Montag, 23. März 2009

Dafür, dass vor zwei Tagen Frühlingsanfang gewesen war, herrschte eine Saukälte. Halb acht Uhr morgens, nichts deutete darauf hin, dass der Winter beendet wäre. Der Typ rangierte seinen Lieferwagen aus seinem Garten vorm Haus. Er bog auf einen Feldweg ein, doch nach ein paar hundert Metern stand unser Wagen schräg auf der Straße. Max, Beniamino und ich waren konzentriert mit einem Hinterrad beschäftigt.

Er hielt in etwa zehn Metern Abstand und reckte den Kopf aus dem Fenster. »Kann ich helfen?«

Rossini ging hin und hielt ihm die Pistole unters Kinn. »Heute wird ein etwas besonderer Tag.«

Der Fahrer wirkte nicht besonders erschrocken. »Der Wagen ist leer, und ich habe hundertfünfzig Euro in der Tasche.«

»Du heißt Fabio, oder?«, erkundigte sich der alte Schmuggler in väterlichem Tonfall.

»Ja …«

»Also, Fabio, wir brauchen deinen Wagen. Später lassen wir dich wissen, wo du ihn wiederfindest.«

»Ich brauche ihn für die Arbeit.«

»Wir erstatten dir den verlorenen Tag.«

»Aber ihr entführt mich nicht und fesselt mich irgendwo, oder?«

Beniamino lächelte ihm beruhigend zu. »Jetzt gehst du zurück nach Hause zu deiner Frau und den beiden Kleinen und wartest auf unseren Anruf.«

Der junge Mann wurde blass. Die Erwähnung seiner Familie hatte ihn ernsthaft erschreckt. Das war von uns nicht besonders freundlich, aber wir konnten nicht riskieren, dass er den Diebstahl seines Wagens meldete. Das ist die Art von Vergehen, auf die die Bullen neugierig reagieren.

Max sagte die Telefonnummer aus dem Gedächtnis auf. »Stimmt doch so, oder?«

Fabio schluckte. »Ich mache alles, was ihr wollt, aber …«

»Wenn du dich benimmst, passiert niemandem etwas«, beruhigte ich ihn. Dann deutete ich in Richtung Haus. »Geh ins Bett und bleib schön im Warmen. Du hast heute Fieber.«

Unsicheren Schrittes ging er los, dann rannte er. Wir waren ausgesprochen unvorsichtig, aber vielleicht begriff Fabio das nicht. Vielleicht fiel er auf unseren Bluff herein.

Beniamino stieg in den Lieferwagen und kam mit einem Klemmbrett wieder heraus; die Klammer in Form einer Bierflasche hielt das Blatt mit der Tagesroute fest.

»Balkan Market: 9 Uhr 30.«

Der Dicke stieg mit dem alten Rossini in unseren Wagen, ich folgte ihnen mit dem Renault. An einer Ampel betrachtete ich mich im Rückspiegel. Jacke und Krawatte, frisch rasiert. Es war mir schon fast zur Gewohnheit geworden. Ich sah aus wie der Inhaber irgendeiner Werkstatt, der seinen kranken Mitarbeiter vertrat. Niemand würde etwas Seltsames daran finden. Das war der Nordosten.

In Treviso stellten meine Freunde den Wagen ab und stiegen mit unseren Taschen, die alles Material enthielten, hinten in den Lieferwagen. Zur auf Fabios Liste vorgesehenen Zeit rollte ich auf die Rampe zum Lagerraum. Ich klappte die Sonnenblende herunter und tat so, als würde ich mir die Nase putzen, aber Božidar schaute nur auf den Wagen.

Er schob das schwere Tor beiseite, ohne zu bemerken, dass Beniamino schon ausgestiegen war und hinter ihm stand, die Pistole in der Hand. Als er sie ihm brutal in den Rücken stieß, erstarrte der Serbe und hob die Hände. Die Durchfahrt war breit genug, ich ließ den Wagen hineinrollen. Drinnen stieg auch Max aus. Das Erdgeschoss maß rund hundert Quadratmeter; an allen Wänden Regale voller Schachteln.

