DIE STRASSE NACH SPLIT RAIL | 30. JUNI 1979
Ich trat aus dem Drive-in hinaus und sah Dad mit einem Langhaarigen in enger Jeans reden. Sie war am Schlag ausgefranst. Dad entdeckte mich und zeigte in meine Richtung, worauf sich der Mann umdrehte und winkte. Dad wies seinen Daumen Richtung Rückbank des Pick-ups, und der junge Mann warf seine Reisetasche auf die Pritsche.
Als ich zum vorderen Teil des Wagens ging, sah ich mir den Typ, der mir die Tür aufhielt, genauer an. Er musste Anfang zwanzig sein. Sein sommersprossiges Gesicht war sonnengebräunt und von einem dünnen dunkelblonden Bart eingerahmt. Er lächelte fröhlich und ließ mich einsteigen.
»Hey, Mann«, sagte er. »Ich bin Brad.«
Er schüttelte mir die Hand, und ich sagte: »Hi.«
»Der Typ hier fährt ein Stück mit uns«, sagte Dad.
»Okay.«
Brad quetschte sich neben mich, und ich befand mich in der sattsam bekannten Lage – eingekeilt zwischen zwei Männern auf der Sitzbank des Pick-ups. Der Neue müffelte.
Wir rollten aus der Stadt, vorbei an den Koniferen am Westrand vom Yellowstone National Park.
»Danke fürs Mitnehmen, Mr ...«
»Quillen«, sagte ich.
»Jim«, sagte Dad.
»Danke fürs Mitnehmen, Jim.«
Dad nickte. Ich blätterte in meinen Comics, aber ich hatte das Interesse daran verloren. Ich sah zu unserem Fahrgast auf.
»Warum trampst du denn?«, fragte ich.
»Ich habe gearbeitet.«
»Wo?«, fragte Dad.
»Ich war eine Weile bei einem Straßentrupp, als Warnposten. Jetzt versuche ich, nach Bozeman zurückzukommen und mir zu überlegen, was als Nächstes kommt.«
»Du suchst Arbeit?«, fragte Dad.
»Ja. Wissen Sie da was?«
»Vielleicht.«
Zuerst mochte ich Brad nicht. Er hatte sich uns aufgedrängt und versuchte zu sehr, sich anzubiedern, außerdem stank er zum Himmel. Doch bald war ich froh, jemanden zum Reden zu haben. »Ich hatte solch schlimmes Heimweh nach Montana«, sagte er, deshalb habe er das College in Kalifornien letzten Herbst abgebrochen, sei zurückgekommen und hätte bei einem Straßenbautrupp angeheuert. In West Yellowstone sei es dann vorbei gewesen.
»Was ist passiert?«, fragte Dad.
»Hab mich mit dem Boss nicht verstanden. Persön lichkeitskonflikt.«
Dad knurrte. Ich wusste, dass das keineswegs für Brad sprach. Dad hatte schon massenhaft Leute gefeuert, und er war nie daran schuld gewesen. Und Persönlichkeitskonflikt? Die einzige Persönlichkeit, die zählte, war Dads.
Sobald mir klar wurde, dass Brad zuhören würde, ergoss ich einen Wortschwall über ihn. Ich erzählte ihm, wie sich meine Eltern kennengelernt hatten, dass wir in Billings gewohnt hatten und Mom weggezogen war. Ich erzählte ihm von Jerry. Ich erzählte ihm von Marie. Ich erzählte ihm, wie ich den Pick-up gefahren hatte. Ich quatschte ohne Punkt und Komma, ohne einen Unterschied zwischen zu persönlich oder zu trivial zu machen. Ich war so einsam, dass jeder Zuhörer, selbst ein verzweifelter Anhalter, mir eine willkommene Chance bot, mich zu entladen.
»Dein Dad möchte doch sicher nicht, dass du Familiengeheimnisse ausplauderst«, sagte Brad mit einem nervösen Seitenblick auf meinen Vater. Ich drehte mich zu Dad um und schaute ihm ins Gesicht. Er wirkte verbissen, sagte aber nichts.
Ich hatte ihn in eine verdammt unangenehme Lage gebracht. Schon klar, er wollte, dass ich die Klappe hielt, andererseits wusste ich, dass er mich nicht vor einem Fremden zurechtweisen würde.
Ich wandte mich ab und plapperte erneut auf Brad ein.
Wir erreichten Bozeman in der Dämmerung, und Dad hielt an einer Tankstelle. Brad würde die letzte Strecke allein bewältigen müssen.
Bevor Brad ging, sagte Dad: »Wenn du wirklich Arbeit suchst, heute in einer Woche kommen wir hier wieder vorbei, gegen zehn Uhr vormittags. Du kannst mit uns nach Utah zurückkehren und in meinem Bohrtrupp arbeiten.«
»Im Ernst?«, fragte Brad.
»So ernst wie ein Herzanfall.«
»Zehn Uhr nächsten Sonnabendvormittag. Ich komme.«
»Aber halte dich dran. Wenn ich hier ankomme und dich nicht sehe, bin ich wieder weg. In diesem Trupp ist man pünktlich.«
»Sie können sich darauf verlassen.«
Brad winkte und setzte sich in Marsch. Dad legte den Gang ein.
»Was nächste Woche angeht«, sagte er. »Mit deinem Endlosgequassel ist Schluss. Kapiert?«
Ich wandte den Blick ab. Dad fuhr den Pick-up langsam auf die Straße vor der Tankstelle, dann bretterte er über die Auffahrt auf die I-90 Richtung Osten. Etwa zehn Minuten lang blieb ich stumm, dann nickte ich ein.
Es war bereits dunkel, als ich aufwachte. Dad hatte den Pick-up angehalten, und ich sah ihn im Scheinwerferlicht, wie er gerade mit dem Schloss am Stahltor kämpfte, hinter dem die Zufahrt zur Ranch lag.
»Du hast ziemlich fest geschlafen«, sagte er, als er wieder ins Führerhaus kletterte.
»Sind wir da?«
»Wir sind da.« Wir rumpelten auf dem schadhaften Weg, bis ich die Ranch sah. Alle Lichter brannten im Haus und warfen dünne Strahlen ins Dunkel.
Dad fuhr langsam in die Auffahrt, und als er sah, dass Maries Wagen nicht da war, schlug er mit der Faust auf das Armaturenbrett. Ich zuckte zusammen.
»Was zum Teufel ...?«, fluchte er.
Ich saß still und wartete ab.
Dad seufzte.
»Also, dann schnapp dir mal deine Sachen«, sagte er. »Lass uns reingehen.«