11
»Guten Morgen. Suzanne, nicht wahr? Ich weiß nicht, ob du dich an mich erinnerst, aber ich bin Tully Sullivan. Ich bin gekommen, um meinen Sohn Brom abzuholen.«
»Ja, natürlich erinnere ich mich an dich, Ysolde«, sagte der grüne Drache. Lächelnd trat sie beiseite, um mich in Drakes Haus hineinzulassen.
Ich blickte die Straße hinunter, wo ein schnittiger schwarzer BMW stand. Es hatte mich viel Mühe gekostet, Baltic zu überreden, im Auto sitzen zu bleiben, und ich hatte ihm versprechen müssen, dass ich das Haus nicht betreten würde.
»Mein Wagen parkt in der zweiten Reihe, deshalb habe ich gedacht, ich warte einfach hier an der Tür, falls die Polizei kommt«, sagte ich und machte eine vage Geste zu Baltics Auto hin. »Wenn du bitte Brom sagen könntest, er soll seine Sachen zusammenpacken, dann werde ich dich von ihm befreien.«
»Er war überhaupt kein Problem«, sagte sie. »Es tut mir leid, aber ich muss die Tür schließen. Drake würde mich umbringen, wenn ich die Tür offen stehen ließe. Er ist im Moment sehr auf Sicherheit bedacht. Willst du wirklich nicht hereinkommen?«
»Nein, kein Problem, ich warte einfach hier draußen auf Brom«, sagte ich und lehnte mich gegen das weiße Steingeländer.
Sie warf mir einen seltsamen Blick zu, schloss aber die Tür. Zwei Minuten später, als ich gerade darüber nachdachte, wie ich ein schwieriges Thema bei Baltic anschneiden sollte, ging die Tür wieder auf. Ich richtete mich auf, weil ich erwartete, meinen Sohn zu sehen, aber stattdessen trat ein haariger schwarzer Dämon in Hundegestalt heraus. »Heya! Was für ein sexy Top, Babe, sehr sexy! Mir gefällt besonders, wie deine Titten über den Ausschnitt hochgedrückt werden.«
Ich blickte an mir herunter auf das schwarze Stretch-Spitzentop, das ich mir vor einer Stunde gekauft hatte. Es betonte meine Brüste ein bisschen mehr als normal, aber Baltic hatte nur Zustimmung für meine Wahl geäußert und war sogar so weit gegangen, seine Zunge kurz in das Tal zwischen meinen Brüsten gleiten zu lassen. Das hatte ich natürlich unterbunden – nach einer angemessenen Zeitspanne. »Ich habe es erst heute früh in einer kleinen Boutique gekauft. Es war heruntergesetzt. Findest du es zu gewagt?«
»Nein«, erwiderte Jim und beäugte meine Brüste voller Entzücken. »Wenn du dich vorbeugst, kullern sie dann heraus?«
Ich warf ihm einen bösen Blick zu. »Du bist ein Dämon. So etwas wie hochgeschnürte Brüste sollte dir nicht mal auffallen.«
Er verdrehte die Augen. »Ich bin vielleicht ein Dämon, aber ein männlicher Dämon. Du könntest mich in den tiefsten, dunkelsten Kerker Baels werfen und mir die schrecklichsten Foltern zufügen, und selbst dann würden mir solche Prachtexemplare auffallen, und ich müsste die ganze Zeit daran denken.«
Ich machte eine unhöfliche Bemerkung und wandte mich zur Tür, um mich probehalber kurz vorzubeugen. Nichts passierte. »Schon gut, du kannst deine Zunge wieder einstecken«, sagte ich zu dem Dämon, als ich mich wieder zu ihm umdrehte.
