Kapitel 20

Fast sechs Wochen. Bist du bereit für mich? Kuss, G

Sophie war mehr als bereit für Greg. Ihr Liebesleben war mau, seit sie für die Irish Times arbeitete. Seine E-Mail kam genau zum richtigen Zeitpunkt.

Hallo, Greg,

wo steigst du ab? Ruf mich doch diese Woche an, dann können wir was vereinbaren.

Küsse, Sophie

Schon wenige Stunden später antwortete er.

Ich wohne in einem Hotel namens Merrion. Hast du schon mal was davon gehört? Es gehört einem guten Freund von mir, einem Kunstsammler, und er hat gesagt, ich soll mal vorbeischauen, wenn ich in der Stadt bin. Ich freue mich schon darauf, Dublin wiederzusehen. Mein Freund sagt, es hat sich verändert. Mein Flieger landet am Donnerstag um acht Uhr morgens. Ich rufe dich an, wenn ich im Hotel bin.

Kuss, G

Sophie war aufgeregt. Sie sehnte sich danach, Greg wiederzusehen und sich von einem Mann geliebt zu fühlen. Seit ihrer Rückkehr aus Kuba vermisste sie Paul mehr denn je. Ihr war auch nicht klar gewesen, wie leer ihr Leben ohne Emma wäre. In Dublin hatte sich eine Menge verändert, und sie wusste nicht, ob sie es ertragen konnte. Da kam ihr die Ablenkung durch Greg gerade recht, und vielleicht konnte aus ihrer Affäre sogar etwas Dauerhafteres werden. Sie selbst war jedenfalls bereit für eine feste Beziehung. Es war das, was sie und Paul im Sinn gehabt hatten.

Felipe verlor langsam die Geduld mit dem System. Die Regierung wollte Beweise für seine Beziehung zu Emma, aber sie hatten nur das Foto, das sie mit dem Handy am Hafen von Cojímar aufgenommen hatten. Er konnte den Behörden schlecht sagen, dass sie sich nur einmal geküsst hatten. Allein die Hoffnung, die schöne, dunkelhaarige Frau mit der blassen Haut wiederzusehen, ließ ihn durchhalten. Er fragte sich, wie es sich woanders auf der Welt lebte, wo die Menschen frei von Einschränkungen reisen durften und keine Angst zu haben brauchten, dass ihre Nachbarn sie bespitzelten.

Der Portier begrüßte Sophie auf der Steintreppe des diskreten Hotels mit der außergewöhnlichen georgianischen Fassade.

»Guten Morgen, Madam.«

»Morgen.«

Auf dem Weg durch die Rezeption zum Salon ließ Sophie den Blick über die fantastischen Gemälde von Jack B. Yeats schweifen. Das Merrion Hotel erinnerte sie eher an ein herrschaftliches Anwesen als an ein öffentliches Hotel. Das Kaminfeuer sah zwar einladend aus, war aber jetzt im Frühsommer zu warm.

Greg saß auf einem der Sofas und las die Herald Tribune. Er sah noch besser aus als in ihrer Erinnerung.

Als hätte er ihre Gegenwart gespürt, hob Greg den Kopf. Beim Anblick ihrer lockigen Mähne, die seit ihrer gemeinsamen Zeit in Havanna noch länger geworden war, stand er auf und eilte ihr entgegen.

»Sophie aus Irland! Wie geht es dir?«

Er sprach jedes Wort so überdeutlich aus, dass Sophie das kanadische Näseln nicht wahrnahm, an das sie sich erinnerte.

»Schön, dich zu sehen, Greg«, antwortete sie lächelnd, als er sich vorbeugte und ihr mit seinen großen weichen Lippen einen Kuss auf den Mund drückte. »Wie war die Reise?«

»Sehr gut! Du siehst schön aus.«

Sophie lächelte zufrieden. Sie hatte eine Stunde lang hin und her überlegt, was sie anziehen sollte, und sich für ein leichtes türkisblaues Sommerkleid und Killer-Heels entschieden.

