»Nein, eigentlich nicht. Und wenn sie doch dazugehören sollte, so scheint das System nicht in der Lage zu sein, die Einheimischen vor den gelandeten Televek zu schützen. Wie dem auch sei: Es muß irgendeine Verbindung mit den Geistern existieren.«
Sie standen jetzt am Rand des Ortes und blickten über eine breite, von Sternenlicht und Mondschein erhellte Promenade.
Nan Loteth räusperte sich. Janeway hörte es zum erstenmal und fragte sich, ob er es von ihnen abgeschaut hatte.
»Was unternehmen wir jetzt?« fragte Kim zaghaft.
»In der Abwesenheit von Alternativen schlage ich vor, daß wir unseren ursprünglichen Plan verwirklichen und versuchen, mehr über die gelandeten Televek herauszufinden«, sagte Tuvok.
»Der Jaalett-Tempel ist fast einen halben Tagesmarsch von hier entfernt«, erläuterte der Drenarianer. »Wenn wir heute nacht aufbrechen, sind wir morgen früh dort.«
»Wir machen uns bald auf den Weg, aber nicht sofort.«
Janeway wandte sich an Nan Loteth. »Zuerst möchte ich zum Shuttle zurück und versuchen, die Kom-Geräte in Ordnung zu bringen – damit wir erneut mit unseren Freunden im
Himmelsschiff sprechen können. Sie müssen von den Monden erfahren, und auch von dem Televek-Schiff in der Nähe Ihres Tempels. Vielleicht droht meinen Gefährten noch größere Gefahr als uns. Wer weiß, was Gantel und seine Mittler derzeit anstellen.«
Nan Loteth nickte nachdrücklich. »Einige von uns werden Sie begleiten. Wie man mir mitteilte, haben die Dämonen Ihrem Himmelsboot bereits einen Besuch abgestattet. Vielleicht sind sie noch da. Wenn das der Fall ist, so brauchen Sie die Hilfe erfahrener Krieger.«
»Die Dämonen haben unsere Landung beobachtet«, erwiderte Janeway. »Kein Wunder, daß sie neugierig wurden. Hören Sie, Nan Loteth… Ich möchte nicht, daß noch mehr Angehörige Ihres Volkes sterben. Seien Sie unbesorgt – wir können uns auch allein schützen. Wenn wir zurückkehren, können Sie uns zum Himmelsschiff der Dämonen führen.«
»Vielleicht ist es den Televek inzwischen gelungen, sich Zugang zum Shuttle zu verschaffen«, sagte Kim.
»Das wäre nicht auszuschließen«, bestätigte der Vulkanier.
Janeway musterte die beiden Männer nacheinander. »Wenn sie in unserem Shuttle sind, so müssen sie es eben verlassen.«
»Wann brechen Sie auf?« fragte Nan Loteth.
Janeway holte tief Luft. »Jetzt sofort.« Sie sah keinen Sinn darin, noch länger zu warten. Erschöpfung breitete sich in ihr aus, und sie wünschte sich nichts mehr, als einige Tage in dem drenarianischen Ort zu verbringen. Doch die Erschütterungen eines kurzen Nachbebens erinnerten sie daran, daß die Zeit sehr knapp war. Sie durften sich nicht ausruhen, mußten sofort handeln.
Die drei Starfleet-Offiziere winkten noch einmal zum Abschied, und dann blieb die große Siedlung hinter ihnen zurück.
Wie verzagt strichen Gantels lange Hände durchs lange weiße Haar. »Das sind recht schlechte Nachrichten«, sagte er, als er die Mitteilung erhielt. Damit untertrieb er ganz bewußt den Ernst der Situation. Es wäre leicht gewesen, jetzt außer sich zu geraten, doch das nützte ihm überhaupt nichts. »Glauben Sie, das Schiff im Orbit hat die Kom-Signale empfangen?«
»Die Wahrscheinlichkeit dafür ist ziemlich hoch«, erwiderte Triness betrübt. »Aber bestimmt waren die Stimmen sehr verzerrt, und außerdem konnte ich innerhalb kurzer Zeit kompensieren. Daher nehme ich an, daß kein wichtiger Informationsaustausch stattfand. Soweit ich weiß, ging es bei dem kurzen Kontakt nur um die drei Monde. Ich finde es erstaunlich, daß die Föderationsleute so lange gebraucht haben, um das herauszufinden. Sie scheinen nicht besonders schnell von Begriff zu sein.«
»Du bleibst immer optimistisch«, kommentierte Gantel. Nun, auch aus diesem Grund legte er Wert auf ihre Gesellschaft.
»Jetzt wissen Sie, daß die Besatzungsmitglieder des Shuttles noch leben.«
»Wir haben ihnen Grund gegeben, von entsprechenden
Hoffnungen auszugehen«, entgegnete Triness.
»Besteht die Möglichkeit, daß die Sensoren der Voyager etwas geortet haben, das sie besser nicht orten sollten?«
»Nein«, sagte Triness. »Die Lücke in den Interferenzen beschränkte sich auf ein sehr schmales Mikrowellenband.«
»Das ist wenigstens etwas. Hat Daket die Landegruppe inzwischen lokalisiert? Oder hat er in dieser Hinsicht nur Entschuldigungen anzubieten, ebenso wie in bezug auf seine Versuche, die subplanetare Energiequelle zu erreichen?«
»Eine der von ihm ausgeschickten Gruppen hat das Shuttle gefunden. Wir glauben, die überlebenden Crewmitglieder könnten zur Siedlung der Einheimischen gebracht worden sein.«
»Sollen sie dort bleiben. Vorerst. Später können wir den ganzen Ort vernichten und das Problem auf diese Weise lösen.«
»Genau das dachte auch Daket«, sagte Triness und lächelte.
Gantel dachte über die Lage nach. Eigentlich blieb ihm nichts anderes übrig, als darauf zu warten, was die Kommandantin des Föderationsschiffes als nächstes unternahm – falls sie überhaupt auf irgendeine Weise aktiv wurde. Im Lauf der Jahre hatte der Dritte Direktor gelernt, darauf zu warten, daß sich die Dinge günstig entwickelten, und seine Geduld war oft belohnt worden.
Diesmal erhoffte er sich ähnliche Resultate, und zwar bevor die Erste Direktorin Shaale eintraf und von den Umständen zum Eingreifen gezwungen wurde. Er hielt es für besser, die Flotte in Hinblick auf konkrete Pläne und Resultate um Hilfe zu bitten, ihre Unterstützung jedoch nicht in einer von Verzweiflung geprägten Situation zu erflehen. Er wollte das prächtige Föderationsschiff Shaale als Geschenk präsentieren, nicht in Form eines bedrohlichen militärischen Faktors.
Er sah zum Schirm und beachtete den Raumer der Fremden.
Bald, dachte er. Sehr bald…
»Jetzt wissen wir wenigstens, daß sie noch leben!« entfuhr es Chakotay, als er die Brücke betrat. Er eilte zur taktischen Station und schob Rollins beiseite. »Computer, wiederhole die letzte Nachricht von der Einsatzgruppe.«
Eine undeutliche Stimme erklang. Chakotay hörte konzentriert zu und versuchte, die immer wieder von Interferenzen überlagerten Worte zu verstehen.
»Vielleicht ist es möglich, die Störungen herauszufiltern, Commander«, sagte Rollins. Sie machten sich gemeinsam an die Arbeit, spielten die aufgezeichnete Mitteilung immer wieder ab und modifizierten dabei verschiedene Filter.
»Wir kriegen’s nicht hin«, sagte der Fähnrich schließlich.
Chakotay seufzte schwer. Die Worte blieben verzerrt, und zum Schluß der Nachricht nahmen die Interferenzen immer mehr zu
– bis die Kom-Verbindung schließlich ganz unterbrochen wurde. Doch einige Dinge waren klar: Der dritte Mond befand sich erst seit kurzer Zeit im Orbit des Planeten, und die Nähe der drei Trabanten – ihr gemeinsames Schwerkraftfeld –
verursachte die geologischen Kataklysmen auf Drenar Vier.
Angesichts der immer stärker werdenden Gezeitenkräfte bestand die Gefahr, daß diese Welt auseinanderbrach.
»Wie lange dauert es noch, bis die drei Monde ihre
Minimaldistanz erreichen?« fragte Chakotay und berührte einige Schaltflächen, um den Computer entsprechende Berechnungen durchführen zu lassen. Das Ergebnis gefiel ihm nicht sonderlich.
Er dachte an die übrigen Zeitfaktoren, die ebenfalls eine wichtige Rolle spielten, und daraufhin keimte Unbehagen in ihm.
Der Erste Offizier überprüfte die errechneten Werte noch einmal, um ganz sicher zu sein.
»Commander…«, begann Rollins, als er begriff, was die Zahlen auf dem Display bedeuteten.
»Mr. Rollins, Sie haben das Kommando«, sagte Chakotay und sprang fast von der Konsole fort. Er hastete zum Turbolift. »Ich bin im Maschinenraum, falls Sie mich brauchen.«
»Ich habe bereits genug zu tun!« kam es scharf von B’Elannas Lippen. Sie ließ den Commander einfach stehen, lief zwischen den Schaltpulten hin und her.
Chakotay runzelte die Stirn, als er von einer Seite zur anderen sah. Ingenieure und Techniker arbeiteten fieberhaft an den einzelnen Stationen. Außerdem herrschte ein ständiges Kommen und Gehen. Der Erste Offizier schloß zu Torres auf, als sie an den energetischen Transferkanälen verharrte, die zum Dilithiumgehäuse führten.
»Es gibt noch mehr Arbeit für Sie«, sagte er.
»Selbst meinem Leistungsvermögen sind Grenzen gesetzt«, erwiderte B’Elanna.
Chakotay ging nicht darauf ein. »Wie ist der derzeitige Status?«
Torres gab einen kehligen Laut von sich, der mit der menschlichen Hälfte ihres Selbst kaum etwas zu tun hatte.
Anschließend strich sie eine widerspenstige Strähne aus der Stirn. »Wir erzielen Fortschritte«, sagte sie und nickte kurz. Ein Teil der Strenge wich aus ihren Zügen, was Hinweis darauf bot, daß sie ihre Worte ernst meinte. »Ja, wir kommen voran, wenn auch langsam.«
»Ich möchte, daß Sie sich etwas anhören.« Die meisten Besatzungsmitglieder kannten die Nachricht vom Captain, doch B’Elanna war bisher mit anderen Dingen beschäftigt gewesen.
Chakotay wies den Computer an, die Mitteilung noch einmal zu wiederholen.
B’Elanna hörte sie sich gleich mehrmals an.
»Was erwarten Sie von mir?« fragte sie skeptisch.
Der besondere Glanz in ihren Augen deutete darauf hin, daß sie bereits ahnte, worum es dem Commander ging.
»Was halten Sie davon?« erwiderte er.
Torres starrte an Chakotay vorbei, und etwas in ihrem Gesicht wies den Ersten Offizier darauf hin, daß ihr Gehirn jetzt mit Warpgeschwindigkeit arbeitete – genau das hatte er
beabsichtigt. Man befahl B’Elanna nicht einfach, Resultate zu produzieren. Viel besser war es, ihr gegenüber eine Frage zu erwähnen, auf die man keine Antwort wußte. Ihren Mangel an Disziplin machte Torres durch Entschlossenheit und Intelligenz wett.
Sie senkte den Blick, ging eine Zeitlang auf und ab.
Schließlich hob sie den Kopf, trat zur Hauptkonsole und ließ ihre Finger über Schaltflächen huschen. Auf einem der Monitore vor ihr erschien eine Simulation. Die Darstellung veränderte sich, als B’Elanna neue Berechnungen durchführte.
Schließlich schüttelte sie verärgert den Kopf.
»Was ist los?« Chakotay gesellte sich an ihre Seite. »Stimmt was nicht?«
»So wie ich die Sache sehe, müssen wir den zentralen Deflektor so rekonfigurieren, daß man damit ein Subraumfeld projizieren kann. Es müßte groß genug sein, jeden der drei Monde zu umhüllen. Anschließend verwenden wir das
Warppotential der Voyager, um die Trabanten zu bewegen.
Schiffe der Galaxy-Klasse haben solche Manöver schon erfolgreich durchgeführt. Denken Sie in diesem Zusammenhang an den Versuch, einen Felsblock an einem Berghang
emporzurollen. In unserem Fall ist der Felsblock zu groß und der Hang zu steil. Deshalb brauchen wir ein Subraumfeld –
damit der Felsen vorübergehend leichter wird. Natürlich sind wir nicht imstande, die Umlaufbahn der Monde wesentlich zu verändern. Aber wenn wir jeden auch nur ein wenig bewegen, so ergibt sich vielleicht ein positiver kumulativer Effekt. Wir schieben das Unvermeidliche natürlich nur hinaus, doch vielleicht gewinnen wir auf diese Weise Zeit.«
Chakotay spürte, wie das Lächeln auf seinen Lippen zu einem Grinsen wurde. Genau darauf kam es ihm an: Sie brauchten nur etwas mehr Zeit.
»Um wie lange können wir die Katastrophe hinausschieben?«
fragte er.
»Um Wochen. Vielleicht auch um Jahrzehnte oder gar
Jahrhunderte. Ich weiß es nicht. Die Berechnungen sind ungeheuer kompliziert. Bestimmt nehmen sie Stunden in Anspruch.«
»Solange dürfen wir nicht warten«, mahnte Chakotay.
»Bevor wir eine solche Maßnahme auch nur in Erwägung ziehen, müssen wir wieder über Warppotential verfügen. Ohne einsatzfähiges Warptriebwerk läßt sich kein Subraumfeld erzeugen. Außerdem ist eine Rekonfiguration erforderlich. Was bedeutet, daß wir das Triebwerk nicht als Antrieb verwenden können.«
»Verstehe.«
»Und wir sollten keine Zeit vergeuden«, fügte B’Elanna hinzu.
»Ich dachte, Sie arbeiten bereits daran«, sagte Chakotay und lächelte erneut.
»Ja, Sir.« Nach einer kurzen Pause runzelte B’Elanna die Stirn und fügte hinzu: »Sonst noch etwas?«
»Ich bin ziemlich sicher, daß ich Ihre Aufmerksamkeit noch auf etwas anderes richten wollte. Allerdings kann ich mich jetzt nicht mehr daran erinnern.«
Torres knurrte leise.
Chakotay wich einen Schritt zurück. »Das ist die B’Elanna, die ich so sehr mag.« Er nickte ihr zu, drehte sich um und verließ den Maschinenraum im Laufschritt, um kein Risiko einzugehen. Torres versuchte nicht, ihn aufzuhalten.
Als Chakotay auf die Brücke zurückkehrte, traf er dort sowohl die drei Drosary als auch die Sicherheitswächter an. Rasch erklärte er die Angelegenheit mit den Monden und was er in dieser Hinsicht zu unternehmen gedachte. »Wir wissen nicht, ob unser Versuch erfolgreich sein wird. Aber wir hoffen, dem Planeten – und auch uns – etwas mehr Zeit zu geben. Vielleicht können wir sogar noch mehr bewirken, wenn uns die Televek helfen.«
»Bemerkenswert«, sagte Jonal und schien aufrichtig
beeindruckt zu sein. »Sie und Ihr Volk erstaunen mich immer wieder!«
»Ja, mich auch«, fügte Tassay hinzu. Sie trat zu Chakotay und freute sich ganz offensichtlich über seine Rückkehr.
»Wenn Sie gestatten, spreche ich sofort mit Gantel darüber«, schlug Jonal vor. »Sind Sie bereit, den Televek Ihre Berechnungen zur Verfügung zu stellen?«
»Selbstverständlich. Ich kümmere mich sofort darum. Mr.
Paris… Bitten Sie Torres, alle relevanten Daten zu übertragen.
Mr. Stephens…« Er wandte sich an den jungen Fähnrich, der Kim an der Funktionsstation vertrat. »Öffnen Sie einen Kom-Kanal.«
Jonal erklärte dem Dritten Direktor das Vorhaben. Gantel schwieg zunächst und bezeichnete die Idee erst nach einer ganzen Weile als lobenswertes Konzept. Er fügte einige Bemerkungen hinzu, die sich auf den menschlichen
Einfallsreichtum bezogen und in ähnlichen rhetorischen Bahnen verliefen wie Jonals erste Reaktion. Chakotay war inzwischen einigermaßen mit Gantels Stimme vertraut und glaubte, einen Hauch von Ungläubigkeit zu hören. Doch dieser Unterton verschwand fast sofort wieder.
Nach dem Datentransfer setzten Jonal und Gantel ihr Gespräch für kurze Zeit fort, und Chakotay hörte mit wachsender Skepsis zu. Sie schienen einen Code zu benutzen, der aus ebenso zahlreichen wie seltsamen Metaphern und Vergleichen bestand.
Immer wieder war von fortgesetzter Kooperation und
Kommunikation die Rede. Darüber hinaus wurde mehrmals der Plan gebilligt, die Umlaufbahnen der Monde zu verändern.
Doch es erklang auch ein gewisser Pessimismus.
»Es tut mir leid«, sagte Gantel schließlich. »Dabei handelt es sich um etwas, das sie einfach akzeptieren müssen.«
»Wie Sie meinen«, erwiderte Jonal und wandte sich wieder an Chakotay. Er wirkte nicht in dem Sinne niedergeschlagen, aber er schien auch nicht sehr glücklich zu sein. »Commander… Ich bedauere, Ihnen mitteilen zu müssen, daß die Televek außerstande sind, Ihnen bei Ihren Bemühungen zu helfen – bei Bemühungen, die sie rein prinzipiell befürworten.«
Chakotay glaubte, seinen Ohren nicht trauen zu können. »Wo liegt das Problem?«
»Eigentlich sind es zwei. Die Televek sind natürlich mit Methoden vertraut, die dazu dienen, Warpfelder zu
manipulieren. Aber dem Kreuzer im Orbit fehlen die
notwendigen Kontrollvorrichtungen.«
»Wie wäre es mit Modifikationen?« warf Paris ein. »Unsere Techniker könnten den Televek dabei assistieren.«
»Die vorhandenen technischen Strukturen lassen sich nicht schnell genug anpassen«, entgegnete Jonal. »Und außerdem möchte Gantel keine Techniker aus Ihrem Schiff an Bord seines Kreuzers. Zumindest noch nicht. Das verstehen Sie sicher.«
»Sie erwähnten zwei Gründe«, erinnerte Chakotay den Mittler.
