6. Kapitel
Der Gefangene
Die Besprechung war beendet, und alle außer den frischgebackenen Unterhändlern verließen das Zelt. Marius hatte seinen Platz hinter dem Zedernholztisch verlassen. Nervös ging er im Zelt auf und ab.
„Seht euch diesen Bocchus genau an. Ihr müsst unbedingt versuchen, einen Keil zwischen ihn und Jugurtha zu treiben. Ich habe kein Problem damit, wenn ihr ihm alles versprecht, was gerade noch mit halbwegs gutem Gewissen machbar ist. Über die Einhaltung der Versprechungen kann dann zu einem späteren Zeitpunkt verhandelt werden. Langfristig brauchen wir Geiseln aus seiner Familie, um ein Stillhalten erzwingen zu können. Seht euch nach geeigneten Personen um.“
Marius zog sich wieder hinter seinen Zedernholztisch zurück.
„Ich werde eine Galeere an der Küste Mauretaniens auffahren lassen, damit zur Not ein anderer Weg zur Übermittlung der Informationen zur Verfügung steht als wieder zurück durch die Wüste. Ich hoffe, dass eure Mission ein Erfolg wird und dass ihr lebend zurückkommt.“
Lucius hatte nur mit halbem Ohr zugehört. In ihm hatte sich wieder die leise Stimme des Misstrauens gemeldet. Wie passend für Marius, ihn auf eine Reise mit derart ungewissem Ausgang schicken zu können. Sollte er seine Wahl zum Botschafter als ein Zeichen des wachsenden Vertrauens oder als einen raffinierten Versuch werten, den missliebigen Aufsteiger loszuwerden? Manlius jedenfalls genoss als Legat des Marius wohl wirklich dessen Vertrauen. Lucius zwang sich, die ganze Sache einmal mehr als Chance zu betrachten und sich weitere misstrauische Gedanken zu verbieten.
Nachdem beide eine Börse mit Goldstücken und identisch lautende Briefe mit Bevollmächtigungen empfangen hatten, versuchten sie die Zeit bis zum Morgengrauen zu ruhen, um für den kommenden Tag erholt zu sein.
Vor Sonnenaufgang trafen die beiden Unterhändler des Bocchus im Lager ein. Sie hatten zwei ledige Kamele bei sich und für jeden der beiden Römer ein Gewand, einen Umhang und ein Kopftuch. Manlius und Lucius wechselten die Kleidung, verstauten ihre Briefe und die Börsen und ließen sich zeigen, wie man den Sattel der ungewohnten Reittiere erklomm. Kein Mensch war im Lager zu sehen, als sie aufbrachen. Rom hatte sie aus seiner Gemeinschaft entlassen. Wenn sie Erfolg hatten, würden sie im Triumph zurückkehren, wenn nicht, waren sie für immer verloren.
Schwankend setzten sich die Kamele in Bewegung, so dass die beiden Römer Mühe hatten, das Gleichgewicht zu halten. Nur schwer gewöhnten sie sich in den nächsten Stunden an den wiegenden Gang der Tiere und waren nach kurzer Zeit völlig erschöpft. Doch ihre beiden Führer hasteten weiter, um noch vor der Glut des Mittags eine möglichst große Strecke zu bewältigen. Die Temperaturen waren mörderisch. Das Lager der römischen Truppen war durch die Palmen der Oase etwas geschützt gewesen, weshalb sie fast die Erinnerung verloren hatten, wie unmenschlich die Sonne auf den weißen Sand brennen konnte. Der Vormittag verging in einer Gluthitze von flimmernder Heftigkeit. Es erschien den beiden wie eine Ewigkeit, bis ihre Führer ihnen die Erlaubnis gaben abzusitzen um im Schatten eines schmalen Felsgrates zu rasten.
Zwei heiße und strapaziöse Tage später erreichten sie eine uralte Stadt, in deren Zentrum sich auf einem Hügel eine massige Festung erhob, ganz aus dem gelblichen Sandstein der Gegend gebaut. Die breiten Fächer einiger Dattelpalmen schwangen über den Rand der Mauer, wo vereinzelt mit Bogen bewaffnete Wachposten hinter den Zinnen zu erkennen waren. Die Stadt, die sich an die Burg schmiegte, war von staubiger Muffigkeit. Zwischen hohen Mauern verliefen schmale Gassen. Nur gelegentlich erlaubte eine offene Tür den Blick in Innenhöfe, die durch gespannte Tücher beschattet waren. Ihre beiden Führer quartierten sie in das Gästehaus einer Karavanserei ein und verschwanden, jedoch nicht ohne den beiden Römern zuvor einzuschärfen, sich nur ja nicht von diesem Haus wegzubewegen, bis sie Nachricht aus dem Palast erhielten. Lucius und Manlius, die nicht wussten, wie lange sie hier festsitzen würden, richten sich so gut wie möglich in ihrer neuen Umgebung ein. Sie nutzen die Zeit, um abwechselnd in ein nahe gelegenes Bad zu gehen oder stundenlang in ihren Zimmern zu dösen. Bevor sie noch ungeduldig werden konnten, wurden sie nach einigen Tagen im Morgengrauen von zwei Männern geweckt. Hastig kleideten sie sich an und folgten den Männern zum Palast.
Das Tor zur Festung war von mehreren Wachen mit blanken Schwertern scharf bewacht. Nachdem Lucius und Manlius den Durchgang passiert hatten, glaubten sie in einer anderen Welt zu sein. Hier gab es keine engen und verwinkelten Gassen wie in der Stadt, hier gab es weite Flächen, die von Palmen und aufgespannten Tüchern beschattet waren. Eine unübersehbare Menge an Menschen drängte sich hier, Händler, Handwerker, Sklaven und Wachen. In mehreren Öfen wurde Brot gebacken und Fleisch über offenem Feuer gegart. In einer Ecke hatte ein Schmied eine kleine Esse installiert und setzte Waffen und Messer instand. Die Wärme war am frühen Morgen bereits ziemlich drückend und Lucius fragte sich, wie diese Menschen es hier in der Glut der steigenden Sonne aushalten konnten.
Ihre beiden Boten gingen zielstrebig durch das Gewühl, die Bewohner der Burg wichen respektvoll zurück. So gelangten sie zu einem Eingang, der zu den inneren Teilen der Burg führte. Sie betraten einen großen, dämmrigen Raum, dessen weniges Licht lediglich durch die beiden Türöffnungen an den gegenüberliegenden Wänden fiel. Nur langsam gewöhnten sich ihre Augen an das Halbdunkel der Kammer, und nach und nach erkannten sie Einzelheiten ihrer Umgebung. Die Wände waren mit Mosaiken verziert, die aus blauen, weißen und grünen Kachelstückchen gefügt waren. Gekachelte Bänke zogen sich an den Mauern entlang, und die Mitte des Raumes zierte in kleiner Springbrunnen der mit leisem Geplätscher die Stille durchbrach. Je länger sie in dem Raum warten mussten, umso deutlicher trat die Pracht der Umgebung hervor, die hier im Zwielicht verborgen lag. Die Luft in dem Raum war angenehm kühl und ungewöhnlich feucht, fast modrig, ein Geruch, den Lucius seit Monaten nicht mehr in der Nase gehabt hatte. Sie hatten lange Zeit, die Umgebung zu bewundern. Lucius setzte sich und genoss die Kühle, Manlius allerdings wurde immer gereizter, je länger man sie hier in der Kammer warten ließ ohne sie zu beachten.
„Was denken sich diese Wilden? Wir sind Botschafter Roms!“ Wütend ging er im Kreis. „Wenn das die Wertschätzung ist, die wir hier genießen, dann kehren wir am besten gleich wieder um.“
Lucius versuchte ihn zu beruhigen. „Setz dich hin: Genieße doch die schöne Kühle. Es wird sicher nicht mehr lange dauern.“
Doch es dauerte noch eine ganze Weile. Denn erst als der Vormittag bereits fortgeschritten war, kam eine Wache und führte sie durch die zweite Tür nach draußen, ins Innere der Burg. Lucius fühlte, dass Manlius kochte, doch er hatte keine Geduld und keine Lust seinen Mitgesandten zu beruhigen.
Das helle Sonnenlicht traf ihre Augen wie ein Schlag. Sie mussten einige Augenblicke blinzeln, um die Blendung abzuschütteln und ihre Augen wieder umzugewöhnen. Dann standen sie erstarrt vor der Pracht und dem Luxus, der sich ihnen darbot. Sie waren in einen riesigen, rechteckigen Innenhof getreten, der aus weißem Marmor gebaut war. Die stirnseitige Begrenzung bildete eine von einer Kuppel überwölbte Halle. An den beiden Längsseiten liefen kiesbestreute Wege, gesäumt von zwei Reihen Rosenbüschen, deren rot und weiß gestreifte Blüten einen schweren Duft verströmten. Lucius hatte noch niemals eine vergleichbare Blüte gesehen und wäre begeistert davon gewesen, wenn nicht etwas anderes seine ganze Aufmerksamkeit beansprucht hätte: Die größte Fläche, fast die gesamte Breite des Hofes wurde nämlich durch eine blau schimmernde Wasserfläche eingenommen. Der Anblick des Bassins voll des reinsten und klarsten Wassers war nach all den Monaten in der Wüste einfach überwältigend, und nichts hätte in dieser Gegend den Reichtum und die Macht eines Fürsten besser illustrieren können als diese verschwenderische Zurschaustellung von nichts anderem als nur Wasser. Die Wachen waren den Eindruck gewohnt, den der Anblick bei allen Gästen machte und ließen den Besuchern ein wenig Zeit zum Staunen. Dann erst führten sie die Abordnung über den Kiesweg zur Halle am Ende des Hofes.
Der große Raum war von einer Kuppel aus fein gegliedertem Stuck überwölbt. Die Wölbung war in Hunderte, ja Tausende kleiner und kleinster Untergewölbe gegliedert, zwischen denen das Licht wie gefiltert in den Raum drang und die Szenerie in einen goldenen Schimmer tauchte. Der Fußboden aus Marmor war mit farbigen Teppichen und Polstern belegt, auf denen einige Männer lagerten. Unschwer identifizierte Lucius den Mann in der Mitte als König Bocchus. Er ging wohl auf sein sechzigstes Lebensjahr zu, war von schlanker Statur, mit einem schmalen, gelblich braunen Gesicht, das von der Schwere der königlichen Würde gezeichnet schien. Die Oberlider bedeckten die großen gelben Augäpfel zur Hälfte und die Unterlider hingen in schweren Tränensäcken herab. Sogar die Mundwinkel des Mannes zogen sich in einer Kurve nach unten, was dem schmalen Mund einen hoheitsvollen Ausdruck verlieh. Auf der Faust des Mannes saß ein kleiner Falke, den er Fleischstückchen von seiner Hand kröpfen ließ. Der Falkner kniete daneben und reichte ihm die zugeschnittenen Happen. Als die Gesandten den Raum betraten, übernahm der Falkner den Vogel und setzte sich mit ihm an den Rand des Saales.