Rossini ließ den Gorilla hinknien, der Dicke und ich banden ihm Hände und Füße mit Kabelbindern. Israelische Methode. Nicht die kleinste Chance, sich zu befreien. Dann fesselten und knebelten wir ihn und schleiften ihn in eine Ecke.

Er wehrte sich nicht. Als Profi wusste er genau, wann er die Überlegenheit des Gegners hinzunehmen hatte. Unterdessen hatte Beniamino die Innentreppe gefunden, die wir lautlos hinaufgingen. Wir gelangten in ein kleines, fensterloses Gelass, das leer war bis auf einen Schreibtisch mit vier Monitoren von Überwachungskameras. Auf dem einen davon sah man Božidar, der versuchte, sich auf die Seite zu wälzen.

Wir blickten einander besorgt an. Hatte Vladan uns beobachtet und Alarm ausgelöst?

Rossini schüttelte den Kopf. Dafür war es zu ruhig. Er ging weiter, die Pistolen im Anschlag, wir waren wenige Schritte hinter ihm. Die Stimme der telefonierenden Frau war deutlich zu hören; kurz darauf sahen wir sie durch eine halb offene Tür. Vladan entdeckten wir dank seiner Angewohnheit, beim Teekochen leise zu pfeifen. Er befand sich in einer kleinen Küche, in der man ihn allerdings nicht von hinten überrumpeln konnte.

Unvermittelt stand Beniamino auf der Schwelle, mit gezückter 45er. »Kein guter Tag zum Sterben«, sagte er leise.

Der Ex-Soldat wog blitzschnell sämtliche Möglichkeiten ab, als Gewinner aus dieser Situation hervorzugehen, erkannte aber rasch, dass es keinen Weg gab, der ihm eine oder mehrere Kugeln ersparen würde. Er breitete die Arme aus, um sich zu ergeben, doch Rossini hatte nicht vergessen, dass er ein Kampfmesser im Jackenärmel trug. »Zieh es mit zwei Fingern raus.«

Überrascht blickte der Gorilla ihn fragend an.

»Hat mir Božidar verraten«, log Rossini gemeinerweise.

Das würde Vladan seinem Kollegen nie verzeihen. Tatsächlich hatten wir das Messer bei jener Begegnung in der Konditorei in Vicenza gesehen. So etwas vergisst man nicht, auch nicht nach Jahren.

Gehorsam zog der Serbe das schmale, kurze, aber tödliche Messer hervor. Er legte es auf einen Tisch. Unser Freund gebot ihm, sich umzudrehen und hinzuknien. Max und ich versorgten ihn wie seinen Genossen.

»Kümmert euch um die Frau. Wir sehen uns in Pavles Zimmer.«

Die Sekretärin, in ihr Telefonat vertieft, hatte noch nichts bemerkt. Sie sprach gut Italienisch, aber es gab keinen Zweifel, sie war Serbin. Sobald sie auflegte, betraten wir den Raum, die Hände in den Taschen.

Die Reaktion der Frau beseitigte jeden Zweifel, ob sie Mitglied der Bande war: Weder schrie sie, noch gab es Anzeichen, dass sie ohnmächtig werden könnte.

Eigentlich war sie hübsch, doch ihre Züge hatten etwas Hartes an sich, das von der Anspannung jetzt deutlich verstärkt wurde. »Wer seid ihr?«

»Komm. Wir haben ein Wörtchen mit deinem Chef zu
reden.«

Sie ließ es sich nicht zweimal sagen, sondern begleitete uns durch einen Flur, dann öffnete sie eine Tür. Das Büro war luxuriös eingerichtet. Der serbische Gangster saß hinter seinem Schreibtisch, die Hände fein säuberlich weit voneinander auf der Mahagoniplatte. Vor ihm saß Rossini, die Colts im Schoß. Er deutete auf ein Sofa.

»Setz dich da hin«, sagte er zu der Frau.

