!“

Und nun erzählte die Schwarze ausführlich, was zwischen ihr und dem Steuermann gesprochen worden war. Dann kniete sie vor Gökala nieder, um sich deren Verzeihung zu erbitten. Diese aber gebot ihr, aufzustehen und sagte:

„Ja, ja, jetzt begreife ich dich vollständig. Ich gehe hinauf, aber du wirst niemals zu irgendeinem Menschen auch nur ein Wort davon sprechen!“

„Nie, o Herrin! Ich schwöre es dir!“

„Gut! Geh jetzt vor an die Treppe, die nach unten führt, und halte Wache, daß ich nicht überrascht werde!“

Die Sklavin gehorchte, und Gökala stieg hinauf nach dem Dach. Als der Steuermann ihre hohe, weißgekleidete Gestalt erblickte, erhob er sich schnell von seinem Sitz. Sie aber winkte und sagte:

„Bleib sitzen, Fremdling. Auch ich muß mich zu dir setzen, damit man uns nicht bemerkt. Wer ist der Mann, der da drüben sitzt?“

„Mein Herr.“

„Der König der Riesen?“

„Oh, das war nur ein Scherz, den ich mir mit der Schwarzen machte. – Aber das Arabische ist mir nicht sehr geläufig. Wollen wir uns nicht in einer anderen Sprache bedienen?“

„Welcher? Vielleicht der deutschen?“

„Sehr gern! Also wirklich! Sie sprechen deutsch?“

„Ja“, antwortete sie. „Ich war im höchsten Grad erstaunt oder vielmehr betroffen, als ich von der Dienerin hörte, daß ein Mann, den sie einen Riesen nannte, sich auf dem Dach befinde und mich zu sprechen begehre.“

„Verzeihung, Mylady! Das ist eine sehr eigentümliche Geschichte. Wir wohnen da drüben. Heute sahen wir Ihre Schwarze und machten ihr zum Scherz einige Pantomimen. Dann fragte sie mein Herr, ob sie heute abend ein bißchen auf das Dach kommen wolle, und sie sagte zu. So oder ähnlich war es. Sie kam herauf, und ich sprang zu ihr herüber, sprach mit ihr von der Herrin, also von Ihnen, und nun erzählte sie mir schließlich, daß Sie, wenn Sie sich allein wähnen, zu einem Gott beten, der zwei fremde Namen habe, nämlich Oskar und Steinbach.“

Gökala fühlte sich ein wenig verlegen. Dieser Mann dachte sich gewiß das Richtige; aber sie ließ sich von dieser Verlegenheit nichts merken, sondern fragte unbefangen:

„Sind Ihnen vielleicht diese beiden Namen bekannt?“

„Sogar sehr gut, Mylady.“

„Woher?“

„Der Herr, der so heißt, hat sich in den letzten Wochen in unserer Gesellschaft befunden.“

„Was ist der Herr, von dem Sie sprechen?“

„Hm! Das weiß ich freilich nicht so recht. Er scheint trotz des einfachen Namens etwas Großes und Vornehmes zu sein, da der Bei von Tunis –“

„Tunis?“ fiel sie schnell ein. „Er war in Tunis?“

„Ja.“

„Ah, das stimmt! Er hatte das seinem Schreiber telegraphiert. Und wo war er vorher?“

„In Konstantinopel!“

„Stimmt, stimmt!“

Gökala sagte das vor Freude so laut, daß der Steuermann sich veranlaßt fühlte, zu warnen:

„Bitte, bitte Mylady, wollen wir nicht ein wenig leiser sprechen?“

„Sie haben recht. Aber ich freue mich so unendlich, zu hören, daß er wirklich noch lebt.“

„Na, tot ist er allerdings nicht. Freilich war er in Konstantinopel sehr nahe daran, aus dieser Zeitlichkeit ab- und in die Ewigkeit hinüberzusegeln.“

„Wieso?“

„Man hatte ihn in das Wasser gestürzt.“

„Wie? Das wissen Sie?“

„Na, wir sind es ja, die ihn herausgefischt haben!“

„Sie, Sie also! Er lebt! Er lebt wirklich! Gott sei Dank, tausend, tausend Dank! Sie bringen mir da eine Botschaft von unendlichem Wert, Herr – aber ich weiß noch gar nicht, wie ich Sie nennen soll.“

„Sagen Sie Smith, Mister Smith!“

„So sind Sie Engländer?“

„Ja.“

„Und Ihre Eigenschaft?“

„Ich bin Steuermann.“

„So ist der Herr da drüben wohl Ihr Kapitän?“

„Nein, sondern vielmehr mein Reeder, der Besitzer unserer Jacht, Lord Eaglenest.“

„Ein Lord! Ah so! Und ist Herr Steinbach noch in Tunis?“

„Nein, sondern in Ägypten.“

„Bereits? Ich wußte allerdings, daß er die Absicht hatte, hierherzukommen.“

„Er ist mit unserer Jacht gelandet. Sie liegt unten im Nilhafen und wartet auf weitere Order.“

„Und Herr Steinbach ist auch in Kairo?“

„Nicht augenblicklich, er ist vielmehr für einige Zeit verreist.“

„Wohin?“

„Zur Königin der Wüste.“

„Diesen Namen habe ich noch nicht gehört. Aus dem, was Sie sagen, schließe ich, daß er wohl mit dem Lord einigermaßen befreundet ist?“

„Befreundet? Na, sogar sehr dicke Freunde sind diese beiden. Wollen Sie mit Mylord sprechen?“

„Ja. Wird er herüberkommen können?“

„Besser als ich. Seine Beine sind ganz geeignet dazu. Ich werde ihn schicken, Mylady.“

Der Steuermann verließ Gökala und sprang auf das jenseitige Dach zurück. Dort saß der Lord noch immer. Die Zeit war ihm sehr lang geworden. Darum sagte er jetzt, tief aufseufzend:

„Endlich, endlich! Mensch, was fällt dir ein, mich hier eine solche Ewigkeit sitzen zu lassen!“

„Es ging nicht anders, Mylord!“

„Wie? Was? Es ging nicht anders? Erst scharmierst du mit der Schwarzen, und nachher poussierst du die Weiße, während ich hier sitze und mir das Wasser im Mund zusammenlaufen lassen muß, daß es tropft wie aus einer Dachrinne! Du sollst die neunschwänzige Katze bekommen, und wie!“

„Bitte, Mylord! Vom Poussieren ist gar keine Rede. Denken Sie sich, die Dame da drüben ist eine gute Bekannte von Mister Steinbach! Sie hat mich nach ihm gefragt. Und nun soll ich Sie hinüberschicken. Sie wünscht mit Ihnen zu sprechen.“

„Sapperment! So sag wenigstens, ob sie hübsch ist!“

„Hübsch! Donnerwetter! Was heißt hübsch! Hübsch ist tausendmal zu wenig! Schön sieht sie aus, wunderschön. Sie ist ein Bild, ein Engel, eine Fee! Wenigstens nach meinem Geschmack, Mylord! Sie ist außerdem unverschleiert, und der Mond scheint ihr ins Gesicht. Das ist ein Gesicht! Wie Watte und Sirup!“

„Dummer Vergleich!“

„Na, Watte ist weiß und Sirup ist rot!“

„So sagt man doch lieber: wie Milch und Blut!“

„Blut klingt zu mörderisch!“

„Meinetwegen! Also schön ist sie, sehr schön! Verteufelt, verteufelt! Hat sie einen Mann?“

„Ich glaube nicht. Sie scheint noch ledig zu sein, hat aber einen, der auf sie aufpaßt.“

„So ist er eifersüchtig. Ah, die wird entführt, so gewiß, wie ich Eaglenest heiße! Endlich, endlich wird es einmal Ernst! Na, die lasse ich mir nicht wieder entgehen, wenn ich sie einmal festhabe. Ich gehe jetzt.“

Darauf sprang der Lord hinüber.

So ganz zuversichtlich, wie er dem Steuermann gegenüber tat, war ihm aber doch nicht zumute. Und ein gar eigentümliches Gefühl beschlich ihn, als er jetzt eine halblaute, sonore und höfliche Stimme in deutscher Sprache hörte:

„Willkommen, Mylord! Nehmen Sie hier neben mir Platz, und verzeihen Sie mir, daß ich recht gern von unserem beiderseitigen Bekannten Herrn Steinbach etwas hören möchte. Ihre Gegenwart ist mir natürlich erwünschter als diejenige Ihres Steuermanns.“

Das war das reinste, schönste Deutsch; aber eine Deutsche entführt man doch nicht aus dem Harem!

„Himmelsapperment!“ entfuhr es ihm daher.

„Wie meinten Sie?“ fragte sie lächelnd.

„Entschuldigung, Fräulein! Ich fluchte ein bißchen.“

„Fast schien es so! Darf ich vielleicht erfahren, was Sie so sehr in Zorn versetzt?“

„Na, Zorn ist es eigentlich nicht, sondern es ist so etwas wie Ärger oder Enttäuschung.“

„Sind Sie von mir oder über mich enttäuscht?“

„Es scheint so.“

„Es scheint nur so? Sie müssen es doch genau wissen. In welcher Beziehung enttäusche ich Sie denn?“

„In bezug auf die Entführung.“

„Ich verstehe Sie nicht.“

„Nicht? Na, so will ich Ihnen aufrichtig sagen, daß ich die Absicht hatte, Sie zu entführen.“

„Sie scherzen.“

„Es ist mein vollster Ernst, Fräulein.“

„Dann tut es mir leid, daß ich nicht zu denen gehöre, mit denen sich eine solche Absicht verwirklichen läßt.“

„Also nicht! Hm! Ich bin doch zum Pech geboren! In Konstantinopel hatte ich eine beinahe fest, ich war schon im Garten, da aber schaffte man sie mir weg. In Tunis war ich mit zweien bereits aus der Stadt heraus, da wurden sie mir wieder abgejagt. Und hier ist es gar noch schlimmer. Sie sagen es mir gleich in das Gesicht, daß Sie sich nicht entführen lassen.“

„Es schmerzt mich, Ihnen diese Betrübnis nicht ersparen zu können.“

„Na, gar so sehr groß ist die Betrübnis doch nicht. Wenn Sie es nicht sind, so ist es eben eine andere; aber entführt wird eine, und wenn sie hier in Kairo angenagelt oder mit Goldlack angesiegelt wäre! Ich habe mir das einmal vorgenommen, und so wird es also auch ins Werk gesetzt.“

„Wie ich sehe, sind Sie nicht untröstlich. Das beruhigt mich außerordentlich. Ich sorgte mich bereits, Ihnen mißfallen zu haben.“

Der Lord war inzwischen Gökalas Aufforderung nachgekommen und hatte sich neben ihr an dem Schirm niedergesetzt. Jetzt blickte er ihr forschend in das Gesicht. Die Art und Weise, in der sie sich ausdrückte, war gar nicht diejenige einer Morgenländerin. Es war ihm vielmehr, als ob er mit einer englischen oder französischen Hofdame sich in Konversation befinde, so sicher sprach sie mit ihm. Und doch erblickte er bei dem magischen Scheine des Mondes ein Gesicht, das allen Schönheitszauber des ganzen Orients in sich vereinigte. Er war daher so hingerissen, daß er sich vollständig vergaß und anstatt der erwarteten Antwort hervorstieß:

„Alle Teufel, das wäre aber eine!“

„Wer? Was?“ fragte sie verwundert.

„Wer? Sie natürlich! Ah, Sapperment! Entschuldigen Sie, Mylady! Aber Sie sind faktisch von einer solchen Schönheit, daß unsereiner sich und die ganze Welt vergessen könnte!“

„Sie haben eine eigene Art, sich einzuführen!“

„Einführen? Pah! Entführen möchte ich, und zwar Sie! Aber ich habe da in Deutschland ein Lied singen hören, dessen letzte Zeilen oder vielmehr dessen Refrain lauten:

‚Behüt' dich Gott, es wär' so schön gewesen,
Behüt' dich Gott, es hat nicht sollen sein!‘

Und so muß ich jetzt bei Ihnen denken. Wenn Sie mitgemacht hätten, auf meiner Jacht, den Nil hinab, ins Meer hinaus, weiter und immer weiter –“

„Bis wohin?“

„Nach London.“

„Und wohin dort?“

„In den Travellers Club. Ich hätte doch sagen können, daß ich eine Dame aus dem Harem entführt habe, geradeso, wie es in Mozarts Oper vorkommt.“

Da stieß sie ein leises und melodisch klingendes Lachen aus und sagte:

„Jetzt verstehe ich Sie, Mylord! Sie reisen, um eine Dame aus irgendeinem Harem zu entführen?“

„Yes!“

„Dann sind Sie ein echter Engländer.“

„Yes! Yes! Ein Sohn Altenglands.“

„So wünsche ich Ihnen, daß Sie recht bald Gelegenheit finden mögen, Ihren interessanten Plan auszuführen. Haben Sie Herrn Steinbach erst auf dieser Entführungstour kennengelernt?“

„Ja. Früher hatte ich keine Ahnung von ihm. Wie ich von meinem Steuermann hörte, kennen auch Sie ihn?“

„Vorübergehend nur, aber dennoch freut es mich, Gelegenheit zu finden, etwas von ihm zu hören.“

„Ja, das können Sie. Ich stelle mich zur Verfügung. Was wollen Sie über ihn erfahren?“

„Alles, was Sie selbst wissen. Wie Sie mit ihm bekannt wurden, und dann weiter und immer weiter bis zu dem heutigen Tag.“

„Mit größtem Vergnügen. Also hören Sie!“

Der Lord begann nun in seinem Berichte bei Konstantinopel, wo er Steinbach auf dem Kirchhof zum ersten Mal getroffen hatte. Und da er ihn liebhatte und die Hochachtung, die er ihm zollte, noch größer war als die Liebe, so gewährte es ihm jetzt eine herzliche Befriedigung, von ihm sprechen zu können, und er vertiefte sich so in den Gegenstand seines Berichtes, daß einige Stunden vergingen, ehe er zu Ende kam.

