FREITAG

Der Tag

Als er wieder erwachte, war es hell. Er hatte keine Nadel mehr im Handrücken, den Einstich verdeckte ein Pflaster. Er war in einem Dreibettzimmer. Ein Bett war leer, im anderen lag jemand, von dem nur das schüttere Blondhaar zu sehen war. Ein eher dicker als dünner Mann. Er schnarchte leise.
Im Bad hing ein Krankenhaushandtuch. Er zog das Krankenhausnachthemd aus. (Kann Ihnen jemand Sachen bringen? Nicht im Moment. - Ein Bruchstück.) Morgentoilette eines Herrn am Anfang des dritten christlichen Jahrtausends, ohne Rasur und ohne Zähneputzen, dafür hatte er nichts da. Der blonde, stupsnäsige Junge im Spiegel bin immer noch ich. Im Mundwinkel trage ich ein Fieberbläschen.
Flora.
Ab jetzt, da du mir heute das erste Mal wieder eingefallen bist, wirst du nicht mehr abwesend sein.
Der Zimmergenosse schnarchte leise, als Kopp das Bad das erste Mal verließ, um seine Kleidung zu holen, und auch beim zweiten Mal, als er, nun bekleidet, herauskam. Kopp schloss die Zimmertür leise hinter sich. Er verließ das Krankenhaus noch vor dem Frühstück und vor der Visite, auf eigene Verantwortung. Wo muss ich unterschreiben? Er nahm ein Taxi nach Hause.
Im Briefkasten lag sein Führerschein. Danke, liebes Amt. Ich bin nahezu gerührt, wie gut (pünktlich, korrekt) das funktioniert. Mein Vertrauen in die Stabilität unserer Weltordnung wird dadurch maßgeblich gestärkt.
Die Wohnung war, wie er sie verlassen hatte. Er warf kurze Blicke auf das, was auf seinem Weg zur Terrasse lag: die geschlossene Tür des Blaubart-Zimmers, die geschlossene Tür zu Floras Zimmer. Bis zum Schlafzimmer kam er nicht mehr, vorher ging er die Treppe hoch.
Die Aussicht von der Terrasse war schön, wie eh und je. Wo du auch immer hinschaust, kündet sie von unserem Reichtum. Häuser, Straßen, Pflanzen, nichts leidet einen Mangel. Das heißt, vielleicht die Pflanzen, ein wenig. Sie wirken trocken und verstaubt. Gefallene Blätter wandern auf den Parkwegen und Gehsteigen herum, wie kleine Fußgänger. Wo sie sich bewegen, sind sie noch wie Lebewesen, wo sie in Gruppen liegen bleiben, hinter Kanten, in Ecken, sieht man ihnen das Gefallensein schon an. Kurz und gut, es wird Herbst werden, es ist schon Herbst. Aber hier oben blühen noch Ziersalbei, Zierwinde und duften die Kräuter. Flora. Während er telefonierte, ließ er die linke Hand in einen Busch Rosmarin hängen.
Guten Tag, mein Name ist Darius Kopp. Könnten Sie, freundliche Stationsschwester, mir die Durchwahl meiner Mutter, Frau Greta Kopp, in Zimmer 71, verraten?
Er bekam die Nummer, er rief sie an. Es ging niemand ran. (Warum musst du, und zwar jedes Mal, denken, ob sie vielleicht schon tot ist? Und was empfindest du dabei? Schrecken, Erleichterung, dann wieder Schrecken und dann erst Trauer? (Ist es Trauer?))
Verzeihen Sie, ich bin’s wieder. Könnten Sie für mich nachsehen, wieso meine Mutter nicht ans Telefon geht? Ich mache mir Sorgen.
Vielleicht schläft sie.
Ach so, ja, das kann auch sein. Könnten Sie trotzdem nachsehen?
Sie schlief nicht, sie hatte nur nicht begriffen, dass das Klingeln des Telefons, das sie sonst als Fernbedienung für den Fernseher benutzte, ein tatsächliches Klingeln war. Aber jetzt war sie dran.
Wie geht es dir?
Gar nicht mal so schlecht. Wasser, Salz, Zucker, Vitamine, Beruhigungsmittel und durchblutungsfördernde Medikamente über die Nadel zu bekommen, kann einen erstaunlich schnell und gut aufbauen. Morgen soll ich entlassen werden. Oder am Montag.
Und, was ist herausgekommen?