»Ja. Wissen Sie, Commander, die Televek sind davon
überzeugt, daß die Verringerung des energetischen Niveaus der Energiequelle in einem direkten Zusammenhang mit den seismischen Vorgängen steht. Dafür gibt es klare
Anhaltspunkte: Daten, die bei früheren Beobachtungen des Planeten gesammelt wurden und mehrere Jahrzehnte weit zurückreichen. Woraus folgt: Wenn die seismische Aktivität irgendwie verringert wird, so könnte das Verteidigungssystem für immer verlorengehen.«
»Aber wenn wir die Erdbeben beenden, so sorgen wir dafür, daß sowohl den Einheimischen als auch unseren Gefährten auf dem Planeten keine Gefahr mehr droht!« entfuhr es Paris. Er stand halb auf und bedachte die drei Mittler mit einem überraschten, fast empörten Blick.
»Ja und nein«, sagte Mila. Sie beugte sich ein wenig vor und sah dem Navigator tief in die Augen. »Wenn das
Verteidigungssystem sein ursprüngliches Potential
zurückbekommt, so könnten Sie nicht auf dem Planeten landen, um den Bewohnern oder der Shuttlecrew zu helfen. Es würde gleichzeitig bedeuten, daß weder ihre Gefährten noch eventuelle Überlebende der Televek imstande wären, ins All
zurückzukehren – ob ihre Schiffe startklar sind oder nicht. Sie alle säßen für den Rest ihrer Tage auf Drenar Vier fest.«
»Wenn es so weitergeht wie bisher, sind sie vielleicht tot, bevor wir zu ihnen gelangen«, gab Paris zu bedenken.
»Oder auch nicht«, sagte Tassay.
»Wenn die Situation wirklich so beschaffen ist, wie Sie behaupten…«, brummte Chakotay. »In dem Fall müßten wir eben einen Weg finden, das Verteidigungssystem zu
überlisten.«
»Das ist leicht gesagt«, entgegnete Jonal. »Doch in der Praxis sind damit erhebliche Schwierigkeiten verbunden. Die Televek haben es versucht, und sie sind nicht die ersten. Aber hören Sie sich auch den Rest an. Wenn die Schiffe der Rettungsflotte eintreffen, haben wir vielleicht die Möglichkeit, gemeinsam eine Lösung für das Problem zu finden. Einige der Schiffe könnten Ihnen bei dem Versuch helfen, die Monde auf andere Umlaufbahnen zu bringen. Vorausgesetzt natürlich, dem Planeten bleibt noch so viel Zeit.«
Chakotay dachte darüber nach. Es klang durchaus vernünftig, erst recht dann, wenn man die Dinge aus dem Blickwinkel der Televek sah. Trotzdem gefiel es ihm nicht. Für seinen Geschmack gab es zu viele Wenn und Aber. Andererseits waren die gegenwärtigen Umstände alles andere als vorteilhaft. Hinzu kam, daß die Zeit gegen sie arbeitete.
»Wir versichern Ihnen, daß wir verstehen, wie Sie
empfinden«, sagte Tassay. Ihr Gesicht brachte einmal mehr ehrliche Anteilnahme zum Ausdruck. Durch Ausbildung und Erfahrung hatte Chakotay gelernt, nie jemandem
uneingeschränktes Vertrauen zu schenken, nicht einmal der Föderation. Doch bei Tassay ließ er alle Bedenken fallen. Ganz bewußt versuchte er, innerlich auf Distanz zu gehen und eine Barriere aus emotionaler Kühle zu schaffen, zumindest vorübergehend. Es fiel ihm erstaunlich schwer. Bisher hatten die Drosary sein Vertrauen nicht enttäuscht, und umgekehrt verhielt es sich vermutlich ebenso. Doch die Televek waren ein ganz anderes Kapitel, und letztendlich verhandelte er mit ihnen. Das darf ich nicht vergessen, fuhr es ihm durch den Sinn.
»Na schön«, sagte er. »Die Televek haben sicher nichts dagegen, wenn wir jetzt gleich anfangen. Wir sind nicht einmal sicher, ob sich ein solches Unternehmen überhaupt durchführen läßt.«
Die Drosary wandten sich einander zu und sprachen leise miteinander. Kurz darauf drehte Jonal den Kopf. »Wir erheben natürlich keine Einwände, Commander. Bitte gestatten Sie mir, Gantel zu informieren. Ich bin sicher, daß er Ihnen mit ebensoviel Verständnis begegnet wie ich.«
»In Ordnung«, sagte Chakotay und wurde dafür mit drei strahlenden Drosary-Lächeln belohnt. Er stellte fest, daß Paris jetzt erheblich ruhiger wirkte als noch vor einigen Minuten. Er stand ganz dicht vor Mila, und eine seltsame Aura umgab das Paar.
Chakotay räusperte sich laut. »Wer kümmert sich um Ihre Station, Mr. Paris?«
Der Erste Offizier hörte, wie sich die Tür des Turbolifts öffnete. Er drehte sich um und sah, wie B’Elanna mit energischen Schritten auf die Brücke kam. Wie zuvor ging sie direkt zur technischen Station und hielt sich nicht damit auf, die anderen Offiziere zu grüßen. Sie vermied es insbesondere, in Richtung der Drosary zu sehen. Chakotay bemerkte die tiefen Falten in ihrer Stirn.
»Entschuldigung, Sir«, sagte Paris. Er nahm sofort wieder am Navigationspult Platz und überprüfte die Kontrollen. Mila wich ein wenig zurück.
Torres berührte mehrere Schaltflächen und drehte sich dann abrupt zum Commander um. »Möchten Sie einen Bericht von mir?« fragte sie und warf den Drosary dabei einen giftigen Blick zu.
»Natürlich hätte ich gern einen Bericht von Ihnen,
Lieutenant«, erwiderte Chakotay. Offenbar stand sie den drei Mittlern noch immer ablehnend gegenüber, und für diese Einstellung sah er nicht den geringsten Grund. Er nahm sich vor, bei passender Gelegenheit mit der Chefingenieurin darüber zu reden.
»Was ist mit… ihnen, Sir?« fragte B’Elanna, und ihr kurzes Nicken galt den Drosary.
»Wäre es Ihnen lieber, mir im Bereitschaftsraum des Captains Bericht zu erstatten?« fragte Chakotay etwas zu scharf.
»Ja«, antwortete B’Elanna sofort.
»Na schön.« Mit langen Schritten ging der Erste Offizier durch den Kontrollraum. Er holte tief Luft und versuchte, sich zu beruhigen, als vor ihm die Tür des Bereitschaftsraums beiseite glitt. Wenige Sekunden später drehte er sich um und wartete, bis sich das Schott hinter B’Elanna geschlossen hatte.
»Sie brauchen nicht zu befürchten, daß die Drosary unsere Gespräche den Televek übermitteln«, begann Chakotay. »So etwas würden wir nicht zulassen. Bisher sind die Mittler sehr hilfreich gewesen, und wir…«
»Möchten Sie meinen Bericht oder nicht?« unterbrach Torres den Commander. Sie stand kaum einen Meter von ihm entfernt.
Chakotay dachte an ihr klingonisches Temperament, an ihr ständiges Ringen mit jenem Teil ihres Selbst. In B’Elannas Abstammung sah er eine ihrer Stärken, und er hatte sie des öfteren ermutigt, sich als das zu akzeptieren, was sie war.
Allerdings konnten die aggressiven Aspekte ihres Wesens auch außer Kontrolle geraten. Er verstand nicht, warum sie den Drosary mit solcher Feindseligkeit begegnete, selbst nach den Gesprächen in der Kombüse. Andererseits hielt er es für wenig sinnvoll, sie in diesem Zusammenhang ausgerechnet jetzt zur Rede zu stellen. Deshalb beschränkte er sich auf ein wortloses Nicken.
»Das Warptriebwerk ist wieder einsatzfähig.«
Jähe Freude erfüllte Chakotay. »Das sind ausgezeichnete Neuigkeiten, B’Elanna«, sagte er und hätte die Chefingenieurin am liebsten umarmt. »Was ist mit der zentralen
Deflektorscheibe?«
»Sie gehörte zu den ersten Dingen, die wir reparieren konnten.
Eigentlich war sie nicht besonders schwer beschädigt. Wie dem auch sei: In Hinsicht auf das Triebwerk bin ich noch immer ein wenig besorgt. Das volle Potential haben wir noch nicht wiederhergestellt, und auch die Funktionsstabilität entspricht nicht unbedingt der Norm.«
»Wieviel können Sie uns geben?«
»Vielleicht sechzig Prozent Kapazität. Und ich weiß nicht, für wie lange.«
»Ich kenne eine Möglichkeit, das herauszufinden.«
B’Elanna nickte. »Die Entscheidung liegt bei Ihnen.«
»Ja.« Chakotay wölbte eine Braue. »Vielen Dank, Lieutenant.
Wir beginnen, sobald Sie bereit sind. Ich sorge dafür, daß sich Paris sofort an die Arbeit macht. Gibt es sonst noch etwas?«
Torres sah ihn an, und ihre Hände formten vage Gesten.
»Nein, Sir, ich glaube nicht.«
Chakotay musterte sie skeptisch. »Und ich glaube, da sind Sie nicht ganz ehrlich.« Chakotay schob sich noch etwas näher heran. »Halten Sie es wirklich für verkehrt, daß wir uns gut mit den Drosary verstehen? Machen Sie sich Sorgen um Captain Janeway, Tuvok und Kim? Oder…«
»Es wartet Arbeit auf mich, wenn wir wirklich versuchen wollen, die Umlaufbahnen der Monde zu ändern.«
Chakotay seufzte. »Das ist alles?«
»Ja, Sir.«
»Nun gut. Sie können gehen.«
Die Tür glitt wieder beiseite, als sie sich ihr näherten.
B’Elanna zögerte kurz und blickte in den Kontrollraum. Mila und Tassay leisteten Paris Gesellschaft und plauderten mit ihm.
Jonal stand neben dem Kommandosessel, unterhielt sich mit vier Angehörigen der Brückencrew. Sie lachten über eine Bemerkung des Drosary, und anschließend ging das Gespräch weiter.
Tassay sah auf und setzte sich sofort in Bewegung, als sie Chakotay bemerkte. B’Elanna nahm dies zum Anlaß, sich abrupt umzudrehen und in den Bereitschaftsraum
zurückzukehren. Sie zog an Chakotays Ärmel, forderte ihn damit auf, ihm zu folgen.
»Verstehen Sie denn nicht?« fragte Torres hitzig.
»Was soll ich verstehen?«
»Die Voyager befindet sich in einer kritischen Situation, und auf der Brücke sind drei uns möglicherweise feindlich gesinnte Fremde präsent.«
»Unsere Lage ist recht ungewöhnlich, das stimmt«, räumte Chakotay ein. »Aber den drei Drosary kommt der Status von Diplomaten zu, und deshalb ist ihre Anwesenheit auf der Brücke keineswegs außergewöhnlich. Unter den gegenwärtigen
Umständen…«
» Alle mögen sie. Jonal steht überall im Mittelpunkt. Mila sitzt fast auf Paris’ Schoß, und Tassay kann es gar nicht abwarten, wieder an Ihrer Seite zu sein – meine Güte, wenn sie einen Schwanz hatte, würde sie damit wedeln!«
»Sie kennen sie einfach nicht so gut wie ich!«
»Sie sind ihr doch gerade erst begegnet!«
»Tassay hat mir eine beeindruckende Geschichte erzählt, B’Elanna«, sagte Chakotay und zwang sich zur Geduld. »Eine Geschichte, die nicht nur sie selbst betrifft, sondern ihr ganzes Volk. Die Drosary bringen dem Leben großen Respekt
entgegen. Sie achten ihren Schöpfer und die Geschenke, die sie von ihm erhalten haben. Angeblich gibt es bei den Televek eine ähnliche Philosophie. Viele andere Völker verstehen sie nicht, insbesondere in bezug auf ihre Geschäftspraktiken. Die Televek verkaufen ihre Waren an beide Konfliktparteien, weil sie dadurch vermeiden wollen, daß eine Seite zu große Vorteile erringt. Letztendlich geht es ihnen darum, schreckliche Gemetzel zu verhindern. Natürlich haben sie sich mit der Achtung solcher Prinzipien Feinde gemacht, was wiederum übertriebene Vorsicht bei ihnen bewirkte, aber…«
»Vielleicht werde ich nur zu schnell mißtrauisch«, warf B’Elanna ein. »Wenn jemand Waffen an beide Seiten eines Konflikts verkauft, so denke ich vor allem daran, daß er dadurch doppelten Profit erzielt.«
Chakotay seufzte einmal mehr. »Sie sehen die Sache noch immer nicht aus ihrem Blickwinkel. Ich versuche das
wenigstens.«
»Ich bin keineswegs blind geworden, Commander. Ich
beobachte die Drosary. Ich sehe, wie Sie sprechen und sich verhalten. Ich sehe auch, wie Sie und alle anderen auf die Mittler reagieren, und der Grund dafür ist mir noch immer ein Rätsel. Außerdem spüre ich häufig das Verlangen, die Fremden in Stücke zu reißen.«
»Versuchen Sie, diese Empfindungen zu überwinden,
Lieutenant. Wir setzen die Zusammenarbeit mit den Drosary und Televek fort. Sicher gelingt es uns bald, Captain Janeway, Tuvok und Kim zurückzuholen, und vermutlich dauert es auch nicht mehr lange, bis die Phaser wieder funktionieren. Vielleicht retten wir sogar ein ganzes Volk – allein diese Aussicht ist schon alle unsere Bemühungen wert. Anschließend trennen sich unsere Wege, und vermutlich sehen wir die Televek nie wieder.«
»Klingt gut.«
Einige Sekunden lang musterten sie sich schweigend.
Chakotay wollte es nicht dabei belassen, fühlte die
Notwendigkeit, seinen Worten noch etwas hinzufügen. Etwas bedrückte ihn, und es dauerte eine Weile, bis er begriff, um was es sich handelte: Es gab keine Gewißheit dafür, daß B’Elanna unrecht hatte.
»Sie spielen eine Schlüsselrolle«, sagte der Commander schließlich. »Bei der Kooperation mit den Televek kommt es auch und in erster Linie auf Sie an. Als Chefingenieur dieses Schiffes sollten Sie wenigstens versuchen, sich eine gewisse Aufgeschlossenheit zu bewahren.«
Torres schloß die Augen, öffnete sie dann wieder und erwiderte Chakotays Blick. »Vielleicht geht mir alles viel zu langsam.«
»Die Situation wird sich schon sehr bald verbessern. Der klingonische Teil ihres Selbst spricht aus Ihnen. Ich rate Ihnen nicht davon ab, auf ihn zu hören. Immerhin wissen wir beide, daß er zu Ihnen gehört, daß Sie ihn brauchen. Aber… Vielleicht sollten Sie auch auf die Stimme des menschlichen Teils hören.«
B’Elanna atmete tief durch. »Meine menschliche Hälfte fühlt ebenso wie die klingonische«, sagte sie. »Und noch etwas, Commander: Sie vertreten den Captain, und deshalb sollten Sie ebenfalls versuchen, aufgeschlossen zu bleiben.«
Torres wandte sich vom Ersten Offizier ab. Als die Tür diesmal zur Seite glitt, zögerte sie nicht, verließ den Bereitschaftsraum und ging zum Turbolift. Chakotay sah ihr nach, und dann wanderte sein Blick zu Tassay, die bereits auf ihn wartete. Sie bot einen prächtigen Anblick. Eine
hervorragende Mittlerin, und noch dazu eine wundervolle Frau.
Es war fast zu schön, um wahr zu sein…
Kapitel 10
Janeway hielt eine indirekte Vorgehensweise für angeraten.
Zusammen mit Tuvok und Kim ging sie zunächst bis zum südlichen Ende der weiten, von den Drenarianern angelegten Feldern. Anschließend folgte die Gruppe der langen Reihe aus Bäumen und Gebüsch, die sich am Rand der Felder entlangzog.
Schließlich gelangten die drei Starfleet-Offiziere in Sichtweite der Anhöhe, bei der das Shuttle gelandet war. Sie duckten sich hinter die Sträucher, benutzten sie als Deckung. Asche und Ruß bedeckten sie von Kopf bis Fuß, ließen sie praktisch mit der Umgebung verschmelzen. Nan Loteth hatte ihnen Tücher gegeben, mit denen sie sich Mund und Nase bedeckten –
dadurch wurde das Atmen enorm erleichtert.
Die größte Sorge der Kommandantin bestand darin, daß die Televek Sondierungen mit auf Infrarotbasis arbeitenden Ortungsgeräten vornahmen. Tuvok blickte immer wieder auf die Displays seines Tricorders, führte einen Scan nach dem anderen durch und bestätigte jedesmal, daß sie noch nicht entdeckt waren. Kim hingegen versuchte, weitere Daten über den Planeten zu gewinnen. Erdbeben kündigten sich oft mit Vibrationen an, die festgestellt werden konnten – dadurch bekamen sie vielleicht eine Vorwarnung.
Die Morgensonne schuf bereits unangenehme Wärme.
Außerdem waren sie durch den langen, alles andere als hindernisfreien Marsch ins Schwitzen geraten, wodurch die Asche an der Haut festklebte. Der Kühle spendende Schatten der Bäume tat ebenso gut wie die leichte Brise.
Als sie sich dem Landeplatz näherten, kletterten sie in eine kleine, grabenartige Senke hinab. Dort setzten sie den Weg fort, bis sie sich etwa auf einer Höhe mit der Raumfähre befanden.
Janeway sank auf Hände und Knie, bedeutete Tuvok und Kim mit einer knappen Geste, ihrem Beispiel zu folgen. Wenige Sekunden später krochen sie nach oben, zu einer dichten, natürlich gewachsenen Hecke.
Das etwa hundert Meter entfernte Shuttle war deutlich zu sehen. Zwei Befürchtungen bestätigten sich: Die Einstiegsluke stand weit offen, und das kleine Schiff wurde bewacht – sechs in schwarzweiße Uniformen gekleidete Gestalten behielten die Umgebung im Auge. Einzelheiten ließen sich angesichts der immer noch recht großen Entfernung nicht erkennen, aber als Janeway die Hand hob und ihre Augen beschattete, bemerkte sie weißes Haar, das unter kompakten Helmen hervorragte.