Die beiden mauretanischen Botschafter sanken in die Knie, Lucius verneigte sich mit der Hand auf der Brust und Manlius begnügte sich damit, nach militärischer Art die rechte Hand zum Gruß zu erheben. Bocchus musterte die kleine Gruppe und begrüßte sie in schleppendem Latein mit starkem Akzent. In einer nur angedeuteten Geste hob er die Hand, worauf sich der Grossteil des Hofstaates unverzüglich entfernte. Eine weitere Geste lud die römischen Botschafter ein, sich zu setzen und Lucius folgte, ebenfalls in gemessener Bewegung der Einladung, als er entsetzt bemerkte, dass Manlius stehen blieb und in scharfer Knappheit grüßte.
„Das Volk von Rom grüßt König Bocchus.“
Lucius konnte nicht mehr aufstehen, sondern beobachtete aus seiner sitzenden Haltung, wie Manlius einen Schritt vortrat und dem Fürsten die Schriftrolle mit den Bevollmächtigungen reichte. Aber anstatt einige verbindliche Worte zu finden oder zumindest respektvoll zu schweigen, blaffte er den Fürsten in Befehlston an: „Gaius Marius, Konsul Roms und Oberbefehlshaber der römischen Truppen, hat mich beauftragt, euer Gesuch zu beantworten. Die Botschaft lautet, dass wenn ihr euch Rom anschließt und in Zukunft darauf verzichtet, den Verräter Jugurtha zu unterstützen, euch Rom euer bisheriges Verhalten verzeihen wird. Bedingung dafür ist allerdings, dass ihr euch sofort entscheidet und als Zeichen eures guten Willens mehrere Geiseln königlichen Blutes ausliefert.“
Lucius war während dieser Ansprache zu Eis erstarrt. Wie konnte sich Manlius nur so gehen lassen, wie konnte er nur mit ihren wahren Absichten herausplatzen. Nur wegen seines verletzten Stolzes musste es nun bei erster Gelegenheit den starken Mann markieren. Lucius sah die versteinerten Mienen der Zuhörer und wusste nicht, wie er reagieren sollte. Weder konnte er Manlius zu sich auf die Polster ziehen, noch wollte er jetzt aufstehen und sich neben ihn stellen. Fieberhaft überlegte er, wie er dem Gesagten die Spitze nehmen konnte, doch sein Verstand war wie eingetrocknet. Das bleierne Schweigen zog sich hin. Die Gesellschaft war wie erstarrt. Um sich irgendwie aus der lähmenden Verlegenheit zu befreien, wandte sich Lucius dem Falkner zu. Der kleine Vogel auf dessen Faust plusterte sich nervös auf. Lucius berührte mit dem Finger den scharfen, gebogenen Schnabel. Der Vogel ließ ein leises Zischen hören, doch Lucius wagte es, dem Falken das Brustgefieder zu streicheln, was sich der Vogel gefallen ließ und was ihn wieder beruhigte. Endlich hatte Lucius seine innere Gelassenheit wenigstens teilweise wieder gefunden. Er sah auf, und seine Augen begegnetem dem schweren Blick Bocchus. Der Fürst betrachtete ihn einen Moment nachdenklich, dann winkte er wortlos und hoheitsvoll mit der Hand, und die Wachen beeilten sich, die beiden Botschafter Roms aus dem Saal zu bringen.
Als sie vor der Festung standen, meinte Lucius vor Wut schreien zu müssen, dümmer und ungeschickter konnte man sich überhaupt nicht anstellen als Manlius es eben vorgemacht hatte. Mit Bocchus als Verbündeten hätten sie eine Chance gehabt, den zermürbenden Kleinkrieg zu beenden, den sie seit einigen Monaten zu führen gezwungen waren. Anstatt irgendwelche Ansprüche zu verkünden, hätte man erst einmal in Erfahrung bringen müssen, was denn überhaupt hinter dem Versuch steckte, mit den Römern zusammenzuarbeiten. Wenn nicht die strenge Hierarchie jede Kritik an seinem Vorgesetzten verboten hätte, Lucius hätte Manlius den Kopf gewaschen. Schließlich waren sie kommentarlos vor die Tür gesetzt worden. Doch wie die Dinge lagen, musste er seinen Ärger hinunterschlucken und sich Manlius’ ungeschickte Versuche anhören sein Vorgehen nachträglich zu rechtfertigen. Dieser war sich nämlich selbst unsicher geworden, ob sein Tonfall der Sache genutzt hatte und versuchte nun Lucius von seiner Taktik zu überzeugen. „Mit diesen Wilden muss man zur rechten Zeit ein klares Wort sprechen. Wir sind schließlich die größte Macht der Welt. Jetzt sind die Fronten klar, und die nächsten Tage werden zeigen, was uns dieser Orientale zu bieten hat. Der braucht nicht zu glauben, dass er uns auf den Arm nehmen kann.“
Lucius kniff die Lippen zusammen und bemerkte statt einer Erwiderung nur, dass es wohl nötig wäre, in der Karavanserei Bescheid zu geben, dass sich ihr Aufenthalt auf unbestimmte Zeit verlängern werde.
Aus der Festung drang mehrere Tage lang keine Nachricht zu den beiden Botschaftern. Lucius saß wie auf glühenden Kohlen. So dringend er an dem Feldzug hatte teilnehmen wollen, so dringend wollte er aus diesem staubigen Land wieder fort. Zwischenzeitlich würden in Rom die nächsten Wahlen stattfinden, und wenn es ihnen nicht gelänge den Krieg in Numidien zu beenden, dann würden sie hier verrotten. Er wagte es nicht sich aus der Karavanserei zu entfernen aus Angst, ein Bote aus der Festung würde Manlius allein antreffen und ihm die Möglichkeit zu neuen Unbesonnenheiten geben.
Endlich, am Morgen des achten Tages, kam die erlösende Botschaft.
„Bocchus, der Fürst Mauretaniens, erwartet den Römer mit den blauen Augen bei Sonnenuntergang in seinem Palast.“ Manlius lächelte verständnislos und riskierte sogar eine Nachfrage, doch der Bote fügte nur noch hinzu: „Den Römer mit den blauen Augen, und zwar allein.“
Lucius Niedergeschlagenheit war zu Ende. Er jubelte innerlich, nach außen gestattete er sich lediglich ein Achselzucken. „Eine Spinnerei dieser launischen Orientalen,“ schien es zu sagen. Den Rest des Tages musste er sich Manlius Ratschläge und Unterweisungen anhören, der ihn damit sogar bis in den Hammam verfolgte.
Als Lucius bei Sonnenuntergang die Karavanserei verließ, erstaunte es ihn nur wenig, dass er vor der Tür von zwei Männern erwartet wurde, die ihn in ihre Mitte nahmen. Sie erreichten die Festung in der Dämmerung, und Lucius nahm das Tuch ab, das er schon ganz gewohnheitsmäßig um den Kopf geschlungen trug.
Wieder ließ man ihn eine Zeit lang in der Kammer warten, als er nach einiger Zeit von einem Wächter in den Hof geführt wurde, war schon die Nacht hereingebrochen. Zwei Reihen von niedrigen Laternen flankierten die Wasserfläche, die die Reflexe der Flammen in die Dunkelheit warf. Der Duft der Rosen lag schwer in der Luft und wurde nur hin und wieder durch einen leichten Lufthauch zerstreut. Am Ende der Wasserfläche lagerte Bocchus vor der Halle mit einigen Gesellschaftern. Die Teppiche und Polster waren nach draußen geschafft worden, um die Nachtluft genießen zu können. Sklaven reichten kniend Datteln und kleine Schälchen mit Süßigkeiten. Leise Musik erklang aus Instrumenten, wie sie Lucius noch nie gehört hatte. Man brachte ihn vor den Fürsten, und nachdem er sich verneigt hatte folgte er der Aufforderung sich zu setzen. Er nahm eines der Schälchen von einem Tablett, das ein Sklave ihm sogleich anbot und stellte verblüfft fest, dass der Inhalt so kalt war, dass das Gefäß beschlug. Er nippte an dem Getränk, das sehr süß war und ein blumiges Aroma verströmte.
Nach einer Weile des Schweigens, in der sie den verschlungenen Arabesken des Konzertes lauschten, sprach ihn Bocchus in seiner schleppenden Sprechweise an.
„Du verstehst etwas von der Falknerei?“
Lucius lächelte. „Gerade genug, um einen Vogel von herausragenden Qualitäten erkennen zu können. Als ich ein Kind war, gab es auf dem Gut meines Vaters ein paar Vögel, die allerdings bessere Zeiten gesehen hatten.“
„Wie alles da,“ setzte er in Gedanken hinzu und fuhr fort: „Denn unser Hauptaugenmerk lag auf der Zucht von Pferden.“ Der Fürst wirkte interessiert.
„Welche Rasse?“
„Keine der hier bekannten, Hoheit. Sie waren etwas größer als die Pferde deines Landes, schlank, von bräunlicher Farbe. Sie waren ausdauernd, aber nicht so wendig wie eure Tiere.“
Es entspann sich ein Gespräch über die Vorzüge der verschiedenen Pferderassen und von da zu den Eigenschaften der einzelnen Tiere, die Bocchus und Lucius je geritten hatten. Sehr vorsichtig, ja verlogen umkreisten sie ihr eigentliches Thema. Aber es gelang ihnen auch nicht, ein völlig anderes Gespräch zu beginnen, und so erzählte Lucius von Ventus dem ersten, dem zweiten und von ihren Nachfolgern, von den Reiterübungen auf dem Marsfeld und den Pferderassen des römischen Reiches. Genau da hielt er inne und begann wieder mit Fragen nach Bocchus Lieblingspferden. Auch dieser schaffte es immer wieder kurz vor dem unausgesprochenen Kernpunkt ihrer Unterhaltung zu wenden und unverfängliche Themen anzuschneiden. So ging der Abend dahin und die beiden hatten, ohne es wörtlich zu erwähnen, von nichts anderem gesprochen, als von den beiden Reitergefechten, in denen Jugurthas Kavallerie fast völlig aufgerieben worden war.
So war Mitternacht schon lange vorüber, als Lucius um die Erlaubnis bat sich zurückziehen zu dürfen. Der Fürst entließ ihn huldvoll und lud Lucius für den kommenden Abend ein erneut sein Gast zu sein. Dieser bedankte sich mit einer tiefen Verneigung.
Viele Abende verbrachte Lucius am schimmernden Bassin, eingehüllt vom schweren Duft der gestreiften Rosen. Noch tief in der Nacht lag die Luft dicht und warm in dem abgeschiedenen Innenhof, denn anders als in der Wüste brachte die Dunkelheit hier kaum Abkühlung. Er trank eisgekühlte Scherbets und aß Ragouts, die mit getrockneten Früchten und Honig gesüßt waren. Der Hof war erfüllt von der leisen Musik, die mit ihrem drängenden Rhythmus das Raunen und Flüstern des Hofstaates begleitete. Er sprach über Musik und erzählte von Theater und Gladiatorenkämpfen. Und immer wieder fragte der König nach Pferden. Vorsichtig umkreisten sie ihr eigentliches Thema, und wie zwei meisterliche Musiker ihre Instrumente mit feinstem Sinn aufeinander einstimmen, so stimmten sie sich im Ton und in den Gedanken aufeinander ein.