»Mein Freund verwöhnt mich. Er hat mir das Penthouse gegeben. Angeblich steigt dort Bruce Springsteen immer ab, ich befinde mich also in guter Gesellschaft, eh?«

»Er wohnt hier wirklich immer, wie viele andere Promis auch.«

»Mein Freund hat ganz schön tiefgestapelt und behauptet, er besäße da ein kleines Hotel in Irland. Umso beeindruckter bin ich natürlich.«

»Wie ist das Penthouse denn?«

Sophie interessierte sich einen Dreck für Innenausstattung, doch nachdem sie Greg wiedergesehen hatte, sehnte sie sich danach, ihn ganz für sich allein zu haben.

»Ich zeig’s dir«, verkündete Greg, holte seinen Zimmerschlüssel aus der Tasche und warf ihn in die Luft. »Zum Fahrstuhl geht’s hier lang.«

Sie schlenderten durch einen Glasgang, der durch die perfekt gepflegte Gartenanlage zum angebauten Gebäudeflügel führte.

Als sich die Fahrstuhltüren schlossen, steckte Greg den Schlüssel in das Schloss über dem Knopf für die oberste Etage und drehte ihn.

»Beeindruckend«, sagte Sophie bewundernd.

»Mir gefällt die Penthouse-Etage. Da ist man ungestört.«

Die Fahrstuhltüren öffneten sich und ließen strahlendes Licht herein. Von hier oben blickte man auf die benachbarten Dächer.

»Es ist gleich hier«, meinte Greg und steckte einen anderen Schlüssel in die Tür direkt neben ihnen.

Er hielt ihr galant die Tür auf, und sie betrat den Empfangsbereich, der mit herrlichen klassizistischen Möbeln und Drucken mit Rennpferdmotiven ausgestattet war. »Soll ich dich rumführen?«

»Ich würde lieber was trinken.«

Greg grinste. »Hier entlang«, sagte er und führte sie ins Wohnzimmer mit einer luxuriösen Couch und einem gewaltigen Entertainment-System. »Ich hol dir was aus der Küche. Die Empfangsdame hat gesagt, dies seien die am wenigsten genutzten Geräte in der ganzen Stadt.«

Sophie folgte ihm in die Küche, von wo man einen spektakulären Ausblick auf die Dächer von Dublin hatte.

»Tee, Kaffee oder lieber was Stärkeres, eh?«

»Wasser mit Kohlensäure reicht.«

»Gibt es auch. Und sie haben uns Teegebäck dagelassen«, verkündete Greg und hob einen großen Teller mit bunten, appetitlichen Leckereien hoch.

»Danke, mir reicht ein Glas Wasser.«

»Wie ist es dir ergangen, Sophie aus Irland?«

Obwohl Sophie es verabscheute, wenn er sie so nannte, grinste sie. »Es ging mir schon mal besser. Du weißt ja, dass ich nach dem Urlaub arbeitslos geworden bin. Tja, es scheint, als würde mich die Zeitung, bei der ich inzwischen gejobbt habe, auch nicht mehr brauchen. Also stehe ich wieder ohne Arbeit da.«

Greg schenkte ihr ein Glas Wasser aus einer Flasche Ballygowan ein. »Ich dachte, du wolltest deine eigene Modefirma gründen. Was ist mit deiner Idee, Strickwaren zu recyceln?«

Sophie nickte. Dieses Projekt sollte sie näher prüfen, doch aufgrund der Erkrankung ihres Vaters und der offenen Feindseligkeit zwischen ihr und Emma hatte sie in letzter Zeit nicht mehr so viel Selbstdisziplin gehabt wie sonst. »Darüber muss ich mich erst noch schlaumachen. Aber ich weiß nicht, ob es in Irland überhaupt noch Leute gibt, die genug Geld haben, um sich exklusive Strickmode zu leisten.«

»Es gibt immer Leute, die Geld haben, auch wenn sie es in Zeiten der Rezession irgendwo horten. Aber vergiss den irischen Markt. Da draußen ist der Weltmarkt!«

»Und eine noch größere Rezession.«

»So darfst du nicht denken. Während der letzten großen Weltwirtschaftskrise in den dreißiger Jahren haben die Künstler trotzdem gemalt, und damals entstanden ein paar der größten Kunstwerke der Moderne. Selbst in der Modebranche. Denk nur an Chanel!«

Natürlich hatte er recht. Doch in letzter Zeit war für sie alles so schwierig gewesen.