Nichts. Neues Medikament, 21 Tage Infusionstherapie, aber die kann ich ambulant machen, bei meinem Hausarzt. Sie haben einen Bringdienst organisiert. Sehr nette junge Frau.
Kopp war erleichtert, das zu hören. Es entstand eine kleine Pause (Und dir? Wie geht es dir? Ich war auch im Krankenhaus. Asthmakrise. Aber ich würde es sowieso verschweigen, also insofern …), dann sagte Greta wieder, dass sie morgen (Samstag) oder spätestens am Montag entlassen werden soll.
Ich komme spätestens am Sonntag. (Flora.)
Ist gut.
 
Er duschte erneut, in der eigenen Dusche wird man doch sauberer. Frühstück? Schon wieder kaum mehr was da. Flora. Verlässt du mich, weil ich immer alles aufesse und nie etwas nachkaufe? Wer sagt denn, dass ich dich verlasse? Ja, wer?
Kleidung, Köfferchen. Vergiss nicht, deinen Führerschein und die Fahrzeugpapiere einzustecken.
Das Auto - der nachtblaue Lack, die Scheiben - war von Staub bedeckt, die Räder steckten bis zur Hälfte in gefallenen Blättern. Er reinigte lange die Scheibe (mit der Anlage, einen Schwamm fasse ich nicht an). Während der ganzen Fahrt flogen immer wieder trockene Blätter davon, die sich zwischen Motorhaube und Frontscheibe gesammelt hatten.
Er genoss das Autofahren, obwohl es ein übliches Chaos war, Zusammenrottungen an Ampeln und in Seitenstraßen, aber Darius Kopp war geduldig. Das Radio brachte die Nachrichten aus unserer kleinen Agglomeration und der Welt.
 
Er hatte die größten Verknotungen gerade hinter sich gelassen und fuhr recht zügig auf einer sechsspurigen Straße auf einen großen Kreisverkehr zu, als Anthony anrief.
Wie aus dem Schlaf gerissen. Kopp bekam (unerwartet) so heftiges Herzklopfen, dass das Auto einen Schlenker machte. Er wurde von der Nebenspur aus angehupt. (Arschloch.)
Anthony! Wie geht es dir?!
Gut, Anthony ging es gut.
Seit wann bist du wieder zurück?
(Du sollst ruhig wissen, dass ich alles weiß.)
Seit eben.
Did you enjoy … it?
Indeed. Ob Därjäss seine Abrechnungen schon gemacht habe.
(Auch ich soll ruhig wissen, dass er alles weiß. Erneutes Herzklopfen. Andererseits: Leck mich doch.)
Ja, ja, schon Mittwoch den Großteil, den Rest dann gestern. Nur noch nicht abgeschickt.
Er solle sie abschicken, damit er sein Geld bekomme.
Ja, das werde ich.
Was machst du gerade? Fährst du Auto? Ist es dir möglich, anzuhalten? Please?
Ich bin bald da.
Als Anthony nicht antwortete, wechselte Kopp drei Spuren nach rechts und hielt an.
Um es kurz zu machen, sagte Anthony, gestern hatten wir noch nicht die Erlaubnis, darüber zu sprechen, aber es ist folgender Weise: Wir werden eine Fusion mit Opaco eingehen. Am Montag wird es bekannt gegeben. Es wird ein Merger of equals werden, man wird den Namen Opaco-Fidelis führen. Der gemeinsame CEO wird Mister Lionel Zimmer werden, Mister Daniel King wird der COO. Die Offices in Sunnyvale, California, werden zusammengelegt mit den Offices in Milpitas, California. Unser Office in London, UK, bleibt unter meiner Leitung bestehen. Es wird in Zukunft alle Projekte und Partner in West- und Nordeuropa betreuen. Ost- und Südeuropa wird von Opacos Office in Bucharest, Romania betreut, die DACH-Region von Opacos Office in Zurich, Switzerland. That’s it. I am sorry.
Ou, sagte Kopp, wie ein echter Engländer. Is it true?
Anthony bestätigte. Es ist wahr, es ist so, wie er es gesagt hat.
Wann wurde das entschieden?
Letztes Wochenende.
(Als wir im Garten, als wir im See, auf dem Hügel, als wir im Stau, als wir im Kino … Und Bill, gestern. Bill, vor 12 Stunden.)