»Da seid ihr ja alle«, zischte Pavle verächtlich. »Kein bisschen Gehirn im Leib.«

Beniamino bedachte ihn mit einem flammenden Blick. »Unser Freund hier fragte eben nach dem Grund dieses plötzlichen und nicht unbedingt höflichen Besuchs.«

»Und, was hast du gesagt?«

»Er täuscht sich, wenn er denkt, dass wir Idioten sind.«

Jetzt war ich an der Reihe. »Willst du so weitermachen und sterben, oder willst du verhandeln?«

»Ich denke, ich sterbe sowieso.«

»Verdienen würdest du’s«, lachte der alte Schmuggler.

Ich knöpfte mir den Mantel auf. Gern hätte ich auch die Latexhandschuhe ausgezogen, es war warm. »Ja, wir würden dich gern umbringen, aber wir haben eine Verabredung mit den Kosovaren, der Familie von Fatjion Bytyçi, und werden dich seinem Bruder Agim übergeben.«

Die Frau fing an, sehr schnell mit einer dünnen, schrillen Stimme auf Serbisch zu reden, und ließ sich nur mit Beniaminos Pistolen zum Schweigen bringen. Ich hatte die Augen nicht von Pavle gelassen, um den Ausdruck reinen Entsetzens zu genießen, wenn ihm klar wurde, dass er bei den Mafiosi landen würde. Stattdessen schien mir, als sähe ich einen Funken Erleichterung in seinem Blick.

Ich war verblüfft. Da war etwas, das ich nicht begriff.

Ich nahm die Frau beim Arm und wandte mich an Max. »Komm, wir suchen was, wo wir sie einsperren können.«

Wir fanden einen winzigen Verschlag ohne Fenster, in dem das Büromaterial aufbewahrt wurde. Wir drehten den Schlüssel im Schloss herum und klemmten einen Stuhl unter die Klinke.

»Diese Leute müssen alles Mögliche erlebt haben, dass sie derart abgebrüht sind«, meinte Max.

»Irgendwas stimmt hier nicht. Vielleicht sollten wir kurz nachdenken.«

»Was meinst du?«

»Warum erschrickt Pavle nicht bei der Vorstellung, den Kosovaren in die Hände zu geraten?«

»Ich sag’s doch gerade: Die haben Eier in der Hose und Talent zum Märtyrertum.«

»Wie haben sie Agim Bytyçi verraten, dass wir Fatjion kaltgemacht haben?«

»Ich weiß nicht. Vielleicht hat es genügt, das Gerücht in Umlauf zu bringen.«

Ich hätte gern geraucht, beherrschte mich aber: Der Knast ist voller Leute, die ihre DNS auf Zigarettenfiltern an unpassenden Orten zurückgelassen haben. »Ich weiß nicht, wie ich es dir erklären soll, aber ich habe den sicheren Eindruck, dass der Serbe vor Agim Bytyçi keine Angst hat.«

»Das fällt mir schwer zu glauben, aber falls du recht haben solltest, was machen wir dann?«

»Lass mich improvisieren.«

Wir gingen ins Büro zurück. Stojković hatte sich keinen Millimeter gerührt. Ich beobachtete ihn noch kurz, dann beschloss ich, meiner Intuition und der Eingebung des Augenblicks zu folgen.

»Wir wüssten gern, wo wir Greta Gardner finden.«

Er räusperte sich. »Wie ich bereits gelegentlich sagte, haben wir sie nicht auftreiben können.«

»Was sagt dir der Name Arben Alshabani?«

Er schüttelte den Kopf. »Muss ein Kosovare sein.«

»Genau. Ein hirnloser junger Kerl, der hier in der Gegend die Familie von Peja kommandiert, weil sein Boss, Florian Tuda, im Knast gelandet ist. Er kann es gar nicht erwarten, dich in die Finger zu kriegen, er will seinem alten Chef und Agim eine Überraschung machen, indem er ihnen deinen Kopf und deine Hände schickt. Klar? Er ist der Einzige, der weiß, dass wir jetzt hier sind.«

Er ballte ein paarmal die Fäuste. Entweder seine Selbstsicherheit bekam Risse, oder aber ihm schliefen nur einfach die Arme ein. Ich beschloss, es zu wagen.

