Dazu trank man Wein aus Lissabon, vom Rhein, Champagner, Rotwein (Château Maraux, Lafite, Pontack), alten Burgunder, Portwein und Sherry.

Als die Tischdecke abgenommen war und sich der Portwein, der Sherry, die Walnüsse und die Süßigkeiten in der polierten Tischplatte spiegelten, waren alle leicht angetrunken, aber nicht heiter, sondern bedrückt und niedergeschlagen.

»Hmm, mir scheint, Lord Harry kommt nicht. Rausgeworfenes Geld«, grollte Lady Godolphin, die überredet worden war, das Dinner zu geben, damit Carina ihre Beziehung zu Desire wieder aufnehmen konnte. Natürlich hatte sie die Gelegenheit ergriffen, ihrerseits die Beziehung zu Mr. Anstey neu zu beleben, wobei sie sich liebevoll ausmalte, wie der junge Mann Lady Chester mit Verachtung strafen und ihr stumme Blicke zuwerfen würde.

Aber im Gegensatz zu Lady Chester war Lady Godolphin geizig, und daher war Lady Godolphin aus verletztem Stolz gezwungen, sich ihrem früheren Liebhaber, Colonel Brian zuzuwenden.

Mr. Anstey fingerte an seiner neuen Rubinkrawattennadel herum und lächelte Lady Chester verliebt an.

Der Abend war schlimm genug, aber es sollte noch schlimmer kommen. Kaum waren sie an der Oper abgesetzt worden, als eine gestrenge Matrone auf sie zukam.

»O mein Gott«, flüsterte der Vikar Carina zu. »Das ist Lady Mason, Lady Chesters Tochter.«

»Mama«, sagte Lady Mason, nichts Gutes verheißend, »was höre ich? Ist das der berühmte Mr. Anstey, von dem ich soviel gehört habe? Ist das der Tunichtgut, der auf das Geld älterer Damen aus ist? Du bist zum Gespött der Londoner Gesellschaft geworden.«

»Auf meine Ehre«, blökte Mr. Anstey, der unter dem giftigen Blick aus Lady Masons hervorstehenden Augen zusammenzuckte, »ich bete Ihre Mama an.«

»Sie aufgeblasener Kerl, Sie Scharlatan, Sie herausgeputzter Schnösel, Sie Krämerseele!« zischte Lady Mason. »Mason!« rief sie über die Schulter. Ihr dicker, gewöhnlich aussehender Mann kam gemächlich herbei. »Mason, das ist die nichtsnutzige Kreatur, die Mama wie ein Blutegel aussaugt.«

»Ach nein?« sagte Lord Mason mit unheilverkündendem Blick und machte sich an seinem Säbel zu schaffen.

Mr. Anstey sah seine Begleiter hilfesuchend an. Mr. Armitage und Squire Radford waren scheinbar vollständig davon in Anspruch genommen, die Leute, die an ihnen vorbeigingen, zu beobachten. Lady Godolphin klammerte sich an Colonel Brians Arm und starrte stur geradeaus.

Lady Chesters Blick verriet große Angst vor ihrer Tochter.

»Ich bin der Ansicht«, blökte Mr. Anstey, »daß Sie solche Dinge nicht sagen dürfen.«

»Wie wollen Sie das verhindern, he?« spottete Lord Mason. Er streifte einen Handschuh ab und schlug Mr. Anstey damit über das Gesicht.

»Nennen Sie mir Ihre Sekundanten«, knurrte er drohend.

»Ich will nicht!« stieß Mr. Anstey aus, drehte sich um und floh so schnell, wie ihn seine Spinnenbeine tragen konnten, in die Menge hinein.

Lady Chester begann zu weinen und wurde an den starken Armen ihrer Tochter und ihres Schwiegersohnes abgeführt.

Die geschrumpfte Gesellschaft ging schweigend zu Lady Godolphins Loge.

Es gab die Gluck-Oper ›Orpheus und Eurydike‹. Anfangs erwartete Carina mehr das Eintreffen von Lord Harry, als daß sie sich für die Ereignisse auf der Bühne interessierte, schließlich aber nahmen die Handlung und die Musik sie doch gefangen.

Und als Orpheus die tote Eurydike in die Arme nahm und in das berühmte Klagelied ›Ach, ich habe sie verloren‹ ausbrach, da liefen Carina die Tränen unaufhaltsam über die Wangen.

