Dreizehn
Bant'ena Fhernan legte ihren Elektrostift beiseite und presste sich die kalten, zitternden Hände aufs Gesicht.
Ich kann es nicht tun. Ich ertrage das nicht mehr.
An der gegenüberliegenden nackten, hellgrauen Wand ihres Labors hing ein Chrono, auf dem die Sekunden gnadenlos vergingen. Jetzt, hier, allein, wurde ihr bewusst, wie wenige davon ihr nur noch blieben. Seit Tagen - seit Wochen - zählte sie nun schon die Minuten. Seit Monaten. Um genau zu sein: seit zwei Monaten, drei Wochen und siebzehn corellianischen Tagen - seitdem sie und ihr Forschungsteam von der Woge aus Chaos und Gewalt mitgerissen worden waren, die die Separatisten Annektierung nannten. Taratos IV hatte einem Schlachthaus geglichen ...
Wenn meine Mutter wüsste, wo ich jetzt bin... wenn sie wüsste, dass ich noch lebe... wenn sie mich über ein Komlink erreichen könnte. Dann würde sie jetzt sagen: Ich habe dich ja gewarnt. Und sie würde es sehr laut sagen und sehr oft.
Aber ihre Mutter wusste nicht, wo Bant'ena war. Und sie hatte auch keinen Grund zu glauben, dass ihre Tochter noch lebte. Niemand wusste, dass sie nicht während der Invasion gestorben war - zumindest niemand, der ihr am Herzen lag. Aller
Wahrscheinlichkeit nach hatten sich ihre Familie, ihre Freunde und sogar ihre Feinde damit abgefunden, dass sie zusammen mit dem Rest ihres Forschungsteams bei dem Angriff ums Leben gekommen war und ihr Leichnam am Strand der Niriktavi-Bucht verrottete.
Ihre Mutter - deren aufbrausendes, sprunghaftes Wesen Bant'ena früher so oft irritiert hatte und das sie nun so schrecklich vermisste - hatte sie angefleht, nicht nach Taratos IV zu fliegen. Aber natürlich hatte sie die energischen Warnungen ihrer Mutter in den Wind geschlagen, ihre düsteren Prophezeiungen mit einem müden Kopfschütteln abgetan - und war zu jenem kaum erforschten Planeten in den Unbekannten Regionen geflogen.
Warum hätte sie auch nicht gehen sollen? Der Krieg war viele Parsecs von Taratos IV entfernt, und sie würde nur ein paar Wochen dort sein. »Du bist doch die notorische Glücksspielerin«, hatte sie zu ihrer Mutter gesagt. »Die Chancen sind verschwindend gering, und das weißt du. Also hör auf, diese Katastrophenszenarien zu erfinden! Es ist eine einmalige Gelegenheit für mich. Taratos Vier kann mir viele Türen öffnen. Damit lässt sich bei vielen wichtigen Leuten Eindruck schinden, versteh das doch! Ich meine, denk nur an all die Industriellen und Philanthropen, die nicht wissen, wohin mit ihren Credits!«
Ihre Hypothese über die antibakteriellen Eigenschaften strahlungsbehandelter und molekular veränderter Niriktavi- Korallen war in der Welt der Wissenschaft auf enormes Interesse gestoßen, und mehrere Biotechnologie-Unternehmen hatten sie gebeten, ihnen ihre vorläufigen Ergebnisse vorzulegen, sobald diese ausgewertet und zusammengefasst wären.
»Du willst, dass ich hierbleibe? Mutter, das kann doch nicht wirklich dein Ernst sein?«
Und dann, einen Monat nachdem sie auf Taratos IV gelandet war und mit der Arbeit begonnen hatte, durch die sie die Wissenschaft revolutionieren und nebenbei auch ihre eigene Karriere in neue Sphären katapultieren wollte - an einem wunderschönen Morgen, als das Rot des Sonnenaufganges die Bucht von Niriktavi färbte ... Explosionen, Feuer, Rauch, Schreie. Ohne Vorwarnung, praktisch aus dem Nichts, war ein gewaltiges Schiff über der Forschungseinrichtung aufgetaucht, und Sekunden später spie es schon Horden bewaffneter Kampfdroiden aus. Mit Blastern und Laserbomben hatten sie angegriffen, und jeder, der zu fliehen versuchte, war von kleinen mobilen Plattformen niedergemäht worden. Die Gnadenlosigkeit der Separatisten trieb Bant'ena jetzt noch die Tränen in die Augen.
Sie und ihr Forschungsteam hatten sich die Einrichtung in der Niriktavi-Bucht mit zahlreichen anderen Wissenschaftlern geteilt - Ozeanologen, Meeresbiologen, Archäologen... so viele Otogen, dass es unmöglich gewesen war, den Überblick zu behalten. Taratos IV war erst vor Kurzem zur Erforschung und wissenschaftlichen Untersuchung freigegeben worden. Lange Zeit hatte die Regierung des Planeten sich dagegen gesträubt, die Wunder ihrer Heimat mit Fremden zu teilen. Diese Welt war eine unerschöpfliche Schatztruhe, was Flora, Fauna und geografische Besonderheiten betraf - und die Niriktavi-Bucht stellte, nein, hatte darin das Kronjuwel dargestellt. Die berühmtesten und begabtesten Wissenschaftler der Republik waren wie magisch von diesem Ort angezogen worden. Generationen voller Wissen, Erfahrung und Neugier, die gekommen waren, die Rätsel des Lebens zu feiern und zu ergründen. Aber die Separatisten hatten auch mit unbewaffneten Forschern kein Mitleid gehabt. Alle waren sie niedergemetzelt worden, mit schrecklicher, blutiger Effizienz.
Kaum jemand hatte überlebt. Ihre Freunde, ihre Assistenten und Kollegen, all die Leute, die sie nur oberflächlich oder überhaupt nicht kennengelernt hatte, aus denen Freunde hätten werden können, wäre sie nicht so völlig in ihre Arbeit vertieft gewesen - tot, ermordet. Aber sie und ein paar andere Wissenschaftler - sie wusste nicht genau, welche es waren, und hatte sie seit dem Morgen des Angriffs nicht wiedergesehen - waren verschont worden. Die Droiden hatten sie über den Strand zu dem wartenden Schiff gezerrt, hatten ihr Schreien und Flehen mit der Gleichgültigkeit von Maschinen ignoriert. Und dann hatten die Herren dieser Droiden, die Separatisten, sie mit Drogen vollgepumpt, die alles fortgewischt hatten - bis auf einen Gedanken: Nein, nein, nein! Es darf nicht sein, dass all diese Personen sterben mussten, nur damit die Seps mich gefangen nehmen können.
Bant'ena wusste nicht, wo die anderen Gefangenen waren, was man mit ihnen angestellt hatte, wozu sie gezwungen wurden. Einmal hatte sie nach ihnen gefragt - und war für ihre Neugier hart bestraft worden. Seitdem behielt sie ihre Fragen für sich.
Trauer wallte in ihr hoch - eine Flutwelle, der nichts standhalten konnte. Sie presste ihre Hände fester gegen die vorstehenden Knochen ihres Gesichts. Vor zwei Monaten, drei Wochen und siebzehn corellianischen Tagen war sie etwas mollig gewesen. Heute war sie das nicht mehr. Heute hätte eine Cantina-Band auf ihren Rippen Xylofon spielen können.
Wenn Raxl mich sehen könnte, würde er mich vermutlich kaum wiedererkennen. Er wäre schockiert, vielleicht sogar angeekelt. Er hasste dürre Frauen, und ich bestehe praktisch nur noch aus Haut und Knochen.
Der Gedanke an ihren Assistenten, der zeitweise auch ihr Geliebter gewesen war, ließ brennende Tränen aus ihren Augen quellen. Raxl war beim Angriff der Separatisten gestorben, eine von zahllosen Leichen, die die Niriktavi-Bucht auf ewig in einen Ort des Grauens verwandeln würden. Sie hatte nicht gesehen, wie er gestorben war, aber sie hatte seine Schreie gehört. Seine Stimme war ihr so vertraut gewesen, dass sie sie selbst im ohrenbetäubenden Chor der verzweifelten Seelen noch erkannt hatte.
Bant'ena atmete tief ein. Sie rang mit sich, versuchte, nicht laut loszuschluchzen und den bitteren Kloß im Hals hinunterzuschlucken. Sie ballte die Hände zu Fäusten und schlug gegen ihre Brust.
Hör auf damit, du Närrin! Denk nicht an die Niriktavi-Bucht! Denk nicht an die anderen! Denk nicht an Raxl! Sie sind alle fort, und es gibt nichts, was du daran ändern könntest - also denk nicht mehr daran! Du bist jetzt ein Geist - wie die anderen auch.
Das Labor, in dem die Separatisten sie zur Arbeit zwangen - ihr Gefängnis, wie sie es inzwischen in Gedanken nannte -, war auf dem neuesten Stand. Die Ausrüstung war erstklassig, und wann immer sie um etwas bat, das mit ihrer Arbeit zusammenhing, stellte man es ihr in kürzester Zeit zur Verfügung - ganz gleich, wie exotisch ihre Wünsche auch waren. Sei es nun ein Elektroskop oder ein Partikelteiler - sie bekam es. Natürlich fiel es ihr nicht leicht, für die Separatisten zu arbeiten. Sie hasste sich dafür. Sie fühlte sich schmutzig. So, als ob sie alle, die auf Taratos IV gestorben waren, verraten würde. Als ob sie sich ihren Entführern angeschlossen hätte. Als ob sie sie nicht verabscheute ... Aber sie verabscheute sie und tat nur deshalb, was man ihr auftrug, weil sie keine andere Wahl hatte - die Separatisten hatten ihr das sehr deutlich gemacht.
Aber das wird nie jemand erfahren. Wenn das hier vorbei ist... wenn ich tot bin... wenn ich Erfolg habe... dann werde ich für alle nur eine Mörderin sein, eine Separatistin.
Es sei denn natürlich, sie lehnte sich gegen ihre Entführer auf. Das könnte sie tun: ihnen die Unterstützung verweigern und sich den Bestrafungen stellen - so lange, bis sie schließlich starb.
Aber auch, wenn ich diesen Weg einschlage, werde ich trotzdem für alle eine Mörderin sein. Es macht keinen Unterschied. Ganz egal, was ich auch tue oder nicht tue: Ich verliere.
Sie hörte auf, sich gegen die Brust zu schlagen, rieb die schmerzende Stelle und blickte wieder zum Chrono hinüber. Es war noch nicht sehr spät. Eigentlich sollte sie jetzt arbeiten. Bald schon würde jemand hereinkommen, um ihre Fortschritte zu überprüfen. Das taten die Separatisten immer - mehrmals am Tag. Und wenn Bant'ena nichts Positives vorweisen konnte ... wenn sie zu langsam gearbeitet hatte oder in einer wissenschaftlichen Sackgasse gelandet war ... wenn sie nicht ihren Nutzen demonstrieren konnte, einen Grund, sie am Leben zu lassen, einen Beweis für ihre Fügsamkeit... dann griffen ihre misstrauischen Entführer auf äußerst schmerzhafte, sadistische Methoden zurück, um ihrem Missfallen Ausdruck zu verleihen.
Sie wussten, wie viel Schmerz sie ihr zufügen konnten, ohne dass sie dadurch in ihrer Arbeit behindert wurde, und sie gingen stets bis an die Grenzen.
Bant'enas Blick wanderte zur gegenüberliegenden Wand des Labors, wo ihre sieben Experimente aufgereiht standen, jedes davon in einer anderen Entwicklungsphase. Dreien rechnete sie noch Chancen zu. Zwei waren bereits jetzt Fehlschläge, aber sie hatte beschlossen, sie leben zu lassen, um zu sehen, was aus ihnen wurde. Und die beiden übrigen waren ein voller Erfolg. Natürlich waren sie noch nicht völlig herangereift, aber bereits jetzt war zu erkennen, dass sie perfekt sein würden. Sie blickte zu ihnen hinüber - und ihr wurde übel. Der Gedanke, dass sie selbst das geschaffen hatte, trieb ihr die Tränen in die Augen.
Warum wurde ich nur mit diesem Talent geboren? Warum konnte ich nicht einfach eine gute Tänzerin sein?
Sieben Käfige standen dort drüben, in jedem davon ein kleines Nagetier. Drei davon würden bald schon tot sein - ein hässliches, aber notwendiges Opfer auf dem Altar der Wissenschaft. Bant'ena hatte sich schon vor langer Zeit damit abgefunden, dass hin und wieder Versuchsobjekte sterben mussten, um die Forschung voranzubringen. Ihrer Meinung nach machte es keinen Unterschied, ob man ein Tier nun zum Abendessen verspeiste oder es in einem Labor tötete - zumal das Abendessen und die Forschung letztendlich dasselbe Ziel verfolgten: das Leben angenehmer zu machen.
Zumindest in diesem Punkt war ihr Gewissen also rein.
Sie ging hinüber und blickte auf eines ihrer fehlgeschlagenen Experimente hinab. Sie beneidete das Tier - es wusste nicht, wie wenig Zeit ihm nur noch blieb. All die Qualen, die Bant'ena durchlitt, blieben ihm erspart. Sie öffnete den Käfig und füllte den kleinen Trog mit Wasser auf. Früher hatte sie einen Droiden gehabt, der sich um diese Aufgaben kümmerte. Aber die Separatisten wollten, dass sie alleine arbeitete, völlig allein, bis auf die gelegentlichen Besuche ihrer Entführer.
Die Tür hinter ihr schwang auf, und eine massige Gestalt trat mit klackenden Stiefeln in das Labor.
»Doktor Fhernan! Sie sind zurück! Willkommen zuhause, meine Liebe!«
Nein, du stinkender Barve! Ich bin nicht deine Liebe, und das ist auch nicht mein Zuhause!
Ihr Magen verkrampfte sich, aber sie setzte das ausdruckslose Gesicht auf, das sie sich in den Wochen ihrer Gefangenschaft antrainiert hatte, und drehte sich zu ihm um. »General Durd, ich wusste gar nicht, dass Sie wieder auf Lanteeb sind.«
Das aufgedunsene Gesicht des Neimoidianers verzog sich zu einem Lächeln, das ebenso falsch und aufgesetzt war wie Bant'enas Gleichgültigkeit. »Ja, ich bin vor ein paar Stunden erst gelandet. Ich hätte Sie ja gerne schon früher besucht, aber ich musste mich um andere, wichtige Angelegenheiten kümmern. Aber nun sind wir ja beide wieder hier. Ist das nicht schön?« Er blickte sie lange und durchdringend an. »Und wie geht es Ihnen, meine Liebe? Ich hoffe doch sehr, dass Ihr kleines Abenteuer von Erfolg gekrönt war.«
Sie deutete über ihre Schulter. Dort stand auf einem Tisch die versiegelte Kiste, die sie zum Labor gebracht hatte. Bant'ena warf dem zum Tode verurteilten Nager in seinem Käfig einen letzten Blick zu, dann stellte sie die Kanne mit dem Wasser beiseite und ging hinüber. Neben der Kiste blieb sie stehen und senkte den Blick. Durd liebte es, wenn sie sich ihm gegenüber unterwürfig gab.
»Ja, General.«
»Ja, General... und weiter?«, fragte Durd.
Bant'ena hob den Kopf. Ihr Stolz mochte angeschlagen sein, aber noch hatte sie ihn nicht völlig verloren. »Und ich habe die Substanz, über die wir sprachen.«
»Wie überaus wundervoll«, sagte Durd, und blanke Habgier glänzte in seinen Augen. »Sind Sie auch absolut sicher, dass es das ist, was Sie benötigen, um die nächste Phase unseres kleinen Projekts einzuläuten?«
Unser kleines Projekt. So nannte Durd es immer. Eine harmlose Bezeichnung für die schreckliche Waffe, an deren Entstehung Bant'ena sich hier mitschuldig machte. Glaubte der Neimoidianer etwa, dieser verharmlosende Euphemismus würde sie vergessen lassen, wie unvorstellbar die Zerstörungskraft dieses Projektes war? Sie wusste es nicht. Sie wusste nur, dass Durds verdrehter, niederträchtiger Verstand überzeugt war, dass sie der Galaxis einen Dienst erwiesen - dass sie hier etwas Großartiges, Wundervolles erschufen.
Eines der Versuchstiere schnurrte leise.
»Ja, General«, sagte sie mit ausdrucksloser Stimme. Sie war mittlerweile geübt darin, ihre wahren Gedanken und Gefühle geheim zu halten und die Gehorsame zu spielen. Er glaubt, dass meine Leidenschaft für die Forschung mich auf seine Seite ziehen wird und ich mich ihnen anschließe, weil unser kleines Projekt mich so fasziniert. Aber da täuscht er sich. »Das Rondium, das Sie gefunden haben, ist perfekt für unsere Zwecke.«
»Das ist aber ein ziemlich kleiner Behälter«, murmelte Durd und blickte stirnrunzelnd auf die Kiste hinab. »Wird das denn reichen?«
Seine Ignoranz war immer wieder erstaunlich. »Natürlich, General. Ich habe mehr als genug Rondium mitgebracht. Damit können wir ausführliche Tests unter kontrollierten Bedingungen durchführen und ...« Sie räusperte sich, bat im Stillen um Vergebung.»... und die Anwendungsmöglichkeiten im Feld erproben.«
»Hm.« Durd schob sich näher an sie heran, strich dabei mit einem Finger über die Tischplatte. »Ich finde es nur ein wenig merkwürdig, dass Sie Ihre Freunde bei Ralteb Minotech besuchen mussten. Hätten wir die Reinheit des Rondiums denn nicht auch hier ermitteln können? Zuhause?«
Das ist nicht mein Zuhause, du eitriger Schleimbeutel! Und es wird auch nie mein Zuhause sein!
Sie blickte erneut zu Boden. Die Angst, dass er den angeekelten Ausdruck in ihren Augen bemerkt hatte, schnürte ihr einen Moment lang die Kehle zu. »Es tut mir leid, General«, sagte sie dann tonlos. »Ich habe doch erklärt, warum das notwendig war. Wir mussten das Rondium überprüfen, andernfalls wäre das gesamte Projekt gefährdet gewesen. Deshalb hat Colonel Argat mir auch die Erlaubnis erteilt, Ralteb Minotech aufzusuchen.« Sie sah Durd an. »Unter entsprechender Bewachung natürlich.«
Durd stand nun direkt vor ihr, und sie spürte den warmen Atem, der aus seinem lächelnden Mund strömte. »Colonel Argat war nicht befugt, Ihnen in meiner Abwesenheit irgendwelche Sonderwünsche zu gestatten. Dass er Sie Lanteeb verlassen ließ, war grob fahrlässig, Doktor - bewaffnete Eskorte hin oder her. Aus diesem Grund ist Colonel Argat auch seines Postens enthoben worden. Von jetzt an ist Colonel Barev Ihre Ansprechperson. Er wird morgen früh hier eintreffen, dann werde ich Sie miteinander bekannt machen.«
»Ja«, sagte sie, aber das Wort klang selbst in ihren eigenen Ohren leise und kraftlos. Bedeutete das, dass Argat hingerichtet worden war? Hatte sie den Tod eines Mannes auf dem Gewissen? Und warum belastete sie das überhaupt? Schließlich war er nur ein weiterer Separatist gewesen.
Aber er hatte sich ihr gegenüber immer korrekt verhalten, und manchmal, wenn sie ihn aus den Augenwinkeln beobachtet hatte, war ihr die Traurigkeit in seinem Blick aufgefallen. Als ob er nicht auf Lanteeb sein wollte, ebenso wenig wie sie.
»Meine Liebe!«, meinte Durd und hob den Finger, mit dem er über die Tischplatte gefahren war, unter ihr Kinn. Sanft drückte er ihren Kopf nach oben, bis sie ihm in die Augen sehen musste. »Dachten Sie vielleicht, Sie könnten Ihre Wachen abschütteln und entkommen? Wollten Sie jemandem bei Minotech eine Nachricht zukommen lassen? Oder hofften Sie, dass Sie sich ein ungesichertes Komlink schnappen könnten, um bei der Republik um Hilfe zu rufen? Hm?«
Natürlich war das meine Absicht gewesen! »Nein, General«, antwortete sie. Ihre Zunge fühlte sich rau und trocken an. »Wie ich dem Colonel bereits erklärte, hat Rondium keine einheitliche Qualität. Abhängig, von welchem Planeten und aus welcher Mine es stammt, variiert der Grad der Verunreinigung. Für unsere Zwecke ist aber reines Rondium notwendig. Minotech hat sich ganz auf diese Substanz spezialisiert. Außerdem lagert dort Rondium aus zweiundzwanzig verschiedenen Systemen. Wäre Ihr Rondium nicht geeignet gewesen, hätte ich es dort gegen die gewünschte Qualität eintauschen können. Außerdem haben wir so keinerlei Aufmerksamkeit erregt. Ich hatte nur einen Koffer dabei. Hätte man die Überprüfung allerdings hier durchgeführt, hätte Minotech eine Schiffsladung voller Instrumente nach Lanteeb schaffen müssen - und zweiundzwanzig Rondium-Proben, für den Fall, dass die Ergebnisse nicht zufriedenstellend gewesen wären.«
Durd tippte ihr mit dem Finger leicht gegen die Nasenspitze. »Kein Wunder, dass Argat Ihrer Argumentation nichts entgegenzusetzen hatte, Doktor Fhernan. Sie sind so ... überzeugend. Aber warum sind Sie so lange in Ihrem hübschen Wagen sitzen geblieben, wenn Sie mir noch diese eine weitere Frage gestatten? Ich hatte schon befürchtet, Sie würden gar nicht mehr aussteigen.«
Er hatte sie also beobachtet. Was für eine Überraschung!
Sie möchten wissen, warum ich so lange gezögert habe, General? Weil ich überlegt habe, ob ich die Kiste mit dem Rondium öffnen und Selbstmord begehen soll. Und mittlerweile wünsche ich mir, ich hätte es getan!
Sie brachte ein halbwegs aufrichtiges Lächeln zustande.
»Oh, das«, sagte sie. »Ich war ganz in Gedanken vertieft, das ist alles. Auf dem Flug hierher habe ich mich intensiv mit dem Projekt beschäftigt, und ich glaube, ich habe eine Lösung für unsere Probleme beim Umwandlungsprozess gefunden.«
Durd legte den Kopf zur Seite. »Unsere Probleme?«
»Verzeihen Sie! Ich meinte natürlich meine Probleme, General«, verbesserte sie sich hastig. »Ich glaube, ich bin auf eine Formel gestoßen, die einen Großteil der Komplikationen eliminieren würde. Auf dem Weg hierher habe ich bereits darüber nachgedacht, und ich war immer noch mit dieser Formel beschäftigt, als der Bodenwagen hier angekommen ist. Sie wissen ja, wie es ist, wenn man einen Geistesblitz hat. Man möchte seinen Gedanken ausformulieren, ihn bis zum Ende verfolgen. Darum saß ich noch so lange draußen - weil ich diese neue Formel ausarbeiten wollte.«
Durds Pupillen wurden weit - zwei Blüten der Niedertracht, die sich langsam öffneten. »So war das also?«
»Ja, General.« Bant'ena ging hinüber zum Arbeitstisch in der Mitte des Labors und hob das Datapad in die Höhe, auf dem sie gerade noch ihre Notizen niedergeschrieben hatte. »Möchten Sie einen Blick darauf werfen?« Sie hielt ihm das Gerät entgegen. »Ich habe meine neuen Berechnungen gerade erst überprüft. Sie sind korrekt.«
»Aha.« Durd überflog den Text auf dem kleinen Bildschirm. Als würdest du auch nur ein Wort davon verstehen, du aufgeblasener Mistkerl! »Gut, gut, meine Liebe. Ich nehme an, dadurch ist Ihre Schuld am Fehlverhalten von Colonel Argat zumindest teilweise gesühnt. Aber ganz darüber hinwegsehen werde ich erst, wenn Sie mir einen Durchbruch präsentieren - und zwar noch heute Nacht. Count Dooku war sehr betrübt darüber, dass der gute Colonel Argat seines Postens enthoben werden musste. Ich bin sicher, dass ihn ein paar beeindruckende Forschungsergebnisse wieder versöhnlicher stimmen.«
Gesühnt? Darüber hinwegsehen? Versöhnlicher stimmen ... Sie sind verrückt! Sie sind alle verrückt! »Falls Count Dooku mit meinen Fortschritten nicht zufrieden ist, so bedaure ich das sehr, General.«
»Das sollten Sie auch. Und nun«, Durd gähnte, »wünsche ich Ihnen noch einen schönen Abend. Es war ein sehr anstrengender Tag für mich, und ich möchte mich ein wenig ausruhen. Die Pflichten eines Generals sind mannigfaltig, Sie wissen.« Er faltete die Hände vor dem Bauch und ließ einen letzten, zufriedenen Blick durch das Labor schweifen - über die sieben Käfige und all die Formeln und Notizen, mit denen die Tafeln an den Wänden bedeckt waren, über die Tische und die teuren, hochmodernen Instrumente -, ehe seine Augen schließlich wieder auf Bant'ena zu ruhen kamen. »Wir leisten hier großartige Arbeit, Doktor Fhernan, wirklich großartige Arbeit. Wenn unser kleines Projekt sich als erfolgreich erwiesen hat, wird die gesamte Galaxis tief in unserer Schuld stehen. Wir stehen kurz davor, Milliarden von Lebewesen vor der Tyrannei der Republik und ihres fadenscheinigen Senats zu befreien. Eines Tages, da bin ich mir sicher, wird man Lieder über unsere Taten singen, meine Liebe. Ich kann sie jetzt schon hören.«
Sie musste an sich halten, um nicht zu würgen. »Ja, General.«
Er lächelte, dann wandte er sich ab und ging zum Ausgang hinüber. Aber auf halbem Wege blieb er noch einmal stehen und schlug sich mit der flachen Hand auf die Stirn. »Jetzt hätte ich bei all der Aufregung doch beinahe etwas vergessen.« Er griff in seine Tasche, zog eine kleine Holo-Einheit hervor und legte sie behutsam auf einen der Tische. »Ein kleines Geschenk für Sie. Ich hoffe, es gefällt Ihnen.«
Regungslos stand Bant'ena da, wartete, bis Durd den Raum verlassen hatte - und dann noch ein wenig länger. Sie atmete ganz flach, bis der Drang, sich zu übergeben, wieder abgeflaut war, bis sie die Tränen zurückgekämpft hatte, die in ihren Augen brannten. Die Holo-Einheit lag auf dem Tisch wie eine Bombe, die jeden Augenblick losgehen und ihre letzten Hoffnungen zerfetzen könnte.
Sieh es dir nicht an! Sieh es dir bloß nicht an! Tu es nicht, bitte!
Aber natürlich sah sie es sich trotzdem an.
Die erste Aufzeichnung zeigte ihre Mutter. Sie schlenderte über den Obst- und Gemüsemarkt, der an jedem Wochenende in Tiln abgehalten wurde. Die Fahrt von Bant'enas Heimatstadt dorthin dauerte eine Stunde und war alles andere als angenehm, aber Mata Fhernan weigerte sich, ihre Rubien oder Chee-Chee-Beeren irgendwo sonst zu kaufen. Aus den Lautsprechern der Holo-Einheit drang Stimmengewirr. Und dann, als ihre Mutter vor einem der Stände stehen blieb und sich mit der Verkäuferin unterhielt, konnte Bant'ena sie sogar hören. Sie sprach über Palpatines jüngste Ansprache im Senat - das war Durds Art, ihr zu zeigen, dass die Aufzeichnung neu war. Sie hatte diese Rede, von der Mata sprach, selbst gesehen, vor zwei Tagen erst. Damals hatte sie sich gewundert, warum man ihr die Übertragung zeigte - sie wurde normalerweise völlig von der Außenwelt abgeschnitten. Aber sie kannte den Grund.
Ihre Mutter machte einen gesunden, fröhlichen Eindruck.
Ebenso wie ihr Bruder Ilim und dessen Frau und neugeborenes Kind, die in ihrem Apartment in Corel City am Essenstisch saßen. Die dritte Aufzeichnung zeigte ihre Schwester Chai und deren Ehemann Bern, die gerade am zentralen Raumhafen von Alderaan ihr Schiff verließen. Ihre beiden Söhne hatten rote Nasen und tränende Augen, sie husteten und niesten, und vermutlich wäre es besser gewesen, nicht mit ihnen zu ihrem alljährlichen Campingausflug zu fliegen, aber Bant'ena kannte Bern - er war zu gutherzig, konnte seinen Söhnen keinen Wunsch abschlagen. Die vier kamen an einem Chrono vorbei, das neben der Zeit auch das Datum anzeigte - die Aufzeichnung war gerade einmal drei Tage alt.
Verzweifelt, wütend und zugleich glücklich wischte sich Bant'ena die Tränen aus dem Gesicht.
Wäre ich nur ein Einzelkind. Wäre ich nur eine Waise. Dann könnten die Seps meine Mutter und meine Geschwister jetzt nicht als Druckmittel einsetzen, um mich zur Zusammenarbeit zu zwingen.
In ihren verzweifeltsten Augenblicken wünschte sie das wirklich. Dann verfluchte sie sich dafür, dass sie eine so kontaktfreudige, herzliche Person war, die so viele Freunde hatte. Denn wäre sie die verschrobene, eigenbrötlerische Art Wissenschaftlerin, dann müssten Didjoa, Samsam und Lakhti jetzt nicht unter ständiger Beobachtung leben - dann wären nicht ständig unsichtbare Blaster auf ihre Köpfe gerichtet.
Angst, Abscheu und Trauer drehten ihr den Magen um. Sie krümmte sich zusammen, musste sich an der Tischkante abstützen, um nicht zusammenzubrechen. Ein Schluchzen schob sich ihre Kehle empor, und es brach aus ihr hervor, laut und gequält, und durchbrach die Stille des Labors.
Ich muss es tun. Ich muss ihren Befehlen Folge leisten. Wenn nicht... werden alle, die ich liebe, sterben.
»Hmm«, brummte Obi-Wan skeptisch. »Ich bin mir nicht mehr so sicher, ob das eine gute Idee war.«
Anakin blickte ihn aus zusammengekniffenen Augen an. »Ich bewundere Eure Weisheit, Meister.«
»Das wäre das erste Mal«, entgegnete Kenobi mit einem schmalen Lächeln und legte den Kopf schief. »Was war das?«
Sie kauerten im Schatten eines Lagerhauses, das sich nahe der hinteren Mauer des Komplexes erhob. Sie hatten auf dem Dach des Transporters unbemerkt vier Kontrollpunkte passiert, während dieser sich quälend langsam auf einer gewundenen Straße vorangeschoben hatte, vorbei an einem überdachten Abstellplatz - wo sie neben zwei anderen Fahrzeugen auch den luxuriösen Bodenwagen gesehen hatten - und dann um ein hell erleuchtetes, zweistöckiges Gebäude herum. Schließlich war der Transporter am Eingang des Lagerhauses stehen geblieben, und der mechanische Fahrer hatte damit begonnen, die Fracht auszuladen: große, unmarkierte Kisten, gestapelt auf schwebenden, ferngesteuerten Paletten. Dabei bekam er Unterstützung von einer Handvoll weiterer Droiden, die wohl für dieses Lagerhauses zuständig waren.
Sobald ihre Aufmerksamkeit ganz den Kisten galt, waren die beiden Jedi auf Obi-Wans Zeichen hin vom Dach des Transporters gesprungen und hatten sich anschließend unter dem Tarnmantel der Macht in den Schatten des Lagerhauses geschlichen.
Nach Anakins Einschätzung war seitdem fast eine Stunde vergangen. In der Zwischenzeit hatten sechs weitere Transporter vor dem Gebäude gehalten, und jeder hatte eine Wagenladung dieser merkwürdigen Kisten ausgespuckt, ehe er wieder in der Nacht verschwunden war. Skywalker wurde allmählich ungeduldig. Nichts wäre ihm lieber, als einfach loszustürmen, die Droiden niederzustrecken, das Hauptgebäude des Separatisten-Komplexes zu stürmen und auf direktem Wege herauszufinden, was hier vor sich ging. So würde ein Jedi handeln. Aber leider durften sie sich auf dieser Mission nicht wie Jedi verhalten - jedenfalls nicht wie richtige Jedi. Das passte nicht in das Konzept einer verdeckten Operation. Hier ging es um Verstohlenheit, um unbemerktes Vorgehen.
Und langsam hasste er es.
»Da«, murmelte Obi-Wan. »Das könnte unsere Gelegenheit sein.«
Das Lagerhaus quoll mittlerweile über vor Paletten, und Anakin musste nicht einmal die Macht einsetzen, um das herauszufinden. Es reichte schon, die Droiden zu belauschen. Der Anführer der kleinen Gruppe, dessen Stimme sich schrill und quäkend von denen der anderen abhob - ein defekter Vokoder vermutlich -, wies seine metallenen Kameraden darauf hin, dass im Lagerhaus kein Platz mehr wäre. Der nächste Transporter, so denn noch einer folgen sollte, würde seine Ladung also nicht mehr unterbringen können. Der Droide gab diese Information anschließend auch über Funk weiter, und ein paar Sekunden später erhielt er neue Anweisungen: Die Paletten sollten ins Hauptgebäude transportiert werden.
»General Durd will, was in diesen Kisten ist«, erklärte der Droide quakend, »und was General Durd will, bekommt er auch. Also strengt eure Servomotoren an, ihr rostigen Ersatzteilhaufen!«
Anakin sog scharf den Atem ein. General Durd?. Konnte das Lok Durd sein, Count Dookus persönlicher Waffenbastler? Aber das war unmöglich: Durd war gefangen genommen worden und wartete in einem stark gesicherten Gefängnis auf seinen Prozess - oder etwa nicht?
Obi-Wan beugte sich zu ihm vor. »Die Wahrscheinlichkeit, dass es zwei General Durds gibt, ist wohl eher gering, findest du nicht?«
»Verschwindend gering«, nickte Anakin. Er beobachtete, wie die ersten Paletten aus dem Lagerhaus schwebten. Neben jeder von ihnen ging ein Droide her, in der Hand eine Fernbedienung. »Aber das würde bedeuten, dass er aus der Haft entkommen wäre. Wie kann das sein? Und warum wissen wir nichts davon?«
»Nun«, begann Obi-Wan, während er mit der Hand über seinen Bart strich. »Wir waren in letzter Zeit ziemlich beschäftigt. Vielleicht haben wir ja das Memo übersehen.«
»Oder Durds Flucht wurde vertuscht«, entgegnete Anakin. »Das halte ich für wahrscheinlicher. Da wollte irgendjemand den Schein wahren. Noch ein Separatist, der uns durch die Lappen gegangen ist - das würde keinen guten Eindruck machen.«
»Wir sollten keine überhasteten Schlussfolgerungen anstellen«, ermahnte ihn Obi-Wan.