»Ab Montag kümmere ich mich darum«, versprach sie. »Wie lange bleibst du?«

»Ich fliege am Dienstagmorgen zurück. Am Montag treffe ich mich mit einem Kunsthändler, aber bis dahin habe ich Zeit, die Sehenswürdigkeiten von Dublin zu genießen – wenn du sie mir zeigen willst?«

Und ob Sophie das wollte. Sie sehnte sich nach den dekadenten Freuden, wie sie sie mit Paul genossen hatte.

Jack wollte möglichst gut aussehen, wenn er sich in einer halben Stunde mit Aoifes Eltern im Cellar Restaurant traf. Deshalb trottete er mit seiner Tasche, in der er ein sauberes Ersatzhemd und ein Deodorant verstaut hatte, in die Toilette seines Bürogebäudes. Er hasste die Familientreffen der Cullens. Er wusste, dass Eileen und Harry Cullen ihre Tochter für viel zu gut für ihn hielten, und sie würden die Gelegenheit nutzen, um ein paar spitze Bemerkungen über ihn fallen zu lassen. Erst recht seit ihrer kurzen Trennung.

Jack fuhr sich mit den Fingern durch die Haare und bemerkte bei dem künstlichen Licht vereinzelte graue. Er musste endlich erwachsen werden. Die Sache mit Louise und ihrer Schwester war ihm eine Warnung gewesen und hatte ihm die Augen dafür geöffnet, was er fast verloren hätte.

Er verabschiedete sich von seinen Kollegen und trat hinaus auf die Pearse Street. Von hier aus war es nur ein kurzer Fußmarsch zum Merrion Square und zum Merrion Hotel.

Sophie ließ sich von Greg Champagner nachfüllen. Die Sonne stand zwar noch hoch am Himmel, aber es wurde langsam Abend.

»Ist der Whirlpool nicht fantastisch!«, rief Sophie begeistert und nippte an ihrem Glas. In blubbernd heißem Wasser auf der Dachterrasse zu liegen war ganz nach Sophies Geschmack – erst recht mit einem attraktiven, dunkelhäutigen Mann, der sie mit Champagner verwöhnte.

»Dublin ist cool!«

»Dabei hast du noch nicht mal den Fuß vors Hotel gesetzt!«, zog Sophie ihn kichernd auf. Der Alkohol stieg ihr sofort in den Kopf.

»Bist du hungrig?«

»Ich bin am Verhungern. Wie wär’s mit Zimmerservice?«

»Wollen wir nicht das Restaurant unten ausprobieren?«

Sophie sah ihn verlegen an. »Ich will nicht aus dem Whirlpool steigen.« Er sollte nicht merken, wie beschwipst sie schon war.

»Wenn du möchtest, steigen wir nach dem Abendessen wieder rein. Du willst doch nicht schrumpeln wie eine Rosine, eh?«

Da musste Sophie ihm zustimmen. Sie waren schon über eine Stunde im Pool, doch mit zahlreichen Gläsern Champagner war es ihr nur wie Minuten vorgekommen.

»Okay. Ich zieh mich nur schnell an«, murmelte sie, nahm von Greg einen Bademantel entgegen und stieg unsicher aus dem Whirlpool. Sie schlang den Bademantel um ihren nassen Körper. »Es dauert nur zwei Minuten.« Als sie es ins Schlafzimmer geschafft hatte, wo ihre Klamotten verstreut lagen, drehte sich alles. Sie klaubte ihren BH vom Boden und bekam den Verschluss nicht zu. Sie war noch betrunkener, als sie im Whirlpool befürchtet hatte.

Derweil trat Greg ans Geländer und sah hinab auf den tadellos gepflegten Garten. Rechts von ihm erhob sich die Kuppel des Regierungsgebäudes. Es war ein schöner Beginn des Wochenendes.

Emma stellte Finns Abendessen auf den Küchentisch.

»Danke, Mum.«

Sie hatte sich daran gewöhnt, gemeinsam mit ihm zu essen, und jetzt, wo ihre Mutter wieder zu Hause war, genoss sie es umso mehr. Vielleicht war es an der Zeit, Finn auf einen möglichen Besuch aus Kuba vorzubereiten.