Televek. Oder Drosary. Oder wie sie sich an diesem Morgen nannten.
»Captain…« Tuvok hob seinen Tricorder und klopfte einmal darauf. »Die Biostrukturen der Televek, die das Shuttle bewachen, entsprechen denen der Drosary, die als Mittler an Bord der Voyager kamen.«
»Sie lesen meine Gedanken, Mr. Tuvok.«
Der Vulkanier neigte den Kopf ein wenig zur Seite. »Ich kann mich nicht daran entsinnen, solche Aktivitäten entfaltet zu haben, Captain.«
»Nun, ich nehme an, dann denken wir in den gleichen
Bahnen.«
»Ich empfange die gleichen Biowerte, Captain«, sagte Kim, der ebenfalls eine Sondierung vorgenommen hatte. »Läßt sich daraus der Schluß ziehen, daß man uns hereingelegt hat?«
»Das ist die einzige logische Erklärung«, erwiderte Janeway.
Tuvok sah sie an. »Captain…«
»Ich weiß.« Janeway lächelte. »Ich lese Ihre Gedanken.« Sie blickte wieder zur Raumfähre. »Es bedeutet auch, daß uns Gantel und seine angeblichen ›Mittler‹ Lügen erzählt haben.
Zumindest müssen wir von einer solchen Annahme ausgehen.
An Bord der Voyager befinden sich nicht etwa drei Drosary, sondern drei Televek, und sie belügen Chakotay. Leider wissen wir nicht, worauf sie aus sind. Wir müssen einen Kontakt mit dem Schiff herstellen, und zwar so schnell wie möglich.«
»Vermutlich beschränkt sich die Präsenz der hiesigen Televek nicht nur auf die Wächter«, sagte Tuvok. »Ich bin ziemlich sicher, daß weitere im Shuttle sind. Die Streitmacht ist zu groß für einen Frontalangriff.«
»Wir müssen uns etwas einfallen lassen.« Janeway sah erneut zu den Wächtern. Sie hielten Strahlengewehre bereit und bildeten einen weiten Halbkreis um das Shuttle. Kniehohes Gras wuchs auf der Lichtung; nirgends gab es eine Möglichkeit, sich zu verbergen.
»Deutet irgend etwas auf Sensoren hin?« wandte sie sich an Tuvok.
»Bisher habe ich keine geortet, Captain«, erwiderte der Vulkanier und berührte dabei einige Schaltflächen des Tricorders.
»Die Burschen brauchen gar keine Sensoren«, meinte Kim.
»Das offene Gelände genügt ihnen. Wir kommen nicht einmal in die Nähe des Shuttles, ohne daß die Televek das Feuer auf uns eröffnen.«
»In der Tat«, pflichtete ihm Tuvok bei. »Die bei meinem letzten Scan ermittelten Daten deuten auf mehrere Leichen hin, die etwa zwanzig Meter vor dem Shuttle im Gras liegen.
Wahrscheinlich sind es Drenarianer.«
»Nan Loteths Leute«, murmelte Janeway.
»Der Tod muß völlig überraschend für sie gekommen sein«, sagte Kim.
Janeway stellte sich die Szene vor: tödliche Blitze, die jähes Verderben brachten und viel weiter reichten als die primitiven drenarianischen Waffen. Sie versuchte, das düstere Bild aus sich zu verdrängen, blickte wieder zum Shuttle – und glaube, mehrere dunkle Schemen im Gras zu erkennen.
Eine Zeitlang beobachteten die drei Starfleet-Offiziere den Bereich des Shuttles, ohne daß etwas geschah. Die Situation auf der Lichtung veränderte sich nicht.
Janeway sah nach links, zu dem Hang, an dem sie abgestürzt war. Die Form der Anhöhe hatte sich durch das starke Beben am vergangenen Tag erheblich verändert, doch die Flanken des Hügels erwiesen sich nach wie vor als recht steil. Eine Idee nahm in ihr Gestalt an. Es gab einige Variablen, die ihr nicht gefielen, aber darüber konnte sie sich später Sorgen machen.
»Wir müssen uns teilen«, sagte Janeway schließlich. »Tuvok, Sie bleiben hier. Versuchen Sie, etwas näher heranzukommen, aber behalten Sie den Kopf unten. Und achten Sie darauf, daß Mund und Nase bedeckt bleiben; sonst ersticken Sie an Ruß und Asche. Kim und ich klettern dort hoch, um einige Wächter vom Shuttle fortzulocken. Wenn das klappt, liegt der Rest bei Ihnen.«
Tuvok dachte kurz nach und nickte dann. »Ich verstehe, Captain.«
»Gut. Wenn Sie es irgendwie schaffen, an Bord zu gelangen, so versuchen Sie zuerst, das Kommunikationssystem in Ordnung zu bringen. Setzen Sie sich mit der Voyager in Verbindung und übermitteln Sie Chakotay einen Bericht.
Nehmen Sie sich anschließend den Transporter vor.«
»Selbst wenn ich den Transporter des Shuttles einsatzfähig machen kann, Captain…«, sagte Tuvok. »Das Transferfeld könnte von den gleichen magnetischen Interferenzen
beeinträchtigt werden, die auch unsere Kom-Signale stören.«
»Ich weiß«, erwiderte Janeway. »Aber ich habe etwas anderes im Sinn. Und ich verlange keine Erfolgsgarantie von Ihnen.«
Tuvok sah zur Raumfähre. »Na schön. Ich werde mir alle Mühe geben.«
Janeway berührte den Vulkanier an der Schulter, als er durchs Gebüsch kriechen wollte. »Sie geben sich immer alle Mühe.
Und wir beide wissen, daß wir hier zumindest einen Versuch wagen müssen. Aber ich bin nicht bereit, dafür mit dem Leben eines meiner besten Offiziere zu bezahlen.«
Tuvok wandte sich ihr kurz zu. »Das wäre eine unvertretbare Verschwendung.« Sein Gesichtsausdruck blieb bei diesen Worten unverändert. Janeway hatte es auch nicht anders erwartet und entließ den Vulkanier mit einem Nicken.
Eine Zeitlang beobachteten sie, wie Tuvok durchs hohe Gras kroch. Dann robbte Janeway entlang der Böschung zurück und bedeutete Kim, ihr zu folgen. Zusammen mit dem Fähnrich eilte sie der Anhöhe entgegen.
»Warten Sie auf meine Anweisung.« Chakotay saß im
Kommandosessel und beobachtete, wie der kleinste Mond auf dem Hauptschirm anschwoll. Nur eine geringfügige
Kurskorrektur war notwendig gewesen, um dieses optische Ergebnis zu erzielen: Der neueste Trabant von Drenar bewegte sich in einem Orbit, der nur ein wenig höher lag als der des Föderationsschiffes.
Die drei Drosary standen auf der linken Seite der Brücke. Der Commander hatte sie gebeten, dort zu warten – er wollte nicht riskieren, daß sie jetzt jemandem im Weg waren. Es
widerstrebte ihm, sie ganz aus dem Kontrollraum zu verbannen; er beabsichtigte nur, sie an den Rand des Geschehens zurückzudrängen. Jonal und seine beiden Begleiterinnen erhoben keine Einwände, zeigten sogar Verständnis. Chakotay sah darin ein weiteres Zeichen dafür, daß er die Mittler richtig einschätze – und daß sich B’Elanna irrte.
Die Voyager nutzte nur einen Bruchteil der Impulskraft, um sich dem dritten Mond zu nähern, der daraufhin immer mehr Details preisgab. Seine Oberfläche erwies sich als erstaunlich glatt.
»Wir erreichen jetzt die optimale Position«, sagte Paris. Sein Blick wanderte zwischen Navigationspult und zentralem Projektionsfeld hin und her. »Wo auch immer sich dieser Himmelskörper früher befand – es kann dort nicht viele Meteoriten und Asteroiden gegeben haben.«
»Vielleicht lag die Oberfläche unter einer dicken Eisschicht«, vermutete Chakotay. »Die später verdampfte, als er der Sonne näher kam.«
»Wie ein riesiger Komet«, sagte Paris. »Wenn ich an den Schweif denke… Sicher war er enorm.«
»Wir sollten eigentlich in der Lage sein, die aus
Materierückständen bestehende Spur des Schweifs zu orten«, erwiderte Chakotay.
»Wenn Sie mit Ihrer Plauderei fertig sind…«, klang B’Elannas Stimme aus den Lautsprechern der internen Kommunikation.
»Hier unten ist alles soweit.«
»Gut«, sagte der Erste Offizier. »Mr. Paris, aktivieren Sie das Warptriebwerk. Mr. Rollins, erhöhen Sie das energetische Niveau des Hauptdeflektors.«
Er stand auf und trat zur Funktionsstation, an der noch immer Fähnrich Stephens saß. Chakotay blickte ihm über die Schulter und betrachtete die Darstellungen des Monitors, der ihm das Warpfeld zeigte: eine deforme Blase, die vom Bug der Voyager ausging und dem Mond entgegenstrebte, der viel größer war als das Raumschiff. Langsam dehnte sich die Blase aus, bis sie etwa ein Drittel der lunaren Oberfläche umfaßte.
»Mehr ist nicht möglich«, meldete B’Elanna. Einige Minuten lang herrschte Stille.
»Die Sensoren registrieren Bewegung«, sagte Stephens schließlich. Hier und dort wurde erleichtertes Seufzen laut.
»Warppotential bei dreiundsechzig Prozent stabil«, berichtete Paris.
»Alle drei Graviton-Polaritätsgeneratoren sind aktiv«, fügte Torres hinzu. »Ihre Funktion entspricht fast der Norm.«
»Gute Arbeit«, lobte Chakotay.
»In Hinsicht auf die Dichte-Variationen des Mondes muß Rollins manuell kompensieren«, erklärte die Chefingenieurin.
»Ich behalte die Entwicklung von hier unten aus im Auge.
Wenn Sie mich jetzt entschuldigen würden… Ich möchte versuchen, Ihren Erwartungen gerecht zu werden und an anderer Stelle Wunder zu vollbringen. Torres Ende.«
Es würde Stunden dauern, bis sie mit diesem Mond fertig waren, und dann kamen die beiden anderen an die Reihe.
Anschließend mochte es notwendig werden, erneut die
Umlaufbahn des dritten Trabanten zu modifizieren. Selbst wenn alles nach Plan lief: Es verging sicher noch viel Zeit, bevor sich die Lage auf dem Planeten besserte. Und dennoch… Seit die Voyager in den Orbit von Drenar Vier geschwenkt war, stellte sich in Chakotay zum erstenmal das Gefühl ein, Fortschritte zu machen.
Er sah wieder zum Hauptschirm, als könnte er den Mond allein mit Willenskraft bewegen. »Wie sieht’s aus, Mr.
Rollins?«
»Die Bahnabweichung beträgt jetzt null Komma null null drei Prozent, Sir.«
»Na schön. Halten Sie die Warpblase stabil.«
Unbehagen erfaßte Janeway, als sie sich dem Rand der Anhöhe näherte. Kopfschmerzen erinnerten sie viel zu deutlich daran, was bei ihrem letzten Aufenthalt an diesem Ort geschehen war. Mit besonderer Vorsicht kletterte sie weiter, bis Kim und sie eine gute Position erreichten. Sie hockten hinter den Bäumen, die hier dicht an dicht wuchsen. Einige von ihnen waren während des Bebens umgestürzt und bildeten natürliche Barrieren. Janeway beugte sich ein wenig vor und sah Tuvok –
ein dunkles Etwas im hohen Gras, noch immer etwa fünfzig Meter vom Shuttle entfernt. Die Televek schienen ihn noch nicht bemerkt zu haben, doch bestimmt dauerte es nicht mehr lange, bis sie auf ihn aufmerksam wurden.
Sie zog den Phaser. »Auf Betäubung justieren«, wies sie Kim an, als er seine eigene Waffe zur Hand nahm. »Zielen… Und Feuer!«
Strahlblitze zuckten in Richtung Raumfähre, und zwei Televek sanken bewußtlos zu Boden. Janeway schoß erneut, als die übrigen Wächter in Deckung gingen. Einer von ihnen erwiderte das Feuer, doch die rauchende Energie fraß sich nur durch leere Luft. Es gelang Kim, einen weiteren Televek außer Gefecht zu setzen, bevor sie den Vorteil des Überraschungsmoments verloren. Janeways zweiter Schuß ging daneben. Die Gegner befanden sich nun hinter dem Shuttle und machten ebenfalls von ihren Waffen Gebrauch. Ihre Energiestrahlen kochten jetzt wesentlich näher über den Boden.
»Rejustierung«, sagte Janeway. Sie stellte ihren Phaser auf maximale energetische Kapazität ein, hob ihn und betätigte den Auslöser. Der Strahl traf eine große Felsnadel auf der anderen Seite des Shuttles und ließ sie auseinanderplatzen. Kim zielte auf einen Baum zehn Meter weiter links – durch die jähe Hitze explodierte der Stamm regelrecht. Qualm und Dampf bildeten dichte Wolken.
»Und jetzt schicken wir ihnen eine Einladung«, sagte Janeway. Sie stand auf und schoß erneut, stellte sicher, daß man sie sah. Kim verhielt sich ebenso. Inzwischen hatten sie zumindest einen Teil der Patina aus Asche verloren, und dadurch waren sie vor dem Hintergrund des Waldes ganz deutlich zu erkennen. Die Televek nahmen sie sofort unter Beschuß, aber sie reagierten nicht schnell genug. Janeway und Kim drehten sich um, sprangen fort.
Das war ziemlich knapp, dachte die Kommandantin, ohne sich etwas anmerken zu lassen. Sie winkte dem Fähnrich zu, und gemeinsam wichen sie vom Rand der Anhöhe zurück. Eine Zeitlang warteten sie stumm. Schon bald hörten sie die Televek: Sie verließen ihre Deckung und feuerten auf die Bäume, hinter denen die beiden Menschen eben noch gestanden hatten.
Anschließend eilten sie zum Hügel und riefen sich gegenseitig Anweisungen zu, als sie den Hang emporkletterten.
»Machen wir es ihnen nicht zu leicht, Mr. Kim. Laufen Sie los, und zwar in jene Richtung.«
Der Fähnrich setzte sich sofort in Bewegung. Als der erste Televek über den Rand der Anhöhe spähte, berührte Janeways Finger den Auslöser des Phasers. Der Strahl traf einen umgestürzten Baum – ein Warnschuß, der den Kopf des
Wächters nur um wenige Zentimeter verfehlte. Eine halbe Sekunde später lief sie ebenfalls und zog sich tiefer in den dichten Wald zurück. Kim hastete nicht weit vor ihr an den Bäumen vorbei, und Janeway schloß zu ihm auf, während gleichzeitig die Entfernung zu den Televek-Verfolgern schrumpfte. Ihr Plan funktionierte – vielleicht sogar zu gut.
Tuvok hob den Kopf weit genug, um über das Gras hinweg das Shuttle sehen zu können. Er bemerkte nur einen Televek, der unmittelbar neben der Steuerbord-Warpgondel hockte und den Hang beobachtete, an dem die anderen Wächter
emporkletterten. Es dauerte nicht lange, bis sie jenseits der Kuppe verschwanden, um den Captain und Kim zu verfolgen.
Tuvok sank wieder ins Gras zurück und kroch schneller, achtete dabei darauf, nicht zuviel Staub aufzuwirbeln.
Nach einigen Metern erreichte er die toten Drenarianer –
vermutlich waren sie am vergangenen Abend gestorben. Steif und kalt lagen sie da, mit wächsernen Gesichtern, starrten blind zur heißen Mittagssonne empor. Tuvok schob sich an ihnen vorbei, näherte sich dem Shuttle und behielt den
zurückgebliebenen Wächter im Auge.
Die Position des Televek sowie die geöffnete Luke der Raumfähre zwangen den Vulkanier zu einem Umweg. In einem weiten Bogen kroch er weiter, benutzte die Masse des Shuttles dabei als Deckung. Schließlich erreichte er es am Bug, justierte den Phaser auf Betäubung, erhob sich, trat zur Seite und schoß.
Der völlig überraschte Televek kam nicht dazu, sich zu ducken.
Der Strahl traf den Wächter und schickte ihn ins Reich der Träume. Tuvok eilte weiter, vorbei an der Warpgondel. Er wußte, daß er keine Zeit verlieren durfte, doch an der Luke zögerte er kurz und holte tief Luft, bevor er in die Schleuse sprang.
Ein weiterer Televek hockte am Hauptpult und versuchte offenbar, irgendwelche Schaltungen zu modifizieren. In der einen Hand hielt er einen Strahler, in der anderen einen Sensor.
Als er aufsah, feuerte der Vulkanier.
Anschließend trat Tuvok über den Bewußtlosen hinweg und sah sich die Konsole an. Mehrere Schaltkreise waren repariert, unterbrochene Verbindungen wiederhergestellt worden.
»Vielen Dank für Ihre Hilfe«, sagte Tuvok laut und nickte dem betäubten Televek zu. »Dadurch habe ich viel Mühe und Zeit gespart.«
Er hakte seinen Phaser an den Gürtel und brachte den bewußtlosen Televek nach draußen. Dann aktivierte er die Notbeleuchtung, schloß die Einstiegsluke und verriegelte sie. Er brauchte nur einige Sekunden, um einen allgemeinen Eindruck von der Situation zu gewinnen. Der Televek hatte ganz offensichtlich versucht, die Bordsysteme wieder mit der Hauptenergie zu verbinden, und seine Bemühungen erwiesen sich tatsächlich als hilfreich. Trotzdem gab es noch viel zu tun.
Tuvok begann sofort mit der Arbeit.
Kapitel 11
Gantel saß stumm in seinem geradezu riesigen Quartier – nach den Maßstäben eines Schlachtkreuzers –, und sein Blick glitt über die vielen Schmuckgegenstände, die überall in Regalen und auf Abstellflächen ruhten, auch an den Wänden hingen.
Alles war erlesen und kostbar, die Stühle ebenso wie die Tische.
Das Tafelgeschirr kam einem Schatz gleich: eine Antiquität, älter noch als manche Sterne (so hieß es jedenfalls). Gantels Garderobe brauchte keine Vergleiche mit der Kleidung von Direktoren ab der zehnten Stufe zu scheuen. Nur Shaale bildete eine mögliche Ausnahme; ihr standen vielleicht noch erlesenere Gewänder zur Verfügung.