»Vielleicht war das ja Durd in diesem Wagen«, überlegte Skywalker. »Das würde erklären, warum ich dieses vertraute Gefühl hatte.«
»Dann erweist sich die Episode auf Maridun im Nachhinein also doch noch als nützlich«, meinte Kenobi. »Schließlich konntest du nur so diese Verbindung herstellen.«
Trotzdem hätte ich lieber darauf verzichtet. »Vermutlich habt Ihr recht. Aber es ist merkwürdig, dass ich ihn nicht erkannt habe - und dass Ihr ihn überhaupt nicht spüren konntet.«
»Ja, sehr merkwürdig.« Obi-Wan gab sich ratlos. »Damit können wir uns aber später noch befassen.«
Das letzte der Droiden-Paletten-Gespanne hatte das Lagerhaus verlassen und verschwand jenseits des Scheinwerferlichts im Dunkel. Zurück blieb nur der Aufseher mit der quietschenden Stimme - er bearbeitete ein Datapad und verzeichnete den Transfer der Kisten.
»Also schön«, sagte Kenobi und erhob sich. »Ich lenke ihn ab, du schaltest ihn aus. Aber unauffällig - lass es aussehen wie ein durchgebrannter Schaltkreis!«
Anakin fuhr sich mit der Zunge über die Unterlippe. Er sollte also einfach so einen Droiden deaktivieren - ein Modell, das er noch nie gesehen hatte -, und obendrein noch schnell und ohne Spuren zu hinterlassen. Es ehrte ihn zwar, dass Obi-Wan solches Vertrauen in seine Fähigkeiten hatte, aber bisweilen übertrieb er es ein wenig. Anakin konzentrierte sich. Zum Glück hatte der Schlag mit dem Elektrostab keine bleibenden Schäden hinterlassen. Er würde es schaffen.
Kenobi trat um die Ecke und näherte sich dem Droiden mit dem selbstbewussten, gelassenen Gang, der so typisch für ihn war. Selbst in dieser billigen, schmutzigen Kleidung und ohne Lichtschwert sah Obi-Wan noch aus wie ein Jedi. Anakin musste grinsen.
»Entschuldigen Sie bitte«, rief Kenobi. »Es tut mir leid, Sie stören zu müssen, aber ich fürchte, ich habe mich verlaufen.«
Ein rotes Lämpchen am Schädel des Droiden blinkte auf. »Wer sind Sie?«, quietschte er, noch während er sich zu Obi-Wan herumdrehte. »Was tun Sie hier? Unbefugte haben keinen Zutritt zu diesem Bereich.«
»Ich weiß, ich weiß«, erwiderte Kenobi entschuldigend und hob die Arme. Jetzt war jede Spur dessen, was Organa Jedihaftigkeit nannte, aus seinem Verhalten gewichen. Er war nun wieder der unterwürfige Lanteebaner. Seine Bewegungen waren fahrig und nervös, und er schob sich immer weiter um den Droiden herum, sodass dieser sich drehen musste, um ihm mit seinen Rezeptoren zu folgen. »Irgendetwas ist hier fürchterlich schiefgelaufen. Können Sie mir vielleicht helfen? Wo bin ich? Ich glaube, ich bin gestürzt und habe mir den Kopf gestoßen.«
Immer noch grinsend schlich nun auch Anakin aus dem
Schatten. Der Droide stand mittlerweile wieder mit dem Rücken zu ihm, und so sah er nun die abnehmbare Platte zwischen den beiden Hauptarmen. Er konnte nur hoffen, dass die Elektronik, die darunter lag, nicht ebenso exotisch war wie das Aussehen des Droiden. Er konzentrierte seine Sinne, bündelte die Macht, bereitete sich auf die bevorstehende Aufgabe vor.
Obi-Wan tat indes sein Bestes, um den Droiden abzulenken. Er zappelte hin und her, schnitt dabei verzweifelte Grimassen und plapperte immer weiter vor sich hin. Keine Frage, im Club Feuervogel auf Coruscant würden die Zuschauer jetzt vor Lachen am Boden liegen.
Falls er jemals das Jedi-Dasein aufgeben sollte, wäre Komiker eine echte Karrierealternative für ihn.
Anakin war jetzt noch fünf Schritte von dem Droiden entfernt, noch vier, drei, zwei - noch einen.
Er streckte den Arm nach der Platte aus. Warum konnte dieses Modell nicht so konstruiert sein wie 3PO, mit einem externen Deaktivierungsknopf? Konnte es nicht wenigstens irgendeinen Aspekt dieser Mission geben, der nicht unnötig kompliziert war? Offensichtlich nicht. Seine Fingerspitzen berührten das verbeulte, dunkelbraune Metall - und ein betäubender Schmerz raste durch seinen Arm.
Verdammt! Dieser Schrotthaufen verfügt über einen Körperschild!
Die Sekunden verschwammen. Der Droide wirbelte herum, seine Stimme in quäkendem Protest erhoben, und Anakin riss den anderen Arm in die Höhe, setzte die Macht ein, um die Metallgestalt zu lähmen und die Platte von ihrem Rücken zu reißen. Aber was dahinter lag, konnte er kaum erkennen. Der Schmerz hatte jeden einzelnen Nerv in seinem Körper versengt, seine Wahrnehmung getrübt. Er sah alles doppelt oder eher dreifach. Der Schmerz drohte ihn zu übermannen, rief Erinnerungen an den Schlag mit dem Elektrostab hervor. Obi-Wan kam auf ihn zu. Er bewegte die Lippen, aber Anakin konnte kein einziges Wort verstehen. Ein knisterndes Rauschen füllte seine Gehörgänge.
Aber er musste noch eine Aufgabe erfüllen. Er vergaß jeden rationalen Gedanken und konzentrierte sich ganz auf jenen Instinkt, der ihn leitete, wann immer er an einer Maschine arbeitete, der ihn praktisch mit der Maschine verschmelzen ließ - und der vermutlich auch dafür verantwortlich war, dass sein Körper seine künstliche Hand so mühelos angenommen hatte und dass er immer noch genauso stark in der Macht verwurzelt war wie zuvor, obgleich ein Teil von ihm nun aus Metall bestand.
Seine Sicht klärte sich, und auch Obi-Wan konnte er wieder hören. Der Schmerz ebbte ab, und er wusste nun auch, wie er den Droiden kontrollieren konnte. Seine künstliche Hand und seine echte Hand arbeiteten in fliegender Eile und in perfekter Harmonie.
»Fertig?«, fragte Kenobi.
Anakin nickte. »Fertig. Wollt Ihr unserem blechernen Freund hier noch ein paar Fragen stellen, ehe ich ihn deaktiviere? Ich habe seine Kontrollsysteme überbrückt.«
»Gut mitgedacht«, sagte Obi-Wan mit einem Lächeln. Dann richtete er seinen Blick auf den Droiden. »Was ist das hier für eine Einrichtung?«
»Eine Einrichtung der Konföderation Unabhängiger Systeme«, lautete die Antwort. Die Stimme des Droiden war seltsam verzerrt - noch seltsamer als zuvor. »Der kommandierende Offizier ist General Lok Durd.«
»Was war in den Kisten, die die Droiden zum Hauptgebäude gebracht haben?«
Irgendetwas im Innern des metallenen Leibes zischte. Knirschte. »Vorräte.«
»Welche Art Vorräte?«, hakte Obi-Wan nach. »In einigen dieser Kisten waren Löcher. Wurden Tiere hierhergebracht?«
Ein weiteres Knirschen. »Überprüfe Frachtverzeichnis... Bitte warten! Überprüfe Frachtver ... Versuchstiere.«
Anakin zog die Augenbrauen hoch. »Versuchstiere.«
»Weißt du, was das bedeutet?«, fragte Obi-Wan.
»Dass wir recht hatten. Durd, Versuchstiere. Die Separatisten basteln hier an einer biologischen Waffe.« Er schüttelte den Kopf. »Na, großartig!«
Kenobi schnippte mit den Fingern vor dem Gesicht des Droiden. »Was war in den anderen Kisten?«
»Überprüfe Frachtverzeichnis.« Die mechanische Stimme klang noch verzerrter. »Bitte warten! Überprüfe Frachtverzeichnis ... Bitte war...«
Und dann sprudelte plötzlich eine schier endlose Auflistung aus dem Vokoder des Droiden: Tiernahrung, haltbare Rationen, eine Vielzahl neimoidianischer Köstlichkeiten, elektronische Ersatzteile, Industrieschmiermittel, Holo-Ausrüstung, etliche Datenkristalle und, und, und... Anakin suchte die Dunkelheit des Lagerhauses aufmerksam ab, aber noch kehrten die anderen Droiden nicht zurück.
»Alles in Ordnung«, sagte er dann an Obi-Wan gerichtet. »Aber ich weiß nicht für wie lange. Wir sollten diese Fragestunde jetzt beenden.«
Kenobi nickte. »Du hast recht.« Er wandte sich noch einmal an den Droiden. »Wie viele Personen und Kampfdroiden sind hier stationiert?«
»Diese Information liegt außerhalb der Parameter meiner Programmierung.«
»Was geht im Hauptgebäude vor sich?«
»Diese Information liegt außerhalb der Parameter meiner Programmierung.«
Obi-Wan presste die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen. Anakin konnte seine Ungeduld deutlich spüren. »Welche Offiziere der Konföderation Unabhängiger Systeme befinden sich derzeit in diesem Komplex?«
»Diese Information liegt außerhalb der Parameter meiner Programmierung.«
»Mehr bekommen wir aus dieser Blechbüchse nicht mehr heraus«, meinte Anakin.
Obi-Wan gab auf. »In Ordnung«, brummte er. »Verwische deine Spuren und bring die Deckplatte wieder an - beeil dich!«
Anakin verdrehte die Augen. »Ja, Meister.«
Während er sich um den Droiden kümmerte, betrat Kenobi das Lagerhaus. Nahe dem Eingang führte eine wackelige Metalltreppe zu einem Büro hinauf, das knapp unter der Decke hing. Obi-Wan ging leicht in die Knie, stieß sich ab und segelte in einem gewaltigen Sprung durch die Luft. Er landete am oberen Ende der Stufen und verschwand im Innern des Raumes.
Es dauerte nur Sekunden, die Schaltkreise des Droiden neu zu verkabeln. Alles sah nun wieder aus wie zuvor - aber den Körperschild konnte er nicht wiederherstellen. Hätte er das nötige Werkzeug zur Verfügung, wäre es ein Kinderspiel. Aber ein
lanteebanischer Bauer trug nun einmal kein Feinmechaniker-werkzeug mit sich herum. Also schmolz Anakin kurzerhand einen Teil des winzigen Schildprojektors ein, um seine Spuren zu verwischen. Wenn jemand den Droiden überprüfte - und mit etwas Glück würden die beiden Jedi diesen Ort dann schon lange hinter sich gelassen haben -, würde alles auf eine Überladung hindeuten. So etwas geschah häufig, und da dieser Droide schon einen recht rostigen Eindruck machte, würde bestimmt niemand Verdacht schöpfen.
Zu guter Letzt formte Anakin mit der Macht eine unsichtbare dünne Nadel und stieß sie in den Gedächtnischip des Droiden. Ältere Modelle hatten keinen gesicherten sekundären Speicher, und bei Überladungen wurde nicht selten auch das Gedächtnis gelöscht. Eine perfekte Täuschung.
Zufrieden trat er zurück und blickte ein letztes Mal den mitten in der Bewegung erstarrten Droiden an. Dann wandte er sich dem Büro des Lagerhauses zu. Obi-Wan war immer noch nicht zurückgekehrt. Was dauerte da denn so lange? Skywalker machte ein paar Schritte, blickte zum Hauptgebäude hinüber - und erstarrte, als er das Klacken metallener Füße und das Brummen von Antigrav-Generatoren hörte.
Die anderen Droiden kehrten zurück. Wundervoll!
Er eilte ins Innere des Lagerhauses. »Obi-Wan! Beeilt Euch, wir bekommen Gesellschaft.«
Kenobi streckte seinen Kopf aus der offenen Tür des Büros. »Ich bin hier gleich fertig.«
»Nein, gleich werden die Droiden hier auftauchen. Wir müssen jetzt von hier verschwinden! Hört Ihr nicht...«
Obi-Wan hob den Zeigefinger und verschwand wieder im spärlich beleuchteten Innern des Büros.
Ist es denn zu fassen!
Anakin kehrte zu dem Droiden zurück, der immer noch reglos vor dem Lagerhaus stand, hob die Abdeckplatte auf und legte einen Finger auf den Aktivierungsknopf.
Kommt schon, Obi-Wan, kommt schon!
Kenobi tauchte in der Türöffnung auf, schwang sich über das Geländer und landete leichtfüßig im Eingang des Lagerhauses. Als er zu Anakin hinüberrannte, lag ein Lächeln auf seinem
Gesicht. »Worauf wartest du noch, Anakin? Mach schon! Wir haben nicht die ganze Nacht Zeit.«
Haha, sehr witzig, Ihr solltet wirklich Komiker werden.
»Warum hat das denn so lange gedauert?«, fragte er, während er den Knopf an der metallenen Wirbelsäule des Droiden drückte und schnell die Abdeckplatte auf den Rücken setzte. »Habt Ihr etwa ein Nickerchen gemacht?«
»Ich habe ihre Sicherheitsaufzeichnungen gelöscht«, erklärte Obi-Wan, immer noch zufrieden lächelnd. »Wir waren nie hier. Außerdem habe ich das gefunden: Fang!«
Es war ein Komlink. Anakin schnappte es aus der Luft. »Fantastisch, und jetzt weg hier!«
Sie rannten um die Ecke, zurück in den Schatten, als der Droide zischend wieder zum Leben erwachte. Kurz blickte er sich um, dann stakste er gleichgültig zurück zum Eingang des Lagerhauses. In der Ferne tauchten die ersten Schwebepaletten wieder aus dem Dunkel auf.
Anakin warf Obi-Wan einen um Respekt heischenden Blick zu. Dieser nickte, dann deutete er mit dem Kopf. Sie setzten sich wieder in Bewegung, rannten um das Lagerhaus herum, wobei die Macht ihre Schritte beschleunigte. Als sie die hintere Ecke erreicht hatten, blieben sie stehen. Ein paar Meter von ihnen entfernt ragte die Mauer auf, die den Komplex umgab, aber beide hatten sie auch das unsichtbare Lasernetz wahrgenommen, das davor in der Luft hing. Sein Summen war in der Macht deutlich spürbar. Also zogen sie sich wieder ein paar Schritte zurück und kauerten sich dort auf das vertrocknete Gras. Ein Scheinwerfer strich über das Dach des Lagerhauses und tauchte ihre Umgebung einen Augenblick lang in harsches Licht und tiefe Schatten.
Obi-Wan wartete, bis der gleißende Lichtfinger weitergeglitten war, dann zog er einen Bogen Flimsiplast aus dem Hemd. »Das hier habe ich ebenfalls gefunden. Ein Grundriss des Hauptgebäudes. Soweit sich das sagen lässt, gibt es kaum Sicherheitsvorkehrungen im Innern. Keine Laser, keine Bewegungssensoren - nur ein paar statische Überwachungskameras.«
»Das ist nicht sehr schlau.«
»Das ist Selbstüberschätzung«, sagte Obi-Wan. »Die Separatisten sind überzeugt, dass der Komplex zu gut geschützt ist, als dass sich jemand Zutritt verschaffen könnte.«
»Was uns die Sache ein wenig leichter macht. Wurde ja auch Zeit, dass sich mal etwas zu unseren Gunsten entwickelt.« Anakin strich sich über den Bauch. »Ihr habt in diesem Büro neben Grundrissen und Komlinks nicht zufällig auch etwas zu essen gefunden, Obi-Wan?«
»Da muss ich dich leider enttäuschen. Aber das könnte wirklich zu einem Problem werden. Wir müssen essen, und Wasser brauchen wir auch.«
»Was ist mit den neimoidianischen Köstlichkeiten, von denen der Droide sprach?«
Obi-Wan schauderte. »Da würde ich eher noch die Tiernahrung essen.« Sein Gesicht verzog sich zu einer Grimasse. »Wir sollten einfach nicht ans Essen denken, dann werden wir unseren Hunger noch ein wenig länger im Zaum halten können.«
»Welch überaus weiser Plan«, kommentierte Anakin. Er entspannte sich - aber nur ein wenig. »Und was jetzt?«
»Jetzt sehen wir uns im Hauptgebäude um. Zu dieser späten Stunde wird dort vermutlich niemand mehr arbeiten.« Kenobi hob den Grundriss dicht vor seine Augen, um in der Düsternis etwas zu erkennen. »In den Wänden und der Decke verläuft ein Netz von Luftschächten. Wenn wir ins Innere gelangen, ohne
Alarm auszulösen, könnten wir uns so problemlos durch das Gebäude schleichen. Vielleicht führt einer dieser Schächte ja sogar zum Hauptlabor.«
Anakin nickte. »Dann wollen wir mal.«
»Einen Moment noch!« Obi-Wan griff nach Skywalkers Oberarm und hielt ihn zurück. »Zunächst sollten wir versuchen herauszufinden, wer sich hier alles herumtreibt. Da du schon Bekanntschaft mit Durd geschlossen hast, schlage ich vor, du suchst nach ihm. Ich werde mich um die übrigen Offiziere und Wissenschaftler im Innern des Komplexes kümmern.«
Wundervoll! Anakin hatte gehofft, nie wieder auf diesen hinterlistigen Neimoidianer zu treffen - und jetzt sollte er ihn suchen! Durds Geist war ein tiefschwarzer Abgrund, gefüllt mit Grausamkeit und Gier. Ein kleinlicher Verstand, der, berauscht vom Gefühl der Macht, vor keiner Niederträchtigkeit zurückschreckte. Aber Skywalker hatte wohl keine Wahl - die Mission hatte Vorrang vor seinen persönlichen Gefühlen. Er würde diesen stinkenden Barven wohl oder übel aufspüren müssen.
»Anakin?«
»Bin schon dabei.«
Er schloss die Augen, atmete tief ein und aus, konzentrierte sich. Sein Körper, sein Hunger, sein Durst, seine Sorge blieben hinter ihm zurück. Er wurde eins mit der Macht, ließ sich von ihr hinforttragen. Vage war er sich Obi-Wans Gegenwart bewusst, aber dann glitt seine Präsenz in eine andere Richtung davon.
Die Welt verschwamm, brach auseinander und setzte sich in zahllosen Rottönen wieder zusammen. Hie und da flackerten Farbflecken in diesem Zerrbild der Realität - die Echos denkender Wesen. Anakin atmete ein und verschloss seinen Verstand gegen all die Personen in der Einrichtung - bis auf eine.
Er ließ die Erinnerungen an Maridun an die Oberfläche seines Bewusstseins steigen, benutzte den psychischen Gestank des Separatisten-Generals Lok Durd, um ihn in der Gegenwart zu finden.
Wo steckst du? Wo steckst du? Zeig dich, du Nerfhirte!
Sein Magen zog sich zusammen. Da war er - dieser Geruch von Verrat und Gier.
Anakin überwand seine Abscheu und tastete sich näher heran. Er folgte der Schleimspur, die Durd in der Macht hinterlassen hatte, bis er den Neimoidianer schließlich fand. Er schlief in einem kleinen Gebäude auf der anderen Seite der Einrichtung.
Der General war allein. In seiner Nähe gab es keinerlei Anzeichen eines Bewusstseins. Anakin schwamm im Strom der Macht zurück, öffnete seinen Geist wieder. Er wusste, dass Obi-Wan sich darum kümmerte, aber er wollte dennoch sehen, wer sich außer Durd noch in diesem Komplex aufhielt.
Die meisten Gebäude innerhalb des Komplexes schienen verlassen. Erst, als Skywalker seine Aufmerksamkeit auf das Hauptgebäude richtete, spürte er etwas: Tiere. Nagetiere, winzige Funken des Lebens, und ganz in ihrer Nähe war noch etwas - eine helle Flamme in der Macht, eine weitere Person, menschlich, weiblich. Plötzlich stürmten ihre Angst und Verzweiflung und ihre zermalmenden Schuldgefühle auf ihn ein wie eine eisige Sturmbö.
Er öffnete die Augen, schüttelte benommen den Kopf. Obi-Wan starrte ihn an. »Du hast es auch gespürt?«
Anakin nickte. Einen Augenblick lang konnte er nicht einmal sprechen. Das Leid der Frau überwältigte ihn, walzte all seine mentalen Barrikaden mit einer verzweifelten Unmittelbarkeit nieder. Es stach tief in ihn, ließ alte, lange begrabene Narben aufreißen.
Reiß dich zusammen! Obi-Wan darf es nicht merken.
»Wer immer sie auch ist, sie steckt in Schwierigkeiten. Wir müssen ihr helfen.«
»Das werden wir auch - wenn wir es überhaupt können«, erklärte Kenobi ernst. »Aber eins nach dem anderen. Wir müssen in das Gebäude eindringen, ohne Alarm auszulösen, und wir müssen Dookus neue Waffe zerstören. Das hat Vorrang. Deshalb sind wir hier.«
Natürlich hatte Obi-Wan recht. Anakin wusste das, aber dennoch spürte er das Brennen des Widerwillens in seinem Körper. Sie waren Jedi. Sie konnten zwei Dinge gleichzeitig erledigen. Und welchen Sinn hatte es schon, die Galaxis zu retten, wenn man ihre notleidenden Bewohner außer Acht ließ? Wenn das große Ganze zu groß wurde und man den Sinn für die Details, für die kleinen Schicksale verlor?
»Anakin!«
»Ich weiß, ich weiß«, murmelte er. »Keine Sorge, ich mache schon keine Dummheiten.«
Obi-Wan stopfte den Grundriss wieder ins Hemd. »Das freut mich zu hören. Und jetzt los!«
Nebeneinander schlichen sie durch die Schatten auf das Hauptgebäude des Militärkomplexes zu.
Vierzehn
Die Luftschächte des Gebäudes waren enger, als die Jedi erwartet hatten.
Obi-Wan lag flach auf dem Bauch, die Arme ausgestreckt, und zog sich mit Fingerspitzen und Zehen voran. Sein Gesicht war nur einen Fingerbreit von dem schmutzigen Metall des Schachts entfernt, und doch streiften seine Haare bereits die Decke. Er fühlte sich wie in einem dunklen, stickigen Sarg, aber er sperrte diese Assoziation aus seinen Gedanken aus, zusammen mit den Schmerzen in Rücken, Bauch und Beinen.
Hinter ihm stieß Anakin einen gepressten Fluch aus.
Für Skywalker war es noch schwerer voranzukommen, hatte er doch einen muskulöseren Körper und breitere Schultern als Obi-Wan. Aber es gab keinen anderen Weg. Sie mussten diese Unannehmlichkeiten erdulden. Die Schmerzen waren nicht von Bedeutung, und sie würden auch nicht von Dauer sein - im Gegensatz zu der Verwüstung, die Dookus Biowaffe anrichten konnte, wenn sie sie nicht rechtzeitig zerstörten.
Kenobi glaubte zwar nicht an Glück, aber er musste doch zugeben, dass die laxen Sicherheitsvorkehrungen im Hauptgebäude des Komplexes ihnen zupasskamen. Die Selbstüberschätzung des Feindes war nicht selten der Schlüssel zu seinem Untergang. Dennoch hielt Obi-Wan sich zur Vorsicht an. Noch blieb abzuwarten, wie leichtsinnig die Separatisten wirklich waren. Vielleicht würden er und Anakin sich noch größeren Herausforderungen stellen müssen, wenn sie diese engen Luftschächte erst hinter sich gelassen hatten. Nichtsdestotrotz empfand er leisen Optimismus. Bislang waren sie nur Droiden begegnet, Durd schlief tief und fest in einem anderen Gebäude, keiner der Sensoren auf dem Gelände hatte die beiden Eindringlinge erfasst, und wenn die Pläne stimmten, war das Hauptgebäude nur durch Kameras gesichert, die noch um einiges leichter zu umgehen sein sollten als die Sensoren.
Doch selbst, wenn sie in den Gängen oder Laboren auf Separatisten stoßen sollten, würde die Macht ihnen den entscheidenden Vorteil geben. Wenn sie allerdings nicht bald etwas aßen und tranken, würden über kurz oder lang ihre Fähigkeiten in der Macht nachlassen - auch die Fähigkeit, den Verstand anderer Wesen zu manipulieren. Jeder Motor benötigte einen Brennstoff... und ihre Vorräte waren beinahe erschöpft. Aber wie hätten sie auch damit rechnen sollen, dass ihre Mission sich so rasant entwickelte, ihnen kaum Zeit zum Verschnaufen gönnte. Obi-Wan hatte erwartet, dass sie zunächst einen, vielleicht auch zwei Tage damit verbringen würden, sich auf Lanteeb einzuleben und sich einen Überblick über die Lage zu verschaffen. Dass sie sich eine Unterkunft besorgen würden und Vorräte. Aber stattdessen...
Genug davon! Oder wäre es dir etwa lieber gewesen, dich tage-, wenn nicht gar wochenlang unter die Einheimischen zu mischen und nach einer ersten Spur zu suchen? Eben. Dann doch lieber gleich mitten in den Mahlstrom gesogen werden. Wir finden schon irgendwo Nahrung. Denk daran, was Qui-Gon immer zu sagen pflegte: Früher oder später eröffnet sich für jedes Problem eine Lösung.
Er hob den Kopf, soweit das in dem engen Schacht möglich war, und blickte nach vorne. In ein paar Metern Entfernung gabelte sich der Weg. In welche Richtung sollten sie sich wenden: nach rechts oder nach links? Mit einem gedämpften Ächzen hielt er inne und ließ das schweißnasse Gesicht auf seinen Arm sinken. Bislang hatten sie vier Abzweigungen genommen und sich etliche Meter durch die Schächte in der Decke des Erdgeschosses gekämpft. Wann immer sie an einem Lüftungsgitter vorübergekommen waren, hatten sie in die darunterliegenden Räume hinabgeblickt: zwei leere Büros, ein Vorratsraum, Sanieinheiten für Männer und Frauen, ein unbesetzter Überwachungsraum und eine Wartungskammer für Droiden - bislang also noch keine Labore oder Unterkünfte. Und immer noch spürte Obi-Wan nur eine Handvoll Lebewesen in dem Komplex: den widerwärtigen Neimoidianer, dessen Bekanntschaft Anakin auf Maridun gemacht hatte, die Versuchstiere und diese unbekannte, völlig verzweifelte Frau. Sie war mittlerweile sehr nahe, nur ein paar Meter voraus über ihnen.
Also, Meister Kenobi, auf welchem Wege gelangen wir schneller zu dieser Frau - auf dem rechten oder dem linken?
Oder sollten sie sich aufteilen? Nun hatten sie ja Komlinks. Außerdem würde es Zeit sparen, und Obi-Wan wollte keine Minute länger als unbedingt nötig in der Höhle des Kraytdrachen verbringen.
Anakin stieß ihn ungeduldig am Bein an. Kenobi flüsterte ihm zu, dass er einen Moment warten sollte, dann schloss er die Augen und suchte in der Macht nach Klarheit. Er lauschte auf seine Instinkte, auf diese vage Ahnung, die ihm in der Vergangenheit schon so gute Dienste erwiesen hatte.
Wir sollten zusammenbleiben und den rechten Weg nehmen.
Also gut. Er atmete tief durch den Mund ein und schob sich weiter. Anakin folgte ihm. Als sie die Kreuzung erreichten, hielt Obi-Wan noch einmal kurz inne, ehe er sich an die schmerzhafte, akrobatische Aufgabe machte, seinen Körper in den seitlichen Schacht zu krümmen. Seine Wirbelsäule protestierte, seine Muskeln und Sehnen ächzten, und seine Seite brannte, als sie immer wieder gegen die Ecke des schmalen, niedrigen Ganges scheuerte. Er versuchte, diese Eindrücke auszusperren, nur an fließendes Wasser zu denken, das sich problemlos um jede Biegung schob. Aber schon bald wurde aus diesem Wasser ein Strom blaugrüner Haare, seidig und weich, und er öffnete irritiert die Augen.
Als er die Abzweigung hinter sich gebracht hatte, kroch er noch ein paar Meter weiter und wartete dann, während Anakin sich um die Ecke zwängte. Skywalker versuchte, dabei so leise wie möglich vorzugehen, aber immer wieder stießen seine Stiefel, Knie und Ellbogen gegen das Metall. In diesem engen Schacht dröhnte selbst das leiseste Geräusch ohrenbetäubend laut, und es dauerte ewig, bis der Nachhall verklungen war. Falls jemand diese Geräusche vernahm ... ein patrouillierender Droide oder ein unerwarteter Neuankömmling in diesem Militärkomplex... oder gar Durd selbst, falls der Neimoidianer beschlossen hatte, einen mitternächtlichen Spaziergang durch sein Reich zu machen ...
Obi-Wan hielt den Atem an. Nicht einmal ihre Jedi-Fähigkeiten würden sie noch retten können, wenn man sie hier entdeckte. Aber alles blieb ruhig - keine Sirenen, keine Schritte, keine Blasterschüsse und auch sonst kein Anzeichen von Aktivität in den Räumen und Gängen unter ihnen. Langsam atmete er aus. Wenn er ehrlich war, behagten ihm verdeckte Operationen ebenso wenig wie Anakin. Geonosis hatte ihm jeglichen Spaß daran verdorben, und auch diese Mission würde seine Meinung nicht zum Positiven ändern. Er hoffte, dass sie diese Sache möglichst schnell hinter sich bringen würden, damit er endlich wieder er selbst sein konnte, sich nicht zusammenkauern, verstellen und durch staubige Schächte schieben musste. Er wollte sein Lichtschwert wieder am Gürtel spüren und nicht in der Innentasche seines Hemdes, wo es sich ihm schmerzhaft in die Rippen bohrte.
Dann spürte er erneut eine Berührung am Stiefel. Anakin hatte die Abzweigung nun ebenfalls hinter sich gebracht. Sie konnten ihren Weg fortsetzen.
Obi-Wan schob sich durch die Düsternis, verdrängte einmal mehr das protestierende Ächzen seiner Muskeln und Sehnen, ignorierte die schreckliche Trockenheit in Mund und Kehle, die stechenden Schmerzen zwischen den Schläfen, das Grummeln des entsetzlich leeren Magens. Er schob all das weit von sich und hoffte, dass die Macht ihm noch ein wenig Aufschub gewähren würde.
Vor ihm war ein weiteres Gitter in den Boden des Schachtes eingelassen. Sie befanden sich, das sah er nun, über einer Waffenkammer. Entlang der Wände reihten sich Ständer mit Blastern und Schallgranaten. Obi-Wan schob sich über das Gitter hinweg, dachte nicht weiter daran, als Anakin plötzlich seinen Knöchel packte. Er spürte ein Beben in der Macht, eine Konzentration von Energie. Dann wurde ihm klar, was Anakin vorhatte, und er schüttelte seinen Fuß.
Er drehte den Kopf, soweit es ihm möglich war, aber sein eigener Körper füllte den Schacht völlig aus, ließ keinen Blick auf Anakin zu. »Nein«, presste er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor, »tu es nicht!«
Die Frustration seines Freundes war deutlich spürbar. »Warum nicht?«, zischt er. »Wenn wir ...«
Oh, Anakin! Der junge Skywalker war immer noch so unvorsichtig. Er sprang, bevor er wusste, wo er landen würde. »Psst!« Noch einmal versuchte Obi-Wan, sich herumzudrehen, aber es war einfach nicht möglich. Aber daran, dass Anakin ihn wütend anstarrte, hatte er nicht den geringsten Zweifel. »Lass es sein!«
»Aber...«
Kenobi schüttelte den Kopf. Wenn Anakin alle Waffen in diesem Raum sabotierte und es jemandem auffiel, ehe die beiden Jedi ihr Ziel erreicht hatten, würden sie vermutlich nie aus diesem Komplex entkommen können. Lanteeb würde zu ihrem Grab werden. Die fehlenden Komlinks und der Grundriss - das ließ sich noch mit Unachtsamkeit erklären. Die durchgeschmolzenen Schaltkreise und der gelöschte Speicher des Lagerdroiden - eine Folge schlampiger Wartung. Aber eine ganze Waffenkammer voller defekter Blaster und Granaten? Ebenso gut könnten sie über die Lautsprecheranlage bekannt geben, dass sich Jedi auf dem Gelände befanden.
Er wollte nicht weiter mit Anakin streiten. Also konzentrierte er seine Gedanken und ließ so viel Entschlossenheit und Härte hineinfließen, wie er nur konnte. Er wusste, dass sein früherer Padawan es fühlen würde. Auch wenn ihre Beziehung mittlerweile nicht mehr die zwischen Meister und Schüler war, übte er doch noch eine gewisse Autorität auf Anakin aus. So etwas ließ sich nie ganz vertreiben.
Und tatsächlich gab Skywalker nach. Die Gefühle, die er ausstrahlte, ließen jedoch darauf schließen, dass sie sich zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal über diese Situation unterhalten würden. Aber das sollte Obi-Wan recht sein. Sich Anakins
Vorwürfe anzuhören, damit konnte er leben. Womit sie allerdings nicht leben könnten, wäre eine Enttarnung.
Er gönnte sich ein leises Lächeln und setzte Anakins Zorn seine eigene Dankbarkeit entgegen. Er wollte ihm zu verstehen geben, dass sein Einlenken gewürdigt wurde. Die gärende Wut im Bewusstsein Skywalkers blieb zwar, aber zumindest kühlte sie ein wenig ab.
Kriechend setzten sie ihren Weg fort.
Jenseits des Waffenlagers entdeckten sie ein Labor, angefüllt mit unbenutzter Ausrüstung, aber bar jeglichen Lebens. Hinter der nächsten Biegung des Schachtes lag ein weiteres leeres Labor, und auch in dem Korridor, über den sie anschließend hinwegkrochen, rührte sich nichts. Das nächste Lüftungsgitter gab den Blick auf einen kleinen Raum frei, in dem mehrere Stühle um einen Tisch und einige Regale in einer Ecke standen, und dann lag wieder ein Korridor unter ihnen - allerdings war dieser nicht verlassen. Eine kleine Gruppe von Kampfdroiden marschierte auf einem Patrouillengang hindurch.
»Roger, Roger!«, plärrte der vorderste von ihnen in ein Komlink. »Nordöstlicher Sektor gesichert.« Die Antwort, die aus dem Empfänger drang, war kaum mehr als ein Summen. »Das Labor ist ebenfalls gesichert«, erklärte der Droide. »Doktor Fhernan arbeitet noch. Erstes Stockwerk gesichert.« Ein weiteres Summen. »Überprüfen jetzt die Abstellplätze. Roger, Roger!«
Die Droiden verschwanden außer Sicht und Hörweite.