Und in diesem Augenblick tauchte eine Hand vor ihrer Nase auf und hielt ihr ein großes Taschentuch hin. Sie nahm es dankbar, und erst als der letzte Ton der bekannten Arie verklungen war, erinnerte sie sich an das letzte Mal, als ihr eine Hand ein Taschentuch gereicht hatte. Sie drehte sich überrascht um und schaute zu den klaren blauen Augen von Lord Harry Desire, der hinter ihrem Stuhl stand, auf.

Auf der Bühne wurde Eurydike von Amor erneut zum Leben erweckt, und Carina wurde durch die leichte Berührung von Lord Harrys Hand auf ihrer Schulter wieder in die Gegenwart zurückgeholt.

Nach der Oper entschuldigte sich Lord Harry bei Lady Godolphin für seine Verspätung. »Sie haben nichts versäumt«, sagte Ihre Ladyschaft, »außer schlimmen Szenen und Auftritten. Diese alte Schrulle, Lady Chester, wurde von ihrer Tochter, Lady Mason, regelrecht abgeführt. Mason selbst hat Anstey zum Duell gefordert, und Anstey ist wie ein Irrer davongerannt, der nichtsnutzige Feigling. Mein Arthur würde sich nie so feige benehmen.« Sie drückte die Hand des Colonel. Dieser glühte vor Freude und murmelte äußerst untertänig: »Liebe Lady.«

Lord Harry nahm seine Hand von Carinas Schulter, und sie erschauerte, als ob ihr plötzlich kalt wäre.

Als sie dachte, er würde woanders hinschauen, blickte sie zu ihm auf. Er drehte sich auf der Stelle um und schaute ihr voll ins Gesicht. Sie schlug die Augen nieder und errötete schamhaft. Ein schreckliches Erröten. Sie konnte es irgendwo an den Fußsohlen beginnen fühlen, und dann breitete es sich bis zur Stirn über ihren ganzen Körper aus.

Innerlich verfluchte sie die funkelnden Lichter des Opernhauses. Von allen Seiten wurde sie angestarrt. Wie durch einen Nebel sah sie Lord Harry sich abwenden und etwas zu Colonel Brian sagen.

Schließlich kämpften sie sich alle inmitten von Menschenmassen die Stufen hinab.

»Niemand bleibt still in seiner Loge sitzen und wartet ab, bis alle gegangen sind«, dachte Carina ärgerlich. »Dazuzugehören bedeutet offenbar, daß man sich zerdrücken lassen muß.«

Dann warf sie das Gedränge der Menge gegen Lord Harry, der einen beschützenden Arm um sie legte, und Carina vergaß auf der Stelle alles und jeden.

Er würde sie nicht so halten, wenn er sich nichts aus ihr machte!

Aber ihr Herz drehte sich im Leibe herum, als sie bemerkte, daß sein anderer Arm um Lady Godolphins Schulter lag, da Colonel Brian etwas zurückgeblieben war.

Immerhin würde sie bei Lady Godolphin Gelegenheit haben, ein bißchen mit Lord Harry zu sprechen – denn sicher würde er mit ihnen zurückfahren zu Wein und Gebäck –, und dann war es ihr vielleicht möglich, sich eine Meinung zu bilden, ob seine Gefühle für sie wieder zärtlicher werden könnten.

Kaum waren sie jedoch alle in Lady Godolphins Kutsche – Lord Harry war in seiner eigenen abgefahren –, stellte sich heraus, daß sie heute abend noch zu einer Abendgesellschaft bei einem Mr. South wollten.

Daß Lord Harry auch dazustoßen wollte, war immerhin tröstlich.

Und so stiegen sie schließlich, nachdem sie eine Stunde lang in der Wagenschlange gewartet hatten, vor Mr. South' Haus aus und stießen und schoben sich die Treppe hinauf. Lord Harry war bereitsda und unterhielt sich mit einer vor Lebhaftigkeit sprühenden Matrone, die fast so groß war wie er. Sie hatte rotes Haar.

Eingekeilt in Menschenmassen, mit einem Glas Wein in der einen und einem Biskuit in der anderen Hand, fand sich Carina schließlich in einer jener »interessanten« Konversationen wieder, von denen sie geträumt hatte. Ein penetranter junger Mann, der an sie gedrückt wurde, unterzog sie einer strengen Lektion über den traurigen Zustand der Wirtschaft, die schlechten Ernten, die Undankbarkeit der Arbeiter und die Unehrlichkeit und Dummheit des Premierministers.