»Du kannst einem auch jeden Spaß verderben. Hey, was ist das da auf deiner linken Titte?«
Ich blickte an mir hinunter und zog den Rand des Tops über das Sippenzeichen. »Das geht dich nichts an. Wo ist Brom?«
»Er packt seine Sachen. Nimmst du ihn mit? Aisling hat gesagt, er würde ein paar Tage bleiben, weil dein verrückter Freund Gabriels Haus wieder in die Luft jagen wollte.«
»Mein verrückter Freund wird nichts dergleichen …« Ich hielt gerade noch rechtzeitig den Mund. »Ich habe keinen verrückten Freund, und niemand, den ich kenne, wird Gabriels Haus in die Luft jagen. Und deshalb will ich jetzt hier meinen Sohn abholen. Ich hoffe bloß, du hast Broms Hirn nicht mit unpassendem Gerede über Brüste und Baltic vollgestopft. Er ist erst neun.«
»Nein, er ist ein guter Junge. Außerdem hat Aisling mich gewarnt, wenn ich ihm meine Sammlung von Tittenbildern zeigen würde, würde sie meine Eier an die Wand nageln. Also waren wir brav. Na ja, wir sind bis zwei Uhr morgens aufgeblieben und haben uns alte Horrorfilme angesehen, weil Ash und Drake mit dem Nachwuchs für ein paar Tage aufs Land gefahren waren. Aber ich habe versprochen, auf Brom aufzupassen. Und was bringt es schon, bis zwei Uhr morgens aufzubleiben, wenn man nicht fernsieht, oder?«
»Ich werde ihn mir vorknöpfen, weil er so lange aufgeblieben ist«, sagte ich stirnrunzelnd.
Der Dämon grinste. »Ach, gönn ihm doch das bisschen Spaß. Ich habe ihm auch die Fotos von meiner Freundin Cecile gezeigt.«
Mir fiel der Unterkiefer herunter. »Du hast eine Freundin?«
»Ja, einen schwarzen Welsh Corgi mit einem flauschigen weißen Bauch und Ohren, die geradezu danach schreien, dass man an ihnen knabbert. Sie ist das süßeste Ding auf vier Beinen. Zwar ist sie nicht mehr die Jüngste, aber das ist okay; schließlich bin ich ja selbst auch schon über dreitausend Jahre alt. Wer ist das da im Auto?«, fragte er und blickte an mir vorbei zu Baltic.
»Nur ein Freund, der mich gefahren hat.« Ich trat einen Schritt zurück, um ihm die Sicht zu versperren. Gerade überlegte ich, womit ich den Dämon noch ablenken könnte, als die Haustür erneut aufging und Brom mitsamt seinem Rucksack auftauchte.
»Sullivan, können wir noch mal ins British Museum gehen?«
»Ich wünsche dir auch einen guten Morgen«, sagte ich und umarmte ihn.
»Morgen. Ja? Maata hat gesagt, sie geht noch mal mit mir hin, wenn Gabriel und du einverstanden seid.«
»Äh …« Ich blickte zum Auto. Baltics Silhouette war zu erkennen, und seinen Bewegungen nach zu urteilen, wurde er ungeduldig. Ich hatte eingewilligt, in seinem Haus zu bleiben, wollte aber Brom diese Neuigkeit nicht gerade vor Jim mitteilen, der sie bestimmt sofort an Drake weitergeben würde.
Kurz war ich abgelenkt, weil ich innerlich schmunzeln musste, als mir klar wurde, warum Drake mir so bekannt vorgekommen war, als ich ihn auf dem sárkány das erste Mal gesehen hatte. Bei der Erinnerung daran, wie er mit den drei Frauen aufs Zimmer verschwunden war, fragte ich mich, ob er sich wohl wirklich geändert hatte oder ob er immer noch der alte Frauenheld war.
»Sullivan?« Brom stupste mich an.
»Wir reden später darüber, okay? Jetzt fahren wir erst mal. Schön, dich wiedergesehen zu haben, Jim.«
»Das Kind hat nichts wie Mumien im Kopf«, sagte Jim zu mir. Plötzlich sprang er zur Seite und eilte an mir vorbei auf das Auto zu. »Hey, ist das wirklich der, für den ich ihn halte?«
»Beim Heiligen Kreuz!«, fluchte ich und stürzte ihm hinterher. Brom folgte mir. »Jim! Komm hierher! Bei Fuß!«
»Das funktioniert nur, wenn du mein Dämonenfürst oder sein ausgewiesener Stellvertreter bist, aber das bist du ja nicht«, sagte er und blieb beim Auto stehen. »Ich glaub, mich knutscht ein Elch! Das ist …«
Ich hielt ihm die Schnauze zu und blickte zum Haus. Die Haustür öffnete sich, und Suzanne trat heraus. Suchend blickte sie sich nach Jim um.