»Obi-Wan«, flüsterte Anakin. »Die biologische Waffe.«
Ja. Es wurde Zeit, sich ins erste Stockwerk zu schleichen und das Labor zu suchen, in dem Doktor Fhernan an Dookus neuem Zerstörungsinstrument arbeitete. Vermutlich handelte es sich dabei um die Frau, deren Verzweiflung sie schon seit einer ganzen Weile spürten - was Obi-Wan stutzen ließ. Denn wenn sie in diesem Komplex wohnte und arbeitete, wenn sie mit Lok Durd gemeinsame Sache machte, warum war sie dann so voller Trauer und Furcht?
Irgendetwas stimmt hier nicht.
Sie schoben sich weiter, bis sie das Ende des Schachtes erreichten. Er vollzog einen weiteren Knick, aber nicht nach links oder rechts, sondern senkrecht nach oben, zum ersten Stock hinauf. Unglücklicherweise war nie vorgesehen gewesen, dass sich eine Person, zum Beispiel ein Wartungsarbeiter, durch diese Schächte zwängte, und so gab es hier weder eine Leiter noch irgendwelche Hand- oder Fußgriffe.
Kenobi rollte sich ein wenig auf die Seite und blickte nach oben. Einen Machtsprung konnten sie hier nicht riskieren. Der Schacht war zu dunkel, um zu sehen, wohin sie sprangen, und zu eng, um selbst kleinste Korrekturen vorzunehmen, wenn sie erst einmal nach oben schossen. Obi-Wans Einschätzung nach würden sie bei einem Versuch genug Lärm verursachen, um sofort die gesamte Besatzung dieses Komplexes auf ihre Spur zu locken.
Das verspricht, interessant zu werden. Jetzt heißt es kreativ sein.
Er kroch bis an die Wand heran, drehte sich herum und schob sich in eine sitzende Position. Dann stützte er sich mit Händen und Ellbogen an der senkrechten Schachtwand ab und stemmte sich in die Höhe, bis seine Knie über die scharfe Kante scharrten und er die Beine abknicken konnte. Als er dann schließlich stand, atmete er gequält aus. Jeder Teil seines Körpers tat weh. Seine Gelenke schienen in ein Kissen aus Glassplittern gehüllt, seine Muskeln zitterten und brannten. Und das war noch der leichte Teil gewesen. Er presste Hände und Ellbogen erneut gegen das Metall und begann, sich mit den Knien nach oben zu drücken. Dann schob er die Arme ein paar Zentimeter in die Höhe, drückte die Knie gegen die Wände und hievte sich weiter nach oben. Stück für Stück, Zentimeter um Zentimeter kletterte er so den Schacht empor - mit zusammengebissenen Zähnen, fast lautlos, aber auch schrecklich langsam. Das dauert zu lange!
Wieder spürte er Anakins Hand auf dem Stiefel. Aber diesmal war es keine Warnung, keine Beschwerde. Es war eine Geste der Ermutigung.
Als Obi-Wan die ersten beiden Meter des schweißtreibenden Aufstiegs hinter sich hatte, blickte er nach unten, und durch den schmalen Spalt zwischen seiner pumpenden Brust und dem matten Metall konnte er sehen, wie Anakin seinem Beispiel folgte und sich in dem senkrechten Schacht aufsetzte. Ehe er sich dann nach oben auf die Beine zog, schaute der junge Jedi nach oben, fing den Blick Obi-Wans auf. Sein Gesicht spiegelte Entschlossenheit wider, unbedingten Willen. Dann verzog sich sein Mund kurz zu einem aufmunternden Lächeln, ehe er die Hände gegen die Wände presste und seinen Oberkörper in die Höhe stemmte.
Obi-Wan erwiderte das grimmige Lächeln. Ja, sie waren wirklich ein gutes Team. Noch während dieser Gedanke hinter seiner Stirn kreiste, wurde ihm bewusst, wie sehr er es vermisst hatte, mit Anakin zu arbeiten. Ihr blindes Verständnis, ihre wortlose Kommunikation, ihre perfekte Einschätzung des anderen. Sie waren ein mehr als nur gutes Team. Nicht einmal mit Qui-Gon hatte er eine so vollkommene Einheit gebildet. Natürlich wusste und verstand Kenobi, dass ihre Beziehung zwangsläufig distanzierter wurde - nicht nur wegen des Krieges und des ständigen Kampfes an verschiedenen Fronten, sondern auch und vor edlem wegen der Tatsache, dass er nicht länger Anakins Lehrer war. Skywalker durfte sich nun selbst Jedi-Ritter nennen, hatte seine eigenen Pflichten, seine eigenen Bürden. All das wusste und verstand Obi-Wan, und doch fühlte er Bedauern.
Eine Mission ohne Anakin an seiner Seite zu bestreiten, war, als würde er sie mit nur einem Auge, mit nur einem Arm bestreiten.
Anakin schnippte mit den Fingern. Obi-Wan blickte nach unten, nickte. Skywalker stand mittlerweile im Schacht, direkt unter ihm, und nun streckte er die Arme aus. Vorsichtig stellte Kenobi erst einen Stiefel, dann den anderen auf die Hände seines Freundes. Er stabilisierte seine Lage mithilfe der Macht, spürte, wie auch Anakin seine Kräfte sammelte. Dann legte er den Kopf in den Nacken, konzentrierte sich auf die Kante, die noch unsichtbar in der Düsternis über ihm lag, dort, wo der Schacht aus der Vertikalen wieder in die Horizontale abknickte. Er hob die Arme, die Hände aneinandergelegt wie die eines Tauchers. Jetzt! Anakin stieß ihn nach oben, mit all der Kraft, die seinen Armen innewohnte, und die Macht stützte Obi-Wan, trug ihn noch weiter nach oben.
Die Wände des Schachtes huschten verschwommen an ihm vorbei.
Über sich sah er nun die Decke, die Kante. Problemlos griff er danach, setzte dann die Macht ein, um seinen Sprung zu beenden. Die Kraft, die ihn gerade noch nach oben katapultiert hatte, drückte jetzt plötzlich von oben auf ihn hernieder. Kurz wurde ihm schwindelig, und fast hätte er den Halt verloren - aber gerade noch rechtzeitig klärten sich seine Sinne. Einen Moment lang hing er über dem Abgrund und füllte seine schwindenden Kraftreserven mit der Macht auf, dann zog er sich nach oben, über die Kante und hinein in den horizontalen Schacht.
Ich fürchte, ich werde zu alt für diese Spielchen.
Er schlängelte sich vorwärts, bis sein ganzer Körper wieder auf dem kalten, klebrigen Metall ruhte, sein Kinn nur wenige Millimeter über dem Boden. Dann machte er sich an die undankbare Aufgabe, sich umzudrehen. Es dauerte schier ewig, und mehr als einmal war er überzeugt davon, dass er feststeckte oder seine Wirbelsäule gebrochen war - doch schließlich konnte er in den senkrechten Schacht hinuntersehen. Gegen den Schweiß und das trübe Licht blinzelnd, erkannte er vage Anakins Umrisse. Aber in der Macht nahm er ihn ganz deutlich wahr - ein helles Leuchten, voller Feuer und Entschlossenheit. Obi-Wan schloss die Augen. Manchmal - vor allem dann, wenn er erschöpft war - fiel es ihm leichter, sich zu konzentrieren, wenn ihn keine visuellen Eindrücke ablenkten. Er ging tief in sich, sammelte seine letzten Kräfte und streckte die Arme in den Schacht hinab. Er spürte, wie Anakin sich anspannte, seine Arme nach oben gereckt, wie er seine Stiefel gegen den Boden stemmte, in die Knie ging.
Skywalker sprang.
Auf einer Woge der Macht wurde er nach oben getragen, und Obi-Wan griff nach seinen Armen, bekam ihn an den Handgelenken zu fassen, kurz bevor die Energie, die Anakin in die Höhe befördert hatte, sich auflöste und er wieder in die Tiefe gestürzt wäre. Mit verzerrten Gesichtern hingen sie über dem Abgrund wie zwei Akrobaten in einem verrückten, geheimen Zirkus. Dann grinste Anakin. Er presste die Beine gegen eine Seite des Schachtes, die Schultern gegen die andere, dann nickte er, und Obi-Wan ließ seine Hände los.
Skywalker verharrte in dieser Position, wie ein Korken in einer Flasche, während Obi-Wan sich in den Gang zurückschob. Als er genügend Platz hatte, griff Anakin nach dem Rand des Schachtes und zog sich hinein - scheinbar mühelos, ohne auch nur schwer zu atmen.
Ach ja, die Jugend. Ich hatte auch einmal eine solche Kondition.
Anakin blickte über Kenobis Schulter hinweg den dunklen Schacht entlang. »Sie ist dort vorne«, flüsterte er. »Könnt Ihr sie fühlen?«
»Ja.« Da waren Schwärze und Trauer, Ekel und Furcht. »Dürfte ich vielleicht einen Vorschlag machen, Meister Skywalker?«
»Nur zu, Meister Kenobi.«
»Wir sollten nicht gleich losstürmen. Beobachten und belauschen wir diese Doktor Fhernan doch erst einmal. Vielleicht finden wir etwas heraus.«
»Hört sich vernünftig an«, nickte Anakin. Schweiß bedeckte sein Gesicht, und er wischte sich mit dem Ärmel über die Stirn. »Vielleicht beantwortet sich dann ja auch die Frage, welche Rolle sie bei all dem spielt.« Er zögerte. Ein Nachhall des Zorns huschte über seine Züge. »Ich hoffe nur, wir geraten nicht in eine Situation, in der Ihr noch bedauert, dass Ihr mich davon abgehalten habt, die Waffen zu sabotieren.«
Ein unvorsichtiges Wort hätte einen Streit entzünden können, aber Obi-Wan wusste, dass dies weder die Zeit noch der Ort dafür war. Also zuckte er nur die Achseln und begegnete Anakins Blick mit stoischer Ruhe. »Das hoffe ich auch. Und jetzt weiter!«
Aber ehe sie ihren Weg fortsetzen konnten, musste Kenobi sich erst wieder umdrehen, und er war sicher, dass Skywalker mehr als einmal hämisch grinste ob seiner verzweifelten Verkrümmungen. Aber nach ein paar Minuten war es geschafft, und die beiden Jedi krochen weiter auf ihr Ziel zu.
Sie waren Dr. Fhernan bereits sehr nahe, als die Verzweiflung der Frau plötzlich stärker wurde. Obi-Wan spürte, wie ihr innerer Aufruhr die Macht verwirbelte, sich in seinen eigenen Verstand grub. Er wollte sich ihr Leid nicht aufbürden, aber ihm war klar, dass er diesen Schmerz nicht aussperren durfte, dass er ihn annehmen musste, wenn er etwas herausfinden wollte. Hinter ihm atmete Anakin scharf ein - auch er spürte das Leid der Frau und teilte es mit ihr.
Im Gegensatz zum Erdgeschoss waren die Räume im ersten Stock dunkel. Keine Lichtstrahlen schimmerten durch die Gitter - was bedeutete, dass sie sehr viel langsamer vorankamen. Aber sie hatten keine Wahl. Wenn vor ihnen plötzlich ein weiterer senkrechter Schacht abzweigte, könnte eine unbedachte Bewegung den Sturz in den sicheren Tod bedeuten.
Also tasteten die beiden Jedi sich vorsichtig bis zur nächsten Biegung. Der Schacht beschrieb hier ein enges U, und um die beiden Ecken zu biegen, war eine qualvolle, mühsame Angelegenheit. Aber die Furcht und der Ekel der Frau lockten sie wie der Gesang einer Sirene, und so kämpften sie sich eisern durch die klaustrophobische Enge des Schachtes voran.
Schließlich sah Obi-Wan einen schwachen Schimmer in einigen Metern Entfernung. Dort sickerte Helligkeit durch gleich zwei Gitter herauf, was bedeutete, dass dies der größte Raum war, auf den sie bislang gestoßen waren. Konnte das das Labor sein? Es erschien logisch. Außerdem spürte Kenobi nun wieder diese schwachen Echos in der Macht - die Versuchstiere in ihren Käfigen. Eingesperrt, verwirrt, in Erwartung ihres Todes. Aber ihre Gegenwart wurde fast völlig überlagert von der Verzweiflung der Frau. Obi-Wan widerstand der Versuchung, schneller auf die Gitter zuzukriechen, schob sich mit Fingern und Zehen und der gleichen lautlosen Behutsamkeit wie bisher durch den Schacht. Soweit er das sagen konnte, befand sich außer Dr. Fhernan keine weitere Person in dem Labor - was aber nicht bedeutete, dass dort nicht Kampfdroiden oder Überwachungskameras aufgestellt sein konnten.
Als er das erste Lüftungsgitter erreicht hatte, blickte er vorsichtig hinab - Anakin hielt hinter ihm inne. Von hier oben konnte Obi-Wan zwar nicht den ganzen Raum einsehen, aber es war zweifellos ein Labor. Und da war auch die Frau, die Quelle des Schmerzes und der Trauer, die in ihm wüteten: groß und grobknochig, mit hellbraunem, extrem kurz geschnittenem Haar, gekleidet in einen weißen Laborkittel und eine dunkelblaue Hose. Die Klamotten schlotterten um ihren Körper, als hätte sie in jüngster Zeit stark an Gewicht verloren. Sie hatte ihm den Rücken zugekehrt und stand über einen großen Tisch in der Mitte des Raumes gebeugt, auf dem ein tragbarer Holoprojektor, Datapads, Flimsiplast-Blätter, Elektrostifte und etliches wissenschaftliches Zubehör lagen. Wozu diese Instrumente dienen sollten, konnte Kenobi nicht sagen - die meisten waren ihm völlig fremd.
Eine Mischung verschiedener Gerüche stieg durch die kühle, wiederaufbereitete Luft in den Schacht hinauf. Das Gesicht gegen das Gitter gepresst hatte Kenobi gar keine andere Wahl, als diese beißende Kombination von Chemikalien und tierischen Ausdünstungen einzuatmen. Er hoffte nur, dass er diesen Gestank bald wieder aus der Nase bekommen würde.
Dr. Fhernan machte einen Schritt zur Seite, und zwei durchsichtige, versiegelte Behälter kamen auf dem Tisch zum Vorschein. Obi-Wan kniff die Augen zusammen. Einer von ihnen enthielt einen Brocken einer dunkelgrünen Substanz. Von hier oben ließ sich nicht genau erkennen, worum es sich dabei handelte, aber es sah doch verdächtig nach einer Art unbehandeltem Metall aus. Der andere Behälter war etwas größer, und er enthielt einen grob zugeschnittenen Block rohen Damotits - Kenobi erkannte es sofort. In Agentin Varraks Info-Mappe hatte er eine Abbildung dieser Substanz gesehen.
Er spürte ein grollendes Beben in der Macht, und seine Instinkte schrien warnend auf. All ihre Vermutungen schienen bestätigt: Damotit spielte eine wichtige Rolle bei der Entwicklung dieser neuen Waffe. Anakin stieß seinen Fuß an - Was ist los? -, und Obi-Wan verdrehte den Kopf und warf ihm über die Schulter einen beruhigenden Blick zu.
Unter ihm trat Fhernan vom Arbeitstisch zurück. Sie massierte ihre Schultern, dann drehte sie sich um, sodass ihr Gesicht im harten Licht des Labors sichtbar wurde. Es war breit und kantig, mit eingesunkenen Augen, unter denen sich dunkle Ringe abzeichneten. Ihre Kieferknochen standen weit vor, spannten ihre bleiche, eingefallene Haut. Sie sah erschöpft aus, krank, unglücklich. Der Ausdruck auf ihrem Gesicht war genau der, den Obi-Wan angesichts ihrer emotionalen Qualen erwartet hatte. Sie drehte den Kopf nach links, und ihre Augen richteten sich auf etwas, das sich außerhalb von Kenobis Blickfeld befand. Aber was immer es auch war, es erfüllte sie mit einer neuen Woge von Leid und Trauer. Sie presste eine Hand vor ihre zitternden Lippen und hielt den Atem an, bis sie sich wieder etwas beruhigt hatte.
Anakin tippte wieder gegen seinen Stiefel, ungeduldiger diesmal. Er wollte auch sehen, was dort unten vor sich ging. Die Frau begann indessen, in dem großen Labor auf und ab zu gehen, und er nutzte die Geräusche ihrer Schritte und ihrer raschelnden Kleidung, um seine eigenen Bewegungen zu tarnen, als er sich zum nächsten Lüftungsgitter hinüberschob. Anakin hinter ihm kroch rasch auf das erste Gitter zu. Aber auch er war vorsichtig, und so bekam die von Sorgen verzehrte Frau nichts von dem mit, was sich über ihrem Kopf abspielte.
Nun aus einem anderen Winkel, blickte Obi-Wan wieder auf sie hinab und wartete.
Plötzlich durchschnitt ein elektronisches Piepen die Stille des Labors. Die Frau - Dr. Fhernan - erstarrte mitten in der Bewegung. Dann ging sie mit eiligen Schritten nach links, wohin sein Blick ihr nicht folgen konnte. Er hörte das Quietschen eines Latexhandschuhs, der über gespreizte Finger gezogen wurde. Ein erneutes Piepen. Das Klacken, mit dem Schalter umgelegt wurden. Dann murmelte die Frau ein paar unverständliche Worte, anschließend das leise Klirren von Glas. Metallisches Klacken, als chirurgisches Besteck von einem Tablett genommen wurde. Ein tiefes Luftholen. Und ... ein heftiges Vibrieren in der Macht. Wenige Sekunden später tauchte Dr. Fhernan wieder im Blickfeld auf. In den Händen hielt sie einen dünnen, versiegelten Zylinder, und als sie ihn vor ihr Gesicht hob, konnte Obi-Wan eine gräulichgrüne Flüssigkeit darin hin und her schwappen sehen.
»Stang!«, hauchte die Frau. Ein unmissverständliches Gefühl des Stolzes mischte sich in ihre Trauer. »Stang, bin ich gut!«
Der Ausdruck auf ihrem Gesicht gefiel Obi-Wan ganz und gar nicht, und er spürte, wie ein Teil seines Mitgefühls für diese Person verschwand.
Mit dem Zylinder trat sie zurück an den großen Arbeitstisch, wo sie einige Flimsi-Blätter beiseitefegte und darunter ein Komlink zum Vorschein brachte. Sie hob es an ihre Lippen und drückte einen Knopf. Es dauerte einen Augenblick, dann ertönte eine leise Stimme aus dem Empfänger. Obi-Wan konnte die Worte zwar nicht verstehen, aber er nahm doch den verärgerten Tonfall wahr.
»Ja, Sir, das weiß ich«, sagte Fhernan. »Aber Sie sollten es jetzt gleich sehen.«
Sie lauschte der Antwort, dann ließ sie das Komlink in die Seitentasche ihres Kittels fallen und platzierte den Zylinder behutsam in einer Art Klammer, die auf der Tischplatte angebracht war. Daraufhin schob sie die Holo-Einheit, die Datapads und die anderen Gerätschaften an den Rand des Tisches, sodass der Bereich um die Klammer und den Zylinder frei war.
Obi-Wan legte die Stirn in Falten. Teils wegen der Wissenschaftlerin in dem Labor unter ihm, teils wegen Anakins Nervosität. Letzterer flackerte in der Macht wie eine Kerze im Wind. Offenbar fiel es ihm schwer, sich zu beherrschen. Vielleicht hatte es ja mit dieser merkwürdigen Mischung aus Elend und Stolz zu tun, die auch Kenobi übel aufgestoßen war. Aber was sagte das über Fhernan aus? Wurde sie nun zur Arbeit an diesem Projekt gezwungen - oder war sie aus eigenen Stücken involviert? Noch ließ sich diese Frage nicht mit Bestimmtheit beantworten, und diese Ungewissheit potenzierte das ungute Gefühl, das in ihm emporkroch, während er die Frau weiter beobachtete.
Sie ging zur Rückwand des Labors, wo die Versuchstiere in ihren Käfigen gehalten wurden. Die kleinen Nager zirpten und schnatterten nervös, als Fhernan sich ihnen näherte. Einige von ihnen krochen in die hintersten Ecken ihrer kleinen Gefängnisse. Sie waren vermutlich schon länger hier, und ihre Instinkte sagten ihnen, dass Unheil drohte.
Die armen Tiere.
Die Wissenschaftlerin nahm einen kleinen, durchsichtigen Kasten vom Regal neben den Käfigen. Sie schob den Deckel auf, dann öffnete sie den Käfig ganz links, packte die kreischende Kreatur im Innern und setzte sie in dem Kasten ab. Hastig klappte sie den Deckel wieder zu. Nachdem sie auch den Käfig wieder geschlossen hatte, kehrte sie mit dem vor Angst erstarrten Nager zum großen Arbeitstisch in der Mitte des Labors zurück.
Obi-Wan warf einen kurzen Blick über die Schulter. Anakin sah ihn an, den Mund vor Abscheu verzerrt. Er deutete nach unten auf den Kasten und fuhr sich dann mit dem Zeigefinger über die Kehle.
Kenobi nickte.
Dann erstarrten die beiden Jedi. Jemand näherte sich dem Labor, und es war kein Mensch. Anakin zog die Augenbrauen zusammen, und spätestens da wusste Obi-Wan, dass es Lok Durd war. Hier, nur wenige Meter entfernt, waren die Gier und die Grausamkeit des Neimoidianers deutlich zu spüren. Wie die Schleimspur einer Schnecke zogen sich seine verdammenswerten Gedanken durch die Korridore auf die Tür des Labors zu.
Wut brodelte in Anakin hoch, und Kenobi blickte ihn warnend an, schüttelte den Kopf.
Nicht, Anakin! Bitte nicht, nicht jetzt!
Skywalker wirkte plötzlich viel älter, gnadenloser, bedrohlicher - als wäre er zu allem bereit, auch zum Äußersten.
Seine Kiefer mahlten, als er Kenobis unausgesprochene Bitte vernahm. Dann nickte er, mühsam beherrscht, und stemmte sich gegen die Fluten des Zorns, die ihn mit sich zu reißen drohten, und als er den Blick hob, hatte er die Kontrolle über seine Gefühle wieder errungen.
Unter ihnen flog derweil die Labortüre auf, und ein fettleibiger Neimoidianer stampfte herein. Dr. Fhernan trat hinter ihrem Arbeitstisch hervor und stellte sich Durd gegenüber.
»General.«
»Meine Liebe«, grüßte sie der Neimoidianer. Seine Stimme klang ölig, die Höflichkeit aufgesetzt. »Ich hoffe, Sie haben einen guten Grund dafür, mich mitten in der Nacht aus dem Schlaf zu reißen. Falls nicht, fürchte ich, muss ich Sie ...« Dann fiel sein Blick auf den Arbeitstisch, auf den Nager in seinem Kasten und auf den Zylinder. Er sog scharf den Atem ein. »Doktor?«
Sie wich nicht vor ihm zurück, obwohl ihre Körpersprache deutlich machte, dass sie sich vor ihm fürchtete. Ihr angespannter Rücken, ihre verkrampften Finger, die zusammen- gepressten Lippen - all das zeigte, wie viel Selbstbeherrschung es sie kostete, auch nur im selben Raum zu sein wie der Separatisten-General Lok Durd.
Und was Durd betraf - der Schimmer in seinen seltsamen Augen war nicht zu übersehen. Der Neimoidianer wusste genau, wie sehr diese Frau ihn fürchtete, und er ergötzte sich an ihrem Unbehagen, suhlte sich darin, wie ein Zucca-Schwein sich im Schlamm wälzt. Diese genießerische Grausamkeit umgab ihn wie eine tiefschwarze Aura, und seine breiten Lippen glänzten, als er mit der Zunge darüber leckte.
Obi-Wans Miene verhärtete sich. Zuerst Trauer und Verzweiflung, dann Stolz und nun schreckliche Angst, durchzogen von schwacher Hoffnung. Diese Wissenschaftlerin einzuordnen, wurde von Minute zu Minute schwerer.
»Doktor!«, wiederholte Durd, seine Stimme so laut und so scharf wie ein Peitschenknall. Er deutete auf den Zylinder. »Ist das, was ich denke, dass es ist?«
Fhernan räusperte sich. »Ja. Nachdem Sie gegangen waren, habe ich das Roh-Damotit mit einem Destillat des Rondiums kombiniert. Diese neue Mischung hat sich als stabil erwiesen. Ich wollte jetzt mit der Testphase beginnen.«
»Wird es denn den gewünschten Effekt erzielen?«
»Ja«, sagte sie, und ihr Blick wanderte hinüber zu der kleinen Holo-Einheit. »Ich denke schon.«
Durd winkte ab. »Sie haben schon früher geglaubt, eine Lösung für Ihr kleines Problem gefunden zu haben.«
»Und das habe ich auch«, beharrte sie mit ruhiger Stimme. Furcht brannte heiß unter ihrem kühlen Gesichtsausdruck. »Es waren nur keine verlässlichen Lösungen, keine stabilen Mischungen.«
Der General watschelte langsam um den Tisch herum, die Hände vor seinem Fassbauch gefaltet. Die kunstvoll gewebte Robe, die er trug, knisterte. »Aber genau das ist es, was wir benötigen, meine Liebe. Verlässliche Lösungen, stabile Mischungen! Um Ihretwillen hoffe ich, dass Sie diesmal wirklich einen Fortschritt vorweisen können.«
»Wie ich schon sagte, General...«
»Ja, ja, ja!« Durd machte eine abtuende Handbewegung. »Ich denke, wir sind uns darüber einig, dass Taten mehr sagen als Worte, nicht wahr? Also los, testen Sie Ihre neue Formel. Ich werde es mir gerne ansehen.« Aber ehe sie auch nur einen Schritt auf den Tisch zumachen konnte, hob er warnend die Hand. »Ich hoffe doch, Sie werden keine Dummheiten versuchen, meine Liebe. Etwa, indem Sie ein paar Tropfen Ihrer tödlichen Mischung entweichen lassen. Das würde nichts bringen. Ich bin auch geimpft.« Er klopfte sich auf den Arm. »Das Gegenmittel der Kaminoaner. Oder dachten Sie, nur Sie hätten es bekommen?«
Was? Alarmiert blickte Obi-Wan zu Anakin zurück. Die Atemgeräte hatten sie im Jedi-Tempel gelassen, zusammen mit dem Rest ihrer Standardausrüstung. Wenn Doktor Fhernans kleines Experiment nun - ganz gleich ob versehentlich oder mit Absicht - außer Kontrolle geriet - wenn diese Substanz austrat...
Das ist nicht gut. Das ist gar nicht gut.
Anakin zuckte die Achseln, eine Geste fast schon amüsierter Resignation. Jetzt können wir nur noch hoffen, schien er sagen zu wollen.
Wie überaus hilfreich.
Dr. Fhernan nahm den Zylinder aus der Halteklammer, öffnete den Deckel des durchsichtigen Kastens und legte den Behälter neben den immer noch regungslos in einer Ecke kauernden Nager. Erst nachdem sie den Kasten wieder geschlossen und versiegelt hatte, bewegte sich das Tier mit zuckenden Schnurrhaaren auf den Zylinder zu, schnupperte an seiner durchsichtigen Oberfläche. Die Wissenschaftlerin ging indes zum Rand des Tisches und wühlte zwischen den Instrumenten herum, die sie vorhin beiseitegefegt hatte. Schließlich hob sie einen dünnen, silbern schimmernden Gegenstand hoch, einem Elektrostift nicht unähnlich.
»Einen Moment noch«, forderte Durd. Er rieb die Fingerspitzen aneinander, leckte sich aufgeregt über die Lippen. Er erinnerte Obi-Wan an ein Kind, das vor einem riesigen, festlich eingepackten Geschenk steht. »Ich möchte alles sehen. Warten Sie, bis ich das perfekt im Auge habe!« Er ging um den Tisch herum, beugte sich vor, machte einen Schritt zur Seite, richtete sich ein wenig auf.
Dr. Fhernan wartete mit ausdruckslosem Gesicht, bis der General schließlich eine geeignete Position gefunden hatte und ihr zufrieden zunickte. Glücklicherweise - oder unglücklicherweise, je nachdem, was gleich geschehen würde - stand er weder in Anakins noch in Obi-Wans Blickfeld. Die beiden Jedi konnten den Arbeitstisch und den Kasten immer noch deutlich sehen.
Kenobi wischte sich die feuchten Hände an den Ärmeln seines Hemdes ab. Zu behaupten, er hätte ein mieses Gefühl bei dieser Sache, wäre eine gewaltige Untertreibung. Da spürte er plötzlich, wie Anakin an seinem Knöchel zog. Er blickte über die Schulter, und in seinen Augen las er dieselbe Beunruhigung, die auch er fühlte.
»Sind Sie bereit, General?«, fragte Fhernan. Ihre Stimme klang tot, bar jeglicher Emotion. Sie war nun ganz Wissenschaftlerin, losgelöst von persönlichen Empfindungen. Die Kälte, die sie in der Macht ausstrahlte, ließ Obi-Wan schaudern. Seine Finger ballten sich unwillkürlich zu Fäusten.
Das wird richtig übel.
»Ja, meine Liebe«, erklärte der Neimoidianer. Sein Kopf zuckte vor und zurück, die Hände strichen unbewusst über den Stoff seiner Robe - er konnte sich vor Aufregung kaum noch im Zaum halten. »Fangen Sie an! Ich kann es gar nicht erwarten. Das ist meine erste Demonstration.« Er spitzte die Lippen. »Aber das wissen Sie ja. Bislang haben Sie Ihre Experimente nur dann durchgeführt, wenn ich im Dienste von Count Dooku unterwegs war.«
»Dafür möchte ich mich noch einmal entschuldigen, General. Es lag nie in meiner Absicht, Sie auszuschließen. Die Arbeit diktiert ihren eigenen Zeitplan. Als ... als Experte auf dem Gebiet der Wissenschaft verstehen Sie das sicher.« Doktor Fhernans Stimme zitterte kurz.
»Ja, ja«, brummte Durd. »Zum Glück sind unsere Zeitpläne diesmal kompatibel.« Er lächelte bedeutungsvoll. »Zu Ihrem Glück - und nicht nur zu Ihrem.«
Fast wäre Fhernan der silberne Gegenstand aus den Fingern gerutscht. Ihr linkes Auge zuckte.
»Nun machen Sie schon, Doktor!«, bellte der Neimoidianer. »Sie haben mich jetzt lange genug warten lassen!«
Sie senkte den Kopf - vielleicht zu einem Gebet oder einem tiefgründigen Gedanken -, dann kehrte der gefühllose Ausdruck auf ihre Züge zurück, und sie richtete den silbernen Stift auf den durchsichtigen Kasten. Sie drückte den Knopf an seiner Seite. Ein Summen ertönte. Zunächst war es kaum hörbar, aber dann wurde es höher und schriller, noch höher, noch schriller. Das Nagetier geriet in Panik, sprang an den Wänden seines Gefängnisses hoch, schabte mit den kleinen Krallen über das durchsichtige Material. Seine Bewegungen wurden wilder, verzweifelter, je mehr das Summen an Intensität zunahm. Der Zylinder begann zu vibrieren, rollte auf dem Boden hin und her. Lok Durd beugte sich gespannt näher heran, gab leise, unartikulierte Geräusche von sich. Er genoss die Vorführung in vollen Zügen, schien sich gar nicht sattsehen zu können am Leid des Tieres. Dr. Fhernan starrte ebenfalls gebannt auf den Kasten. Was immer sie bei dem Anblick empfinden mochte, sie verbarg es tief in ihrem Innern.
Mit einem lauten Krachen explodierte der Zylinder. Die Flüssigkeit in seinem Innern hatte sich mittlerweile in einen grünschwarzen Dampf verwandelt, und nun breitete er sich schnell in dem Kasten aus, streckte seine wallenden Tentakel in alle Ecken aus. Das Nagetier stieß einen schrillen, schmerzerfüllten Schrei aus, dann brach es zusammen, rollte sich mit zuckenden Beinen auf den Rücken. Sein Fell und seine Haut begannen zu schäumen, rosafarbene Blasen zu werfen - und dann zerfraß dieser giftige Nebel das Fleisch des Nagers. Knochen kamen zum Vorschein, nur, um sich Sekunden später ebenfalls aufzulösen. Alles, was nach einer Minute von dem Tier noch übrig war, war eine schmierige Lache auf dem Boden des Kastens.
Obi-Wan schloss die Augen. Er fühlte Übelkeit in sich aufsteigen. Fühlte, wie Anakin sich anspannte, als die Todesqualen der Kreatur durch die Macht hallten.
Unter ihnen klatschte Lok Durd begeistert in die Hände. »Wie wundervoll. Meine liebe Doktor Fhernan, es stimmt, was man über Sie sagt: Sie sind ein Genie!«
Die Wissenschaftlerin brach auf Hände und Knie zusammen und übergab sich auf den Boden des Labors.
Aber der Neimoidianer schien davon überhaupt keine Notiz zu nehmen. »Ich wusste es«, sagte er, während er sich langsam im Kreis drehte. »Ich wusste, dass es mit Rondium funktionieren würde.« Er blieb stehen, blickte auf Fhernan hinab. »Und Sie haben versucht, mir einzureden, dass ich mich irre. Das war sehr ungezogen, meine Liebe. Mir weismachen zu wollen, dass Rondium keine Wirkung auf das Damotit hätte. Ich glaube, Sie wollten ein kleines Spielchen mit mir treiben.«
Immer noch auf dem Boden kniend, wischte Fhernan sich mit dem Ärmel über den Mund. Sie blickte nicht auf.
»Habe ich nicht recht, Doktor?«, wollte Durd wissen. Er hatte sich regelrecht in Rage geredet. »Habe ich nicht recht?« Plötzlich voller Wut, sprang der General zu ihr hinüber und riss sie grob auf die Beine, packte mit seinen dicken Fingern den Kragen ihres Kittels und schüttelte sie heftig. »Wollten Sie ein Spielchen mit mir treiben? Wollten Sie mich anlügen? Haben Sie tatsächlich versucht, meine Pläne zu ruinieren, mich bei Count Dooku in Verruf zu bringen?«
Plötzlich drehte Durd den Stoff herum, würgte Fhernan mit dem Kragen ihres eigenen Kittels. Sie war deutlich kleiner als der Neimoidianer, aber sie stellte sich nicht auf die Zehenspitzen, um den Druck von ihrer Kehle zu nehmen, machte auch sonst keinerlei Anstalten, sich aus Durds Griff zu befreien. Nicht einmal dann, als ihr Gesicht rot anzulaufen begann.