„Und nun ist er zu der Königin der Wüste?“ fragte dann Gökala. „Wissen Sie, wer das ist?“

„Ich habe davon mehr flüstern als sprechen hören. Sie ist die Regentin eines wilden Araberstammes. Das ist alles, was ich von ihr weiß.“

„Was will er dort?“

„Das ist mir unbekannt. Vielleicht hat er die Absicht, sie zu entführen.“

„Wie es scheint, legen Sie ihre eigenen Passionen gern auch anderen unter“, lachte sie.

„Na, diese Königin der Wüste soll eine sehr berühmte Schönheit sein, und da er derselben ihre Schwester bringt, weiß man nicht, was passieren kann! Er selbst ist nämlich auch ein ungeheuer hübscher Kerl. Hm! Soll ich Ihnen vielleicht einen Gruß besorgen, wenn er zurückkommt?“

„Ja, einen Gruß und – wenn Sie mir die Gefälligkeit erweisen wollen – einige Zeilen.“

„Sehr gern. Wann darf ich mir den Brief holen?“

„Ich wohne und lebe hier ganz auf orientalische Weise und habe also weder Papier noch das sonst Nötige in meiner Klause. Ich muß es mir erst besorgen und werde Ihnen daher durch meine Dienerin –“

„Nein, nein“, fiel der Lord ein. „Das können wir ja viel schneller machen. Warten Sie einen Augenblick!“

Dann stand er auf und sprang auf sein Dach hinüber, um in der Treppenluke zu verschwinden. Als er zurückkehrte, hatte er ihr Papier, Kuvert, Tinte und Feder und sogar einen Wachsstock und Streichhölzer mitgebracht.

„Hier, Mylady!“ sagte er. „Wenn es Ihnen beliebt, werde ich hier warten, bis Sie fertig sind.“

„Sehr freundlich, Mylord. Ich werde von Ihrer Güte natürlich sogleich Gebrauch machen.“

Gökala nahm darauf das Schreibmaterial und begab sich damit in ihr Zimmer, während er geduldig auf ihre Wiederkehr wartete, aber an ihrer Statt kam schließlich nicht sie, sondern die Schwarze und reichte ihm den Brief nebst Wachsstock, Tintenfaß und Feder mit dem Worte „Haun!“ zurück.

„Hauen?“ fragte der Lord verwundert. „Wer will mich hauen? Oder soll ich etwa jemand hauen?“

„Chatrak!“

„Ja, trak? Wer ist denn dieser Trak, den ich hauen soll?“

„Chatrak!“ ertönte es da abermals als Antwort der Dienerin, dann zog sich diese in die Treppenöffnung zurück, wurde die Klapptür niedergezogen und klirrte ein Riegel.

„Donnerwetter!“ meinte da der Lord. „Ich habe einen sonderbaren Abschied erhalten. Die Schöne kommt nicht selbst, sondern sendet mir ihre Schwarze. Diese ruft ‚Haun, ja Trak!‘ und verschwindet dann hinter Schloß und Riegel! Sapperment, allzu höflich sind die Frauen hier nicht. Aber warte, morgen ist auch noch ein Tag.“

Er kehrte nunmehr auf sein Dach zurück und stieg von da in sein Zimmer hinab, wo der Steuermann ihn schon erwartete.

„Da haben Eure Lordschaft allerdings sehr unrecht verstanden“, meinte dieser lachend, als der Lord ihm den Schluß des Abenteuers berichtete. ‚Haun!‘ heißt soviel wie ‚hier‘. Das hat die Schwarze gesagt, als sie Ihnen diese Sachen in die Hand gab. Und ‚chatrak‘ heißt ‚lebe wohl‘. Sie hat also gemeint, daß Sie gehen könnten.

„So also! Verdammte Sprache, diese arabische! Aber hier der Brief – ah, die Aufschrift ist in deutscher Sprache, ein kleines, zierliches Damenhändchen. Wer hätte das hier in dieser engen Gasse von Kairo gesucht oder erwartet! ‚Herrn Oskar Steinbach‘. Sie machte es sehr kurz. Gerade ebenso kurz war sie auch mit mir. Sie ist fortgegangen, ohne mir auch nur gute Nacht zu sagen.“

„Mylord sind doch höflich mit ihr gewesen?“

„Natürlich! Ich bin gegen jedermann höflich, und gegen eine Dame sogar doppelt!“

„Hm!“

„Hm? Was hast du zu brummen?“

„Mylord haben zuweilen so eine eigene Weise, höflich zu sein.“

„Eine eigene Weise?“

„Man kann nämlich gerade durch allzu große Höflichkeit sehr unhöflich werden.“

„Das weiß ich auch. Das brauchst du mir nicht zu sagen. Ich bin weder zuwenig noch zu sehr höflich gewesen, sondern habe gerade das getan, was recht ist.“

„Haben Eure Lordschaft aber vielleicht wieder vom Entführen gesprochen?“

„Ja.“

„Da hat man es! Haben Mylord dieser Dame gesagt, daß sie schön ist?“

„Natürlich.“

„Da hat man es abermals.“

„Was denn? Was hat man denn, he, wie?“

„Das sind doch zwei große Verstöße!“

„Verstöße? Unsinn! Verstöße kann ein Steuermann machen, nicht aber ein Lord von Altengland. Merke dir das! Übrigens wenn ich einen Fehler gemacht haben sollte, so ist das gar nicht so schlimm. Morgen ist wieder ein Abend, da steige ich nochmals hinüber und mache alles wieder gut.“

Aber leider hatte der ehrenwerte Lord sich da verrechnet. Soviel er auch an dem Fensterloch stand, er sah am nächsten Tage weder Gökala noch die Schwarze, und als er dann am Abend hinübersprang auf das Nachbardach, fand er die Treppenluke verschlossen. Und so war und blieb es auch während der darauffolgenden Tage. – – –

Als der Lord und die drei Freunde bei ihrer Verfolgung Ibrahim Paschas mit der Jacht in Alexandrien angekommen waren, hatte Steinbach sofort seinem Sekretär, dessen Adresse er kannte, telegraphiert, und dieser war ihm bis Schubra entgegengekommen, um ihn dort, wo die kleine Jacht angelegt hatte, zu begrüßen.

Vorher hatten sich sämtliche Passagiere der Jacht, also der Lord, Steinbach, Normann und Wallert, in Alexandrien alle Mühe gegeben, zu erfahren, ob Ibrahim Pascha mit Zykyma bereits eingetroffen sei, aber ihre Nachforschungen waren leider vergeblich gewesen.

Als der Sekretär in Schubra an Bord kam, trug er einen Orden auf der Brust, den er vorher nicht besessen hatte. Er war ihm vom Vizekönig für das Überbringen von Prinzessin Eminehs Porträt verliehen worden. Er meldete seinem Herrn, daß der Vizekönig sofort nach Empfang des Bildes wegen der Prinzessin in nähere Unterhandlungen mit dem Sultan getreten sei und Steinbach nun erwarte, um sich zu informieren. Und dann, als diese Angelegenheit erledigt war, fügte er noch hinzu:

„Und zuletzt habe ich Ihnen in einer privaten Sache eine vielleicht wichtige Mitteilung zu machen. Ich bin nämlich in Gesellschaft eines Mannes in Alexandrien gelandet, der eine Dame bei sich hatte, die sich für Sie, gnädiger Herr, zu interessieren schien.“

„Wohl eine abendländische Familie?“

„O nein, der Mann schien vielmehr ein Morgenländer zu sein. Und von Familie war auch keine Rede, denn die Dame war weder seine Frau noch seine Tochter oder eine sonstige Verwandte von ihm. Wenn ich mich recht erinnere, wurde sie Gökala genannt.“

Steinbach sprang in allergrößter Überraschung von seinem Sitz auf.

„Gökala?“

„Ja, so war der Name.“

„Sie müssen sich irren.“

„O nein. Sie hat mir den Namen selbst genannt. Die Gesellschaft kam in einer kleinen Feluke an Bord.“

„Wann sind Sie von Konstantinopel fort? Doch nicht etwa später als zu der Stunde, für die ich Sie expediert hatte?“

„Keinen Augenblick später.“

„Dann kann Gökala nicht auf Ihrem Schiff gewesen sein. Sie befindet sich jedenfalls noch in Konstantinopel. Ich war leider, leider gezwungen, so schnell abzureisen, daß ich mich weiter um sie nicht kümmern konnte.“

„Ich hoffe doch nicht, daß wir zwei verschiedene Damen meinen, die einen und denselben Namen tragen?“

„Es kann kaum anders sein.“

„Ich meine nämlich diejenige Gökala, mit der Sie am Abend vorher nach dem ‚Baum der Mutter‘ spazierengefahren sind.“

„Und ich meine ganz dieselbe.“

„So stimmt es also. Sie ist es.“

„Sie soll mit Ihnen an Bord gewesen sein? Unmöglich! Der Russe müßte denn gerade sofort, nachdem er mich in das Wasser stürzte, mit ihr aus Konstantinopel abgereist sein.“

„So ist es allerdings gewesen, und ein glücklicher Zufall fügte es, daß sie das Schiff bestiegen, auf dem ich mich bereits befand. Bitte, erlauben Sie mir, Ihnen den Vorgang zu berichten!“

Der Sekretär erzählte nunmehr, wie er Gökala in der Kajüte belauscht und dann mit ihr gesprochen habe. Steinbach befand sich in der allergrößten Aufregung. Er hatte sich außerordentlich unglücklich gefühlt, so schnell und unvorbereitet Konstantinopel verlassen zu müssen, ohne vorher nach der Geliebten forschen zu können, und jetzt hörte er, daß sie sich auch dort nicht mehr befand.

„Und sie ist in Alexandrien gelandet?“ fragte er.

„Ja.“

„Natürlich haben Sie die Dame auch nicht einen Augenblick aus dem Auge gelassen?“

„Das war allerdings meine Absicht, gnädiger Herr.“

„Absicht? Ah! Wollen Sie etwa damit sagen, daß es nur bei der Absicht geblieben ist?“

„Ich habe mir die möglichste Mühe gegeben!“

„Hoffentlich nicht ohne Erfolg. Ich muß unbedingt wissen, wo die Dame sich befindet. Gleich nachdem Sie mit ihr gesprochen hatten, mußten Sie begreifen, welchen Wert dies für mich hat.“

„Ich wußte es und habe mich danach verhalten. Aber bitte, gnädiger Herr, bedenken Sie, daß ich Kurier war.“

„Kurier, ja! Verdammt!“

„Es war mir ein Bild anvertraut, das ich dem Vizekönig ohne eine Minute Aufenthalt zu bringen hatte.“

„Sie haben nicht unrecht – leider!“

„Dennoch blieb ich einen Tag und konnte so der Dame noch durch ein Zeichen zu verstehen geben, daß ich beim Betreten des Landes Ihre Depesche empfangen hatte. Auf diese Weise erfuhr sie wenigstens, daß Sie leben, daß Sie nicht ertrunken sind. Dann legte ich mich auf die Lauer, bis der Russe mit ihr von Bord ging, folgte ihnen und erfuhr also, wo sie wohnten. Im Laufe des Tages forschte ich vorsichtig weiter und erhielt die Gewißheit, daß sie wenigstens eine volle Woche in dem Haus bleiben würde. Das beruhigte mich. Ich konnte also jetzt nach Kairo, um das Porträt abzugeben, und dann sofort wieder zurück, um Gökala und ihren Kerkermeister – so muß ich ihn ja nennen – zu beobachten.“

„Und Sie reisten dann ab?“

„Nicht sofort, sondern ich begab mich zuerst noch auf die Polizei, legitimierte mich dort und bezeichnete den Russen als einen verdächtigen Menschen, der bis zu meiner Rückkehr unter die strengste Aufsicht zu nehmen sei.“

„Das hätte ich auch getan. Sie haben Ihre Sache sehr gut gemacht.“

„Ich begnügte mich nicht damit. Ich verlangte sogar, daß man, falls der Russe Alexandrien verlassen sollte, ihm folgen und mir den Ort angeben möge, wo er zu finden sei.“

„Sehr gut. Ich selbst hätte es nicht anders machen können.“

„Dieses Urteil von Ihnen beruhigt mich außerordentlich. Ich muß Ihnen nämlich sagen, daß alle meine Vorsicht ohne Erfolg gewesen ist!“

„Alle Teufel! Das ist kaum möglich!“

„Ja, ich ahne und denke sogar, daß gerade diese Vorsicht die Schuld trägt, daß der Kerl mir entkommen ist.“

„Wie? Er ist entkommen?“

„Leider!“

„Welch ein Unglück! Schon war ich hoch erfreut, von Ihnen zu hören, daß Sie Gökala getroffen haben, und nun sollte dies vergeblich gewesen sein?“

„Man hat den Russen, wie ich vermute, zu scharf beobachtet, so scharf, daß er es bemerken mußte. Es ist ihm aufgefallen, und er hat sich daher heimlich aus dem Staub gemacht. Bereits am zweiten Morgen ist er verschwunden gewesen.“

„Mit Gökala?“

„Natürlich! Mit ihr und seinen Begleitern!“

„Doch nicht etwa ganz spurlos!“

„Leider ganz und gar. Die Polizei war, als ich zurückkehrte, ohne Spur und ohne Rat. Wir haben uns die allergrößte Mühe gegeben. Wir haben geforscht und gesucht, vergebens. Und auch in Kairo, wohin ich in der Erwartung ging, daß auch der Russe die Hauptstadt aufgesucht haben werde, habe ich bis zu diesem Augenblick nicht das geringste von ihm erfahren können.“

„Ah! Wer sollte das denken! Er kann doch nicht verschwinden und sich unsichtbar machen! Aber ich sehe es ein, daß Sie schuldlos sind. Sie konnten nicht anders handeln, als Sie gehandelt haben. Sie haben getan, was Sie in Ihrer Lage nur tun konnten, und es gibt für mich also keine Veranlassung, Ihnen zu zürnen. Ich bin Ihnen vielmehr zu Dank verpflichtet, da ich durch Sie wenigstens erfahre, daß Gökala sich in Ägypten befindet. Jetzt, wo ich selbst hier bin, hoffe ich auch, eine Spur zu entdecken. Wenigstens werde ich das Land nicht eher verlassen, als bis ich die Gewißheit erhalte, daß auch Gökala sich nicht mehr hier befindet.“

Die vorhin empfundene Freude Steinbachs hatte sich jetzt in bittere Enttäuschung verwandelt. Doch er mußte es ertragen. Wenigstens für den Augenblick vermochte er nichts dagegen zu tun.