»Wenn wir hier ohne dich rausgehen, kommt er und schneidet euch alle in kleine Stücke. Was er wohl mit der Frau machen wird, hm? Und denkst du, er hört zu, wenn du ihn anflehst, Agim zu holen?«

Ich spürte die Blicke meiner Freunde auf mir. Sie mussten denken, ich wäre verrückt geworden.

Aber ich hatte richtig gelegen, das zeigte Stojkovićs Frage:

»Was könnt ihr mir anbieten?«

»Flucht«, log ich. »Nur du. Die beiden Gorillas und die Frau kriegt Alshabani.«

»Sie heißt Slavka und ich lasse sie nicht allein. Ich lebe weiter, wenn auch sie weiterlebt.«

Banditenliebe auf Serbisch. Für seine Hübsche wollte er sterben, mit Sylvie hatte er nicht das geringste Mitleid gehabt. Es war weder der Ort noch der Moment für so eine Frage, aber ich konnte sie nicht zurückhalten: »Wie kommt es, dass ihr nicht zusammenlebt?«

»Sie ist mit einem Italiener verheiratet.«

Ich sah Beniamino an, der mit den Schultern zuckte. »Du brauchst nur zu reden, das ist alles.«

Ich wandte mich zu Max, der überzeugt nickte. »Arben wird sich mit den beiden Gorillas begnügen müssen.«

»Was wollt ihr wissen?«

»Die Wahrheit«, antwortete ich, bevor mir klar wurde, was für eine Dummheit da gerade aus meinem Mund gekommen war. Einer wie Stojković wusste nicht mal, was das sein sollte, die Wahrheit, und wenn, dann hätte er sie nie erzählt, sondern sich auf das beschränkt, was er für unbedingt nötig hielt, um seine Haut zu retten. Wir mussten präziser werden.

»Wir wollen wissen, wie wir in diese Sache hineingezogen worden sind, und wir wollen brauchbare Informationen, um Greta Gardner zu finden und kaltzustellen.«

Unbemerkt zog Max ein kleines Aufnahmegerät aus der Tasche und schaltet es an.

Der Ex-Geheimdienstmitarbeiter schwieg eine Weile und ordnete seine Gedanken. Dann fing er an zu erzählen. Vom Anfang, vom fernen 2004 an.

Der serbische Geheimdienst wollte die Wahrheit über den Drogenraub aus dem Rechtsmedizinischen Institut in Erfahrung bringen, um die Kosovaren international bloßzustellen, und hatte dazu zwei Agenten nach Italien geschickt.

Der Typ, der uns zwingen wollte, für ihn zu arbeiten, und alles tat, um sich von Rossini umbringen zu lassen, hieß Milan Marković. Er war Greta Gardners Geliebter seit der Zeit, als sie studierte und er abgestellt war, um darauf zu achten, dass die Studenten keine Flausen in den Kopf bekamen. Die kreuzartige Form auf seinem Siegelring zeigte den Schnitt, den sie sich mit einem Küchenmesser zugefügt hatten, um ihr Blut zu mischen, nachdem sie zum ersten Mal miteinander geschlafen hatten.

Milan, zehn Jahre älter als sie, war gutaussehend, aber ganz gewiss kein großes Kirchenlicht. Das bewies allein schon die Art und Weise, wie er zu Tode gekommen war.

Der Kopf des Paars war Greta. Die in Wirklichkeit Natalija Dinić hieß, doch das wusste nur Pavle, der sie auf Milans Anraten engagiert hatte. Er hatte persönlich für ihre Ausbildung gesorgt und sie dann beide ins Ausland geschickt. Dann kam der Bürgerkrieg, und beide agierten unter der Fahne von Großserbien.

