5. KAPITEL
An diesem Abend, nach Sonnenuntergang, zuckte Vandas Herz heftig in ihrer Brust und brachte sie ins Leben zurück. Ein helles Licht blendete sie, und ihr Herz zog sich ein zweites Mal zusammen, dieses Mal vor Schreck. Sie hatte das Licht in ihrem Zimmer nicht angelassen. Und was lag da so schwer auf ihrer Hüfte?
Sie blickte zur Seite und fuhr zusammen.
Phil wurde ruckartig wach. »Was ist los?« In derselben Sekunde kniete er neben ihr, ein Messer in seiner Hand.
»Phil!« Vanda rutschte an den Rand ihres Bettes. »Was machst du hier?«
»Tut mir leid. Ich wollte dich nicht erschrecken.« Er steckte das Messer zurück in die Scheide unter seiner Khakihose. Gekleidet war er in die normale MacKay-Uniform, nur ohne Schuhe. »Ich muss eingenickt sein.«
»In meinem Bett?« Sie griff nach der Decke, um sie sich bis ans Kinn zu ziehen, ließ sie aber fallen, als sie bemerkte, dass die Bezüge weiß waren. Was zur Hölle? Ihre Laken waren lila gewesen, als sie ins Bett gegangen war. Und warum fühlte sich ihr Körper so wund an, als hätte man sie brutal verprügelt? »Was... was ist hier los? Wie bist du reingekommen?«
»Ich... ich habe die Tür eingetreten.« Er hielt besänftigend seine Hände hoch, als sie tief Luft holte, um ihn anzubrüllen. »Es ist schon in Ordnung! Ich habe sie gleich reparieren lassen. Alles ist in Ordnung.«
»Kein Stück ist es das!« Sie merkte plötzlich, dass sie ihren grünen Pyjama trug, statt des lilafarbenen, in dem sie zu Bett gegangen war. Guter Gott, wie verzweifelt konnte Phil sein? »Du bist in meine Wohnung eingebrochen, um mit mir zu schlafen?«
Was dachte sie nur von ihm. »Ich habe viel mehr getan als schlafen.«
»Oh mein Gott!« Sie sprang aus dem Bett.
»Ach, komm schon.« Er stand auf und sah beleidigt aus. »Du glaubst, ich würde Sex mit dir haben, während du schläfst?«
»Ich war tot, Phil. Das macht es richtig eklig.«
In seinen Augen stand Skepsis. »Wie kannst du glauben, dass ich so etwas tun würde?«
Sie zupfte an ihrem Oberteil. »Du hast meine Kleider gewechselt.«
»Ja, schon. Aber ich habe versucht, nicht hinzusehen.« Sein Blick wanderte an ihrem Körper hinab, und ein zaghaftes Lächeln zuckte über seinen Mund.
Bei Vanda hatte das keine Wirkung. Sie wedelte mit einer Hand, um ihn aus der verträumten Trance zu wecken, in die er gefallen war. »Hey! Perversling!«
Dafür bekam sie seine Aufmerksamkeit. Er versteifte sich, und in seinen Augen blitzte Wut. »Ich habe dich nicht belästigt, Vanda.«
Sie zeigte auf das Bett. »Du hast meine Laken gewechselt.«
»Ich musste. Sie waren voller... Zeug.«
Das konnte doch nicht wahr sein, dachte Vanda empört.
»Nicht von mir«, knurrte er. »Jetzt setz dich hin und hör mir zu.«
Es war geschickter, stehen zu bleiben, so konnte sie ihn besser wütend anstarren. Als sie die Arme vor der Brust verschränkte, zuckte sie vor Schmerz zusammen.
Seine verärgerte Miene wurde besorgt. »Geht es dir gut? Ich habe nach Knochenbrüchen gesehen, und es schien alles in Ordnung, aber ich hatte gefürchtet, du hast dir einige Rippen angeknackst.«
Ein kalter Schauer lief über ihre Haut. »Was ist passiert...« Bevor sie weiterreden konnte, wurde sie plötzlich von einer Hungerattacke ergriffen, die sie fast zusammenbrechen ließ.
Das Zimmer um sie herum begann sich zu drehen.