Die Jacht verließ bald Schubra wieder, erreichte Kairo und ging im Hafen von Bulak vor Anker. Auf seiner Erkundigung erfuhr hier Steinbach, daß der Vizekönig sich gegenwärtig in seinem auf der Nilinsel Roda gelegenen Gartenschloß befinde, und ließ sich dorthin fahren, um sofort um eine Audienz nachzusuchen.

Er trug dabei die einfache, weiße arabische Tracht, die vom gewöhnlichen Wüstenbewohner und auch vom Scheik niemals abgelegt wird. Die Audienzen waren bereits bei den Vorgängern des Herrschers in europäischem Stil abgehalten worden. In dem Vorzimmer standen und saßen auch jetzt Engländer und Franzosen hohen und höchsten Ranges. Ägyptische Militär- und Zivilbeamte in goldgestickten Gewändern. Als daher der einfach gekleidete Steinbach eintrat, wurde er nur mit verächtlichen Blicken betrachtet und dann mit Stolz ganz übersehen.

Er ließ sich das jedoch nicht im geringsten anfechten, aber als der anmeldende Diener, der für einige Minuten abwesend gewesen war, wieder erschien, trat er auf ihn zu und fragte:

„Ist der Beherrscher hier im Schloß?“

„Ja. Warum fragst du?“

„Ich möchte gern mit ihm sprechen.“

„Komm morgen wieder!“

„Warum morgen?“

„Er hat heute keine Zeit. Siehst du nicht, welche hohen Herren hier bereits lange warten? Für einen Beduinen hat er keinen Augenblick übrig.“

„Ich bin kein Beduine und kein Fellah.“

„Was denn?“

„Ein Deutscher.“

„Das ist ebenso gleichgültig. Was ist ein Deutscher? Ist er etwas anderes als ein Fellah?“

Als Steinbach erklärte, daß er ein Deutscher sei‚ hatten sich die Blicke aller wieder mit einem höchst geringschätzigen Ausdruck auf ihn gerichtet, er tat auch jetzt, als ob er dies gar nicht bemerke, und antwortete:

„Du scheinst deine Pflicht nicht zu kennen und überhaupt ein großer Dummkopf zu sein. Meinst du etwa, daß ein Engländer oder ein Franzose etwas Besseres sei als ein Deutscher? Schau, ich einziger wiege alle diese Franken und Inglis auf, die hier stehen. Ich heiße Steinbach. Gehe augenblicklich hinein und sage dem Beherrscher meinen Namen!“

Das war in einem unendlich selbstbewußten, befehlenden Ton gesprochen. Dennoch wußte der Diener nicht, was er tun oder sagen solle, und die Anwesenden ließen ein Gemurmel hören, aus dem heraus sehr deutlich verschiedene ehrenrührige Schimpfworte zu hören waren.

„Nun, wirst du gehorchen?“ donnerte da Steinbach den Diener an. „Die Herren hier alle haben Zeit, ich aber nicht! Vorwärts!“

Jetzt endlich ging der Domestike; aber einer der uniformierten Herren, ein Franzose, trat auf Steinbach zu und sagte:

„Ich hörte, Sie seien ein Deutscher?“

„Ja.“

„Gibt es in Deutschland Irrenhäuser?“

„Gewiß.“

„Wahrscheinlich sind Sie aus einem derselben entsprungen. Wäre dies nicht der Fall, so hätten wir nämlich anzunehmen, daß Sie zurechnungsfähig sind, und müßten Sie für Ihre Unverschämtheit auspeitschen lassen.“

„Lassen Sie es getrost beim Auspeitschen; aber bitte, bedienen Sie sich selbst.“

Noch ehe der Franzose ein Wort weiter zu sagen vermochte, ging die Tür auf, und der Diener kehrte zurück; hinter ihm aber erschien der Vizekönig selbst, nickte Steinbach freundlich zu und sagte:

„Endlich, endlich! Ich habe Sie mit größter Sehnsucht erwartet. Bitte kommen Sie schnell herein! Sie sind natürlich hochwillkommen!“

Dann ergriff er Steinbach bei der Hand und zog ihn zu sich in das Audienzzimmer. Die Herren starrten sich sprachlos vor Erstaunen und Bestürzung an.

„Wer war dieser Mann?“ fragte ein Engländer.

„Steinbach nannte er sich, nur Steinbach. Fi donc!“ entgegnete der Franzose.

„Das begreife ich nicht!“

„Ein Horreur!“

„Er scheint ein Liebling des Vizekönigs zu sein! Wie kann so etwas passieren! Bei Ihrer Königlichen Majestät von Großbritannien und Irland wäre so etwas eine Unmöglichkeit!“

Drin aber, in dem prachtvoll nach europäischem Stil ausgestatteten Zimmer, zeigte der Khedive auf einen der goldenen Sessel und sagte:

„Nehmen Sie hier Platz, Durchlaucht! Ihr Kurier hat mir bereits mein Lebensglück gebracht; ich weiß nicht, wie ich Ihnen danken soll. Sie haben das Unmögliche möglich gemacht!“

„Und das Mögliche unmöglich.“

„Wie meinen Sie das?“

„Wurde Euer Hoheit nicht gemeldet, daß ich nach Tunis ging?“

„Ja; nur waren mir Grund und Absicht dieser Sendung nicht recht klar.“

„Der Großwesir, der hinter dem Rücken des Sultans seine Privatpolitik treibt –“

„Und mir Emineh nicht gönnen wollte!“

„So ist es! Er sandte den berüchtigten Ibrahim Pascha nach Tunis; ich mußte diesem ebenso schleunigst wie heimlich nach, um seine Absichten zu durchkreuzen.“

„Ist es gelungen?“

„Vollständig. Ich habe um die gegenwärtige Audienz gebeten, um darüber zu referieren.“

„Gut! Dazu bedürfen wir längere Zeit. Ich werde die Herren da draußen nach Hause schicken.“

Der Vizekönig klingelte und befahl dem darauf erscheinenden Diener, den im Vorzimmer wartenden Herren zu sagen, daß er für sie erst morgen zu sprechen sei.

„Verdammter Deutscher!“ brummte der Engländer.

„Welch ein Horreur!“ meinte der Franzose. „Man widmet dem Fürsten dieses barbarischen Landes seine Zeit und seine Kräfte und wird einfach fortgeschickt um eines Deutschen willen, der nur Steinbach heißt. Geschieht dies noch einmal, so kehre ich nach Paris zurück. Ägypten mag dann sehen, ob es ohne uns fertig zu werden vermag. Diese Sache ist wirklich lächerlich.“

Die Herren entfernten sich darauf. Drinnen aber im Audienzzimmer wurde jetzt ein Gespräch von eminent hoher Wichtigkeit geführt. Es währte wirklich mehrere Stunden, und als es beendet war, wurde Steinbach zur vizeköniglichen Tafel – nicht befohlen, sondern gebeten.

Als diese vorüber war, zog der Khedive sich abermals mit ihm zurück, um nun private Angelegenheiten, die sich auf seine Vermählung mit Emineh bezogen, zu besprechen. Der fürstliche Herr fand, abgesehen davon, daß er dem Deutschen große Erfolge zu verdanken hatte, auch ein rein persönliches Wohlgefallen an demselben.

So plauderten sie ungezwungen weiter, bis der Vizekönig die Frage aufwarf:

„Was sagen Sie zu Arabi?“

„Ich höre, daß er Aussicht hat, Pascha zu werden.“

„Es ist wirklich so. Ich sehe mich veranlaßt, seine Dienste zu belohnen. Er hat mir viel genützt.“

„Und kann Ihnen noch mehr schaden.“

„So ist es. Ich bemerke leider, daß er einer gewissen Hinneigung zu den nomadisierenden Stämmen, die an der Landesgrenze auf und ab ziehen, Raum gibt. Diese Stämme sind gern zu Empörungen geneigt. Sie haben einen widersetzlichen Charakter. Sie zahlen nie ihren Tribut, sondern man muß sich beides stets mit Gewalt holen. Es gibt mir das sehr viel zu denken.“

„Es wäre da wohl geraten, diesen Stämmen Scheiks zu geben, auf die man sicher rechnen kann.“

„Ganz richtig. Aber das ist schwierig. Zunächst braucht kein Stamm eher einen Scheik, als bis der bisherige gestorben ist, und sodann werden die Scheiks in der Versammlung der Ältesten gewählt. Man will mir nicht einmal das Bestätigungsrecht gönnen.“

„Mit Gewalt läßt sich da freilich nichts erzielen. Nur Klugheit kann den Weg kürzen.“

„Dazu aber bedarf man auch kluger Leute, und die sind hier in Ägypten – ah, gerade da denke ich an einen Stamm! Hm! Hier sollte ich einen Mann von Ihren Talenten haben!“

„Dürfte ich vielleicht etwas Näheres erfahren?“

„Gern. Haben Sie wohl bereits von dem Stamm der Sallah gehört, Durchlaucht?“

„Gewiß. Er ist einer der zahlreichsten an der Grenze der Wüste.“

„Ja. Er zählt gegen sechstausend Krieger, was außerordentlich viel heißen will. Das eigentümlichste aber ist, daß dieser Stamm nicht von einem Mann, sondern von einem jungen Weib regiert wird.“

„Der Königin der Wüste.“

„Sie hörten also bereits von ihr sprechen?“

„Oft. Sie ist eine Tochter der Beni Abbas tief in der tunesischen Wüste.“

„Sehr wohl, und schön wie ein Engel. Alle Männer und Jünglinge des Stammes sind in sie verliebt. Nur wer sie zur Frau erhält, wird die Würde des Scheiks erlangen. Sie kam vor einigen Jahren als Braut zu den Sallah. Der Scheik hatte sie auf einer Wüstenreise gesehen. Sie wurde seine Frau und regierte nicht nur ihn, sondern den ganzen Stamm. Da starb er plötzlich, und sie wurde Witwe, blieb aber Regentin.“

„Hoffentlich ist sie Eurer Hoheit wohlgesinnt!“

„Das ist sie. Aber ein Weib kann nicht ewig regieren, wenigstens einen halbwilden Beduinenstamm nicht. Das allgemeine Verlangen, daß sie sich wieder vermählen möge, ist stürmisch geworden. Sie kann und darf nicht länger widerstehen.“

„So kommt es darauf an, daß sie einen Mann nimmt, welcher der Regierung Ägyptens eine freundliche Gesinnung entgegenbringt. Es nahen bewegte und gefährliche Zeiten für dieses Land. Da ist es nicht ohne Bedeutung, ob ein an der Grenze wohnender Araberstamm mit einer solchen Kriegerzahl als Freund oder als Feind zu betrachten ist.“

„Sie haben vollständig recht, Durchlaucht. Leider aber scheint es, als ob gerade ein sehr erbitterter Gegner meines Regimes den Befehl über den Stamm erhalten solle, nämlich der Bruder des Verstorbenen. Er ist ein Herkules an Gestalt und Körperkraft, ein wilder, maßloser Mensch, der die erste Gelegenheit ergreifen würde, mir zu schaden.“

„So darf er nicht Scheik werden!“

„Sie scherzen!“

„Scherzen? Ich spreche im Ernst.“

„Und doch klingt es wie Scherz, wenn Sie so kategorisch sagen, daß er nicht Scheik werden dürfe.“

„Es will mir nicht einleuchten, daß es dem Regenten von Ägypten unmöglich sei, in dieser Beziehung auf die Söhne der Wüste einen Einfluß auszuüben. Wenn die Beduinen einem Befehl nicht gehorchen, weil sie behaupten, daß ihnen niemand zu gebieten habe, so sind sie doch vielleicht einem diplomatischen Einfluß nicht unzugänglich. Ich rate Hoheit daher, einen Mann hinzusenden, der mit diesen Kindern der Freiheit umzugehen versteht!“

„Etwa einen Diplomaten?“ fragte der Vizekönig mit einem halben, fast traurigen Lächeln.