Jetzt, wo sie Felipes Pass mit dem Nachweis, dass sie sich kannten, und einen Internationalen Bankscheck an die irische Botschaft in Mexiko geschickt hatte, würde es nicht mehr lange dauern, bis sie den Termin für seinen Besuch festlegen konnten. Emma wollte für seinen Flug aufkommen, wusste aber nicht, wie sie es Felipe beibringen sollte, ohne seinen Stolz zu verletzen. Bisher kamen sie auf vierhundert Euro, was für ihn viele Monatsgehälter waren. Doch was er in Havanna für sie ausgegeben hatte, war anteilsmäßig viel mehr als diese Flugkosten. Mit jedem Tag, der verging, war sie sich sicherer, dass sie ihn unbedingt sehen wollte. Ihr fehlten Zweisamkeit und Intimität. Es war lange her, seit sie mit einem Mann geschlafen hatte, und selbst mit Paul waren die Abstände dazwischen zu lang gewesen. Sie wollte sich wieder jung und lebendig fühlen wie damals, als sie zum ersten Mal verliebt gewesen war.

Es war höchste Zeit, es Finn zu sagen. Lächelnd sah sie zu, wie er tüchtig zulangte und das Brathähnchen samt dem Berg aus Kartoffelpüree dezimierte. Seit dem Tod seines Vaters war ihr Sohn viel reifer geworden. Er hatte die Rolle des Mannes im Haus übernommen und stellte sogar unaufgefordert den Mülleimer raus.

»Übrigens, Finn«, begann sie vorsichtig, »in Kuba habe ich mich mit jemandem angefreundet, der uns vielleicht eine Weile besucht. Ist das für dich in Ordnung?«

Finn zuckte mit den Achseln. »Klar. Schlimmer als Granny kann sie ja nicht sein.«

»Ähm, es ist keine Frau. Es ist ein Mann.«

Erneutes Achselzucken. »Wenn er hier nur Urlaub macht, ist es okay. Wie lange bleibt er denn?«

»Das steht noch nicht fest. Ich weiß nicht mal sicher, ob er überhaupt kommt. Er muss erst sein Visum bekommen.«

»Was ist das?«

»Eine Erlaubnis, sein Land zu verlassen und nach Irland einzureisen. Weißt du noch, als ich dich um dein altes FC-Barcelona-Fußballtrikot für den kleinen kubanischen Jungen gebeten habe? Tja, die Menschen dort sind sehr arm, und es ist schwer für sie, gewisse Dinge zu tun, die wir für selbstverständlich halten.«

»Klingt komisch.« Er beugte sich wieder über sein Essen. »Ich wollte gleich Gavin abholen. Darf ich?«

»Du kannst bis neun draußen bleiben, aber dann geht’s schleunigst ins Bett. Du hast morgen Schule.«

Finn nickte und trank einen Schluck Milch aus seinem Glas.

»Danke, Mum«, sagte er, nahm seinen Teller und stellte ihn in die Spüle.

Als er zur Hintertür hinausrannte, wurde Emma klar, dass er bald ganz aus dem Haus wäre. Ein Teenager, bevor sie sich’s versah, und so in Anspruch genommen von seinen Aktivitäten, dass er nur noch wenig Raum für sie hätte. Es war richtig von ihr, Felipe zu sich einzuladen. Was machte es schon, wenn es bei einer Urlaubsaffäre bliebe? Aber es könnte auch der richtige Moment für sie sein, sich ein neues Leben aufzubauen. Das musste sie tun, denn wenn sie es jetzt nicht tat, würde sie eines Tages allein dastehen.

Jack kam zu früh. Er stieg die Stufen zum Merrion Hotel hinauf und betrat das Cellar Restaurant. Es war dezent und geschmackvoll eingerichtet; das Weiß der gewölbten Steindecken und der Steinwände setzte sich in den gestärkten weißen Tischdecken fort. Um die Tische, deren Mitte je eine einzelne Rose in einer Vase zierte, waren antike cremefarbene Polsterstühle gruppiert.

Harry und Eileen Cullen reservierten immer den Tisch in der Ecke. Der Oberkellner begrüßte Jack, bot ihm an, ihm seine Tasche abzunehmen, und führte ihn zu seinem Platz. Er hatte Lust auf ein Bierchen, doch das gefiele Aoifes Eltern nicht, also würde er dieses kleine Opfer bringen und darauf verzichten. Er war heilfroh, Aoife zurückzuhaben, und wollte alles tun, um sie glücklich zu machen. Dieses Abendessen war trotzdem wieder so eine Farce. Morgen sollten die offiziellen Hochzeitseinladungen versandt werden; alles lief nach den Wünschen von Aoifes Eltern.