In ihren Träumen hatte sie immer witzige und intelligente Erwiderungen parat gehabt, aber jetzt hörte sie sich nur murmeln, »Wirklich?« und »Wie recht Sie haben«, während ihre grünen Augen ständig auf der Suche nach Lord Harrys schönem Kopf umherwanderten.

Er schaute mit einem lässigen, verführerischen Ausdruck, der etwas Raubtierhaftes an sich hatte, auf seine Gesprächspartnerin herab.

»Und was Napoleon betrifft«, sagte Carinas Partner gerade, »so hätte man ihn im Tower enthaupten sollen. Wissen Sie, daß er auf St. Helena wie ein König lebt? Wissen Sie ...?

»Es ist mir egal«, sagte Carina unhöflich, »ob er von einem ganzen Harem tanzender Mädchen umgeben ist und von goldenen Tellern ißt. Er ist gut aufgehoben und wird die Welt nicht noch einmal in Angst und Schrecken versetzen.«

»Großer Gott«, sagte der junge Mann und versuchte sein Lorgnon vor die Augen zu heben, mußte aber feststellen, daß seine Arme eingeklemmt waren. »Sie sind ein Blaustrumpf.«

»Ich bin kein Blaustrumpf«, erwiderte Carina verärgert. »Ich habe nichts gesagt, was darauf schließen ließe.«

»Junge Damen«, sagte der junge Mann entschieden, »sollten keinerlei eigene Meinung haben. Ihre Rolle ist es, Männern zuzuhören, da sie ihnen unterlegen sind.«

»Sie können sich genauso langweilen wie Männer. Ach, entschuldigen Sie mich«, sagte Carina, und sie klang plötzlich ganz aufge regt, als sie sah, daß Lord Harry sich offenbar mit der Rothaarigen entfernte. Was, wenn er mit ihr wegging? Was, wenn er sie heiratete?

Sie drängelte sich, unter Einsatz ihrer Ellbogen, hektisch durch die Menge und stand ihm auf einmal gegenüber. Von seiner Partnerin war keine Spur zu sehen.

»Sie sehen aus, als ob die Wölfe hinter Ihnen her wären«, sagte Lord Harry. »Ich suche uns ein ruhiges Eckchen.«

Wie von Zauberhand machten die Leute Platz, um sie durchzulassen, und bald saßen sie gemütlich in zwei Sesseln in einer Ecke, die durch einen geschnitzten Wandschirm halb verdeckt war.

»Jemand hat sich mit mir unterhalten«, stöhnte Carina, »und dabei bin ich fast erstickt.«

»Eine Abendgesellschaft ist nur dann ein Erfolg, wenn man sich halb totdrückt«, lachte er. »Miss Carina, Sie sind nicht ›in‹, wenn es Ihnen nicht gefällt, daß Ihnen jemand spitze Ellbogen in die Seite stößt oder auf Ihre Füße trampelt. Warum sind Sie in London? Das ganze Gedrängele und Gequetsche wird Sie sehr mitnehmen.«

»Papa hat es herausgekriegt ... Ich meine die Sache mit Mr. Wentwater. Er will ihn aufspüren.«

»Wenn jemand Mr. Wentwater aufspüren kann, dann Mr. Armitage. Ist es so wichtig? Er hat sich schlecht benommen, aber schließlich haben Sie sich ihm selbst an den Hals geworfen, und ich meine, Sie haben sich gerächt.«

Carina umklammerte ihren Fächer ganz fest. Er konnte nichts von diesem zweiten Fluchtplan wissen. Papa hatte keine Zeit gehabt, es ihm zu erzählen. Wußte er alles?

Um das Thema zu wechseln, sagte sie leichthin: »Wollen Sie immer noch auf das Vermögen Ihres Onkels verzichten?«

»Ich weiß es nicht«, sagte er ernsthaft. »Irgendwann muß ich ja doch heiraten, oder?«

»Warum?«

»Schon allein deshalb, weil ich gerne einen Sohn möchte.«

»Oh.«

»Möchten Sie gerne Kinder haben?«

Carina zog die Stirn in Falten. Kinder. Wie kam man zu ihnen? Sie hatte sich die Frauen aus dem Dorf angeschaut und wußte jetzt, daß die Babys offenbar im Bauch getragen wurden.