»Bei allen …« Ich riss die hintere Autotür auf und rief Brom zu: »Steig vorne ein.«
»Was machst du mit Jim?«, fragte er und blieb stirnrunzelnd stehen, als ich den Dämon ins Auto schob.
»Ich habe anscheinend in der letzten Zeit nichts Besseres zu tun, als ständig irgendwen in irgendwelche Autos zu schieben. Steig einfach ein, Brom! Jim, so wahr mir Gott helfe, wenn du mich beißt, beiße ich zurück!«
Der Dämon riss die Augen auf, als ich meinen Arm fest um seinen Brustkorb legte und ihn mit aller Kraft vorwärtsdrückte. In einem Gewirr aus Armen und Fellbeinen fielen wir in den Wagen.
»Fahr los!«, schrie ich Baltic zu und kämpfte mich unter den Hundebeinen hervor.
»Was ist los?« Baltic warf uns über die Schulter einen finsteren Blick zu. »Warum bringst du denn einen Dämon mit? So was können wir nicht gebrauchen, Gefährtin. Lass ihn laufen.«
»Hiiil …«, heulte Jim zwischen zusammengebissenen Zähnen hindurch, weil ich ihm immer noch die Schnauze zuhielt.
»Wow, du bist der Typ, der hinter Sullivan her ist«, sagte Brom und setzte sich auf den Beifahrersitz. Er und Baltic schauten einander an.
»Hiiilf …«
»Du hättest eigentlich mein Sohn werden sollen«, sagte Baltic zu Brom.
Jim schlug mit beiden Hinterbeinen aus und wand sich aus meinem Griff.
»Ich werde entführt!«
»Okay«, sagte Brom nach kurzer Überlegung. Die beiden nickten, als sei das Thema damit erledigt.
»Aisliiing!«
»Sei still, du ätzende kleine Fellkugel!«, schrie ich und drückte ihn auf den Boden des Wagens, als Baltic, der endlich Suzanne bemerkt hatte, die oben an der Treppe nach Jim rief, Gas gab und losschoss. Er wendete so rasant auf der Straße, dass er um ein Haar einen Lieferwagen von Harrods gerammt hätte. »Das hast du dir selber zuzuschreiben! Wenn du nicht so neugierig wärst, bräuchte ich das nicht zu tun!«
»Aisling verpasst dir eine Tracht Prügel, wenn sie herausfindet, was du mit mir machst«, sagte Jim. Er wischte absichtlich seine Lefzen an mir ab und hinterließ lange, schleimige Spuckefäden.
»Ach, glaubst du? Na, vielleicht sollte deine kostbare Aisling sich besser in Acht nehmen, ich bin nämlich nicht so ein verhuschtes kleines Häschen, weißt du. Ich bin eine Magierin und mit dem übelsten Typen in der Drachenwelt zusammen«, sagte ich und blickte mich suchend nach etwas um, mit dem ich die Spucke abwischen konnte.
Brom warf Baltic einen forschenden Blick zu. »Bist du das?«
»Ja. Wenn du mein Sohn wärst, wärst auch du ein gefährlicher Typ.«
»Hmm«, meinte Brom nachdenklich.
Hinten im Auto fand sich nichts, kein Taschentuch, kein Handtuch, keine Serviette. Ich musterte das Fell des Dämons.
»Das wagst du nicht!«, keuchte er.
»Wenn du mir weiter Ärger machst, dann wage ich noch viel mehr, als dich mit deiner eigenen Spucke zu beschmieren«, drohte ich ihm, während ich mich bückte, um meinen Arm an der Fußmatte abzuwischen.
Er zog scharf die Luft ein. »Du liebe Güte! Und ich dachte schon, Ash wäre gemein. Falls du jemals einen Job als Dämonenfürstin suchst, du würdest echt gut zu den anderen passen. Hey, ist das dein Nippel?«
Ich schrie erschreckt auf, setzte mich aufrecht hin und packte meine Brust wieder in die Bluse. Sie hatte den Vorbeuge-Test eindeutig nicht bestanden.