Er sah auf die Uhr. Aoife hatte einen Auftrag in Dun Laoghaire, der aber inzwischen beendet sein müsste. Plötzlich sah er sie in einem knallorangen Etuikleid, das inmitten der vielen Weißtöne hervorstach wie ein Leuchtfeuer. Er eilte zu ihr und küsste sie auf die Lippen.

»Danke, dass du früher kommst!«, raunte sie ihm zu.

»Sind deine Eltern auch schon da?«

»Dad sucht noch einen Parkplatz«, sagte sie grinsend und nahm auf dem Weg zum Ecktisch seine Hand.

»Wirf schon mal einen Blick auf die Karte. Bevor deine Eltern hier sind, wollte ich noch keinen Wein bestellen.«

»Gute Idee. Du weißt ja, wie Dad ist, wenn es um seine Trauben geht!«

Sie lächelten sich verschwörerisch an und beugten sich über den Tisch zueinander. Jack hatte nur Augen für seine Verlobte.

»Jack! Was machst du denn hier?«

Jack, der die Stimme nicht erkannte, blickte überrascht auf.

Vor ihm stand Sophie und schüttelte ihre Lockenpracht.

Jack musterte den großen, dunkelhäutigen Mann an ihrer Seite, der ein ganzes Stück älter zu sein schien als seine Begleiterin.

»Äh, hallo, Sophie.« Jack war so überrumpelt, dass er ins Stottern kam. Er besann sich gerade noch rechtzeitig auf seine Manieren, bevor Aoife Verdacht schöpfen konnte. »Das ist Aoife.«

Aoife streckte ihr die Hand hin und lächelte breit. »Ich bin Jacks Verlobte.«

Sophie ignorierte Aoife, warf den Kopf in den Nacken und stieß ein kleines Lachen aus. »Das ging aber schnell, Jack. In den paar Wochen, seit wir zusammen waren, hast du dich verlobt?« Hätte sie nicht eine Flasche Champagner auf nüchternen Magen getrunken, hätte sie es vielleicht nicht ganz so lustig gefunden – oder wäre so vernünftig gewesen, den Mund zu halten.

»Komm, Sophie, unser Tisch ist da drüben«, griff Greg ein, packte Sophie am Ellbogen und lotste sie an einen anderen Tisch.

»Tschüs, Jack! Ich hoffe, ihr werdet sehr glücklich!«, rief Sophie und lachte wieder.

Aoife hatte entsetzt die Augen aufgerissen und zitterte am ganzen Körper. »Was meint sie mit seit wir zusammen waren? Bitte sag mir, dass du nicht mit dieser Frau zusammen warst.« Tränen schossen ihr in die Augen, und sie beherrschte sich nur mit Mühe.

»Aoife, ich kann das erklären.«

»Sag mir, dass du nicht mit dieser Frau im Bett warst!« Ihre Stimme war jetzt sehr aufgebracht, und obwohl Greg drei Tische entfernt saß, verstand er jedes Wort.

Jack schluckte heftig. Er konnte Aoife nicht anlügen. Er musste ihr die Wahrheit sagen. Schließlich hatte es nichts zu bedeuten.

»Es war ein schrecklicher Fehler. Das ist passiert, als du gesagt hast, dass wir uns eine Woche trennen sollen.«

»Das war keine richtige Trennung. Es war als kurze Auszeit gedacht – und nicht als Gelegenheit, in der Gegend rumzuvögeln. Außerdem war es nicht mal eine Woche!«

Jacks Mund wurde trocken. »Tut mir leid, Aoife. Ich war verletzt und durcheinander, aber seit wir wieder zusammen sind, lief es doch großartig!«

»Aber wir waren nie getrennt! Ich hab jedenfalls nicht mit anderen Typen geschlafen!«

Ihre Stimme war jetzt noch durchdringender, sodass selbst der Oberkellner an seinem Empfangspult nervös wurde. Ein solches Verhalten wurde nicht geduldet.