„Im strengen Sinne habe ich dieses Wort nicht gemeint.“

„Ich hätte auch keinen Diplomaten. Ich kenne leider in meiner Nähe keinen Menschen, keinen Beamten, der diese ehrenvolle Bezeichnung verdient. Zudem ist hier ein schnelles Handeln geboten. Die sogenannte Königin der Wüste hat mir einen Vertrauten gesandt, der mich über die inneren Verhältnisse des Stammes unterrichtet hat. Er geht bereits morgen von hier fort. Wollte ich ihm einen Beauftragten mitgeben, so müßte dies schon morgen geschehen. Sie sehen, daß es hier unüberwindliche Schwierigkeiten gibt.“

„Die Zeit, wann der Betreffende aufzubrechen hätte, kann gar nicht in Frage kommen. Er hat eben zu gehorchen. Die Hauptsache ist jedoch, den rechten Mann zu finden.“

„Ich habe keinen, sosehr mir auch daran liegt, diese sechstausend Krieger nur für den Augenblick der Gefahr zugewinnen und zu erhalten. Sechstausend bewaffnete Araber sind für mich und die hiesigen Verhältnisse genau dasselbe, als wenn Ihr Kaiser für den Kriegsfall fünfzigtausend hat. Es gibt nur einen einzigen Menschen, dem ich diese Mission anvertrauen könnte, einen einzigen, von dem ich fest überzeugt bin, daß er seine Aufgabe sogar glanzvoll lösen würde.“

„Kenne ich ihn?“

„Ja, sehr genau.“

„Wer ist es?“

„Hm! Er hat mir allerdings nicht zu gehorchen; er ist ein Ausländer und mein Gast. Ich darf also den Gedanken, mich an ihn zu wenden, gar nicht hegen.“

„Vielleicht doch, Hoheit! Wenn ich nur erfahren dürfte, wer er ist.“

„Nun, im Vertrauen will ich es Ihnen mitteilen: Sie selbst sind es.“

Hatte Steinbach so etwas erwartet, oder besaß er genug Selbstbeherrschung, seine Überraschung nicht merken zu lassen, kurz und gut, er sagte ruhig:

„Und Hoheit meinen, daß ich nicht bereit sein würde?“

„Ah! Wirklich?“

„Ich kann nur sagen, was ich Ihnen bereits durch die Tat bewiesen habe: Das Wohl Ägyptens und seines Herrschers liegt mir so am Herzen, daß ich mich selbst für diese Angelegenheit zur Verfügung stelle.“

„Das ist hochherzig, Durchlaucht! Aber Sie kommen soeben von der Reise; Sie haben sich nicht ausgeruht.“

„Ich bin nicht ermüdet.“

„Der Auftrag ist kein ungefährlicher.“

„Ich fürchte die Beduinen nicht.“

„Sie brächten vielleicht auch noch anderweitige persönliche Opfer, die ich nicht vergelten kann.“

„Das Bewußtsein, Ihnen gedient zu haben, macht mich glücklich genug.“

„Also wollten Sie wirklich?“

„Gern, sogar sehr gern.“

„Dann nehmen Sie meine Hand. Vielleicht kommt die Zeit, in der ich es Ihnen zu vergelten vermag. Ihre Instruktionen werden wir noch besprechen. Für die Ausrüstung zu dem Wüstenritt sorge natürlich ich. Der Ritt beginnt in Beni Suef. Dort hat auch der Bote der Königin sein Kamel stehen. Ich lasse Sie auf einer Dahabiëh dorthin bringen.“

„Ein solches Segelboot fährt zu langsam, zumal die Reise dem Stamm der Beni Sallah entgegengeht. Ich bin auf einer englischen Dampfjacht gekommen, die einem Freund gehört. Er wird sehr gern bereit sein, sie mir zu dieser Fahrt zu leihen.“

„Dann um so besser. So reisen Sie doppelt schnell. Sie sind herzlichst zum Souper geladen; wir werden während desselben allein sein und können da alles Weitere besprechen. Unterdessen werde ich Ihnen Hilal senden, damit Sie ihn kennenlernen.“

„Wer ist das? Vielleicht der Gesandte der Königin?“

„Ja. Sie wohnen doch bei mir?“

„Ich möchte danken, Hoheit. Da ich einen Teil der Reise mit dem Dampfer mache, ist es für mich besser und bequemer, gleich auf demselben zu bleiben. Der Bote kann ihn sehr leicht finden. Wir liegen unten in Bulak, und eine Dampfjacht ist ja sehr leicht von jedem anderen Schiffe zu unterscheiden.“

Der Vizekönig hatte sich erhoben, Steinbach also auch. Sie verabschiedeten sich, und letzterer begab sich sofort nach dem Hafen, um die Vorbereitungen zu der unerwarteten Reise zu treffen.

Es freute ihn, diesen ehrenvollen Auftrag erhalten zu haben. War das Gelingen desselben auch mit großen Schwierigkeiten verknüpft, so erwartete er doch, daß der Umstand, daß er die Schwester der Königin der Wüste bei sich hatte, ihm über viele Hindernisse hinweghelfen werde. Er hatte natürlich dem Vizekönig von Hiluja nichts gesagt.

Ein einziger Umstand machte ihm Sorge. Er hatte es sich vorgenommen gehabt, den Aufenthalt Gökalas zu erforschen. Das mußte er nun bis zu seiner Rückkehr aufschieben, und da stand natürlich zu erwarten, daß die Spuren, die jetzt wohl noch aufzufinden gewesen wären, bis dahin verwischt sein würden.

Hiluja, die Schwester der Königin der Wüste, war ihrem Retter Steinbach gern nach Ägypten gefolgt. Er hatte ihr das Versprechen gegeben, sie von Kairo aus zu dem Stamm, dessen Königin ihre Schwester war, auf sicherem Wege zu senden. Jetzt hatte er Veranlassung und vortreffliche Gelegenheit, sie sogar selbst hinzubringen.

Das Beduinenkind war noch nie zur See gewesen und hatte während der Fahrt von Tunis bis Alexandrien sehr gelitten, ebenso auch ihre alte Begleiterin. In Alexandrien war man nur gelandet, um Nachforschungen nach Ibrahim Pascha zu halten, und dann war die Jacht sofort nach Kairo stromaufwärts gedampft. Jetzt, wo diese endlich ruhig vor Anger lag, sehnte sich Hiluja, ihren Fuß wieder auf festes Land zu setzen. Darum nahm sie sich vor, mit ihrer Begleiterin einen Spaziergang zu unternehmen.

Als junges Mädchen schmückte sie sich dazu nach Kräften. Sie befand sich ja in der Hauptstadt Ägyptens. Und da sie daheim in der Wüste nur äußerst selten den Schleier getragen und während der Seereise sich bei Personen befunden hatte, in deren Heimat die Frauen das Gesicht nicht verhüllen, so glaubte das unerfahrene Mädchen, es auch jetzt unterlassen zu können.

Wäre Tschita auf der Jacht gewesen, so hätte sie sicherlich Hiluja abgeraten, ohne Schleier zu gehen; aber diese war mit Normann und Wallert auch an Land gegangen. Infolgedessen ging Hiluja in Begleitung ihrer alten Dienerin mit unverhülltem Gesicht.

Als sie an das Land getreten waren, wandten sie sich nach Norden und der Gegend zwischen dem Fluß und der berühmten, schnurgeraden Hauptallee zu. Dort, außerhalb des Häusermeers der Stadt, hofften sie Licht, Luft und Bewegung am besten finden zu können.

Das schöne Mädchen zog die Blicke aller Begegnenden auf sich. In diesen Blicken jedoch lag der Ausdruck staunender Zudringlichkeit. Seiner Tracht sowohl als auch seiner Gesichtsbildung nach war es ihm allerdings anzusehen, daß es ein Kind der Wüste sei. Wie aber kam eine freigeborene Araberin dazu, hier in Kairo ihr Gesicht unverschleiert zu zeigen? War sie denn wirklich in den Kreis jener Mädchen getreten, die dies tun, um sich Männern bemerkbar zu machen? So fragten sich die Leute.

Unter einem Kaffeezelt saß eine Anzahl bis unter die Zähne bewaffneter Arnauten. Diese letzteren bilden so recht eigentlich die Nachfolger jener blutig ausgerotteten Mamelucken; aber sie sind noch schlimmer als diese. Der Arnaut ist allerdings nicht nur tapfer, sondern auch tollkühn und mutig bis zur größten Verwegenheit, und er wagt auch sein Leben, ohne nur mit der Wimper zu zucken, aber er ist dabei treulos, hinterlistig und von einer Roheit, die geradezu ihresgleichen sucht. Messer und Pistole sitzen bei ihm stets locker. Er sticht und schießt bei der geringsten Veranlassung, und er weiß, daß er das mit ziemlicher Sicherheit tun kann, da selbst der Richter ihn nicht gern verurteilt, weil er befürchten muß, wenn nicht noch während der Gerichtssitzung, so doch später niedergestochen zu werden. Darum ist der Arnaut gefürchtet und gemieden. Er darf ungestraft tun, was hundert andere nicht wagen würden.

Also wohl mehr als ein Dutzend dieser Leute saßen unter dem luftigen Dach des Kaffeezeltes und hatten nicht nur Kaffee getrunken; das war ihren geröteten Gesichtern und funkelnden Augen anzusehen.

Da kam Hiluja daher und wurde von ihnen bemerkt. Aller Blicke richteten sich sofort auf sie.

„Seht, wer da kommt!“ rief einer. „Bei Allah, das ist die schönste und süßeste Oruspu, die ich jemals gesehen habe. Sie mag sich zu uns setzen, um uns einen Vorgeschmack zu geben, welche Lust uns einst bei den Huris des Paradieses erwartet!“

Oruspu ist ein leichtsinniges Mädchen.

Der Sprecher war von seinem Sitz aufgesprungen. Er trat jetzt aus dem Zelt heraus und auf die beiden Frauen zu. Das schöne Mädchen mit seinem glühenden Blicke fast verschlingend, streckte er beide Arme nach ihm aus und sagte:

„Du kommst zur rechten Zeit, um von uns empfangen zu werden. Herein zu uns!“

Hiluja erschrak auf das heftigste. Den Arm ihrer Begleiterin ergreifend und sich zur Flucht wendend, sagte sie hastig:

„Komm, komm! Laß uns schnell umkehren!“

„Umkehren?“ fiel der Arnaut ein. „Nimmermehr!“

Und bei diesen Worten hatte er sie bei der Hand gefaßt, um sie gewaltsam mit sich fortzuziehen. Zitternd vor Angst wehrte sie ihm und rief:

„Laßt mich! Ich habe nichts mit euch zu schaffen!“

Er aber zog sie dennoch mit sich fort. Sie konnte ja dem kräftigen Mann nicht widerstehen.

Da ergriff die Alte ihre Herrin mit beiden Armen und versuchte sie zurückzuhalten; der rohe Mensch aber gab ihr einen Schlag mit der Faust, daß sie zurücktaumelte.

„Pack dich, Scheusal!“ rief er dabei. „Mit dir haben wir nichts zu schaffen. Geh in die Hölle, wohin du gehörst!“

„Gnade, Gnade!“ stöhnte da Hiluja. „Was haben wir euch denn zuleide getan!“

„Nichts, gar nichts! Auch wir wollen dir nichts zuleide tun.“

Der Arnaut hatte Hiluja inzwischen bis an das Zelt gezerrt. Jubelnd griffen nun die anderen zu und zogen sie vollends hinein. Hiluja schrie laut und voller Angst um Hilfe, aber es war außer einem kein Mensch in der Nähe! Und wer hätte es wohl auch gewagt, wegen einer Unbekannten, die überdies wie eine Dirne ohne Schleier ging, mit einer ganzen Schar dieser rohen Menschen anzubinden? Er hätte sich sagen können, daß er damit einem fast sicheren Tod entgegengehe.

Dieser eine war, wie man auf den ersten Blick erkannte, ein Beduine. Sein noch junges und volles, bartloses Gesicht blickte sonnenverbrannt unter dem weißen Tuch hervor, in welches er den Kopf gehüllt hatte. Die Gestalt war in einen ebenso weißen Haïk gehüllt, einen langen, fast zur Erde reichenden Mantel, wie ihn die Beduinen zu tragen pflegen, und seine nackten Füße trugen Sandalen, die übers Kreuz sich um den unteren Teil des Beines schlangen und mit Riemen befestigt waren. Da er den linken Vorderteil des Mantels über die Schulter geworfen hatte, konnte man sehen, daß er ein Untergewand von einfachem grauen Stoff trug. Dasselbe wurde nur von einem armseligen, kamelhärenen Strick um die Hüften festgehalten. In diesem Strick stak ein Messer mit langer, doppelschneidiger Klinge. Über der Schulter hing an einem schmalen Riemen eine lange Beduinenflinte.

Er war langsam am Fluß dahergekommen und hatte die Szene von weitem gesehen. Sein Schritt wurde jedoch ein schnellerer, als die beiden Frauen ihre Stimmen erhoben, und als sein Auge gar bemerkte, daß der Arnaut die Alte schlug, kam er mit verdoppelter Eile herbei. Auch sie hatte ihn erblickt und flüchtete jetzt auf ihn zu. Es gab ja keinen Menschen in der Nähe; er war also der einzige, an den sie sich hilfesuchend wenden konnte.

„Hilf ihr, hilf!“ rief sie ihm entgegen. „Errette sie aus den Händen dieser rohen Menschen!“

Der Beduine war noch sehr jung, machte aber keineswegs den Eindruck eines Menschen, der zaghaft ist. Sein dunkles, schönes Auge überflog jetzt lebhaft forschend die Gestalt der Alten, und mit einem Ausdruck der Ungewißheit und des Zweifels sagte er:

„Du scheinst doch keine Griechin zu sein?“

„Nein.“

„Du hast vielmehr die Züge einer Araberin.“

„Ja, ich bin auch die Tochter eines freien Beduinen. Hilf uns daher! Rette sie!“

„Aber das junge Mädchen ist doch nicht ein Kind der Wüste!“

„O gewiß, sie ist es. Sie ist die Tochter eines berühmten Scheiks.“

„Allah! Warum geht sie denn in dieser Gegend unverschleiert?“

„Wir sind hier fremd. Wir kennen die Sitten dieser Gegend nicht.“

„So solltet ihr desto vorsichtiger sein.“

Da rief die Alte: „Du aber kennst die Gesetze der Wüste. Sieh her, ich fasse dich. Du bist nun unser Beschützer.“ Dann ergriff sie mit der rechten Hand den Strick, der ihm als Gürtel diente, und legte ihm die Linke auf die rechte Schulter. Das ist nämlich dasselbe wie die Worte: „Du bist der Beschützer.“ Kein einziger Beduine wird sich diese Worte vergeblich sagen lassen. Derjenige, der sie ausspricht, steht von demselben Augenblick an unter seinem Schutz; er kämpft für ihn, und er stirbt für ihn.