In seinem Leben fehlte es gewiß nicht an Luxus. Zum Beispiel genoß er die köstlichsten Speisen. Zubereitet wurden sie von einem begnadeten kulinarischen Künstler, einem Koch, den Gantel vor neun Jahren von einem torthesianischen Urlaubsort entführt hatte, ohne die Mühe jemals zu bereuen. Seine Musiksammlung – eine Leidenschaft, die viele Televek für sonderbar hielten, der er aber trotzdem frönte – war ohnegleichen, soweit er wußte. Diese Bezeichnung verdiente sie erst recht, wenn er ihr die musikalischen Bibliotheken des Föderationsschiffes Voyager hinzugefügt hatte.
Gantels Blick verharrte bei einigen exotischen, von sehr sorgfältigen und geschickten Händen bemalten Vasen, die so angeordnet waren, daß die kleinste von ihnen auf der linken Seite stand und die größte auf der rechten. Während er jene Kunstwerke betrachtete, erlaubte er seinen Gedanken und Empfindungen, sich Zweifeln hinzugeben.
Das Ziel eines jeden zivilisierten Wesens bestand darin, Ansehen, Macht und Reichtum zu erringen. Zu diesem Zweck hatte Gantel einen Weg beschriften, den viele andere Televek scheuten: Er ging Risiken ein, nicht nur kleine, sondern auch große, obwohl sie sich übel auf seinen Magen auswirkten. Für Gantel spielte in diesem Zusammenhang der Wunsch die wichtigste Rolle. Wenn man sich etwas intensiv genug wünschte, so nutzte man jede Möglichkeit, sich den Wunsch zu erfüllen. Gantel hatte nie gezögert, eine Chance zu ergreifen.
Allerdings mußte er einen hohen Preis für seinen Erfolg bezahlen: drei Partnerinnen, mehrere gastrointestinale Therapien und einige Feinde, vor denen es sich in Acht zu nehmen galt.
Nun, das gehörte eben dazu. Und es war die Sache wert, nicht wahr?
Ein alter Freund hatte ihn einmal auf folgendes hingewiesen: Im Leben eines jeden Direktors – sogar im Leben von
Teilhabern – kam einmal der Augenblick, in dem absurde Fragen Rationalität und Vernunft erschütterten. Fragen wie:
»Wo liegt der Sinn des Lebens?«
In diesen Dingen, dachte Gantel, als er von den kostbaren Vasen zum Zeremonienkelch des Erweckungstages sah, der von seiner eigenen Heimatwelt stammte. In all diesen Kleinodien.
Doch es existierte auch die Versuchung, noch mehr zu vermuten, eine andere, tiefer liegende Bedeutung, die etwas Substanzloses, Geistiges betraf.
Gantel hatte derartige Vermutungen immer für Unsinn
gehalten. Mißerfolge konnten auf Fehler zurückgeführt werden, Erfolge auf Gewandtheit. Und wenn man genug Erfolge erzielte, so ergaben sich daraus Zufriedenheit und Erfüllung.
Der Dritte Direktor blinzelte. Man mußte ziemlich viel getrunken haben, um über so etwas nachzudenken, und einen Rausch durfte er sich jetzt nicht leisten. Zu viele Ereignisse erforderten mit zu vielen Variablen seine Aufmerksamkeit.
Wenn etwas schiefging… Dann bekam seine bisher makellose Karriere einen Fleck so groß wie Drenar Vier.
Der Instinkt forderte ihn auf, eine Vereinbarung mit sich selbst zu treffen, ein Paket aus erprobten philosophischen Gütern zu erwerben, so wie alle anderen Televek. Er konnte zum Beispiel das Paket wählen, für das einst seine Eltern geworben hatten.
Ja, dazu forderte ihn der Instinkt auf, und normalerweise war Verlaß auf jene innere Stimme.
Gantel erhob sich, durchquerte den großen Raum und
verharrte an einer Vitrine mit Handwaffen: uralte, scharfkantige Instrumente, deren Verwendung bei einem Kampf er sich kaum vorzustellen vermochte. Wie sahen die von ihnen geschaffenen Wunden aus? Und welches Leid brachten sie dem tödlich Verletzten, bevor ihn das Jenseits von der Pein erlöste? Gantel dachte nicht zum ersten Mal daran.
An der gegenüberliegenden Wand hing ein geborstenes
Metallstück an der Wand, gehalten von drei transparenten Nadeln. Es war etwa einen Meter lang und fast doppelt so breit, wies an drei von vier Kanten Zacken und Einkerbungen auf.
Das Metallfragment stammte aus der Panzerung, die das primäre Raumhabitat der Vanolener geschützt und die als undurchdringlich gegolten hatte. Sehr zum Ärger der Thaitifa, die sich dazu berufen fühlten, die Vanolener unter ihre Herrschaft zu bringen. Sie wandten sich an Gantel, mit der Bitte, ihnen bei der Lösung dieses Problems zu helfen.
Er erinnerte sich an seine damaligen Überlegungen. Die Vanolener waren ein ruhmreiches Volk. Ihre Zivilisation existierte schon seit Jahrmillionen, blickte damit auf eine längere Geschichte zurück als die Kultur der Televek. Als Handwerker und Künstler leisteten sie Erstaunliches, was in ihren Raumstädten auf sehr beeindruckende Weise zum
Ausdruck kam. In seiner Jugend hatte Gantel dort einige Zeit verbracht und sich Musik angehört. Er erinnerte sich noch an den Namen einer besonders guten Windflötenspielerin, die er bei einem Symphoniekonzert kennengelernt hatte. Ihre vielen Talente beschränkten sich nicht nur aufs Musikalische…
Damals war Gantel erst dritter Teilhaber gewesen, und die Sterne wußten: Es gab genug andere Teilhaber, die nur auf eine Gelegenheit warteten, eine oder mehrere Sprossen auf der Karriereleiter emporzuklettern. Nun, wie es der Zufall wollte –
obwohl er in diesem Zusammenhang nie offen von »Zufall«
oder »Glück« gesprochen hätte –, gelangte er in den Besitz eines phasenverschobenen Trägerwaffensystems, mit dem sich beliebige Sprengköpfe durch beliebige Verteidigungsbarrieren zu einem beliebigen Ziel bringen ließen.
Er verkaufte das Waffensystem an die Thaitifa, die es mit großem Erfolg gegen die Vanolener einsetzten. Natürlich zählte dabei nur der Verkauf, nicht die Anzahl der Opfer, auch nicht das Ausmaß der Vernichtung von substantiellem Vermögen. In diesem Glauben fand Gantel Trost. Und natürlich in der Tatsache, daß die Thaitifa einen enorm hohen Preis bezahlten –
was bei der nächsten Bewertung dazu führte, daß man ihn zum ersten Teilhaber beförderte.
Ja, er hatte damals die richtige Entscheidung getroffen, zweifellos. Und ganz abgesehen davon: Sie wäre in jedem Fall getroffen worden, wenn nicht von ihm, dann von jemand anders.
Sein einziges Bedauern galt dem Umstand, daß ihm nur ein Trägerwaffensystem jener Art zur Verfügung gestanden hatte –
das an die Thaitifa verkaufte Exemplar. Es stammte
ursprünglich von den Garn, vierfüßigen Methanatmern, die während der Verhandlungen den Worten »mühsam« und
»anstrengend« eine ganz neue Bedeutung verliehen hatten.
Bevor Gantel die Chance bekam, ein zweites Waffensystem zu erwerben, brachten es die Garn fertig, einen Krieg zu verlieren und völlig ausgelöscht zu werden. Nur Asche blieb von ihnen zurück.
Der Dritte Direktor seufzte, wanderte durch den Raum zurück, blieb an einer kleinen Bar stehen, nahm ein Glas und ließ speziellen Beerensaft aus einem Zapfhahn fließen. Die Mischung bestand aus Komponenten von neun verschiedenen Welten – eine Geschmackskombination, die jedem Gaumen Freude bereitete. Gantel trank alles und genoß das herrliche Aroma. Er befreite sich allmählich von der düsteren Stimmung, verbannte sie aus seiner inneren Welt und fühlte sich dadurch besser.
Auf seinem Weg war er mehrmals dem Mißerfolg begegnet; damit mußte man rechnen, wenn man häufig Risiken einging.
Aber er hatte es immer wieder geschafft, sich rasch von den Rückschlägen zu erholen, meistens dadurch, indem er den größten Teil der Schuld jemand anders gab. Selbst die kleinsten Chancen nutzte er, verstand es, gestärkt aus Katastrophen hervorzugehen. Es gelang ihm, auch die argwöhnischsten Widersacher zu täuschen. Zahllose Male verwandelte er Not und Leid anderer in Gelegenheiten, selbst hohen Profit zu erzielen.
Drenar Vier ist keine Ausnahme, dachte er und stellte das Glas beiseite. »Enta sa tnoai«, sagte er in der Alten Sprache. »Laß dir nie ein Geschäft entgehen.«
Er konzentrierte sich wieder auf die gegenwärtige Situation.
Die Schilde des Kreuzers waren repariert worden, und Gantel glaubte, daß sie von den Photonentorpedos des
Föderationsschiffes nicht so einfach durchdrungen werden konnten, zumindest nicht bei der ersten Salve. Und ohne eigene Deflektoren war die Voyager kaum imstande, mehr als nur eine Salve abzufeuern. Dafür würde Triness sorgen.
Jonal und seine beiden Begleiterinnen leisteten gute Arbeit, wenn man die Umstände berücksichtigte. Sie bildeten ein sehr leistungsfähiges Team. Trotzdem gab es ein Problem: Wie alle Televek verabscheute es Gantel, sich auf andere zu verlassen.
Dieses Empfinden ging bis auf prähistorische Zeiten zurück.
Doch die Zivilisation – und auch der Erfolg – erforderte es, daß man Verantwortung delegierte. Ein Direktor konnte nicht alles selbst erledigen; seine Aufgabe bestand vor allem darin zu leiten, Anweisungen zu erteilen.
Die Behauptung, den Bewohnern des Planeten helfen zu wollen, hatte bisher ihren Zweck erfüllt. Das sollte auch weiterhin der Fall sein.
Doch der Plan, die Umlaufbahnen der Monde zu verändern, um die seismischen Aktivitäten zu verringern, konnte zu sehr unangenehmen Komplikationen führen. Andererseits
bezweifelte Gantel, ob die Fremden tatsächlich in der Lage waren, einen echten Unterschied zu bewirken. Immerhin: Ein Befehl von ihm genügte, um das Föderationsschiff zu
vernichten. Er mußte nur dafür sorgen, daß es nicht zu irgendwelchen Verwicklungen kam, daß sich die Risikofaktoren in vertretbaren Grenzen hielten, bis der Rest des Plans…
»Wir haben die Flotte der Ersten Direktorin auf den Schirmen der Fernortung«, sagte Triness. Ihre Stimme klang fast so melodisch wie die Töne einer vanolenischen Windflöte. Darüber hinaus sprach sie sehr willkommene Worte. Gantel freute sich nicht gerade auf die Ankunft der Ersten Direktorin Shaale, aber wenn nicht alles vollkommen schiefging – eine Möglichkeit, über die er nicht nachzudenken wagte –, so würde die kommende Woche große Genugtuung für ihn bringen.
Gantel genehmigte sich ein zweites Glas Saft und seufzte mit einer Zufriedenheit, zu der er sich jetzt kaum mehr zwingen mußte. Erneut staunte er über das Aroma und die herrlichen Farben des Getränks.
Nach einigen Sekunden stellte er das Glas ab. Er war plötzlich nicht mehr durstig. Und irgend etwas in seinem Magen fühlte sich nicht besonders gut an.
»In Ordnung«, sagte er laut, damit seine Stimme vom KomSystem übertragen wurde. Er griff nach der mit vielen Stickereien verzierten Direktorenjacke. »Ich bin unterwegs.«
Chakotay beobachtete den Mond, der fast das ganze
Projektionsfeld des Hauptschirms ausfüllte. Die erste Phase des Unternehmens verlief vielversprechend. Zwar blieb es sinnlos, nach sichtbaren Veränderungen Ausschau zu halten –
genausogut konnte man versuchen, das Verdunsten von Wasser zu beobachten –, aber die Sensoren stellten inzwischen eine meßbare Abweichung von der ursprünglichen Umlaufbahn fest.
Beim nächsten Mond würden die Auswirkungen noch geringer sein, während gleichzeitig die Belastung des Warptriebwerks wuchs.
B’Elanna versicherte, daß der Einsatz des Subraumfeldes zu den gewünschten Ergebnissen führte. Mehrmals wies sie darauf hin, daß die ermittelten Daten den vorausberechneten Parametern entsprächen. Es blieb Chakotay nichts anderes übrig, als ihr zu glauben. Fast unmögliche technische Präzision in besonders schwierigen Situationen gehörte zu den
Spezialitäten der Chefingenieurin. Mehr als einmal hatte sich Chakotay voll und ganz darauf verlassen, daß Torres einen Erfolg erzielte – ohne jemals enttäuscht zu werden.
Er wandte sich vom Kommandosessel ab und ging wieder zur Funktionsstation. Während der letzten Stunden hatte er dort häufig gestanden und Fähnrich Stephens über die Schulter geblickt. Die ganze Sache basierte nur auf theoretischen Erwägungen. Niemand von ihnen konnte sicher sein, daß kleine Änderungen der lunaren Umlaufbahnen genügten, um die tektonischen Spannungen im Innern des Planeten zu verringern.
Und selbst wenn das der Fall war: Niemand wußte, ob das seismische Chaos schnell genug nachließ. Trotzdem hielt es Chakotay für vernünftig, einen entsprechenden Versuch zu wagen – wenn auch nur deshalb, um die Crew vom Gefühl der Hilflosigkeit zu befreien.
»Commander…«, sagte Paris. »Die Fernbereichsensoren orten mehrere Raumschiffe. Sie fliegen mit hoher
Warpgeschwindigkeit, und ihr Ziel scheint das Drenar-System zu sein.«
»Das sind bestimmt die bereits erwähnten Versorgungsschiffe und Transporter der Televek«, meinte Jonal und gesellte sich dem Ersten Offizier an der Funktionsstation hinzu. Der Drosary sah aufs Display mit den Ortungsdaten und lächelte, als er erst den Fähnrich und dann Chakotay ansah. »Wie versprochen –
Hilfe ist unterwegs.«
»Sie können sich freuen, wenn die Flotte eintrifft«, fügte Tassay hinzu. »Dann werden sowohl Ihre Probleme als auch die der Bewohner von Drenar Vier gelöst. Und wenn das alles erledigt ist… Bevor wir uns voneinander verabschieden, haben einige von uns vielleicht Gelegenheit, sich noch ein wenig besser kennenzulernen.«
Bei den letzten Worten sah sie Chakotay an. Ihr Blick schien sogar bis in seinen innersten Kern zu reichen. Für ein oder zwei Sekunden gewann er den Eindruck, seinerseits ins Zentrum ihres Selbst zu sehen.
»Das hoffe ich sehr.« Mila schritt zum Navigationspult, und mit der Kuppe des Zeigefingers berührte sie Paris’ Nacken. Der Lieutenant versuchte, sich nichts anmerken zu lassen.
»Sie sind ein sehr guter Pilot«, gurrte die Mittlerin. »Bestimmt der beste von Starfleet.«
»Das brauchen Sie ihm nicht zu sagen«, warf Chakotay ein.
»Fragen Sie ihn einfach. Das ist sein Lieblingsthema.«
»Auch ich bin eine gute Pilotin gewesen.« Mila wirkte jetzt etwas ernster. »Eines Tages bekomme ich vielleicht die Chance, erneut meine Fähigkeiten zu zeigen.«
Paris sah zu ihr auf, und seine Züge brachten tief empfundene Anteilnahme zum Ausdruck. »Ich bin ganz sicher, daß Sie die ersehnte Chance erhalten.«
Chakotay drehte sich um, als er hörte, wie die Tür des Turbolifts aufglitt. Lieutenant Torres trat auf die Brücke – und blieb abrupt stehen. Sie kniff die Augen zusammen und schürzte die Lippen. Sie sah zu Paris und Mila, die sich noch näher kamen, und zwar auch im wörtlichen Sinn. Mila beugte sich zum Navigator vor, bis ihre Nase fast die von Paris berührte. Sie flüsterte ihm etwas zu, und beide lächelten glücklich.
B’Elanna stand wie erstarrt, hatte beide Hände zu Fäusten geballt und richtete ihren Blick nun auf den Ersten Offizier.
Chakotay spürte Tassay hinter sich, so nahe, daß er ihren Atem im Nacken fühlte. Ihre rechte Hand ruhte ganz sanft an seiner Seite. »Ich hoffe, es wird alles gut, auch für uns«, hauchte sie.
Chakotay schauderte unwillkürlich und fühlte sich ein wenig schuldig, so als hätte man ihn bei einer Lüge ertappt. Behutsam schob er Tassays Hand fort. »Haben Sie etwas zu berichten, Lieutenant?« fragte er Torres und hörte dabei ein verräterisches Zittern in seiner Stimme. Er räusperte sich und wartete. Es schien ziemlich lange zu dauern, bis B’Elanna antwortete.
»Nicht gerade jetzt«, sagte sie.
»Warum sind Sie dann zur Brücke gekommen?« Ärger quoll in Chakotay empor. Die Chefingenieurin half niemandem, stand einfach nur da und störte die gute Stimmung. Vielleicht wollte sie gar nicht helfen…
Torres zögerte erneut. »Ich bin nur hier, um einen Blick auf den Hauptschirm zu werfen«, sagte sie schließlich. Das ergab natürlich überhaupt keinen Sinn. Das zentrale Projektionsfeld zeigte nicht mehr als die übrigen Monitore und Displays an Bord.
»Warum?« fragte Chakotay.
»Oh, ich glaube, das ist eine lange Geschichte«, entgegnete B’Elanna. »Und überhaupt…« Sie wandte den Blick vom
großen Bildschirm ab und sah sich noch einmal auf der Brücke um.
»Und überhaupt was?«
In der frostigen Miene der Chefingenieurin veränderte sich etwas, und für einen Sekundenbruchteil glaubte Chakotay, eine Mischung aus Zorn, Kummer und Verzweiflung zu erkennen.