»Nein, General«, stieß sie hervor. »Das würde ich niemals tun. Warum sollte ich Sie belügen? Ich weiß doch, was dann geschieht.«
Der Neimoidianer beugte sich zu ihr hinab, bis nur noch wenige Millimeter sein Gesicht von ihrem trennten. »Vielleicht haben Sie ja auch gelogen, als Sie sagten, dass diese Personen Ihnen am Herzen liegen würden! Vielleicht bedeuten Ihre Geschwister und deren Familien Ihnen ja überhaupt nichts!«
»Doch, das tun sie!« Die Worte der Frau waren inzwischen nur noch ein krächzendes Flüstern. »Ich habe Sie nicht belogen, General. Ich habe Sie nie belogen. Aber ich habe mich geirrt, was das Rondium anging, und dafür möchte ich mich bei Ihnen entschuldigen. Ich hätte wissen müssen, dass Ihre Theorie richtig ist. Ich befürchtete, die Formel könnte instabil sein. Ich dachte, ich wüsste es besser. Es tut mir leid!«
»Sie dachten, Sie wüssten es besser, hm? Aber nun hat sich ja herausgestellt, wer es besser weiß, nicht wahr?« Durd spuckte die Worte fast aus. »Doktor Bant'ena Fhernan, die große Wissenschaftlerin mit all ihren Titeln und Empfehlungsschreiben von den namhaftesten Universitäten der Republik, hat die Lösung nicht gefunden. Aber General Lok Durd - der hat sie gefunden!«
Der Neimoidianer schien völlig die Kontrolle über sich verloren zu haben. Schaum rann an seinen Mundwinkeln hinab. Und Fhernan - ihr Gesicht war mittlerweile dunkelrot verfärbt und ihr Atem ein verzweifeltes Röcheln.
»Obi-Wan«, flüsterte Anakin. »Er wird sie umbringen! Wir können nicht tatenlos hier herumliegen!«
Nachdrücklich schüttelte Kenobi den Kopf. Ja, sie könnten Durd aufhalten - aber wenn sie sich jetzt einmischten, würden sie dadurch die gesamte Mission in Gefahr bringen. Die Wahl, vor der sie hier standen, war: das Leben der Wissenschaftlerin - oder die Leben von Millionen Unschuldigen.
»Nein, Anakin«, wisperte er, »warte, warte!«
»Da stellt sich doch die Frage, ob ich Sie überhaupt brauche, meine Liebe.« Durd zog stärker an Fhernans Kragen. »Brauche ich Sie überhaupt? Hm? Hmm?«
»Ja!«, stieß sie mit letzter Kraft hervor. »Die Formel ist kodiert, und ich bin die Einzige, die den Schlüssel kennt!«
Durds Mund klappte auf. Seine Pupillen weiteten sich. Mit einem wütenden Aufschrei stieß er Fhernan von sich. »So ist das also! Wollen Sie die Formel etwa für sich behalten? Wollen Sie eine neue Vereinbarung aushandeln? Haben Sie etwa tatsächlich vor, mich zu erpressen?«
Fhernan, die zu Boden gestürzt war und erst langsam wieder zu Atem kam, zog sich an der Tischkante in die Höhe. Ihr gerötetes Gesicht war voller Angst. »Nein.«
»Nein?« Durd ging auf die andere Seite des Tisches und griff nach der Holo-Einheit. Drohend wedelte er damit vor Fhernans Gesicht herum. »Sind Sie sicher? Sind Sie da wirklich sicher? Denn wenn Sie lügen, Doktor... wenn Sie mich anlügen ...«
Die Frau hatte sich gerade erst auf die Füße hochgekämpft, doch nun ließ sie sich wieder auf die Knie fallen. »Ich lüge Sie nicht an, General. Das schwöre ich. Ich werde Ihnen die Formel geben. Ich werde Ihnen zeigen, wie man es herstellt. Ich kann es auch selbst für Sie herstellen, falls Sie das möchten. So viel Sie benötigen - ich werde es herstellen. Ich tue alles, was Sie von mir verlangen. Nur tun Sie ihnen nicht weh! Lassen Sie sie in Ruhe, bitte!«
Durd schleuderte ihr die Holo-Einheit an den Kopf. Der kleine Projektor traf sie an der Stirn - mit solcher Wucht, dass die Haut aufplatzte - und prallte dann scheppernd auf den Boden. Augenblicklich strömte Blut aus der Wunde, angetrieben vom wilden Schlag ihres Herzens. Es tropfte in ihre tränenerfüllten Augen, auf ihre hohlen Wangen, ihre zitternden Lippen.
»Bitte!«, hauchte sie, während das Blut von ihrem Kinn tropfte. »Ich flehe Sie an, General Durd. Haben Sie Mitleid!«
Der Neimoidianer bebte am ganzen Leib. Sein Bedürfnis, ihr wehzutun, war immer noch nicht gestillt. Er bleckte die Zähne und hob die Faust.
»Provozieren Sie mich nicht!«, knurrte er, und seine orangeroten Augen glühten vor unbändigem Zorn. »Seien Sie nicht noch einmal so dumm, meine Liebe! Entschlüsseln Sie die Formel - jetzt sofort! Und dann speichern Sie eine Kopie auf einem Datenkristall! Ich möchte Count Dooku morgen von meinem Erfolg berichten können.«
Mit zitternden Händen griff die Wissenschaftlerin nach einem der Datapads, dann machte sie sich an die Arbeit. Nach ein paar Minuten hatte sie die Daten auf einen Datenkristall überspielt und ihn dem General überreicht. Dann wich sie hastig wieder von ihm fort, außer Reichweite seiner immer noch geballten Faust.
Durd schob den Kristall in eine Tasche seiner Robe. »Das war die richtige Entscheidung, meine Liebe«, sagte er mit samtener, freundschaftlicher Stimme. Aber die unterschwellige Drohung in seinen Worten entging auch den beiden Jedi im Lüftungsschacht nicht. »Ich werde Ihre Familie verschonen - dieses Mal noch. Aber sollten Sie sich mir noch einmal widersetzen, dann wird das Konsequenzen haben.«
Begleitet vom Knistern teuren Stoffes watschelte er aus dem Labor.
Dr. Bant'ena Fhernan blickte ihm nach. Dann, als die Tür sich wieder geschlossen hatte, hob sie die Hände vors Gesicht und begann, hemmungslos zu schluchzen.
Obi-Wan atmete langsam aus und blickte über die Schulter zu Anakin. »Jetzt!«, flüsterte er.
Die beiden Jedi schlugen die Lüftungsgitter ein und glitten hinab in den darunterliegenden Raum.
Fünfzehn
Erschrocken starrte Bant'ena die beiden zerlumpten Männer an, die vor ihr standen. Sie war erschrocken herumgefahren, als die Lüftungsgitter hinter ihr zu Boden gefallen waren, und sie hatte gerade noch gesehen, wie die zwei Gestalten sich kopfüber aus dem Lüftungsschacht hatten fallen lassen. In der Luft hatten sie sich mit unmöglicher Schnelligkeit gedreht, dann waren sie mit ebenso unmöglicher Leichtfüßigkeit gelandet. Das konnte alles nicht sein. War das ein Traum? Hatte sie vielleicht auch nur geträumt, dass ihre überarbeitete Formel sich als stabil erwiesen hatte? Dass die lanteebanische Ratte sich vor ihren Augen aufgelöst hatte? Und was war mit ihrem aufgescheuerten Hals, ihrer schmerzenden Kehle - waren Durds Wutanfall und sein Versuch, sie zu erwürgen, tatsächlich ihrer Fantasie entsprungen? Vielleicht. Wahrscheinlich. Es musste so sein - denn was sie jetzt sah, konnte nicht real sein.
»Doktor Fhernan, ich weiß, das ist sehr verwirrend für Sie, aber bitte geraten Sie jetzt nicht in Panik und hören Sie mir zu!«, sagte der ältere der beiden Männer. Seine Haare und sein Bart starrten vor Schmutz. Ruß und Asche hatten dunkle Flecken in seinem Gesicht, auf den Händen und auf dem Stoff seiner schlichten Arbeitskleidung hinterlassen. Er sah aus wie ein Zwangsarbeiter, der aus einer Mine geflohen war - aber er hörte sich an wie ihr alter Biologieprofessor. »Doktor, bitte! Wir haben vermutlich nicht sehr viel Zeit. Gibt es in diesem Labor versteckte Überwachungskameras oder Audio-Aufnahmegeräte? Doktor?«
Sie nickte stumm und blickte zu dem anderen Mann hinüber. Er war jünger und größer als der Bärtige, er sah ebenso abgerissen aus - aber in seinen Augen lag eine unerwartete Wärme.
»Wissen Sie, ob die Aufzeichnungen ständig überwacht werden?«, wollte der Ältere wissen. Auch in seinen Augen las sie keine Feindseligkeit - sie waren nur so ... durchdringend. »Wir sind auf dem Weg hierher an einem Kommunikationszentrum vorbeigekommen - laufen dort alle Aufzeichnungen aus diesem Gebäude zusammen?«
Ein weiteres stilles Nicken. Sie fragte sich, wann sie wohl aufwachen würde.
»Gut.« Der Bärtige schien sich ein wenig zu entspannen. »Und die Aufzeichnungen, Doktor? Werden sie vielleicht in einen anderen Raum weitergeleitet? Werden sie ständig überprüft? Oder werden sie gesammelt und dann später kontrolliert?«
Sie schaffte es, mit der Zunge über ihre trockenen Lippen zu fahren. Ich sollte endlich den Mund aufmachen. Wenn das nur ein Traum ist, dann kann Durd mich nicht für das bestrafen, was ich sage. Und das hier muss ein Traum sein. »Ich weiß es nicht.« Ihre Stimme klang heiser, krächzend, unsicher. »Aber ich glaube nicht, dass sie ständig überwacht werden.«
Der Bärtige zog die Augenbrauen hoch. »Sie glauben es nicht? Doktor, es tut mir leid, aber ich fürchte, das ist etwas zu vage.«
Plötzlich fing sie an zu zittern. Sie presste die Hände vor ihr Gesicht. »Ich bin ... Ich habe ...« Sie ließ ihre Arme wieder sinken. »Träume ich, oder ist das hier real?«
»Es ist real«, sagte der Jüngere mit sanfter Stimme. »Haben Sie keine Angst! Wir sind hier, um Ihnen zu helfen.«
»Sie wollen mir helfen?« Sie versuchte zu lachen, aber es klang wie ein Schluchzen. Dann zuckte ein eisiger Gedanke durch ihren Kopf. Sie wandte sich von den beiden ab, blickte hinauf zu den Löchern in der Decke. »Wenn Sie dort oben waren, dann ... dann haben Sie gesehen, was ich ... getan habe.« Sie atmete tief und gequält aus, drehte den Kopf und blickte zu dem durchsichtigen Kasten auf dem Arbeitstisch, auf die traurigen Überreste des Nagers. »Dann wissen Sie, was ich bin. Dann muss Ihnen doch klar sein, dass mir niemand mehr helfen kann.«
Der Jüngere machte einen Schritt auf sie zu. »Durd ist das Monster«, sagte er mit leiser, unsteter Stimme. »Er hat Sie dazu gezwungen. Es ist nicht Ihre Schuld.«
Der Bärtige öffnete den Mund, um etwas einzuwerfen, aber sein Begleiter hob warnend die Hand.
Bant'ena spürte ein Stechen tief in ihrer Seele, und erstaunt stellte sie fest, dass es sich dabei um Hoffnung handelte. »Sie können mir helfen?«
»Nur, wenn wir unentdeckt bleiben«, meinte der Ältere. »Doktor, wer hält sich außer Ihnen und Durd noch in diesem Komplex auf?«
Sie versuchte, sich zu konzentrieren. »Im Augenblick sind da nur noch die Droiden. Aber morgen früh soll ein weiterer Offizier hier eintreffen. Mehr weiß ich nicht.« Sie biss sich auf die Unterlippe. »Wer sind Sie?«
»Freunde«, sagte der Jüngere, als ob das alles erklären würde.
»Und wir brauchen Ihre Hilfe, um in einem Stück aus diesem Komplex zu entkommen«, fügte sein Begleiter hinzu. Seine Stimme war voller Autorität. »Also konzentrieren Sie sich bitte!«
Sie zuckte zusammen. Er war kein Lanteebaner. Sie hatte die Bewohner dieses Planeten gesehen: angsterfüllt, unterwürfig, eingeschüchtert. Ihr umnebelter Geist klärte sich ein wenig, und sie blickte ihn mit forschenden Augen an. Unter all diesem Schmutz war etwas Vertrautes. Sie kannte ihn nicht, war ihm nie zuvor begegnet - und doch hatte sie das vage Gefühl, ihn schon einmal gesehen zu haben - und nicht nur ihn, auch seinen jüngeren Begleiter. Vor gar nicht allzu langer Zeit.
Sie wühlte in ihren Erinnerungen, und plötzlich war sie nicht mehr in diesem Gefängnis, das wie ein Labor eingerichtet war. Sie war wieder zu Hause auf Corellia und bereitete gerade das Abendessen zu, sah sich die HoloNet News an ...
»Du meine Güte!«, stieß sie hervor. »Sie sind ... Ihr seid Kenobi!« Ihr Blick huschte zu dem jüngeren Mann. »Und Ihr seid Anakin Skywalker. Ihr seid Jedi!«
Anakin Skywalker, der Held der Republik, verzog das Gesicht. »Jetzt müssen wir uns definitiv um die Aufzeichnungen kümmern.«
Kenobi nickte. »Allerdings. Doktor Fhernan ...«
Sie konnte es nicht glauben. Die Jedi waren gekommen, um sie zu befreien. Bestimmt hatten sie ihre Familie und ihre Freunde bereits in Sicherheit gebracht. Der Alptraum war vorüber. Alles würde wieder gut werden.
»Doktor!«
»Es tut mir leid ... was?«
»Obi-Wan«, murmelte Skywalker. »Gebt ihr ein wenig Zeit. Sie muss das erst verarbeiten.«
Obi-Wan Kenobi, der andere Held der Republik, warf seinem Freund einen vielsagenden Blick zu. »Wir haben aber leider keine Zeit, Anakin. Doktor, gibt es in diesem Gebäude einen sicheren Ort, an den wir uns zurückziehen könnten - nur für eine kurze Weile? Ein Ort, an dem die Droiden-Patrouille uns nicht findet?«
Es kostete sie einige Anstrengung, ihre zerstreuten Gedanken zu sammeln. Kenobi hatte natürlich recht - sie benahm sich wie ein kleines Mädchen und nicht wie eine professionelle Wissenschaftlerin. »Ich ... Man hat mir hier einen Raum zugewiesen. Niemand stört mich dort, aber er ist kameraüberwacht.«
»Das wird kein Problem sein. Anakin, du begleitest Doktor Fhernan. Geht in ihre Unterkunft und bleibt dort! Ich werde mich um die Aufzeichnungen kümmern und dann nachkommen.«
»In Ordnung«, sagte Anakin. »Braucht Ihr vielleicht ein wenig Hilfe beim Verwischen unserer Spuren?«
Verwirrt beobachtete Bant'ena, wie ein Lächeln über Kenobis schmutziges Gesicht huschte. »Wenn es dir nichts ausmacht.«
Anakins Augen blitzten schelmisch auf. »O doch, das tut es. Aber für Euch werde ich eine Ausnahme machen.«
Bant'enas ungläubiger Blick folgte Kenobi, als er sich unter eines der Löcher in der Decke stellte. Dann ging er leicht in die Knie - sie hielt den Atem an - und schnellte drei Meter in die Höhe. Problemlos, mit einer Leichtigkeit, die alle physikalischen Gesetze verhöhnte. Er griff nach dem Rand der Öffnung, hielt sich daran fest und schob sich mühelos in den Schacht hinein. Nach ein paar Augenblicken tauchte sein Kopf wieder aus der Dunkelheit auf. »In Ordnung.«
Skywalker warf das Gitter in die Höhe, und Kenobi brachte es wieder über der Öffnung an. Dann kroch er davon, völlig lautlos, wie es schien, und streckte einige Sekunden später den Arm aus dem anderen Loch. Als auch dort das Lüftungsgitter wieder an seinem Platz saß, wandte der jüngere der Jedi sich wieder Bant'ena zu.
»Gehen wir.«
Das war alles völlig unglaublich. Wann hatte ihr Leben sich nur in dieses Karussell bizarrer Ereignisse verwandelt? Und warum? Mord, Entführung, Erpressung - und nun: Jedi!
»Doktor Fhernan«, sagte Skywalker ungeduldig. Er klang beinahe wie Kenobi. »Wir müssen los.«
»Was? O ja, natürlich - wartet bitte ... wartet einen ... einen Moment...« Sie durchquerte das Labor auf wackeligen Beinen und wühlte im Durcheinander auf dem Arbeitstisch herum. »Ein paar Dinge«, murmelte sie. »Ich brauche nur ein paar Dinge.« Datenkristalle, Notizen. Sie hob ihre Tasche auf, die neben dem Tisch auf dem Boden lag, und stopfte alles hinein. Dann drehte sie sich zu dem Jedi herum. »In Ordnung, ich ... nein, Moment noch!« Der Holoprojektor. Sie konnte nicht gehen ohne den ... Aber wo war er? Wo war er nur?
»Suchen Sie das hier?«
Skywalker hielt die Holo-Einheit in die Höhe.
»Woher... Wie habt Ihr ...«
Er blickte sie besorgt an. »Doktor, Durd hat damit nach Ihnen geworfen. Wissen Sie das denn nicht mehr?«
»Was?« Ihre Finger zuckten hoch an ihre Stirn, strichen über die Platzwunde. Erst das getrocknete Blut machte sie wieder auf den pochenden Schmerz aufmerksam. Natürlich erinnerte sie sich daran. Er glaubt bestimmt, ich bin verrückt. »Ja, danke!«
Skywalker reichte ihr die Holo-Einheit. »Bitte, Doktor! Wir müssen jetzt gehen.«
»Ich weiß«, sagte sie, nachdem sie auch den tragbaren Projektor in die Tasche gesteckt hatte. »Ich bin bereit.«
Er nickte ihr zu - eine so unscheinbare Geste, die sie aber ungemein beruhigte. Dann ging er hinüber zur Tür des Labors und legte seine Hand gegen das Metall, schloss die Augen. »Durds Unterkunft befindet sich in einem anderen Gebäude, richtig?«, murmelte er.
»Das stimmt«, erwiderte sie. »Er hat ein Gebäude ganz für sich, irgendwo auf dem Gelände. Er sagt, er kann nicht ruhig schlafen, wenn er den Gestank von Menschen in der Nase hat.«
»Und ich werde erst dann wieder ruhig schlafen können, wenn dieses Monster nur noch Gefängnisluft in der Nase hat.« Skywalkers Gesicht verhärtete sich. »Oder wenn er gar nicht mehr atmet.«
Sie blickte ihn unsicher an. Da war etwas in seiner Stimme, in der Art, wie er das Wort Monster ausgesprochen hatte. »Ihr kennt General Durd?«
»Ja, wir sind uns schon begegnet.« Skywalker nahm seine Hand von der Tür. »Ich glaube, es ist sicher. Wir können gehen.«
Ihre Augen wurden weit. »Ihr glaubt? Könnt Ihr denn nicht...«
»Ich kann keine Droiden spüren. Kein Jedi kann das.« Wieder stahl sich dieses jungenhafte Lächeln auf seine Lippen. »Aber ich habe sehr gute Ohren, keine Sorge!«
Sie schlichen sich aus dem Labor und den langen, leeren Korridor hinunter zu ihrem Zimmer - ihrer Zelle. Ehe der Komplex von den Separatisten übernommen und in eine militärische Einrichtung verwandelt worden war, hatten sich dort zwei kleine Büroräume befunden. Man hatte die Wand zwischen ihnen eingerissen und das Ganze in eine behelfsmäßige Unterkunft umgewandelt. In einer Ecke stand hinter einem Vorhang ein klappriges Bett, in der gegenüberliegenden eine kleine Sanieinheit - und dazwischen: ein Tisch, ein Stuhl, ein Sofa, ein Regal, eine winzige Kochnische. Bant'ena hatte versucht, ihrem Gefängnis zumindest ein wenig von seiner erdrückenden Kälte zu nehmen - ohne großen Erfolg.
»Setzt Euch doch!«, sagte sie, nachdem sie die Tür geschlossen hatte, und deutete auf das Sofa. »Kann ich Euch vielleicht etwas zu trinken anbieten?« Dann wurde ihr klar, wie bizarr ihr Verhalten in dieser Situation wirkte. Das hier war kein freundlicher Besuch. Sie waren in höchster Lebensgefahr. Wenn Obi-Wan Kenobi erwischt wurde, wenn man ihn gefangen nahm...
Denk nicht einmal daran! Er wird nicht erwischt werden. Man wird ihn nicht gefangen nehmen. Es gibt schließlich einen Grund, warum man ihn einen Helden der Republik nennt!
Skywalker blickte sie erleichtert an. »Ein Glas Wasser wäre wunderbar, und falls Sie hier etwas zu essen haben, würde ich auch nicht Nein sagen. Das heißt, sobald Obi-Wan auch hier ist. Er hat ebenfalls großen Hunger.«
Sie ging hinüber zu ihrem Ess- und Schreibtisch und legte behutsam die kleine Holo-Einheit auf einen Stapel Flimsi-Blätter. Dann deutete sie auf den Konservator, den ihre Entführer ihr gnädigerweise zur Verfügung gestellt hatten.
»Wie Ihr möchtet. Wasser ist dort drinnen. Bedient Euch nur!«
Er trank drei Flaschen, ohne auch nur einmal Atem zu holen. Dann, als er sie beiseitestellte und ihren überraschten Blick auffing, lächelte er verlegen. »Entschuldigen Sie bitte! Normalerweise habe ich bessere Manieren. Es ist nur - das war ein sehr langer, harter Tag für uns.«
»Das glaube ich gern«, versicherte sie, als sie sich neben ihn stellte und die Flaschen in den Müllschlucker steckte. »Ihr solltet Euch setzen. Ich hoffe, Ihr nehmt mir das nicht übel, aber... Ihr seht sehr erschöpft aus.«
Er blickte an sich hinab, an seinen schmutzigen, feuchten Klamotten. »Sind Sie sicher? Ich möchte nicht Ihr Sofa ruinieren?«
Fast hätte sie gelacht. »Warum sollte mir das etwas ausmachen. Es ist nicht mein Sofa. Ruiniert es nur! Wer weiß, vielleicht helfe ich Euch sogar dabei.«
Er grinste. »Ich verstehe. Aber ehe wir uns um das Sofa kümmern - haben Sie hier vielleicht ein Medikit?«
Erschrocken blickte sie ihn an. »Warum? Seid Ihr verletzt? Wo? Wie schlimm ist es?« Sie unterbrach sich. »Ja, ja, ich habe ein Medikit. Ich hole es und dann ...«
»Doktor Fhernan, mit mir ist alles in Ordnung«, sagte Skywalker und hob beruhigend die Hände. Da fiel es ihr wieder ein. Die Holo-Einheit, die Durd in seinem Wutanfall nach ihr geworfen hatte. Die Platzwunde an ihrer Stirn, darum ging es dem Jedi.
»Oh, ja. Natürlich.« An ihren Fingern klebte immer noch getrocknetes Blut, und auch die pochenden Schmerzen waren noch da. »Es tut mir leid. Ich bin normalerweise nicht so begriffsstutzig. Es ist nur ...« Und dann brach die mühsam aufgebaute Fassade der Unnahbarkeit plötzlich in sich zusammen, und sie schluchzte. Ihre Knie gaben unter ihr nach, und sie sank auf den Boden. »Es tut mir leid, es tut mir leid«, stieß sie hervor. »Bitte, beachtet das gar nicht! Es geht mir gut.«
Er griff ihr unter die Arme, hob sie mühelos hoch und trug sie zum Sofa. Sie versuchte erst gar nicht, sich dagegen zu wehren, vergrub nur ihr Gesicht im groben Stoff seiner schmutzigen Jacke und heulte ihre Scham, Trauer und Wut hinaus. Vage war sie sich seines kräftigen Arms um ihre Schulter bewusst und seiner leisen, sanften Stimme, die beruhigend immer und immer wieder die gleichen Sätze wiederholte: »Alles ist in Ordnung. Sie sind jetzt in Sicherheit. Alles ist in Ordnung.«
Und obwohl sie es eigentlich besser wissen sollte, fühlte sie sich tatsächlich sicher. Zum ersten Mal, seitdem die Blasterladungen der Separatisten die Niriktavi-Bucht in ein Schlachtfeld verwandelt hatten, seitdem sie gesehen hatte, wie ihre Freunde und Kollegen von Energiegeschossen durchbohrt auf den blutgetränkten Sand fielen - zum ersten Mal, seitdem dieser Alptraum vor zwei Monaten, drei Wochen und siebzehn corellianischen Tagen begonnen hatte, fühlte sie sich sicher.
Aber nur einen Augenblick später wurde ihr die Peinlichkeit ihres Verhaltens bewusst. Was tat sie hier nur? Weinte wie ein kleines Kind, an die Brust eines Mannes gepresst, der ihr Sohn sein könnte. Wo war nur ihr Stolz? Sie drehte den Kopf, blickte auf den Boden. Sie konnte Skywalker nicht in die Augen schauen. »Es tut mir leid«, sagte sie noch einmal, während die letzten Tränen über ihre Wangen rannen. »Ich wollte nicht... Es tut mir leid.«
»Sie müssen sich nicht entschuldigen«, entgegnete der Jedi sanft. »Sie haben allen Grund, aufgewühlt zu sein. Sagen Sie mir einfach, wo das Medikit ist, dann werde ich es holen.«
»Dort drüben. In dem Fach unter dem Waschbecken. Aber das ist nicht nötig. Ich versichere Euch, die Wunde ist harmlos. Ich kann...«
Er richtete sich auf, blickte mit hochgezogener Braue auf sie hinab. »Ich kümmere mich schon darum. Nicht wegrennen! Ich bin gleich wieder da.«
Es war als Scherz gemeint, sollte die Stimmung ein wenig auflockern. Aber es machte Bant'ena bewusst, dass sie sich selbst dann nicht bewegen könnte, wenn sie es wollte. Ihre Kraft war zusammen mit der Hoffnung verschwunden, und nun erfüllten sie nur noch Schwäche und Verzweiflung, Leere und Schmerz. Ihre Augen brannten.
»Also gut«, sagte Skywalker, als er mit dem Medikit in der Hand zurückkehrte. »Dann wollen wir mal. Ich sollte mich vielleicht schon im Voraus bei Ihnen entschuldigen - es wird vermutlich ein wenig wehtun.«
Wieder fühlte sie sich wie ein Kind, wie ein kleines Mädchen, während der Jedi das Blut und die Tränen aus ihrem Gesicht wischte, den Schnitt an ihrer Stirn mit einem antiseptischen Mittel säuberte und dann ein Pflaster auf die Wunde klebte.
»Ihr habt wohl Erfahrung mit so etwas«, murmelte sie.
Ein Schatten fiel über sein Gesicht. »Das kann man so sagen.«
Natürlich ... der Krieg. »Dürfte ich ... Ich würde Euch gerne fragen, ob... Verliert die Republik wirklich an Boden gegenüber den Separatisten? Durd sagt, dass Dooku auf dem Vormarsch ist, aber ich wollte ihm nicht glauben.«
Er sah sie an, und etwas Hartes, Eisernes schimmerte in seinem Blick. »Durd lügt.«
»Dann ... dann werden wir also gewinnen?«
Er nahm die antiseptischen Tücher und die Hülle des Pflasters und zerdrückte sie in der Hand. Seine Lippen blieben fest geschlossen.
»Werden wir etwa doch nicht gewinnen?«
Ein Seufzen. »Die Lage ist kompliziert, Doktor.«
»Bitte ...« Sie wollte ihn am Arm berühren, zog ihre Hände dann aber doch zurück und faltete sie im Schoß. »Nennt mich Bant'ena!«
»Das ist alles ein wenig kompliziert, Bant'ena«, sagte Skywalker. »Aber Sie können mir glauben, wenn ich sage, dass wir alles in unserer Macht Stehende tun, um Dooku und seine Separatisten zu besiegen.«
Sie beobachtete ihn, während er Tücher und Folie in den Müllschlucker stopfte, sich die Hände wusch und noch eine Flasche Wasser aus dem Konservator nahm. Aber anstatt selbst zu trinken, klappte er den Deckel auf und hielt sie ihr hin. Mit der freien Hand nahm er ein Päckchen schmerzstillender Tabletten aus dem Medikit.
»Hier, nehmen Sie eine davon! Danach werden Sie sich gleich viel besser fühlen.«
Sie schob sich zwei Tabletten in den Mund und spülte sie mit ein paar Schluck Wasser hinunter. Als sie die Flasche absetzte, schüttelte sie den Kopf, obwohl sie wusste, dass die Bewegung die dumpfen Schmerzen nur noch verschlimmern würde. »Es ist merkwürdig. Ihr seid überhaupt nicht so, wie ich mir einen Jedi vorstelle.«
»Warum?«, wollte er wissen und setzte sich auf den Rand des Stuhls. »Wie stellen Sie sich einen Jedi denn vor?«
»Ich weiß auch nicht«, meinte sie. Ihre Wangen glühten, und ihr wurde bewusst, dass ihr vermutlich die Schamesröte im Gesicht stand. »Ich habe mich nie richtig mit den Jedi beschäftigt, muss ich gestehen. Als Individuen, meine ich. Ich hätte nie erwartet, einmal einen zu treffen - oder gleich zwei. Die Orte, an denen ich mich normalerweise aufhalte, sind sicher und benötigen keinen Schutz durch den Orden. Aber Ihr ... nun, Ihr seid so ... freundlich.«
Skywalkers Schmunzeln wuchs zu einem Grinsen heran. »Was hatten Sie erwartet?«
Sie nahm noch einen Schluck Wasser, ehe sie antwortete. Sie fühlte sich schrecklich dumm, wie ein naives kleines Mädchen. »Oh, Ihr wisst schon. In den HoloNet-Nachrichten, da... da werdet ihr immer als heroische Krieger dargestellt. Überlebensgroße Streiter für Recht und Gerechtigkeit, die sich mit blitzendem Lichtschwert in die Schlacht stürzen, im gnadenlosen, endlosen Kampf mit den Separatisten. Etwas in der Art habe ich vermutlich erwartet.« Sie zuckte die Achseln. »Aber Ihr seid - so jung und freundlich und...« Sie stellte die Flasche ab. »Und ... das klingt idiotisch.«
»Nein, nein«, entgegnete er. »Sprecht nur weiter!«
Sie blickte auf ihre Knie hinab. Wie ein kleines Mädchen. »Ich habe das Gefühl, als würdet Ihr verstehen, was es bedeutet, verängstigt und hilflos zu sein. Jemandem ausgeliefert zu sein - jemand abgrundtief Bösem. Was natürlich lächerlich ist, immerhin seid Ihr - ein Jedi.«
Stille folgte auf ihre Worte. Dann seufzte Skywalker. »Ich verstehe Ihre Gefühle durchaus, Bant'ena. Ich war nicht immer ein Jedi, wissen Sie?«
Nun blickte sie doch auf, und die Frage, wann und wo und wie und warum er je so gefühlt hatte, lag bereits auf ihrer Zunge. Aber der Ausdruck in seinen Augen ließ sie alles hinunterschlucken. Stattdessen sah sie auf das Chrono an ihrem Handgelenk und anschließend auf die geschlossene Tür.
»Sollte er nicht schon wieder zurück sein?«, fragte sie. »Meister Kenobi, meine ich?« Sie zögerte. »Ist das die richtige Anrede?«
»Ja.« Skywalker nickte. Er stand auf und durchmaß mit langsamen Schritten das Zimmer. Neben der mit einer Metallplatte verschweißten rechteckigen Fläche, wo sich einmal ein Fenster befunden hatte, blieb er schließlich stehen und verschränkte die Arme vor der Brust. »Machen Sie sich keine Sorgen! Er wird bald hier sein. Meister Kenobi weiß, was er tut.«
Er klang so ruhig, so selbstbewusst - aber Bant'ena hatte schon immer ein Talent dafür gehabt, Personen zu lesen, ob sie ihre Gefühle nun offen zeigten oder unter einer Maske verbargen. So wurde ihr schnell klar, dass Skywalker nicht nur sie beruhigen wollte, sondern mindestens ebenso sehr auch sich selbst. Als er sich zu ihr herumdrehte, tat sie so, als hätte sie nichts bemerkt.
»Wird er uns hier auch finden?«, fragte sie. »Ich habe ihm nicht genau gesagt, wo mein Zimmer ist.«
»Das mussten Sie auch gar nicht«, erklärte Anakin mit einem schmalen Lächeln. »Er wird uns finden.«
»Also warten wir?«
Er nickte. »Ja, wir warten.«
»In dem Fall würde ich mich gerne ein wenig frisch machen - duschen, mir frische Kleider anziehen.« Sie erhob sich von dem Sofa. »Ist das in Ordnung?«
»Was?« Skywalker starrte sie an. Dann senkte er rasch den Blick. »Oh, natürlich. Bant'ena, Sie brauchen mich nicht um Erlaubnis zu fragen. Das ist Ihre Unterkunft. Ich bin hier der Gast.«
Aber er war auch ein Jedi. So naiv konnte er doch gar nicht sein. »Aber was, wenn ich Sie belügen würde, Meister Skywalker? Was, wenn ich vorhätte, Alarm zu geben? Ich könnte doch unter meinem Bett oder in der Dusche ein Komlink versteckt haben - was, wenn ich es benutzen würde, um General Durd über Eure Anwesenheit zu informieren? Sagen wir, um Euch und Meister Kenobi gegen meine Freiheit einzutauschen oder gegen das Leben von Personen, die mir am Herzen liegen. Was wäre dann?«
Der Jedi schüttelte den Kopf. »Das werdet Ihr nicht tun.«
Die Gewissheit, mit der er diese Worte aussprach, duldete keinen Widerspruch. »Woher wollt Ihr das wissen?«, fragte Bant'ena. Ihre Lippen zitterten, und sie musste ein paarmal tief ein- und ausatmen, ehe sie ihrer Stimme wieder vertrauen konnte. »Ihr habt doch gesehen, was mit dem Versuchstier geschehen ist. Ihr wisst, was ich für Durd erschaffen habe. Und vermutlich habt Ihr auch schon eine ziemlich klare Vorstellung davon, was er mit meiner Erfindung vorhat. Wenn ich so eine fürchterliche Waffe entwickeln kann, dann bedeutet das doch wohl, dass ich zu allem fähig bin. Selbst zum Verrat an zwei Helden der Republik, oder etwa nicht?«
Das jungenhafte Gesicht Skywalkers wurde hart, und plötzlich wirkte er viel älter. »Wir werden über Durd und Ihre Arbeit sprechen, sobald Obi-Wan wieder hier ist.« Er machte einen Schritt auf sie zu. »Und was das andere betrifft: Ich weiß, dass Sie uns nicht verraten werden, weil ich ein Jedi bin.«
Ihre Augen füllten sich mit Tränen. »Aber woher soll ich wissen, dass Ihr nicht mich betrügt? Was, wenn ich Euch die Gründe nenne, aus denen ich für Durd gearbeitet habe, und Ihr diese Gründe nicht akzeptiert? Vielleicht sagt Ihr ja nur, dass Ihr mich in Sicherheit bringen wollt, um mich den Behörden zu übergeben, sobald wir wieder auf Coruscant sind.«
»Nein, Bant'ena«, entgegnete er leise. »Ich werde nichts dergleichen tun.«
»Natürlich sagt Ihr, dass Ihr es nicht tun werdet. Aber woher soll ich wissen, dass Ihr mich nicht einfach nur belügt?«
Er richtete sich auf, und als er sie anblickte, wirkte er fast ein wenig gekränkt. »Weil ich ein Jedi bin.«
Es klang so einfach. Aber konnte irgendetwas in diesem großen, kalten Universum wirklich so einfach sein? Sie wünschte sich, es wäre so. Sie wollte ihm vertrauen. Aber konnte sie das?