Als Pavle den Geheimdienst verließ, um sich einer Gangsterbande anzuschließen, hatte er die beiden aus den Augen verloren. Aber er hatte gehört, dass Greta nach Milans Tod und dem Scheitern der Aktion aus dem Dienst entfernt worden war und sich auf Luxusprostitution verlegt hatte. Binnen kurzem hatte sie eine kleine, aber leistungsfähige Organisation aufgebaut, die jede, aber auch jede Fantasie eines reichen Arschlochs befriedigen konnte. Und »jede« bedeutete auch die verbotenste und krankhafteste.

Unterdessen hatte sie den Gedanken an Rache nie aufgegeben und nur auf die passende Gelegenheit gewartet. Die bot sich, als Pavle begann, mit Agim Bytyçi Geschäfte zu machen. Sehr, sehr geheime Geschäfte, wenn man den tiefverwurzelten Hass zwischen Serben und Kosovaren bedachte.

Agim hatte nicht die geringste Absicht, seinen Bruder umzubringen, jedenfalls bis jener Hochzeitsplan ruchbar wurde. Die Fatjion Versprochene liebte Agim abgöttisch, der ihre Gefühle ganz und gar erwiderte und es nie geduldet hätte, sie in den Fingern dieser entarteten Bestie zu sehen.

»Ich kümmere mich darum«, hatte Pavle zu ihm gesagt und ein Komplott organisiert, mit der Erfahrung, die er in vielen Jahren ehrenvollen Wirkens für den jugoslawischen, dann den serbischen Geheimdienst erworben hatte.

Er hatte sich bei Greta gemeldet, die sofort auf die Idee kam, Fatjion mit einem Bordell für Gruppenvergewaltigungen zu erfreuen. Schließlich war nicht nur die Vorliebe des Kosovaren für reife, sinnliche Frauen bekannt, sondern auch für diese spezielle Spielart …

Ich drehte mich rasch zu Rossini, denn ich dachte, jetzt erschießt er ihn.

Beniamino hatte die Hände um die Waffen gekrampft, aber die Zeigefinger waren fern vom Abzug. Zwei dicke Tränen machten sich auf den Weg über seine Wangen.

»Das ist die Geschichte im Groben«, sagte Pavle. »Wollt ihr die Einzelheiten auch hören?«

»Erspar sie uns«, antwortete Beniamino, die Stimme hohl vor Schmerz.

Gretas Liebe. Agims Liebe. Pavles Geschäfte. Was für eine Scheißgeschichte.

Apropos. »Was für Geschäfte machst du eigentlich mit dem Kosovaren?«, fragte ich unvermittelt.

»Warum soll ich euch das nicht erzählen, ich glaube sowieso, ich muss mich demnächst auf etwas anderes verlegen.«

Der serbische Gangster führte uns ins Lager. Ohne seinen geknebelten und gefesselten Mann eines Blickes zu würdigen, schnitt er mit einem Teppichmesser eine der Schachteln auf, deren Inhalt sich auf den Boden ergoss: Arzneimittelpackun-
gen.

Max hob eine davon auf. »Ein Mittel gegen die Vogelgrippe.«

»Das sind alles gefälschte Medikamente«, erklärte Stojković mit einer Rundgeste zu den Regalen. »Gegen Impotenz, gegen Diabetes, gegen Herzprobleme … Die meisten werden via Internet verkauft, aber es kommen immer mehr in den Handel, und heute findet man sie überall. Vor allem bei den Illegalen, die sich nicht mehr trauen, zum Gesundheitsamt oder ins Krankenhaus zu gehen. Produziert werden sie im Kosovo. Agim hat mehrere Labore aufgezogen, mit indischen und pakistanischen Chemikern. Er ist ein kluger Junge, hat an einer amerikanischen Uni Wirtschaft studiert und neue Ideen mit nach Hause gebracht …«

Man konnte hören, wie eine Pistole entsichert wurde. Rossini zielte dem Serben mit einer seiner 45er ins Gesicht. »Ich hätte nicht übel Lust, unsere Absprache zu kündigen.«

Ich vertrat ihm die Schusslinie. »Erst muss er uns sagen, wo wir Greta Gardner finden.«