Aber wie kamen sie da heraus? Sie hatte die Vorstellung, daß sich vielleicht der Nabel zu einer Art Tür erweiterte, aus der das Baby voll bekleidet wie Pallas Athene aus dem Haupt des Zeus sprang.

Es wäre alles sehr einfach, wenn man sich die Babys aus dem Kopf ziehen könnte.

Hatte ihre Geburt irgend etwas mit diesen erregenden Gefühlen zu tun, die ihr Inneres in Aufruhr versetzten, wenn Lord Harry sie küßte? Bildeten Babys sich im Bauch, wenn man sich nur oft genug und auf die richtige Art küßte? Und durfte man deshalb einem Gentleman nie mehr erlauben, als einem die Hand zu drükken?

»Sie haben meine Frage nicht beantwortet«, sagte Lord Harry mit einem amüsierten Blick auf ihr bekümmertes Gesicht.

»Natürlich möchte ich gerne Kinder«, sagte Carina.

»Wie viele?«

»Kann ich mir das denn aussuchen?« fragte Carina naiv.

»Vielleicht. Mein Onkel legt sehr viel Wert darauf, daß ich Kinder habe, weil niemand sonst in der Familie irgendwelche Anstalten macht, zu heiraten«, sagte Lord Harry. »Natürlich kann es sein, daß Silas heiratet, nur um mich aus dem Feld zu schlagen.«

»Silas?«

»Silas Dubois – mein Rivale um das Vermögen meines Onkels.«

»Wie seltsam«, erwiderte Carina. »Ich weiß, daß ich diesen Namen schon gehört habe. Es war, als ich einmal bei Minerva war; ich ging am Frühstückszimmer vorbei, und da hörte ich sie ihren Mann fragen: ›Hast du je wieder etwas von diesem schrecklichen Mr. Dubois gehört? Ich gestehe, daß ich immer noch Alpträume bekomme, wenn ich an ihn denke.‹ Ich wollte nicht stehenbleiben und ihrer Unterhaltung lauschen, deshalb habe ich nicht mehr gehört.«

»Tatsächlich?« Lord Harry schaute neugierig. »Silas' Aussehen vergißt man nicht. Er ist ganz Nase mit kleinen Knopfaugen, und läuft wie eine Krabbe.«

»Nein! Genauso ein Mann ist einmal direkt vor mir stehengeblieben und hat mir ins Gesicht geblickt. Damals dachte ich, er verfolgt mich, und ich habe mich gefürchtet.«

»Wann war das?« fragte er aufmerksam.

»Nun, es war an dem Morgen, als ...« Carina brach ab und biß sich auf die Unterlippe, da ihr einfiel, daß es an dem Morgen war, als sie Guy im Park begegnete. »Ich habe es vergessen«, fügte sie ohne Überzeugung hinzu.

»Es scheint da irgendeine Beziehung zu Ihrer Familie zu geben«, sagte Lord Harry nachdenklich. »Ich werde Lady Sylvester fragen.«

Carina fiel ein, daß sie noch keinen Versuch gemacht hatte, ihn mit ihrem neu erworbenen Wissen zu beeindrucken, und stürzte sich auf ihre Rede darüber, was der Prinzregent wieder Unpassendes gemacht hatte.

»Der arme Prinzregent«, sagte Lord Harry belustigt, und Carina hatte das Gefühl, daß er sich mehr über ihren Vortrag als über die Allüren des Prinzregenten amüsierte.

»Aber warum liebt er denn plötzlich die Stuarts so sehr?« wollte Carina wissen und verengte ihre Augen zu einem schmalen Spalt, weil sie hoffte, daß ihr das ein nachdenkliches und intelligentes Aussehen verlieh.

»Er ist sehr unglücklich, weil er so unpopulär ist. Ich glaube, die Stuarts faszinieren ihn, weil sie zu einer romantischen Legende geworden sind, und er würde so gerne selbst zu einer romantischen Legende werden. Dazu kommt, daß er – so widersinnig es klingt –, je unpopulärer er wird, desto entschlossener scheint, seine Unbeliebtheit geradezu zu kultivieren.«

In diesem Moment kam Lady Godolphin herbeigeschnauft, um ihren Aufbruch anzukündigen.