Der junge Beduine zog die Augenbrauen ein wenig zusammen.

„Weißt du, was du verlangst?“ fragte er. „Von jetzt an gehört euch mein Leben. Ist die da drinnen im Zelt das wert?“

„Sie ist es wert. Oh, rette, rette sie!“

„Ich werde sie sehen und dann handeln.“

Er konnte von dort, wo er stand, Hiluja allerdings nicht sehen; aber das laute Johlen und Lachen, das aus dem Zelt erschallte, und die Hilferufe der Bedrängten ließen genügsam erkennen, daß sie sich in einer schlimmen Lage befand. Mit schnellen Schritten eilte er daher nach der anderen Seite des Zeltes, wo dasselbe offen war und wo zwei Arnauten soeben Hiluja gepackt hatten und sich bemühten, sie zu küssen. Sie wehrte sich weinend und aus Leibeskräften, doch konnte dieser Widerstand von keinem Erfolg sein.

„Halt!“ sagte da plötzlich der Beduine, indem er den Arm gebieterisch ausstreckte. „Diese Tochter des Uëlad arab gehört euch nicht. Laßt sie los!“

Die Augen aller richteten sich jetzt auf ihn. Ein allgemeines höhnisches Lachen erscholl, und derjenige, der das Mädchen in das Zelt gezogen hatte, rief:

„Hört ihr es? Dieser Mensch ist wahnsinnig.“

„Ich bin es nicht. Dieses Mädchen steht unter meinem Schutz!“

„Unter dem Schutz eines Kindes, eines Knaben!“

Der Arnaut sagte das im verächtlichsten Ton. Der junge Beduine hatte inzwischen nur einen kurzen, forschenden Blick auf Hiluja geworfen, doch dieser eine Blick hatte ihm genug gesagt.

Hochrot von der Aufregung des Widerstandes stand sie zwischen den beiden Arnauten, die sie noch immer gepackt hielten. Ihr Busen wogte heftig, und ihr Auge, obgleich von den Tränen des Zornes erfüllt, sprühte Blitze, wie sie das Auge einer Dirne unmöglich versenden konnte.

Der Beduine hob unwillkürlich die Hand zum Herzen. Es ging darin etwas vor, worüber er sich im Augenblick keine Rechenschaft zu geben vermochte. Aber es war ihm, als ob man ihm selbst diese Schande angetan habe, als ob er für dieses herrliche Mädchen sein Leben wagen müsse und auch gern und tausendmal wagen werde. Er zuckte jetzt mit einem unendlich überlegenen Lächeln seines vornehmen und furchtlos dreinblickenden Gesichtes die Achseln und antwortete:

„Einen Knaben nennst du mich? Soll ich dir etwa beweisen, daß ein Wüstenknabe mehr Mut besitzt als ein alter Tschausch der Arnauten?“

Tschausch heißt soviel wie Sergeant. Der Arnaut trug nämlich die Abzeichen dieses militärischen Grades.

„Willst du mich etwa beleidigen?“ rief derselbe.

„Hast du mich nicht bereits beleidigt, indem du mich einen Knaben nennst? Ich habe wohl mehr Feinde erlegt, als du je gesehen hast.“

„Mäuse und Ratten, ja!“

„Du hast recht, denn ein Araber behandelt seine Feinde nur wie Mäuse und Ratten. Sie kriechen vor ihm in ihre Löcher.“

„Nun, so versuche, ob auch wir uns verkriechen!“

„Das ist nicht nötig. Ich betrachte euch noch nicht als meine Feinde. Ihr seid sie erst dann, wenn ihr mir dieses Mädchen nicht freigebt.“

„Hast du ein Recht auf sie?“

„Ja, ich bin ihr Beschützer.“

„Du?“ lachte der Sergeant laut auf, und alle stimmten in sein Lachen ein. „Mit welchem Recht nennst du dich ihren Beschützer?“

„Mit dem Recht der Wüste, und was das bedeutet, wirst du wohl wissen.“

„Ich weiß es, aber ich erkenne es nicht an. Hier bei uns gelten ganz andere Rechte und Gesetze. Wir können nur dann dein Recht über sie anerkennen, wenn du ihr Bruder oder ihr Bräutigam bist. Ist sie also deine Schwester?“

Der Arnaut verhandelte nur deshalb mit dem jungen, ihm so ganz ungefährlich erscheinenden Mann, um sich und den Kameraden einen Spaß zu machen.

„Nein“, antwortete der Gefragte ruhig.

„Oder etwa deine Geliebte?“

„Ja; sie ist meine Braut.“

„Deine Braut?“ höhnte der Sergeant. „Wie willst du uns das beweisen?“

„So!“

Mit diesen Worten trat der junge Beduine auf Hiluja zu, schob die beiden, die sie noch gefaßt hatten, von ihr weg, legte den Arm um ihren Leib und küßte sie auf den Mund. Er kannte die Art und Weise der Arnauten; er wußte, daß sie die Gesetze der Wüste nicht achteten; aber er wußte auch, daß er nun durch diesen Kuß in ihren Augen ein Anrecht auf das schöne Mädchen erworben habe. Ob sie es anerkennen würden oder nicht, das war freilich erst noch abzuwarten.

Hiluja hatte den Kuß geduldet. Ihr Gesicht überzog sich zwar mit purpurner Glut, aber sie hatte keine Bewegung des Widerstrebens gemacht. War das etwa Berechnung von ihr? Nein. Aber es war ihr in diesem Augenblick so eigentümlich zumute, wie noch nie in ihrem ganzen Leben. Dieser junge und jedenfalls sehr arme Beduine erschien ihr wie ein Rettungsengel in höchster Not. Es war ihr, als ob sie sich seinem Arm und seinem Schutz anvertrauen könne für jetzt und für das ganze Leben. Alle ihre Angst war verschwunden. Sie wurde jetzt nicht mehr von den Arnauten festgehalten. Sie hätte diese Gelegenheit also erfassen und entfliehen können, und es wäre ihr wohl keiner nachgefolgt, da der Araber ja jetzt das ganze Interesse der rohen Menschen fesselte und ein Streit mit ihm ihnen ja zehnmal willkommener war als das schönste Mädchen der Welt. Aber dieser Gedanke an die Flucht kam ihr gar nicht einmal, denn als er den Arm um sie geschlungen hatte, da hielt sie sich für sicher und wohlgeborgen in demselben, und es war ihr, als habe dieser Arm sie stets beschützt von Jugend auf und als werde er sie weiter und ferner beschützen für das übrige Leben.

„Er küßt sie! Er küßt die Dirne!“ ertönte es jetzt ringsum. „Der stolze Sohn der Wüste!“

„Wolltet ihr sie nicht auch küssen? Oder meint ihr vielleicht, daß ihr das tun könnt und ich nicht? Lebt wohl!“

Ohne den Arm von Hiluja zu nehmen, wandte er sich nunmehr zum Gehen, aber der Sergeant trat ihm in den Weg und sagte, noch immer höhnisch lachend:

„Halt, Knabe! So treibt man es nicht mit uns! Das Mädchen bleibt hier!“

„Nein, sie geht mit mir! Ich habe euch bewiesen, daß sie meine Braut ist. Sie ist nicht das, was ihr denkt! Sie gehört zu mir und wird mit mir gehen.“

„Oho! Ich habe sie gefunden, ich habe sie eingeladen, und so ist sie mein Eigentum.“

„Besinne dich! Eine freigeborene Tochter der Sahara kann nie das Eigentum irgendeines Menschen sein. Sie gehört nur demjenigen, dem sie sich selbst und freiwillig ergibt und schenkt. Also laßt uns friedlich gehen. Allah behüte euch!“

Damit wollte er fort, der Sergeant aber ergriff ihn am Arm und sagte in drohendem Ton:

„Du bemerkst wohl gar nicht, daß wir bisher nur mit dir scherzten?“

„Und du bemerkst wohl noch weniger, daß ich bisher mit euch im Ernst sprach?“

Die Männer standen sich drohend gegenüber. Ihre Blicke bohrten sich ineinander. Dann aber brach der Arnaut in ein schallendes Gelächter aus und rief:

„Nein, wahrscheinlich, das ist kein Ernst, sondern das ist der größte Spaß, der mir in meinem ganzen Leben widerfahren ist. Dieser Knabe will mir ein Mädchen entführen, das mir gehört! Höre, mein Sohn, willst du mit mir um ihren Besitz kämpfen?“

Der Arnaut richtet dabei seine mächtige Gestalt stolz in die Höhe.

Er war nicht jung, sondern ein guter Vierziger. Die Narben seines Gesichtes bezeugten, daß er kein mutloser Mensch sei. Der stolze, höhnische Ausdruck seines verwetterten Gesichts ließ die Vermutung erraten, daß er meinte, der Beduine werde sich auf die Frage schleunigst in Sicherheit bringen. Aber darin irrte er sich daher, denn der Jüngling zuckte ebenso überlegen wie bereits vorher die Achseln und antwortete:

„Ja, das werde ich, wenn ihr sie auf eine andere Weise nicht freigebt.“

„Mensch, bist du toll?“

„Ich verteidige, was mir gehört. Willst du das toll nennen, so habe ich nichts dagegen.“

„Ich hacke dich in Stücke!“

„Dasselbe haben bereits mehrere gesagt. Du siehst aber, daß ich dennoch am Leben bin!“

„Nun gut, ganz wie du willst! Ich will auf diesen seltenen und überaus lustigen Spaß eingehen. Es wäre doch jammerschade, wenn wir uns einen solchen Scherz entgehen lassen wollten. Also wir kämpfen, und dem, der siegt, gehört das Mädchen.“

„Ich bin bereit!“

Da aber gab es einen ganz unerwarteten Einspruch. Die anderen Arnauten behaupteten nämlich auch, daß das Mädchen ihnen gehöre, daß der Sergeant also nicht das Recht besitze, über sie zu verfügen, und einige stellten sich vor den Beduinen und Hiluja, damit beide nicht entkommen könnten, während andere lärmend den Sergeanten umdrängten, um ihn zu überzeugen, daß sie ganz dieselben Rechte wie er auf Hiluja besäßen. Nur einer verblieb ruhig in seiner Ecke, er hatte bereits vorher nicht in das höhnische Gelächter seiner Kameraden eingestimmt. Seiner Uniform nach war er ein Onbaschi, das heißt Korporal. Er allein verfolgte den Streit mit ernstem, stillen Interesse, ohne sich in denselben zu mischen.

„Laßt mich!“ brüllte der Sergeant jetzt die anderen an. „Ihr habt mir nichts zu befehlen. Ich bin euer Oberster und tue, was mir beliebt!“

„Sie gehört aber uns ebensogut wie dir!“ riefen die anderen ihm entgegen.

„Redet nicht solchen Unsinn! Er kann mich ja nicht besiegen. Sie bleibt euch also gewiß! Also, heraus mit der Sprache, Knabe! Willst du mit mir kämpfen?“

„Ja! Ich habe es dir bereits gesagt. Oder hörst du schwer? Wenn dein Mut ebenso schwach ist wie dein Gehör, so rate ich dir, lieber von dem Kampf abzusehen.“

Ein dröhnendes Gelächter erscholl, in welches sich abermals der Korporal nicht mischte. Sein Gesicht nahm vielmehr ganz den Ausdruck der Besorgnis an. Das Lachen aber hatte die Wirkung, daß die Arnauten auf den Widerstand gegen den Tschausch verzichteten. Er hatte ja recht, er mußte Sieger bleiben. Davon war er so überzeugt, daß er, noch immer aus vollem Hals lachend, erwiderte:

„Nun gut, Kleiner! So komm also hinter das Zelt, wo wir diese Sache schnell ausmachen wollen. Deine Seele soll nicht lange Zeit brauchen, um in der untersten Ecke der Hölle zu kauern. Aber, hört, nehmt das Mädchen mit und auch die Alte. Sie dürfen uns nicht etwa bei dieser Gelegenheit entfliehen!“

„Habe keine Sorge!“ antwortete der Araber ruhig. „Sie ist meine Braut und bleibt bei mir. Sie wird ebensowenig entfliehen, wie ich fortgehe, ohne dir gezeigt zu haben, daß ein Knabe der Uëlad arab doch noch etwas ganz anderes ist als ein Tschausch der Arnauten, der dem Vizekönig sein Leben verkauft, weil dieser ihm für den Monat vierzig Piaster bezahlt.“

Das war eine fürchterliche Beleidigung. Vierzig Piaster sind nicht ganz acht Mark, die Monatslöhnung eines ägyptischen Sergeanten. Letzterer wußte also gar nicht, was er denken solle. So zu sprechen hatte noch kein Mensch gewagt, zumal in Gegenwart so vieler Arnauten. Jeder hätte gewußt, daß er damit sein Leben verwirkt habe. Darum starrte der Beleidigte den verwegenen Sprecher mit weit aufgerissenen Augen an und fragte:

„Mensch, weißt du denn wirklich, was du sagst?“

„Ja.“

„Das glaube ich nicht. Wenn ich es glaubte, würde mein Messer dir zwischen die Rippen fahren!“

„Oh, das gäbe nur den Unterschied, daß unser Kampf im Innern des Zeltes stattfinden würde anstatt hinter demselben.“

„Nun gut! Du beleidigst also mich und uns alle!“ knirschte der Tschausch. „Es gibt keine Schonung! Vorwärts!“

Hiluja hing noch immer an dem Arm ihres Beschützers. Beide wurden fortgeschoben. Da überkam das Mädchen eine entsetzliche Angst, nicht um sie, sondern um ihn, und sie flüsterte ihm zu:

„Um Allahs willen, flieh!“

„Willst du mich verachten?“ antwortete er.