Schließlich wagte Lucius einen Vorstoß. Nachdem er wieder einmal die Freuden und Zerstreuungen der Hauptstadt geschildert hatte, seufzte er tief und blickte gedankenvoll zum Nachthimmel empor.
„Du kannst dir nicht vorstellen, wie sehr ich meine Heimat vermisse,“ sagte er. „Ich bete jeden Abend zu Minerva, sie möge diesen elenden Krieg in Numidien beenden und uns nach Hause zurückführen oder mir zumindest einen ruhmvollen Tod in der Schlacht bestimmen.“
„Ihr wollt nicht hier bleiben, wenn der Krieg zuende ist?“ Lucius jubilierte innerlich, der Fürst hatte den Faden aufgegriffen.
„Nein, niemals! Selbst wenn ich das wollte, Rom hat noch niemals größere Truppenverbände in den von ihm befriedeten Gebieten belassen.“
„Und wie kann Rom dann sicher sein, dass der Frieden von Dauer ist?“
„Indem die Macht dort in die Hände erfahrener und weiser Männer gelegt wird, die den Frieden ebenso sehr lieben wie Rom selbst.“
Lucius hätte das Thema zu gerne weiter vertiefet, doch der König winkte einen Sklaven herbei.
„Lieber Freund, versuch diese Frucht, sie ist so süß wie die Liebe.“
Lucius lächelte schief und nahm ein Stück der rosenroten Frucht. Der König schien nicht geneigt, mehr über die diplomatischen Züge Roms hören zu wollen, und es dauerte einige Abende, bis Bocchus von sich aus darauf zurückkam.
Es war Lucius schwer gefallen, seinen Eifer zu zügeln, er wusste, dass er ganz nah an einem Ergebnis war, aber er wusste auch, dass jedes noch so kleine Zeichen der Ungeduld als Schwäche gewertet werden würde. Deswegen hielt er sich mit aller Macht zurück, so groß auch sein Drang war, wieder vom Krieg zu sprechen. Endlich wurde er für seine Geduld belohnt.
„Du bist ein ehrenhafter Mann, Sulla!“, begann Bocchus eines Nachts. „Ich selbst würde niemals an einem deiner Worte zweifeln, doch als Fürst meines Volkes kann ich meine Entscheidungen nicht auf das Wort eines Freundes gründen. Wenn unsere Freundschaft zu einer Freundschaft zwischen unseren Völkern werden soll, so brauche ich eine Nachricht aus Rom, von deinem Senat.“
Lucius jubelte innerlich. „Ich verstehe, dass du das brauchst, und so rate ich dir, Männer deines Vertrauens nach Rom zu schicken und mit dem Senat zu besprechen was zu besprechen ist.“
„Dieser Gedanke ist der einzig richtige, doch ist seine Ausführung nicht möglich. Jedes Schiff, das den Hafen verlässt, wird von Spähern beobachtet, und es wäre nur schädlich, zum jetzigen Zeitpunkt Aufsehen zu erregen und Misstrauen zu wecken.“
„Es gibt doch eine Möglichkeit. In Kürze wird eine römische Galeere vor euren Küsten kreuzen, Konsul Marius hat es mir zugesagt. Wenn du die Botschafter in einer mondlosen Nacht mit einem Fischerboot an Bord bringen lässt, so wird es kein Aufsehen geben. Ich werde ihnen mehrere Schreiben mitgeben, die ihnen helfen werden, die richtigen Personen ausfindig zu machen und ihr Anliegen schnell und ohne große Hindernisse zum Erfolg zu bringen.“
„Du bist nicht nur ehrenhaft, sondern auch klug! Ich werde über deinen Vorschlag nachdenken.“
Eine Woche später gingen Bocchus Vertraute im Schutz der Dunkelheit an Deck der Galeere. Sie waren als Fischer verkleidet und trugen mehrere Schreiben bei sich, die Lucius vorbereitet und mit seinem Siegel verschlossen hatte.
Lange hatte er überlegt, an wen er die Botschafter in Rom verweisen sollte. Die meisten Politiker würden den Ernst und die Tragweite des Ansinnens nicht erkennen, deswegen hatte Lucius sich entschlossen, sie zu Metellus zu schicken. Er mutete diesem damit zwar zu, den Feldzug seines Erzrivalen und Widersachers Marius zu unterstützen, aber er war der einzige, der Lage hier kannte und die richtigen Entscheidungen im Senat herbeiführen konnte. Lucius hoffte, dass Metellus seine Rachegelüste im Zaum halten konnte, sonst würden sie alle in der Wüste vertrocknen.
Er hatte noch Briefe an seinen Hausverwalter und an seinen Bankier hinzugefügt, damit es den Mauretaniern, die in seinem eigenen Haus logieren würden, an nichts fehlen sollte. Nachdem er die Gesandten dem persönlichen Schutz des Kapitäns anvertraut hatte, ging er schweren Herzens von Bord. Am liebsten hätte er sie selbst bis nach Rom begleitet, doch hatte er keine Erlaubnis sich aus Afrika zu entfernen.
Auch die nächsten Wochen verbrachte er jeden Abend in Gesellschaft von Bocchus, doch die Leichtigkeit seiner Konversation hatte etwas gelitten. Die Anspannung belastete ihn, am liebsten hätte er nur vorbeigeschaut um zu fragen, ob schon eine Nachricht eingetroffen sei. Die Tage verbrachte er dösend in der Karavanserei, wobei er versuchte den Verhören von Manlius zu entgehen, der darunter litt, dass er in die zweite Reihe geschoben worden war. Er verfolgte Lucius mit düsteren Prognosen über ihr weiteres Schicksal, falls die Gesandten mit ungünstigen Nachrichten zurückkämen und machte seinen Partner schon im Vorfeld allein für ein Scheitern ihrer Mission verantwortlich.
Zäh und träge verrannen die Tage, während Lucius innerlich von seiner Unruhe aufgefressen wurde.
Aus Numidien kamen immer wieder Gerüchte und Nachrichten, die aber keinen Schluss auf die tatsächliche Lage der römischen Legionen zuließen. Mal hieß es, Jugurtha sei handlungsunfähig und hätte sich in der Wüste versteckt; mal hieß es, die römischen Truppen wären am Rande des Zusammenbruchs. Irgendwann fiel es Lucius auf, dass vor einigen Wochen in Rom die Wahlen statt gefunden haben mussten. Marius war nun nicht mehr Konsul und er selbst nicht mehr Quästor, ein Umstand, der seine Laune noch weiter verschlechterte. Als Manlius wieder anfing ihn mit seinen Sticheleien zu quälen, ließ er ihn brüsk stehen und ging in ein Bordell, um sich abzureagieren.
Die quälende Situation sollte mehrere Wochen anhalten. Niemand konnte vorhersagen, mit welchem Bescheid die Botschafter aus Rom zurückkehren würden, und im Falle einer Ablehnung wären ihrer beider Leben hier keinen Sesterz mehr wert. Doch endlich kam die lang herbeigesehnte Galeere in Sicht. In einer mondlosen Nacht gingen die Botschafter an Land und verschwanden umgehend in der Festung. Für Lucius wurde ein Schreiben in der Karavanserei abgegeben. Es war von Metellus, der mit keinem Wort die heikle Mission erwähnte, sondern sich ausführlich nach dem Befinden seines alten Freundes erkundigte und sich in weitschweifigen Berichten über die Vergnügungen des diesjährigen Wahlkampfes erging. Abschließend schwärmte er von einer noch ausstehenden Tierhatz in der „der Löwe mit der Hälfte einer Gazelle belohnt wird, wenn er sich tapfer schlägt...“ Lucius hatte keine Schwierigkeiten, die Botschaft hinter diesen harmlosen Worten zu entziffern, er sprang durch sein Zimmer und schrie vor Freude. Rom hatte weit reichende Zusagen gemacht. Mit der Unterstützung der mauretanischen Truppen hatten sie die Chance den Krieg zu beenden. Er fieberte dem nächsten Zusammentreffen mit Bocchus entgegen und schmiedete Pläne, wie die Hilfstruppen dem römischen Heer angegliedert werden könnten. Er war so zuversichtlich, dass er im Geiste bereits mehrere Kohorten Kavallerie und einige Verbände von Kamelreitern verplante.
In aufgeräumtester Stimmung fand er sich am folgenden Abend bei seinem fürstlichen Freund ein.
Nichts in dem eleganten und ruhigen Innenhof deutete darauf hin, dass Mauretanien in Kürze an der Seite der Römer in den Krieg ziehen würde. Die Stimmung war so entspannt und so gemessen wie eh und je. Bocchus empfing ihn in der gewohnten Herzlichkeit, ja sogar noch eine Spur freundlicher als sonst. Als Lucius sich gesetzt hatte, deutete er sogar eine Neigung des Kopfes an und bedankte sich für die zuvorkommende Behandlung, die seine Botschafter in Rom erfahren hatten, unzweifelhaft zurückzuführen auf die Empfehlungsschreiben des ehrenwerten Sulla. Bocchus klatschte in die Hände, worauf ein Diener mit einem prächtigen Gewand aus des Königs eigenen Truhen erschien, das er Lucius als Zeichen der fürstlichen Hochachtung überreichte.
Mit keinem Wort erwähnte Bocchus die Versprechungen und Zusagen Roms, und wenn Lucius nicht das Schreiben von Metellus gelesen hätte, hätte er völlig im Dunklen getappt. Lucius war so von seiner Hochstimmung getragen, dass er seine gemessen diplomatische Art vergaß und schließlich heraus brach: „Ich hoffe, dass die Nachrichten, die deine Botschafter aus Rom brachten, dein Wohlgefallen gefunden haben und dich von der Lauterkeit römischer Absichten überzeugen konnten.“
Bocchus sah ihn mit einem freundlichen, aber völlig undurchsichtigen Lächeln an.
„Roms Absichten standen für mich immer außer Zweifel, und die Botschafter haben mich mit ihren Berichten nur in meiner Meinung bestätigt. Doch verzeih mir, wenn ich dir sagen muss, dass ich an Roms Stärke nicht in demselben Umfang glauben kann. Mauretanien ist ein kleines Land, das schnell im Kampf zweier Giganten zerrieben werden kann, wenn es sich zum falschen Zeitpunkt einmischt.“
Lucius’ Kinnbacken gaben nach, so verblüfft war er. Er hatte Mühe seinen Mund geschlossen zu halten. Der Fürst schien nichts zu bemerken und fuhr im Plauderton fort: „Doch lassen wir an unserem letzten gemeinsamen Abend die ernsten Themen beiseite. Meine Musiker haben ein neues Stück einstudiert. Willst du es dir anhören?“
Als Lucius am nächsten Morgen Manlius über das Gespräch mit dem Fürsten berichtete, bekam dieser den erwarteten Wutanfall.