Dein Geld wirst du natürlich bekommen. Sorry, dass es so lange gedauert hat.
Ja, sagte Kopp, der sich fangen musste - Über Bill enttäuscht sein, hast du später noch alle Zeit der Welt - und das auch tat. Ich bin schließlich ein Profi. Ja, ich gehe selbstredend davon aus, dass ich mein Geld bekommen werde. War ja auch teilweise meine Schuld. Dass es so lange gedauert hat, meine ich.
Darauf sagte Anthony nichts.
Was wird mit den Produkten?
Welchen Produkten?
Unseren.
Fidelis und Opaco freuen sich beide sehr auf die Synergie-Effekte, die durch diesen Zusammenschluss entstehen. Keine andere Company hat nun diese Breite an Produkten, die so viele verschiedene Marktsegmente bedienen kann.
Verstehe.
(Übrigens. Das mit dem Geld der Armenier … Mir scheint, ich hab das nur geträumt …
Are you kidding with me?!?!?
Also sagte er nichts. Nichts davon.)
(Und was ist mit einer Abfindung? Bekomme ich eine Abfindung? Hierzulande ist es üblich, eine Abfindung zu bekommen. Auch das fragte er nicht.)
Wie lange, wie lange dauert die Kündigungszeit? Wem übergebe ich das Büro?
Das Büro wird aufgelöst.
Das habe ich verstanden. Aber wohin mit den Sachen?
Anthony war schon wieder ungeduldig geworden, er seufzte. Er wisse es nicht, also, zweifellos müssten sie jemandem überstellt werden, die Details könne man später noch besprechen, er müsse jetzt leider etwas anderes machen.
Verstehe, sagte Kopp. Er wünschte Anthony frohes Schaffen.
Danke, sagte Anthony und legte auf.
 
Der Verkehr, der an Darius Kopp vorüberrollte, war sehr dicht. Als wäre es ein Autozug. Später, als es etwas lichter wurde, fuhr er los. Er fädelte sich in die rechte Spur ein, wechselte in die mittlere, denn er wollte nicht abbiegen. Er wollte um den Kreisverkehr herumfahren, bis er wieder in die Richtung fuhr, aus der er gekommen war.
Mit dem Auto dauert es nur 1 Stunde 40 Minuten nach Maidkastell, ein Großteil der Strecke ist sechsspurige Autobahn und es gibt keine Geschwindigkeitsbegrenzung. 200 zu fahren ist schön. Unser Auto ist mit einem Allradantrieb, einem erhöhten Fahrgestell und einer kräftigen Offroad-Ausstattung bestückt und liegt selbst bei hohen Geschwindigkeiten ruhig in der Hand und auf der Straße. Der Motor läuft leise und rund, keine Nebengeräusche sind zu hören.
An der Autobahn standen Windräder. Die Schönheit von Windrädern. Manche haben einen grün beschatteten Fuß, andere einen rot-weiß gestreiften.
In der Stadt war großer Verkehr, am Freitag drehen alle noch einmal auf, obwohl die Radios schon morgens um 5 das Ende der Arbeitswoche verkündet haben. Es wurde viel gehupt. An einer grünen Ampel dauerte es 11 Sekunden, bis Kopp losfahren konnte. Er wartete geduldig. Ich glaube, ich habe noch nie in meinem Leben gehupt.
Am Krankenhausparkplatz gab es noch genau einen freien Platz. Ein wenig stehen wir auf den Weg hinaus, aber man passt noch vorbei.
Vor dem Haupteingang wurde auch diesmal geraucht. Eine Wolke ließ gerade die Sonne frei, ein Strahl fiel ins Gesicht eines Rauchers, er schloss die Augen, hielt sein blasses Gesicht hin und atmete tief ein. Kopp sah sich allen Ernstes nach den beiden dünnen Mädchen um. Es war nur eine da. Sie nickte ihm freundlich zu.
Hallo, Onkelchen.
In Kopps Gesicht gefror das freundliche Lächeln. Scheiß Teenies. Superspiel, dem alten Sack erst Freundlichkeit vorzutäuschen, um ihm dann in sein verletztes Gesicht zu johlen. Freu dich nur, du magersüchtiges Flittchen, das wird zweifellos der größte Erfolg sein, der dir jemals in deinem Leben beschert sein wird.
Aber dann stellte sich heraus, dass er tatsächlich der Onkel des Mädchens war.
Lore! Herrje, ich hätte dich fast nicht erkannt!