»Diese gefälschten Medikamente, das ist einfach zu widerlich, um ihn weiterleben zu lassen.«

»Das sehe ich auch so, aber wir müssen entscheiden, was uns mehr interessiert und was für Sylvie das Beste ist.«

»Eben, Sylvie. Wisst ihr was? Das Arschloch hier hat dir die Fotos von Sylvie in den Briefkasten geworfen und hinterher die Rolle dessen gespielt, der mein Drama begreift.« Mit einer raschen Bewegung senkte er die Pistole. »Wenn ich dich jemals wiedersehe, Pavle, dann bring ich dich um.«

Der Serbe seufzte erleichtert. Es war keine gute Idee gewesen, mit den Medikamenten anzugeben.

Max holte die Frau ins Erdgeschoss, dann nahm er eine der Taschen aus dem Lieferwagen und öffnete sie. »So, jetzt ladet ihr beiden den Inhalt der Taschen in diese beiden Tüten um.«

Die Frau griff hinein und zog Armbänder, Ketten, Ringe heraus. »Das ist Gold.«

Der Serbe tat es ihr gleich und begriff. »Mit unseren Fingerabdrücken.«

Ich nickte. »Intelligenter Junge.«

»Woher?«

»Den Zeugen zufolge sprachen die Diebe Serbisch. Ich denke, es ist besser, du fliehst sehr, sehr weit.«

Dann blickte ich auf die Uhr. »Zeit zu gehen. Bald kommt Arben Alshabani. Du kannst uns gerade noch sagen, wo wir Greta Gardner finden.«

Er leierte eine Adresse in Paris und einen Decknamen herunter.

»Nicht, dass du mich verarschst!«

»Du wirst mir schon vertrauen müssen.«

Ich grinste ihn böse an. »Du auch. Denn jetzt wanderst du mit deiner schönen Slavka in die Kammer. Die Geschichte mit dem Kosovaren war eine Finte, damit du redest.«

Er legte keinerlei Überraschtheit an den Tag, knurrte nur, so sei das nicht verabredet gewesen.

»In ein paar Stunden bekommst du die Tür auf und kannst gehen.«

Beniamino deutete mit der Pistole auf ihn. »Beweg dich, Arschloch.«

Max betätigte die Play-Taste seines Geräts, und man hörte Pavles Stimme, der seine Verbindung zu Agim Bytyçi schilderte.

Stojković drehte sich jäh um, den Mund zu einer bitteren Grimasse verzerrt. »So was hätte ich mir ja denken können.«

»Du vergisst uns ganz einfach, oder das hier landet auf YouTube.«

»Keine Sorge. Ich kenne solche Spielchen viel länger als ihr.«

Der Dicke und ich versteckten eine Tüte mit fünf Kilo bearbeitetem Gold in einem Regal des Warenlagers. Dann stiegen wir in den Lieferwagen und konnten diesen beschissenen Ort endlich hinter uns lassen.

Ich zündete mir eine Zigarette an und rief Attilio Carini an, den schönen Polizisten. »Hör her, ich gebe dir eine Adresse in Treviso. Du findest da eine ganz schöne Sauerei. Ich rate dir, als Erster reinzugehen, wenn die Sache glaubwürdig wirken soll. Aber ich garantiere dir, dass du super dastehst …«

»In Ordnung. Gib mir die Scheißadresse.«

»Noch etwas: Du musst dafür sorgen, dass die Kamera vor Arben Alshabanis Kneipe vierundzwanzig Stunden lang nicht läuft.«

Beniamino hielt vor einem Spielzeugladen und kam mit zwei riesigen Plüschtieren wieder heraus. Immer übertreiben, wie alle Banditen seiner Generation.

»Für die Kinder von Fabio, dem Jungen, der uns den Lieferwagen geliehen hat.«

An jenem Tag liefen in sämtlichen Abendnachrichten Berichte von einer Großoperation der Polizeipräsidien von Padua und Treviso, die eine serbische Bande von Arzneimittelfälschern und Goldhehlern ausgehoben hatten. Zwei Kilo der Schmuckstücke aus einem großen Raub in Valenza, Provinz Alessandria, waren bei der Gelegenheit aufgetaucht.