Als ob ich noch eine Wahl hätte! Im Labor, da wäre es möglich gewesen, um Hilfe zu rufen, aber hier - jetzt - ist es zu spät. Selbst wenn ich Durd per Komlink informieren und er die Jedi überwältigen würde - er würde mir nie glauben, dass ich nicht mit ihnen gemeinsame Sache gemacht habe.
»Danke«, sagte sie leise. »Ihr habt recht. Ich habe nicht vor, General Durd zu kontaktieren. Nehmt ruhig noch etwas Wasser aus dem Konservator, wenn Ihr noch durstig seid. Nehmt Euch, was Ihr wollt. Ich bin gleich zurück.«
Sie zog den Vorhang vor die Duschkabine - und bald schon prasselte heißes Wasser auf ihr Gesicht herab. Echtes Wasser, der einzige Luxus, den ihre Entführer ihr zugestanden. Sie presste ihre Stirn gegen die kühle Wand und ließ den Tränen freien Lauf, konnte sie sich hier doch einreden, dass es nur Wasser auf ihrem Gesicht wäre. Und obwohl sie versprochen hatte, gleich zurückzukehren, wollte sie die Dusche nun plötzlich nicht mehr verlassen.
Reiß dich endlich zusammen! Auf der anderen Seite dieses Vorhangs steht ein Jedi. Er ist gekommen, dich zu retten. Bald schon wird dieser Alptraum vorbei sein.
Schließlich wurde das Wasser kalt, und so verließ sie die Kabine. Sie trocknete sich ab, schlüpfte in frische Unterwäsche, ein sauberes Hemd und eine Hose und stopfte ihre getragenen Klamotten in den Müllschlucker. Ihr Blut klebte daran - und der Geruch des Todes.
Als sie den Vorhang wieder zurückzog und in den Hauptbereich zurückkehrte, fand sie zu ihrer großen Überraschung Obi-Wan Kenobi neben dem Sofa stehend vor. Hatte er den Raum völlig lautlos betreten - oder war sie zu sehr in sich selbst versunken gewesen? Der Jedi hatte den Kopf in den Nacken gelegt und leerte gerade eine Flasche Wasser. Eine zweite stand neben ihm auf dem Tisch. Als er sie sah, setzte er die Flasche ab und nickte ihr ernst zu.
»Doktor?«
»Meister Kenobi!« Sie machte einen zögerlichen Schritt auf ihn zu. »Konntet Ihr -wie sagt man?- Eure Mission erfolgreich abschließen?«
Kenobi strahlte nicht die Wärme aus, die sie in Skywalker gespürt hatte. Er war kühl, beherrscht, distanziert, und nicht einmal seine Höflichkeit konnte das überspielen. »Ja. Um die Aufzeichnungen brauchen wir uns keine Sorgen mehr zu machen.«
Was bedeutete, dass sie heute Nacht zumindest für ein paar Stunden nicht das Gefühl haben musste, immerzu beobachtet zu werden. Anfangs hatte der Gedanke sie fast um den Verstand gebracht. Das Wissen, dass dieser Widerling Durd sie immer und überall sehen konnte, war ihr unerträglich gewesen. Aber im Laufe der Zeit hatte sie sich daran gewöhnt - so, wie sie sich auch an ihre Gefangenschaft gewöhnt hatte und an ihre grausige Forschungsarbeit. Außerdem ließ der neimoidianische General keine Gelegenheit aus zu erwähnen, wie abstoßend er Menschen fand. Es war also unwahrscheinlich, dass er sie beim Umziehen, Duschen oder Schlafen beobachtete.
Aber zweifellos sieht er sich gerne an, wie ich vor ihm auf den Knien herumrutsche und ihn anflehe.
»Bant'ena?«, fragte Skywalker.
Sie schüttelte den Kopf. »Alles in Ordnung.«
»Gut«, sagte Kenobi. Meister Kenobi. »Doktor ...«
»Ihr solltet etwas essen«, hörte sie sich plötzlich sagen. Was tust du da? Einen Jedi zu unterbrechen, war äußerst unhöflich. Aber ehe sie sich entschuldigen konnte, sprudelten schon weitere Worte aus ihrem Mund. »Wie ich vorhin schon sagte - niemand sucht mich je hier auf. Ihr habt Zeit und solltet euch stärken.«
Kenobi wechselte einen Blick mit Skywalker, dann nickte er. »In Ordnung. Danke.«
»Kein Problem. Es ist ja nicht so, als ob ich mich für euch an den Herd stellen würde. Ich bekomme am Anfang der Woche alle Mahlzeiten für die nächsten Tage in Hitzepacks.« Vor ihrem Ess- und Arbeitstisch stand nur ein einziger Stuhl, und dort hatte Skywalker es sich bequem gemacht. Also deutete sie auf ihr Sofa. »Bitte, setzt Euch doch!«
Der Jedi kam ihrer Aufforderung nach und ließ sich auf das hässliche, schiefe Sofa sinken, während Bant'ena vier silberne Päckchen aus dem Konservator holte. Sie riss sie auf, woraufhin ihr Inhalt sich erhitzte, und reichte dann jedem der Männer zwei Packs. »Ihr seht hungrig aus«, meinte sie, als ihr die überraschten Blicke der beiden auffielen.
»Was ist mit Ihnen?«, fragte Skywalker. Er zog die Schale aus dem ersten Päckchen, ohne auch nur einen Blick auf das Etikett zu werfen. »Sie sollten auch etwas essen.«
Die Schreie des Nagetiers hallten immer noch in ihrem Kopf wider. »Vielleicht später. Ich ... ich ... Im Augenblick habe ich keinen Hunger.«
Der Jedi ließ sich von ihrer Ausrede nicht täuschen. »Bant'ena...«
»Ich sagte, ich will nichts!«
Dann stand sie auf und holte aus der Kochnische einen Löffel und eine Gabel - das war alles, was Durd ihr an Besteck zugestand. Sie reichte Kenobi den Löffel und Skywalker die Gabel.
»Danke«, sagte der junge Jedi. Kenobi nickte nur.
Sie setzte sich auf den Rand der winzigen Anrichte und blickte zu Boden, während die beiden Männer aßen. Sie wollte sie nicht beobachten, schließlich waren sie Jedi - sie würden ihre Blicke bemerken und sich vielleicht unbehaglich fühlen.
Aber sie sollten ohne Reue essen, sich stärken. Schließlich lag Bant'enas Leben nun in ihren Händen.
Sie war mittlerweile daran gewöhnt, sich bei den Leuten lieb Kind zu machen, die die Kontrolle hatten.
Es dauerte nur wenige Minuten, bis die beiden Männer Löffel und Gabel beiseitelegten. Sie müssen ja halb verhungert gewesen sein! »Möchtet ihr noch etwas?«, fragte sie und stand auf. »Ich esse ohnehin nicht sehr viel, und die Droiden zählen nicht nach, wie viel am Ende der Woche noch übrig ist. Also ...«
»Nein, danke«, sagte Kenobi. Er erhob sich nun ebenfalls, nahm seine leeren Schalen und die von Skywalker und machte einen Schritt auf den Müllschlucker zu.
»Ich kümmere mich schon darum.« Sie eilte zu ihm hinüber, nahm ihm die Schalen aus der Hand beseitigte sie. Dann fuhr sie sich mit der Handfläche über die Schenkel bis hinab zu den Knien. Die Muskeln in ihren Beinen zitterten. »Ähm.« Sie wollte etwas sagen - musste etwas sagen. »Wie habt Ihr mich gefunden, Meister Kenobi? War es die Nachricht, die ich bei Ralteb Minotech zurückgelassen habe? Ich hatte schon die Hoffnung aufgegeben, dass jemand sie entdecken würde.« Sie sah den Ausdruck im Gesicht des Jedi. »Nein? War es dann vielleicht einer der anderen? Ist einem von ihnen die Flucht gelungen?«
Obi-Wan und Skywalker wechselten einen vorsichtigen Blick. »Die anderen?«, fragte der ältere der beiden dann. »Welche anderen, Doktor?«
»Na, die anderen Wissenschaftler, die zusammen mit mir entführt wurden von der Forschungseinrichtung auf Taratos Vier, an der Niriktavi-Bucht.« Keine Reaktion. »Dort habe ich mit meinem Team gearbeitet, als die Separatisten uns überfallen haben. Sie haben mehrere Wissenschaftler gefangen genommen. Ist einem von ihnen ...«
Sie brach ab. Die Blicke der Jedi waren distanziert. Interessiert, aber unwissend. Sie hatten gar keine Ahnung von dem, was an der Niriktavi-Bucht geschehen war. Bant'ena spürte, wie etwas in ihrem Innern sich verdrehte und entzweiriss. Ein stechender Schmerz, eine zerschmetterte Hoffnung. Es dauerte einen Augenblick, ehe sie wieder sprechen konnte.
»Es war keiner der anderen, richtig? Ihr seid überhaupt nicht wegen mir hier. Es war nur ein Versehen, dass ihr mich gefunden habt.«
»Kein Versehen«, korrigierte Skywalker. »Zufall.«
Und wo liegt da bitte der Unterschied? »Ich verstehe schon.«
»Es tut mir leid, dass wir den Angriff auf Taratos Vier nicht verhindern konnten«, fuhr der junge Jedi fort. »Oder den Tod Ihrer Freunde und Kollegen und Ihre Entführung.«
»Wurde es denn überhaupt versucht?«
Wieder wechselten die beiden Männer einen schweigenden Blick. Eine lange Pause. Dann ein leises: »Nein.« Bant'ena war erstaunt, dass Kenobi geantwortet hatte. »Die Invasion auf Taratos Vier war Teil einer großflächigen Separatisten-Offensive. Wir konnten nicht alle bedrohten Welten schützen.«
Noch etwas in ihrem Inneren zerbrach. »Mit anderen Worten: Dort gab es nichts, was sich zu verteidigen gelohnt hätte.« Nur die Niriktavi-Bucht mit ihren Korallen und ihrer einmaligen Unterwasserlandschaft. Nur Raxl und die Sonnenuntergänge, die sie gemeinsam am Strand bewundert hatten.
»Ich habe es Ihnen doch erklärt, Bant'ena«, sagte Skywalker. In seiner Stimme klang aufrichtiges Mitleid an. »Es ist kompliziert.«
Sie setzte sich wieder auf die Anrichte. »Ich verstehe. Wir sind im Krieg. Ihr müsst das große Ganze im Auge behalten. Ihr könnt es Euch nicht leisten, auf die kleinen Leben zu achten.« So, wie sie die Ratte für die Wissenschaft geopfert hatte, hatte die Republik Raxl und die anderen für ihren Sieg geopfert.
»Das stimmt nicht«, protestierte Anakin. »Genau daraus besteht das große Ganze - aus unzähligen kleinen Leben. Sie gehören zum großen Ganzen, Bant'ena, und Ihre Freunde, die Sie auf Taratos Vier verloren haben, die gehören ebenfalls dazu. Wir kämpfen, damit nicht noch mehr dieser Leben verloren gehen.«
Wie viel Wärme Skywalker doch ausstrahlte. Und wie jung er doch war, voller hehrer Ideale, voller Entschlossenheit und herzerweichendem Mitgefühl. Ihr Blick glitt hinüber zu Kenobi. Er war ganz anders, ganz Pragmatiker - ein Mann, besessen von der Seele eines Wissenschaftlers.
»Sagt mir«, fuhr sie fort, die Augen weiter auf den älteren Jedi gerichtet, »wenn ihr nicht wegen mir hier seid, was hat euch dann nach Lanteeb geführt?«
»Ich weiß nicht, ob das im Moment von Bedeutung ist«, entgegnete Kenobi. »Wir sind hier, und Sie sind hier. Und Sie entwickeln eine biologische Waffe für General Lok Durd - und Count Dooku.«
Wieder legte sich Stille über den Raum, und diesmal war sie voll eisiger Kälte, weil jeder von ihnen vor seinem oder ihrem geistigen Auge noch einmal den Tod des Nagetiers miterlebte. Bant'ena wollte die Jedi anschreien, mit den Fäusten gegen die Wand schlagen und all ihren Wut und ihre Frustration entfesseln.
Wagt es nicht, mich zu verurteilen! Wagt es bloß nicht! Wisst ihr überhaupt, wie viele dieser Waffen die Republik schon entwickelt und an hilflosen kleinen Versuchstieren erprobt hat? Nein, das wisst ihr nicht!
»Da ihr mich beobachtet und belauscht habt«, sagte sie schließlich, »wisst ihr ja, was ich hier tue - und dass ich es nicht freiwillig tue.«
Kenobi beugte sich vor. Seine Stirn legte sich in Falten. »Und doch wart Ihr stolz auf Euren Durchbruch.«
Das hatten sie auch gesehen? Diesen kurzen, hässlichen Moment? Sie spürte, wie ihre Wangen zu glühen begannen. »Da ist mein wissenschaftliches Ego mit mir durchgegangen«, sagte sie steif. »Glaubt mir, ich bin alles andere als stolz auf die Waffe, die ich hier erschaffen habe.«
»Aber dennoch...«
»Was setzt Durd als Druckmittel ein?«, unterbrach Skywalker seinen Freund barsch. Als Kenobi ihn irritiert anblickte, hob er entschuldigend den Arm. »Womit sichert er sich Ihre Loyalität?«
Sie ging hinüber zum Tisch, drückte den Aktivierungsknopf der Holo-Einheit und beobachtete die beiden Jedi, während die Bilder ihrer Familie durch die stickige Luft flimmerten.
»Meine Mutter«, sagte sie. Dann, nach ein paar Sekunden: »Mein Bruder, meine Schwägerin und meine Nichte.« Und als das Bild wieder wechselte: »Meine Schwester, mein Schwager und meine beiden Neffen.« Ein weiteres Bild. »Meine Freundin Didjoa.« Noch eines. »Samsam.« Und noch eines. »Lakhti und Nevhra.« Sie deaktivierte den Projektor. »Und wären sie nicht ermordet worden, als man mich entführte, müsste ich die Liste vermutlich noch um mein ganzes Team ergänzen.«
Meister Kenobi nickte. »Ich verstehe. Werden all diese Personen gefangen gehalten, so wie Sie?«
»In gewisser Weise. Sie sind frei, stehen aber unter ständiger Beobachtung. Durd hat mir schon oft damit gedroht, sie töten zu lassen, wenn ich nicht mit ihm zusammenarbeite. Ich habe keinen Zweifel daran, dass er diese Drohungen wahr machen würde. Ihr seht also, Meister Kenobi, ich stecke in einer Art Zwangslage. Meine Mutter ...« Ihre Stimme brach. »Meine Mutter lebt mit einem Blaster an ihrer Schläfe, und sie weiß es nicht einmal.«
Sie konnte nicht sagen, ob dieser Gedanke den Jedi bestürzte oder überhaupt irgendeine emotionale Reaktion in ihm hervorrief - sein Gesicht blieb unbewegt, seine Augen ernst. »Und darum haben Sie für Durd eine biologische Waffe hergestellt.«
Sie schob ihr Kinn vor. »Ja.« Sie verzog die Lippen zu einem humorlosen Lächeln. »Ihr findet, ich hätte mich Durd widersetzen sollen, nicht wahr? Ihm die Zusammenarbeit verwehren oder besser noch: mir das Leben nehmen und so sicherstellen, dass der General seine schändlichen Pläne niemals in die Tat umsetzen könnte.«
Ein kaltes Funkeln trat in Kenobis blaue Augen. Sein gesamter Körper schien unter Spannung zu stehen. »Ich bin ein Jedi. Nie würde ich einen Selbstmord gutheißen.«
»Aber in meinem Fall hättet ihr doch bestimmt eine Ausnahme gemacht.« Sie lachte, ein schriller, höhnischer Laut. Du dummer, arroganter Jedi. »Glaubt ihr nicht, dass ich es nicht schon längst versucht hätte? Nur ein paar Stunden, nachdem ich in diesem stinkenden Loch zu mir gekommen bin, habe ich es versucht! Aber sie haben mich aufgehalten, und dann hat Durd mich halb bewusstlos geschlagen. Als er fertig war, hat er mir geschworen, meine Mutter zu töten, langsam und qualvoll, sollte ich es noch einmal versuchen, und dass er mich festschnallen und mich zwingen würde, die Aufzeichnung ihres Todes anzusehen, immer und immer und immer wieder. Da wusste ich: Selbst, wenn es mir gelingen sollte, Selbstmord zu begehen, würden alle, die ich liebe, trotzdem sterben.«
Die Erinnerung an Durds Wutausbruch, an die Schmerzen, die er ihr zugefügt hatte, ließen sie schaudern. Ihre Lippen bebten. Ihre Fäuste waren so fest geballt, dass die Fingernägel sich tief in ihre Handflächen bohrten.
»Ihr hättet es ja vielleicht trotzdem getan, Meister Kenobi«, flüsterte sie. »Ich weiß nur wenig über die Jedi, und über Euch weiß ich überhaupt nichts. Womöglich könntet Ihr Euer Leben beenden, auch, wenn Ihr wüsstet, dass dann diejenigen, die Euch nahestehen, langsam zu Tode gefoltert würden. Vielleicht ...« Ihre Stimme versagte. Sie schluckte. »Vielleicht ist das ja ein fairer Preis für das Überleben von Millionen Unschuldigen. Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass ich nicht die Stärke habe, diesen Preis zu zahlen.«
»Obi-Wan!«, sagte Skywalker. Aber der bärtige Jedi starrte immer noch Bant'ena an. »Obi-Wan!« Erst, als er ihn an der Schulter berührte, hob Kenobi den Kopf. »Könnte ich Euch einen Moment unter vier Augen sprechen?«, fragte Anakin.
Sie erhob sich. »Ich gehe schon. Keine Sorge, ich werde nicht lauschen. Ich habe hier Kopfhörer und ein wenig Musik. Lasst mich nur wissen, wenn ihr eine Entscheidung über euer weiteres Vorgehen getroffen habt!«
Dr. Fhernan zog sich auf ihr Bett zurück und den Vorhang davor zu. Dann wandte Anakin sich an Obi-Wan. Ungläubig und wütend starrte er ihn an, und es fiel ihm schwer, ruhig zu sprechen. »Ihr könnt doch nicht wirklich ihr die Schuld an all dem hier geben?«
Obi-Wan seufzte. »Anakin...«
»Durd hat ihre Familie in der Hand, ihre Freunde. Und auf Taratos Vier hat er gezeigt, dass er keine Skrupel hat, Unschuldige zu töten. Was hätte sie denn tun sollen?«
»Anakin ...«
Skywalker sprang auf, ging um das Sofa herum. »Sie hatte keine andere Wahl, als zu tun, was Durd ihr befahl. Nach dem, was die Separatisten ihr angetan haben... Obi-Wan, wir haben stundenlang dort draußen gelegen und die Asche der Toten eingeatmet. Wie könnt Ihr da...« Er brach mitten im Satz ab, fuhr sich mit der Hand über das Gesicht. »Ihr haltet das alles für eine Täuschung, nicht wahr?«, fragte er dann. »Ihr glaubt, Durd würde seine Drohungen nicht wahr machen? Obi-Wan ...« Er kniete sich neben dem Sofa hin, seine künstliche Hand unter dem schwarzen Handschuh zu einer Faust geballt. Begreift doch, Obi-Wan! Begreift es doch bitte! »Aber er würde es tun. Ohne mit der Wimper zu zucken. Ihr kennt Durd nicht so gut wie ich. Ihr wart nicht auf Maridun.«
»Ich musste auch nicht dort sein«, entgegnete Kenobi. »Ich habe deinen Bericht gelesen. Mehrmals.«
»Meinen Bericht?«, schnappte Anakin. Er stand wieder auf, blickte verständnislos zu seinem Mentor hinunter - zu seinem Freund, den er in diesem Moment am liebsten... Wollt Ihr mich denn nicht verstehen? »Ein Bericht, das sind nur Worte, Obi-Wan. Aber ich war dort, ich habe es gesehen und gefühlt! In meinem Verstand, in meinem Herzen. Ich kenne ihn. Er hat kein Gewissen. Er würde es tun. Er würde jeden töten, den sie liebt.«
Kenobi lehnte sich zurück. »Du solltest dich beruhigen, Anakin. Emotional zu werden, hilft uns auch nicht weiter.«
»Es tut mir leid. Aber so wie ich das sehe, muss einer von uns emotional werden! Denn der andere scheint sich von allem abgekapselt zu haben. Als würde er sich überhaupt nicht um das scheren, was hier vor sich geht!«
»Oh, Anakin ...« Obi-Wan rieb sich die Augen, als hätte er Kopfschmerzen. »Natürlich kümmere ich mich um das, was hier geschieht, und ich weiß, wozu Durd fähig ist. Er ist eine grausame, habgierige Kreatur ohne jedes Gewissen. Und ich weiß auch, dass Doktor Fhernan - im Gegensatz zu ihrem Entführer - nicht böse ist. Der Gedanke, Schuld am Tod von Millionen Wesen zu tragen, zerbricht sie.«
Skywalkers Zorn legte sich ein wenig. »Was ist es dann?«
»Anakin«, sagte Kenobi ruhig, »was sie sagt und was sie tut, das sind zwei verschiedene Dinge. Sie kann Durd und seine Grausamkeit noch so sehr verfluchen, aber wenn sie ihm - ob nun aus freien Stücken oder unter Zwang - dennoch hilft, dann ist all das bedeutungslos. Du hast sie doch gehört. Um zwölf Personen zu retten, ist sie gewillt, Millionen zu opfern - vielleicht sogar Milliarden. Sie sieht nicht, dass jedes Wesen, das durch ihre Waffe zu Tode kommt, auch eine Mutter, einen Bruder, eine Schwester und Freunde hat. Ihr Verlust wäre genauso tragisch wie Fhernans, oder etwa nicht?«
»Ich habe nie etwas anderes behauptet«, murmelte Anakin. »Und Bant'ena auch nicht. Aber Ihr müsst ihren Standpunkt verstehen, Obi-Wan!«
Kenobi erhob sich und legte Anakin eine Hand auf die Schulter. »Hör mir zu! Vergiss das Mitgefühl, das du mit dieser Frau hast, und hör mir zu! Doktor Fhernan hat eine Entscheidung getroffen. Um persönlichen Schmerz abzuwenden, hat sie Durd ihre Unterstützung zugesagt, im Wissen, dass diese Entscheidung einem beispiellosen Völkermord gleichkommt.« Sein müdes Gesicht spannte sich. »Stell dir vor, Dooku wirft einen Kanister dieser Substanz über Coruscant ab, über Alderaan, Corellia, über jeder Welt in der Republik, die sich den Separatisten verweigert! Stell dir vor, die qualvollen Todesschreie von Millionen unschuldigen Wesen durch die Macht hallen zu hören!«
Anakin biss die Zähne zusammen. Wie konnte Kenobi nur glauben, dass er sich all dessen nicht bewusst war? Dass er nicht begriff, was hier auf dem Spiel stand? Er streifte Obi-Wans Hand von seiner Schulter. »Das wäre schrecklich, ich weiß. Deshalb sind wir ja hier - um es zu verhindern.«
»Warum bist du dann jetzt so zögerlich?«
Skywalker schüttelte den Kopf. »Wollt Ihr damit etwa sagen, wir sollen zulassen, dass Durd jeden töten lässt, der ihr etwas bedeutet?«
»Nein. Obwohl es natürlich eine noch viel größere Tragödie abwenden würde«, sagte Obi-Wan, und seine Stimme wurde mit jedem Wort leiser.
»Für Euch ist es natürlich leicht, so etwas zu sagen. Ihr habt ja keine Familie, die man Euch wegnehmen könnte.«
»Ach nein?«
»Das ist nicht dasselbe, und das wisst Ihr auch«, fauchte Anakin. »Die Jedi sind vieles, aber ganz bestimmt keine Familie.«
Obi-Wan blickte ihn mit ausdrucksloser Miene an. »Ich verstehe.«
Verdammt! Wie hatten sie sich in so kurzer Zeit nur so zerstreiten können? Nun standen sie auf den verschiedenen Seiten einer schnell weiter werdenden Kluft. »Nein, wartet! So habe ich das nicht gemeint.«
»Ich weiß, wie du es gemeint hast.«
Obi-Wan wandte sich ab, aber Anakin packte ihn am Arm und drehte ihn wieder zu sich herum. »Es tut mir leid. Ich wollte damit nicht sagen, dass ...« Er seufzte tief. »Ich weiß, was Ihr mir sagen wollt. Krieg ist immer grausam, und er zwingt uns, schreckliche Entscheidungen zu treffen. Aber wie können wir von Bant'ena verlangen, diese Entscheidung zu treffen?«
Obi-Wans Augen lagen im Schatten seiner zusammengezogenen Brauen. »Irgendjemand muss aber diese Entscheidung treffen. Wenn nicht sie, wer dann?«
»Das ist eine ausgezeichnete Frage«, sagte Fhernan und trat hinter dem Vorhang hervor. »Und ich würde gerne hören, wie Eure Antwort darauf lautet.«
Langsam drehten Anakin und Obi-Wan sich zu ihr herum. Skywalker fühlte sich beschämt und, schlimmer noch, betrogen. Er spürte, dass Kenobi diese Emotion teilte. »Sie hatten versprochen, nicht zu lauschen!«
»Das wollte ich auch nicht«, sagte sie achselzuckend. »Die Kopfhörer sind leider nicht sehr zuverlässig. Die Lautstärke ließ nach. Außerdem wart ihr nicht gerade leise.«
Obi-Wan machte einen Schritt auf sie zu. »Doktor Fhernan ...«
»Wisst ihr«, meinte Bant'ena und neigte den Kopf trotzig zur Seite, »es gibt eine weitere Möglichkeit. Eine, die ihr entweder übersehen oder unterschlagen haben: Ihr und Meister Skywalker könntet mich töten und meine Arbeit zerstören. Ich bin nicht stark genug, um euch aufzuhalten - und Durds Pläne könntet ihr so auch durchkreuzen. Wenn ihr euch geschickt anstellt, wird er es für einen Selbstmord halten. Dann würden Millionen, vielleicht Milliarden unschuldiger Wesen weiterexistieren. Nur meine Familie und meine Freunde würden sterben - und ihr Blut würde auf ewig an euren Händen kleben!«
Sechzehn
»Keine Sorge, Bant'ena«, sagte Anakin voll leichtfertiger Entschlossenheit. »Das wird nicht passieren.«
Obi-Wan warf ihm einen warnenden Blick zu, aber Skywalker sah ihn nicht an. Seine Augen und Emotionen waren ganz auf die Wissenschaftlerin gerichtet. Diese Frau, die sich von Durd und Dooku hatte benutzen lassen, die etwas erschaffen hatte, dessen Zerstörungspotenzial und Grausamkeit schier grenzenlos war. Eine Waffe, mächtig genug, um die Ordnung in der Galaxis zu zerstören und sie nach dem Vorbild der Sith wieder aufzubauen.
Ich darf nicht zulassen, dass es so weit kommt. Kein Preis ist zu hoch, um einen systemweiten Völkermord zu verhindern.
»Anakin...«
»Einen Moment«, sagte Skywalker und hob beide Hände, »gebt mir nur einen Moment! Es muss eine Möglichkeit geben, diese Waffe zu zerstören und Bant'enas Familie und Freunde zu retten.«
Obi-Wan zwang sich zur Ruhe. »Anakin, ich verstehe dich. Aber ausgerechnet du solltest doch wissen, dass etwas zu wollen nicht bedeutet, dass man es auch bekommt.«
Er wusste, dass seine Worte zu direkt waren, aber für Höflichkeit fehlte ihnen schlichtweg die Zeit. Er musste dieses Band durchbrechen, das Anakin zu der Wissenschaftlerin aufgebaut hatte, ehe es noch fester wurde. Ehe er ihr eigentliches Ziel, ihre Pflicht, völlig aus den Augen verlor. So ehrenwert Skywalkers Absichten auch waren, so hoffnungslos und hinderlich waren sie leider auch.
Anakin starrte ihn an. Obi-Wans Worte hatten ihn tief getroffen, und nun brodelte Wut in seiner Brust. Da trat plötzlich Dr. Fhernan zwischen sie. »Bitte! Ich möchte nicht, dass ihr wegen mir streitet. Ich habe auch so schon genügend Schaden angerichtet.«
Oh, diese Frau!Bant'ena Fhernan. Aus der verängstigten Person, die sie retten wollten, war mittlerweile ein menschengroßer Hydroschraubenschlüssel geworden, der das Getriebe ihrer Mission blockierte.
Aber in einer Hinsicht hat sie recht. Ich könnte all dem hier und jetzt ein Ende setzen. Ich könnte sie töten. Ohne sie auch nur zu berühren, könnte ich ihr die Kehle zudrücken oder ihr das Herz in der Brust zermalmen. Ich könnte es tun, ohne mich auch nur anzustrengen. Und wenn ich es täte, wäre Dookus Plan ein für alle Mal durchkreuzt.
Und ein Dutzend unschuldiger Menschen würde den Preis dafür zahlen.
»Obi-Wan«, sagte Anakin. Seine Stimme klang fest, aber in seinen Augen lag eine flehentliche Bitte. »Wir sind keine Attentäter. Wir sind keine Mörder. Also sollten wir uns jetzt an einen sicheren Ort zurückziehen und über unser weiteres Vorgehen nachdenken, in Ordnung?«
»Anakin«, entgegnete Kenobi kopfschüttelnd, »wir haben keine Zeit. Durd hat die Formel mittlerweile bestimmt schon an Count Dooku übermittelt. Wer weiß, vielleicht hat Dooku bereits den Befehl gegeben, Doktor Fhernan zu töten - und nicht nur sie, sondern auch all die Personen, die er als Druckmittel eingesetzt hat. Er ist gewissenlos und grausam und überlässt nichts dem Zufall. Verzeihen Sie mir, Doktor«, fügte er mit einem Seitenblick in ihre Richtung hinzu. »Ich weiß, dass meine Direktheit Ihnen missfällt, aber, so leid es mir tut, ich kann...«
»Verschont mich mit Euren Entschuldigungen!«, unterbrach sie ihn. »Ihr begreift einfach nicht, dass Ihr Euch irrt. Ich kenne Durd. Er ist ein Sadist, ja. Aber er ist auch durchtrieben, ein Stratege und Politiker. Sein eigenes Wohl steht bei ihm an erster Stelle, und darum kümmert er sich auch stets zuallererst. Darum wird er Dooku vielleicht melden, dass wir Fortschritte gemacht haben, aber er wird seine Privilegien und seinen Status nicht aufs Spiel setzen, indem er meine Formel weitergibt. Er wird sie für sich behalten, solange er nur kann. Und was meine Familie und Freunde betrifft - ihnen droht nur dann Gefahr, wenn Durd glaubt, dass ich ...« Sie lächelte schmal. »... dass ich ihm gegenüber nicht mehr loyal bin. Und aus genau diesem Grund kann ich die Waffe nicht sabotieren.«
Sie klang kalt, distanziert, beherrscht - in ihrer Stimme keine Spur von Zweifel oder Bedauern. Aber Obi-Wan hatte schon vor langer Zeit gelernt, hinter die Fassade zu blicken, und was er unter der Fassade von Dr. Fhernan sah, ließ ihn schaudern. Stolz und Leidenschaft, Einsamkeit, eine unbeirrbare Hingabe - sie hatte sich ganz der Forschung verschrieben, und sie war bereit, ihr alles unterzuordnen, auch das Leben Dritter. Ein unstillbarer Hunger nach Respekt und Ansehen, aber auch der Wunsch, Gutes zu tun, und ein helles Leuchtfeuer in ihrem zerrissenen Gemüt: Liebe und Zuneigung.
»Doktor«, begann er mit sanfter Stimme, »ich bedaure das alles sehr, glauben Sie mir bitte!«
»Ihr bedauert es?« Fhernan lachte bitter. »Oh, Meister Kenobi, Ihr wisst ja nicht einmal, was es heißt, Bedauern zu empfinden.«
Er wollte sich nicht auf ein moralisches Streitgespräch einlassen, und so nickte er in Anakins Richtung. »Meister Skywalker hat recht. Wir sind weder Attentäter noch Mörder. Aber nun, da wir Durds Plan kennen - und da wir wissen, was geschehen wird, wenn er diese Waffe einsetzt ist es noch wichtiger als zuvor, dass wir unsere Mission erfüllen. Wir müssen ihn aufhalten.«
Sie blickte ihn gefasst an, ein bitterer Hohn in ihren Augen. »Dann solltet Ihr vielleicht in Erwägung ziehen, von diesem scheußlichen Felsbrocken zu verschwinden und jedes Kriegsschiff in der Flotte der Republik herzuschicken. Wäre das nicht der sicherste Weg - ganz Lanteeb in Schutt und Asche zu legen?«
»Nein!«, erwiderte Anakin scharf. »Unschuldige abzuschlachten, das ist Dookus Strategie, nicht unsere. Obi-Wan und ich wurden hierher entsandt, um dieses Problem schnell und ohne großes Aufsehen aus der Welt zu schaffen, und genau das werden wir auch tun.«
Der blinde Optimismus der Jugend.