„Wie konnte ich dir nur in einer derartig wichtigen Mission die Führung überlassen! Ich war ein Narr. Ich habe mich von deiner verdammten Selbstsicherheit einwickeln lassen. Jetzt ist alles verpfuscht, die Chance verspielt, die Gelegenheit vorbei. Wir werden zu den Truppen zurückgeschickt wie zwei Schulbuben. Ohne das geringste Ergebnis. Was meinst du wohl, was Konsul Marius uns erzählen wird?“
„Nur Marius, ohne Konsul!“, unterbrach ihn Lucius muffig. „Jetzt beruhig dich, ich verstehe deine Enttäuschung, doch wir müssen einen klaren Kopf behalten. Bocchus hat sich immerhin nicht endgültig festgelegt. Der alte Fuchs will sich einfach noch beide Parteien warm halten, um sich für den Stärkeren zu entscheiden, wenn ein Vorteil sich abzeichnet. Kein sehr ehrenwertes Verhalten, aber verständlich. Wenn wir die Verhandlungen jetzt für gescheitert erklären, verlieren wir ihn als möglichen Verbündeten aus den Augen. Du solltest nicht unterschätzen, dass der Fürst mich wirklich zu mögen scheint, das kann uns noch nützlich werden.“
Manlius bebte noch immer vor Wut, verzichtete aber auf eine Erwiderung. Schweigend packte sie ihre Bündel, denn die Beduinen warteten bereits vor dem Tor, um sie zu den Truppen zurück zu begleiten.
Den ganzen Heimweg über arbeiteten Lucius und Manlius an einer Version ihrer Erlebnisse, die das magere Ergebnis der mehrmonatigen Verhandlungen wie einen diplomatischen Erfolg aussehen lassen sollte. Als Manlius schließlich die Geschichte in der Versammlung der Offiziere vortrug, fand sogar Lucius selbst, dass niemand die Sache hätte besser machen können. Auch die anderen waren von ihren Bemühungen überzeugt, und doch war die Enttäuschung groß. Marius wirkte angespannt und nahm die Berichte mit verkniffenem Schweigen zur Kenntnis. In den vergangenen Wochen war den römischen Truppen kein einziger militärischer Erfolg beschieden gewesen, was wohl in erster Linie daran lag, dass Jugurtha die Taktik geändert und keine große Schlacht mehr riskiert hatte. Stattdessen hatte er die unerwarteten Angriffe aus dem Hinterhalt fortgesetzt, so dass sich die Römer zu keiner Zeit des Tages mehr sicher fühlen konnten. Durch Brandstiftung hatten sie wertvolles Material verloren, und es war den Angreifern immer wieder gelungen Vorräte trotz stärkster Bewachung zu vernichten. Brunnen waren mit Aas vergiftet und Pferde in der Nacht in die offene Wüste gejagt worden.
Die Versorgung über die ganze Strecke bis zur Küste aufrecht zu erhalten, bedeutete einen riesigen Aufwand an Material und Mannschaften, und doch konnten sie es sich nicht erlauben, die Truppen wieder zurückzuziehen und eroberte Gebiete preiszugeben. Das römische Heer war in der bestehenden Situation gleichsam festgenagelt und benötigte alle Kräfte, um die Stellung zu halten. Jede weitere Bewegung hätte zusätzliche Truppenteile erfordert, doch ein Gesuch an Rom war bereits einige Wochen zuvor abschlägig beschieden worden. Marius hatte im Ton größter Selbstverständlichkeit Verstärkung aus der Heimat angefordert, doch man hatte ihm klipp und klar geantwortet, dass man von ihm erwarte, dass er auch ohne Unterstützung zurechtkäme. Alle verfügbaren Kontingente würden an der Nordgrenze des römischen Reiches benötigt, um marodierende Horden keltischer Stämme abzuwehren. Bis auf weiteres wäre nicht ein Mann verfügbar. Die letzte Hoffnung hatten nun alle in die Mission in Mauretanien gesetzt, doch auch diese Aussicht war nun dahin. Lucius erfuhr dies alles zum ersten Mal hier in der Offiziersbesprechung, und die Nachricht traf ihn hart. Im tiefsten Inneren war er doch davon überzeugt gewesen, dass Mauretanien nur eine Möglichkeit von vielen wäre und sich schon irgendeine andere Tür für sie auftäte. Weder er noch sonst irgendjemand konnte in dieser Besprechung einen weiteren konstruktiven Vorschlag machen, so dass die Unterredung dann schnell beendet war.
Die folgenden Tage waren durch regelmäßige kleinere Angriffe aus dem Hinterhalt geprägt. Die Nadelstiche schienen zunehmend die nördlich liegenden Truppenteile zu treffen, während die Vorhut im Süden weniger abbekam. Die Offiziere und sogar Marius selbst waren so von ihrer Mission, der Eroberung ganz Numidiens erfüllt, dass sie eine Weile brauchten um zu bemerken, dass das Land vor ihnen immer weniger verteidigt wurde. Dass dafür allerdings die Gegner sie von Westen und Osten in die Zange zu nehmen begannen, fiel ihnen erst auf, als es schon fast zu spät war. Wenn die Numidier es schaffen würden, einen Teil der nördlichen Truppen von der Kerntruppe abzuspalten, so wäre ihr Nachschub unterbrochen und sie würden sich nur noch kurze Zeit halten können. Die Gegner schienen ihren strategischen Vorteil genau zu kennen und ließen die Römer spüren, dass sich die Schlinge zusammenzog. Marius entschloss sich schweren Herzens, Gebiete aufzugeben, die Truppen weiter nördlich zu sammeln und für einen gemeinsamen Ausfall nach Norden zusammenzuführen. Jugurtha hatte seine Krieger zwischen die Römer und die Küste geschoben und die Verbindung fast gänzlich abgewürgt, nur noch wenige Posten konnten eine spärliche Versorgung gewährleisten. Es hätte nicht viel gefehlt, und Panik wäre ausgebrochen. Mit aller ihm zu Gebote stehenden Autorität hielt Marius die Offiziere ruhig und schaffte es, die Moral der Truppen aufrecht zu erhalten. Man hatte nur noch wenig Zeit, und die Kräfte würden nur für einen einzigen, geballten Angriff ausreichen. Wenn es nicht gelang, den Durchbruch zum Meer zu erzwingen, wären sie alle verloren.
Lucius konnte nicht an den Erfolg eines militärischen Schlages glauben. Selbst wenn ihnen der Durchbruch gelänge, wären sie bestenfalls wieder soweit, wie sie vor einigen Wochen schon gewesen waren. Allerdings würden sie wieder Männer verlieren, wodurch der Feldzug sich weiter in die Länge ziehen würde. Er verstand die Haltung von Bocchus nur zu gut. Die beiden Kontrahenten hatten sich ineinander verbissen, es konnte noch viel Zeit vergehen bis einer der beiden den Sieg davon tragen würde. Die Verluste waren hoch und der Ausgang ungewiss. Er war sich allerdings sicher, dass Bocchus’ Eingreifen das Pendel zur einen oder anderen Seite würde ausschlagen lassen, doch der würde erst dann eine Seite unterstützen, wenn er sich sicher war.
Lucius Nervosität raubte ihm seine innere Gelassenheit, er spürte, dass eine andere Lösung ganz nah war und dass nur er selbst sie finden konnte. Während er seine Reiter inspizierte, während der Besprechungen mit den anderen Offizieren, während des Essens und in der Nacht, wenn er todmüde auf seinem Feldbett lag, suchte sein Verstand nach dem Schlupfloch, nach dem Ausweg aus der verfahrenen Situation, in der sie alle steckten. Eines Abends fühlte er sich so zerschlagen und entmutigt wie in seiner schlimmsten Zeit in Rom, als er beinahe gestorben wäre, wenn Metrobius ihn nicht aus seinem Loch in der Insula geholt hätte. Der Gedanke an seinen alten Freund lenkte ihn ein wenig von seiner Misere ab. Er musste sogar lächeln denn er war plötzlich ganz sicher, dass er nicht hier sterben würde, dass er Metrobius wieder sehen und dass er und der Schauspieler irgendwann wieder zusammen die römischen Nächte unsicher machen würden. Sie würden zusammen ein Festmahl geben und Metrobius würde eine seiner grandiosen Rollen nur für Ihn allein... - plötzlich hatte er die Eingebung. Seine Gedanken rasten, er konnte kaum glauben, was er gerade für einen Einfall gehabt hatte, doch das war die Lösung. Er sprang auf, schüttelte Mutlosigkeit und Nervosität von sich ab wie ein Hund, der Wassertropfen aus seinem Fell schüttelt und hatte in wenigen Zügen seinen Plan ausgearbeitet.
Er wusste, er hatte keinen Augenblick zu vergeuden, daher sprang er auf, streifte sich seine Tunika über den Kopf und ging ohne Ankündigung in das Zelt des Oberkommandierenden. Marius, der in seinem Zelt über den mutmaßlichen Stellungen der Gegner brütete, sah gereizt über diese unwillkommene Störung auf. Lucius ließ ihm keine Zeit für einen Tadel, sondern sprudelte sofort mit seinen Anliegen heraus.
„Salve Gaius Marius, mein Feldherr! Verzeih mein Eindringen, aber wir haben keine Zeit zu verlieren. Ich bitte dich, entlasse mich von meinem jetzigen Posten und erlaube, dass ich noch einmal allein nach Mauretanien gehe.“
Marius reagierte unverhohlen gereizt.
„Du hattest mehrere Wochen in Mauretanien zur Verfügung, und das Ergebnis deiner Bemühungen war mehr als schwach. In Kürze werden wir hier eine entscheidende Schlacht zu führen haben, in der ich auf niemanden verzichten kann.“
Lucius ließ sich weder durch Marius Grobheit einschüchtern, noch wollte er sich von seinem Vorhaben abbringen lassen. „Was ich hier tun kann, kann jeder andere Offizier genauso gut. Doch eine Chance, Bocchus doch noch als Verbündeten zu gewinnen, habe nur ich. Du hast recht mich für das magere Ergebnis der ersten Mission zu schelten, aber die Zeit war nicht vergeudet. Bocchus hält mich für seinen Freund und vertraut mir. Ich bitte dich, es ihm gleichzutun und mir ebenfalls zu vertrauen. Lass mich noch einmal den Weg durch die Wüste nach Mauretanien machen. Ich brauche keine Begleiter und keine große Ausrüstung. Wir sind nah an der Grenze, und Jugurthas Truppen stehen zwischen ihr und uns. Eine größere Gruppe hätte keine Möglichkeit unbemerkt hinter die feindlichen Linien zu kommen, doch einem einzelnen Reiter kann dies gelingen. Wenn ich scheitere, hast du nicht viel verloren, doch wenn ich mit meiner Einschätzung von Bocchus Charakter Recht habe, können wir diesen Krieg gewinnen.“
Marius zuckte genervt mit der Schulter.