»Guck woanders hin, und … Baltic!«, schrie ich und zeigte auf die Seitenwand eines Gebäudes, gegen die wir zu prallen drohten, weil er sich umgedreht hatte, als er Jims Kommentar über meinen Nippel hörte. »Augen nach vorne! Pass auf!«
»Ich habe dich ausdrücklich gebeten, nicht deine Brust vor anderen Personen zu entblößen«, sagte er mürrisch und warf einen verärgerten Blick in den Rückspiegel.
»Jim ist keine Person, und ich habe mich auch nicht entblößt – ach, ist auch egal. Sieh bitte auf die Straße.«
»Das ist schwierig. Diese Leute können nicht richtig fahren«, beschwerte er sich und warf einem jungen Mann, der auf einem Motorroller an uns vorbeisauste, einen bösen Blick zu.
»Stadtverkehr ist immer schlimm – warte mal. Wie meinst du das, sie können nicht richtig fahren? Du kannst doch Auto fahren, oder?«
»Natürlich kann ich Auto fahren. Ich fahre doch, oder?«
»Oh, Mann.« Jim schlug die Pfote vors Gesicht. »Wir werden alle sterben.«
»Ja, du fährst«, sagte ich, »aber ich habe uns heute früh in die Stadt gefah … rote Ampel!«
Baltic trat heftig auf die Bremse, und wir schleuderten mitten auf die Kreuzung. Zum Glück war die Ampel gerade umgesprungen, deshalb konnten die anderen Autos gerade noch rechtzeitig bremsen.
»Hörst du bitte auf, mich mit unwichtigen Dingen abzulenken?«, sagte Baltic irritiert.
»Eine rote Ampel ist nicht unwichtig. Hast du überhaupt einen Führerschein?«, fragte ich.
»Ich bin elfhundert Jahre alt«, knurrte er und riss das Lenkrad herum, damit wir von der Kreuzung abbiegen konnten. »Ich brauche keinen weltlichen Führerschein.«
»Wir sind verloren, ich sage es euch, wir sind verloren!«, jammerte Jim.
»Das ist ein Zebrastreifen!«, schrie ich, als Baltic beinahe zwei alte Damen mitsamt Rollator niedergemäht hätte.
»Ich habe sie nicht berührt«, sagte Baltic beleidigt. »Du regst dich immer viel zu sehr auf, Ysolde.«
Ich blickte mich um. Eine der beiden kleinen Damen taumelte. Sie hatte die Hand an die Brust gepresst, während die andere eine obszöne Geste hinter uns her machte. »Okay, das reicht. Fahr links ran.«
»Warum?«
»Wenn meine fabelhafte Gestalt zerschmettert und bis zur Unkenntlichkeit verbrannt wird, würdest du dann bitte Aisling Bescheid sagen, damit sie mich zurückrufen kann?«, fragte Jim.
»Ach, sei doch still. Wir werden nicht … Baltic!«
»Was ist jetzt schon wieder?«, knirschte er. Seine Knöchel traten weiß hervor, so fest hielt er das Lenkrad umkrampft, während er in Schlangenlinien über die Straße kurvte und das Hupen, die Schimpfwörter und die Schreie des Entsetzens, die uns entgegenschallten, ignorierte.
»Das ist eine Einbahnstraße!«, brüllte ich. Ich beugte mich vor und schlang von hinten die Arme um Brom, in dem vergeblichen Versuch, ihn vor dem drohenden Tod zu bewahren.
»Ich fahre doch auch nur in eine Richtung!«
»Ja, aber in die falscheeee!«
»Wow!«, kam Broms Stimme aus den Tiefen meiner Brust, an die ich ihn gepresst hielt. »Man sieht tatsächlich deinen Nippel. Was ist das für ein Zeichen daneben?«
»Hör auf, auf meine Brüste zu gucken!«, brüllte ich ihn an. Baltic, der die Tatsache ignorierte, dass er sich in einer Einbahnstraße befand und mittlerweile über den Bürgersteig holperte, dass die Fußgänger nur so zur Seite stoben, drehte sich um, weil er unbedingt sehen wollte, wie sehr meine Brust aus meinem Top herausfiel.