»Warte.« Phil kletterte über das Bett und fasste sie an den Schultern. »Nein.« Sie löste sich und stolperte, wäre beinahe gefallen. Sein Blut, das schnell durch seine Adern pumpte, roch einfach zu gut. Ihr Zahnfleisch begann zu kribbeln. »Ich muss trinken.«
Nach dem Aufwachen war ihr Durst immer am stärksten. Sie tastete sich an den Fuß des Bettes und nahm den Duft nach Blut auf. Fremdes Blut, nicht menschlich.
»Vanda.« Phil packte sie am Arm. »Du bist zu schwach. Leg dich hin, ich bringe dir Frühstück.«
Noch eine Hungerattacke durchfuhr sie, und sie riss sich von ihm los. »Verdammt, Phil. Geh weg von mir, sonst wirst du mein Frühstück.« Sie sprang ans Ende des Bettes.
»Aaaack!« Vanda stolperte zurück.
Phil fing sie von hinten und packte ihre Oberarme.
Dort auf dem Boden lagen ihre lila Laken. Und in der Mitte lag ein riesiger Haufen zerhackter Schlange. Ihr lila Pyjama lag mit auf dem Haufen. Er war schleimig vor Schlangeneingeweiden und Blut.
Das war zu viel für Vanda. Ihr Körper begann zu zittern.
»Keine Sorge«, beruhigte Phil sie. »Sie kann dir nichts mehr tun.«
Das Zimmer begann sich zu drehen, ein Zimmer, in dem Schlangeneingeweide lagen, ein Zimmer, in dem sich Schreckliches abgespielt haben musste. Ihre Knie gaben nach, und Phil nahm sie hoch in seine Arme.
»Vanda?« Die Schlafzimmertür öffnete sich, und Cora Lee trat in einem blassrosa Nachthemd ins Zimmer, ein Glas synthetisches Blut in der Hand. »Oh, ich wusste nicht, dass du Gesellschaft...« Ihr Blick fiel auf die zerstückelte Schlange. »Iiih!« Das Glas fiel auf den Boden und verspritzte dabei überall Blut.
»Warum in aller Welt ist hier so ein Geschrei?« Pamela kam hereingestürmt. »Aaaack!« Ihre Teetasse zerbrach, als sie zu Boden fiel.
Als ihr Magen sich umdrehte, erfasste Vanda Panik. Sie hatte diese widerliche Mischung aus Übelkeit und Hunger noch nie erlebt.
»Geht zurück ins Wohnzimmer«, befahl Phil ihren Freundinnen, als er sie zur Tür trug. »Könnt ihr Vanda etwas zum Frühstück machen? Sie ist sehr schwach.«
»Natürlich.« Pamela eilte zurück in die Küche. Ihr langes blaues Nachthemd raschelte um ihre Beine. Cora Lee folgte dicht hinter ihr.
Während die beiden mehr synthetisches Blut in der Mikrowelle erhitzten, legte Phil Vanda auf das Ledersofa.
Er setzte sich neben sie. »Alles in Ordnung?«
Sie schüttelte den Kopf und schloss die Augen, aber die zerhackte Schlange konnte sie nicht aus ihren Gedanken verbannen.
»Hier, Liebes.« Pamela drückte ihr einen warmen Becher in die zitternden Hände. »Gleich fühlst du dich wieder besser.«
Vanda nahm einen kleinen Schluck der langweiligen Blutgruppe 0. Als er nicht drohte, wieder hochzukommen, nahm sie noch einen Schluck.
Cora Lee setzte sich ihnen gegenüber in den blauen Polstersessel. Sie hatte sich ein neues Glas synthetisches Blut mitgebracht. »Also, was in aller Welt ist hier los?«
Eigentlich wollte Vanda gar nicht wissen, was passiert war. Phil streckte einen Arm nach ihr aus und streichelte ihre Schulter.
»Ja, wirklich. Man muss uns sofort über die gegenwärtige Situation auf den neuesten Stand bringen.« Pamela sank elegant in den passenden blauen Sessel. Als ein Vampir, der aus dem England der Regency-Epoche stammte, nahm sie ihren Morgentrunk aus einer eleganten Teetasse. Sie nippte daran und stellte sie mit einem leisen Klirren zurück auf die Untertasse. »Und wir müssen uns auf etwas gefasst machen, meine Damen, denn ich fürchte, was auch immer hier vorgefallen sein mag, es war fürchterlich. Einfach fürchterlich.«
Cora Lee schauderte. »Das ist die Schlange von Max, dem Megamacker, nicht wahr?«
»Ja«, sagte Phil leise.