„Vielleicht ist es wirklich besser, wenn du nicht an der Schlacht teil nimmst und die Kavallerie wieder zu unbesonnenen Vorstößen zum falschen Zeitpunkt ermutigst. Geh, aber komm nur wieder, wenn du Bocchus mitbringst.“ Lucius war während dieser Worte blass geworden und hatte Mühe sich zu beherrschen. Dass seine Heldentaten hier aufgrund schlechter Laune zu Fehlverhalten uminterpretiert wurden, war ehrabschneiderisch. Wieder einmal konnte er die Zweifel an Marius Wohlwollen nicht unterdrücken. Mühsam zwang er sich, diesen Affront mit der Anspannung zu entschuldigen, unter der sein Kommandant seit Wochen stand. Um sich nicht zu einer harschen Entgegnung hinreißen zu lassen und seine Mission dadurch zu gefährden, verneigte sich steif und verließ das Zelt.
So gut er konnte, versuchte er seine Wut unter Kontrolle zu bringen. Er rannte fast zu seinem Zelt, um sich zu verkleiden. Über das weiße, knöchellange Gewand der Einheimischen zog er den blauen Umhang und wand sich das dunkle Tuch um den Kopf. Als Bewaffnung nahm er sein Schwert und einen kurzen Dolch. Er wies den Legionär, der zu seiner Bedienung abkommandiert war an, Wasser und Brot für drei Tage zusammenzupacken und ging dann zu den improvisierten Stallungen. Sie hatten immer wieder einzelne Kamele erbeutet, die sie mit sich führten, aber nur um ihren Fleischvorrat zu ergänzen. Die meisten Römer hätten im Traum nicht daran gedacht, die störrischen Tiere als Reittiere zu verwenden. Lucius aber hatte sich inzwischen an den wiegenden Gang gewöhnt und die Bedürfnislosigkeit und Ausdauer der Kamele schätzen gelernt. Er wählte eine mittelgroße Kamelstute, die auf seine Anweisung hin vom Schlachtermesser verschont geblieben war und tränkte sie an der Wasserstelle, bis sie genug hatte. Dann legte er ihr den Sattel auf und befestigte die Taschen mit dem Proviant. Als er mit seinen Vorbereitungen fertig war, war es fast dunkel geworden, und die Luft hatte sich bereits fühlbar abgekühlt. Lucius hatte vor, die zwei Tagereisen bis zur mauretanischen Grenze in die Nachtstunden zu verlegen und tagsüber im Schatten eines Felsens oder Gebüsches zu rasten. Er erhoffte sich Schutz von der Dunkelheit, denn wenn er entdeckt werden würde, wäre er sofort enttarnt. Kein normaler Mensch würde sich allein auf einen Ritt durch die Wüste begeben. Händler und Beduinen reisten stets nur in einer möglichst großen Gruppe, er als einzelner hätte sich genauso gut ein Schild um den Hals hängen können mit der Aufschrift „Kundschafter des Feindes.“ Er konnte nur versuchen der Aufmerksamkeit der numidischen Soldaten zu entgehen. Deshalb hatte er sich für eine Route entschieden, von der er wusste, dass sie auf weite Strecken keine Wasserstelle aufwies, also von den Gegnern kaum mit einer größeren Anzahl an Soldaten und Tieren kontrolliert werden konnte. Diese relative Sicherheit vor Entdeckung bezahlte er allerdings mit einem höheren Risiko zu verdursten, wenn irgendwelche Verzögerungen einträten. Er verbannte diese Gedanken aus seinem Kopf, klopfte seiner Kamelstute an die Vorderbeine um sie niederknien zu lassen und saß auf. Langsam erhob sich das Tier und fiel in einen gleichmäßigen wiegenden Trab.
Das Kamel war edel und wertvoll, jeder Numidier hätte sicher gerne ein Vermögen für seinen Besitz bezahlt, während die Römer nicht genug Kennerschaft hatten und in der Stute nur den Fleischvorrat gesehen hatten. Lucius hatte sich auf seiner ersten Reise nach Mauretanien von ihren Begleitern über die Merkmale guter Kamele unterrichten lassen und ein wenig den Blick für die Unterschiede geschult. Seine Aufmerksamkeit kam ihm jetzt zugute, denn die Kamelstute zeigte auch nach mehreren Stunden schneller Gangart keine Zeichen der Ermüdung. Ihr Gang war so leicht und gleichmäßig, dass Lucius kaum auf den Weg achten musste und seinen Blick in die sternenhelle Nacht schweifen lassen konnte.
Über der stillen, ja eintönigen Landschaft wölbte sich das Universum in einer Größe und Tiefe, wie er es noch nie zuvor wahrgenommen hatte. Auch die kleinsten entferntesten Sterne waren scharf und hell zu erkennen; im Laufe der Nacht bewegten sich die Sternbilder auf ihrer Bahn über den Nachthimmel. Zum ersten Mal in seinem Leben fühlte er sich winzig und unbedeutend. Aber statt dass ihn dieses Gefühl bedrückte, fühlte er sich vielmehr wie ein Sandkorn, wie ein kleiner Teil dieses großen Universums, das ihn umgab. Eine tiefe Ruhe breitete sich in ihm aus. Er spürte, wie sein Atem langsam und gleichmäßig seinen Brustkorb hob und senkte. Er verlor das Gefühl für Zeit und für Entfernung, und es erschien ihm, als sei eine Ewigkeit vergangen, als schließlich der Morgen dämmerte.
Ein roter Streifen zeigte sich am östlichen Horizont, breitete sich schnell aus und veränderte seine Farben zu Gold und Rosa. Bald tauchte auch die Sonnenscheibe groß und flimmernd über den Rand der Welt. Jede Bodenwelle, jeder Stein warf lange Schatten, die sich schnell verkürzten und im zunehmenden Licht der Sonne verschwanden. Gleichzeitig stieg die Temperatur, und die eisige Kälte der Nacht verschwand in kürzester Zeit in der flirrenden Hitze des neuen Wüstentages. Lucius beeilte sich noch eine Strecke Weges hinter sich zu bringen, bevor die Temperaturen unerträglich wurden und erreichte bald den Schutz eines kleinen Dornengestrüpps. Er breitete den Mantel über einen Busch und streckte sich zu einem kurzen Schlummer aus. Ein richtiger Schlaf wollte sich jedoch nicht einstellen, denn die Angst vor Entdeckung saß ihm im Nacken. Unruhig und angespannt brachte er die Stunden des Tages hinter sich, um mit Einbruch der Dunkelheit seine Reise wieder aufzunehmen.
Gegen Mitternacht erreichte er eine große Düne. Er stieg von seinem Kamel und ging zu Fuß zum Kamm der Erhebung. Kaum hatte er einen Blick in die dahinter liegende Senke geworfen, schreckte er zurück: Vor ihm lagerte ein Teil des numidischen Heeres, mehrere hundert Krieger nach einer ersten kurzen Schätzung. Ein glücklicher Zufall hatte es wohl gefügt, dass an der Stelle, an der er über den Rand der Düne getreten war, keine Wachen postiert waren, so dass er sich unbemerkt zurückziehen konnte. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als dieses Stück des Weges durch einen weiten Umweg nach Norden zu umgehen. Um seine Verzögerung wieder aufzuholen, ritt er noch weit bis in die Morgenstunden des nächsten Tages und brach schließlich völlig erschöpft zusammen. Nachdem er einige Schlucke von seinem Wasservorrat getrunken hatte, band er mit letzter Kraft seine Kamelstute an einem dürren Strauch fest und fiel dann in einen erschöpften Schlaf.
Als Lucius nach einigen Stunden erwachte, hatte er Mühe sich zurechtzufinden. Die Sonne stand schon tief am Horizont. Seine Kehle war vollkommen ausgedörrt. Er griff nach seiner Wasserflasche und ließ sich die letzten Tropfen der warmen Flüssigkeit in den Mund rinnen. Zwei Flaschen hatte er noch am Sattel befestigt, die für einen Tag ausreichen würden, doch dann musste er an neues Wasser kommen, sonst war er verloren.
Die nächste Etappe in der darauffolgenden Nacht überstand er zum Glück ohne eine weitere unangenehme Überraschung. Gegen Morgen meinte er, dass er nun auf mauretanischem Gebiet sein müsste. Damit war er zwar nicht in Sicherheit, aber die Wahrscheinlichkeit hier auf Krieger des jugurthinischen Heeres zu stoßen, erschien ihm gering. Sein Glücksstern war wohl wieder bei ihm, denn er fand eine Oase, in der er seine Wasservorräte auffüllen und das Kamel tränken konnte.
Das Wasser der Quelle war trübe und hatte einen widerwärtigen Beigeschmack, der allerdings kein Hinweis auf eine Unbekömmlichkeit zu sein schien, denn ein Stamm von Beduinen, die ebenfalls in der Oase lagerten, trank ohne Bedenken davon. Lucius erfand eine Geschichte von einem Sandsturm und davon, dass er den Anschluss an seine Karawane verloren hätte. Die Beduinen waren voll des Mitgefühls und sofort bereit, ihn bis zur Stadt zu begleiten, um weiteres Unheil von ihm fernzuhalten. Lucius nahm das Angebot nur zu gerne an, reiste die letzten zwei Tage mit der Karawane und war damit völlig unauffällig. Wieder nutzten sie die Stunden der Nacht zur Reise, um der Hitze des Tages zu entgehen. So gelangten sie in den frühen Morgenstunden des fünften Tages in die Stadt am Fuße der Festung.
Es war noch zu früh um in der Burg vorzusprechen, daher wanderte Lucius, der nicht die Ruhe hatte, sich noch etwas hinzulegen, durch die engen Gassen. Die Wege zwischen den uralten Häusern waren so schmal, dass er mit den Händen die Mauern streifte, wenn er seine Arme ausbreitete. Die Dächer der fensterlosen Häuser waren nach vorne verlängert und stießen in der Mitte der Gasse fast zusammen, so dass dämmriges Zwielicht herrschte. Erst auf Höhe des ersten Stockwerks wölbten sich bei vielen Gebäuden Balkone vor, die mit reichem Schnitzwerk vergittert waren. Die Luft in den Gassen erschien Lucius diesmal besonders unbewegt, trocken und muffig, so als wäre sie seit Jahren nicht ausgetauscht worden. Kein Mensch war zu sehen, nur leise Geräusche und die Gerüche nach Küche und Abort drangen aus den Häusern und standen lange in der unbewegten Luft.