»In diesem Laden kaufst du mir nicht mehr ein«, sagte er streng. »Ich halte nichts von diesen Entblößungsspielen. Sie erregen mich in keinster Weise, falls du das geglaubt haben solltest.«
»Halt an!«, kreischte ich und zeigte auf einen Parkplatz. Er verursachte beinahe eine Massenkollision, als er abbog.
Er hatte noch nicht ganz angehalten, als ich auch schon auf die Fahrerseite marschierte. Ich riss die Tür auf und zeigte auf den Rücksitz. »Ich fahre jetzt!«, erklärte ich.
Baltic kniff die Augen zusammen und blickte mich trotzig an. »Du stellst meine Fähigkeit infrage, ein Fahrzeug zu lenken, Gefährtin. Hör auf damit und setz dich wieder nach hinten.«
»Bitte«, wimmerte Jim von der Rückbank. »Lass sie fahren. Ich weiß nicht, wo ich noch einmal so eine großartige Gestalt finden soll.«
»Nun gut«, lenkte Baltic gnädig ein und stieg aus dem Wagen. Er sah betont auf meine Brust. »Aber du musst aufhören, allen deine Brüste zu zeigen. Ich muss feststellen, dass deine Wiedergeburt zu seltsamen sexuellen Vorlieben geführt hat, doch ich werde nicht zulassen, dass meine Gefährtin sich so zur Schau stellt. Wenn du sie entblößen möchtest, dann bitteschön nur vor mir. Das musst du einsehen, Gefährtin.«
»Oooh«, sagte Jim und setzte sich aufrecht hin. »Was hast du denn sonst noch für merkwürdige Perversitäten auf Lager, außer dass du deine Nippel zeigst, Soldie?«
»Ich entblöße mich vor niemandem!«, stellte ich klar. Aber dann blickte ich an mir herunter und sah, dass ich genau das tat. Rasch steckte ich meine rechte Brust wieder zurück in die Bluse, wobei ich sagte: »Nun, verdammt! Normalerweise tue ich das nicht. Und ich habe auch keine seltsamen sexuellen Vorlieben, du kannst dir also deine Kommentare sparen, Jim.«
»Du kannst nicht leugnen, dass du ein übergroßes Verlangen danach hast, Pavel dabei zuzusehen, wenn er mit …«
»Grr!«, schrie ich. Am liebsten hätte ich mir die Haare gerauft. Ich schlug Baltic die Hand vor den Mund.
»Wer ist Pavel? Und bei was will sie ihm zusehen?«, fragte Jim interessiert.
Ich warf ihm einen finsteren Blick zu und setzte mich hinters Steuer. »Steig ein«, sagte ich zu Baltic.
Er verschränkte die Arme. »Ich setze mich nicht neben einen Dämon.«
»Hey! Ich kann dich hören.«
»Ich setze mich zu Jim«, erklärte Brom. Er warf mir einen nachdenklichen Blick zu, als er nach hinten krabbelte.
»Da, siehst du? Mein Sohn gibt nach, damit du deinen Willen kriegst.«
»Mein Sohn«, sagte Baltic und bedachte mich erneut mit einem seiner bösen Blicke.
»Was?«
»Er ist mein Sohn. Das sollte er jedenfalls von Rechts wegen sein, und du hast doch gesagt, ich solle ihn wie meinen eigenen behandeln, also tue ich das. Ich erkläre ihn zu meinem Sohn. Du, Bram …«
»Brom«, korrigierte mein Kind ihn.
»Du hörst jetzt auf, der Nachwuchs des Räubers zu sein, der mir Ysolde gestohlen hat. Du bist jetzt mein Sohn.«
»Okay«, sagte Brom ungerührt.
»Siehst du? Ich habe alles geregelt«, erklärte Baltic.