Vanda drehte sich auf der Couch zu ihm um. »Max hat versucht, mich umzubringen?« Sein Blick begegnete ihrem, und ihr Herz schmolz im Licht seiner blauen Augen. Er war ein zweites Mal ihr Lebensretter geworden, daran gab es keinen Zweifel Er war so mutig und edel wie die Märchenhelden, von denen sie als Kind gelesen hatte. Die Art von Held, der man in der wirklichen Welt eigentlich nicht mehr begegnete.
Mit einem Lächeln fuhr er ihr durch die kurzen Haare. Und dann sah er wieder zu ihren Freundinnen. »Als ich heute Morgen aufgewacht bin, fiel mir ein, dass ihr zu eurem Todesschlaf hierherkommen würdet. Für Max die beste Gelegenheit, sich an Vanda zu rächen. Ich bin kurz nach Sonnenaufgang angekommen, und der Wachmann in der Lobby lag in tiefem Schlaf; das konnte nur das Resultat vampirischer Gedankenkontrolle sein. Ich wusste, dass Max hier gewesen war.«
Durch ihren Körper lief ein Zittern, und Phil drückte ihre Schultern.
»Aber wir haben ihn nicht gesehen«, widersprach Cora Lee.
»Ich glaube, er hat sich mit seiner Schlange im Garderobenschrank versteckt.« Phil deutete auf den Schrank neben der Eingangstür. »Nachdem ihr nach Hause gekommen seid und er gehört hat, wie ihr euch in eure Schlafzimmer zurückgezogen habt, hat er die Schlange freigelassen, Vandas Tür angelehnt und sich nach Hause teleportiert.«
»Und es der schrecklichen Schlange überlassen, die tödliche Rache zu nehmen, nach der es ihn so dürstete«, fügte Pamela dramatisch hinzu. Ihre Hand zitterte, und ihre Teetasse klapperte auf der Untertasse.
»Heiliger Strohsack«, flüsterte Cora Lee.
»Ich bin dazugekommen, als die Schlange sich gerade um deinen Körper geschlungen hat.«
»Oh Gott.« Sie bedeckte den Mund, als eine neue Welle der Übelkeit über ihr zusammenschlug.
»Ich habe zuerst den Kopf abgeschnitten, aber selbst ohne Kopf hat das Biest weiter zugedrückt, also habe ich sie, so schnell ich konnte, in Stücke gehackt.« Sein Blick bat um Entschuldigung. »Ich habe versucht, dich nicht zu treffen, aber ich hatte es... eilig, und die Schlange lag so fest um dich, dass ich dich ein paar Mal verletzt habe. Und dann war da das ganze...«
»Du musst es nicht erklären.« Vanda verzog das Gesicht. Sie hatte den Haufen Eingeweide und Blut gesehen. Ihr total zerfetzter und dreckiger Pyjama sprach Bände. Die Schlange hatte ihren Körper schon zu fest gequetscht. Selbst nach der heilenden Wirkung des Todesschlafes war sie noch wund.
»Ich wollte dich nicht in der Schweinerei liegen lassen«, fuhr Phil fort, »also habe ich versucht, dich sauber zu machen. Und das Bett auch.«
Vanda nickte. »Ich verstehe.«
»Ich habe den Duschvorhang aus deinem Badezimmer genommen und alles Eklige daraufgehäuft«, sagte er. »Dann habe ich den Teppich und die Wände sauber gemacht und...«
»Wände?«, fragte Pamela.
Phil zuckte zusammen. »Ich habe die Schlangenteile einfach weggeworfen, sobald ich sie abgeschnitten hatte.«
»Der Herr sei uns gnädig«, flüsterte Cora Lee.
Immer wieder blitzten schreckliche Bilder in Vandas Gedanken auf, die sie nicht ausblenden konnte.
»Ich war wirklich... aufgebracht«, gab Phil mit einem Stirnrunzeln zu, »also habe ich den Schlangenkopf genommen und mich auf die Suche nach Max gemacht.«
Vanda musste schlucken. »Hast du ihn gefunden?«
»Er war in seinem Apartment, im Todesschlaf.« Phil starrte ins Leere und verzog das Gesicht.
