Kluftinger ließ sich am Montagmorgen Zeit, ins Büro zu kommen. Nicht, dass er mit Unlust dorthin gegangen wäre. Im Gegenteil, gerade am Beginn einer neuen Woche freute er sich regelrecht darauf, seiner Arbeit, die ihn trotz vieler Widrigkeiten ausfüllte, wieder nachgehen zu können. Und an diesem Wochenende hatte er sowieso keine wirkliche Ruhe gefunden, lag doch ein spektakulärer ungeklärter Fall auf den Schreibtischen der Kemptener Kriminalpolizei. Hinzu kam, dass am Samstag nicht nur die Zeitungen und das Regionalfernsehen, sondern auch der Bayerische Rundfunk und die Süddeutsche darüber informiert hatten. Und die sorgten dann dafür, dass selbst zahlreiche Boulevardblätter die Pressestelle mit Anrufen überschütteten.
Kluftinger genoss es dennoch, diesen Montag etwas später zu kommen, gemütlich in seiner Küche die Zeitung zu lesen, ausgiebig Toilette zu machen und sich dann mit zelebrierter Langsamkeit auf den Weg zu begeben. Dieses Ritual half ihm für kurze Zeit zu verdrängen, dass Montage, vor allem aufgrund der abendlichen Musikprobe, noch eine ganze Menge Unbill für ihn parat hielten.
Mit einer frischen Brotzeit gewappnet, betrat er schließlich ausnahmsweise nach allen anderen Kollegen sein Büro. Es blieb aber noch genügend Zeit, sich einen Überblick über die aktuelle Lage zu verschaffen, eine kurze Besprechung mit den Kollegen seiner Abteilung abzuhalten, bis Kluftingers Weg ihn zu einem festen Ritual der Polizeidirektion Kempten führte: dem »Jour fixe« am Montag um halb zehn. Übrigens eine Bezeichnung, die er trotz seines gespaltenen Verhältnisses zu Lehn- und Fremdwörtern durchaus goutierte. Immerhin nichts Englisches und für französische Begriffe gab es ja in Bayern eine gewisse, historisch begründete Tradition. Man sagte etwa auch Portemonnaie und Trottoir, warum also nicht »Jour fixe«, selbst wenn Lodenbacher diese Bezeichnung eingeführt hatte. Vielleicht würde sie ja auch irgendwann »Teambriefing« oder »Crewinformation« heißen. Und schließlich gab es für die täglichen morgendlichen Besprechungen der Abteilungen ja noch einen deutschen Namen: »Morgenlage«.
Lodenbacher eröffnete die Besprechung im großen Konferenzsaal mit einer kleinen »Presseschau«, die er mit besorgter Miene und mit fast vorwurfsvollem Ton vortrug. Es war also bereits so weit: Einige Zeitungen hatten die dpa-Meldung schon gedruckt. Kluftinger wusste genau, was Lodenbacher seinen Mitarbeitern auf den Weg geben würde, und hörte nur mit einem Ohr zu, als Lodenbacher im niederbayerischen Idiom Dinge sagte wie »nationole Aufmerksamkeit« oder »gwoitiger Zugzwang« oder »bis ins Ministerjum ganga«. Der Kommissar nickte dennoch bedeutungsschwer und versicherte anschließend seinem Vorgesetzten, man werde pflichtbewusst seine Arbeit tun, schließlich mache man das immer.
Kluftinger gab zunächst seine letzten Untersuchungsergebnisse bekannt und verkündete, dass man bei den Sensen wohl nicht recht weiter kommen würde. Zu viele Geschäfte böten diese an. Er erzählte noch, dass es sich beim gesuchten Gerät um die qualitativ hochwertigsten handele.
»Ma soit ned moana, doss heid überhaupt no oana a Sensn kaffd«, brummte der Kriminaldirektor und vergaß nicht hinzuzufügen »oba do siegd ma hoid, doss ma do in da Provinz san.«
Kluftinger reagierte nicht und erinnerte sich für einen Augenblick an eine Fortbildungsveranstaltung in einem Schlossgut zwischen Vilsbiburg und Hauzenberg, Lodenbachers Heimatort. Er hatte damals schreckliches Halsweh gehabt und zwanzig Kilometer nach Landshut in die nächste Apotheke fahren müssen. So viel zum Thema Provinz.