Dr. Fhernan schüttelte ihren Kopf. »Meister Skywalker, was für eine wundervolle, kleine Ansprache. Wirklich. Ich wäre zu Tränen gerührt - würde ich nicht sehen, dass Ihr Euch selbst etwas vormacht. Wie wollt Ihr Durd aufhalten, ohne mein Leben und das meiner Familie aufs Spiel zu setzen? Was ist mit all den unschuldigen Lanteebanern, die diesen Planeten ihre Heimat nennen?«
»Uns fällt schon etwas ein«, meinte Anakin. »Wir können sehr kreativ sein.«
Sie lächelte ihn an - ein aufrichtiges, ehrliches Lächeln, das ihr Gesicht völlig verwandelte. Anakin senkte verlegen den Blick, aber auch er schmunzelte. Obi-Wan starrte ihn an.
Oje! Er ist ein hoffnungsloser Fall, genau wie Qui-Gon. An niemandem kann er vorübergehen, ohne sich für seine Probleme verantwortlich zu fühlen...
»Doktor Fhernan«, sagte Kenobi. Seine Stimme schnitt durch diesen Moment der Sympathie wie ein Messer durch Salznussbutter. »Ich will ehrlich mit Ihnen sein: Es gibt keine Garantie, dass Ihnen und Ihren Lieben nichts geschieht. Alles, was ich Ihnen versprechen kann, ist, dass wir unser Bestes tun werden.«
»Und wir könnten Ihre Hilfe gebrauchen«, fügte Anakin hinzu. »Ich weiß, Sie wollen Durd keinen Grund zum Argwohn geben - aber unsere Chancen stehen besser, wenn Sie uns helfen. Und wie Sie ganz richtig bemerkten: Sie kennen diesen Schleimbeutel besser als wir. Was bedeutet: Sie wissen, wie man mit ihm umgehen muss.«
Die frische Kleidung, die sie angezogen hatte, saß ebenso locker um ihren Körper wie die, die sie im Müllschlucker entsorgt hatte. Ihr Körper verschwand in den Weiten des Stoffs, und der kleine Teil, der davon noch sichtbar war - ihr Gesicht, ihre Hände -, wirkte schrecklich zerbrechlich und alt. Sie legte den Kopf auf die Brust, dachte über Anakins Worte nach.
Dann sagte sie schließlich: »Ich weiß, ihr haltet mich für einen Feigling.« Ihre Stimme war leise, aber bestimmt. »Ihr seid freundlich, ihr seid höflich, aber in Wirklichkeit verabscheut ihr mich vermutlich.« Tränen schimmerten in ihren Augen. Ehe einer der Jedi Einspruch erheben konnte, fuhr sie bereits fort. »Aber das ist in Ordnung. Ich verabscheue mich ebenfalls. Was ich hier geschaffen habe, ist monströs, das weiß ich. Ein Verrat an all den Idealen und Zielen, denen ich mich als Wissenschaftlerin verschrieben habe, und wenn ich es ungeschehen machen könnte, dann - glaubt mir - würde ich es tun. Aber man kann die Zeit nicht zurückdrehen. Ich habe getan, was ich getan habe, und ich muss damit leben.«
Vor Obi-Wans ungläubigen Augen ging Anakin zu Bant'ena hinüber und legte ihr die Hand auf die Wange. »Nein, die Zeit lässt sich nicht zurückdrehen. Aber die Zukunft liegt immer noch in Ihrer Hand. Es gibt immer einen Weg, seine Fehler wiedergutzumachen, ganz gleich, wie schwerwiegend sie auch sein mögen.«
»Wie soll ich mir je vergeben?« Ihre Stimme war ein zerbrech-liches Flüstern.
Anakin blickte zu ihr hinab. »Bant'ena, jeder kann vergeben - auch Sie!«
»Wirklich?«, wisperte sie. Ihre Augen schwammen mittlerweile in Tränen. »Ich wüsste nicht wie.«
Sanft küsste Skywalker sie auf die Stirn. »Keine Sorge. Wir finden einen Weg.«
Obi-Wan konnte nicht länger hinsehen. Bant'ena Fhernan , hatte viel Liebe in sich. Aber nicht halb so viel wie Anakin ...
Manchmal fühle ich mich in seiner Gegenwart schrecklich klein. Er kann es einfach nicht ertragen, wenn jemand leidet, ganz gleich, wer es auch ist. Immerzu will er helfen.
»Doktor Fhernan«, sagte er schließlich. Sie durften nicht noch mehr Zeit verschwenden. »Können Sie uns eine Kopie Ihrer Formel und aller Daten geben, die Sie während Ihrer Forschung gesammelt haben?«
Sie trat von Anakin zurück und nickte. »Ja, natürlich. Aber...«
»Würde es verdächtig erscheinen, wenn Sie sich um diese Zeit noch in Ihrem Labor aufhalten?«
»Nein. Die Droiden, die hier patrouillieren, sind es gewohnt, dass ich noch spät arbeite.«
»Ausgezeichnet! Könnten Sie uns diese Kopien dann jetzt gleich besorgen?«
Sie nickte. »Aber dann ...« Ihr Blick huschte zu Anakin hinüber. »Dann solltet ihr gehen. Je länger ihr hier seid, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass man euch entdeckt.«
Das stimmte allerdings.
»Es sind ziemlich viele Daten«, fügte Fhernan nach einem Augenblick hinzu. »Es wird also ein paar Minuten dauern. Ihr solltet in der Zwischenzeit noch etwas essen, euch stärken. Ich bin so schnell wie möglich wieder zurück.«
Als sich die Tür hinter ihr geschlossen hatte, wandte Anakin sich Kenobi zu. »Obi-Wan, es ist mir gleich, was Ihr sagt - ich werde Bant'ena nicht Dookus Schoßhund überlassen. Ihr habt doch auch gesehen, wozu Durd fähig ist.«
»Ich möchte dieses Gespräch nicht noch einmal führen, Anakin«, sagte Obi-Wan. »Lass uns einfach ...«
Skywalker schüttelte den Kopf. »Diese Einstellung kann ich nicht akzeptieren. Ich bin nicht mehr Euer kleiner, schwacher Padawan. Versteht mich nicht falsch, ich werde immer für Euren Rat dankbar sein. Aber das bedeutet nicht, dass ich mich auch daran halten werde.«
»Schwach?«, echote Obi-Wan ungläubig. »Du warst nie schwach, Anakin.«
»Warum glaubt Ihr dann, dass Ihr mich umstimmen könntet?«
»Ich weiß es nicht.« Kenobi wandte sich von ihm ab. »Ich muss wohl geglaubt haben, meine Meinung wäre dir wichtig.«
»Obi-Wan«, seufzte Anakin. Seine Stimmung schwang plötzlich um, und aus offener Konfrontation wurde eine versöhnliche Handbewegung. »Bant'ena hat recht. Wir sollten uns stärken, solange wir noch Gelegenheit dazu haben.« Er ging hinüber zum Konservator und wühlte darin herum. »Habt Ihr Euch schon Gedanken darüber gemacht, wo wir uns verstecken sollen?«
Obi-Wan schluckte seine Frustration hinunter und setzte sich auf das Sofa. »Zunächst einmal müssen wir aus diesem Komplex verschwinden. Ich habe es nach einem Kurzschluss aussehen lassen, als ich die Überwachungssysteme lahmlegte. Aber ich möchte trotzdem nicht mehr hier sein, wenn jemand diese Sicherheitslücke entdeckt.«
Anakin warf ihm ein Hitzepack, eine Flasche Wasser und seinen gebrauchten Löffel zu. »Sollen wir zurück zum Schiff?«
»Ich bin mir nicht sicher, ob wir das überhaupt können«, meinte Obi-Wan und riss das Hitzesiegel auf. »Wir haben unsere Implantate zerstört, weißt du nicht mehr? Und nachdem ich die Sicherheitsvorkehrungen am Raumhafen gesehen habe, bezweifle ich, dass wir dort mit Reden weiterkommen. Wir sollten uns also erst dann Zutritt verschaffen, wenn wir auch vorhaben, diesen Planeten hinter uns zu lassen.«
»Ihr habt recht.« Anakin ließ sich auf den Stuhl neben dem Tisch fallen. »Gut. Dann suchen wir also nach einem ruhigen Ort, wo niemand uns zufällig aufspüren kann. Außerdem benötigen wir Zugang zu einer Art Kom-Station - dann könnten wir uns mit den Komlinks einklinken, die Ihr so vorausschauend gestohlen habt, und den Tempel kontaktieren. Oh, und einen Datenleser brauchen wir natürlich auch, um einen Blick auf Bant'enas Formel zu werfen.«
Obi-Wan starrte ihn an. »Ja«, meinte er schmunzelnd, »und warum nicht auch gleich noch ein paar tanzende Tauntauns, damit uns nicht langweilig wird?«
Anakin blickte ihn fragend an. »Was ist ein Tauntaun?«
Obi-Wan winkte ab. »Vergiss es!«, murmelte er, dann kratzte er mit dem Löffel die letzten Reste aus der Schale und schob sie sich in den Mund. »Ich schätze, am besten wäre es wohl, wir...«
»Wie wäre es mit den verlassenen Geschäften in der Nähe des Raumhafens?«, fragte Anakin unvermittelt. Er spülte den letzten Bissen mit einem Schluck Wasser hinunter und fuhr dann fort: »Dort sollten wir alles finden, was wir brauchen. Wenn wir vorsichtig sind, können wir uns dort mehrere Tage verstecken, ohne dass die Seps auch nur etwas ahnen.«
Sein Zorn war mittlerweile vergessen, und das Lächeln, das er Kenobi schenkte, steckte voller Wärme und Zuversicht, nun, da sie einen Plan hatten, sich nicht länger im Kreis drehten. Obi-Wan schluckte und seufzte. Der junge Skywalker war schnell erzürnt, aber noch schneller begeistert. Viele, viele Jahre hatte er versucht, Anakin zu vermitteln, wie wichtig es war, die emotionale Balance zu halten, in keine Richtung zu stark auszuschlagen. Vergebens, wie sich nun wieder einmal zeigte.
Er ist wie ein Pendel - er weiß, wo seine Mitte liegt, aber kaum, dass er sie gefunden hat, lässt er sich schon wieder mitreißen. Ich kann wohl nur hoffen, dass dieses Pendel irgendwann aufhört zu schwingen und es dann auf ewig im Licht der Hellen Seite zur Ruhe kommt.
»He, Obi-Wan...«
»Was?«
Anakin blickte ihn aus schmalen Augen an, und an seiner gefurchten Stirn konnte Kenobi erkennen, wie die Gedanken seines ehemaligen Schülers aneinander entlangschabten. »Gibt es vielleicht eine Möglichkeit, diese ganze Sache heute Nacht zu beenden? Was, wenn wir uns Durd schnappen, seine Biowaffe, die Daten, die Formel, Bant'ena - einfach alles -, und dann nach Coruscant zurückkehren, ehe hier überhaupt die erste Sirene losheult?«
Was für ein glorreicher Plan. Einen kurzen, verlockenden Augenblick lang dachte Obi-Wan über diese Möglichkeit nach. Aber dann obsiegte sein gesunder Menschenverstand.
»Nein«, meinte er.
»Ich dachte mir schon, dass Ihr das sagen würdet«, seufzte Skywalker.
Mittlerweile hatten sie beide ihre Schalen geleert, und nachdem sie noch eine zweite Flasche Wasser getrunken und dem Sanibereich einen Besuch abgestattet hatten, warteten sie schweigend auf Bant'enas Rückkehr.
Es dauerte noch einige Minuten, ehe die Wissenschaftlerin den Raum wieder betrat. In einer Hand hielt sie vier Datenkristalle, die sie Obi-Wan sogleich erwartungsvoll entgegenstreckte. »Hier, Meister Kenobi«, sagte sie. »Das ist alles.«
»Danke.« Mit einem höflichen Lächeln nahm er sie entgegen und steckte sie in die Innentasche seines Hemdes, zu seinem Lichtschwert und dem Komlink. »Aber es gibt noch etwas, worum ich Sie bitten möchte.« Er deutete auf die Holo-Einheit. »Könnten Sie eine Kopie von dieser Aufzeichnung anfertigen und dazu eine Liste mit den Namen und Wohnorten Ihrer Familienmitglieder und Freunde?«
Mit offenem Mund starrte Bant'ena ihn an, und auch in Anakin spürte Obi-Wan Verblüffung - und große Freude.
Versprich dir besser nicht zu viel davon, mein junger Freund! Es gibt keine Garantie, dass wir sie rechtzeitig finden.
»Ja«, nickte Dr. Fhernan schließlich. »Ja, das könnte ich tun.«
»Dann beeilen Sie sich bitte! Meister Skywalker und ich müssen aufbrechen.« Während sie mit fahrigen Bewegungen den kleinen Holoprojektor aufhob, fügte Obi-Wan noch hinzu: »Aber eine Sache wäre da noch. Wir wissen, dass zwei genetisch kodierte Gegenmittel für eine Damotit-Vergiftung bei den Kaminoanern in Auftrag gegeben wurden - allerdings sind diese auf die Anwender zugeschnitten. Haben Sie vielleicht auch ein Gegenmittel oder einen Impfstoff entwickelt, der bei jedem Benutzer wirksam ist?«
Bant'ena zog den Datenkristall aus der Holo-Einheit und drehte sich mit gesenktem Blick zu ihm herum. »Nein, leider nicht. Ich wollte es versuchen, aber Durd hat es mir verboten.«
Natürlich. Diese neimoidianische Schlange! »Aber es ist möglich, ein solches Gegenmittel herzustellen?«
Sie nickte. »Ja. Ich kenne vier Wissenschaftler, die in der Lage wären, anhand der Daten und der Formel, die ich euch gerade gegeben habe, ein wirksames Gegenmittel zu entwickeln. Ihre Namen habe ich ebenfalls auf den Kristallen gespeichert.«
Wie überaus vorausschauend! »Danke.«
»Meister Kenobi...«
Überrascht blickte er sie an, als sie ihre Hand um seinen Arm schloss. »Doktor?«
Ihr Gesicht war bleich, ihre Augen gefüllt mit leiser Verzweiflung und Tränen. »Ich ... ich habe oft darüber nachgedacht. Wenn ich wüsste, dass meine Familie und meine Freunde in Sicherheit wären... dass Durd ihnen nichts antun kann... dann würde ich nicht zögern, mich selbst zu töten. Ich würde all meine Aufzeichnungen vernichten, alles, was noch im Labor steht, und dann würde ich ... mich töten. Mich und Durd, wenn ich eine Möglichkeit fände, ihn mit in den Untergang zu reißen.«
»Daran dürfen Sie nicht einmal denken!«, stieß Anakin hervor. »Wir finden einen Weg. Niemand muss sterben. Ihre Familie nicht - und Sie auch nicht, Bant'ena. Die einzige Person, die diesen Planeten in einem Leichensack verlassen wird, ist Durd.«
Sie brachte ein Lächeln zustande. »Das ist Euer Plan, ich weiß, und es ist ein guter Plan, versteht mich nicht falsch. Aber manchmal entwickeln sich die Dinge nicht so, wie wir es gerne hätten.« Sie zögerte. »Anakin«, sagte sie und drückte ihm den fünften Datenkristall in die Hand. »Wenn Ihr meine Familie und meine Freunde in Sicherheit gebracht habt - und wenn Ihr nicht zurückkehren könnt, um mich zu holen oder Durd aufzuhalten - dann werde ich tun, was getan werden muss. In Ordnung?«
»Nein, das ist nicht in Ordnung«, sagte Skywalker. »Bant'ena...«
»Wieso nicht? Ihr dürft also Euer Leben für die Republik opfern, aber ich nicht? Das ist sehr rückständiges Denken, Anakin.«
»So meinte ich das nicht.«
Sie legte ihm sanft die Hand auf die Brust. »Ich weiß, wie Ihr es meintet. Es ist nicht so, dass ich sterben will. Aber falls es wirklich so weit kommt, dann werde ich nicht zögern. Das müsst Ihr akzeptieren, Anakin.«
»Es wird nicht so weit kommen.« Die Finger von Anakins behandschuhter Rechter schlossen sich fest um den Datenkristall. »Wir werden Sie hier herausholen, und wir werden Ihre Familie retten, Bant'ena. Darauf gebe ich Ihnen mein Wort als Jedi.« Er blickte ihr direkt in die Augen. »Glauben Sie mir? Vertrauen Sie mir?«
Furcht und Verzweiflung wichen einen Moment lang aus Fhernans Gesicht. »Ihr seid ein außergewöhnlicher junger Mann, Anakin Skywalker.«
Am liebsten hätte Obi-Wan eingeworfen: Ja, ein außergewöhnlicher junger Mann, der eigentlich gelernt haben sollte, dass man keine Versprechen geben soll, die man vielleicht nicht halten kann. Aber er hielt den Mund geschlossen und zog stattdessen sein gestohlenes Komlink aus dem Ärmel.
»Doktor Fhernan, können Sie das unentdeckt bei sich tragen? Könnten Sie uns antworten, wenn wir uns mit Ihnen in Verbindung setzen?«
Bant'ena starrte das Gerät an, als könnte es sie jeden Augenblick beißen. »Ja. Sie durchsuchen mich nur, wenn ich den Komplex verlasse, und das wird in absehbarer Zeit nicht mehr geschehen. Ich werde das Komlink lautlos stellen, und wenn ich sehe, dass ihr mich angefunkt habt, werde ich bei nächster Gelegenheit antworten. Ist das in Ordnung?«
»Aber natürlich«, sagte er mit einem aufmunternden Lächeln. »Ich kann Ihnen leider noch nicht sagen, wann oder wie oft wir versuchen werden, uns mit Ihnen in Verbindung zu setzen. Also verlieren Sie nicht die Geduld, bleiben Sie ruhig und behalten Sie es stets bei sich!«
Sie nickte. »In Ordnung. Wollt Ihr Euch die Frequenz aufschreiben?«
»Nein, die kann ich mir merken, aber ich brauche die Liste Ihrer Freunde und Familienmitglieder.«
»Oh, natürlich.« Sie zog ein Stück Flimsiplast und einen Elektrostift heran und schrieb Namen, Orte und Zahlen auf. »Hier!«, sagte sie schließlich und gab ihm das Blatt. »Die Namen und dazu jede Adresse und Kom-Verbindung, die ich im Kopf habe.«
Er faltete das Flimsiplast sorgfältig zusammen und steckte es ebenfalls in die Innentasche seines Hemdes. »Doktor Fhernan ...«
»Nennt mich bitte Bant'ena!«
»Bant'ena.« Er berührte sie flüchtig am Arm. »Es gibt keine Garantien. Ich kann Ihnen keine Versprechungen machen, das müssen Sie verstehen. Ich kann und werde das Wohl Ihrer Freunde und Familie nicht über das von Millionen unschuldiger Leben in der Galaxis stellen - aber ich werde alles in meiner Macht Stehende tun, um sie zu beschützen und um Sie zu befreien, Dok... Bant'ena.«
Sie nickte. »Ich weiß. Ich weiß, dass es keine Garantien gibt. Und jetzt geht! Nehmt ein paar Flaschen Wasser mit und ein paar Rationen. Ob nun Jedi oder nicht, ihr müsst essen und trinken.«
»Machen Sie sich um uns keine Sorgen«, meinte Anakin. »Wir finden schon, was wir brauchen. Sie haben wir schließlich auch gefunden, oder etwa nicht?«
Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht. »Ja, das habt ihr. Bitte seid vorsichtig! Nach Einbruch der Dunkelheit herrscht striktes Ausgangsverbot, und...«
»Das wissen wir«, erklärte Skywalker. »Keine Sorge, wir schlagen uns schon durch.«
»Und vergessen Sie nicht, es könnte eine Weile dauern, ehe wir uns bei Ihnen melden«, fügte Obi-Wan hinzu. »Aber machen Sie sich keine Sorgen. Ob nun früher oder später: Sie werden von uns hören.«
Anakin versuchte seinem Mitgefühl Ausdruck zu verleihen und umarmte Bant'ena. »Seien Sie stark! Sie sind nicht allein.«
Um auf Nummer sicher zu gehen, verließen die beiden Jedi das Zimmer - Fhernans Gefängnis - durch die Lüftungsschächte. Kaum, dass sie ein paar Meter in den engen, stickigen Schächten zurückgelegt hatten, schmerzte Obi-Wans Rücken bereits wieder. Aber wenigstens lenkte ihn das von dem Bild ab, das er einfach nicht aus seinem Kopf vertreiben konnte: der Ausdruck auf Bant'enas Gesicht, kurz bevor sie das Lüftungsgitter wieder angebracht hatten und davongekrochen waren.
Er schürzte die Lippen. Für so etwas war jetzt keine Zeit. Er verschloss sein Herz und konzentrierte sich ganz auf die Aufgabe, das Gebäude lebendig zu verlassen.
Wäre es nicht ihr sicheres Todesurteil gewesen, hätte Anakin vermutlich laut gejubelt, als sie die Luftschächte endlich hinter sich ließen.
Zusammen mit Obi-Wan kauerte er sich in den Büschen außerhalb des Hauptgebäudes zusammen. Der gesamte Komplex war in tiefe Stille gehüllt - geradezu friedlich wirkte er. Am sternengesprenkelten Himmel zogen tiefe Wolkenfetzen vorüber, und der Boden unter ihren Füßen war kühl und feucht. Es hatte wieder zu regnen begonnen, ein leichtes, aber beständiges Nieseln, das die nächtliche Kälte noch verstärkte. Anakin unterdrückte ein Zittern. Er hasste dieses nasskalte Klima. Lieber würde er eine Woche durch die Gluthitze der Wüste marschieren als einen Tag im kalten Regen stehen. Er musste lächeln. Als Kind hatte er sich nichts sehnlicher gewünscht, als die trockene Hitze von Tatooine gegen ein fremdes Klima einzutauschen, und nun sehnte er sich insgeheim doch in die Wüste zurück.
Es war zu dunkel, um weit sehen zu können, aber er warf dennoch einen Blick in Richtung des Tores, ehe er sich Kenobi zuwandte. Irgendetwas schien mit Obi-Wan nicht zu stimmen. Er wirkte nachdenklich, unzufrieden. Aber warum? Etwa, weil sie gestritten hatten? Wohl kaum. Daran sollte er sich mittlerweile gewöhnt haben. Seit dem Tag, an dem sie einander zum ersten Mal begegnet waren, kam es regelmäßig zu Reibereien zwischen ihnen. Was könnte ihn dann bedrücken?
Vielleicht ist es die Tatsache, dass ich auf meinem Standpunkt beharrt und keinen Rückzieher gemacht habe. Aber daran solltet Ihr Euch auch gewöhnen, Obi-Wan. Ich werde es Euch so lange demonstrieren, bis Ihr es endlich begreift - ich bin nicht mehr Euer Padawan!
»Und wie verlassen wir diesen Komplex nun wieder?«, fragte er im Flüsterton. »Sollen wir abwarten und uns auf den nächsten Transporter schmuggeln, der das Gelände verlässt?«
»Nein, das ist mir ein wenig zu vage. Wir wissen nicht, ob heute Nacht noch eine weitere Ladung erwartet wird, und wir können nicht riskieren, bis zum Morgen zu warten. Wir müssen vor Sonnenaufgang wieder bei diesen verlassenen Geschäften sein. Wie ausgeruht fühlst du dich?«
»Ich kann mich nicht beklagen. Wieso? Habt Ihr vor, über die Mauer zu springen?«
»Ich sehe keine andere Möglichkeit. Oder fällt dir vielleicht etwas Besseres ein?«
Leider nicht. Wenn es nur darum ginge, die Mauer zu überwinden, würde er keinen Moment zögern. Mithilfe der Macht konnte ein Jedi über ein ganzes Haus springen, wenn es sein musste. Aber hier hatten sie es auch mit einem Lasernetz auf der Innenseite des Komplexes und mit einem zweiten auf der Außenseite zu tun.
»Du solltest dir keine Sorgen machen«, flüsterte Obi-Wan. »Es sei denn du hast geschummelt, als du den Tempel-Rekord im Weit- und Hochsprung aufgestellt hast.«
Anakin schmunzelte. Das war vor über einem Jahr gewesen, und er hatte Mace Windus Rekord um glatte fünfzehn Meter übertrumpft. Er bezweifelte, dass jemals ein anderer Jedi an diese neue Bestmarke herankommen würde. Aber es war auch nicht er selbst, um den er sich Sorgen machte.
Wie soll ich es ihm sagen? Ich möchte nicht übermütig klingen - und erst recht nicht respektlos.
Aber ehe er den Mund öffnen konnte, schob Obi-Wan sich in der Düsternis näher an ihn heran und drückte ihm etwas in die Hand. »Nimm du sie! Falls ich es nicht schaffen sollte - falls irgendetwas geschieht -, dann weißt du, was du zu tun hast.«
Was? »Nein«, sagte Anakin und legte die Datenkristalle und das zusammengefaltete Stück Flimsiplast zurück in Kenobis Handfläche. »Vergesst es, Obi-Wan! Nichts wird ...«
Kenobi stieß laut den Atem aus. »Aber es könnte. Also, Anakin, bitte!«
Er hatte recht. Wie so oft hatte er recht.
Obi-Wan, ich hoffe, das erweist sich als überflüssig.
Er steckte die Kristalle und das Flimsiblatt in die geheime Innentasche seiner Jacke, wo bereits der andere Kristall, sein Lichtschwert und ihr verbliebenes Komlink ruhten.
Dann drehte er alarmiert den Kopf. Jemand - oder etwas - kam auf sie zu. Kampfdroiden.
Die beiden Jedi duckten sich tiefer zwischen die Büsche, rollten sich zusammen, die Arme um die Schienbeine geschlungen, die Gesichter zwischen den Knien vergraben, den Atem angehalten. Im Gegensatz zu der mobilen Überwachungskamera, der sie außerhalb des Komplexes begegnet waren, verfügten die Kampfdroiden zwar nicht über Hitzesensoren, aber Vorsicht war besser als Nachsicht.
Und wer weiß? Vielleicht wurden die Klappergestelle ja auch generalüberholt, so wie die Geier-Jäger bei Kothlis.
Er spürte, wie Obi-Wans Präsenz neben ihm immer schwächer wurde. Kenobi sank in die Macht hinab - aber nur bis knapp unter die Oberfläche. Er wollte sofort handeln können, sollte das nötig werden.
Ich hasse verdeckte Operationen. Ich hasse unauffälliges Vorgehen. Ich hasse es.
Kampfdroiden waren langsam und dumm. Anakin war sicher, dass diese Patrouille sie nicht entdecken würde. Aber sie kam näher, immer näher und ...
»Bereich gesichert«, ertönte eine elektronische Stimme. »Alles sauber. Roger, Roger!«
Dann marschierten die Droiden mit klackernden Schritten davon.
Langsam, vorsichtig, lösten die Jedi sich aus ihrer Starre und ließen den Atem entweichen.
»Also schön«, flüsterte Obi-Wan. »Machen wir endlich, dass wir...«
Anakin hob die Hand. »Wartet! Ich ...« Er wandte verlegen den Blick ab. Wie sollte er es ausdrücken? »Versteht das bitte nicht falsch! Ich will nicht arrogant oder herablassend klingen, aber... es geht hier um die Mission. Und die Mission hat immer Vorrang, richtig? Also...«
»Anakin«, Kenobis Flüstern klang amüsiert. »Es ist schon in Ordnung. Ich wollte es schon selbst vorschlagen, als plötzlich die Droiden auftauchten.«
»Tatsächlich?«
»Setze auf deine Stärken und minimiere deine Schwächen! So gewinnt man eine Schlacht, und so werden wir diesen Krieg gewinnen.«
Anakin musste schmunzeln. Ich hätte wissen sollen, dass er es nicht persönlich nehmen würde. »Gut. Also... sobald ich über die Mauer bin und kein Alarm losgeht, zählt bis fünf und rennt dann los. Ich werde versuchen, Euch durch einen Machtschub höher und weiter zu tragen. Wenn ich mich nicht irre, war Euer Sprung nur einen Meter hinter Meister Windus Marke.«
Obi-Wan lachte auf. »Ja, aber ich hatte noch eine Woche nach dem Sprung Nasenbluten. Anakin, du solltest dich nie für deine außergewöhnlichen Fähigkeiten schämen oder zögern, sie einzusetzen, nur weil du denkst, jemand könnte sich dadurch gekränkt fühlen. Und jetzt geh! Wir haben schließlich nicht die ganze Nacht Zeit.«
Anakin holte tief Luft und konzentrierte sich ganz auf den Strom der Macht. Er öffnete seinen Verstand und ließ ihr grenzenloses Potenzial durch sich hindurchfließen, durch jede Faser seines Seins. Dann blickte er hinüber zur Mauer, die den Komplex umgab. Er konnte ihre Höhe spüren, ihre Breite und das Summen der beiden tödlichen Lasernetze davor und dahinter. Er stand auf, machte ein paar Schritte, ohne seine Muskeln bewusst zu bewegen, ohne zu denken. Er war eins mit der Macht, untrennbar mit ihr verbunden.
Und dann sprang er. Die unsichtbaren Strahlen und der stählerne Wall sausten unter ihm hinweg. Ebenso gut hätte es ein Bach oder einer der steinernen Pfade im Arboretum des Tempels sein können. In der Macht war alles gleich.
Er landete auf federnden Knien, spannte den Körper an, abwartend, bereit loszurennen. Aber die Nacht blieb dunkel und still. Er drehte sich auf der zerfurchten Straße herum, und selbst durch den meterdicken Stahl der Mauer konnte er Obi-Wans leise Bewunderung fühlen. Regen klebte ihm die Haare an die Stirn, kühlte seine Wangen, während er in Gedanken bis fünf zählte. Ein Flackern in der Macht zeigte ihm an, dass Obi-Wan auf die Mauer zurannte, eine golden leuchtende Gestalt in einer Welt roter Schemen.
Als Kenobi sich vom Boden abstieß, griff Anakin mit seinen Sinnen hinaus. Er störte seinen Sprung nicht, gab ihm nur durch einen sanften Stoß etwas mehr Höhe und Weite - gerade genug, um ihn sicher über die Hürden der Separatisten hinweggleiten zu lassen. Er wusste nicht, ob es wirklich nötig gewesen war, ob Obi-Wan es nicht vielleicht auch ohne seine Hilfe geschafft hätte, aber das Risiko war es nicht wert gewesen. Kenobi hatte recht: Sicherheit kam vor dem Ego, und was hätte er schon von seinen außergewöhnlichen Fähigkeiten, wenn er sie nicht zum Wohl seiner Freunde einsetzen würde?
»Danke«, sagte Obi-Wan, nachdem er leichtfüßig gelandet war und die schmutzige Kleidung zurechtgerückt hatte.
Anakin lächelte. »Gern geschehen. Wie geht es jetzt weiter?«
»Jetzt?« Obi-Wans Zähne schimmerten in der Dunkelheit, als er breit grinste. Zahlreiche Prüfungen und Hindernisse mochten auf dieser Mission noch vor ihnen liegen, aber im Augenblick genoss er einfach nur das Gefühl, den Feind überlistet zu haben. »Jetzt sollten wir eiligst von hier verschwinden.«
»Von hier verschwinden klingt gut«, meinte Anakin.
Also rannten sie los.
Die Macht verwischte ihre Spuren und beschleunigte ihre Schritte, und so erreichten sie die verwaisten Läden in der Nähe des hell erleuchteten Raumhafens, ohne dass sie unterwegs aufgehalten oder entdeckt worden wären. Aber der Preis, den sie dafür zahlen mussten, war hoch: Körperlich standen sie am Rande völliger Erschöpfung, und auch ihre geistigen Kräfte waren beinahe gänzlich aufgebraucht.
Schwer atmend ließen sie sich gegen einen verbarrikadierten Hintereingang sinken. Anakin wischte sich mit einem Ärmel den Schweiß vom Gesicht. »So außergewöhnlich bin ich wohl doch nicht«, stieß er zwischen zwei hechelnden Atemzügen hervor. »Meine Beine fühlen sich an, als würden sie aus Roa-Reisbrei bestehen.«
Obi-Wan keuchte mindestens ebenso heftig. Er hatte sich nach vorne gebeugt, die Hände auf die Knie gestützt, und sog gierig die kühle Nachtluft ein. Im Augenblick drohte ihnen keine Gefahr. Weit und breit keine Droiden-Patrouillen oder fliegenden Überwachungskameras.
»Das ist doch in Ordnung. Hat dir Roa-Reisbrei nicht immer geschmeckt?«
Anakin lachte. »Diese Tage sind schon lange vorbei, Obi-Wan.«
Ein Windstoß fegte die Straße entlang und heulte durch die leeren Hauseingänge an der Front der Läden. Die Wolken hatten sich zu einer lückenlosen, dunklen Decke zusammengezogen, und die Blitze, die hin und wieder über ihre bauchige Unterseite zuckten, warfen einen schwachen, bräunlichen Schein. Die Luft war feucht und geschwängert mit dem Versprechen baldigen Regens.
Ächzend streckte Obi-Wan sich. »Komm!«, sagte er und schlug Anakin auf den Arm. »Wir sollten einen Weg hinein finden, ehe wir wieder durchnässt werden. Eine Lungenentzündung kann genauso tödlich sein wie ein Blasterstrahl. Du fängst auf dieser Seite an, ich auf der anderen, und dann arbeiten wir uns zur Mitte vor. Vergiss nicht, wir suchen nach einem Kom-Anschluss!«
»Ja, Meister.« Anakin verbeugte sich. »Was immer Ihr wünscht, Meister.«
Eines Tages würde sein Sarkasmus ihn noch in große Schwierig-keiten bringen.
Nach dem langen Sprint war Obi-Wan immer noch ein wenig schwindelig, und seine Beine schmerzten höllisch. Steif ging er an den vernagelten Geschäften entlang, bis er das letzte erreicht hatte. Die Dunkelheit war nun noch viel dichter als zuvor, und Wind und Wetter hatten ihr Übriges getan, um die
Schilder über den Eingängen völlig unlesbar zu machen. Also setzte er die Macht ein, um ihr Inneres zu erfassen. Aber schon bald protestierten sein Körper und sein Geist. Zu viel hatte er ihnen in dieser Nacht schon abverlangt. Er biss die Zähne zusammen, ignorierte den Schmerz und die Erschöpfung - das Brennen hinter den Augen, das Knirschen in den Knochen - und lauschte auf die Echos einer geschäftigeren Zeit.
Ein weinendes Kind, eine resignierende Mutter, ein unzufriedener Kunde ... Aber womit war er unzufrieden? Was hatte er hier gekauft? Was war es, das er zurückbrachte und auf die Theke legte, ehe er lautstark seine Credits zurückverlangte?
Zeig es mir! Komm schon, zeig es mir!
Tappa-Kraut. Der Kunde behauptete, es wäre verdorben, er bekäme Alpträume davon. Ein Laden für Rauchwaren also. Enttäuscht ging Obi-Wan weiter. Hier gab es nichts, was ihnen von Nutzen sein konnte.