»Reizend! Toll! Wunderbar! Ich besorge dir später ein T-Shirt mit der Aufschrift ›Dad des Jahres‹. Können wir jetzt endlich losfahren? Ich höre Polizeisirenen, und wenn wir nicht endlich hier verschwinden, werden wir einiges erklären müssen.«
»Ja. Dämonen-Entführung ist mittlerweile strafbar, habe ich gehört«, sagte Jim, als Baltic sich endlich auf den Beifahrersitz setzte.
Es war eine sehr lange Fahrt zurück zu Baltics Haus.
»Was tun wir hier?«, fragte Brom, als ich eine Stunde später hielt. Er spähte aus dem Fenster auf das weiße Gebäude.
»Wir bleiben hier bei Baltic.«
»Wie lange?«
»Bis wir Dauva wieder aufbauen können«, erwiderte Baltic und stieg aus dem Auto. Die Haustür ging auf, und ein Mann kam heraus. »Ah, Pavel ist wieder da. Gut.«
Ich blickte über das Autodach auf den Mann, den ich aus meinen Träumen kannte. Er kam die Treppe herunter auf uns zu, stolperte, als er mich sah, und riss die Augen auf. »Ist das … das kann nicht sein … ist sie es tatsächlich?«
»Ja«, sagte Baltic. Er trat zu mir, legte den Arm fest um meine Taille und zog mich an sich. »Meine Gefährtin lebt.«
»Und ich auch, obwohl das nicht an Baltics Fahrstil liegt«, erklärte Jim und pinkelte an den Hinterreifen. »Nett hier. Kann ich jetzt nach Hause gehen?«
»Nein«, sagte ich. Ich stieß Baltic den Ellbogen in die Rippen. Brom beobachtete uns fasziniert.
»Aisling wird ausflippen, wenn sie herausfindet, was du getan hast«, sagte Jim. »Und tolle Titten hin oder her, ich werde sie nicht aufhalten. Ich wollte heute nach Paris fahren, um meine hinreißende Cecile zu besuchen, und jetzt kann ich weder an ihren Öhrchen knabbern, noch an ihrem Hintern schnüffeln oder ihren Bauch lecken.«
Brom wandte seinen faszinierten Blick Jim zu.
»Hast du vor dem Dämon deine Brüste auch entblößt?«, fragte Baltic und zog zornig die Augenbrauen in die Höhe.
»Nein, natürlich nicht! Ich habe dir jetzt schon mehrmals gesagt, dass ich weder das Verlangen, noch die Fantasie oder sonst irgendein Bedürfnis habe, irgendetwas vor irgendjemandem zu entblößen, vor allem nicht meine Brüste. Also, hör auf, mir zu unterstellen, dass ich nichts anderes im Sinn hätte! Es stimmt einfach nicht, okay?«
Pavel, Jim und Baltic musterten meinen Ausschnitt.
Ich zog ihn hoch. »Grrr!«
»Über deine sexuellen Fantasien werden wir uns noch unterhalten müssen«, erklärte Baltic und zog mich in Richtung Haus.
»Ich habe keine exhibitionistischen Fantasien!«, schrie ich.
»Was ist exhibitionistisch?«, wollte Brom von Jim wissen.
Ich fuhr herum und bedachte den Dämon mit einem Blick, der ihn zum Grinsen brachte. »Wenn man gerne in kleinen Boutiquen einkauft«, sagte er.
»Wenn du dich nicht benimmst, Dämon, dann … dann …«
»Was dann?«, fragte er und legte den Kopf schräg.
Bevor ich antworten konnte, blieb Baltic stehen und schoss Laserstrahlen aus den Augen. Na ja, nicht wirklich, aber der Effekt war derselbe. Um den Dämon herum brach Feuer aus, und er jaulte und tanzte.
»Cool«, sagte Brom und blickte Baltic erwartungsvoll an.
»Schon gut, schon gut! Ruf deinen durchgeknallten Freund zurück! Ich benehme mich ja schon!« Jim versuchte, die Flammen auszupusten, die an seiner Rute emporzüngelten. »Nicht das Gemächt! Alles, aber nicht das Gemächt!«
»Dann sieh zu, dass du dich benimmst«, sagte Baltic und löschte das Feuer mit einem Wimpernschlag. Er wandte sich zu Pavel und sagte leise etwas zu ihm. Pavel blickte wiederholt in meine Richtung.