„O nein! Du bist mutig!“

„Wäre es nicht feig, dich in den Händen dieser Hunde zu lassen?“

„Sie werden dich töten!“

„Das wollen wir abwarten. Ich heiße Hilal. Hast du vielleicht diesen Namen bereits gehört?“

„Nein.“

„So mußt du aus weiter Ferne gekommen sein. Die beiden Namen Tarik und Hilal sind bekannt weit über die Grenzen Ägyptens und unsere Oasen hinaus.“

Während dieses kurzen Gespräches hatten die Arnauten hinter dem Zelt einen Kreis gebildet, in dem jetzt der Tschausch mit seinem Gegner und den zwei Frauen stand. Diese beiden letzteren waren in der Wüste aufgewachsen, sie hatten oft, sehr oft solche Kämpfe gesehen, ihr Gefühl sträubte sich also gar nicht dagegen, Zeuge des gegenwärtigen zu sein. Eine nervöse Europäerin wäre allerdings bereits vor Beginn desselben in Ohnmacht gefallen. Diese beiden Araberinnen aber fühlten nichts als nur allein eine angstvolle Besorgnis um ihren mutigen Beschützer. Sie mußten ihn verlorengeben. Selbst wenn er, was ganz unmöglich schien, den Tschausch, den riesigen Menschen, besiegte, stand mit Sicherheit zu erwarten, daß sich dessen Kameraden sofort auf ihn stürzen würden, um ihren Vorgesetzten zu rächen. Er war also unbedingt verloren. Und was geschah dann mit ihnen beiden, den schwachen Frauen?

„Setzt euch auf die Erde!“ herrschte sie jetzt der Sergeant an. „Der Kampf mag beginnen, und die Liebe wird den Sieger belohnen. Vorher aber will ich aus Mitleid noch fragen, Knabe, ob du denn wirklich weißt, was du unternimmst?“

„Ich weiß es“, antwortete er ruhig.

„Es ist kein Spiel. Es handelt sich um Tod und Leben.“

„Ganz natürlich.“

„Du wirst keinen Menschen haben, der dich rächt! Es wagt niemand, einen Arnauten zur Rechenschaft zu ziehen. Übrigens wird es ein ehrlicher Zweikampf sein. Du stirbst und wirst in den Nil geworfen!“

„Ich oder du?“

„Pah! Selbst wenn das Unmögliche geschähe, daß du mich besiegtest, wärst du verloren. Meine Kameraden würden dich in Stücke reißen!“

„Und das nennst du einen ehrlichen Zweikampf?“

„Du bist unter Arnauten, also auf alle Fälle verloren.“

„Wir haben ja bestimmt, daß wir um dieses Mädchen kämpfen und daß es demjenigen gehören soll, der als Sieger aus dem Kampf hervorgeht.“

„Ja. Siege ich, so teile ich den Preis mit meinen Kameraden, siegst du aber, so hast du das Mädchen erst noch gegen sie alle zu verteidigen, wenn sie dich nämlich nicht sofort zermalmen oder zerreißen.“

Da blitzte das Auge des Jünglings stolz und verächtlich auf, und er sagte:

„Damit zeigt ihr recht deutlich, daß ihr Söldner seid, aber keine freien Männer. Übrigens will ich deinen Kameraden nicht raten, sich an mir widerrechtlich zu vergreifen. Soll ich den Preis nicht haben, wenn ich Sieger bin, nun gut, so will ich auch mit jedem einzelnen der anderen kämpfen, aber ich werde nicht dulden, daß sie wie eine Herde Hyänen über mich herfallen!“

„Wurm! Was willst du dagegen tun?“

„Der mag es euch sagen.“

Hilal deutete auf den Korporal.

„Der da? Der Onbaschi? Was ist's mit ihm und dir? Seid ihr etwa Freunde?“

„Nein. Aber er stand bei dem Khedive Wache. Er weiß, daß ich der Gast des Vizekönigs bin und dieser mich an meinen Mördern mit unnachsichtlicher Strenge rächen würde.“

„Hölle, Tod und Teufel! Ist das wahr, Onbaschi?“

„Ja“, antwortete dieser. „Ich sah und hörte ihn mit dem Vizekönig sprechen. Ich habe ein jedes Wort vernommen. Er erfreut sich des besonderen Schutzes und der ganzen Gewogenheit des Herrschers. Ich kann nicht dulden, daß ihr Gewalt und Unrecht gegen ihn verübt!“

„Oho! Bist du unser Kamerad oder nicht!“

„Ich bin es. Aber mein Leben ist mir ebenso lieb wie euch das eurige. Ich will mich nicht vom Henker an irgendeinen Ast aufknüpfen lassen, weil es euch beliebt, einen Schützling des Herrschers zu ermorden. Ich rate euch, diesen jungen Mann samt den Frauen gehen zu lassen.“

„Oho! Er hat uns beleidigt!“

„Dich allein, mich und uns aber nicht. Und diese Beleidigung war nur eine Antwort auf die deinige!“

„Du vergißt, daß ich dein Vorgesetzter bin!“ brauste der Tschausch auf.

„Hier bist du es nicht! Übrigens habe ich gegen einen ehrlichen Zweikampf nichts. Auch der Vizekönig kann dagegen nichts sagen; aber ermorden lasse ich meinen Schützling nicht!“

„Wie? Was höre ich? Du beschützt ihn?“

„Ja. Ich werde ihn gegen euch verteidigen, gegen jeden unrechtmäßigen Angriff!“

„Nun gut, Onbaschi, ich habe keine Lust, mich mit dir zu streiten. Wir werden später darüber sprechen, ob du mir zu gehorchen hast oder nicht – und zwar mit Messern oder Kugeln.“

„Ich werde mich nicht weigern!“

Jetzt hatte diese Angelegenheit eine andere Wendung genommen, als anfangs zu vermuten gewesen war. Der Korporal war an Hilals- Seite getreten. Die Arnauten murmelten leise miteinander. Einige hielten es mit dem Tschausch, die anderen mit dem Onbaschi. Der erstere mochte befürchten, daß die Seinigen gar miteinander in Streit geraten möchten. Darum rief er:

„Keinen Zank unter uns! Ich fechte meinen Strauß hier mit diesem Knaben aus. Es ist ein erlaubter Zweikampf. Kein Mensch kann mich bestrafen, wenn ich ihn töte. Allah mag seiner Seele eine gute Wohnung geben! Also, Knabe, du bist der Schwächere; ich will dir aus lauter Gnade und Großmut die Wahl der Waffen überlassen. Wollen wir schießen oder stechen?“

Über das Gesicht des Gefragten zuckte ein höchst eigentümliches Lächeln. Er antwortete:

„Stechen. Beim Schießen wärst du verloren. Ich also bin es, der Gnade walten läßt!“

„Hund!“ brüllte der Riese.

„Du weißt nicht, was du redest. Würde ein anderer mich mit diesem Wort beschimpfen, so wäre er in derselben Minute eine Leiche. Da aber die Strafe so sicher über dich kommt, wie ich hier vor dir stehe, so will ich Großmut üben. Ich habe gesagt, daß du beim Schießen verloren seist, und das ist wahr. Man nennt mich Ibn es sa'ika!“

„Ibn es sa'ika – Sohn des Blitzes?“ lachte der Sergeant. „Jetzt weiß ich gewiß, daß du verrückt bist. Söhne des Blitzes nennt man zwei Brüder vom Stamm der Sallah. Wenn ihre Flinten blitzen, ist derjenige, auf den sie zielen, verloren. Willst du etwa einer dieser Brüder sein? Das mache anderen weis!“

„Denke, was du willst! Also bist du einverstanden, daß wir zu den Waffen greifen?“

„Ja. Und nun zu Ende mit der Rederei. Es wird Zeit, daß wir zu einem Resultat kommen!“

Der Sergeant riß das Messer aus dem Gürtel und stellte sich in Positur. Hilal warf den Mantel ab und legte die Flinte zur Erde. Er trug jetzt keine andere Kleidung als das Untergewand. Dieses bestand nur in einem Hemd, das keine Ärmel hatte und bis hernieder zum Knie reichte. Die Arme waren bloß und zeigten Muskeln, die ihm wohl vorher keiner zugetraut hätte.

„Also angefangen!“ rief der Tschausch.

„So komm!“ antwortete der Beduine. Dann zog er das Messer aus dem Gürtelstrick und setzte sich, die nackten Beine vor sich hinstreckend und das Messer in der rechten Hand haltend, zur Erde nieder. Der Tschausch hatte etwas ganz anderes erwartet.

„Was soll's?“ fragte er. „Was fällt dir ein?“

„Nun, ein Zweikampf auf Messer!“

„Sitzend etwa?“

„Ja, ich meine den Zweikampf der Wüste. Nur in diesem zeigt es sich, ob man wirklichen Mut und wahrhaftige Tapferkeit besitzt.“

„Alle Teufel! Wüstenkampf! Ich denke gar nicht daran! Ich bin Arnaut, aber kein Beduine!“

Der echte Messerkampf der Sahara besteht darin, daß die beiden Duellanten sich einander gegenübersetzen, jeder das Messer in der Hand. Der eine sticht sich die Klinge in irgendeine Stelle seines Körpers, zum Beispiel in die Wade, so daß der Stahl an der anderen Seite wieder herauskommt. Der andere muß sich an ganz derselben Stelle denselben Stich versetzen. Hat er das getan, so schneidet sich der erstere vielleicht die ganzen Muskeln des Oberschenkels bis auf den Knochen auf. Der zweite muß dies auch tun. Wer am längsten aushält, ohne eine Miene zu verziehen, der ist der Sieger. Die Beduinen sind unerreichbar in dieser Art des Zweikampfes. Sie haben eine solche Selbstbeherrschung, daß sie sich die schmerzhaftesten Wunden mit lächelndem Mund beibringen.

Das war aber nicht nach dem Geschmack des Tschausch. Er wollte seinem Gegner einfach das Messer in das Herz stoßen, nicht aber sich selbst auf so unsinnige Weise zerfleischen. Er war der bei weitem Stärkere; er mußte ja siegen, und so wäre es geradezu Verrücktheit von ihm gewesen, auf diese Art des Kampfes einzugehen.

Hilal hob jetzt den lachenden Blick zu ihm empor und sagte:

„Du willst nicht?“

„Nein.“

„Ah! Die Wunde tut allerdings weh!“

„Wie meinst du das?“

„Du fürchtest den Schmerz!“

„Hund! Keine weitere Beleidigung!“

„Gut, wie du willst!“

Dann erhob sich Hilal von der Erde und fuhr gleichmütig fort:

„Ich wollte dein Leben schonen, denn du hättest dich doch wohl nicht selbst erstochen. Darum schlug ich dir diese Kampfesweise vor. Die Art aber, welche du wünschst, ist höchst lebensgefährlich für dich. Meine Klinge ist sicher.“

„Versuche es!“ lachte der Riese höhnisch auf.

„Das brauche ich nicht! Ich kenne mein Messer so genau, daß es eines Versuches gar nicht bedarf. Du wärst verloren, wenn ich wollte. Aber ich bin Gast des Vizekönigs und will ihm daher keinen seiner Soldaten erstechen. Das wäre Unhöflichkeit.“

„Schwatze nicht Unsinn! Beginnen wir lieber. Wer von uns beiden eine Leiche wird, das kann nur ich sehen, da nur ich der Überlebende sein werde.“

„In diesem Fall muß ich dich bitten, meinen Verwandten die Kunde meines Todes zugehen zu lassen, damit sie nicht vergebens nach mir suchen.“

„Ich werde es tun. Also dein Name?“

„Hilal.“

„Hilal? Von welchem Stamme?“

„Dieser Frage bedarf es nicht. Mein Bruder heißt Tarik.“

„Teufel! Tarik und Hilal. Das sind allerdings die Söhne des Blitzes. Mach mir diese Fabel nicht vor!“

„Ich sage wir vorher: Glaube es, oder glaube es nicht! Übrigens bin ich deiner Meinung. Wir haben genug geschwatzt. Beginnen wir!“

„Wohlan also!“

Im nächsten Augenblick standen die beiden einander drohend gegenüber, die Messer in den Fäusten und die Blicke ineinander gebohrt.

„Allah, o Allah!“ flehte Hiluja, sich abwendend.

„Nun, so komm, Knabe!“ rief der Arnaut.

„Ich warte auf dich!“ antwortete Hilal lächelnd. „Hast du Mut oder nicht?“

„Ah, Bube, komm her! Ich werde dich abschlachten, wie man einen Schöps abschlachtet!“

„Und ich werde dich nicht töten; aber ich werde dafür sorgen, daß deine Arme für lange Zeit verzichten müssen, dich zu verteidigen, wenn du eine Tochter der Beduinen beleidigt hast. Du nennst mich einen Buben und treibst doch selber Büberei!“

Da stieß der Arnaut einen heiseren Wutschrei aus und stürzte sich mit gezücktem Messer und ausgestreckter Linken auf den Gegner. Er wollte ihn einfach mit der Linken umfassen und mit der Rechten den tödlichen Stoß ausführen – er griff aber in die Luft; Hilal stand, laut auflachend, hinter ihm; er war unter dem gegen ihn ausgestreckten Arme hinweggeschlüpft.

Der Arnaut drehte sich nun nach ihm um und drang wieder auf ihn ein, aber er wußte nicht, wie das Unmögliche möglich wurde: Hilal entkam ihm auch jetzt wieder und stieß hinter ihm sein helles Lachen aus.