Auf dem Basar kaufte er bei einem frühen Händler einige Scheiben Wassermelone, die er im Gehen aß. Mehr konnte er vor Anspannung nicht zu sich nehmen. Absichtlich verzichtete er darauf, ein Bad zu nehmen und seine Kleidung reinigen zu lassen. Lucius rechnete darauf, dass sein vom Sand der Wüste gepudertes Gesicht und sein staubiger Umhang ihm eine eigene Dramatik verleihen würden. Als der Platz und der Basar sich allmählich zu beleben begannen, machte er sich auf den Weg zur Festung.
Unter dem Torbogen stellte sich ihm die Wache des Fürsten in den Weg. Gereizt durch die Verzögerung wickelte Lucius sich das Tuch vom Kopf, doch es dauerte eine Ewigkeit, bis ein Hauptmann gefunden war, der ihn erkannte und zum inneren Palast brachte.
Mit schnellem Schritt, so als ob er eben von seinem Reittier gesprungen wäre und nun im Lauf zu seinem Freund eilte, brachte er die Strecke zwischen dem Wartesaal und der Empfangshalle hinter sich. Vor Bocchus sank er völlig unrömisch in die Knie und verharrte schwer atmend. Bocchus erhob sich und half ihm eigenhändig aus seiner knienden Haltung auf. Lucius registrierte die Geste befriedigt.
Die Sonne der Wüste hatte den Goldton von Lucius Haut zu tiefer Bronze verbrannt, so dass das Blau seiner Augen noch auffälliger strahlte und seinem Blick eine hypnotische Energie verlieh. Er war sich dieses Effektes sehr bewusst und rechnete darauf, dass er den Fürsten damit in seinen Bann ziehen konnte. Nachdem sie sich einige Sekunden schweigend gegenüber gestanden hatten, flüsterte Lucius: „Mein Freund, du bist in Gefahr!“
Bocchus verzichtete auf eine Erwiderung, ermutigte Lucius aber durch seinen fragenden Gesichtsausdruck fortzufahren, doch dieser deutete ein Schütteln des Kopfes an. Bocchus verstand und mit einer herrischen Handbewegung sorgte er dafür, dass alle Anwesenden den Saal verließen. Erst als sie allein in der Mitte des großen Raumes standen, fuhr Lucius fort: „Die Situation in Numidien spitzt sich zu.“
Das war nun nichts Neues für Bocchus, der vor wenigen Tagen von einen anderen Besucher einen genauen Bericht der Lage erhalten hatte. Er schwieg und ließ Lucius fortfahren. „Jugurtha hat den Süden seines Landes aufgegeben, um seine Truppen von Westen und Osten an unsere Flanken zu bringen. Nach und nach zog er die Krieger weiter nach Norden, um unseren Nachschub abzuschneiden und uns vor sich her in die Wüste zu treiben.“
Bocchus nickte bedächtig, genau so hatte er die Situation bereits geschildert bekommen und war sehr beeindruckt von seinem Schwiegersohn gewesen. Doch Lucius war noch nicht am Ende: „Die Hauptmasse seines Heeres befindet sich nun zwischen der Küste und unseren Truppen. Eigentlich ein perfekter Plan, aber genau das wird ihm den Kopf kosten. Von Rom wurde die Entsendung dreier Legionen auf dem Seeweg beschlossen. Sie werden in den nächsten Tagen an der Küste Numidiens eintreffen, dann steckt Jugurtha in der Falle. Sein Heer wird dem Ansturm von zwei Seiten nicht standhalten können.“
Lucius registrierte befriedigt, dass Bocchus seine Gesichtszüge nicht ganz unter Kontrolle hatte und der Bogen seines hoheitsvollen Mundes sich deutlich weiter nach unten zog. Noch leiser und beschwörender fuhr er fort: „Bei unserer Freundschaft, wenn du es jetzt versäumst Rom ein Zeichen zu geben, dann kann niemand für den Bestand deiner Herrschaft garantieren. Rom hat dann riesige Truppen in Afrika, und Marius wird nicht zögern, alle zu vernichten, die er für Verbündete seines Feindes halten muss.“
Bocchus erstarrte. Das war nun eine Entwicklung, von der in der ersten Besprechung keine Rede gewesen war. Der Ausgang des Krieges war nach den letzten Informationen keine Frage mehr gewesen, doch nun sah die Lage wieder völlig anders aus. Er hatte Jugurtha, denn niemand anderer war sein erster Besucher gewesen, bereits Truppen zur Unterstützung mitgegeben, um vom Ausgang der Auseinandersetzung zu profitieren, doch nun musste er einsehen, dass er sich genau damit mit in die Falle manövriert hatte.
Forschend sah er Lucius ins Gesicht. Dessen Wangen waren wie ausgehöhlt und seine Augen schienen blaue Funken zu sprühen. Lucius bebte vor Anspannung, und wie ein wirklich guter Schauspieler war er völlig in seiner Rolle aufgegangen. Er glaubte selbst an die Lügen, die er Bocchus aufgetischt hatte und deren Wahrheit er in seinem jetzigen Zustand noch unter Folter beschworen hätte. Bocchus atmete tief durch. „Werter Freund, verzeih, dass ich die Gebote der Gastfreundschaft vergaß. Du bist erschöpft und brauchst Ruhe. Bitte, sei mein Gast.“
Er klatschte in die Hände, worauf zwei Sklaven erschienen und in die Knie sanken. Bocchus gab einige kurze Anweisungen, woraufhin die beiden Lucius in einen anderen Trakt der Festung begleiteten. Man nahm ihm die beschmutzten Kleider ab, führte ihn in ein Bad und nachdem er gewaschen und mit verschiedenen Ölen und Salben massiert worden war, kleidete man ihn in ein leichtes Gewand und brachte ihn zu einem kleinen Gebäude, das inmitten eines blühenden Gartens stand. Im Schatten eines Feigenbaums waren Teppiche und Kissen zu einem Lager aufgeschichtet, daneben stand ein silbernes Tablett auf dem sich Früchte und Blüten stapelten. Lucius’ Anspannung legte sich nur langsam, doch versuchte er den Anschein zu erwecken, als könne er den Luxus völlig unbeschwert genießen, mit dem man ihn hier überschüttete.
In den folgenden Tagen bekam er niemanden außer einigen bildschönen Sklavinnen zu sehen, die man ihm bei Einbruch der Dunkelheit in seine Gemächer schickte. Bei Tagesanbruch verschwanden sie wieder ebenso lautlos, wie sie am Abend aufgetaucht waren, so dass er tagsüber allein durch die üppige Anlage spazierte und das System aus kleinen Bächen und Kanälen bewunderte, mit dem die Gärten grün und frisch erhalten wurden. Den Rest er Zeit döste er im Schatten des Feigenbaumes, aß ein wenig von den Delikatessen, die man ihm ohne Unterlass vorsetzte und - wartete. Die Pracht seiner Umgebung konnte ihn nicht darüber hinwegtäuschen, dass er ein Gefangener war, der unter strenger Bewachung stand. Am Ende dieses Abenteuers stand für ihn entweder der Triumph oder ein langsamer, qualvoller Tod zu Bocchus’ und Jugurthas Belustigung. Die Tage und Nächte vergingen langsam, und nicht die kleinste Unruhe störte den Frieden der blühenden Oase, die Lucius’ Gefängnis war. Bald hatte er seinen Sinn für Zeit verloren und hätte nicht mehr mit Sicherheit sagen können, wie lange er bereits hier festsaß. Es hätten Tage oder Wochen sein können.
Bocchus hatte nur kurz gezögert, dann hatte er Reiter ausgeschickt, die seinen Schwiegersohn zurückholen sollten. Er gab ihnen eine Botschaft mit, in der stand, dass er zwischenzeitlich wichtige und hochgeheime Neuigkeiten erfahren hätte. Die Reiter brauchten drei Tage, bis sie Jugurtha eingeholt hatten, der schon den halben Rückweg nach Numidien bewältigt hatte. Er wendete und kehrte mit den mauretanischen Truppen und seiner persönlichen Leibwache zurück. Es dauerte fast eine Woche, bis Jugurtha seinem Schwiegervater wieder gegenüber stand. Bocchus empfing ihn mit einem Festmahl bei Fackelschein am Wasser, währenddessen Jugurtha, der im Grunde nur darauf brannte an den Kriegsschauplatz zurückzukehren, vor Ungeduld, aber auch vor Neugierde bebte. Diese wurde zum Dessert befriedigt, als Bocchus ihm die Köpfe seiner Leibwächter auf silbernen Tellern präsentierte und Jugurtha selbst danach in den Kerker werfen ließ. An diesem Abend wurde Lucius zum ersten Mal wieder in den Innenhof bestellt. Ohne zu wissen, was diese Ehre zu bedeuten hatte, musste er sich den Anschein geben, als genösse er ebenso wie Bocchus die sternklare Nacht. Es war schon weit nach Mitternacht, als Bocchus seinen Leibwächtern einen Wink gab. Nur wenige Augenblicke später erschienen sie wieder und führten mit sich einen Gefangenen. Lucius, der Jugurtha bei seinen beiden Besuchen in Rom gesehen hatte, erkannte ihn sofort, obwohl Jugurthas Gesicht vor Wut und von dem straffen Knebel in seinem Mund entstellt war. Lucius wäre am liebsten singend und tanzend durch den Innenhof gehüpft oder zumindest in das Bassin gesprungen, doch er beherrschte sich. Er atmete tief durch, verneigte sich vor Bocchus und sagte:
„Ich war in solcher Sorge, doch meine Gebete wurden erhört: Du bist in Sicherheit. Rom vergisst niemals diejenigen, die guten Willens sind.“
Unter den Augen Jugurthas umarmte er Bocchus, wobei er es sogar schaffte, sich einige Tränen abzuquetschen und sich gleichzeitig an der ohnmächtigen Wut seines Kontrahenten zu erfreuen.
Die Wachen brachten den Gefangenen zurück in den Kerker, während Lucius und Bocchus das weitere Vorgehen besprachen. Die Truppen, die Jugurtha wieder zu seinem Schwiegervater zurückgebracht hatten, sollten nun etwas aufgestockt zu Lucius’ Begleitung und Sicherung dienen. Es war unumgänglich, so schnell wie nur möglich das römische Heer zu erreichen, bevor irgendjemand Wind davon bekam, wo Jugurtha sich nun befand. Noch in derselben Nacht wurden die notwendigen Vorbereitungen getroffen, so dass Lucius bereits am frühen Morgen aufbrechen konnte.
Das Einfachste und auch Sicherste wäre gewesen, Jugurtha auf jene Galeere zu bringen, die noch immer auf Befehl von Marius vor der Küste Mauretaniens kreuzte. So hätte man den Gefangenen auf direktem Wege nach Rom bringen lassen können, doch Lucius hatte sich anders entschieden. Die Grobheit, mit der Marius ihn verabschiedet hatte, hatte ihn im Innersten beleidigt und verletzt. Er wollte seinen Triumph auskosten, wenn er seinem Feldherrn nicht nur Bocchus, sondern sogar den Kopf der Schlange, Jugurtha selbst bringen konnte. Diese Aussicht beflügelte ihn so sehr, dass er seine Truppe zu höchster Eile anhielt und sie nicht nur die Nächte, sondern auch einen großen Teil des Tages auf ihren Kamelen durch die Wüste hasten ließ. Innerhalb weniger Tage erreichten sie das römische Heer, das in der Wüste eingeschlossen war.