»Derzeit habe ich ziemlich viel zu tun. Die Pflicht ruft. Wenn Sie verstehen, was ich meine. Früher haben Sie es einmal verstanden.«
Sie drehte sich um und kehrte in die Transportkapsel des Turbolifts zurück.
»Wohin wollen Sie?« fragte Chakotay.
»Zum Maschinenraum«, antwortete Torres. »Um dort zu
erledigen, was erledigt werden muß.«
Das Schott glitt zu.
Chakotay dachte über B’Elannas letzte Worte nach. Er hörte, wie erneut Tassays Stimme dicht hinter ihm erklang, wie sie versuchte, das begonnene Gespräch fortzusetzen, so als sei überhaupt nichts geschehen. »Ich habe viele Pläne«, sagte sie leise und kündigte einen gemeinsamen Shuttleflug durch das Drenar-System an. Der Erste Offizier versuchte, nicht zuzuhören.
»Commander, die fremden Schiffe kommen jetzt auf optimale Sensorreichweite heran«, meldete Rollins. »Ich beginne mit einer Sondierung.«
»Ausgezeichnet.« Jonal näherte sich der taktischen Station, als der Fähnrich Schaltelemente betätigte. Er wollte ihm über die Schulter sehen, doch Rollins winkte ihn wie ein lästiges Insekt fort.
»Es handelt sich eindeutig um Reaktor-Signaturen der Televek«, sagte er.
»Sie sind sehr pünktlich, die Televek«, meinte Tassay, und ihre Stimme erklang nun in unmittelbarer Nähe von Chakotays Ohr.
»Und fast so freundlich wie wir«, wandte sich Mila an Paris.
Höchstens ein Zentimeter trennte ihre Nase von der des Navigators.
»Commander…« Rollins sah mit großen Augen auf. »Ich habe etwas Seltsames festgestellt. Die Schiffe sehen ganz und gar nicht nach Transportern aus. Ich habe versucht, Tonnage, Konfiguration und energetische Strukturen zu verifizieren. Alles deutet darauf hin, daß die Einheiten der Flotte ebenso beschaffen sind wie…«
Jonal schlang den Arm um Rollins Hals und drückte zu.
Praktisch im gleichen Augenblick griffen auch die beiden anderen Drosary an. Milas Arm drückte Paris die Luft ab und zog ihn halb aus dem Sessel. Chakotay wollte sich in Bewegung setzen, aber jemand hielt ihn fest. Er konnte keinen Ton von sich geben, denn Tassay hielt ihm den Mund zu und drückte seinen Kopf gleichzeitig nach hinten, bis fast die Gefahr bestand, daß sie dem Commander das Genick brach.
»Wir müssen das Schiff früher als geplant übernehmen!« rief Jonal. Chakotay beobachtete, wie Mila Paris zur Seite zerrte und mit der freien Hand rasch hintereinander mehrere Schaltflächen berührte. Die Voyager neigte sich abrupt nach Backbord, dann nach Steuerbord, kam erst nach einigen heftigen
Erschütterungen zur Ruhe. Jonal schob Rollins beiseite und bediente die Kontrollen der taktischen Station. Kurz darauf sah er zu den beiden Mittlerinnen. »Derzeit ist alles klar.«
Chakotay versuchte vergeblich, sich zu befreien. Von den beiden anwesenden Sicherheitswächtern durfte er keine Hilfe erwarten. Die Drosary schützten sich vor den Phasern, indem sie ihre Geiseln als lebende Schilde verwendeten.
Ihre Kraft verblüffte den Commander. Nichts im äußeren Erscheinungsbild deutete darauf hin, daß die Drosary so stark waren.
»Was wollen Sie?« brachte Chakotay hervor. Seine Stimme klang unter Tassays Hand undeutlich.
»Niemand rührt sich. Oder wir töten diese Offiziere.« Jonal wandte sich an Chakotay. »Sagen Sie den anderen, daß sie mir gehorchen sollen.«
Der Commander schwieg. Eine derartige Macht konnte und wollte er den Drosary nicht zugestehen.
Jonal wiederholte die Aufforderung, aber auch diesmal blieb Chakotay still.
»Na schön«, brummte der angebliche Mittler. »Sollen sie Ihnen gehorchen. Befehlen Sie den Sicherheitswächtern, die Waffen fallenzulassen. Anschließend möchte ich, daß die Brücke von den übrigen Sektionen des Schiffes isoliert wird.«
Es war ein sehr subtiler Unterschied, doch vielleicht ließ sich etwas damit anfangen.
»Verriegeln Sie die Türen«, sagte Chakotay zu Stephens, der seiner Aufforderung sofort nachkam. Auch die
Sicherheitswächter zögerten nicht, sich von ihren Waffen zu trennen.
»Ein guter Anfang«, lobte Jonal. »Blockieren Sie auch die Wartungs- und Notschächte. Der Computer soll von jetzt an die ganze Zeit über alle an den Kontrollraum grenzenden Bereiche sondieren. Wir möchten vermeiden, daß jemand ein Loch durch die Wand bohrt oder dergleichen. Geben Sie dem Computer entsprechende Anweisungen. Wenn Sie sich weigern, bringt Tassay Sie um und nimmt sich einen anderen Brückenoffizier vor, der ebenfalls stirbt, wenn er nicht gehorcht. So geht es weiter – bis ich bekomme, was ich will.«
»Na schön.« Chakotay fügte sich und erteilte die verlangten Befehle. Es blieb ihm keine andere Wahl.
»Türen und Schächte sind blockiert«, meldete Stephens kurze Zeit später. »Der Computer hat mit einem kontinuierlichen Scan begonnen.«
Ȁndern Sie jetzt den Autorisierungscode des
Brückencomputers, damit uns niemand überraschen kann«, sagte Jonal. Ein dünnes Lächeln umspielte seine Lippen. »Er soll auf meine Stimme und meinen Namen reagieren.«
»Ausgeschlossen«, erwiderte Chakotay.
»Möchten Sie unbedingt sterben? Und nach Ihnen bringe ich ihn dort um.« Tassay nickte in Richtung Stephens. Ihre Stimme klang jetzt kühl und gleichgültig.
Chakotay nickte widerstrebend, woraufhin Stephens die notwendigen Schaltungen vornahm. »Computer«, sagte der Commander dann, »Transfer aller Kontrollen,
Autorisierungscode Alphagut, Abakrom-Dexter sechs vier null neun eins. Aufzeichnung des Verbalmusters.«
Er sah zu Jonal, der daraufhin seinen Namen nannte. Der Computer bestätigte den Transfer.
Eine Zeitlang befaßte sich der Drosary mit den Anzeigen der taktischen Konsole. Er berührte die eine oder andere Schaltfläche, hob schließlich den Kopf und wirkte recht zufrieden.
Chakotay wollte sich aufrichten, doch Tassay schien nicht bereit zu sein, so etwas zuzulassen. Ihre andere Hand ruhte jetzt an seinem Kinn, übte jedoch nur einen geringen Druck aus.
»Ich nehme an, Sie mögen mich überhaupt nicht«, sagte er zu ihr. Als sie keine Antwort gab, fügte er hinzu: »Und ich dachte schon, daß wirklich etwas aus uns werden könnte. Hatte mir ein kleines Landhaus mit einem hübschen weißen Holzzaun für uns vorgestellt.«
Tassay drückte etwas fester zu. »Ich weiß überhaupt nicht wovon Sie reden.«
»Das habe ich befürchtet«, murmelte Chakotay.
»Ich schlage vor, wir öffnen einen Kom-Kanal zu Gantel«, wandte sich Mila an Jonal. Sie wirkte ein wenig nervös.
Jonal nickte und betätigte die Kontrollen.
»Kanal geöffnet!« rief er, als die Verbindung hergestellt war.
Ganz offensichtlich freute er sich über seinen Erfolg. Der Hauptschirm zeigte jetzt nicht mehr den kleinsten Mond des Planeten.
»Wir empfangen visuelle Signale«, meldete Stephens.
Im zentralen Projektionsfeld erschien jemand, der Jonals Bruder hätte sein können. Im Hintergrund zeigte sich ein Raum, an dessen Wänden bunte Tapisserien hingen. Einige andere Gestalten saßen an Pulten und Konsolen. Alle ähnelten sich sehr. Die Frauen sahen aus wie Schwestern von Mila und Tassay.
»Sie sind Televek«, sagte Paris. Er wand sich hin und her, doch Mila hielt ihn auch weiterhin fest.
»Ja, darauf deutet alles hin«, brummte Chakotay.
»Gantel…«, wandte sich Jonal an den Mann auf dem Schirm.
»Wir haben die Brücke und damit das ganze Schiff unter unsere Kontrolle gebracht.«
Der Gesichtsausdruck des Dritten Direktors veränderte sich nicht. »Schon jetzt?«
»Es blieb uns nichts anderes übrig. Die Föderationsleute sind sehr intelligent, wie Sie inzwischen wissen. Sie haben Shaales Flotte sondiert und standen kurz davor, die Wahrheit zu erfahren.«
»Das gefällt mir so sehr an Ihnen, Jonal: Ihre Fähigkeit, sich an veränderte Situationen anzupassen. Nun gut. Die Kapseln sind startbereit, und die einzelnen Gruppen warten nur noch auf den Einsatzbefehl. Es kann praktisch sofort losgehen. Sie haben doch nichts Wertvolles beschädigt, oder?«
»Natürlich nicht.«
»Sie sind also Raumpiraten«, sagte Chakotay.
»Oh, wir sind viel mehr als das. Und Sie, Verehrtester, sind ein Narr.« Mila zerrte Paris in die Höhe, bis seine Füße den Kontakt mit dem Boden verloren. »Ihr alle seid Narren. Kein Wunder, daß ihr euch so weit von der Heimat entfernt habt und nicht wißt, wie ihr zurückkehren sollt.«
»Jonals Meinung gefällt mir besser«, sagte Paris leise.
»Selbst wenn die Föderationsleute Narren sind…«, ließ sich ein ungeduldiger Gantel vom Hauptschirm her vernehmen. »Es ändert nichts an der Tatsache, daß sie über eine sehr beeindruckende Technik verfügen. Die von großem Nutzen für uns sein könnte. Jonal… Wollen Sie da stehenbleiben, bis ich Sie von jemandem ablösen lasse?«
»Nein, natürlich nicht.« Der falsche Drosary wandte sich an Chakotay. »Commander, fordern Sie Ihre Leute auf, sich im vorderen Teil des Kontrollraums zu versammeln, zwischen Navigationspult und Hauptschirm. Für eine Weile werden sie nicht mehr gebraucht, und dort können wir sie besser im Auge behalten. Wir kümmern uns um die Konsolen. Ihre einzige Aufgabe besteht jetzt nur noch darin zu warten.«
»Und wenn Sie das aus der Voyager entfernt haben, was Sie von Anfang an stehlen wollten – was wird dann aus uns?« fragte Chakotay, als sich die Offiziere in den vorderen Bereich der Brücke begaben.
»Dann bringen sie uns um«, sagte Paris. »Oder sie überlassen uns hier an Bord dem Tod.«
»Wir beabsichtigen nicht, irgend etwas aus Ihrem Schiff zu entfernen«, sagte Gantel. »Ich habe vielmehr vor, die gesamte Voyager als Beute in Anspruch zu nehmen! Ebenso wie das Verteidigungssystem des Planeten!«
»Sie sind also gar nicht hier, um den Bewohnern von Drenar Vier zu helfen?« fragte Chakotay. Sein Tonfall wies darauf hin, daß er die Antwort bereits kannte.
»Uns interessieren nur die defensiven Anlagen, die dem Schutz des Planeten dienen«, erwiderte Gantel. »Die
Drenarianer sind uns ebenso gleichgültig wie Sie. Die beste Lösung dürfte darin bestehen, Sie auf Drenar Vier abzusetzen.
Sobald wir das Verteidigungssystem deaktiviert haben. Soll das Universum über Ihr Schicksal entscheiden.«
»Auf diese Weise sind wir alle unsere Probleme los«, sagte Jonal und lächelte.
»Ich finde es erstaunlich, daß ein so primitives Volk ein solches Raumschiff bauen konnte«, meinte Tassay.
»Ja, ich auch«, pflichtete ihr Mila bei.
»Ein unverhoffter Glücksfall für uns«, sagte der Dritte Direktor.
»Wir sind nicht primitiv«, widersprach Paris. »Weshalb glauben Sie, uns überlegen zu sein?«
»Weil wir Ihnen überlegen sind.« Jonal ließ Rollins los und bedeutete ihm, sich den anderen Offizieren vor dem
Navigationspult hinzuzugesellen. Mila gab Paris frei, der langsam von ihr fortwich. Schließlich löste sich auch Tassays Arm von Chakotays Hals. Jonal und Mila hoben die von den Sicherheitswächtern fallengelassenen Phaser auf und hielten sie schußbereit.
»Sie sind Barbaren, Diebe und Lügner«, sagte Chakotay.
»Ganz und gar nicht, Commander«, erwiderte Jonal. »Wir repräsentieren vielmehr einen qualitativen Evolutionssprung, für den es bei Ihnen kein Äquivalent gibt. Unsere Instinkte sind empathischer Natur. Sie warnen uns nicht mehr vor primitiven Gefahren, die längst aus unserem Leben verschwunden sind.
Statt dessen reagieren wir auf die Bewußtseinssphären anderer intelligenter Wesen, auf ihre Psychen und elementarsten Selbstfaktoren. Dadurch entsteht schnell eine Aura der Vertrautheit, die wiederum Manipulation ermöglicht.«
»Sie haben uns auf eine besonders hinterhältige Art
reingelegt«, warf Stephens den Televek vor.
»Sie wußten genau, welche psychischen Knöpfe Sie bei uns drücken mußten, um unser Vertrauen zu gewinnen«, sagte Paris.
Jonal nickte. »Nachdem wir eine gewisse Zeit bei Ihnen verbrachten, ja.«
»Sie sind Verkäufer«, stellte Chakotay fest. »Geborene Verkäufer.«
»Sie haben uns ein Idealbild von sich selbst verkauft.« Paris stöhnte leise. »Und wir sind darauf hereingefallen.«
»Die Televek wollten Zeit gewinnen«, fügte Rollins hinzu.
»Bis zum Eintreffen der Flotte. Nach den letzten Sensordaten besteht sie aus acht Schiffen, die sich mit Warpfaktor sieben Komma fünf nähern.«
»Wir sind ans Überleben in hochentwickelten
Gesellschaftsstrukturen angepaßt«, dozierte Mila und sah Paris an. »Sie hingegen eignen sich besser für ein Leben in der Wildnis, bewaffnet mit Speer und Keule.«
»In jene Wildnis würde ich Sie gern mitnehmen«, meinte Paris zuckersüß.
»Sie finden mich noch immer attraktiv, nicht wahr?« Mila lächelte. »Das wußte ich.«
»Ich finde Sie abscheulich.« In Paris’ Augen blitzte es plötzlich. »Aber ich würde gern etwas Primitives mit Ihnen anstellen. Zum Beispiel Ihnen das Genick brechen.«
»Ich sollte Sie auf der Stelle zum Schweigen bringen!« heulte Mila.
»Nichts spricht dagegen«, warf Gantel ein. »Die
Föderationsleute bleiben ohnehin nicht mehr lange am Leben.«
Milas Lächeln kehrte zurück, aber es wirkte jetzt nicht mehr selbstgefällig, sondern böse und unheilvoll. Sie sah zu den beiden anderen »Mittlern«, die kurz nickten.
»Wie können Sie sich für hochentwickelt halten und dem Leben trotzdem so wenig Achtung entgegenbringen?« fragte Chakotay.
»Oh, wir achten das Leben sehr, Commander«, betonte Jonal.
»Vor allem unser eigenes.«
»Ich lasse nicht zu, daß Sie ihn umbringen«, sagte Chakotay bitter und trat vor, blockierte damit Milas Schußfeld.
»Sie werden es zulassen müssen, wenn Sie tot sind.« Tassay nahm den Phaser von Jonal entgegen und richtete ihn auf Chakotay.
Mila zielte ebenfalls, zögerte jedoch. Jonal runzelte die Stirn.
»Worauf wartet ihr noch?«
»Na schön«, sagte Mila.
Plötzlich verwandelten sich die drei Televek in schimmernde Energiesäulen. Sie schrieen überrascht, und ihre Stimmen klangen seltsam hohl. Einen Sekundenbruchteil später waren sie vollkommen entmaterialisiert, und das Glitzern der
Transporterenergie verblaßte.
Die Brückenoffiziere jubelten.
Chakotay sah zu Stephens und forderte ihn mit einer knappen Geste auf, die Kom-Verbindung zum Televek-Schiff zu
unterbrechen.
Der Fähnrich erreichte die Funktionsstation mit drei langen Sätzen, und seine Finger huschten über Schaltflächen hinweg.
Gantel verschwand vom Hauptschirm.
»Kom-Kanal geschlossen, Commander«, meldete er.
»Heben Sie die Isolierung der Brücke auf.« Chakotay holte tief Luft. »Computer, alle Kontrollen freigeben,
Autorisierungscode Alphagut, Abakrom-Dexter sechs vier null neun zwei.«
»Kontrollstatus normal«, meldete der Computer.
Der Commander klopfte auf seinen Insignienkommunikator.
»Chakotay an Transporterraum. Wie…«
»Die drei Fremden sind in Gewahrsam genommen und
unterwegs zur Arrestzelle«, sagte der Transporterchef.
»Lieutenant Torres ist auf dem Weg zu Ihnen.«
Wenige Sekunden später öffnete sich die Tür des Turbolifts, und die Chefingenieurin betrat den Kontrollraum.
»Torres!« Chakotay lächelte und streckte ihr beide Hände entgegen. »B’Elanna!«
»Ja, ich bin’s tatsächlich«, scherzte sie und erwiderte das Lächeln. Auf halbem Wege kam sie dem Ersten Offizier entgegen und ließ sich von ihm umarmen.
Fast sofort wich Chakotay wieder von ihr zurück.
»Offenbar ergeht es den Televek wie Neelix vor unserer ersten Begegnung«, sagte B’Elanna. »Sie haben es noch nie mit einem Transporter zu tun bekommen.«
Chakotay nickte. »Es dürfte ein Erlebnis sein, das sie so schnell nicht vergessen.«
Torres sah zu den anderen. »Ich nehme an, sie sind
verschwunden, ohne sich von Ihnen zu verabschieden.«
»Das hatten sie gerade vor.« Paris nahm am Navigationspult Platz. »Danke«, fügte er hinzu, als er B’Elannas Blick bemerkte.