Dies geschah noch mehrere Male.

„Hund, halte stand!“ brüllte der Arnaut wütend.

„Bemerkst du nicht, daß ich nur mit dir spiele?“ lachte der unvergleichliche Beduine.

„Ach, wenn ich dich nur hätte! Nur erst fassen!“ schrie der vor Anstrengung Schäumende.

„Gut! Hier, fasse mich!“

Das klang ernst, fast drohend, und Hilal blieb stehen, die Füße weit auseinandergespreizt, den leuchtenden Blick auf das rote Gesicht des Tschausch gerichtet. Da stieß dieser einen Ruf der Freude aus, packte ihn mit der Linken bei der Brust und holte mit der Rechten aus.

Hiluja schrie laut auf – im nächsten Augenblick müßte ihr Beschützer eine Leiche sein.

Aber er war es nicht. Auch er hatte mit seiner Linken den Tschausch gepackt und parierte mit der Rechten die Stöße desselben. Faust traf auf Faust, Klinge glitt an Klinge ab. Der Tschausch mochte stoßen, wie er wollte, von oben, unten von der Seite, stets wurde sein Stoß pariert, und zwar mit einer solchen Leichtigkeit, ja Eleganz, wie es die erregten Zuschauer für vollständig unmöglich gehalten hätten. Ebenso wunderbar erschien ihnen die Festigkeit, mit der Hilals schmächtiger Körper wie in den Boden gewachsen zu sein schien. Die ganz Anwendung der gewaltigen Körperkraft genügte nicht, den Araber auch nur einen Schrittbreit von der Stelle zu bringen.

So standen die beiden voreinander, sich fest gepackt haltend und nur die rechten Arme mit den blitzenden Messern bewegend, den einen zum Stoßen und den anderen zum Parieren.

Der Tschausch schäumte vor Wut. Aus seinem krampfhaft verzerrten Mund troff der Speichel; seine Augen waren mit Blut unterlaufen, während sein Gegner mit lächelnder Miene ihm gegenüber hielt, als ob er sich nur einer angenehmen Übung befleißige. Die Stöße des ersteren wurden immer schneller, aber auch unsicherer, krampfhafter. Man sah es ihm an, daß er sich anstrengte, daß aber seine Kraft nicht mehr lange vorhalten würde.

„Mensch, bist du denn ein Teufel?“ brüllte er. „Ein Ende mit dir! Jetzt oder nie!“

Sein Auge hatte den Blick eines gereizten Stieres, der sich in der Arena auf den Gegner wirft, um ihn auf die Hörner zu spießen. Jäh holte er zu einem Stoß aus, in dem er seine ganze noch vorhandene Körperkraft vereinigte. Jetzt mußte es gelingen!

„Ja, ein Ende jetzt!“ antwortete Hilal.

Dann riß er sich mit einem gewaltigen Ruck von dem Griff des Riesen los, parierte dessen Messerstoß – ein Schlag noch in die Achselhöhle, und der Tschausch machte infolge dieses Fausthiebs eine Viertelwendung, so daß er dem Gegner für einen Augenblick den Rücken zukehrte. Aber der eine Augenblick genügte vollständig. Sein Messer blitzte auf, zwei gedankenschnelle Schritte – zwei ebenso schnell aufeinanderfolgende Schreie des Tschausch und – Hilal sprang zurück, der Tschausch aber stand auf einem Punkt, unbeweglich, als habe ihn der Schlag getroffen!

„So jetzt ist's aus!“ sagte der Araber. „Seht her, ob ich Wort gehalten habe!“

Das alles war mit solcher Schnelligkeit vor sich gegangen, daß weder der Tschausch wußte, was eigentlich geschehen sei, noch die anderen sehen konnten, was der Sprecher eigentlich meine. Sie sahen nur Blut von den Schultern des Arnauten laufen. Dieser stand stöhnend still, er wollte die Arme erheben, um den Gegner zu fassen, konnte es aber nicht. Da brüllte er laut auf:

„Allah, o Allah!“

„Was ist mit ihm?“ fragte einer, auf den Verwundeten zutretend. Nun sah man erst, was geschehen war. Hilal hatte dem Tschausch die Rückenmuskeln quer über beide Schlüsselbeine und die Schulterblätter zerschnitten, und da diese Muskeln zur Bewegung der Oberarme notwendig sind, war es dem Verwundeten nun unmöglich, die Arme zu erheben, sie hingen dicht am Körper herab, und er stand in einer großen Lache des herabfließenden Blutes.

Zahlreiche Schreckensrufe machten ihn bald mit seinem Zustand bekannt. Die Wut, in die er dadurch geriet, war geradezu unbeschreiblich. Er gebärdete sich wie ein wildes Tier und forderte die andern auf, den Täter auf der Stelle umzubringen. Sein Zustand macht auf diese allerdings einen Eindruck, der für den Beduinen verhängnisvoll werden konnte. Schon drängten, während zwei den Verwundeten in das Zelt schafften, die anderen drohend an den Sieger heran.

„Der Teufel hat ihm geholfen!“ rief einer.

„Ja. Er steht mit den bösen Geistern im Bund“, meinte ein zweiter. „Wie hätte er sonst siegen können!“

„Er hat ihn gelähmt. Das ist schlimmer als der Tod!“

„Tötet ihn!“

„Nein! Lähmt ihn auch!“

Solche Rufe ließen sich hören. Hilal stand ruhig an der Wand des Zeltes, das Messer noch in der Hand, das eine Auge auf seine Flinte gerichtet, die noch am Boden lag. Er war auf alles gefaßt.

„Ich habe ihn gewarnt!“

„Du bist behext. Du hast ein Amulett! Heraus damit!“

„Hier ist mein Amulett.“

Er hob sein Messer empor.

„Leugne nicht! Wie hättest du ihn sonst besiegen können, ihn, den stärksten von uns allen!“

„Ich habe euch gesagt, daß ich Hilal bin, der Sohn des Blitzes. Hätte er es geglaubt!“

„Auch wir glauben es nicht. Rache für ihn. Blut um Blut!“

„Vergeßt nicht, daß ich der Gast des Vizekönigs bin!“

„Ja, vergeßt das nicht. Und vergeßt auch nicht, daß er unter meinem Schutz steht!“ sagte jetzt plötzlich der Onbaschi, indem er sich vor Hilal hinstellte und die Dränger von ihm zurückschob.

„Du handelst nicht wie einer der Unsrigen!“ wurde ihm da vorgeworfen.

„Ich handle so, wie ich muß und wie ich es euch vorher gesagt habe. Er hat den Tschausch im ehrlichen Zweikampf besiegt. Er hat bewiesen, daß er ein Mann ist. Was wollt ihr ihm tun?“

„Sein Blut wollen wir.“

„Ich dulde nicht, daß ihr ihn mordet!“

„Er soll mit uns kämpfen. Er hat es uns versprochen. Laßt diese verdammten Weiber fort! Wir wollen nicht sie, sondern ihn!“

Die alte Beduinin erhielt in diesem Augenblick einen Fußtritt, daß sie laut aufschrie.

„Komm, komm, Hiluja!“ bat sie. „Laß uns fliehen! Die Gelegenheit ist günstig. Sie selbst jagen uns fort.“

„Ich bleibe!“ antwortete jedoch die Angeredete.

Hiluja hatte nicht einen Tropfen Blut im Gesicht. Was sie beim Anblick des so glücklich beendeten Kampfes ausgestanden hatte, das war nichts gegen die Angst, die sie jetzt empfand. Sie, die Tochter eines kriegerischen Stammes, hatte bereits nach den ersten Augenblicken des Zweikampfes gesehen, daß ihr mutiger und verwegener Beschützer seinem Gegner überlegen sei. Jetzt aber drang nicht einer allein auf ihn ein. Gegen so viele half keine Tapferkeit.

„Allah il Allah!“ stöhnte die Alte. „Willst du dich zwecklos verderben? Du kannst ihn ja nicht retten!“

„Nein, aber soll ich ihn verlassen, da er mich befreien wollte?“

„Du kannst ihn nicht befreien. Komm also!“

„Nein, ich bleibe! Ich kämpfe für ihn, wenn es nötig sein sollte!“

Dabei griff Hiluja nach dem Messer des Tschausch, das diesem bei seiner Verwundung entfallen war. Niemand sah es, daß sie diese Waffe an sich nahm.

„Oh, ihr Geister der sieben Himmel! Jetzt will sie gar für ihn kämpfen!“ klagte die Alte. „Sie werden dich umbringen, jetzt, wo du dich retten könntest!“

Hiluja antwortete nicht mehr. Sie war fest entschlossen, ihr Wort wahr zu machen. Ihr Augen ruhten auf Hilal, wie er da am Zelt stand, ruhig und stolz, als gehe der Streit, den der Onbaschi mit den anderen fortführte, ihn gar nichts an. Da fiel sein Auge auf sie, und ihre Blicke trafen sich. Er sah die Bewunderung in dem ihrigen leuchten, und seine sonnenverbrannte Wange rötete sich. Er nickte ihr beruhigend zu und winkte ihr heimlich, den Ort zu verlassen. Sie antwortete, indem sie verneinend den Kopf schüttelte und ihm das Messer zeigte. Da blitzte es in seinen Augen auf, so hell, so flammend, daß es ihr war, als sei sie von diesem Licht geblendet worden. Sie senkte den Blick und fuhr sich mit der Hand nach dem Herzen.

Was war doch in diesem Augenblick in demselben geschehen? Es war wie ein elektrischer Schlag durch ihre Seele gegangen, aber nicht etwa schmerzhaft, sondern wonnig, über alle Maßen selig. Sein Blick hatte so deutlich gesagt: „Wie schön bist du, und auch wie tapfer bis du!“ Und nicht nur dieses, sondern noch anderes hatte in diesem Blick gelegen! Sie hatte nur keine Zeit, darüber nachzudenken, denn der Streit nahm bald wieder ihre ganze Aufmerksamkeit in Anspruch. Der Korporal hatte sich soeben mit den Arnauten geeinigt und wandte sich an Hilal:

„Du hörst, was sie sagen. Sie wollen dein Blut.“

„Sie mögen es sich holen. Hier stehe ich!“

„Nein, kein Mord soll geschehen. Darüber haben wir uns geeinigt. Du sollst mit jedem kämpfen, mit jedem einzelnen.“

„Das ist sehr wohlbedacht von ihnen“, lächelte Hilal verächtlich. „Sie sind ihrer viele, und ich bin allein!“

„Ich bin auf deiner Seite.“

„Das ändert nichts. Einem von ihnen wird es doch wohl gelingen, mich zu töten. Nun, sie mögen es versuchen. Welcher will anfangen?“

„Das Los entscheidet.“

„So werft es jetzt, damit wir bald zu Ende kommen.“

„Nicht jetzt und hier. Es soll geschossen werden. Das darf niemand hören. Darum gehen wir fort von hier.“

„Geschossen? Habt ihr gesehen, daß ich Meister bin in der Führung des Messers?“

„Höhne nicht! Ich bin froh, daß ich das Zugeständnis eines ehrlichen Kampfes erlangt habe, wenn du sie aber erzürnst, kann ich dich nicht länger beschützen.“

„Nun, wo soll der Kampf stattfinden?“

„An dem kleinen See El Chiyam, jenseits des Kanales. Kennst du ihn?“

„Ja, und wann?“

„Wenn die Sonne die Wüste berührt.“

„Das ist in einer Stunde. Ich werde kommen.“

Hilal hob seinen Haïk auf, um ihn umzunehmen, und griff dann auch nach seiner Flinte.

„Wie?“ fragte der Onbaschi. „Willst du fort?“

„Ja. Meinst du etwa, daß ich hierbleiben soll?“

„Natürlich! Du hast ja mit uns zu kämpfen!“

„Doch nicht hier, sondern draußen am See.“

„Aber wenn wir dich jetzt fortlassen, wirst du vielleicht nicht zum Kampf erscheinen.“

„Dasselbe könnte ich auch von euch sagen. Ebenso gewiß und sicher wie ihr komme ich auch.“

„Hm! Du gehst wohl dem gewissen Tod entgegen, und da kann es leicht geschehen, daß du abgehalten wirst.“

Da legte Hilal dem Sprecher die Hand auf die Achsel, lachte laut auf und antwortete:

„Es wird wohl umgekehrt sein.“

Das klang so sicher und selbstbewußt, daß sogar der Onbaschi davon tief berührt wurde und meinte:

„Wenn du deiner Flinte so gewiß bist wie deines Messers, so kann der Ausgang des Kampfes allerdings für einige von uns verhängnisvoll werden. Bist du denn wirklich Hilal, der Bruder Tariks?“

„Ich habe es gesagt, und also ist es wahr. Es kommt nie eine Unwahrheit über meine Lippen.“

„So freue ich mich, den berühmten Beduinen zu sehen. Ich habe nicht geglaubt, daß diese Brüder noch so jung sind. Und doppelt freut es mich, daß es mir vergönnt gewesen ist, dir einen Dienst zu erweisen.“

„Hoffentlich bist du nun so freundlich, mich mit den Frauen gehen zu lassen?“

„Ja, ich vertraue dir, und nimm die Frauen auch mit. Man ist froh, sie los zu sein. Das hübsche Gesicht dieses Mädchens hat großes Unglück angerichtet. Horch! Da fängt der Tschausch wieder an, zu brüllen. Man wird ihn verbinden. Mach, daß du fortkommst, aber zögere dann auch nicht, zu erscheinen!“

„Ich gehe, aber ich fliehe nicht, mag dein Tschausch singen oder brüllen, beten oder fluchen!“

Hilal nahm darauf sein Gewehr, winkte den beiden Frauen, ihm zu folgen, und schritt davon. Er war viel zu stolz, sich auch nur ein einziges Mal umzudrehen, vielleicht aus Besorgnis, daß man ihm eine Kugel nachsenden könne. Erst als er überzeugt war, daß das Zelt gar nicht mehr zu sehen war, blieb er stehen und wandte sich zu den Frauen, die ihm schweigend gefolgt waren.