Gespannt beobachtete ihn Cora Lee. »Was hast du mit ihm gemacht?«
Phil atmete tief ein. »Ich habe den Schlangenkopf auf dem Kissen neben Max liegen lassen und seinen Kopf so gedreht, dass er ihn beim Aufwachen als Erstes sieht. Dann habe ich eine Notiz geschrieben, dass ich ihn umbringe, wenn er Vanda noch einmal zu nahe kommt.«
Cora Lee sackte mit einem Seufzen zusammen. »Das ist alles?«
»Ich habe ihm die Notiz an den Schenkel gesteckt... mit einem Messer.«
Das schien Cora Lee zu gefallen. »Das ist schon besser.«
»Ja, wirklich.« Pamela nippte an ihrer Teetasse. »Guter Stil, alter Junge.«
Phil schnaufte. »Es freut mich, dass ihr es befürwortet. Dann bin ich in Romans Stadthaus gewesen, um zu duschen und mich umzuziehen, und habe meinen Bericht abgeliefert. Roman sollte bald von der Sache hören, und er kann entscheiden, wie mit Max verfahren wird.«
»Sie sollten ihn lynchen«, überlegte Cora Lee mit aufgeregt funkelnden Augen. »Wir sollten ihn hängen, wie in der guten alten Zeit.«
»Wahrlich.« Pamela nippte an ihrer Tasse. »Das war noch Unterhaltung.«
Kopfschüttelnd trank Vanda ihren Becher Blut aus. Kaltblütig, wie eine Schlange. Sie schauderte.
»Ich habe die Tür reparieren lassen und habe euch drei neue Schlüssel auf den Tresen gelegt.« Phil deutete auf die Küche. »Einen Schlüssel habe ich für mich behalten, damit ich eure Tür nicht wieder eintreten musste.«
»Natürlich.« Pamela neigte ihren Kopf. »Wir sind dir wirklich dankbar für deinen Heldenmut und deine Ritterlichkeit.«
»Das stimmt wirklich«, fügte Cora Lee hinzu. »Wärst du nicht zur rechten Zeit gekommen, hätte diese Schlange die arme Vanda zu Brei zerquetscht. Stellt euch vor, ihr wacht auf, und jeder Knochen in eurem Körper ist gebrochen, ganz zu schweigen von den furchtbaren inneren Verletzungen. Und was, wenn diese Schlange versucht hätte, sie zu fressen?
»Genug!« Vanda schnitt ihr eine Grimasse. »Ich will das nicht hören.«
»Ich sage ja nur, du würdest wahrscheinlich gerade jetzt in dieser Minute einen qualvollen Tod sterben, wenn Phil dich nicht gerettet hätte.«
»Das ist mir auch klar. Ich kann keinen Teil meines Körpers bewegen, ohne nicht irgendwo Schmerzen zu empfinden.«
Voller Mitgefühl betrachtete Pamela ihre Freundin. »Du arme Kleine. Hoffentlich bringt dich eine weitere Runde Todesschlaf wieder in Spitzenform.«
Cora Lee nickte. »Und du lässt es heute Nacht lieber ruhig angehen. Mach dir keine Sorgen um den Club. Pamela und ich schaffen das schon.«
»Ich bin durchaus in der Lage zu arbeiten«, protestierte Vanda. Wenn sie die ganze Nacht nichts tat, würde sie sich nur immer wieder ausmalen, wie die schreckliche Schlange sich um sie wand, während sie hilflos im Todesschlaf lag.
Cora Lee hatte recht. Wenn Phil sie nicht gerettet hätte, hätte die Schlange sie langsam zerquetscht, und ihre Selbstheilungskräfte hätten ihr nichts genutzt. Beim Erwachen wäre jeder Knochen in ihrem Körper zermalmt gewesen. Oder noch schlimmer.
Die Geschehnisse schlugen ihr definitiv auf den Magen, ihr wurde schon wieder schlecht. Sie musste diese schrecklichen Bilder aus ihrem Kopf verdrängen. Sie konzentrierte sich auf ihre Hände im Schoß und atmete tief durch. Father Andrew hatte ihr diese Übung beigebracht, um ihre Wut zu besänftigen. Hoffentlich half es auch dabei, die schrecklichen Bilder auszublenden.