»Ich bin froh, daß sie weg sind«, sagte Rollins, als er die Kontrollen seiner Station justierte.
»Ja.« Chakotay schnitt eine recht ernste Miene, als er zum Hauptschirm sah und an den Televek-Kreuzer dachte. »Leider sind sie noch nicht alle verschwunden.«
Kapitel 12
Gantel beugte sich in seinem Sessel vor, öffnete den Mund…
und schloß ihn wieder, als er keine geeigneten Worte fand. Kurz darauf fielen ihm einige Flüche ein, doch zu jenem Zeitpunkt war es bereits zu spät – das Föderationsschiff hatte die Kom-Verbindung unterbrochen.
Der Dritte Direktor knurrte und zischte vor sich hin, hob dann den Kopf und starrte zu seiner Crew.
»So etwas habe ich nie zuvor gesehen!« brachte Triness hervor, und in ihrer Stimme vibrierte untypische Nervosität.
»Ich kann es kaum glauben…«
»Mir ergeht es ebenso«, sagte Gantel. »Ich möchte mir die letzten Minuten der Aufzeichnung noch einmal ansehen. Der Computer soll die Bilder analysieren.«
Sie beobachtete, wie sich die Gestalten von Jonal, Mila und Tassay in einem sonderbaren Schimmern auflösten. Der Computer konnte dafür keine Erklärung anbieten.
»Sie scheinen irgendwie… zerstrahlt worden zu sein«, sagte Triness, als der Kreuzer beidrehte. Sie kniff die Augen zusammen und blickte noch immer auf den leeren Schirm.
»Aber es kam keine Waffe zum Einsatz, zumindest keine auf der Brücke befindliche.«
»In der Tat«, bestätigte Gantel. Sein Blick wanderte hin und her, verharrte schließlich an seinen Stiefeln, die aus erlesenem k’heplianischen Leder bestanden. Eine derartige Situation konnte einzigartigen Triumph bringen – aber auch eine Katastrophe. Die Flotte traf bald ein, und das bedeutete für ihn: Was er hier und jetzt unternahm, entschied über Erfolg oder Ruin. Das Problem war nur: Er wußte einfach nicht, wie es jetzt zu handeln galt.
Eines stand fest – er durfte nicht einfach abwarten.
»Entfernung zum Föderationsschiff?« fragte Gantel.
»Vierhunderttausend Kilometer«, antwortete die Navigatorin.
»Bringen Sie uns bis auf hunderttausend Kilometer heran…«
Sterne erschienen auf dem großen Bildschirm, und der kleinste Mond des Planeten geriet in Sicht. Der Himmelskörper schwoll an, als das Televek-Schiff sich ihm näherte.
»Was auch immer die Föderationsleute angestellt haben – es muß von einem anderen Ort aus geschehen sein«, sagte die Navigatorin. Sie ging ein nicht unbeträchtliches Risiko ein, indem sie unaufgefordert sprach. »Woraus folgt: Vielleicht unterliegen Einsatz und Kontrolle jener Technik gewissen Beschränkungen.« Einige andere Crewmitglieder nickten. »Man stelle sich vor, welche Macht ein Aggressor durch eine solche Vorrichtung bekommt«, überlegte Triness laut.
»Man denke nur an den Preis, der sich durch den Verkauf erzielen läßt!« entfuhr es Gantel.
»Mehr als genug, um den Verlust der drei Gesandten
auszugleichen«, fügte Triness hinzu.
Der Dritte Direktor nickte. »Jene Technik ist mehr wert als hundert Mittler.«
Plötzlich schien Triness die Dinge aus einer anderen Perspektive zu sehen. Gantel glaubte zu erkennen, wie ihr Gesicht die Farbe veränderte. »Was ist los?« fragte er.
Ihr Blick kehrte zum großen Bildschirm zurück. »Derzeit gilt meine Sorge vor allem der… Reichweite der Waffe.«
Gantel dachte kurz darüber nach und stimmte Triness zu – sie waren dem Föderationsschiff schon recht nahe.
»Die Reichweite jener Waffe muß sehr begrenzt sein, denn sonst wäre sie schon gegen uns eingesetzt worden. Wie groß ist die gegenwärtige Distanz?«
»Hundertfünfzigtausend Kilometer. Nimmt weiterhin ab.«
»Maschinen stop!« ordnete Gantel an.
»Ja, ich bin sicher, die Waffe wirkt nur über eine geringe Entfernung hinweg«, sagte Triness.
»Oder die Föderationsleute haben zunächst ganz bewußt darauf verzichtet, sie zu verwenden«, spekulierte Gantel. »Um ihre Existenz geheimzuhalten und einen Trumpf in der Hand zu haben.«
»Ja«, murmelte Triness. Nachdenklich schürzte sie die Lippen.
Gantel beugte sich vor und beobachtete das fremde
Raumschiff. »Es darf kein Fehler passieren. Was auch immer geschieht: Die Waffe muß uns gehören. Ich möchte sie Shaale zum Geschenk machen.«
Wenn er jetzt richtig handelte… Dann gewann er hohes Ansehen bei der Ersten Direktorin, vielleicht sogar eine spezielle Provision. Und was noch wichtiger war: Wenn er mit der notwendigen Umsicht vorging, verdiente er sich
möglicherweise die Verkaufsrechte an der fremden Waffe. Ein zweifellos enormer Profit, der sich den Einnahmen
hinzugesellte, die das Verteidigungssystem von Drenar Vier in Aussicht stellte. Diese Mission mochte sich als die
erfolgreichste und gewinnträchtigste aller Zeiten erweisen. So etwas war gewiß ein Risiko wert, selbst ein großes.
Das Föderationsschiff schien eine Fundgrube an technischen Wundern zu sein… Selbst wenn sich dem Planeten nichts Wertvolles abringen ließ – es genügte, die Voyager intakt zu erbeuten, um Gantels Erfolg zu gewährleisten. Allerdings waren genau damit noch immer einige Schwierigkeiten verbunden.
»Haben die Föderationsleute ihre Schilde aktiviert?«
»Nein«, erwiderte Triness. »Offenbar ist es ihnen noch nicht gelungen, sie zu reparieren. Unsere hingegen sind aktiv und stabil.«
»Na schön. Fliegen wir etwas näher heran.«
»Ich wußte gar nicht, daß der Transporter wieder
funktioniert«, sagte Chakotay, während er beobachtete, wie sich das Televek-Schiff näherte. Plötzlich hielt der Kreuzer an.
B’Elanna zuckte mit den Schultern. »Er war bis vor einigen Minuten defekt. Bei meinem letzten Abstecher hierher wollte ich Ihnen die erfolgreiche Reparatur melden.«
»Und warum haben Sie darauf verzichtet?«
»Weil hier alle mit… anderen Dingen beschäftigt zu sein schienen.«
»Ja, ich schätze, das könnte man sagen.« Chakotays Stimme klang entschuldigend.
»Wie dem auch sei…«, fuhr Torres fort. »Als die Voyager erst zur einen und dann zur anderen Seite kippte, ahnte ich, was hier passiert – und wer dahintersteckt. Die Blockierung aller Zugänge zum Kontrollraum gab mir Gewißheit.«
»Sie hatten völlig recht mit Ihrer Einschätzung der
vermeintlichen Drosary«, sagte Chakotay. »Sie haben sie von Anfang an durchschaut, nicht wahr?«
»Vermutlich liegt es an meinem klingonischen Blut.«
B’Elanna sah den Ersten Offizier an und lächelte. »Und an meinem menschlichen Herzen.«
Chakotay erwiderte das Lächeln. Torres kam oft mit der Bitte um Rat zu ihm, aber diesmal hatte er ihre Hilfe gebraucht. Er musterte sie mit unverhohlener Bewunderung und wollte Worte an sie richten, die seine Empfindungen zum Ausdruck brachten.
Ein schlichtes »Danke« schien nicht zu genügen. »B’Elanna…
Das, was wir sind, kann manchmal unsere größte Schwäche sein, bei anderen Gelegenheiten aber auch zu unserer größten Stärke werden.«
Die Chefingenieurin schwieg eine Zeitlang und dachte darüber nach, bevor sie nickte.
»Commander…« Stephens deutete zum Hauptschirm. »Die
Televek versuchen, einen Kom-Kontakt zu uns herzustellen.«
»Sicher sind sie alles andere als glücklich«, meinte Paris.
»Ich schätze, das gilt auch für die anderen Televek, die mit ihrer Flotte hierher unterwegs sind«, fügte Rollins hinzu.
Chakotay runzelte die Stirn. »Gibt es beim Status des Planeten irgendwelche Veränderungen?«
»In den kontinentalen Regionen geht es noch immer drunter und drüber, Commander«, meldete Fähnrich Stephens. »Die Sensoren registrieren Eruptionen zahlreicher aktiver Vulkane und viele Beben, auch im Bereich der Meeresgräben.«
»Wie schlimm ist es?«
»Genaue Daten lassen sich leider nicht gewinnen, aber ich glaube, dies sind die schlimmsten seismischen Aktivitäten seit unserer Ankunft.«
Chakotay schwieg, als er nachdachte und schließlich tief Luft holte. »Alarmstufe Rot. Zielpeilung für die Waffensysteme.
Transporterraum, können Sie den Transferfokus auf die Landegruppe richten?«
»Ich habe es versucht, Sir«, klang Hoffmans Stimme aus den Kom-Lautsprechern. »Der Monitor zeigt mir drei Signale, aber es gelingt mir nicht, eine klare Identifizierung vorzunehmen.
Außerdem ist es unmöglich, den Fokus genau genug
auszurichten. Dort unten gibt es noch immer jede Menge Interferenzen. Die drei georteten Personen könnten Drenarianer sein, oder auch Televek, Commander.«
»Verstehe. Mr. Rollins, Sie haben das Kommando. Halten Sie die Photonentorpedos auf den Kreuzer gerichtet. Ich bin im Transporterraum.« Bevor Chakotay die Brücke verließ, fügte er mit trockenem Humor hinzu: »Machen Sie sich wieder an die Arbeit, B’Elanna.«
Die Tür des Turbolifts schloß sich gerade noch rechtzeitig.
Drenar Vier platzte allmählich auseinander. Tuvok spürte, wie das Beben begann, aber auf so heftige Erschütterungen war er nicht vorbereitet. Er stand mit gespreizten Beinen, stützte sich an Konsole und Wand ab. Doch die enorme Gewalt des
Erdbebens warf den Vulkanier einfach hin und her, schleuderte ihn dann zu Boden. Tuvok kroch übers zitternde Deck der Raumfähre, und durch die heftigen Vibrationen verschwamm alles vor seinen Augen.
Unter dem Shuttle hob sich abrupt der Boden, und Tuvok wurde nach oben gestoßen. Er versuchte, möglichst locker zu bleiben, erinnerte sich daran, daß angespannte Muskeln unter den gegenwärtigen Umständen zu Knochenbrüchen führen konnten. Unglücklicherweise stieß er mit dem Kopf zuerst gegen etwas Hartes, und dort gab es keine weichen Muskeln, die den Aufprall mildern konnten. Einmal mehr neigte sich ihm das Deck entgegen, und dann schienen sich die Vibrationen zu verdoppeln.
Ein kurzes Nachlassen der Erschütterungen erlaubte es ihm, zwischen oben und unten zu unterscheiden. An vielen
Körperstellen spürte er Schmerzen, aber in keinem Fall waren sie stark genug, um auf ernste Verletzungen hinzuweisen.
Tuvok schnappte nach Luft und kroch unter die Hauptkonsole vor dem Pilotensessel, um nicht erneut hin und geworfen zu werden.
Eine zweite Welle aus Erschütterungen kam, noch stärker als die erste. Die Vorsichtsmaßnahme des Vulkaniers zahlte sich aus – er verharrte an Ort und Stelle. Das ganze Shuttle bewegte sich, sprang ein oder zwei Meter weit nach Westen.
Anschließend wartete es kurz, zusammen mit dem Rest der Welt, kippte dann ruckartig den Bug nach oben, in Richtung des Himmels, aus dem es herabgekommen war. Wenige Sekunden später hörten die Erschütterungen ganz auf, und es folgte eine sonderbare, alles umfassende Stille.
Tuvok wagte sich langsam unter der Hauptkonsole hervor und versuchte aufzustehen. Ein Knie gab nach, und jähe Pein verwandelte sein Gesicht in eine Grimasse. Die Konturen der Umgebung lösten sich kurz auf, und er spürte, wie an seinem Kopf etwas anzuschwellen begann. Trotzdem glaubte er, im großen und ganzen Glück gehabt zu haben. Er wandte sich der Konsole zu und trachtete danach, die Energieversorgung wiederherzustellen. Alle Displays blieben dunkel.
Also stehen wir wieder am Anfang, dachte Tuvok. Er brauchte einige Minuten, um den unterbrochenen Versorgungskanal zu finden, und noch einmal so viel Zeit war erforderlich, um ihn zu reparieren. Anschließend verwendete er die von dem Televek-Techniker vorbereitete Sonde – ein Gerät, das eher primitiv anmutete, jedoch seinen Zweck erfüllte. Damit gelang es ihm recht schnell, Energie in die Hälfte der Shuttle-Systeme zu leiten. Die Kommunikation stand auf der Prioritätenliste natürlich ganz oben, aber als sich Tuvok bemühte, die entsprechende Anlage in Betrieb zu nehmen, erwartete ihn eine sehr unangenehme Überraschung: Sie funktionierte nicht und war so stark beschädigt, daß jeder Reparaturversuch scheitern mußte. Das betreffende Segment der Hauptkonsole wies einen tiefen Riß auf, und Kurzschlüsse hatten viele wichtige Komponenten verschmoren lassen.
Der Vulkanier erlaubte sich ein tiefes, unlogisches Seufzen, bevor er beschloß, sich der zweiten Herausforderung zu stellen: dem Transporter. Dieser Teil der Kontrollen wies nur geringfügige Beschädigungen auf, doch das System ließ sich nicht aktivieren, woraus Tuvok folgenden Schluß zog: Mit den internen Bestandteilen mußte etwas nicht in Ordnung sein. Er wandte sich dem hinteren Teil des Shuttles zu und hielt sich immer wieder fest, um nicht in Richtung Heckluke zu taumeln.
Sicher dauerte es nicht mehr lange, bis die Nachbeben begannen, und dann wurde vermutlich alles noch schlimmer.
Hinzu kam: Die Televek konnten praktisch jeden Augenblick zurückkehren. Der Zeitfaktor spielte also eine wichtige Rolle.
Tuvok sah keine Logik in pessimistischen Spekulationen, doch er mußte den sehr ernsten Status der Mission und insbesondere seiner eigenen Situation eingestehen.
Mit vulkanischer Rationalität schob er alle Zweifel beiseite.
»Ich arbeite schneller«, sagte er laut, als könnte ihn Drenar Vier hören. Er bereitete sich vor, ließ sich dann durch einen kontrollierten Sturz in die Hecksektion der Raumfähre fallen und begann dort mit der Arbeit.
Energiestrahlen zuckten durch den dunklen Wald, trafen hier und dort auf Baumstämme. Brennende Borke und Holzsplitter flogen davon. Janeway und Kim blieben kurz stehen, um das Feuer zu erwidern – was die Televek zwang, in Deckung zu gehen. Aber schon wenige Sekunden später setzten sie die Verfolgung fort.
Kurze Zeit später schwärmten die Gegner aus. Nacheinander hasteten sie durchs Unterholz, hielten dabei den Kopf gesenkt und wahrten einen sicheren Abstand. Janeway hielt vergeblich nach Zielen Ausschau, winkte dem Fähnrich zu und bedeutete ihm, mit ihr zusammen zurückzuweichen – nur dadurch konnten sie vermeiden, ins Kreuzfeuer der Televek zu geraten.
Als sie glaubten, daß die Distanz groß genug geworden war, richteten sie sich auf und liefen so schnell, wie es das grüne und braune Dickicht zuließ. Doch nicht nur von den Verfolgern drohte Gefahr, sondern auch von der Umgebung. Janeway kletterte gerade über einen Felsen und blickte in die Richtung zurück, aus der sie kam, als Kim ihr etwas zurief.
Fast im gleichen Augenblick sprang er und gab ihr einen Stoß, der sie zur Seite schleuderte. Einige Sekunden lang blieb sie benommen liegen, winkelte dann die Arme an und stemmte sich hoch. Sie atmete tief durch – und schnappte noch einmal nach Luft, als sie plötzlich verstand.
Weiter vorn zeigte sich ein Einschnitt im Boden, der wenigstens zum Teil natürlichen Ursprungs sein mochte. Die jüngsten Veränderungen hingegen stammten zweifellos vom letzten Beben. Eine Spalte, etwa zwei Meter breit – und so tief, daß der Blick nicht ganz bis nach unten reichte, sich nach einigen Dutzend Metern in Finsternis verlor. Janeway wäre fast hineingefallen, als sie sich nach den Verfolgern umgesehen hatte. Nur dem aufmerksameren Kim war es zu verdanken, daß sie noch lebte.
»Danke«, sagte sie.
Kim lächelte schief. »Gern geschehen, Captain.«
»Wir müssen darüber hinwegspringen«, meinte Janeway. Sie ließ sich von Kim auf die Beine helfen und hob ihren Phaser auf. Dann wichen sie einige Meter zurück und nahmen Anlauf.
Es fiel ihnen nicht weiter schwer, über den tiefen Einschnitt im Boden hinwegzusetzen, aber als sie sich auf der anderen Seite abrollten und aufstanden… mußten sie sich sofort wieder ducken. Mehrere Energiestrahlen rasten über sie hinweg, sicherer Hinweis darauf, daß die Televek sie erneut entdeckt hatten.
»In Bewegung bleiben«, schnaufte Janeway und lief wieder.
»Über die Schulter hinweg feuern. Und achten Sie aufs Gelände…«
Sie hatte das letzte Wort kaum ausgesprochen, als der Boden zu zittern begann. Innerhalb weniger Sekunden kam es wieder zu heftigen Erschütterungen. Janeway hielt sich am nächsten Baum fest – der unmittelbar darauf entwurzelt wurde, als sich ein neuer Riß im Waldboden bildete und jenem Einschnitt entgegenwuchs, den sie eben gerade überquert hatten.