Da trat Hiluja rasch auf ihn zu, streckte ihm die Hand entgegen und sagte im herzlichsten Ton:

„Also Hilal heißt du! Du bist mein Retter. Ich habe dir zu danken!“

Er antwortete nicht gleich. Sein Blick aber senkte sich forschend in ihr Auge. Dann erwiderte er:

„Nein, du bist keine von Allah Verlassene. Dein Auge ist rein von solcher Schuld.“

„Welche Schuld meinst du?“

„Die Schuld, an die ich dachte, als ich sah, daß du dein Angesicht den Gläubigen und Ungläubigen gezeigt hattest.“

Hiluja hatte so viel vom Leben und Treiben größerer Städte gehört, daß sie ihn so ziemlich verstand. Sie erglühte bis tief in den Nacken hinab und antwortete:

„Ich bin noch nie hier gewesen. Wir wollten nur einsam am Fluß hinwandern und bald umkehren.“

„Dennoch hätte ich mich nicht deiner angenommen, wenn mich nicht dein Gesicht dazu gezwungen hätte.“

„Wie konnte dich dieses zwingen?“

„Es gibt ein sehr ähnliches, das ich liebhabe. Du hast ganz die Augen und die Züge unseres Scheiks.“

„So habe ich das Gesicht eines Mannes?“ lächelte sie.

„Nein. Unser Scheik ist ein Weib. Es heißt Badija.“

Sie waren während des Gespräches immer weiter fortgegangen. Jetzt, als er diesen Namen nannte, blieb Hiluja überrascht stehen.

„Was höre ich?“ fragte sie. „Badija? Meinst du die Königin der Wüste?“

„Ja.“

„Kennst du sie?“

„Ich sagte ja, daß sie mein Scheik sei.“

„So gehörst du zum Stamm der Sallah-Beduinen?“

„Ich bin stolz, ein Sallah zu sein. Die Königin hat mich mit einer Botschaft an den Vizekönig gesandt.“

„Wann kehrst du zurück?“

„Morgen früh.“

„Wie herrlich Allah dieses fügt! Willst du mich mitnehmen?“

„Mit mir? Zu dem Lager der Meinigen? Ist das dein Ernst? Kann das dein Wille sein?“

„Ja, denn Badija ist meine Schwester. Wir beide, Haluja und ich, kommen, um sie zu besuchen.“

„Allah ist groß!“ rief er da vor Erstaunen so laut, als ob es ganz Kairo hören solle. „Du, die Schwester der Königin! Du, diejenige, von der sie uns so viel erzählt hat, wenn sie von der Heimat sprach?“

„Hat sie von mir erzählt, von mir gesprochen?“

„Tausendmal!“

„Oh, sie liebt mich noch?“

„Ob sie dich liebt! Sie wird sich freuen ohne Ende, wenn sie dich sieht. Weiß sie, daß du kommst?“

„Nein, sie hat keine Ahnung davon.“

„Desto besser, desto größer wird die Überraschung sein.“

Diese Fragen und Antworten folgten mit großer Geschwindigkeit aufeinander, wie es bei solchen Gelegenheiten ja stets der Fall zu sein pflegt. Sein Gesicht hatte sich vor freudiger Verwunderung gerötet, und das ihrige glänzte vor Entzücken. Ohne es sich in diesem Augenblick einzugestehen, fühlte sie sich unendlich glücklich darüber, daß ihr Retter und Beschützer zu dem Stamm gehörte, dessen Beherrscherin ihr Schwester war.

„Wie aber kommst du nach Kairo?“ fragte er. „Du bist doch eine Tochter der Beni Abbas?“

„Ja. Weißt du das noch nicht?“

„Natürlich weiß ich es. Aber diese wohnen doch weit gegen Sonnenuntergang von hier, im Süden von Tunis, und du scheinst von Osten zu kommen!“

„Ich komme von Westen, aber mit diesem Dampfschiff, das dort am Ufer liegt.“

Sie waren jetzt gerade an der Jacht des Lords angelangt.

„Mit diesem Schiff?“ fragte Hilal verwundert. „Du, eine Tochter der Wüste?“

„Ja. Ich müßte dir viel erzählen, um es dir zu erklären. Ich reiste mit einer zahlreichen Karawane, da wurden wir von einer Raubkarawane der Tuaregs überfallen, und ein edler Franke rettete uns und brachte uns dann auf diesem Schiff hierher, damit wir von hier aus zu den Beni Sallah kommen könnten. Er wird sich freuen, daß ich in dir einen so tapferen Begleiter gefunden habe. Oder willst du mich nicht mitnehmen?“

„Wie gern nehme ich dich mit!“ entfuhr es ihm da. „Mit dir würde ich bis an das Ende der Erde, bis an das Ende aller Welten gehen!“

„Zunächst nur zu meiner Schwester. Du mußt jetzt mit auf das Schiff kommen, damit er dich sieht.“

„Das geht nicht.“

„Warum nicht?“

„Du hast ja gehört, daß ich, wenn die Sonne das Sandmeer berührt, draußen am See sein muß.“

Da veränderte sich ihr glückstrahlendes Gesicht sofort, und sie meinte erschrocken:

„O Allah! Das hatte ich ganz vergessen! So wolltest du also wirklich mit diesen Ungeheuern kämpfen?“

„Ja.“

„Gehe nicht hinaus!“

„Willst du, daß ich ein Lügner werde?“

„Nein. Aber sie werden dich töten!“

„O nein. Sage mir, würdest du vielleicht traurig sein, wenn ich getötet würde?“

„Sehr traurig!“ antwortete sie aufrichtig. „Du bist ja mein Retter und Beschützer. Willst du aber allein zu ihnen gehen?“

„Ganz allein. Bei solchen Dingen ist es desto besser, je weniger Zeugen man hat. Auch die Arnauten kennen die Blutrache. Einer rächt den anderen.“

„O Himmel! So wirst du nicht wiederkommen! Einer gegen so viele! Du bist wahr und aufrichtig, sie aber sind falsch, lügnerisch und treulos.“

Auf ihrem Gesicht prägte sich eine schwere Angst aus. Das tat ihm wohl. Er fühlte, daß er für dieses wunderschöne Mädchen imstande sein könne, in die Hölle hinabzusteigen. Doch er mußte sie beruhigen:

„Mach dir keine Sorgen um mich!“ sagte er also. „Nicht wahr, du warst zuerst überzeugt, daß der Arnaut mich töten werde?“

„Ja. Ich hatte entsetzliche Angst.“

„Und doch wäre er von meiner Hand gefallen, wenn ich ihn nicht geschont hätte! Geradeso ist es auch mit dem Kampf, der nun noch erfolgen soll. Ich rühme nie von mir, aber um dich zu beruhigen, sage ich dir, daß mein Name überall bekannt ist. Ich habe diese Arnauten nicht zu fürchten.“

„Meinst du, daß du sie töten wirst?“

„Ich töte selten einen Feind. Wenn es mir möglich ist, mache ich ihn nur kampfunfähig. So hoffe ich auch jetzt, daß ich das Leben dieser Leute werde schonen können. Ich fürchte mich nicht. Ich komme wieder.“

„Wohin?“

„Soll ich denn auf das Schiff kommen?“

„Ja. Du wirst willkommen sein. Aber, was tue ich dann, wenn du nicht kommst?“

„Dann bin ich tot. Nur der Tod könnte verhindern, dich wiederzusehen.“

„Tot! Allah! Welch ein Unglück!“

„Man würde meine Leiche wohl da draußen am See finden. Du aber könntest Tarik, meinem Bruder, sagen, wer meine Mörder gewesen sind.“

„Ich bitte dich, bleibe zurück! Gehe nicht hinaus!“

Hiluja ergriff seine Hand und blickte ihm flehend in das Angesicht. Wie so gern hätte er ihr diese Bitte erfüllt, wenn es ihm möglich gewesen wäre! Dennoch aber antwortete er:

„Das geht nicht! Kein Mensch soll sagen, daß Hilal ein Lügner oder Feigling sei.“

„So gehe wenigstens nicht allein. All deine Tapferkeit kann dich gegen Verrat nicht schützen.“

„Wen sollte ich mitnehmen?“

„Meine Freunde und Beschützer, die sich hier auf dem Schiff befinden.“

„Sie sind mir fremd.“

„Wenn ich dich bringe, sind sie deine Freunde.“

„Es sind Franken?“

„Ja.“

„Dann mögen sie bleiben. Und selbst wenn sie Anhänger des Propheten wären, würde ich keinen mitnehmen. Diese Arnauten sollen nicht meinen, daß ich einen Begleiter habe, weil ich mich vor ihnen fürchte.“

„Wird der Tschausch gelähmt bleiben?“

„Nein. Sobald die Wunden geheilt sind, wird er seine Arme wieder bewegen können. Es mag ihm dies eine Lehre sein, keine Tochter der Wüste ohne Ehrerbietung zu behandeln, die er der Angehörigen eines unserer Stämme schuldig ist. Aber, du kennst nun meinen Namen, darf ich nicht auch den deinigen hören?“

„Ich heiße Hiluja.“

„Hiluja! Dieser Name ist so schön, wie ich noch keinen einzigen gehört habe! Ich bin einer der Ärmsten unseres Stammes. Ich habe nur mein Reitkamel, ein Pferd und wenig Schafe, aber ich habe auch eine Flinte und mein Messer, und es soll mir eine Paradiesesfreude sein, wenn ich dich glücklich zu der Königin gebracht habe! Jetzt aber muß ich gehen. Lebe wohl, Hiluja.“

Er ergriff darauf ihr kleines Händchen. Sie aber hielt seine Hand fest und sagte traurig:

„Du sprichst davon, mich zur Schwester zu bringen, und liegst doch vielleicht schon in einer Stunde da draußen, ermordet von den Arnauten! Wenn mir doch nur ein rettender Gedanke käme! Ich kann dich nicht wieder bitten, nicht hinauszugehen, und etwas Besseres fällt mir doch auch nicht ein.“

Es schien, als ob ihr die Tränen in die Augen treten wollten. Hilal sah es. Er hätte vor ihr niederknien mögen, doch beherrschte er sich und sagte:

„Ich weiß etwas.“

„Was? Sage es!“

„Wirst du es tun?“

„Oh, wie gern!“

„So bete zu Allah für mich. Du bist so schön, so rein, so gut. Wenn du für mich betest, so wird er dein Gebet erhören, er kann nicht anders. Willst du?“

„Ja, ich will“, nickte sie.

„Ich danke dir! Lebe wohl, Hiluja!“

„Lebe wohl, Hilal. Allah sei mit dir!“

Die letzten Worte klangen gepreßt, als ob sie sich dabei die größte Mühe geben müsse, ein unterdrücktes Schluchzen nicht hörbar werden zu lassen. Ach, es war ihr so weh um das Herz, als ob sie ganz sicher sei, daß er einem gewissen und unvermeidlichen Tod entgegen gehe!

Nassen Auges blickte sie ihm nach. Er schritt so stolz und elastisch, so selbstbewußt dahin, wie nur ein Araber schreiten kann, der keinen Herrn über sich erkennt als Gott allein, denn selbst der Scheik des Stammes ist mehr Berater als Gebieter und hat sich nach der Versammlung der Ältesten zu richten. Der Beduine ist nicht nur der Sohn, sondern auch der Herr der Wüste, wo er hingeht, da ist sein Vaterland, wo er sich hinlegt, da ist seine Heimat. Die ganz Unendlichkeit der Wüste ist seine strengste Tyrannin und doch auch seine Freundin, die sich ihm unterwerfen muß! Das weiß er. Daher verachtet er den Städtebewohner und einen jeden, der nach den Gesetzen der Zivilisation gezwungen ist, irgendeinen Menschen als über ihm stehend anzuerkennen.

Darum war auch der Gang Hilals so stolz und sicher, ohne daß er diesen Stolz wollte und beabsichtigte. Hiluja folgte ihm mit dem Blick, bis er nicht mehr zu sehen war. Der Alten entging dies nicht. Sie bemerkte sehr wohl, was in ihrem Liebling vorging.

„Gefällt er dir?“ fragte sie.

Hiluja errötete.

„Sollte er etwa nicht?“ antwortete sie ausweichend.

„Oh, doch! Sein Kleid ist arm und gering, aber sein Gang ist wie der eines Königs.“

„Und seine Tat ist wie diejenige eines Helden.“

„Ob er wirklich so berühmt ist, wie wir hörten?“

„Ich glaube es. Denn was er heute getan hat, das hätten tausend andere nicht zu tun gewagt.“

„Ich wollte, er hätte diesen Tschausch getötet. Hast du dir gemerkt, wie er mich nannte?“

„Nein.“

„Ein Scheusal nannte er mich, hörst du, ein Scheusal! Oh, wenn er Wasser trinkt, soll es ihm zu kochendem Öl werden, und wenn er Brot ißt, soll es ihn schmerzen, als ob er glühende Flintenkugeln verschluckt! Sein Körper möge eine einzige Wunde sein, und wenn er dann in die Hölle fährt, möge er verdammt sein, sich selbst aufzufressen und immer wieder herauszuspeien! Ein Scheusal! Weißt du, was das bedeutet? Ein Scheusal ist ein Weib, das keinen Mann bekommt und dessen Kinder vor Angst davonlaufen, wenn sie die schreckliche Mutter erblicken!“

50 - Deutsche Helden, Deutsche Herzen 02 - Die Königin der Wüste
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