Seufzend zog ich mein Handy heraus, als wir die Eingangshalle betraten. »Am besten sage ich Aisling einfach, dass du bei mir bist, Jim, und damit ist es gut. Am Ende hat sie noch Angst, du seiest von jemandem entführt worden, der dich zerstören will.«
Jim verzog das Gesicht. »Ja, na ja, so gesehen …«
»Was ist denn?«, fragte ich, als er abbrach.
»Normalerweise würde ich mir ja keine Sorgen machen, weil Ash mich zu sich rufen könnte, sobald sie merken würde, dass ich entführt worden bin. Aber sie wird es gar nicht mitbekommen, dass ich weg bin. Obwohl, irgendwie schon, aber eigentlich auch nicht, wenn du verstehst, was ich meine.«
»Nein, nicht im Geringsten. Was redest du da?«
Jim seufzte. »Ich wollte gerade zum Flughafen, als du aufgetaucht bist. Suzanne hat wahrscheinlich gedacht, dass ich dorthin gefahren bin. Ich habe dir doch gesagt, dass ich nach Paris wollte.«
»Na ja«, erwiderte ich. »Du kannst bestimmt ein anderes Mal fahren.«
»Ich will hier nicht bleiben«, sagte Brom plötzlich und sah sich um.
»Warum nicht?«, fragte ich besorgt. Hoffentlich hatte Brom keinen falschen Eindruck von Baltics besitzergreifendem Verhalten bekommen. Oder vielmehr, den richtigen Eindruck, konnte jedoch die komplexe Beziehung, die sogar ich kaum begriff, ohne nähere Erläuterung nicht verstehen.
»Ich möchte in Gabriels Haus zurück. Da habe ich mein Labor.«
Baltic fuhr herum. »Was ist das denn? Mein Sohn sollte das Haus des silbernen Wyvern auf keinen Fall meinem vorziehen.«
»Gabriel hat Brom gesagt, er könnte einen Raum im Keller für seine Experimente benutzen. Er mumifiziert gerne Dinge.«
»Ich bin Mumienforscher«, erklärte Brom Baltic.
»Der silberne Wyvern hat dir ein Zimmer gegeben?« Baltic kniff die Augen zusammen. »Du bist mein Sohn. Ich gebe dir …« Er dachte einen Moment lang nach. »Ich gebe dir ein ganzes Gebäude. Nach Norden hin gibt es einen Schuppen – den kannst du benutzen.«
»Cool«, sagte Brom erneut, doch dann glitt ein Schatten über sein Gesicht. »Aber meine ganzen Sachen sind in Gabriels Haus. Mein Natron und mein Dehydrator und mein toter Fuchs und alles.«
»Ich gebe dir neue Sachen. Bessere Füchse, besseres Natron.«
Ich zog die Augenbrauen hoch. »Weißt du überhaupt, was Natron ist?«, fragte ich ihn.
»Nein«, erwiderte er und winkte ab. »Aber das Natron, das ich meinem Sohn gebe, wird von bester Qualität sein.«
»Ich hätte nichts dagegen, wenn du Gareth wegen Baltic verlassen würdest«, flüsterte Brom mir zu. Anscheinend gefiel ihm Baltics Entschlossenheit, seinen angeblichen Rivalen zu übertrumpfen.
»Danke. Ich behalte das im Hinterkopf«, sagte ich.
Pavel machte eine kleine Verbeugung vor mir. »Es freut mich, dich wiederzusehen, Ysolde. Es ist sehr lange her, aber du hast dich überhaupt nicht verändert.«
Baltic sagte etwas in einer Sprache, die ich nicht verstand.
Pavel wirkte ein wenig verwirrt und warf mir einen Blick zu, den ich nicht deuten konnte. Ich erwiderte: »Ja, es ist lange her. Und danke, für das Kompliment.«
Pavel nickte Baltic zu und verschwand in den Tiefen des Hauses.
»Brom, willst du nicht mit Jim hinausgehen und dich umschauen?«, sagte ich.