Kim rief ihr wieder etwas zu.
»Ich weiß!« erwiderte Janeway, ließ los, sprang zurück und landete im Gestrüpp. Diesmal war sie es, die Kim hochhalf, als die Erschütterungen nachließen. Doch sie hörten nicht auf – eine zweite Welle kündigte sich bereits an.
Sie blickte zurück und beobachtete, wie zwei Televek aufstanden und sich orientierten, dann nach ihr und dem Fähnrich Ausschau hielten. Einer von ihnen sah die
Föderationsuniformen.
»Die Burschen geben nicht auf«, sagte Janeway und zog an Kims schmutzigem Ärmel.
»Es geht also weiter«, erwiderte der junge Mann. Gemeinsam sprangen sie über die neu entstandene Schlucht, und im gleichen Augenblick wurde das Beben wieder stärker. Der
gegenüberliegende Rand der Klamm schoß sich einen halben Meter weit nach oben, als sie darauf landeten. Janeway erhielt einen heftigen Stoß gegen das Schienbein und fühlte sich emporgehoben, um ein oder zwei Sekunden später einen Hang hinunterzurutschen, der in eine breite natürliche Rinne führte.
Janeway sah, wie sich Kim an Büschen und Sträuchern
festzuhalten versuchte. Sie trachtete danach, seinem Beispiel zu folgen, aber um sie herum wackelte und schüttelte sich alles. Sie kam sich vor wie auf dem Deck eines Segelschiffes, das durch ein sturmgepeitschtes Meer glitt.
Die beiden Starfleet-Offiziere rutschten erneut über den Hang, bis ihnen zwei umgestürzte Bäume den Weg versperrten. Sie stießen gegen die glatte Borke, und praktisch im gleichen Augenblick hörte das Erdbeben so abrupt auf, als hätte sich die Hand eines Titanen herabgesenkt und die Welt zur Ruhe gebracht.
»Ist alles in Ordnung mit Ihnen, Captain?« fragte Kim und stöhnte leise, als er aufzustehen versuchte. Er schloß beide Augen und schnitt eine Grimasse, bevor er den Rücken streckte.
Erneut stöhnte er, etwas lauter als beim erstenmal.
»Ich denke schon«, antwortete Janeway. Sie verzog ebenfalls das Gesicht, als sie sich in die Höhe stemmte. Wind kam auf, böiger Wind, der einen regelrechten Sturm anzukündigen schien. Doch die dichten grauen Wolken am Himmel stammten nicht von einem Tiefdruckgebiet, das Regen brachte. Sie bestanden vielmehr als vulkanischer Asche, die alles Leben in dieser Region zu ersticken drohte – selbst wenn der Planet irgendwie überlebte.
»Vielleicht sind die Televek in den Einschnitt gefallen«, sagte Kim hoffnungsvoll. Damit schien er das Stichwort zu geben: Das Zischen einer energetischen Entladung übertönte das lauter werdende Heulen des Windes. Der junge Mann gab einen schmerzerfüllten Schrei von sich und tastete nach dem rechten Bein.
»Sie sind getroffen!« entfuhr es Janeway. Sie hob den Phaser und schoß in die Richtung, in der sie den Schützen vermutete.
Mit dem Zielen verlor sie keine Zeit – ihre Aufmerksamkeit galt in erster Linie Kims Zustand. Und natürlich dem Bemühen, mit ihm zusammen in Deckung zu gelangen. An der höchsten Stelle ragten die zwei umgestürzten Bäume drei Meter weit empor, und es gab keine Möglichkeit, unter ihnen hindurchzukriechen, um die andere Seite zu erreichen.
Janeway schob sich an dem einen Baum entlang und zog Kim mit, bis sie eine Stelle erreichte, an der der Stamm nur noch einen Meter durchmaß. Dort verharrte sie, half dem Fähnrich nach oben, feuerte noch einmal und hechtete dann auf die andere Seite. Nachdem sie Kim dabei geholfen hatte, sich aufzusetzen, hob sie vorsichtig den Kopf, um über den Stamm hinwegzuspähen.
Mehrere Televek schossen und zwangen sie, sich sofort wieder zu ducken.
Dicke Splitter stoben fort, als sich Strahlen in die Borke brannten. Holzfragmente regneten auf Janeway und Kim herab.
Die Kommandantin duckte sich noch etwas tiefer. »Wie sieht’s aus?« fragte sie Kim und versuchte, einen Eindruck von der Wunde zu gewinnen.
»Ich bin noch am Leben, aber es fühlt sich nicht besonders gut an«, entgegnete der junge Mann. Er schien voll bei Bewußtsein zu sein, doch seine Stimme klang nun heiser und rauh. Mit beiden Händen hielt er sich das verletzte Bein und sah so zu Janeway auf, als sei alles seine eigene Schuld.
»Ich habe Sie nicht darum gebeten, ein lebender Schild für mich zu sein«, sagte sie. »Obwohl ich die Geste zu schätzen weiß.«
Kim lächelte, und dadurch verschwand der Schmerz fast völlig aus seinen Zügen. Janeway stellte plötzlich fest, daß die Verfolger nicht mehr schossen. Sie richtete sich halb auf und feuerte über den Baumstamm hinweg, versuchte diesmal, tatsächlich jemanden zu treffen. Die Televek lagen am oberen Rand der Rinne, aber es gelang der Kommandantin nicht, sie genau zu lokalisieren. Nun, bestimmt dauerte es nicht mehr lange, bis sie erneut näher kamen.
Zwei Köpfe zeigten sich, und dann blitzten zwei
Energiestrahlen. Janeway hielt es für besser, wieder in Deckung zu gehen, anstatt das Feuer zu erwidern. Eine kluge
Entscheidung: Das Holz des Stamms explodierte genau dort, wo sich eben noch ihr Gesicht befunden hatte.
»Von diesen Bäumen ist bald nichts mehr übrig«, sagte sie.
»Können Sie gehen?«
Kim versuchte, das verletzte Bein zu bewegen, und Janeway beobachtete, wie sein Gesicht wieder zu einer von Pein gezeichneten Grimasse wurde. Sie überprüfte ihren Phaser und nahm zur Kenntnis, daß die Ladekapsel nur noch wenig Energie enthielt. Das energetische Potential von Kims Strahler war ein wenig größer, wenn auch nicht viel.
»Unsere Lage ist nicht gerade rosig, oder?« Kim keuchte und versuchte, sich in eine einigermaßen bequeme Position zu bringen, was jedoch unmöglich zu sein schien. Janeway wußte, daß er das Bedürfnis verspürte, sich an ihrem Mut und ihrer Unerschütterlichkeit ein Beispiel zu nehmen. Sollte sie ihm mitteilen, daß sie einen Plan hatte, der nicht schiefgehen konnte und sie beide in Sicherheit bringen würde? Sie entschied sich dagegen. Er hat ein Recht darauf, die Wahrheit zu erfahren.
Wieder rasten Strahlblitze heran und verbrannten einen so großen Teil des Baumstamms, daß sie einen halben Meter zur Seite weichen mußten. Janeway musterte den jungen Mann, als sie sich erneut hinter die Barriere aus Holz duckten. Ganz deutlich erinnerte sie sich an die üblichen Vorträge, die Kadetten in diesem Zusammenhang an der Akademie hörten, den Hinweis darauf, daß der Dienst irgendwann verlangen mochte, das eigene Leben zu opfern. Janeway gehörte seit vielen Jahren zu Starfleet, doch sie sah sich außerstande, ausgerechnet ein solches Dogma in Worte zu fassen.
»Kim, Sie sollen wissen, daß ich…«
»Captain!« entfuhr es dem Fähnrich, und er sah an ihr vorbei.
Janeway vernahm ein seltsames Summen, und als sie den Kopf drehte, bemerkte sie einen vertrauten Glanz. Tiefe Erleichterung durchströmte sie, als sie plötzlich verstand, was geschah. Tuvok materialisierte dicht vor ihr, mit einer Transfer-Armbinde am linken Arm. In den Händen hielt er zwei weitere Binden und einen Tricorder.
»Captain…« Der Vulkanier sah auf Janeway hinab.
»Ducken Sie sich!« rief sie und zerrte am Ärmel des
Neuankömmlings, als ein von den Televek abgefeuerter Strahl Tuvoks Kopf nur um wenige Zentimeter verfehlte.
Er ging neben ihr in die Hocke.
»Danke, Captain.«
»Schon gut. Ich nehme an, Sie sind beschäftigt gewesen.«
»Leider komme ich nicht mit guten Neuigkeiten«, sagte Tuvok. »Das Kommunikationssystem des Shuttles läßt sich nicht mehr reparieren. Wenigstens konnte ich den Transporter in Ordnung bringen.«
»Ich wußte, daß Sie es schaffen, Tuvok.« Kim wollte lächeln, doch dadurch gewann sein Gesicht nur etwas Fratzenhaftes.
»Allerdings funktioniert der Transporter nicht besonders gut«, fügte der Vulkanier hinzu.
Wieder wurde der Baumstamm von einem Energiestrahl
getroffen. Janeway nahm ihren Phaser und nickte in Richtung der Televek am oberen Rand der Rinne. Tuvok zog den eigenen Strahler, richtete sich zusammen mit der Kommandantin auf und schoß. Sie hatten sich gerade wieder geduckt, als von der linken Seite her mehrere Strahlen gleißten und einen jungen Baum dicht hinter den drei Starfleet-Offizieren verdampften.
Janeway und Tuvok zielten und erwiderten das Feuer. Schon nach wenigen Sekunden versagte Janeways Phaser aufgrund einer erschöpften Ladekapsel, und sie benutzte Kims Waffe.
»Auch dieser Strahler enthält nicht mehr viel Energie«, teilte sie dem Vulkanier mit.
»Dann bin ich genau zur richtigen Zeit eingetroffen.« Tuvok legte Kim eine der Armbinden an. »Ich schlage vor, Mr. Kim wird zuerst in Sicherheit transferiert.«
»Einverstanden.« Janeway half dem Vulkanier dabei, die Binde zu befestigen.
»Ich konnte das Transportersystem nicht mit Minimalenergie für eine stabile Dauerfunktion ausstatten. Aus diesem Grund habe ich eine zyklische Aktivitätskurve programmiert, die sich alle vier Minuten wiederholt. Es gab keine andere Möglichkeit.
Wenn die Kurve ihren Scheitelpunkt erreicht, steht genug Energie zur Verfügung, um eine Person zu transferieren. Nur auf diese Weise konnte ich zu Ihnen gelangen.«
Janeway nickte, beeindruckt von dem, was Tuvok in kurzer Zeit zustande gebracht hatte. Sie verstand seine Logik und begrüßte sie, machte sie bereits zur Grundlage ihrer Überlegungen. »Wann öffnet sich das nächste Transferfenster?«
Tuvok sah auf die Anzeigen seines Tricorders. »In genau fünfzehn Sekunden.«
»Gut. Zuerst Kim. Dann Sie, und zum Schluß ich.«
»Also bis später«, sagte Kim und versuchte erneut zu lächeln.
Janeway zwinkerte ihm zu und legte selbst die dritte Armbinde an. Tuvok behielt auch weiterhin die Displays des Tricorders im Auge. Schließlich berührte er eine kleine Schaltfläche, und vier Sekunden später entmaterialisierte Kim.
»Schießen Sie auch weiterhin, Mr. Tuvok«, forderte Janeway den Vulkanier auf. »Und halten Sie den Kopf unten. Sie übernehmen die linke Seite, ich den Rand der Anhöhe.«
Sie feuerten mehrmals und krochen dann an den
Baumstämmen entlang. Janeway überprüfte ihre Waffe und stellte fest, daß die Ladekapsel nur noch sehr wenig Energie enthielt.
Ein weiterer Strahl fauchte und fraß sich dicht über Tuvoks Kopf in die Borke. Diesmal kam er von rechts.
Janeway schoß zweimal auf eine schemenhafte Gestalt, die sich daraufhin tiefer in den Wald zurückzog. Vielleicht hatte sie den Televek getroffen, doch sie konnte nicht sicher sein.
»Noch eine Minute und elf Sekunden«, sagte Tuvok. »Captain, ich halte es für nahezu ausgeschlossen, daß Sie unter den gegenwärtigen Bedingungen imstande sind, noch fast sechs Minuten zu überleben.«
»Sie überlassen mir Ihren Phaser, nicht wahr?« fragte die Kommandantin. Stille folgte diesen Worten. Es kam zu einer weiteren, leichten Erschütterung, und kurz darauf fauchte wieder ein von den Televek abgefeuerter Energiestrahl.
Tuvok musterte die Kommandantin ruhig. »Ich bestehe darauf, Captain.«
Der vulkanische Humor war recht subtiler Natur, doch Janeway mochte ihn sehr.
Eine Zeitlang blieb alles ruhig, und die beiden Starfleet-Offiziere nutzten die gute Gelegenheit, um in drei verschiedene Richtungen zu schießen. Anschließend duckten sie sich wieder und warteten.
»Noch zehn Sekunden«, sagte Tuvok, und Janeway nickte bestätigend. »Fünf Sekunden… drei…«
Er berührte eine Schaltfläche des Tricorders, sendete damit das Aktivierungssignal. Doch nichts geschah.
Janeway fluchte lautlos. »Was ist los?«
»Offenbar genügt die Energie nicht für einen Transfer.
Vielleicht ist mir bei den Berechnungen ein Fehler unterlaufen.
Der Zustand des Transporters und die vielen Variablen…«
Der Baumstamm zerbarst, und überall flogen Holzsplitter umher. Die Druckwelle schleuderte Janeway und Tuvok zurück.
Die Kommandantin lag auf dem Rücken und blickte zu
Baumwipfeln empor, die sich im stärker werdenden Wind hin und her neigten. Erneut zitterte der Boden, stärker als vorher.
Ein Nachbeben. Oder der Beginn eines neuen.
Janeway versuchte sich aufzurichten, ebenso wie Tuvok neben ihr.
Sie blickten zum Hang. Vier Televek kamen vom Rand der Rinne herab und näherten sich schnell. Auch von der linken Seite her vernahm Janeway das Geräusch von Schritten.
»Wenn wir uns ganz ruhig verhalten und absolut keinen Widerstand leisten, läßt man uns vielleicht am Leben«, sagte Tuvok. Er klang völlig gelassen, blieb auch jetzt rational und logisch.
»Darauf würde ich nicht wetten«, erwiderte Janeway.
Sie beobachtete, wie der nächste Televek heranwankte, die Waffe hob und auf sie anlegte. Dann verschwammen die Konturen der Umgebung, und der Wald löste sich auf.
Kapitel 13
Daket stand neben seinem Kreuzer, lehnte an einer gewölbten Stelle des Rumpfes und atmete tief durch. Er war zusammen mit einer der Gruppen im Wald gewesen, um dort die neuesten Daten der Tiefenmessungen aufzuzeichnen und zu analysieren.
Eigentlich wollte er sich auf diese Weise nur die Zeit vertreiben, während er darauf wartete, daß Tolif und seine Leute von dem fremden Shuttle zurückkehrten. Doch dann kam es zu einem neuerlichen Beben, stark genug, um Bäume zu entwurzeln und das Grundgestein nach oben zu pressen.
Daket war noch jung und agil, den Sternen sei Dank. Und außerdem schien ihn das Glück zu begleiten. Immerhin lebte er noch und brauchte nicht einmal über Verletzungen zu klagen.
Das Schicksal sah Ruhm und Größe für ihn vor, daran zweifelte er nicht, aber bei solchen Gelegenheiten fragte er sich, ob das Universum davon wußte.
Er hatte es irgendwie geschafft, die Lichtung zu erreichen, bevor die stärksten Erschütterungen begannen. Eine Zeitlang hielt er es für möglich, daß für sie alle das Ende kam, daß sich diese absurde Welt anschickte, sie zu verschlingen. Doch dann ließ das Beben nach, und Ruhe kehrte zurück.
Eine Ruhe, die sicher nicht lange dauerte…
Auf der Lichtung waren keine Risse im Boden entstanden, und der Kreuzer hatte das Erdbeben unbeschädigt überstanden.
Daket wußte, daß er diesen Umstand ebenfalls dem Glück verdankte, doch er konnte sich einfach nicht dazu durchringen, dem Glück zu vertrauen. Die seismische Aktivität nahm immer mehr zu, und eines der nächsten Beben mußte zur Katastrophe führen. Dadurch wurde Dakets ohnehin schon prekäre Situation noch bedenklicher.
Kein einziges Mitglied seiner Crew wollte auf dem Planeten sterben, und Daket würde nie den Status des Direktors erreichen, wenn sich die Besatzungsmitglieder durch ihn gefährdet sahen. Er konnte es ihnen nicht verdanken. Sicher schmiedeten sie bereits den einen oder anderen Plan gegen ihn, und an ihrer Stelle hätte er ebenso gehandelt.
Auch ihm lag nichts an einem Tod auf Drenar Vier. Von Anfang an war er der Ansicht gewesen, daß diese spezielle Mission zu viele Risiken mit sich brachte. Daket verabscheute Risiken. Er ging nie welche ein – es sei denn, ihm blieb nichts anderes übrig. Und genau das war hier und jetzt der Fall. Auch deshalb empfand er seine Lage als so schwierig.
Trotz der vielen, seit Tagen andauernden direkten
Untersuchungen und Sondierungen mit den Scannern war es Daket noch immer nicht gelungen, einen Zugang zu der exotischen und sicher sehr wertvollen Energiequelle zu finden, die sie einige Kilometer tief in der Kruste des Planeten geortet hatten. Sie waren nicht einmal mehr imstande gewesen, mehr über sie herauszufinden. Woraus folgte: Die Mission mußte als kompletter Fehlschlag bezeichnet werden.
Was ihn jedoch nicht daran hinderte, in seinen Berichten die Bemühungen der verschiedenen Einsatzgruppen in einem besonders guten Licht darzustellen. Eine solche Taktik hätte jeder Teilhaber oder Direktor angewendet. Es kam darauf an, daß die eigene Arbeit und auch die der Untergebenen
lobenswert erschien. Um das zu gewährleisten, berichtete man nur das Positive und ließ alles Negative weg. Dieser Trick war keineswegs neu – viele Direktoren und Assistenten verwendeten ihn.
Aber Daket glaubte, besonders geschickt zu sein und den Beweis dafür auf Drenar Vier erbracht zu haben.