»Tut mir leid. Es war unnötig, dass du davon erfährst.«

»Ach, jetzt bin ich auch noch schuld, weil ich es herausgefunden habe? Vielleicht ist es sogar gut, dass wir deine kleine Freundin hier getroffen haben. Besser, ich erfahre es jetzt als erst nach der Hochzeit. Irische Scheidungen sind wirklich unschön.«

»Bitte, Aoife! Das ist doch unnötig. Ehrlich, ich kann es dir erklären. Gehen wir nach Hause und reden darüber.«

Aoife schrie jetzt fast. »Da gibt es nichts zu erklären.«

Plötzlich standen Harry Cullen und seine Frau neben ihnen.

»Was ist hier los?«, fragte Eileen Cullen energisch.

»Bringt mich nach Hause«, rief Aoife aufgebracht, sprang auf und schnappte sich ihre Handtasche vom Tisch. »Über die Einladungen brauchen wir nicht mehr zu reden, weil es keine Hochzeit geben wird!«

Aoife rannte ihren Vater fast um und stürzte aus dem Kellerrestaurant.

Harry hinderte Jack daran, ihr nachzulaufen, während seine Frau ihrer Tochter folgte, um sie zu trösten.

»Warum ist meine Tochter so aufgelöst?«

»Das ist alles nur ein Missverständnis!«

Harry packte Jack am Hemdkragen. »Wenn du meiner Tochter auf irgendeine Weise wehgetan hast, halt dich so weit wie möglich von mir fern! Ich kenne viele Leute in dieser Stadt. Vergiss nicht, wie du an den Job bei der Times gekommen bist!« Er ließ Jack los, schubste ihn zurück auf seinen Stuhl, machte auf dem Absatz kehrt und rauschte davon.

Jack rappelte sich wieder auf und warf einen Blick zu Greg und Sophie, die lachend aus einem frisch eingeschenkten Glas Champagner trank. Mit einer Stinkwut im Bauch trat er an ihren Tisch und fixierte Sophie wütend.

»Ich habe dir zu einem Job verholfen, und das ist dein Dank dafür? Deine Schwester hat recht: Du bist gefährlich, Sophie Owens!«

»Nun bleiben Sie mal locker, Jack«, parierte Greg kühl. »Trinken Sie was mit uns, eh?«

»Nein, danke. Auf Nimmerwiedersehen, Sophie!«

Als er weg war, musterte Greg Sophie neugierig, die an ihrem Champagnerglas nippte und von dem ganzen Bohei unbeeindruckt schien.

»Macht es dir Spaß, im Leben anderer Unruhe zu stiften?«, fragte Greg sie mit einem Lächeln.

»Die reagieren einfach alle über«, seufzte sie.

»Möglich. Aber vielleicht bist du auch ein böses Mädchen!«

Sophie zuckte gleichgültig mit den Achseln. Sie war vom Champagner so beduselt, dass sie nur noch wenig Kontrolle über die Worte hatte, die aus ihrem Mund sprudelten. »Ich muss an mich selbst denken. Normalerweise wäre ich jetzt schon mit Paul zusammengezogen.«

»Aber er war der Mann deiner Schwester, eh?«

»Er war zwar ihr Mann, aber mein Seelenverwandter.«

Greg fragte sich, ob sie sich da nichts vormachte. Emma war auch eine atemberaubende Frau, und obwohl er Paul niemals kennenlernen würde, vermutete er, dass er in beide verliebt gewesen war. Es war das Beste, das Thema zu wechseln.

»Lass uns den morgigen Tag planen. Ich würde Emma gern wiedersehen!«

Sophie verdrehte die Augen. »Emma ist momentan der letzte Mensch, den ich sehen will. Wir hatten schon seit unserer Rückkehr aus Kuba keinen Kontakt mehr.«

»Warum?«

»Ich … Ich … Ich … ähm!« Sie wollte nicht wie ein totales Miststück rüberkommen. Nachdem sie heute Abend schon eine Beziehung zerstört hatte, wollte sie Greg nicht auch noch auf die Nase binden, dass sie Emma von ihrer Affäre mit Paul erzählt hatte. »Das ist eine lange Geschichte. Hast du Lust, nach dem Abendessen ins O’Donoghue’s zu gehen? Das ist ein typisch irisches Pub und liegt in der Baggot Street, gleich an der Ecke.«

Greg trank einen Schluck aus seinem Glas. Sophie verheimlichte ihm etwas, aber ihm war das egal. Er war geschäftlich in Dublin und vertrieb sich nur die Zeit mit ihr.