»Was machen wir mit der Schlange?«, fragte Cora Lee.
»Ich stecke alles in einen großen Müllsack«, antwortete Phil, »und bitte einen der Vampire, den Kadaver rauszuteleportieren. Ich würde den Dreck selbst mitnehmen, aber ich will nicht so aussehen, als schaffe ich eine Leiche aus dem Gebäude. Wenn der Wachmann in den Sack sehen will, komme ich in Erklärungsnot.«
»Ja, das ist eine gute Idee.« Pamela brachte ihre leere Tasse zurück in die Küche.
Ein Handy klingelte und riss Vanda aus ihrer Atemübung.
Phil holte sein Telefon aus der Hosentasche. »Hallo... ja, es scheint ihr gut zu gehen.« Er sah hinüber zu Vanda und flüsterte: »Es ist Connor.«
Mit ihrem übermenschlichen Gehör konnte Vanda das meiste von dem, was Connor sagte, verstehen. Jack und Phineas wollten Max in seiner Wohnung verhaften, aber der Mann war verschwunden. Das überraschte sie nicht. Schließlich hatte Max beim Aufwachen den Zettel gefunden. Selbst Max mit seinem Spatzenhirn konnte sich denken, dass er in großen Schwierigkeiten steckte.
Connor hatte an alle Meister kleinerer Zirkel, die unter Romans Herrschaft standen, eine Eilmeldung herausgegeben und Max auf die Fahndungsliste gesetzt. Er war jetzt auf der Flucht vor dem Gesetz der Vampire.
»Ich frage sie.« Phil legte auf und drehte sich Vanda zu. »Da du das Opfer bist, will Roman wissen, was mit Max geschehen soll, wenn wir ihn fassen?«
»Lass ihn draußen angepflockt, damit er knusprig gebraten wird, wenn die Sonne aufgeht«, schlug Cora Lee vor, während sie die Scherben aus Vandas Zimmer in die Küche brachte.
»Ab mit dem Kopf«, empfahl Pamela, während sie abwusch. »Am besten mit einer stumpfen Axt.«
»Verbannung ist genug«, sagte Vanda leise.
»Machst du Witze?« Cora Lee ging mit ungläubigem Blick auf das Sofa zu. »Dieser Bastard hat versucht, dich umzubringen. Bist du nicht wütend?«
»Aber wirklich«, rief Pamela über das Geräusch von fließendem Wasser hinweg. »Wo ist jetzt deine berüchtigte Wut?«
»Verbannung schafft ihn aus dem Weg«, murmelte Vanda. Max konnte dann nirgendwo in den östlichen Vereinigten Staaten, die unter Romans Herrschaft standen, sein Gesicht zeigen oder Arbeit finden. Es blieb ihm keine andere Wahl, als weit weg zu ziehen.
Neugierig sah Phil sie an. »Bist du dir sicher?«
»Ich will nicht noch mehr Tote auf dem Gewissen haben.«
Erstaunt starrte er Vanda an. »Was für Tote?«
Verdammt. Jetzt hatte sie zu viel gesagt. »Ich will nicht darüber reden.« Sie stand auf, um ihren leeren Becher in die Küche zu bringen, und im selben Moment durchzuckte ein heftiger Schmerz ihre Rippen. »Autsch.«
»Bleib sitzen.« Phil nahm ihr den Becher aus der Hand und reichte ihn Cora Lee.
Vanda presste eine Hand gegen ihren Brustkorb. Diese verdammte Schlange hatte mehr Schaden angerichtet, als ihr Körper an einem Tag heilen konnte.
Phil sah sie an und legte die Stirn in Falten. »Ich will, dass ihr alle drei zurück in Romans Stadthaus zieht.«
Vanda bedachte Phil mit einem vernichtenden Blick. »Auf keinen Fall.«
»Hierzubleiben ist für euch nicht sicher, solange Max noch auf freiem Fuß ist und in dir die Ursache für all seine Probleme sieht«, argumentierte er. »Ich kann dich nicht hier bewachen und gleichzeitig meine Arbeit im Stadthaus erledigen.«
»Da hat er recht.« Pamela trocknete ihre Hände an ihrem Lieblingsgeschirrtuch aus London ab.