Doch selbst jener kleine Erfolg stand nun auf dem Spiel. Die Probleme spitzten sich immer mehr zu. Es ging nicht nur darum, daß sie mit ihren Forschungen auf der Stelle traten. Es ging auch nicht nur um die Erdbeben, Vulkanausbrüche, Verletzten und jene endlosen Klagen, die Gantel und seine Leute auf sie herabregnen ließen. Als neuer Faktor kamen die Fremden hinzu.
Offenbar gaben sie sich nicht damit zufrieden, nur Gantel Sorgen zu bereiten.
»Finden Sie das Shuttle!« So lautete der Befehl des Dritten Direktors. »Stellen Sie sicher, daß es keine Überlebenden gibt.
Reparieren Sie anschließend die Raumfähre, damit wir sie mitnehmen können.«
Es klang alles ganz einfach.
Doch die Wirklichkeit sah anders aus.
Das kleine, von dem Föderationsschiff stammende Shuttle stürzte nicht etwa ab, sondern landete. Dadurch blieben einige wichtige Bordsysteme funktionsbereit. Mehr noch: Die –
bewaffneten – Insassen überlebten. Bevor Tolifs Gruppe den Landeplatz erreichte, trafen Drenarianer ein und brachten die Außenweltler zu ihrer Siedlung. Sicher, der Ort war alles andere als eine Festung, aber es hätte erhebliche Mühe gekostet, die Föderationsleute dort zu finden und zu überwältigen.
Unglücklicherweise bestand die einzige Alternative darin, mit der von den Fremden verkörperten Bedrohung zu leben.
Eigentlich unakzeptabel – aber immer noch weniger riskant als eine Aktion gegen die Drenarianer und ihre neuen Gäste.
»Sie werden genau überwacht«, hatte Daket dem Dritten Direktor Gantel mehrmals gemeldet. »Wir zählen sogar ihre Atemzüge.«
Immerhin befanden sich die Föderationsleute in dem Ort, und das war nahe genug.
Aber noch vor dem Morgengrauen des nächsten Tages erhielt Daket einen beunruhigenden Bericht von einem seiner Scouts: Eine kleine Gruppe, zu der auch die Shuttle-Crew gehörte, hatte die Siedlung verlassen und näherte sich der gelandeten Raumfähre.
Die im Bereich des Shuttles stationierte Einsatzgruppe war bereit, die Fremden und ihre drenarianischen Freunde in Empfang zu nehmen. Daket hoffte, daß Tolifs Team einen raschen Erfolg erzielte, Föderationsleute und Drenarianer problemlos eliminierte, so daß es nicht zu weiteren
Verzögerungen kam. Er wollte keine Zeit mit den Fremden verlieren; weitaus wichtigere Dinge verlangten seine Aufmerksamkeit.
»Ich kümmere mich persönlich um die Arbeiten am Shuttle«, hatte er Gantel versichert, obwohl er gar nicht genau wußte, wo es gelandet war. Auch um alle anderen Angelegenheiten kümmerte er sich ›persönlich‹: um die Tiefenmessungen und Sondierungen, um die Suche nach einem Zugang zur
Energiequelle und so weiter. Genau das wollte Gantel hören, und nur darauf kam es an.
»Der Dritte Direktor möchte Sie sprechen.« Die Stimme eines Brückenoffiziers drang aus dem Kommunikator an Dakets Gürtel.
»Richten Sie ihm aus, daß ich unterwegs bin, um festzustellen, welche negativen Folgen sich durch die letzten Beben für unsere externen Einsätze ergeben haben. Erwähnen Sie Verluste, die sowohl das Personal als auch die Ausrüstung betreffen. Und sagen Sie dem Dritten Direktor, daß ich mich bald mit ihm in Verbindung setzen werde.«
»Ja, Daket.«
Der kurze Kom-Kontakt ging zu Ende. Auf der Brücke des Kreuzers ahnte niemand, daß der Kommandant direkt neben dem Schiff stand.
Daket sah zu den Wolken aus vulkanischer Asche empor. Die Zeit wurde immer knapper. Er fühlte das wachsende Bedürfnis, Gantel darauf hinzuweisen, daß die Mission völlig sinnlos war, daß er und seine Crew alles versucht, lange genug gewartet und bereits zuviel riskiert hatten. Daß es besser war, den Planeten zu verlassen. Die Präsenz der Fremden aus dem Shuttle und im Schiff, das Drenar Vier umkreiste, spielte angesichts der bevorstehenden Ankunft von Shaale kaum eine Rolle. Daket zweifelte kaum daran, daß Gantel ihm zugestimmt hätte, wenn er hier unten gewesen wäre und nicht an Bord seines Kreuzers im Orbit. Doch ein entsprechender Hinweis hätte ihn vermutlich in erhebliche Schwierigkeiten gebracht.
Und das wollte er nicht riskieren. Gantel bestand immer wieder darauf, daß Daket durchhielt und weiterarbeitete, bis Shaale mit ihrer Flotte eintraf. »Sie muß den Eindruck gewinnen, daß wir alles versuchen, um einen Erfolg zu erzielen, daß wir jede Möglichkeit nutzen, bis zum letzten Augenblick.«
Das war natürlich richtig. Gantel hatte nicht den Rang des Dritten Direktors erreicht, indem er gute Gelegenheiten ungenutzt ließ oder darauf verzichtete, sein Image
aufzupolieren. Außerdem nahm er nur selten Rücksicht auf Untergebene.
Dakets Rechtfertigungen waren keineswegs schlecht, sondern eher klassischer Natur. Allerdings: Gantel wollte nichts dergleichen hören. Was bei Daket zu Ratlosigkeit führte. Allem Anschein nach gab es nichts mehr, auf das man sich verlassen konnte.
Daket blickte über die grasbewachsene Lichtung. Die
einzelnen Arbeitsgruppen kamen und gingen jetzt wieder in regelmäßigen Abständen. Sie brachten neue Sensoren und sammelten die Daten der bereits installierten Exemplare. Es war durchaus denkbar, daß durch die Beben unterirdische Tunnel entstanden, die vielleicht eine Verbindung zur subplanetaren Energiequelle schufen. Doch Daket glaubte nicht, daß irgend jemand auf dieser Welt so viel Glück hatte. Zumindest niemand, der mit ihm zusammenarbeitete. Vermutlich nicht einmal Gantel.
Er warf einen Blick aufs Chronometer. Schon seit Stunden hatte er keinen Bericht mehr von der Gruppe beim Shuttle bekommen – ein unverzeihliches Versäumnis. Außerdem galt Gantels Interesse vor allem dieser Sache. Tolif leitete das Team: ein kompetenter Mann, der normalerweise großen Wert auf Pünktlichkeit legte. Daket schüttelte den Kopf. Für einen Tag war er bereits mit genug Problemen konfrontiert worden – den krönenden Abschluß bildeten während des Bebens umstürzende Bäume, die ihn fast unter sich begraben hätten.
»Ich brauche so etwas nicht«, sagte er laut zum Planeten und zum Himmel voller Aschewolken, als er sich umdrehte und zur Luftschleuse schritt. »Und ich habe es gewiß nicht verdient.«
Er begab sich zur Brücke.
»Noch immer keine Nachricht von Tolif?« fragte er dort, obgleich er sicher war, daß man ihm sofort Bescheid gegeben hätte.
»Nein«, antwortete eine junge Teilhaberin namens Tatel. Sie hatte sich der Crew extra für diese Mission angeschlossen, und Daket wußte kaum etwas über sie – was ihm derzeit nur recht war.
»Stellen Sie eine Verbindung her. Wie sah die Situation beim letzten Kom-Kontakt aus?«
»Von Fortschritten war die Rede. Hier ist der Bericht.«
Daket sah auf den Schirm seiner Kommandostation. Tolifs Angaben enthielten genug Details, aber es fehlte
Vielversprechendes. Die Bordsysteme des Shuttles waren stark beschädigt, und es erwies sich als recht schwierig, sie zu reparieren. Eine Aktualisierung des Berichts wurde
angekündigt, doch bisher waren keine zusätzlichen
Informationen übermittelt worden. Im schlimmsten Fall hatte das jüngste Beben sowohl Tolif als auch alle seine Mitarbeiter umgebracht. Daket schüttelte einmal mehr den Kopf. Es bedeutete selbst für ihn eine Herausforderung, so etwas positiv darzustellen.
»Na schön«, sagte Daket ernst. Er hob und senkte die Schultern. »Hat Gantel darauf hingewiesen, warum er mich sprechen will?«
»Ich glaube, es gibt neue Entwicklungen da oben.«
Was sicher nichts Gutes bedeutete, argwöhnte Daket.
Irgendwelche neuen Entwicklungen im Orbit blieben ohne Einfluß auf seine Mission – es sei denn, die Umstände verlangten eine Änderung des Plans.
Wollte Gantel die Crew des gelandeten Kreuzers anweisen, diesen elenden Planeten zu verlassen? Daket wußte nicht, was Gantel mit einer solchen Order zu bezwecken gedachte, aber seiner Ansicht nach war alles besser, als noch länger auf Drenar Vier zu bleiben. Besser gesagt: fast alles.
Er forderte Tatel auf, einen Kom-Kanal zu öffnen.
»Einen Augenblick.« Tatel beugte sich zu ihren Kontrollen vor. »Es trifft gerade eine Meldung von Tolif und seiner Gruppe ein.«
Daket hob erwartungsvoll den Kopf. »Ja?«
Die Teilhaberin schwieg mehrere Sekunden lang, die Daket wie eine kleine Ewigkeit erschienen. Dann verzog sie das Gesicht. »Ich befürchte, es sind keine guten Nachrichten…«
Janeway seufzte erleichtert, als die vertrauten Konturen des Transporterraums der Voyager vor ihren Augen erschienen. Die Erleichterung reichte noch tiefer, als sie Chakotay und einige Sicherheitswächter sah, die erfreut lächelten und ihre Waffen sinken ließen.
Sie drehte den Kopf und stellte fest, daß Tuvok neben ihr stand.
»Bringen Sie Fähnrich Kim zur Krankenstation«, wies
Chakotay die Sicherheitswächter an, als Janeway von der Transferplattform heruntertrat. »Haben wir Sie bei irgend etwas gestört?« fragte der Erste Offizier und deutete auf die Phaser.
»Es war eine sehr willkommene Störung«, versicherte ihm Janeway.
»In der Tat«, bestätigte der Vulkanier.
Chakotays Lächeln wuchs in die Breite. »Bleiben Sie beim nächsten Mal nicht so lange fort.«
»Ich werde versuchen, Ihren Rat zu beherzigen. Übrigens: Wenn Sie erneut Besuch von Geistern erhalten, so verspreche ich Ihnen, alles viel ernster zu nehmen.«
»Ja, Sir. Darf ich Ihnen sagen, daß Sie schrecklich aussehen?«
Janeway blickte an sich herab. Noch immer klebte eine dicke Patina aus Staub, Asche und Schweiß an ihr. Hinzu kam: Die Uniform war an beiden Ärmeln und an einem Knie zerrissen.
Tuvoks Erscheinungsbild unterschied sich kaum von dem ihren.
Sie nickte. »Danke.« Sie schritt zur Tür und wartete, bis das Schott beiseite glitt, ging dann mit langen Schritten durch den Korridor. Chakotay schloß sich ihr an.
»Wie ist unser Status?« fragte die Kommandantin.
»Womit soll ich anfangen?« erwiderte Chakotay. Er wartete jedoch keine Antwort ab. »Wir fanden heraus, was Sie uns mit Ihrer Kom-Botschaft mitteilen wollten, und anschließend begannen wir mit Berechnungen. Die Konstellation der drei Monde bedeutet eine Katastrophe für den Planeten. Und zwar wesentlich früher, als wir zunächst annahmen.«
»Das überrascht mich kaum«, sagte Janeway und gab die Hoffnung auf, sich geirrt zu haben. »Bitte fahren Sie fort.«
»Torres entwickelte den Plan, die Umlaufbahnen der Monde geringfügig zu verändern, mit Hilfe eines Warpfelds und des Impulstriebwerks der Voyager. Wir hoffen, daß der kumulative Effekt genügt, um zu verhindern, daß die kollektive
Gezeitenkraft der drei Monde ihr Maximum erreicht. Wir haben bereits mit der Ausführung des Plans begonnen, sind mit dem ersten Mond fertig und nehmen uns jetzt den zweiten vor.«
»Das läßt auf eine gelungene Reparatur des Warpantriebs schließen«, warf Tuvok ein.
»Ja. Der Transporter ist ebenfalls betriebsbereit, wie Ihre Präsenz an Bord beweist. Das alles verdanken wir B’Elanna.«
Chakotay lächelte nun wie ein Vater, der voller Stolz von den Leistungen seiner Tochter sprach. Janeway beneidete ihn fast um diese Perspektive. Die junge und oft recht launische Halbklingonin war ihr von dem neuen Ersten Offizier
aufgezwungen worden, als aus den Maquis-
und
Föderationscrews eine Besatzung werden mußte. Damals hatte Chakotay B’Elanna als eine Art technisches Genie beschrieben, und inzwischen mußte ihm Janeway recht geben. Torres leistete immer wieder Erstaunliches.
»Ich werde ihr persönlich danken.« Janeway schauderte ein wenig. »Um ganz ehrlich zu sein: Auf dem Planeten steckten wir ziemlich in der Klemme.«
»Für unser Überleben habe ich eine Wahrscheinlichkeit von fünf Prozent errechnet«, meinte Tuvok.
»Wie tröstlich«, kommentierte Janeway.
Tuvok musterte sie kurz. »Es ist mir ein Rätsel, wieso Sie eine derartige Bemerkung als tröstlich empfinden.«
»Sie sind unnachahmlich, Tuvok«, murmelte Chakotay.
»Das hat auch Lieutenant Torres behauptet, bei mehreren Gelegenheiten«, entgegnete der Vulkanier. »Ich verstehe die Bemerkung nicht ganz, aber ich weiß sie zu schätzen.«
Sie betraten den Turbolift. »Brücke«, sagte Janeway und klopfte dann auf ihren Insignienkommunikator. »Captain an Krankenstation. Wie steht es um Fähnrich Kim?«
»Derzeit geht es ihm recht gut«, antwortete der holographische Arzt. Er klang fast fröhlich. Der Doktor schien an
medizinischen Notfällen Gefallen zu finden und darin eine willkommene Abwechslung zu sehen. Immerhin war er genau dafür programmiert worden. Im großen und ganzen gesehen konnte Janeway sich nicht über die Kompetenz des Arztes beklagen. Für ein Hologramm verfügte er über eine erstaunlich breite Palette an Fähigkeiten. Er und seine talentierte Assistentin Kes bildeten ein Team, das allen medizinischen Bedürfnissen an Bord gerecht wurde.
»Hat er Schmerzen?« fragte Janeway.
»Nein, Captain. Ich habe die Wunde bereits behandelt und ihm außerdem ein Sedativ verabreicht. In einigen Tagen ist er so gut wie neu. Muß ich mit dem Eintreffen weiterer Verletzter rechnen?« Bei den letzten Worten schien der Doktor zu lächeln.
»Eine gute Frage. Ich gebe Ihnen Bescheid, sobald ich eine Antwort weiß. Janeway Ende.«
»Die drei angeblichen Mittler waren natürlich Televek«, fuhr Chakotay fort. »Wir müssen davon ausgehen, daß sie immer gelogen und zu keinem Zeitpunkt die Wahrheit gesagt haben.
Vor einer Weile wollten sie das Schiff unter ihre Kontrolle bringen. Es ist einzig und allein B’Elanna zu verdanken, daß ihr Versuch scheiterte.«
»Wo sind sie jetzt?« fragte Tuvok.
»In der Arrestzelle.«
»Gut«, sagte Janeway. »Ich würde gern mit ihnen reden.«
»Wir haben noch ein anderes Problem«, meinte Chakotay.
»Unsere Fernbereichsensoren haben eine Televek-Flotte geortet, die sich mit fast Warp acht nähert. Die falschen Mittler behaupteten, es seien Rettungs- und Transportschiffe, aber inzwischen glauben wir, daß es sich um Schlachtkreuzer handelt. Es geht den Televek vor allem darum, das
Verteidigungssystem des Planeten in ihren Besitz zu bringen.
Wichtigster Bestandteil davon ist die subplanetare
Energiequelle.«
»Darauf deuten auch die von uns gesammelten Informationen hin«, sagte Tuvok.
»Es befindet sich ein Schiff auf dem Planeten«, teilte Janeway dem Ersten Offizier mit. »Ein Schiff wie das im Orbit.«
Das Schott der Transportkapsel glitt beiseite, und sie betraten die Brücke. Chakotay ging voraus.
»Commander!« rief Rollins von der taktischen Station.
»Was ist los?« fragte Janeway direkt hinter ihm.
»Es gibt Schwierigkeiten, Captain. Die Televek haben ihre Schilde und die Zielerfassung der Waffensysteme aktiviert. Sie wollen eine Kom-Verbindung mit uns herstellen, und wir können sie nicht länger hinhalten. Gantel hat gesehen, wie seine Leute von der Brücke verschwanden.«
»Verschwanden?« wiederholte Janeway und wölbte eine
Braue.
Chakotay nickte ernst.
»Willkommen an Bord, Captain«, sagte Paris und freute sich ganz offensichtlich über die Rückkehr der Kommandantin.
»Danke, Mr. Paris. Wir bleiben bei Alarmstufe Rot. Wie ist der Status unserer Waffen?«
»Die Photonentorpedos sind einsatzbereit«, erwiderte Paris.
»Im Gegensatz zu den Phasern.«
»Captain…« Stephens wandte sich halb von der
Funktionsstation ab. »Es treffen schon wieder Kom-Signale der Televek ein. Sie verlangen…«
»Na schön.« Janeway blickte zum Hauptschirm, beobachtete den großen Televek-Kreuzer und stützte die Hände an den Hüften ab. »Öffnen Sie einen Kanal, Mr. Stephens. Es kann losgehen.«
»Gantel«, sagte Triness ein wenig nervös, »der Assistent der Ersten Direktorin Shaale fordert einen Bericht von uns an.«
Niemand von ihnen hatte direkt unter dem Kommando von Shaale gearbeitet, nicht einmal Gantel, der ihr nur einmal begegnet war. Deshalb erfüllte der bevorstehende Kontakt sie alle mit Unruhe.