»Okay. Wir könnten uns den Schuppen anschauen. Vielleicht ist ja sogar etwas Totes darin …«
»Ein komisches Kind hast du«, sagte Jim über die Schulter, bevor er Brom folgte.
»Pass du nur auf deine Manieren auf«, warnte ich ihn. »Und versuch nicht wegzulaufen. Es wird dir nicht gefallen, wie Baltic mit nervtötenden Dämonen umgeht.«
»Ich muss noch etwas erledigen«, sagte Baltic und zog sein Handy heraus.
»Was denn erledigen?«, fragte ich misstrauisch. »Drachengeschäfte? Wenn das so ist, möchte ich mit dir darüber reden.«
»Nein, ganz normale Geschäfte.«
»Menschen-Geschäfte? Ich hatte keine Ahnung, dass Drachen sich damit auch befassen.«
Er zuckte mit den Schultern. »Der größte Teil meines Vermögens fiel an andere, als ich starb. Es dauert eine Zeit, um es wieder aufzubauen, und da ich Mittel dafür benötige, muss ich eben Geschäfte machen.«
»Oh. Ich wünschte, ich könnte dir helfen, aber als Lehrling verdiene ich nicht allzu viel, und wir leben von den jährlichen Manifestationen. Ich bin also ziemlich pleite.«
»Ich will kein Geld von dir, Gefährtin. Nur deine Liebe.«
Ich blickte den Flur entlang. Pavel ging gerade von einem Zimmer in ein anderes. »Äh … lebt Pavel hier mit dir?«
»Natürlich. Er ist mein ältester und vertrautester Freund. Im Gegensatz zu den anderen hat er überlebt.« Baltic blieb stehen, um die Nachrichten auf seinem Handy abzufragen. Er warf mir einen Blick zu. »Bist du sicher, dass du nicht scharf auf ihn bist?«
»Verdammt noch mal! Woher weißt du, was ich denke? Bist du etwa auch Gedankenleser?«
Er holte tief Luft. »Du bist doch scharf auf ihn!«
»Nein, bin ich nicht! Du liebe Güte, Baltic! Er ist mir völlig egal, jedenfalls in dieser Hinsicht. Ich war nur ein bisschen neugierig, ob … oh, mein Gott! Du hast doch nicht! Oh! Doch, du hast! Ich sehe es an deinem Gesichtsausdruck! Du hast ihm von meiner Fantasie bezüglich zwei Männern erzählt, oder?«
Besänftigt wandte Baltic sich seinem Handy zu und gab eine Nummer ein. »Ja. Er hat gesagt, wenn er das nächste Mal einen männlichen Liebhaber da hat, kannst du ihnen zusehen.«
»Oh! Ich glaube es nicht …« Ich boxte ihn auf den Arm. »Ich fasse es nicht, dass du es ihm gesagt hast! Ich würde am liebsten sterben, so peinlich ist das! Ich werde ihm nie wieder in die Augen sehen können. Das werde ich dir nie verzeihen! Wie konntest du mir das nur antun?«
Baltic blickte mich nur abwartend an.
»Glaubst du, er hat bald schon wieder einen Liebhaber bei sich?« Die Frage konnte ich mir nicht verkneifen.
Er runzelte die Stirn. »Ich weiß nicht. Bis es so weit ist, wirst du deine Lust an mir befriedigen müssen, und selbst dann darfst du nur zuschauen, nicht mitmachen. Und du wirst auch nicht deine Brüste entblößen, weder Pavel noch sonst jemandem gegenüber.«
Ich warf ihm einen Blick zu, bei dem eigentlich seine Hoden hätten schrumpfen müssen. »Ich habe kein Interesse an einer Orgie! Ich habe nur gesagt, dass das manchmal ganz interessant sein kann.«
»Ja, das hast du gesagt«, murmelte er düster und wandte sich einem Zimmer zu, von dem ich annahm, dass es sein Arbeitszimmer war.
Ich fluchte leise über diesen eigensinnigen, eifersüchtigen, schrecklichen Mann und fragte mich, welchen meiner männlichen Bekannten ich wohl mit Pavel bekannt machen könnte.