»Vorsicht ist besser als Nachsicht«, fügte Cora Lee hinzu.
Vanda stöhnte.
»Es ist zu eurem Besten. Wenn die Damen ihre Taschen packen, fahre ich euch gleich alle rüber ins Stadthaus.«
»Natürlich.« Pamela stolzierte in ihr Schlafzimmer, gefolgt von ihrer Mitbewohnerin.
»Cora Lee, könntest du eine Tasche für Vanda packen?«, fragte Phil und legte gleichzeitig eine Hand auf Vandas Schulter, um sie am Aufstehen zu hindern.
»Sicher.« Ein spöttisches Lächeln lag auf Cora Lees Gesicht. »Herrje, ich frage mich, was ich für dich einpacken soll? Vielleicht den schwarzen Overall? Und den lila Overall? Und was noch?« Sie klopfte sich gegen das Kinn und dachte nach. »Ach, richtig! Den anderen schwarzen Overall.«
»Sehr lustig«, murmelte Vanda.
»Von Abwechslung hält sie nichts«, murmelte Pamela auf dem Weg in ihr Schlafzimmer.
»Das ist mal sicher.« Cora Lee folgte ihr.
Die Tür schloss sich, und Vanda war plötzlich mit Phil allein.
»Sie sind nur neidisch«, flüsterte er.
»Worauf?«
»Dass du so unglaublich gut in einem Overall aussiehst. Das können nicht viele Frauen von sich behaupten.«
Eine leichte Röte überzog ihre Wangen.
»Das ist schon besser.« Er berührte ihr Gesicht. »Du warst vorher leichenblass.«
Aus gutem Grund. Sie war dem Tod gerade noch einmal entkommen. »Ich... ich wollte dir danken, weil du mir das Leben gerettet hast. Schon wieder.« Sie errötete noch tiefer und klammerte ihre Hände im Schoß zusammen. »Es muss schrecklich für dich gewesen sein. Ich fühle mich so... dumm, weil ich nur hilflos dagelegen habe, während du kämpfen musstest mit einem so ekligen...«
»Ist schon in Ordnung. Ich würde gegen jede Kreatur kämpfen, um dich zu beschützen.« Er legte seine Hand auf ihre. »Du bist es wert.«
Ohne Vorwarnung stiegen ihr Tränen in die Augen. Sie zog ihre Hand unter seiner weg. »Sag so etwas nicht.« Mit zitternden Händen bedeckte sie ihre Augen. Es wert? Würde er das auch sagen, wenn er die Wahrheit über sie wüsste?
»Vanda«, flüsterte er, »ich sage dir nur, was ich wirklich empfinde. Und jetzt, wo wir allein sind, muss ich dir noch etwas sagen.«
Oh Gott, nein. Ihre Ängste bestätigten sich, er hatte Max umgebracht. Deshalb war der Tänzer nicht auffindbar. Phil hatte ihn in einen Haufen Staub verwandelt und seine Überbleibsel verstreut. Würde ihr Weg noch weiter mit Leichen bedeckt sein? Und jetzt hatte sie Phil mit hineingezogen. »Es gibt keinen Grund, darüber zu sprechen. Ich verstehe die Wut, die einen dazu bringt, ein Leben zu nehmen.«
Phil legte den Kopf schief und sah sie an. »Worauf beziehst du dich?«
»Max«, flüsterte sie. »Du...« Sie bemerkte den verwirrten Ausdruck auf Phils Gesicht. Die klaren blauen Augen eines unschuldigen Mannes. »Du hast ihn nicht umgebracht?«
»Nein. Glaub mir, die Versuchung war da, aber...«
»Phil.« Sie berührte sein Gesicht. Ihr Herz schwoll vor Erleichterung an. »Danke.«
»Gern geschehen.« Er nahm ihre Hände in seine. »Was ich sagen wollte, war, heute Morgen, da habe ich einige Minuten lang gedacht, ich komme zu spät, um dich zu retten. Ich... ich war wie wild. Deshalb habe ich deine Tür eingetreten. Ich hätte das Schloss knacken können, aber ich habe nicht einmal daran gedacht. Ich hatte Panik.«
»Das ist schon in Ordnung. Ich bezahle für das neue Schloss.«
»Nein, wirst du nicht. Und ich versuche hier, etwas zu sagen.« Er drückte ihre Hand. »Ich hatte schreckliche Angst, dich zu verlieren. Ich habe vollkommen den Verstand verloren. Ich habe die Schlangenteile überall herumgeschleudert.«
Sie verzog das Gesicht. »Bitte...«
»Und ich habe dich ein paar Mal getroffen, weil meine Hände gezittert haben. Plötzlich war mir klar, dass ich für dich viel mehr empfinde als bloß körperliche Anziehung.«
Tränen strömten ihre Wangen hinab und verschleierten ihren Blick. »Phil, ich...« Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Vergiss mich? Es ist hoffnungslos?