Louise stopfte die Wäsche in die Waschmaschine und drehte am Einstellrad. Sie hasste es, wenn die Hausarbeit bis zum Abend liegen blieb. Seit ihr Traum von Jack Duggan geplatzt war, kam ihr Leben ihr so leer vor. Sie musste jetzt ihr Leben weiterleben, und zwar mit einem Mann, der sich nicht mehr besonders für sie zu interessieren schien.

Sie schnappte sich ihre Autoschlüssel und fuhr nach Foxfield, um vor dem Einkaufen noch bei ihren Eltern nach dem Rechten zu sehen. Seit Emma völlig darauf fixiert war, ihren Kubaner nach Irland zu kriegen, überließ sie die Verantwortung für ihre Eltern nur allzu gern Louise. Und von Sophie war in der Hinsicht natürlich gar keine Hilfe zu erwarten.

Louise parkte und wühlte in ihrer Tasche nach den Hausschlüsseln. Seit dem Überfall gingen ihre Eltern nur noch ungern an die Tür, sodass sie sich jetzt selbst aufschließen musste.

Als Erstes ging sie ins Wohnzimmer, aus dem der Fernseher dröhnte.

Dort saß Larry mit einer Zeitung im Schoß und der Lesebrille auf der Nase.

»Hallo, Dad.«

»Louise! Ich hab dich gar nicht kommen hören!«

»Ist Mum da?«

»Nein, die ist einkaufen. Ich bin froh, dass du vorbeikommst. Ich wollte mit dir über ihren Geburtstag reden.«

Louise überlegte. »Wie alt wird sie denn?«

»Sie wird siebzig. Ich finde, wir sollten etwas Schönes für sie organisieren. Besonders nach allem, was sie durchgemacht hat.«

»Mir war nicht klar, dass sie schon siebzig wird. Tja, bis zum zwanzigsten Juni bleiben uns noch vier Wochen.«

»Glaubst du, sie würde gern auswärts essen?«, fragte Larry.

Louise zog die Augenbrauen hoch. »Wir könnten es doch auch hier im Haus machen.«

»Du kennst doch deine Mutter. Sie will hier kein Durcheinander. Ginge es nicht bei euch?«

Louise überlegte. »Emmas Haus ist größer, und sie hat nur Finn.«

»Fragst du Emma, was sie davon hält?«

Plötzlich wurde Louise klar, dass Emma und Sophie sich zu diesem Anlass im selben Raum aufhalten mussten, und sie geriet in Panik.

»Überlass das nur mir, Dad. Ich überlege mir was und sag dir Bescheid.«

»Wir müssen uns sputen. Wir könnten auch im Clontarf Castle Hotel einen Saal mieten und eine große Party feiern, zu der wir auch alle Verwandten und Nachbarn einladen können.«

Wenn die Gästeschar groß genug wäre, wäre es einfacher, Sophie und Emma voneinander fernzuhalten. Seit ihrer Aussprache mit Jack hatte sie Sophie nicht mehr gesehen, und sie fragte sich, wie sie selbst den Anblick ihrer kleinen Schwester ertragen würde.

»Ich rufe im Clontarf Castle Hotel an und erkundige mich, was sie uns anbieten können. Wenn du möchtest, können wir aber auch den Yachtclub nutzen.«

»Darauf bin ich gar nicht gekommen. Frag doch da mal nach.«

»Ich fahre jetzt zu Tesco. Soll ich dir was mitbringen?«

»Nein, danke. Ich rufe dich morgen an, um zu hören, was du in Erfahrung gebracht hast.«

Den Kopf voller Sorgen verließ Louise das Haus wieder durch die Haustür.

Greg schlenderte mit solchem Selbstbewusstsein und einer solchen Unbeschwertheit die Grafton Street entlang, dass sich die Leute nach ihm umdrehten.

Sophie freute sich über die Reaktionen, die der attraktive Kanadier auslöste, und war stolz wie Oskar, die Frau an seiner Seite zu sein.

»Hat es dir gestern Abend bei O’Donoghue’s gefallen?«, fragte sie.

»Die Musik war toll und das Guinness auch.«

»Möchtest du heute Mittag noch ein anderes Pub ausprobieren?«

Greg zuckte gleichgültig mit den Achseln. »Wohnt Emma in der Nähe der Innenstadt?«

»Sie wohnt draußen in Sutton. Das ist kilometerweit entfernt. Du tätest besser daran, in der Nähe des Zentrums zu bleiben, wo richtig was los ist.«

»Wie du meinst.«

Sophie lotste ihn durch das Royal-Hibernian-Way-Shoppingcenter auf die Dawson Street.