»Na, da haben die Bullen aber gründlich Shopping gemacht«, lachte ich. »Gut drei Kilo Schmuck für Frauen, Geliebte und Schwägerinnen.«

»Tja, und der arme Pavle«, bemerkte Max sarkastisch, während er uns eigenhändig hergestellte Gnocchi mit Ragù auftat. »Wenn die Libanesen kommen und von ihm wissen wollen, wo ihr Gold geblieben ist, dann dürfte es im Knast für ihn eher ungemütlich werden …«

»Ach, der Sack gehört zu der Sorte, die immer auf die Beine fallen«, befand Beniamino. Dann wandte er sich an mich. »Und wie machst du jetzt den Kosovaren fertig?«

Ich goss mir zu trinken ein. Einen roten Tocai von den Berischen Hügeln. »Keine Ahnung. Habt ihr eine Idee?«

Am nächsten Morgen spielte Alshabani gerade mit ein paar Handlangern Karten. »Ich habe mit dir zu reden.«

Auf eine Handbewegung von ihm gingen die anderen weg.

»Ich bringe dir das Gold«, sagte ich und schob ihm unterm Tisch eine kleine Tasche zu.

»Wer hat dir gesagt, dass du das hierher bringen sollst, verflucht?« Arben war verärgert.

Er hatte Angst. Seine Leute würden sich fragen, was ich ihm ausgerechnet hierher in die Kneipe gebracht hatte, an den unsichersten Ort von ganz Padua. Außerdem war er nicht dumm. Die Nachricht von der Razzia in Treviso stand auf sämtlichen Titelseiten.

»Gestern finden sie Gold bei den Scheißserben, heute bringst du mir welches an. Hast du auch die Bullen mitgeschleift?«

»Nein. Aber unsere Vereinbarung hat sich geändert. Wir dachten, Pavle Stojković sei der Auftraggeber des Mordes an Fatjion gewesen, aber das war ein Irrtum, und wir wollen niemand Unschuldigen reinreißen. Und dann ist uns leider die Polizei zuvorgekommen.«

Er starrte mich perplex an. Was ich da erzählte, war kein bisschen glaubwürdig, aber das zählte im Moment nicht.

»Wir geben dir das Gold, es ist die Hälfte dessen, was wir dir versprochen hatten, damit du zu Agim gehst und ihm klarmachst, dass wir mit dem Tod seines Bruders nichts zu tun haben. Du musst das so geschickt anfangen, dass er das Todesurteil aufhebt, das er über uns verhängt hat.«

Ich zog eine kleine CD aus der Manteltasche und lehnte sie an sein Bierglas.

»Was ist das?«

»Eine Kopie der Aufnahme von unserer Plauderei im Großmarkt.«

Er wurde blass, dann vernebelte die Wut seinen Blick, und er griff in die Jackentasche nach seinem Schnappmesser.

»Versuch’s gar nicht erst«, zischte ich, bemüht, die Angst nicht zu verraten, die meine Eingeweide gepackt hielt. »Draußen sind meine Freunde, bewaffnet. Du kämst nicht lebend hier raus.«

Er schrie mir eine Reihe von Beleidigungen in seiner Sprache ins Gesicht, alle drehten sich nach uns um.

»Beruhige dich und denk nach. Wir wollen dich nicht verarschen, wir wollen nur gut davonkommen.«

»Hau ab und lass dich nie wieder blicken.«

Ich stand auf. »Noch ein Rat: Lass den Schmuck möglichst schnell einschmelzen. Er ist zu leicht zu identifizieren, und du riskierst, in den Prozess gegen die Serben mit hineingezogen zu werden.«

Dann ging ich rasch hinaus. Hinter einer Säule, wo er die ganze Zeit gewartet hatte, tauchte Rossini auf. Dort hatte er neben Max gestanden und dank der Wanze auf meiner Brust jedes Wort des Gesprächs mit Arben mitbekommen. Wenn der versucht hätte, mich kaltzumachen, wäre Beniamino eingeschritten. Jedenfalls war das der Plan gewesen …

Mit zitternden Händen zündete ich mir eine Zigarette an. Allmählich hatte ich den ganzen Mist wirklich satt.