Staubbedeckt ritten sie ins Innere des befestigten Lagers. Aus allen Zelten strömten Legionäre und starrten ungläubig schweigend, bald jedoch jauchzend auf das Heer, das hier zu ihrer Verstärkung vom Himmel gefallen zu sein schien. Der Jubel war grenzenlos, doch Lucius hatte keine Zeit sich feiern zu lassen oder die unzähligen Fragen zu beantworten, die auf ihn einprasselten. Er befahl zwei Mauretaniern, den Gefangenen von seinem Reittier zu heben und zum Zelt des Kommandanten zu schleppen. Er ging voraus, riss den Vorhang am Eingang auf und schob die Wache beiseite, die sich ihm in den Weg stellen wollte. Die laufende Lagebesprechung war durch den Lärm schon in Unruhe versetzt, der aus dem Lager hereindrang. Die versammelten Offiziere fuhren nun ob dieser dreisten Störung wie gereizte Hähne auf um dem Eindringling eine scharfe Zurechtweisung zu erteilen. Als sie jedoch Lucius erkannten, war die Aufregung im Zelt genauso groß wie draußen im Lager. Man bestürmte ihn mit Fragen und drängte sich um ihn, während Marius allein mit seinen beiden Legaten die Stellung am Zedernholztisch hielt und den Tumult mit säuerlichem Gesichtsausdruck beobachtete. Lucius achtete nicht auf die Offiziere, sondern winkte die beiden Mauretanier herein, die mit dem gefesselten Jugurtha vor dem Eingang gewartet hatten. Sie schleiften den Gefangenen ins Zelt und stießen ihn - mit orientalischem Sinn für Dramatik - vor dem Tisch des Kommandanten mit dem Gesicht voraus in den Sand. Erst jetzt kam Marius hinter seiner Verschanzung hervor, während die übrigen wie festgenagelt an ihren Plätzen verharrten. Marius kniete nieder, drehte den Mann auf den Rücken und blickte in das Gesicht seines ebenso gefährlichen wie ungreifbaren Feindes. Lucius stand daneben und genoss diesen Augenblick, wie er noch nie einen Augenblick zuvor genossen hatte.
Bald machte die Nachricht die Runde, dass Jugurtha ein Gefangener der Römer war, und der Widerstand der numidischen Truppen brach zusammen. Jugurtha hatte alle Entscheidungen allein und ohne Ratgeber getroffen und jeden einzelnen Mann auf seine Person eingeschworen. Nun gab es niemanden, der imstande gewesen wäre, die Massen an Kriegern zu koordinieren, Kampfhandlungen zu führen oder auch einfach nur eine annähernd große Strahlkraft wie Jugurtha zu entfalten. Die Römer stürmten eine Stellung des Feindes nach der anderen und kamen sich dabei vor, als pflückten sie Blumen auf einer Wiese. Nach kurzer Zeit gaben die numidischen Truppen auf und flüchteten in die Wüste. Das Land war in römischer Hand.
Der Westteil wurde noch von Marius dem mauretanischen Königreich zugesprochen, wobei er sich auf die Entscheidung des Senats vor mehreren Wochen berufen konnte. Um im Osten des Landes eventuelle Aufstände unter Kontrolle halten zu können, wurde ein Teil der Truppen abkommandiert. Den Rest der Arbeit würden die Händler und Steuereintreiber verrichten, die in kurzer Zeit in das reiche Land zurückkehren würden, um sich ihren Teil an der Beute zu sichern.
Schon ein halbes Jahr später konnten die ersten Boten nach Rom geschickt werden, um die Nachricht vom Sieg in Numidien an den Senat zu überbringen. Rom befahl die Entsendung der Flotte, mit der die siegreichen Truppen in die Heimat zurückgeholt wurden. Zwei Jahre hatten sie im Staub und in der sengenden Hitze Numidiens ausgehalten, es hatte wenig gefehlt, und sie hätten den Rest ihres Lebens dort verbracht. Jeder im Heer wusste, wem sie den glücklichen Ausgang dieses Unternehmens zu verdanken hatten, und jeder kannte die Geschichte dieser großartigen List inzwischen in allen Einzelheiten. Wo Lucius auftauchte, trafen ihn respektvolle Blicke, man beeilte sich ihm einen Gefallen zu erweisen oder sich sonst wie bei ihm in gutes Licht zu setzen. Den Gefangenen sah niemand mehr, denn Marius hatte ihn unter strengste Bewachung gestellt, ja hinter vorgehaltener Hand witzelte man, er nähme ihn sogar mit in sein Bett.
Es dauerte mehrere Wochen, bis die Massen an Menschen, Tieren und Beutestücken mit Galeeren nach Rom zurückgeschafft worden waren. Lucius kam im mittleren Tross zurück. Viele Abende hatte er sich in der Wüste ausgemalt, welche Feste er geben würde und welche seiner alten Freunde er einladen würde, wenn er jemals zurückkäme. Doch als er schließlich im Atrium seiner Villa stand, wollte er nur noch allein sein. Tagelang lag er auf seinem Bett und starrte an die Decke, während ein steter Strom an Reichtümern in sein Haus geliefert wurde. Die römischen Truppen hatten alles an Wertvollem zusammengerafft, dessen sie habhaft werden konnten und sorgfältig verschifft. Dazu eine Menge an Gefangenen, Krieger, Zivilisten, Weiber und Kinder, die nun auf den großen Sklavenmärkten verkauft wurden. Auch davon stand ihm sein Anteil zu, der pflichtschuldig abgeliefert wurde. Mehrere Bekannte sprachen vor. Anfangs ließ er sie mit einer Ausrede abwimmeln, später empfing er sie im Atrium und hoffte, dass sie sich schnell wieder davonmachten, doch der Strom der Besucher nahm eher zu. Lucius wunderte sich, wie viele Freunde er hatte. Menschen, die ihn früher nur halb gegrüßt hatten, schlugen ihm jetzt auf die Schulter und erzählten Anekdoten gemeinsamer Abenteuer, an die sich in Lucius Gedächtnis nicht die leiseste Erinnerung finden ließ. Die ersten Gesuche um Darlehen wurden an ihn herangetragen, und er gab den Bittstellern beachtliche Summen, von denen er wusste, dass er sie nie wieder sehen würde. Langsam amüsierte er sich wieder über den Trubel in seinem Haus und stellte befriedigt fest, dass ab und zu auch angesehene Bürger und Aristokraten bei ihm vorbeischauten, um sich nach seinen weiteren Plänen zu erkundigen. Er hatte sich als Antwort zurechtgelegt, dass er dort seine Aufgabe erfüllen würde, wo Rom ihn hinstellen werde. Das klang altrömisch aufrecht und männlich und ersparte ihm eine konkrete Auskunft.
Wenn die Besucher sein Haus verlassen hatten, tauschten sie Bemerkungen über sein Aussehen, denn er war durch die Anstrengungen und die schlechte Ernährung fast zu einem Skelett abgemagert. Die Sonne schien die Kraft gehabt zu haben, durch alle Tücher und Umhänge zu dringen und hatte seine Haut bronzebraun gebrannt und dick und ledrig gegerbt. Man hätte ihn für einen Numidier halten können, wenn nicht seine Augen in dem dunklen Gesicht strahlend blau geleuchtet hätten.
Drei Wochen nach Lucius Rückkehr in die Hauptstadt waren die Vorbereitungen für das größte Fest abgeschlossen, das Rom seit langem gesehen hatte. Der Senat hatte den Triumphzug für die siegreichen Truppen beschlossen, den Termin durch die Auguren festlegen lassen und ungewöhnlich großzügige Mittel für die Ausgestaltung bewilligt. Tagelang mussten Sklavinnen aus Zweigen und Blüten Kränze und Girlanden winden, mit denen die Wagen des Zuges geschmückt werden sollten. Die Brustharnische wurden ausgebessert, die Helme auf Hochglanz poliert. Die Pferde der Sieger waren mit Hafer aufgepäppelt worden und speziell ausgebildete Sklaven mussten sie dreimal täglich striegeln, damit das Fell seinen Glanz zurückbekam. Käfige für die wilden Bestien aus dem besiegten Land wurden auf Karren montiert und die Löwen mit großzügigen Rationen an Fleisch bei Laune und am Leben erhalten, bis sie zur Belustigung der Zuschauer in einer Tierhatz ihren letzten großen Auftritt haben würden. Auch Strauße und sogar ein kleiner Elefant waren aus Numidien mitgebracht worden und wurden von Müßiggängern und Gassenbuben ausgiebig bestaunt. Ein weiterer Schmuck des Zuges sollten ausgewählte Gefangene sein, wobei man darauf geachtet hatte, nur die schönsten Weiber und Kinder und die stattlichsten, grimmigsten Krieger auszuwählen. Auch sie wurden gut ernährt und ihre Kleidung ausgebessert und gereinigt, sofern sie durch den Transport Schaden erlitten hatte. Hunderte von Menschen waren mit den Vorbereitungen beschäftigt. Die Bürger erzählten sich Wunderdinge von den Attraktionen, die man zu sehen bekommen würde. Ganze Straßenzüge waren gesperrt, die Straßen gefegt und Girlanden zwischen den Häusern aufgehängt worden. Die Bewohner hatten die prächtigsten Tücher und Decken aus den Truhen geholt um sie zum Schmuck der Balkone und Brüstungen zu verwenden. Wer am Verlauf des Zuges wohnte, sah sich mit Nachfragen bestürmt, ob denn nicht noch ein Fenster für die alten Freunde frei wäre.
Mehr als je zuvor sehnten sich die Menschen nach einer Zurschaustellung von Roms Kraft und Stärke, denn in den letzten Jahren war das Selbstbewusstsein des mächtigen Staates stark gebeutelt worden. Jugurtha hatte den Senat als eine Versammlung bestechlicher, machverliebter alter Männer vorgeführt, die aufstrebenden Ritter hatten sich als rachsüchtige Opportunisten erwiesen, und die Feldherrn hatten seit Jahren sowohl in Numidien als auch gegen die Barbaren des Nordens versagt. Die Veteranen der Feldzüge standen mit leeren Händen und großen Familien in den Gassen Roms und mussten sich der öffentlichen Fürsorge anvertrauen, da ihre kleinen Höfe in der Zeit ihrer Abwesenheit von mächtigen Gutsbesitzern aufgekauft worden waren. Es knirschte im Getriebe des mächtigsten Staates der Erde, doch diesmal war endlich einmal alles gut verlaufen, so dass Rom den Helden und sich selbst die Feier gönnen konnte, die sie alle benötigten, um wieder in Roms Größe und Einzigartigkeit vertrauen zu können.