Irgendwie war Lord Harry verschwunden, als sie sich schließlich die Treppe wieder hinuntergearbeitet hatten und auf ihre Kutsche warteten. Lady Godolphin sagte, er würde nicht an ihrem Abendessen teilnehmen, und Carina mußte einfach fragen: »Hat er irgend etwas gesagt, daß wir uns wiedersehen?«, worauf Lady Godolphin ärgerlich erwiderte: »Wenn du meinst, dich wiedersehen, Miss, sohat er nichts davon gesagt, und ich kann nicht behaupten, daß man ihm deswegen einen Vorwurf machen kann.«

Carina errötete und ließ den Kopf sinken.

Aber als sie bei Lady Godolphin angekommen und beide in deren Boudoir gegangen waren, um sich frisch zu machen, fielen Carina die Babys wieder ein und ihre Unkenntnis darüber, wie sie entstanden. Sie wartete ungeduldig, bis das Mädchen das Zimmer verlassen hatte. Lady Godolphin war für diese Art von Fragen genau die richtige Person. Carina traute sich einfach nicht, Minerva oder Annabelle solch delikate Fragen zu stellen.

Sobald die Tür hinter dem Mädchen ins Schloß gefallen war, holte Carina tief Atem und fragte: »Lady Godolphin, wie kommt eine Dame zu Babys? Ich meine, wie bekommt sie sie?«

Lady Godolphin schaute mit nachsichtiger Belustigung in Carinas rotes Gesicht. »Und du willst ein Mädchen vom Land sein«, lachte sie. »Weißt du, ich gehöre noch zur alten Schule und bin dafür, frisch von der Leber weg zu reden. Ich halte nichts davon, wenn Mädchen im unklaren darüber gelassen werden. Deshalb will ich es dir offen sagen, wie es ist. Setz dich hin und hör zu.«

Carina setzte sich und beugte sich nach vorne. Lady Godolphin warf einen raschen Blick um sich, als ob sie erwarte, daß hinter den Vorhängen schockierte Matronen hervorspringen könnten.

»Hör zu«, sagte sie heiser. »Der Mann nimmt seinen Penis und tut ihn in ihre Vagina, und nach ein bißchen Heidi-Heida ist das Baby gezeugt.«

Carina verstand gar nichts.

Lady Godolphin stöhnte.

»Ich versuch's noch einmal. Der Mann, weißt du, nimmt seinen Shaftsbury und steckt ihn in ihr Privates.«

»Privates was?« fragte Carina.

Das Mädchen kam mit einer Wärmflasche zurück.

»Ja, so ist es«, sagte Lady Godolphin. »Ich bin froh, daß du mich gefragt hast. Delikate Sachverhalte kann ich gut erklären. Solch intime Dinge sollte man nicht der Phantasie überlassen.«

Carina war ebenso ahnungslos wie zuvor.

Als sie wieder bei Minerva war und im Bett lag, beschäftigte sie sich immer noch mit dem Problem. Sie mußte es jetzt einfach wissen.

Betty wußte doch bestimmt Bescheid. Betty war dabeigewesen, als Mrs. Armstrong aus dem Dorf im letzten Herbst ihren Jungen bekam.

Carina beschloß, in Bettys Zimmer zu gehen und sie zu fragen. Nach einem ärgerlichen Blick auf die Uhr fand sie es nicht richtig, zu dieser Nacht- oder vielmehr Morgenstunde nach ihr zu klingeln, aber wenn sie in ihr Zimmer schlich und sie leise fragte, dann wußte sie endlich Bescheid und konnte einschlafen.

Mit einer Kerze in der Hand ging sie leise und vorsichtig zu dem Zimmer des Mädchens und stieß behutsam die Tür auf.

Es verschlug ihr den Atem, und sie ließ die Kerze fallen, aber der Schein vom Nachtlicht neben dem Bett war ausreichend, um Miss Carina Armitage den wunderbaren Anblick von John Summers nackter Rückseite und Bettys erschrockenem Gesicht, das über seine Schulter blickte, zu bieten.

Carina hob die Kerze auf und eilte in ihr Zimmer zurück.

Sie schlief auf der Stelle ein, weil sie auf einmal über gar nichts mehr nachdenken wollte.