Der alte Schmuggler lächelte. »So, dann hätte das auch geklappt.«

Im Wagen machte ich mein Handy an und entdeckte ein Dutzend Nachrichten von Attilio Carini. Ich rief ihn zurück.

»Was heißt hier Sauerei«, jammerte er. »Ich hab regelrecht Salto schlagen müssen, um keinen Ärger zu kriegen.«

»Jetzt hör auf zu winseln. Ich hab dich im Fernsehen gesehen und die Zeitungen gelesen. Du bist der berühmteste Bulle des ganzen Nordostens.«

»Du hattest mir Alshabani versprochen.«

»Das war leider ein Schlag ins Wasser.«

»Du könntest ja noch ein bisschen daran arbeiten …«

»Nein. Es ist Zeit, Lebewohl zu sagen.«

»Das entscheide ich.«

Ich prustete los. Immer dasselbe mit den Bullen. »Sollen wir’s machen wie die Kinder? Aufs Klo gehen und schauen, wer den Längeren hat?«

Er lachte laut auf und hängte ein. Ich nahm die SIM-Karte aus dem Handy und warf sie aus dem Fenster. An der nächsten Ampel schenkte ich den Apparat einem Blumenverkäufer.

»Um die Wahrheit zu sagen«, platzte Rossini heraus, »mag ich diese gegenseitigen Gefallen mit den Bullen nicht. Können wir nicht ohne die auskommen?«

»Dabei solltest du dem Gott der korrupten Bullen dankbar sein«, entgegnete ich polemisch. »Heute ist es nicht mehr so wie früher, wo du immer wusstest, wer dir gegenübersteht. Heute ist das Hauptproblem, an Informationen zu kommen, und die Bullen sind die beste Quelle, denn sie sammeln, bündeln und verkaufen sie.«

»Außerdem«, ergänzte der Dicke, »benutzen die Mafiosi die Bullen, um die Konkurrenz zu ficken. Alles ein einziges Durcheinander.«

Der alte Schmuggler löste eine Hand vom Lenkrad, um mit seinen Armbändern zu spielen. »Das ist wirklich das Problem. Wenn du nicht in dieser Scheiße untergehen willst, musst du in der Vergangenheit leben. Musst Leute finden, die so denken wie du und Archäologie der Halbwelt betreiben: Schmuggel und Coups im alten Stil. Das Problem sind deine beschissenen Ermittlungen, Marco, von früh bis spät rührst du in der Scheiße. Wenn das hier geschafft ist, hoffe ich wirklich, du suchst dir einen anderen Beruf.«

Er maulte nur an mir allein herum, dabei wusste er genau, dass Max mein Partner war. Ganz offensichtlich hatte der Dicke ihm von Fratta Polesine und Irma erzählt. Aber das war jetzt nicht der richtige Moment für diese Themen. Vor allem, weil mir die Lust dazu fehlte.

»Und wie schaffen wir das hier? Wir haben noch gar nicht darüber geredet, wie wir Greta Gardner auftreiben wollen.«

»Ich für meinen Fall fahre nach Paris, peile die Lage, bringe sie um und kehre zu Sylvie zurück.«

»Und du?«, fragte ich Max.

»Vielleicht gelingt es uns ja tatsächlich, unseren Arsch zu retten und ein bisschen Geld auf die Seite zu tun«, sagte er und blickte aus dem Fenster. »Wenn meine Gegenwart nicht unentbehrlich ist, würde ich hier aussteigen.«

Der alte Rossini drückte ihm voller Zuneigung den Arm. »Das ist der letzte Akt. Von hier ab schaffen wir es wunderbar allein.«

Ich tat so, als würde ich protestieren. »Heh, wie kannst du so sicher sein, dass ich mitkomme?«

»Weil du hier nichts verloren hast.«