Schon am frühen Morgen waren die Bewohner der Stadt auf den Beinen um sich einen Platz zu sichern, von dem aus man einen guten Blick auf den Zug erwarten konnte, doch sie mussten sich lange gedulden bis es etwas zu sehen gab. Die Helden ließen sich Zeit. Erst am Nachmittag schritt eine Gruppe Posaunenbläser durch die Straßen, um die Zuschauer hinter die Absperrungen zu treiben. Dann folgte wieder eine lange Pause, und dann endlich sah man die ersten Legionäre der siegreichen Armee in Sechsererreihen in einer unübersehbaren Kolonne in Richtung Forum ziehen. Rom gab ihnen was sie verdient und was sie erwartet hatten: die Menge brüllte vivat und warf mit Blumen, die Begeisterung war grenzenlos. Die Soldaten winkten, und immer wieder fanden sich Gruppen, die übermütige Spottverse auf ihre Offiziere sangen. Niemand würde sie heute deswegen bestrafen. Die jungen Männer hakten sich unter, warfen Küsse zu den Mädchen am Straßenrand und badeten in der Begeisterung der römischen Bürger. So hoch die Wogen auch schon schlugen, im Grunde brachten sich doch alle erst in Stimmung für die wahren Attraktionen. Den Legionären folgte wieder eine Gruppe Posaunenbläser und diesen die ersten Käfige mit den wilden Tieren des besiegten Landes. Der Elefant wurde von einem Sklaven geführt und ein anderer Wärter war dazu abgestellt, den Löwen durch die Gitterstäbe mit Lanzenstichen zu reizen, damit die Zuschauer sich an seinem Gebrüll und an seinen Prankenschlägen ergötzen konnten. Wieder folgten Reihen von Soldaten, dann ein neuer Höhepunkt. Auf Karren wurden Beutestücke präsentiert: Statuen aus Tempeln, goldene Schalen, Pferde mit prunkvollen Sätteln und Waffen, die so reich verziert waren, dass man sich fragen musste, ob sie denn im Kampf noch sicher zu führen wären. Über andere Wagen waren Teppiche gebreitet, deren verschlungene Muster in dunklen, intensiven Farben leuchteten. Sklaven trugen bronzene Kessel, aus denen Schwaden eines schweren, unbekannten Räucherwerks zogen, die die Zuschauer noch lange in ihren verharrenden Duft einhüllten. Nach weitern siegreichen Soldaten folgte eine Gruppe von gefangenen Weibern, Kindern und feindlichen Kriegern zu Fuß. Sie gingen unter schweren Bewachung und gesenkten Hauptes, gekleidet in die Tracht ihres Landes. Man bewunderte die malerischen Umhänge und die reichen Stickereien an den Gewändern der Frauen. Die kleineren der Kinder strauchelten auf dem langen, staubigen Weg, doch ihre Mütter zogen sie ängstlich an den Armen, um sie zum Weitergehen zu bewegen. Der nächste Zug von Soldaten schien kein Ende nehmen zu wollen, und die aufgeregten Berichte über das nun folgende Schauspiel erreichten die Zuschauer lange bevor auch nur die Vorhut zu erwarten war. Fanfarenbläser zu Pferd kündigten schließlich den Höhepunkt des Spektakels an. Nachdem eine große Lücke im Zug eingehalten worden war, schritten Standartenträger durch die Gasse zwischen den Zuschauern. Schon weit zuvor kündigte das Aufbranden des Beifalls und der Hochrufe ihr Kommen an. Dann erschien endlich die lang ersehnte Quadriga mit dem siegreichen Feldherrn. Marius stand hoch aufgerichtet in dem Wagen. Er trug einen prachtvollen Brustharnisch, von seinem Rücken wallte der purpurne Mantel des obersten Befehlshabers. Ein Sklave, der hinter ihm auf dem Wagen stand, hielt den goldenen Lorbeerkranz über sein Haupt. Nach den Rufen der Begeisterung und der Verehrung brandeten Hohnrufe und Spott auf, die dem Mann galten, der zu Fuß hinter dem Triumphwagen an vier Fesseln von Soldaten geführt wurde. Jugurtha, der langjährige Dorn im Fleische Roms, wurde hier staubbedeckt hinter seinem Überwinder durch die Straßen geschleppt. Man bewarf ihn mit Steinen und Unrat. Doch die Stimmung schlug schnell wieder um, als die Offiziere des Feldzuges zu Pferde auftauchten. Nach ihrer Rangordnung und ihrer Bedeutung ritten sie hinter ihrem Feldherrn. Die roten Mäntel fielen von ihren Schultern auf den Rücken der Pferde, und in ihren glänzenden Helmen und Brustharnischen sahen sie aus wie lebendige Standbilder der Größe Roms. Das Geschrei war ohrenbetäubend, und das Gedränge an den Absperrungen wirkte bedrohlich. Die Mädchen streckten die Hände zum Gruß in der Hoffnung von einem der Männer bemerkt zu werden. Halbwüchsige Jungen kletterten auf die Vorsprünge der Fassaden um besser sehen zu können, und wer Bedenken hatte, dass seine Stimme versagen könnte, der hatte sich Rasseln und Schellen besorgt und trug so das seinige zum allgemeinen Tumult bei. Langsam bewegte sich der Zug in Richtung auf das Forum. Die Soldaten marschierten weiter in Richtung auf das Marsfeld, wo Zelte und Erfrischungen für sie bereitgehalten waren. Der Wagen des Triumphators jedoch hielt in der Mitte des großen Platzes.
Ringsum waren hölzerne Tribünen errichtet, auf denen die Elite der römischen Gesellschaft den Zug erwartete. Auf der Tribüne an der Stirnseite hatte sich der Senat versammelt, zur Linken und Rechten drängten sich die Patrizier und etwas weiter zum Rand hin die Ritter mit ihren Gattinnen, die sich das Schauspiel um keinen Preis entgehen lassen konnten. Der Jubel hier war deutlich gemessener und ließ Rückschlüsse zu, ob hier Optimaten oder Popularen saßen. Natürlich waren alle froh, dass der leidige Jugurtha in Fesseln vor ihnen stand, aber den Patriziern war klar, dass die Ritter das als einen Erfolg ihres Lagers verbuchen und in den nächsten Wochen versuchen würden, in innenpolitischer Hinsicht Kapital daraus zu schlagen. Auf der Tribüne der Senatoren hatte man deshalb wenig Mühe, die Begeisterung im Zaum zu halten und grüßte den siegreichen Feldherrn mit leicht verkrampftem Lächeln. Ein alter Senator verlas eine weitschweifige Ansprache, in der viel von Ruhm und Tapferkeit der Soldaten und von der Stärke des römischen Volkes die Rede war. Während die üblichen Floskeln über die Köpfe dahin rauschten, hatten die Zuschauer Zeit den Blick über die auf dem Platz versammelten Menschen schweifen zu lassen. Marius, der mit steinernem, männlich beherrschten Gesicht die Huldigungen entgegennahm, Jugurtha, der am Ende seiner Kräfte schien, aber den Kopf trotzig erhoben hatte - welch ein Unterschied zu dem Mann, der vor wenigen Jahren die Senatoren genauso wie die Volkstribunen nach seiner Pfeife hatte tanzen lassen. Flüsternd machten sich Damen auf die interessantesten und vielversprechendsten der Offiziere aufmerksam und zählten die Reihen durch, um das genannte Gesicht aus der Menge herauszufinden. Nachdem alles verlesen war, was man vorbereitet hatte, wurden Fanfaren geblasen, dann erteilte man dem siegreichen Feldherrn das Wort.
Marius bedankte sich für den Empfang, gab seiner tiefen Bewegung Ausdruck und stieg dann vom Wagen, um Jugurtha mit dessen eigenem Prunkschwert den Kopf vom Rumpf zu trennen. Aufbrandender Jubel belohnte diesen krönenden Höhepunkt der Veranstaltung, wonach sich schließlich das erlauchte Publikum erschöpft von der ganzen Warterei aufmachte, um den sichern Schatten der Villa publica zu erreichen und sich an den dargebotenen Erfrischungen zu stärken. Die Elite der römischen Gesllschaft plauderte in kleinen Grüppchen, stets bemüht nur Lobendes und Positives zum Besten zu geben. Die Sieger mischten sich unter die Senatoren, und alle versuchten, die Stunde zu nutzen um in der gelösten Stimmung der Feier neue Kontakte zu knüpfen und alte Bekanntschaften zu vertiefen. Außer einigen Damen fiel niemandem auf, dass ein besonders attraktiver Offizier nicht teilnahm, sondern sich wohl vorzeitig verabschiedet hatte. Als sie sich nach seinem Verbleib erkundigten, hieß es, dass er sicher gleich wieder käme, man hätte ihn eben noch an der anderen Seite der Halle gesehen.
Doch Lucius würde nicht wieder auf der Feier erscheinen, er war auch nicht an der anderen Seite des Raumes gewesen. Er war nach Hause zurückgegangen um ein Gefühl auszukosten, das er so bisher noch nicht gekannt hatte. Er wollte es nicht in oberflächlicher Gesellschaft verwässern, sondern es so frisch und so klar erleben, wie es Gefühle immer nur beim ersten Mal sind. Es war Hass. Tief, rein und alles beherrschend war dieser Hass während der Feier in ihm aufgewallt und hatte ihn überschwemmt und erfüllt wie die erste Liebe. Egal, was sein Leben noch bringen würde, er wusste, dass er noch eine Rechnung offen hatte, bis er Marius diesen Verrat heimgezahlt hätte. Es war sein, Lucius’ persönlicher Einsatz gewesen, der diesen Krieg beendet hatte, er hatte Bocchus eingewickelt und ihn dazu gebracht Jugurtha auszuliefern, was das Ende des Krieges bedeutet hatte. Er hatte sein Leben aufs Spiel gesetzt, als er die Lügen über Roms Vorhaben erzählt hatte, und wenn er es nicht getan hätte, wären alle Mitwirkenden dieses ganzen schönen Triumphzuges noch an diesem Tage im Sand der Wüste eingegraben. Er ärgerte sich maßlos über sich selbst, dass er nicht schlau genug gewesen war, Jugurtha direkt aus Mauretanien nach Rom zu überstellen, sondern dem Drang nachgegeben hatte, diesen Ersatzvater, der Marius für ihn während des Feldzuges geworden war zu beeindrucken und von seinen Fähigkeiten zu überzeugen. Er selbst war so dumm gewesen Marius die Möglichkeit in die Hand zu spielen, diesen Erfolg für den seinen auszugeben und ihn selbst in die zweite Reihe zu schieben. Aber Lucius war nicht der Mann, der das tatenlos mit ansehen würde. Er würde nicht den Mund halten und hoffen, dass irgendwann ein Brosame vom Tisch dieses Aufsteigers für ihn abfallen würde. Er wollte den ganzen Tisch, und er würde ihn sich holen. Um jeden Preis.