Sehr dünn, wirklich sehr dünn. Die Augen umso dicker schwarz umrandet. Stand schüchtern mit dem Rücken an der Wand.
Was machst du hier? Rauchst du?
Ja, musste mal sein.
Und außerdem besuchte sie die Oma. Mama ist auch da.
Sie sagt es so, als wüsste sie alles über uns.
Danke für die Warnung, sagte Kopp lächelnd. Dann dachte er, dass das blöd war.
Als Lore den Fahrstuhlknopf für die 2. Etage drückte, sah er, dass ihre abgeknabberten Fingernägel abwechselnd mit schwarzem und mit rosa glitzerndem Nagellack bepinselt und dass Zeige- und Mittelfinger schon etwas gelb waren. Überall waren Spiegel, an drei Wänden und auch an der Decke. Sie sahen beide zur Decke, lächelten sich über diesen Spiegel zu.
Wie geht es dir?
Gut.
Hier kamen sie im 2. Stock an.
Frau Monkowski, Marlene und Greta saßen auf Stühlen. Nicht im Zimmer 71, sondern im Besucherraum daneben. In einer Kiste bunte Holzbausteine für Kinder. Tommy und Merlin waren nicht da. Aber sie kommen bald wieder.
Wo sind sie hin?
Aufs Klo.
Ach so.
Hol dir doch eine Tasse vom Wagen auf dem Flur.
Wo?
Du musst daran vorbeigekommen sein.
Ich mach das schon!
Lore holte ihm eine Tasse, er bedankte sich. Kaffee hatte Frau Monkowski in einer Thermoskanne mitgebracht, denn der, der auf dem Wagen steht, ist nur für die Patienten. Als Kuchen gab es Pflaumenstreusel. Sind das schon neue Pflaumen? Woher denn? Tiefgekühlt. Macht nichts, schmeckt sehr gut.
Greta war frisch frisiert (Wer hat es gemacht? Kopp stellt sich der Reihe nach alle drei anderen Frauen vor. Oder jemand Unbekanntes, dessen Beruf das ist), die Locke über ihrer Stirn wurde von einer kleinen Schmetterlingsklammer zurückgehalten. Wenn sie wach und lebendig ist, fallen die Augenbrauen nicht so auf. Sie trug keine Bettkleidung, sondern eine hellblaue Bluse und einen beigefarbenen Rock. An den Beinen trug sie blickdichte Strümpfe. Frau Monkowski trug Lippenstift. Die erste 70jährige, die Kopp je gesehen hat, die damit nicht wie eine wahnsinnig gewordene Kokotte aussieht. Marlene traute er sich lange nicht anzusehen.
Tommy und Merlin kamen zurück. Merlin sah Kopp an, als wüsste er nicht, wer er ist. Oh, und außerdem saß er wohl auf seinem Stuhl.
Ach was, nein, bleib sitzen. Marlene nahm Merlin auf den Schoß. Er ist fast so groß wie sie, und hat mindestens ihr Gewicht. Er sitzt auch nicht auf ihr, er lehnt sich nur an ihr Knie. Tommy blieb stehen.
Tommy, wie geht es dir?
Gut. Und dir?
Ich bin heute entlassen worden.
Er nahm sich ein weiteres Stück Kuchen.
Wie es zuerst alle gar nicht kapieren, wie man es wiederholen muss, wie sie es kaum glauben mögen, wie sie es schließlich doch glauben.
Ist das wahr?
Ja.
Greta, Marlene, Tommy, Lore, Merlin sagten nichts (aber Merlin sah jetzt das erste Mal interessiert drein), Frau Monkowski fragte:
Wieso?
Meine Firma fusioniert mit einer anderen und sie behalten nur ein Büro in der Region Deutschland-Österreich-Schweiz. Nicht meins.
Frau Monkowski nickte. Das passiert heutzutage leider immer wieder.
Ja, sagte Kopp, lächelte, zuckte mit einer Schulter, you win, you loose.
Er senkte lächelnd den Kopf und nahm einen kleinen Löffel voll vom Kuchen. (Haben sie die Löffel auch mitgebracht? Aber warum dann nicht lieber Gabeln? Nein, sind wohl vom Patientenwagen.) Marlene, die seitwärts von ihm saß, legte ihm eine Hand auf den Unterarm. Die sturmgebeutelten künstlichen Fingernägel.