Vor dem nächsten Eingang blieb er wieder stehen.
Er versuchte, sich zu konzentrieren, in die Vergangenheit dieses Ladens einzutauchen. Gleichzeitig war er sich aber auch der Gegenwart bewusst, alle Sinne geschärft, soweit das in seinem Zustand noch möglich war. Im Raumhafen auf der anderen Straßenseite herrschte immer noch reger Betrieb. Er konnte zwar weder Kampfdroiden noch MagnaWächter erfassen, dafür aber die Gegenwart kleinlicher, streitsüchtiger Menschen - die Besatzungstruppen der Separatisten. Die gesamte Ebene war ob der Ausgangssperre in völlige Stille gehüllt, und daher wirkte der Lärm, der vom Raumhafen ausging, noch ungleich lauter und aufdringlicher. Plötzlich wurden die Triebwerke eines leichten Transporters gestartet, und das tiefe Brummen hallte, vielfach verstärkt, von den Mauern wider. Dann erstarb das Grollen der Maschine wieder. Jemand rief etwas. Eine andere Stimme antwortete schrill. Es gab einen kurzen, lautstarken Wortwechsel, beendet durch das Zischen von Blasterschüssen. Obi-Wan wollte gar nicht wissen, was dort drinnen vor sich ging.
Konzentriere dich, Meister Kenobi! Du bist auch nicht besser als ein Padawan - ständig lässt du dich ablenken.
Er wandte sich wieder dem Laden zu, legte die Stirn gegen die verbarrikadierte Eingangstür - und machte erschrocken einen Schritt nach hinten. Bilder voller Schrecken und Schmerz explodierten hinter seinen geschlossenen Augen. Sein Herz stockte, das Blut gefror ihm in den Adern. Schreie dröhnten in seinen Ohren.
Rennt! Lauft weg! Dieser Ort ist es nicht wert, dafür zu sterben. Bringt euch in Sicherheit! Diese Droiden kennen keine Gnade.
Aber die Lanteebaner konnten ihn nicht mehr hören. Sie waren hier vor zwölf Tagen gestorben, weil sie sich geweigert hatten, ihr Farbengeschäft aufzugeben. Obi-Wan wand sich in ihren Todesqualen, versuchte sich aus der Umarmung ihrer blutenden, erschlaffenden Glieder zu befreien.
Eine Hand berührte ihn an der Schulter. Erschrocken wirbelte er herum.
»Obi-Wan? Was ist los?«
»Nichts. Es ist nichts, Anakin.« Er machte einen großen Schritt fort von dem Farbengeschäft. Schweiß rann an seinen Schläfen hinab. »Hast du etwas gefunden?«
Skywalker grinste. »Einen Elektronikladen. Ihr könnt mich später loben. Jetzt kommt! Ich habe die Hintertür aufgebrochen. Das Alarmsystem ist zerstört, aber es gibt noch Energie.«
»Gut gemacht«, sagte Obi-Wan. Seine Stimme zitterte, sein Herz schlug wie wild in der Brust. »Gehen wir hinein, ehe noch eine Droiden-Patrouille hier vorbeikommt!«
Im Elektronikladen erwarteten sie weder verrottende Leichen noch die gequälten Erinnerungen der Toten, nur ein Durcheinander klappriger Regale, gefüllt mit Schaltkreisen, Kristallen, Verstärkern und Kom-Komponenten. Auch ein paar Holoprojektoren und andere, völlig veraltete Geräte standen in dem kleinen, überfüllten Raum. Der Teppich war fleckig und abgetreten. Anakin zückte sein Lichtschwert und aktivierte es, um die völlige Schwärze mit dem blauen Glühen der Klinge zurückzutreiben.
»Wenn einer von uns unter der Theke arbeitet und der andere unter diesem Schreibtisch dort, dann können wir es, glaube ich, riskieren, zwei kleine Lampen anzuschalten«, meinte der junge Jedi. »Die Fenster an der Vorderseite sind gründlich verbarrikadiert. Die Helligkeit wird nicht nach draußen dringen.«
»Ja«, sagte Obi-Wan langsam. »Ja, ich schätze, dieses Risiko können wir eingehen.«
Anakin blickte ihn skeptisch an. »Was habt Ihr? Entspricht dieser Laden nicht Euren Ansprüchen?«
»Nun, du musst zugeben, die meisten der Geräte hier drinnen sind älter als du«, meinte Kenobi.
»Was heißt hier die meisten? Alle!« Anakin zuckte mit den Schultern. »Aber zum Glück verfüge ich über außergewöhnliche Fähigkeiten, schon vergessen?«
Obwohl er völlig ermattet war, rang Obi-Wan sich ein Lächeln ab. »Ich bedaure jetzt schon, dass ich das gesagt habe.«
»In ein paar Wochen werdet Ihr es noch viel mehr bereuen«, meinte Anakin und grinste. »Kommt schon, fangen wir an! Je eher wir den Tempel kontaktieren und einen Angriff organisieren, desto eher wird Bant'ena frei sein. Hier!« Er streckte Kenobi sein Lichtschwert entgegen. »Haltet das bitte einen Moment!«
Mit besorgter Miene verfolgte Obi-Wan, wie der junge Skywalker eine Schreibtischlampe aufhob und den Staub abwischte. »Anakin...«
»Was?«, fragte er, ließ sich auf ein Knie hinabsinken und stellte die Lampe unter der Theke auf den Boden. Er blickte über die Schulter - und als er den Ausdruck in Obi-Wans Augen sah, verhärtete sich sein Gesicht. Er schaltete die Lampe ein, dann erhob er sich wieder, die Fäuste trotzig in die Hüften gestemmt. »Was ist?«
Obi-Wan ignorierte den Unterton in Anakins Stimme. Er deaktivierte das Lichtschwert und warf es seinem Besitzer zu. »Tu das nicht!«, sagte er dann, während Anakin die Waffe zurück in seine Jacke steckte. »Versuche nicht...« Er hielt einen Augenblick inne, um seine Gedanken und Worte zu sammeln. Es spricht nichts dagegen, Dinge in Ordnung bringen zu wollen. Aber wenn man bis zum Hals in feindlichen Truppen steckt, muss man Prioritäten setzen. »Qui-Gon war genauso wie du. Er konnte an keiner armen Seele in der Galaxis vorübergehen, ohne ihr zu helfen.«
»Meint Ihr arme Seelen wie mich?«, fragte Anakin angespannt. »Hoffnungslose Fälle wie mich?«
»So meinte ich das nicht. Anakin, du musst mir zuhören!«, versuchte Obi-Wan es noch einmal. »Bei fast jeder Mission, auf der ich ihn begleitete, begegneten wir Personen, die in Schwierigkeiten steckten. Manchmal hatten sie das selbst verschuldet, manchmal waren sie das Opfer von Gewalt, Verrat und Manipulation, so wie Doktor Fhernan. Wo immer wir waren, stets gab es eine solche Person, und stets versuchte Qui-Gon, ihr zu helfen - sie zu retten.«
»Und?«, fragte Anakin barsch. »Was ist so falsch daran? Er hat auch mir geholfen. Er hat mich gerettet, und ich versuche, diese Schuld zu begleichen, indem ich seinem Beispiel folge. Jeder Person, der ich helfen kann, werde ich helfen. Das ist mein Dank an Qui-Gon. Warum habt Ihr so ein großes Problem damit.«
»Ich habe kein Problem damit«, entgegnete Obi-Wan. Als er Anakins eisigen Blick auffing, schnitt er eine Grimasse. »Na schön, vielleicht habe ich ein Problem damit. Aber bestimmt nicht, weil ich es nicht akzeptiere. Im Gegenteil, Anakin, ich finde, es ist eine bewundernswerte Einstellung. Das denke ich wirklich. Es ist bewundernswert, es ist edelmütig, es zeigt, dass du ein gutes Herz hast. Aber ...« An dieser Stelle machte er eine Pause, um nach den richtigen Worten zu suchen. Gedankenverloren strich seine Hand durch seinen Bart. »Du darfst nicht vergessen, dass wir Jedi sind und keine Sozialarbeiter. Es ist nicht unsere Aufgabe, uns der Armen und Gestrandeten anzunehmen.«
Anakins Kinn schob sich trotzig nach vorne. »Das sollte es aber. Die Macht, die wir haben, ist ein Privileg, und es wäre falsch, sie nicht einzusetzen, um den Schwachen und Armen zu helfen.«
»Aber das tun wir doch, Anakin, und das weißt du auch!« Obi-Wan verschränkte die Arme vor der Brust. »In diesem Augenblick riskieren zahllose Jedi ihr Leben, um den Schwachen und Armen zu helfen. Viele von uns sind bereits gestorben, und zahlreiche weitere werden noch ihr Leben verlieren, ehe dieser Krieg vorüber ist - und zwar aus dem einzigen Grund, den Bewohnern dieser Galaxis zu helfen. Ich kann nicht glauben, dass ich dich daran erinnern muss!«
»Ihr müsst mich nicht daran erinnern«, grollte Skywalker. »Ich will ja auch nicht sagen, dass wir all unsere Zeit und Energie darauf verwenden sollen, Personen zu helfen, die in einer solchen Notlage stecken. Ich will auch nicht sagen, dass wir in der Galaxis umherreisen und nach armen Seelen suchen sollen. Was ich sagen will, ist, dass wir - wenn wir auf unseren Reisen einer solchen Person begegnen - sie nicht einfach am Wegesrand liegen lassen dürfen. Wenn wir sehen, dass jemandem ein Unrecht geschieht, dann sollten wir auch eingreifen.«
»Oh, Anakin!« Obi-Wan seufzte und setzte sich im Schneidersitz neben die Lampe auf den staubigen Teppich. »Ich weiß, es ist hart. Ich weiß, es erscheint grausam. Aber ...«
»Es erscheint nicht nur so - es ist grausam, Obi-Wan«, schnappte Anakin. »Grausam und kaltherzig und eines Jedi unwürdig.«
Wie sehr er doch Qui-Gon ähnelte. Kenobi fühlte sich, als würde er mit einem Geist streiten. Versuche es gar nicht erst, Obi-Wan! Ich werde tun, was ich tun muss. »Wenn man sich in diesen flüchtigen Begegnungen verstrickt, sich in einem Netz fremden Lebens verfängt - das nimmt meist kein gutes Ende, Anakin. Denn ganz gleich, wie viele von ihnen du retten kannst, es werden nie alle sein. Und wenn du Doktor Fhernan oder ihre Familie und Freunde nicht beschützen kannst, dann ...«
»Aber das wisst Ihr doch gar nicht. Vielleicht können wir sie beschützen. Ihr gebt auf, ohne es überhaupt versucht zu haben.«
»Nein, Anakin. Ich gebe nicht auf. Ich sehe nur der Realität ins Auge.« Er zögerte. Was er nun sagen musste, war gefährlich und konnte großen Schaden anrichten. Aber es musste gesagt werden. »Versteh mich nicht falsch... Dein Mitgefühl und deine Aufopferung sind bewundernswert. Du bist ein guter Mensch. Einer der besten, die ich kenne. Aber du bist auch ein Jedi, und wir dürfen uns nicht von unseren Emotionen beherrschen lassen.« Er seufzte, schloss die Augen. »Bant'ena Fhernan ist nicht deine Mutter, Anakin.«
Skywalker sprang hoch. »Lasst meine Mutter aus dem Spiel!«
»Anakin«, zischte Kenobi. »Nicht so laut, um Himmels willen!«
Mit bebenden Lippen und funkelnden Augen rang Anakin um seine Selbstbeherrschung. Dann schüttelte er bemitleidend den Kopf. »Ihr versteht es nicht, Obi-Wan. Ihr werdet es nie verstehen. Ihr wart nie ein Sklave. Ihr habt keine Ahnung davon, was es bedeutet, völlig hilflos zu sein - zu wissen, dass man keine Kontrolle über sein Leben hat und dass jemand anderes es einfach so«, er schnippte mit den Fingern, »beenden kann.«
»Das stimmt«, gab Obi-Wan zu. »Aber...«
»Kein Aber«, erwiderte Anakin matt. »Ihr irrt Euch. Versteht Ihr? Ihr irrt Euch. Also bleibt dort sitzen oder stellt die andere Lampe auf! Oder sucht nach einem funktionierenden Kom-Verstärker und einem Anschluss, damit wir eine Nachricht an den Tempel schicken können - tut irgendetwas, Obi-Wan, ganz gleich was! Aber erzählt mir nicht, dass ich mich irre, denn das tue ich nicht! Ihr seid derjenige, der sich irrt.«
Obi-Wan schaute verblüfft zu seinem ehemaligen Schüler hinauf. Anakin erwiderte den Blick einen Moment lang, dann wandte er sich wortlos ab und durchforstete die überfüllten Regale. Nach einer Weile erhob Kenobi sich schließlich und stellte die zweite Lampe auf.
Siebzehn
Es dauerte eine Weile, aber dann fand Anakin schließlich, wonach er suchte: einen funktionierenden Kom-Verstärker, den er - hoffentlich - manipulieren konnte, und einen Datenleser, der gerade neu genug war, um die Kristalle anzunehmen, die Dr. Fhernan ihnen gegeben hatte. Dieses Gerät war zwar schrecklich langsam, aber da er nichts Besseres zu tun hatte und Anakin nicht sehr gesprächig war, wenn er an technischen Geräten herumbastelte, setzte Obi-Wan sich unter den Tisch, schirmte das Licht der Tischlampe - soweit möglich - mit dem Körper ab und las die Aufzeichnungen über Lok Durds neueste, tödliche Biowaffe durch.
»Wissen wir nicht schon alles, was wir wissen müssen?«, fragte Anakin mit einem skeptischen Blick.
Obi-Wan war sich da nicht so sicher. »Vermutlich hast du recht, aber vielleicht stoßen wir ja auf ein paar Informationen, die sich noch als nützlich erweisen könnten.«
»Wir? Soll ich das etwa auch lesen?«
»Nein.« Obi-Wan setzte ein schiefes Lächeln auf. »Du sollst den Mund halten und diesen Kom-Verstärker umbauen.«
Anakin murmelte etwas Unverständliches, dann wandte er sich wieder dem Verstärker zu, der mittlerweile dank des Werkzeugs, das er in einer der Schubladen gefunden hatte, in seine Einzelteile zerlegt war.
Die Zeit zog sich träge dahin. Einmal schalteten sie hastig die Lampen aus und hielten den Atem an, als eine Patrouille von Kampfdroiden an den leer stehenden Geschäften vorübermarschierte. Aber die Blechbüchsen blieben nicht stehen, verlangsamten nicht einmal ihre Schritte. Als das metallische Klacken schwächer wurde, atmeten die beiden Jedi auf und wandten sich wieder ihrer jeweiligen Beschäftigung zu. Vermutlich hatten sie noch sechs Stunden, ehe die Sonne über Lanteeb aufgehen würde - und jede Minute Dunkelheit, die ihnen noch blieb, war kostbar.
Obi-Wan ging kurz in das winzige Bad, das sich an den Hauptraum des Elektroladens anschloss. Als er zurückkehrte, versuchte Anakin gerade, Dr. Fhernan per Komlink zu erreichen.
»Antwortet sie?«, fragte er, während er sich wieder unter den niedrigen Schreibtisch zwängte.
Skywalker schüttelte den Kopf und legte das Komlink beiseite. »Nein«, murmelte er, den Blick bereits wieder den Innereien des Verstärkers zugewandt.
Obi-Wan schürzte die Lippen. Das war kein gutes Zeichen, aber sich jetzt darüber den Kopf zu zerbrechen, würde ihnen auch nicht weiterhelfen. »Ich bin mir sicher, ihr geht es gut, Anakin. Sie ist eine starke, intelligente Frau. Außerdem spüre ich weder Gewalt noch Schmerz in der Macht.«
»Ich auch nicht«, gab Anakin nach einer kurzen Pause zu. »Aber sie hat Angst.«
Wie könnte sie auch keine Angst haben ? »Ich bin sicher, sie ist einfach nur eingeschlafen. Es ist schon sehr spät.«
»Ja, vermutlich habt Ihr recht. Ich werde es in ein paar Stunden noch einmal versuchen.«
Obi-Wan konnte nur Skywalkers Hinterkopf sehen, aber er war sicher, dass sich Sorge und Ungewissheit in sein Gesicht eingegraben hatten. »Wie wäre es, wenn du auch ein kurzes Nickerchen machst? Ich werde so lange Wache halten.«
»Nein, es geht schon«, meinte Anakin und beugte sich tiefer über seine Werkzeuge. »Aber Ihr könnt ein wenig schlafen, wenn Ihr wollt.«
»Nein, nein. So müde bin ich gar nicht.« Obi-Wan rieb sich seine brennenden, schweren Augen und versuchte, die bleierne Erschöpfung zu ignorieren, die jede Bewegung seiner Muskeln zu einer Qual machte. »Außerdem bin ich noch nicht sonderlich weit mit diesen Datenkristallen. Doktor Fhernan hat wirklich jede Kleinigkeit abgespeichert.«
Anakin tippte sich nachdenklich mit einer kleinen Drahtzange an die Schläfe. Er war nicht mehr wütend, aber immer noch distanziert, und so warf er Kenobi nur einen kurzen, flüchtigen Blick zu. »Habt Ihr schon etwas Nützliches gefunden?«
»Könnte sein«, murmelte Obi-Wan frustriert. »Biochemie war aber leider noch nie meine Stärke.«
»Dann überspringt doch einfach diesen Teil«, schlug Anakin vor. »Um die Formeln können sich die Experten kümmern, wenn wir die Daten an den Tempel übermittelt haben.«
»Gute Idee. Und wann wird die Verbindung stehen?«
Anakin brummte. »Sobald ich dieses verdammte Ding wieder zusammengesetzt habe. Dann muss ich nur noch einen Weg finden, das Signal unter die HoloNet-Frequenzen zu mischen, und es über mehrere Sender schicken - selbst, wenn es den Seps gelingen sollte, die Übertragung aufzufangen, könnten sie es dann nicht zu seinem Ursprung zurückverfolgen.«
»Und alles, was du dazu brauchst, ist ein antiquierter Kom- Verstärker und Großvaters Werkzeugkiste?«, fragte Obi-Wan beeindruckt. Er war selbst alles andere als unbegabt im Umgang mit Technik, aber Anakin war in dieser Hinsicht - wie in so vielen anderen auch - außergewöhnlich talentiert.
»Theoretisch schon«, murmelte Anakin achselzuckend. »Ob ich es auch in der Praxis hinbekomme, wird sich zeigen. Es ist nicht gerade einfach.«
Obi-Wan nickte. Er hatte die Botschaft verstanden, die zwischen Skywalkers Worten mitschwang: Seid leise und lasst mich arbeiten!
Wieder legte sich Stille über den Raum. Kenobi gab es auf, sich durch die wissenschaftlichen Daten zu Durds biologischer Waffe zu quälen, und wandte sich stattdessen den Aufzeichnungen über Damotit und seinen Anwendungsmöglichkeiten zu. Nach einer Weile begannen die Worte auf dem Bildschirm vor seinen Augen zu verschwimmen. Sie flossen ineinander wie geschmolzenes Wachs. Er schüttelte den Kopf, um die Müdigkeit zu verscheuchen, und als er wieder auf den Datenleser blickte, stellte er fest, dass er den gleichen Absatz immer und immer wieder gelesen hatte, ohne den Sinn der Worte dabei aber auch nur im Mindesten erfasst zu haben. Seufzend legte er das Gerät in seinen Schoß. Das hat keinen Sinn. Er schloss die Augen und ließ die Gedanken schweifen.
Aber schon nach wenigen Sekunden richteten sie sich zielstrebig auf ein ganz bestimmtes Thema: Durds Geisel. Sie zu retten - und nicht nur sie, sondern auch ihre Familie und ihre Freunde, die über fünf Planeten verstreut waren -, barg ein gewaltiges Risiko und konnte ihre gesamte Mission in Gefahr bringen. Ein falscher Schritt, ein kleiner Fehler - und Durd wäre gewarnt. Der Neimoidianer fühlte sich hier auf dieser so abgelegenen Welt zwar augenscheinlich sicher, aber nachdem er schon einmal gefangen genommen worden war, ließ seine Wachsamkeit vermutlich nie nach. Wenn er entdeckte, dass sein Projekt in Gefahr war, dass er selbst in Gefahr war, ja, dass die Republik ihn ein zweites Mal erwischen könnte ...
Er würde verschwinden, und seine Pläne und seine Waffe würde er mit sich nehmen.
Aber die Alternative gefiel Obi-Wan noch viel weniger. Dreizehn Menschen direkt oder indirekt in Durds Gewalt zu wissen, sie seiner brutalen Rache auszuliefern. In Bezug auf das große Ganze mochte das die richtige Entscheidung sein, aber...
Könnte ich danach noch in den Spiegel sehen? Würde Anakin mir je vergeben? Könnte ich mir je vergeben?
Vermutlich nicht. Sein Blick huschte hinüber zu Skywalker, der tief über den Kom-Verstärker gebeugt dahockte. Er spürte Obi-Wans Augen auf seinem Rücken und hob den Kopf.
»Was ist?«
»Nichts«, behauptete Obi-Wan, zögerte, räusperte sich. »Dein Verhalten gegenüber Doktor Fhernan war löblich.«
Anakins Kopf ruckte herum. »Obi-Wan ...«
»Nein, nein, das meine ich ernst«, schob Kenobi schnell nach. »Ich versuche nicht, dich zu... Es ist nicht meine Absicht, eine ...« Er seufzte. »Ich meine es ernst, Anakin. Deine Worte, was du über Vergebung gesagt hast, das hat ihr sehr geholfen. Das ist alles, was ich damit sagen wollte.«
»Oh«, machte Anakin. Er hatte die Drahtzange mittlerweile gegen einen Mikropulsmesser getauscht, und während er sich wieder vorbeugte, um einen Schaltkreis zu überprüfen, fügte er noch hinzu. »Danke.«
»Wer hat dir vergeben?«
Anakin hielt mitten in der Bewegung inne. Obi-Wan konnte sein Gesicht von der Seite sehen, und er las darin eine Mischung aus Verwirrung und Resignation. Als ob ein Teil von ihm diese Frage erwartet hätte, ein anderer aber nicht glauben konnte, dass Kenobi sie wirklich gestellt hatte.
Obi-Wan war selbst ein wenig überrascht - er hatte nicht vorgehabt, diese Worte auszusprechen. Einer seiner Grundsätze war es, nie zu persönlich zu werden. Vor allem, wenn es um die Vergangenheit ging, die sich nicht mehr ändern ließ. Und ganz besonders, wenn es um Anakins Vergangenheit ging, die so verworren, düster und traurig war.
Ich sollte wirklich ein wenig schlafen.
»Es tut mir leid«, murmelte Obi-Wan. Er wollte keinen erneuten Streit riskieren, und so beschloss er, die Frage zurückzuziehen. »Es geht mich nichts an. Vergiss, dass ich überhaupt etwas gesagt habe. Ich werde ...«
»Meine Mutter«, flüsterte Anakin so leise, dass seine Stimme kaum hörbar war. »Meine Mutter hat mir vergeben.«
Oh. Kenobi nickte. Er wusste nicht, was er sagen sollte. Shmi Skywalkers Leben und Tod waren ein Minenfeld voller Bedauern und Trauer - für sie beide.
»Kurz bevor sie starb«, fuhr Anakin fort. »Sie ... Sie hat nicht ...« Er atmete tief ein, ließ die Luft dann langsam, zittrig wieder aus seiner Brust entweichen. »Sie hat es nicht direkt gesagt. Es gab kein >Anakin, ich vergebe dir<. Aber ich konnte es in ihren Augen sehen. Ich konnte es spüren, wie sie mir vergab. Dafür, dass ich sie nicht retten konnte. Dafür, dass ich nicht nach Tatooine zurückgekehrt bin, um sie zu befreien.«
Was das für Anakin bedeutete, vermochte Obi-Wan sich nicht einmal vorzustellen. Seine Mutter hatte ihm vergeben. Aber es gab noch jemand anderen, der ihm vergeben musste. Langsam neigte Kenobi den Kopf zur Seite.
»Und wann wirst du dir selbst vergeben?«
Überrascht drehte Anakin sich zu ihm herum. »Was?«
»Du hast mich schon verstanden.«
Skywalker senkte den Blick, wandte sich wieder dem Kom- Verstärker zu. »Wer sagt denn, dass ich mir nicht vergeben habe?«
»Anakin«, erklärte Obi-Wan leise. »Wenn du nicht darüber reden möchtest, dann sag es einfach. Aber behandle mich nicht wie einen Dummkopf.«
»Na schön«, brummte Skywalker und griff nach einer weiteren Platine. »Ich möchte nicht darüber reden.«
Obi-Wan schürzte die Lippen. Irgendwann würde Anakin aber darüber reden müssen - mit irgendjemandem. Diese offene Wunde in seiner Seele musste verbunden werden, musste verheilen. Er würde nie Frieden finden, wenn er sich nicht eines Tages Shmis Tod verzieh. Ihr grausames Ende würde Skywalker auf ewig verfolgen, an ihm nagen und die Furcht nähren, dass er diejenigen verlieren könnte, die ihm am Herzen lagen. Diese Furcht war Anakins größte Schwäche, war es schon immer gewesen.
Was für ein Paradoxon. Er ist der furchtloseste Jedi, an dessen Seite ich je gekämpft habe - und doch ist ein Teil von ihm immer noch dieser kleine, verängstigte Junge, der Tatooine vor elf Jahren verlassen hat.
Zu seiner eigenen Schande musste Obi-Wan sich eingestehen, dass es ihm oft nicht gelang, zu diesem kleinen Jungen durchzudringen. »Du solltest dir nicht die Schuld daran geben«, sagte er. »Wenn du wütend auf jemanden sein willst, dann sei wütend auf mich. Ich habe meinen Teil dazu beigetragen, dass du Tatooine verlassen hast und nicht mehr dorthin zurückgekehrt bist, das wissen wir beide. Was geschehen ist, war nicht dein Fehler. Du musst endlich aufhören, dich dafür zu bestrafen. Ich bin mir sicher, deine Mutter würde das nicht wollen. Sie würde...«
Ein Schaltkreis und eine Zange fielen dumpf auf den Boden. Anakin starrte Kenobi an. Seine Augen blitzten - einschüchternd, erwachsen. Die Luft in dem stickigen Raum knisterte vor plötzlicher, gefährlicher Spannung.
»Welchen Teil von >Ich möchte nicht darüber reden< habt Ihr nicht verstanden?«
Obi-Wan atmete schwer aus. Es war ein Fehler gewesen, Anakin darauf anzusprechen. Er ist kein Kind mehr. Warum vergesse ich das nur immer wieder? Wenn ich sein Freund bleiben will, muss ich ihn endlich wie einen Erwachsenen behandeln. »Es tut mir leid. Ich bin... müde. Ich weiß nicht mehr, was ich sage. Ich denke, ich werde jetzt ein wenig schlafen. Weck mich in einer halben Stunde, wenn ich nicht von selbst aufwache, in Ordnung?«
Anakin zögerte, und einen Augenblick lang glaubte Kenobi schon, er würde endlich sein selbst auferlegtes Schweigen brechen und ihm erzählen, was damals auf Tatooine passiert war, als Shmi starb. Denn Obi-Wan wusste: Es gab da etwas, das Skywalker ihm vorenthielt. Dass die Sandleute Shmi entführt und getötet hatten, das war längst nicht alles. Aber Kenobi hatte nie danach gefragt. Er konnte nur hoffen, dass er eines Tages von sich aus auf ihn zukommen und ihm die ganze Geschichte erzählen würde.
Ich hoffe, dass es eines Tages so weit sein wird, dass er sich ein Herz fasst und mich in dieses Geheimnis einweiht. Was immer er mir vorenthält, es muss wichtig sein.
Aber dann war dieser Augenblick vorbei, und alles, was Anakin sagte, war: »Ja, ruht Euch ein wenig aus. Ihr seht erschöpft aus, Obi-Wan.«
Ich muss also weiter auf diesen Moment warten.
Erfüllt von vager Enttäuschung - und dem Gefühl, dass er durch seine unbedachten Worte eine seltene, wichtige Gelegenheit ruiniert hatte - schloss Kenobi die Augen. Fünf Sekunden später war er bereits eingeschlafen.
Es dauerte beinahe drei Stunden, den aufklappbaren und völlig veralteten Sigtech-Kom-Verstärker zu modifizieren, aber als Anakin schließlich fertig war und sich zurücklehnte, lag ein zufriedenes Lächeln auf seinen Lippen. Sie sollten jetzt in der Lage sein, mit dem Jedi-Tempel - mit Yoda - Kontakt aufzunehmen.
Doch das Gefühl des Erfolges wurde verwässert durch den Nebel der Müdigkeit.
Aber noch geht es. Kein Problem. Mir geht es gut. Es reicht, wenn ich später schlafe.
Nun, da er nach Coruscant durchdringen konnte, spürte er auf einmal eine alles verzehrende Sehnsucht nach Padmé. Er vermisste sie schrecklich, und dass er sie so lange nicht mehr gesehen hatte, bereitete ihm beinahe körperlichen Schmerz. Viel zu selten nur konnte er seine Erfolge mit seiner Frau feiern. Meist musste er sich mit der Vorstellung begnügen, dass sie sich für ihn freute, und sich mit Bildern aus der Vergangenheit trösten.
Diese Erinnerungen hatte er jedoch schon viel zu oft durchlebt, und wie Kleidung, die man zu oft trug, nutzten sie sich im Laufe der Zeit immer stärker ab. Sie verblassten, und die Gefühle, die er mit ihnen verband, wurden schwächer.
Ich brauche neue Erinnerungen, von denen ich zehren kann. Ich muss eine Möglichkeit finden, wieder Zeit mit ihr zu verbringen. Ich muss sie wieder in den Armen halten, sie spüren. Ich will wieder dieses Gefühl haben, nicht allein zu sein.
Er war müde. Schrecklich müde. Aber im Gegensatz zu Obi-Wan gönnte er sich keinen Schlaf, keine Erholung. Er hatte Angst davor, auch nur die Augen zu schließen. Bant'ena Fhernan hatte den Staub der Vergangenheit aufgewirbelt und alte Wunden geöffnet. Wenn er jetzt einschlief, würde er von Tatooine träumen. Er würde sich verraten, und Kenobi würde es erfahren.
Padmé. Ich brauch dich, Padmé. Du bist die Einzige, die mich versteht. Du bist die Einzige, die die Träume von mir fernhalten kann.
Sein Verlangen nach ihr war wie ein schlafender Drache. Das leiseste Geräusch, der schwächste Windhauch konnte ihn wecken und die Flammen anheizen, die seine Seele zu verschlingen drohten, und das durfte er nicht zulassen. Das Leben unschuldiger Personen lag in seinen Händen - ebenso wie Obi-Wans Leben. Nie könnte Anakin sich verzeihen, wenn er seinen einstigen Lehrmeister im Stich ließe.
Mit angehaltenem Atem, die Faust gegen die Lippen ge- presst, rang er mit dem Drachen in seinem Innern, bis dieser sich wieder in seine dunkle Höhle zurückzog und einschlief.
Apropos schlafen ... Er blickte zu Obi-Wan hinüber. Kenobi kauerte immer noch unter dem Schreibtisch, den Kopf gegen das kühle Holz gelehnt, die Augen geschlossen. Eigentlich hatte er nur eine halbe Stunde schlafen wollen, aber sein Körper hatte das Wecksignal seines Geistes ignoriert, gönnte sich die lange überfällige Erholung. Eigentlich hätte Anakin ihn wecken sollen...
Er wird wütend sein, wenn er aufwacht und erkennt, dass ich seinen Wunsch ignoriert habe. Aber was soll's. Es ist schließlich nicht das erste Mal, und es wird auch nicht das letzte Mal sein.
Nun, da seine Hauptaufgabe erfüllt war, nahm er das Komlink und kroch unter der Theke hervor. In der Nähe der Fenster kauerte er sich in die Schatten und versuchte noch einmal, Bant'ena zu erreichen. Diesmal antwortete sie.
»Anakin! Geht es euch gut? Wo seid ihr?«
»Uns geht es gut«, antwortete er mit gedämpfter Stimme. »Aber ich denke, es ist besser, wenn ich Ihnen nicht sage, wo wir sind.«
»Oh, natürlich.«
»Und wie geht es Ihnen? Ist irgendetwas geschehen, seitdem wir den Komplex verlassen haben?«
»Nein. Alles ist ruhig.«
»Gut. Hoffen wir, dass es auch so bleibt.« Er zögerte. »Und mit Ihnen ist wirklich alles in Ordnung?«
»Ich sagte doch schon, mir geht es gut. Anakin ...« Dann brach sie plötzlich ab.
»Was ist?«, fragte er beunruhigt.
»Ich verstehe einfach nicht, warum Ihr Euch so große Sorgen um mich macht.«
Er hatte keine Zeit, ihr das zu erklären - und auch keine Lust. »Ihr Wohl ist uns eben wichtig«, war daher alles, was er entgegnete.
Ein Seufzen drang knackend aus dem Kom. »Wen immer Ihr auch verloren habt - Ihr müsst diese Person wirklich geliebt haben.«
Seine rechte Hand ballte sich zur Faust. »Bant'ena, ich muss jetzt Schluss machen. Vergessen Sie nicht, das Komlink immer bei sich zu tragen. Wenn es so weit ist, müssen Sie schnell handeln.«
»Das vergesse ich schon nicht. Seid vorsichtig!«
Nicht einmal die Unterhaltung mit Dr. Fhernan hatte Obi-Wan aus seinem Schlaf gerissen. Beunruhigt ging Anakin zu ihm hinüber und hielt seine Linke dicht über sein friedliches Gesicht. Er spürte Kenobis Präsenz in der Macht, suchte nach Auffälligkeiten und ließ die Hand wieder sinken, als er erkannte, dass Obi-Wan einfach nur völlig erschöpft war.
Oder sollte ich mir doch Sorgen machen? Woher rührt diese Müdigkeit? Ist es wirklich nur der Krieg und das ständige Kämpfen - oder hat es etwas mit Zigoola zu tun? Er biss sich auf die Lippe. Wann wird Obi-Wan mir endlich erzählen, was er und Bail dort wirklich erlebt haben? Ich muss es wissen. Es ist wichtig.
Sobald diese Mission beendet wäre, schwor er sich, würde er Kenobi zur Rede stellen und ihm die Wahrheit entlocken.