»Ich kenne da ein gutes Lokal. Es wird dir gefallen.«

Im Marco Pierre White Steakhouse nahmen sie einen Ecktisch, und Sophie beobachtete zufrieden, wie sich alle nach ihrem attraktiven Begleiter umdrehten.

Ihr Handy klingelte, doch als Louises Name aufblinkte, schaltete sie es kurzerhand aus. Sie wollte für den Rest des Wochenendes nicht gestört werden.

Louise war auf dem Weg zu Emma. Es wunderte sie nicht, dass Sophie ihren Anruf einfach weggedrückt hatte. Sie wusste, dass sie ihren kanadischen Besucher übers Wochenende ganz für sich haben wollte.

Freudestrahlend öffnete Emma die Tür.

»Da ist aber jemand glücklich!« Louise war froh, ihre Schwester so zu sehen.

»Sieht so aus, als hätte die irische Botschaft Felipes Visumsantrag genehmigt.«

»Das freut mich sehr für dich. Seit wann weißt du es?«

»Felipe hat gestern Abend angerufen. Er bekam die Bestätigung per Post. Aber es ist noch nicht alles in trockenen Tüchern. Er braucht noch ein paar Stempel von den dortigen Behörden.«

Louise folgte ihrer Schwester in die Küche. Dass sie so gute Laune hatte, würde es ihr leichter machen, ihr die schlechten Neuigkeiten beizubringen.

»Ich freue mich, dass es vorangeht. Weißt du schon, wann er kommt?«

»Ich hab im Internet nach Flügen gesucht, und bei Virgin Atlantic gibt es echte Schnäppchen mit Zwischenlandung in Heathrow. Ich hab ein Sonderangebot für den sechzehnten Juni ergattert, also drück uns die Daumen, dass bis dahin alle Formalitäten erledigt sind.«

»Das ist toll. Ich komme gerade von Dad, und er hat mich daran erinnert, dass Mum bald Geburtstag hat.«

»Aber erst nächsten Monat.«

»Schon, aber es ist ihr siebzigster.«

»O Gott! Ich hab total vergessen, dass es ein runder ist.«

»Eben. Und er will, dass wir eine Party für sie organisieren.«

»Du machst Witze!«

Emma setzte sich an den Küchentisch und vergrub das Gesicht in den Händen. »Ich glaub nicht, dass ich es ertrage, unsere kleine Schwester zu sehen. Und die Party müssten wir alle zusammen organisieren.«

»Es fällt auch noch genau in die Zeit, wenn dein Freund zu Besuch ist.«

»Verdammt. Ich glaube nicht, dass ich den Flug noch umbuchen kann. Es war ein Angebot.«

»Vielleicht wäre es ja auch ganz schön für ihn, mal eine irische Party mitzuerleben.«

»Wo will Dad sie denn abhalten?«

»Zuerst wollte er es bei uns zu Hause machen, und dann hat er das Clontarf Castle Hotel vorgeschlagen, aber der Yachtclub wäre preiswerter.«

»Gott, ich glaub nicht, dass ich das packe.«

»Emma, mir graut bei der Vorstellung genauso. Aber mit etwas Glück kommen eine Menge Leute, und wir müssen den ganzen Abend nicht mit Sophie reden.«

»Es stresst mich, dass Felipe auch noch mittendrin sein wird.«

»Aber er wird dich ablenken.«

Emma nickte nachdenklich. »Vielleicht hast du recht. Besprichst du das mit Sophie?«

»Ich werde es versuchen, ohne sie dabei vollzukotzen. Dieses Wochenende ist sie mit ihrem Kanadier beschäftigt, deshalb rufe ich sie am Montag an. Donal und ich gehen morgen Abend mit den Harleys im Yachtclub essen, da kann ich mich gleich nach dem Catering für den Zwanzigsten erkundigen.«

»Danke, Louise. Du bist ein Schatz!«

Louise lächelte. Für dieses Familienfest nahm sie Emma die Verantwortung ab, und das gab ihr ein gutes Gefühl. Genau das brauchte sie dringend, da sie nach dem Gespräch mit Jack völlig down gewesen war.