»Ich will für dich da sein. Für immer.«
»Es wäre nicht für immer. Du bist... sterblich.«
»Lass meine Sterblichkeit meine Sorge sein.« Er wischte ihr die Tränen von der Wange. »Du bist die, die ich will.«
»Ich bin ein Vampir.«
»Ich weiß.« Er küsste ihre Stirn.
»Ich könnte die Kontrolle verlieren und dich beißen.«
»Ich habe keine Angst vor deinen Zähnen.« Er küsste ihre Nasenspitze.
»Ich habe schreckliche Launen.«
»Du bist wunderschön.« Er berührte ihre Lippen leicht mit seinen. Dann noch einmal. Dann presste er seinen Mund auf ihren.
Es war ein so süßer und sanfter Kuss, der ihr Herz zum Schmerzen brachte. Wenn er sich mit Lust und Gier auf sie gestürzt hätte, wäre das bei ihr als bloße körperliche Entladung des emotionalen Traumas durchgegangen.
Aber das hier war so süß. Sie konnte sich nicht dagegen wehren. Ein winziger Riss ließ ihre Rüstung zerspringen. Mit einem Wimmern schlang sie ihre Arme um seinen Hals und vergrub ihre Finger in seinem weichen, vollen Haar.
Aus dem anfänglich zaghaften Kuss wurde mehr. Warum sie ihn abweisen sollte, das wusste sie plötzlich nicht mehr. Sie konnte überhaupt nicht mehr denken.
Ihr Mund öffnete sich, und er drang mit seiner Zunge ein. Phil. Ihr schöner, starker, mutiger Held. Hatte keine Angst vor ihren Fangzähnen. War nicht abgestoßen vom Nachgeschmack nach Blut, der noch in ihrem Mund klebte. Und Junge, konnte er gut küssen. Konnte ein Mann noch perfekter sein?
»Ups«, flüsterte Cora Lee.
Pamela räusperte sich.
Mit einem leisen Stöhnen löste Vanda sich von Phil. Damit würden die beiden sie nie in Ruhe lassen. Sie blickte wie durch eine rote Brille, da ihre Augen die rote Farbe der Lust angenommen hatten. Schnell wendete sie sich ab und hoffte, Phil hatte nichts gemerkt. Sie sah, wie ihre Freundinnen Rollkoffer neben der Eingangstür platzierten.
»Entschuldigt die Störung.« Cora Lee ging auf Vandas Schlafzimmer zu. »Wir packen nur schnell deine Tasche.«
»Ja, lasst euch von uns nicht stören. Weitermachen.« Pamela stieß Cora Lee in die Rippen und flüsterte: »Ihren Vibrator können wir hierlassen.«
Cora Lee platzte mit einem Kichern heraus, als sie sich in Vandas Schlafzimmer verzogen und die Tür schlossen.
»Ich habe keinen Vibrator!«, rief Vanda ihnen nach und sah dann Phil an. »Das ist ein Nackenmassagegerät.«
Er grinste. »Du wirst es nicht brauchen.«
Worauf ließ sie sich da ein? Wie konnte sie mit diesem Mann unter einem Dach leben? Er war eine zu starke Versuchung. Und aus dieser Situation konnten keine Gewinner hervorgehen. Wenn sie Phil zurückwies und ihn nie wiedersah, würde es wehtun. Höllisch. Wenn sie sich mit ihm einließ und er starb, wie alle Sterblichen es taten, würde es wehtun. Höllisch.
Sie seufzte. »Phil, es ist vorbei.«
»Süße, es fängt gerade erst an.«
»Das sehe ich anders.«
»Kein Problem.« Seine Mundwinkel hoben sich. »Ich gehe gern auf die Jagd.«