Du wirst einen anderen finden, sagte Marlene.
Ja, sagte er, das werde ich. Ich hab bis jetzt immer etwas gefunden. Wenn du kompetent bist, engagiert, loyal und so weiter, dann findest du auch was.
Ja. Du hast schließlich eine gute Ausbildung.
Apropos, was macht deine?
Endlich war es ihm gelungen, sie anzusehen. Blaugrüne Kaleidoskop-Augen, es schwindelt einem, wenn man hineinsieht.
Heute früh.
Heute früh?
Die Prüfung.
Du hast heute früh die Prüfung abgelegt?
Die erste.
Von wie vielen?
Drei.
Und?
Sie kannte das Ergebnis noch nicht, war aber zuversichtlich.
Kopp freute sich. Das ist gut. Das ist richtig gut, Marlene. Er strahlte seine Schwester an, sie lächelte zurück.
Sie verbrachten den ganzen Nachmittag miteinander. Als es dunkel zu werden begann, verabschiedeten sie sich.
Was machst du jetzt?
Ich fahre zurück. Ich muss zu Flora.
Über die Gesichter von Greta und Marlene huschte etwas. Nicht in Klammern: durch Eifersucht bedingtes demonstratives Desinteresse.
Es geht ihr grad nicht so gut. Sie ist erschöpft. Sie ist aufs Land gefahren.
In den Gesichtern von Greta und Marlene: noch einmal dasselbe. (Es kann sich nicht alles ändern.) In den anderen Anwesenden löste die Erwähnung Floras gar nichts aus.
 
Er fuhr zurück. Es ist nicht notwendig, durch die Stadt zu fahren, man kann über den Autobahnring außen herum fahren. Er fuhr außen herum. Das Navigationssystem kennt Gabys Straße nicht, er fand sie trotzdem gleich beim ersten Versuch. Als er einbog, fing es zu nieseln an. Die einzige Straßenlaterne der Straße blendete, er fuhr eine Grundstückslänge, ohne etwas zu sehen, außer der weißen Fläche, zu der die Windschutzscheibe geworden war. Dahinter war Gabys Haus.
Es war niemand zu Hause. Kopp sah, dass das Haus dunkel war, dennoch öffnete er das Gartentor. Als er durch den Garten ging, hatte er plötzlich ein Gefühl nicht nur von »das hier kenne ich«, nein, es war stärker, es war ein »ich komme hierher quasi nach Hause«. Das irritierte ihn so sehr, dass er stehen bleiben musste, noch bevor er die Terrasse erreicht hätte. Er stand im dunklen Garten und starrte auf die Entfernung zwischen sich und der Terrasse. Wenn das ein Wassergraben wäre, könnte ich ihn aus dem Stand überspringen? Plötzlich schien es ihm, als gäbe es keine andere Möglichkeit, diese Lücke, die sich aufgetan hatte, zu schließen.
Der Nachbar riss ihn heraus. Ein alter Mann, Flora weiß sogar den Namen. Seine Ängstlichkeit versucht er mit einer lauten Stimme zu bemänteln. Wer sind Sie, was wollen Sie?
Ich bin Darius Kopp, sagte Darius Kopp. (Das wird dem doch nichts sagen!) Ich bin der Mann … ich bin ein Freund von Gaby. Ich dachte, sie wäre hier.
Sind Sie der Mann vom Fräulein Meier?
(Der Mann von Fräulein Meier …?) Aber Kopp nickte. Und weil es dunkel war, sagte er es auch laut: Ja, der bin ich.
Sie sind auf dem Bauernhof. Eva hat Geburtstag.
 
Eva, das Geburtstagskind, war eine ältere Frau, sie trug einen Blumenkranz im grauen Haar. Sie saßen in großer Runde auf dem Hof, aber nah am Haus. Kopp glaubte den Mann, die Frau und das Kind vom Dorfstrand zu erkennen. Die anderen kannte er nicht. Sie waren schon beim Dessert und dem Wein. In Gläsern flackerten Teelichter. Flora saß mit dem Rücken zu ihm.
Gaby sah ihn zuerst. Sie berührte Flora am Unterarm und zeigte auf ihn.
Sie kam. Sie gingen ein wenig beiseite, um nicht ganz nah am Tisch zu stehen, aber auch nicht völlig im Dunkeln.
Kopp begann es so: Du bist die Liebe meines Lebens.
 
 
Die Nacht