Draußen war es immer noch dunkel und aufgrund der Ausgangssperre auch gespenstisch still. Vermutlich wäre es zu riskant, sich jetzt mit Yoda in Verbindung zu setzen. Sie mussten warten, bis Lanteeb wieder aus seinem angsterfüllten Schweigen erwachte und sich die Kanäle und Frequenzen wieder mit Nachrichten, Funksprüchen, Codes und Geplapper füllten. Dann konnten sie unbemerkt den Jedi-Tempel kontaktieren. Und was soll ich in der Zwischenzeit tun? Sein Blick fiel auf den Datenleser. Was soll's ... Seufzend nahm er das Gerät aus Obi-Wans schlaffer Hand und kehrte damit unter die Theke zurück. Mit müden Augen überflog er Seite um Seite voll staubtrockener Informationen über Damotit.
Schließlich kroch das Morgengrauen über Lanteeb und durch die schmalen Schlitze vor den verbarrikadierten Fenstern. Die ersten Zeichen von Aktivität vibrierten durch die Macht und weckten Obi-Wan. Noch während er die Augen öffnete, verzog der Jedi das Gesicht. Er wusste, dass er länger als nur eine halbe Stunde geschlafen hatte.
»Anakin!«
»Beruhigt Euch, Obi-Wan«, sagte Skywalker, ohne den Blick vom Bildschirm des Datenlesers zu nehmen. »Wir wissen beide, dass Ihr den Schlaf nötig hattet.«
»Ich weiß schon selbst, was ich nötig habe.«
»Euer Körper war wohl anderer Meinung.« Jetzt hob Anakin doch den Kopf. »Was ist los, Obi-Wan? Es ist schließlich nicht so, als ob Ihr in der Zwischenzeit viel hättet tun können. Den Kom-Verstärker habe ich auch alleine hinbekommen.«
»Der Verstärker?« Obi-Wan richtete sich auf, soweit das unter dem niedrigen Schreibtisch möglich war, und stützte sich auf einen Ellbogen. »Er funktioniert?«
»Natürlich funktioniert er.«
»Dann hättest du mich wecken müssen. Je eher wir uns mit Yoda in Verbindung setzen, desto ...«
»Aber wir können unser Signal nicht verbergen, wenn auf dem gesamten Planeten Funkstille herrscht. Daher wollte ich warten, bis es hell ist, und unsere Nachricht dann an eine Übertragung der Separatisten anhängen.« Er legte den Datenleser beiseite. »Nur so können wir den Tempel unbemerkt kontaktieren.«
»Sollten wir die Nachricht nicht verschlüsseln?«, fragte Obi-Wan. Er erkannte die Logik in Anakins Worten, war aber immer noch ein wenig wütend. »Der Gedanke, diese wichtigen Daten ungeschützt in den Äther zu schicken, gefällt mir ganz und gar nicht.«
»Nun, ich habe den Verzerrerchip eingebaut, den ich mitgebracht habe, aber...« Skywalker zuckte hilflos mit den Schultern. »Ich weiß nicht, ob er funktioniert. Er wurde einfach nicht für so veraltete Geräte konzipiert. Es könnte also sein, dass wir ein Kompatibilitätsproblem haben.«
Kenobi wirkte nachdenklich. »Aber zumindest unsere Fährte können wir verwischen, richtig?«
»Ich denke schon«, meinte Anakin. »Sobald wir uns an das Sep-Signal angehängt und den ersten Holorelaissender erreicht haben, kann ich unsere Nachricht theoretisch umleiten, ohne dass irgendjemand etwas davon mitbekommt. Aber zunächst muss ich natürlich auf ein Sep-Signal warten.«
»Und nachts gibt es keinen Kom-Verkehr?«
»Nichts, was erwähnenswert wäre. Ein paar lokale Übertragungen, mehr nicht. Im Gegensatz zu Euch scheinen die Separatisten Wert auf einen gesunden Schlaf zu legen.«
»Haha!«, machte Obi-Wan, während er sich mit der Hand über die Augen fuhr. »Was ist mit dir? Hast du dich auch ein wenig ausgeruht?«
»Um mich macht Euch mal keine Sorgen«, wiegelte Anakin ab. Er hob den Datenleser. »Außerdem: Wie hätte ich einschlafen können bei einer so packenden Lektüre. Habt Ihr den Abschnitt gelesen, in dem es darum geht, dass zwei der anderen Kontinente Lanteebs nur wegen der starken Damotit-Strahlung unbewohnbar sind?«
»So weit bin ich wohl nicht gekommen«, meinte Obi-Wan kopfschüttelnd. Sein Gesicht spiegelte Neugier wider. »Ich frage mich, ob das Durd vielleicht auf die Idee einer biologischen Waffe gebracht hat.«
»Vermutlich.« Anakin grinste. »Wir können ihn ja fragen, wenn wir ihn uns schnappen. Oh, und ich habe mit Bant'ena gesprochen.«
»Geht es ihr gut? Ist alles in Ordnung?«
»Nun, ich konnte nicht sehr viel verstehen, wegen der Explosionen und dem Blasterfeuer...«
Obi-Wan richtete sich so abrupt auf, dass sein Kopf mit einem dumpfen Knall gegen die Unterseite der Tischplatte stieß. »Was?«
»Nur ein Scherz«, sagte Anakin hastig. »Tut mir leid.«
»Ein sehr schlechter Scherz«, brummte Obi-Wan und rieb sich den Kopf. »Manchmal frage ich mich, ob du nicht vielleicht doch mit Bail Organa verwandt bist. Ihr habt beide denselben Sinn für Humor.«
Skywalker unterdrückte ein Grinsen. »Danke.«
»Das war kein Kompliment«, murrte Kenobi. Dann rollte er sich unter dem Schreibtisch hervor und stand mit knackenden Gelenken auf. »Wann, denkst du, können wir es riskieren, den Tempel zu kontaktieren?«
Anakin blickte auf den winzigen Signalmonitor des Kom- Verstärkers. »Könnte noch ein wenig dauern. Entspannt Euch, Obi-Wan. Sobald ich ein passendes Signal auffange, mache ich mich sofort an die Arbeit. Dann kann ich wieder meine außergewöhnlichen Fähigkeiten einsetzen.«
Obi-Wan verdrehte die Augen. »Manchmal treibst du mich wirklich an den Rand der Verzweiflung.«
»Jeder braucht ein Hobby«, entgegnete Anakin, und diesmal zeigte er seine Belustigung.
»Ich dachte, du hättest bereits ein Hobby.«
»Ja, aber wer sagt denn, dass ich nur eines haben kann?«
»Ich«, grollte Obi-Wan, aber er grinste.
Anakin lächelte breit, dann widmete er sich wieder dem Datenleser.
Yoda unterrichtete gerade eine Gruppe von Schülern, als er die Nachricht erhielt, dass Obi-Wan und Anakin sich per Kom gemeldet hatten und ihn zu sprechen wünschten - dringend. Da seine Schüler schon kurz vor der Berufung zum Padawan standen, überließ er einem aus ihrer Mitte, einem Mädchen namens Ruchikila, die Aufsicht über die anderen. Während sie weiter mit verbundenen Augen ihren Übungen nachgingen, begab Yoda sich zum Kommunikationszentrum des Tempels.
»Meister Yoda«, begrüßte ihn dort Meister Ban-yaro. »Hier entlang, bitte! Das Kom-Signal ist sehr schwach. Es handelt sich nur um eine Audioübertragung - kein Hologramm. Ich weiß nicht, wie lange wir die Verbindung aufrechterhalten können. Meister Kenobi und Meister Skywalker haben ihr Signal durch sämtliche Netzwerke des Äußeren und Mittleren Randes abgelenkt. Sie haben uns gebeten, die Antwort auf demselben Wege zurückzuschicken - das macht die Sache natürlich auch nicht leichter. Zumal die Kodierung der Übertragung uns hier einiges Kopfzerbrechen bereitet. Das Signal ist alles andere als klar, als ob sie durch eine Blechdose mit einem Faden daran sprechen.«
Yoda steuerte seinen schwebenden Sessel neben Ban-yaro her, als dieser mit weit ausladenden, energischen Schritten durch den Hauptbereich der Kommunikationszentrale stakste und schließlich vor dem Eingang einer gesicherten Sektion stehen blieb - der Bereich für vertrauliche Übertragungen. »In Gefahr die beiden sind? Aufzufliegen ihre Tarnung droht?«
Der Jedi-Meister und Kommunikationsexperte des Tempels strich sich das lange, rote Haar aus dem Gesicht. »Sie haben nichts Derartiges erwähnt, aber ich halte es durchaus für möglich.« Die Tür öffnete sich, und die beiden setzten ihren Weg fort. »Wir haben die Übertragung durch den Supraleiter gelenkt. Dadurch verbessert sich die Qualität des Signals, und es wird gleichzeitig schwerer zu verfolgen. Mehr können wir nicht tun, fürchte ich.«
Yoda blickte ihn von der Seite an. »Der Aufenthaltsort der beiden, bekannt er uns ist?«
Ban-yaro nickte. »Ja. Ich nehme an, es wird besser sein, wenn ich diese Information wieder vergesse, nicht wahr?«
Sie erreichten eine zweite Tür. Während Ban-yaro sie öffnete, nickte Yoda. »Korrekt deine Annahme ist.«
Ein seltenes Lächeln huschte über das Gesicht des Jedi. »Ich verstehe. Nach Euch, Meister Yoda!«
Die leistungsstärkste und am besten gesicherte Kom-Station des Tempels lag vor ihnen. Während Ban-yaro zu einem Kontrollpult hinüberging, um die Signalstärke zu überprüfen, manövrierte Yoda seinen Schwebesessel vor die Kom-Tafel.
»Obi-Wan, mich hören ihr könnt?«
»Meister Yoda! Ja, wir hören Euch. Aber ich weiß nicht, wie lange Anakin diese Verbindung aufrechterhalten kann, also sollten wir uns beeilen. Sind die Daten schon angekommen, die wir zum Tempel geschickt haben? Sie sind von allergrößter Wichtigkeit.«
Yoda blickte zu Ban-yaro hinüber. Der Jedi hob kurz den Kopf von seinen Kontrollmonitoren und nickte bestätigend. »Erhalten wir sie haben, Meister Kenobi.«
»Großartig. Wir lagen richtig mit unserer Vermutung, Meister. Die Separatisten bauen auf Lanteeb an einer biologischen Waffe. Unter den Daten, die wir Euch geschickt haben, befindet sich auch die Formel dieses Stoffes.«
»Gute Arbeit, Meister Kenobi.«
»Yoda, Lok Durd steckt hinter der ganzen Sache. Wusstet Ihr, dass er...«
»Dass aus seiner Haft er entkommen konnte, bekannt mir war. Aber nicht wichtig das jetzt ist. Von dieser Waffe mir berichtet!«
»Durd hat die Leitung des Projekts, aber die Wissenschaftlerin, die diesen Stoff tatsächlich entwickelt hat, sagt, dass es möglich sei, ein Gegenmittel oder einen Impfstoff herzustellen. Eine Liste von Wissenschaftlern, die dazu in der Lage sein sollten, findet Ihr ebenfalls unter unseren Daten.«
»Diese Wissenschaftlerin, ihre Hilfe ihr gewinnen konntet?«, fragte Yoda und blickte überrascht auf den Empfänger. Er war beeindruckt. »Wie das?«
»Doktor Fhernans Mitarbeit an diesem Projekt war nicht freiwillig, Meister. Durd hat sie entführt und droht mit dem Tod von Freunden und Familie, wenn sie nicht tut, was er sagt.«
Furcht und Einschüchterung... die Mittel der Sith. Und was Lok Durd betraf... Dass wieder ihm begegnen wir würden, ich wusste. »Obi-Wan, eine Möglichkeit, die Produktion dieses Stoffes zu verhindern, es gibt?«
Eine kurze, von statischem Knistern erfüllte Pause.
»Meister Yoda, hier spricht Anakin. Das Damotit ist der Schlüssel zu dieser Waffe, daher lässt sich Eure Frage nicht so leicht beantworten. Wenn wir die Mineralvorkommen zerstören, bringen wir auch Dookus Waffenprojekt zum Erliegen. Allerdings ist Damotit auch der Hauptbestandteil der Schilde, mit dem die Lanteebaner sich vor den Thetastürmen schützen, die den Planeten in regelmäßigen Abständen heimsuchen. Ein Kampfverband würde ausreichen, um die Minen zu zerstören, aber wenn diese Schilde nicht länger funktionieren, wären die Menschen hier zu einem langsamen und grausamen Tod verdammt - zumindest diejenigen, die nicht schon durch das Bombardement und den anschließenden, hochgiftigen Niederschlag ihr Leben verlieren würden.«
Seufzend schloss Yoda die Augen. »Diese Schilde ... Keine Alternative zu Damotit es für die Lanteebaner gibt?«
»Nein, Meister. Zumindest nicht auf die Schnelle.«
»Schlechte Nachrichten das sind.«
»Meister«, meldete sich nun Obi-Wan wieder zu Wort. »Wir könnten versuchen, die Separatisten von Lanteeb zu vertreiben. Aber angesichts der Bedeutung, die er mittlerweile für ihr Waffenprogramm hat, bezweifle ich, dass sie den Planeten einfach so aufgeben werden. Ich fürchte, es würde auf eine lange und erbitterte Schlacht hinauslaufen.«
Wohl wahr. Die Lage war verzwickt. Ein weiterer, längerfristiger Krisenherd, der tausende Leben forderte, war das Letzte, was die Republik im Augenblick brauchen konnte.
»Aber vielleicht gibt es noch eine weitere Alternative, Meister«, fuhr Obi-Wan fort. »Sie ist alles andere als perfekt, aber ich denke, sie wäre den beiden anderen vorzuziehen.«
»Sprecht weiter!«
»Meister Yoda, wir müssen diese zwölf Geiseln retten.« Es war nicht länger Kenobis Stimme, die aus dem Kom drang, sondern Skywalkers. Er klang nervös. »Sobald Bant'ena, äh, die Wissenschaftlerin, weiß, dass sie in Sicherheit sind, wird sie uns helfen, diese Biowaffe und alles, was damit zusammenhängt, zu zerstören. Danach schaffen wir sie von Lanteeb fort. Ohne sie kann Durd das Projekt nicht beenden. Es wird sicher nicht leicht, aber ich glaube, wir können es schaffen.«
Hmm. »Einer Meinung mit Anakin du bist, Obi-Wan?«
Diesmal war die Pause deutlich länger und Obi-Wans Stimme deutlich angespannter. »Wie gesagt, Meister, es ist ein riskanter Plan. Diese Geiseln ... sie wissen überhaupt nicht, dass sie in Gefahr sind. Wir müssten zahlreiche, separate Rettungsmissionen planen und durchführen. Wenn auch nur eine von ihnen fehlschlägt, wird Durd sofort Bescheid wissen.«
»Uns helfen, ehe die Geiseln befreit wir haben, die Wissenschaftlerin nicht will?«
»Es geht um ihre Freunde und ihre Familie«, sagte Anakin. »Sie will nicht für ihren Tod verantwortlich sein, und wir können nicht von ihr verlangen, etwas so Riskantes zu tun, solange ihre Lieben in Gefahr schweben.«
Ein zweites Mal seufzte Yoda. »Obi-Wan, die Einrichtung und Unterlagen dieser Wissenschaftlerin - sie zerstören ihr könntet?«
»Ja, Meister«, sagte Kenobi nach kurzem Zögern. »Aber das würde ihren sicheren Tod bedeuten. Auch das Schicksal ihrer Familie und Freunde wäre dadurch besiegelt. Dann müssten wir die Verantwortung übernehmen für den Tod von dreizehn unschuldigen Personen.«
Ein drittes Seufzen. Wohin Yoda sich dieser Tage auch wandte, überall waren unschuldige Leben in Gefahr. »Wenn dem Plan des jungen Skywalker wir folgen, noch länger auf Lanteeb ihr bleiben müsstet. Gefährlich das ist, Obi-Wan.«
»Dessen sind wir uns bewusst, Meister.«
»Und diese Wissenschaftlerin, ihr Vertrauen ihr schenkt?«
»Das tun wir«, erklärte Anakin.
»Obi-Wan?«
»Meister, angesichts der Umstände haben wir gar keine andere Wahl, als ihr zu vertrauen«, meinte Kenobi. Er klang sehr distanziert. »Es sei denn, Euch würde eine Alternative einfallen.«
Yoda schloss die Augen und suchte in der Macht nach Klarheit, folgte ihrem leuchtenden Pfad durch eine Galaxis, in der sich die Dunkle Seite wie ein giftiges Unkraut immer weiter ausbreitete. Er ließ die Grenzen von Raum und Zeit hinter sich - aber die Zukunft, die er zu sehen versuchte, war verzerrt und undurchsichtig. Es war unmöglich vorherzusagen, wie diese Situation sich entwickeln würde. Die Bilder waren zwar da, aber sie waren außerhalb seiner Reichweite, jenseits eines undurchdringlichen Vorhangs. Yoda spürte ein eisiges Zittern, und voll Unbehagen erkannte er, dass es der Schatten der Angst war, der sich nach ihm ausstreckte. Noch nie - nie! - in den neunhundert Jahren seines Lebens waren seine Fähigkeiten derart eingeschränkt gewesen. Die Dunkle Seite trübte das Licht - und sie machte ihn halb taub, halb blind und völlig stumm.
»Nein, Obi-Wan«, sagte er schließlich. »Eine Alternative ich nicht sehe.«
»Aber zumindest einen Trumpf haben wir im Ärmel«, erklärte Kenobi. »Die Formel für diese Waffe wurde erst vor ein paar Stunden perfektioniert. Der Kampfstoff befindet sich also noch nicht in der Produktion.«
Aber das würde sich bald ändern. Sie mussten schnell handeln. Es war keine Zeit für Besprechungen im Rat - oder mit Palpatine. Yoda würde die Entscheidung selbst treffen müssen, hier und jetzt. Auch die Konsequenzen, so grausam sie auch sein mochten, würde er selbst zu tragen haben.
»Meister Yoda, bitte gebt uns eine Chance!«, bat Anakin. »Wir können Durd aufhalten, ohne dass Unschuldige dabei zu Schaden kommen.«
Vielleicht konnten sie das wirklich. Der Gedanke, zwei weitere Jedi - und ausgerechnet diese beiden - zu verlieren, erfüllte Yoda mit stillem Grauen. Aber es herrschte Krieg, kalt und schrecklich - und im Krieg durfte man seine Entscheidungen nicht durch persönliche Sympathien beeinflussen lassen, ganz gleich, wie groß die Versuchung auch war. »Nun gut«, brummte er. »Diese Geiseln, sie für mich identifizieren ihr könnt?«
»Ja, Meister«, sagte Obi-Wan. »Wir übertragen sofort die Daten.«
Yoda wandte sich an Ban-yaro und wartete geduldig, bis dieser den Kopf hob und nickte. »Erhalten wir die Daten haben, Obi-Wan. Dafür sorgen ich werde, dass in Schutzhaft genommen diese Personen werden. Aber ein wenig Zeit es braucht, um alles vorzubereiten.«
»Das verstehen wir natürlich, Meister. Macht Euch keine Sorgen! Wir halten hier noch ein paar Tage durch. Aber wir müssen die Übertragung jetzt beenden. Wir melden uns so bald wie möglich wieder. Kenobi Ende.«
Einige Sekunden saß Yoda regungslos auf seinem Schwebesessel und verarbeitete diese neuesten Informationen. Geheimhaltung war nun wichtiger denn je und Vertrauen ein Luxus, den sie sich nicht leisten konnten. Es gab einige Jedi, die sich gerade im Tempel aufhielten - sie könnte er entsenden, um die Geiseln zu retten. Aber auch um das Gegenmittel musste er sich kümmern. Es war wichtig, dass schnellstmöglich große Mengen davon hergestellt wurden - für den Fall, dass Obi-Wan und Anakin ihr Ziel nicht erreichten.
»Meister Yoda«, sagte Ban-yaro leise und trat neben ihn, »hier sind die heruntergeladenen Daten.«
Yoda nahm die beiden Datenkristalle in seine kleinen Hände. »Danke. Die Tür wieder verriegeln ich werde, wenn fertig ich bin.«
Der Jedi-Meister verbeugte sich. »Gewiss, Meister Yoda. Solltet Ihr meine Dienste noch benötigen, wisst Ihr ja, wo Ihr mich finden könnt.«
Yoda wartete, bis er alleine war, und überflog dann die Daten, die Obi-Wan und Anakin übermittelt hatten. Als er dabei auf die Namen der vier Wissenschaftler stieß, die vielleicht den Impfstoff herstellen konnten, neigte er den Kopf und lächelte. Auch in Zeiten der Dunkelheit fand die Macht stets einen Weg. Er öffnete einen neuen Kom-Kanal, aber die Stimme, die sich meldete, gehörte nicht der Person, mit der er sprechen wollte.
»Senator Organas Büro«, sagte Bails persönliche Assistentin. Wie war ihr Name doch gleich? Ach ja, Minala Lodilyn. Diskret und fleißig, loyal und aufrichtig. Er spürte keinen Verrat, keine Hinterlist in ihrer Stimme. »Wie kann ich zu Diensten sein?«
»Meister Yoda ich bin. Mit Senator Organa sprechen ich muss.«
Ein winziger Augenblick des Zögerns. »Gewiss. Senator Organa ist gerade bei einem Treffen mit dem Obersten Kanzler. Wenn es dringend ist, werde ich versuchen, ihn dort zu erreichen, Meister Yoda.«
Hmm. Das könnte Palpatines Neugier wecken. Der angesehene, umtriebige Repräsentant von Alderaan hatte eigentlich nichts mit dem Jedi-Orden zu schaffen, und wenn ihn nun plötzlich ein Jedi-Meister aus einer wichtigen Besprechung riss ... Das war zu riskant. Natürlich würde Yoda den Obersten Kanzler irgendwann in die Vorgänge einweihen müssen, aber dieser Zeitpunkt war jetzt noch nicht gekommen. Palpatine hatte auch so schon genug zu tun - und je weniger Personen von der Mission auf Lanteeb wussten, umso besser.
»Nicht nötig das ist«, sagte er. »In sein Büro zurückkehren er wird, wenn beendet sein Treffen mit dem Obersten Kanzler ist?«
»Ja«, antwortete Organas Assistentin. »Soll ich ihm sagen, dass Ihr ihn sprechen möchtet?«
»Sehr dankbar ich dafür wäre.«
»Ich nehme an, es geht um eine dringliche Angelegenheit.«
»In der Tat.«
»Ich verstehe, Meister Yoda. In spätestens zwei Stunden wird er zurück sein, schätze ich.«
Das gab Yoda Zeit, sich um ein paar andere Dinge zu kümmern. Er beendete das Gespräch und öffnete ein Fach in der Armlehne seines Schwebesessels. Nachdem er die Datenkristalle dort verstaut hatte, verließ er die Kommunikationszentrale und kehrte in seine private Kammer zurück.
Ahsoka war gerade mal einen Tag im Tempel - nachdem man sie vom Kaliida-Medizentrum fortgeschickt hatte, weil sie die Ärzte dort nur behinderte und sich ein wenig zu überheblich benommen hatte -, und schon fiel ihr die Decke auf den Kopf. Sie wollte zurück an die Front, in den Kampf. Aber da Skyguy den Tempel unter mysteriösen Umständen verlassen hatte und noch nicht zurück war, steckte sie nun mehr oder weniger auf Coruscant fest. Alles, was ihr blieb, war, sich an den Übungsdroiden in den Trainingsräumen abzureagieren.
Sie machte sich gerade für den vierzehnten Kampf gegen die Maschine bereit, als plötzlich Meisterin Taria Damsin den Raum betrat und sie mit einem einzigen Satz aus ihrer mühsam aufgebauten Konzentration riss.
»Was?«, fragte die Padawanschülerin und deaktivierte ihr Lichtschwert. Ungläubig starrte sie die Jedi an. »Meister Yoda will mich sehen?«
»Uns beide«, stellte Meisterin Damsin klar. »Und, ehe du fragst, Padawan - ich weiß nicht, aus welchem Grund.«
»Oh«, machte Ahsoka und kräuselte ihre Nase. »Will er uns jetzt gleich sehen? Ich trainiere hier schon seit einer ganzen Weile. Ich würde mich gerne vorher noch frisch machen und umziehen.«
Damsin grinste. »Ich verstehe. Aber wenn Meister Yoda sagt, er möchte uns sofort sprechen, dann - und da bin ich mir ziemlich sicher - meint er es auch so. Die Dusche wird warten müssen, Padawan.«
»Natürlich«, murmelte Ahsoka leise. »Ihr habt recht.«
Anakin. War ihm etwas zugestoßen? Sie hatte nichts Derartiges gespürt, und wenn dem Auserwählten etwas zustieß, dann sollte man doch erwarten, dass das Echo seines Schmerzes wie ein Donnergrollen durch die Macht hallte. Doch da war nichts gewesen, und weil Ahsoka tief in die Macht eintauchte, wenn sie alleine war und trainierte und sich ganz auf ihr Lichtschwert und ihre Bewegungen konzentrierte, war sie sicher, dass sie es gefühlt hätte.
»Dein Meister und Obi-Wan sind bestimmt wohlauf«, meinte Damsin. Ahsoka mochte sie, und das nicht nur wegen ihrer aufmunternden Worte. »Ich kenne Obi-Wan schon seit langer Zeit, und daher fühle ich in der Regel, wenn er in Schwierigkeiten ist. Im Moment spüre ich jedoch nichts dergleichen.«
»Wirklich?«, fragte Ahsoka. Erleichterung erfüllte sie. Ich hatte schon Angst, ich würde es ignorieren, weil ich es nicht wahrhaben will. Aber dann hob sie skeptisch den Blick. »Ich hoffe, Ihr sagt das nicht nur, um mich zu beruhigen?«
»Ich lüge nicht, Padawan«, sagte Meisterin Damsin tadelnd. »Und jetzt komm! Man lässt Meister Yoda nicht warten. Das solltest du dir merken, wenn du eine gute Jedi werden willst.«
Dann wandte sie sich um und ging ohne ein weiteres Wort davon. Ahsoka folgte ihr hastig.
»Meisterin Damsin, Padawan«, begrüßte Yoda die beiden, als sie sein Privatgemach betraten, »eine Mission ich für euch habe.«
Ahsoka musste sich zusammenreißen, um ihrer Verblüffung nicht durch ein lautes »Häh?« Ausdruck zu verleihen. Sie und Meisterin Damsin? Auf einer Mission? Während Anakin und Obi-Wan sich an irgendeinem unbekannten Ort herumtrieben - und dabei hoffentlich nicht in Schwierigkeiten gerieten? Aber trotz dieser Verwirrung spürte sie auch Vorfreude. Eine Mission! Genau das, was sie im Augenblick brauchte!
Seltsamerweise spürte sie dieselbe Freude in Damsin, und das überraschte sie. Seit wann reagierten Jedi-Meister mit solch kindlicher Begeisterung auf einen neuen Auftrag?
»Werden wir Coruscant im Rahmen dieser Mission verlassen?«, fragte Taria.
Yoda sah sie mit durchdringenden Augen an, und die Jedi- Meisterin erwiderte seinen Blick. Eine Weile standen die beiden sich schweigend gegenüber, und Ahsoka war, als würden sie eine wortlose Unterhaltung führen. Sie hasste es, ausgeschlossen zu werden.
»Coruscant verlassen ihr werdet«, sagte Yoda plötzlich. »Sehr wichtig dieser Auftrag ist. Meisterin Damsin, zu einer Frau in Not dich und diesen Padawan schicken ich werde. Von den Separatisten überwacht sie wird, aber dass in Gefahr sie schwebt, sie nicht weiß. Ihren Beobachtern keinen Grund zum Argwohn geben ihr dürft. Aber dennoch zum Tempel diese Frau bringen ihr müsst. Von eurem Erfolg viele weitere Leben hängen ab.« Er hielt Damsin einen Datenkristall hin. »Eure Instruktionen hier gespeichert sind. Scheitern ihr dürft nicht.«
Als die Jedi-Meisterin den Kristall entgegennahm, machte Ahsoka einen kleinen Schritt nach vorne. »Meister Yoda, hat das irgendetwas mit Meister Skywalkers Mission zu tun?«
Yodas Lider senkten sich, und aus schmalen Augen blickte er sie an, gehüllt in bleiernes Schweigen. Sie schluckte.
Oh, nein! Ich hätte diese Frage nicht stellen dürfen. Ich hätte einfach den Mund halten sollen. Jetzt wird er seine Meinung ändern. Er wird mich fortschicken und Meisterin Damsin einen anderen Padawan zuweisen. Wann werde ich nur endlich lernen, meinen Mund zu halten ? Skyguy weist mich immer wieder darauf hin, aber ich kann mich einfach nicht zurückhalten. Das war so - dumm!
»Eine interessante Frage«, sagte Yoda schließlich. »Warum sie gestellt du hast?«
Warum? Sie blickte ihn verwirrt an. Warum? Sie wusste es nicht. Der Gedanke war einfach in ihrem Kopf aufgetaucht und aus ihrem Mund entflohen, ehe sie ihn aufhalten konnte. Darum. Mehr konnte sie dazu nicht sagen. Aber das war bestimmt nicht die Antwort, die Meister Yoda erwartete.
»Ähm...«
»Keine Sorge«, sagte der alte Jedi und sah sie ermutigend an. »Es mir sagen du kannst.«
Neben Ahsoka blickte Damsin neugierig auf den Datenkristall hinab, als könne sie seinen Inhalt auch ohne Datenleser erfassen.
»Ich weiß es nicht genau, Meister Yoda«, sagte Ahsoka schließlich. Ihre Stimme war kaum mehr als ein verschüchtertes Flüstern. »Es war einfach nur ein Gefühl. Als Ihr diese Frau erwähntet, die wir retten sollten, da hatte ich dieses Gefühl, und ich konnte Meister Skywalker spüren - seine Sorge um diese Frau.«
»Getäuscht deine Instinkte dich nicht haben, Padawan«, erklärte Yoda nickend. Seine Lider schoben sich wieder auseinander, offenbarten die ganze Weisheit und Würde seiner Augen. »Mehr als das euch sagen ich nicht kann.« Er wandte sich wieder Taria zu. »Bald aufbrechen ihr schon müsst, Meisterin Damsin. So schnell wie möglich zurückkehren ihr müsst! Und niemandem von diesem Auftrag erzählen ihr dürft.«
Damsin verbeugte sich. »Wir werden Euch nicht enttäuschen, Meister Yoda.«
»Nein, Meister, das werden wir nicht«, fügte Ahsoka hinzu. Yoda zu enttäuschen würde in diesem Fall auch bedeuten, Anakin zu enttäuschen, und im Moment vermochte sie nicht zu sagen, was für sie schlimmer wäre.
»Komm mit!«, sagte Taria, nachdem sie Yodas Kammer wieder verlassen hatten. »Ich habe einen gesicherten Datenleser in meinem Zimmer. Wir sehen uns an, worum es geht, und dann machen wir uns zum Aufbruch bereit. Bist du damit einverstanden?«
Ahsoka kannte Meisterin Damsin nicht sehr gut. Sie hatte ein paar ihrer Kurse besucht, aber davon abgesehen war sie ihr im Tempel fast nie begegnet, und doch stahl sich nun ein Lächeln auf das Gesicht der jungen Togruta. Sie mochte Taria - mochte ihre Energie, ihren Humor, ihren erfrischenden Mangel an Ehrerbietung gegenüber den Konventionen des Ordens.
»Ja, Meisterin«, sagte sie fröhlich. »Klingt nach einem guten Plan.«
Sie folgte Damsin durch die Korridore des Tempels, musste sich dabei beeilen, um mit den weiten, schnellen Schritten der Jedi mitzuhalten. Ihre Gedanken kehrten zu Anakin zurück, und sie schickte eine stumme Nachricht durch die Macht, hoffte, dass ihr Meister sie empfing.
Keine Sorge, Skyguy! Wer auch immer diese Frau ist, was auch immer sie Euch bedeutet - wir kümmern uns schon um sie. Wir werden Euch nicht enttäuschen.
Achtzehn
Die meisten Besucher betraten den Jedi-Tempel entweder zu Fuß durch den gewaltigen Haupteingang oder mit dem Gleiter durch den nicht minder beeindruckenden Transporterkomplex.
Bail Organa jedoch wählte einen weniger bekannten und folglich auch nur selten benutzten dritten Weg - einen Weg, der eigentlich nur für Jedi reserviert war und der einen speziellen Sicherheitsausweis erforderte. Erst nachdem Bail ebendiesen Ausweis mehrmals vorgezeigt hatte, durfte er in die streng gesicherte Zone um den Tempel herum eintreten und eine der privaten Landeplattformen ansteuern.
Den Sicherheitsausweis besaß Bail schon seit einer ganzen Weile, eingesetzt hatte er ihn vor diesem Tag aber erst ein einziges Mal. Er wollte dieses Privileg nicht unnötig ausnutzen. Außerdem hatte er in der Regel nichts zu verbergen, wenn er den Tempel besuchte - da störte es ihn nicht, wenn jeder ihn sah.
Heute allerdings lagen die Dinge anders.
Als sein kleiner, unscheinbarer Gleiter von dem unsichtbaren Kraftfeld an die Landeplattform herangezogen wurde, deaktivierte er den Sicherheitsschild und steckte sich den Ausweis in die Tasche. Dann stieg er aus und warf einen letzten, prüfenden Blick über die Schulter. Das Licht der nachmittäglichen Sonne badete die Türme und Kuppeln von Coruscant in seinem goldenen Schein, spiegelte sich auf den Flitzern, die in der Ferne die Luftstraßen füllten. In der Nähe des Tempels war allerdings kein einziges Fahrzeug zu sehen. Man war ihm also nicht gefolgt. Gut.
Vor ein paar Monaten noch hätte er sich nicht träumen lassen, dass er sich verstohlen durch die Stadt schleichen und dabei ständig über die Schulter blicken müsste - allein bei dem Gedanken hätte er vermutlich laut gelacht. Immerhin war das hier Coruscant, das stolz schlagende Herz der Republik. Und dies war der Jedi-Tempel, in der ganzen Galaxis bekannt als Symbol für Frieden und Sicherheit - ein Leuchtfeuer der Zivilisation.
Aber die Zeiten hatten sich gewandelt, und er hatte sich ihnen anpassen müssen. Heute erfüllte ihn der Gedanke nicht mehr mit Heiterkeit, er brachte ihn nicht zum Lachen. Vielmehr erfüllte er ihn mit trauriger Wut. Jede Nacht schlief er in der Hoffnung ein, es würde wieder so werden wie in der guten, alten Zeit - dass er wieder auf das System vertrauen und über verstohlene Sicherheitsmaßnahmen lachen konnte. Aber bis zu diesem Tag musste er weiter das Spiel spielen. Ein Sicherheitsscanner tastete seinen Körper ab, dann öffnete sich die Tür in den Tempel.