Dann war es Zeit, das Wort an Maier zu übergeben, der mit den Ermittlungen zu Sutters Unternehmen betraut worden war. Mit zittrigen Händen ordnete er einen Stapel Papier, der vor ihm auf dem Tisch lag. Obwohl diese Besprechungen zur absoluten Routine gehörten, war Maier jedes Mal aufgeregt, wenn er vor der Gruppe etwas vortragen musste. Kluftinger empfand es als eine Ironie des Schicksals, dass ausgerechnet Maier, der ihn sonst zu den unpassendsten Gelegenheiten mit seiner Geschwätzigkeit nervte, bei solchen Auftritten selbst Nerven zeigte. Manchmal tat er ihm fast leid, wenn er mitbekam, wie sein Mund immer trockener wurde, seine Stimme brüchiger und seine Bewegungen fahriger. Schlimm wurde es immer dann, wenn Lodenbacher eine Zwischenfrage stellte. Dann haspelte Maier sich, vom Chef mit strengem Blick bedacht, durch die Antwort. Doch Kluftingers Mitleid hielt sich in Grenzen; meist schaltete sich rechtzeitig die Erinnerung an irgendeine besonders unpassende Bemerkung seines Kollegen dazwischen.
Aus den Geschäftunterlagen sei zu entnehmen gewesen, begann Maier seinen Vortrag, dass die Firma »Steinbock Touristik« wie auch ihr Tochterunternehmen »Resona« zwei gesunde, florierende Unternehmen gewesen waren. Beide Firmen wiesen akzeptable Gewinne aus, obwohl sich Sutter sehr komfortable Chefgehälter genehmigte. Maier wollte das auf Lodenbachers Wunsch hin mit Zahlen belegen, fand aber beim hektischen Durchstöbern der Berichte nicht das richtige Blatt.
Er räusperte sich und fuhr einfach fort, nun mit einem merklich roteren Kopf als zuvor: »Ansonsten war er gar nicht so unbescheiden – die Investitionen in Büroräume und Einrichtung hielten sich in engen Grenzen. Was man, glaube ich, von seinem Privatleben nicht unbedingt sagen kann, aber das werden wir ja dann nachher noch vom Kollegen Strobl hören. Aber ganz koscher ist diese Firma auch nicht, meine ich. Und zwar nicht nur, weil sie Produkte verkauft haben, deren Wirkung nicht belegt ist, von dem dubiosen Geschäft mit den Kaffeefahrten ganz zu schweigen.« Für einen Moment schien Maiers Abscheu gegenüber Sutters Geschäftspraxis seine Scheu vor öffentlichen Reden zu überwiegen und er redete sich geradezu in Rage. »Also, wenn man mich fragt, das ist eine Abzocke an alten Leuten, die sich nicht mehr richtig wehren können. Das gehört meines Erachtens verboten!«
»Sochlich, Maier, bleibms bittschön korrekt, eahna Moanung kennans dahoam rauslossn, oba net im Dienst!«, wies Lodenbacher seinen Mitarbeiter zurecht. »Nochm Gsetz iss’ und olles ondre geht Eahna nix oo.«
Lodenbacher hatte augenscheinlich keinen guten Tag.
»Jawohl, Herr Kriminaldirektor«, gab Maier daraufhin unterwürfig zurück und Kluftinger meinte sogar, den Ansatz eines Dieners in seinem Kopfnicken zu erkennen. Dienstbeflissen und sehr eifrig fuhr Maier fort, nun peinlich darauf bedacht, jede persönliche Wertung zu vermeiden. Dennoch konnte er vor seinen Kollegen den Schock nicht verbergen, den der Rüffel des Vorgesetzten bei ihm ausgelöst hatte. Kluftinger bedauerte sich bereits jetzt dafür, dass er ihm nun den ganzen Tag mit Fragen wie »Meinst du, dass er mir das noch lange übel nimmt?« oder »War das denn arg schlimm?« in den Ohren liegen würde.
Wer aber Lodenbacher auch nur ein bisschen kannte, wusste, dass der sich schon zwei Minuten später gar nicht mehr daran erinnern würde. Nachtragend war er nämlich nicht. Nicht aus Menschenfreundlichkeit oder Großmut heraus, sondern weil bei ihm die Standpauken im Minutentakt erfolgten.
»Also, rein amtlich, quasi gerichtlich, sind Sutters Firmen ebenfalls bereits aktenkundig, das heißt, auffällig gewesen bislang«, fuhr Maier umständlich fort.
Kluftinger und Strobl warfen sich im selben Moment vielsagende Blicke zu.
»Inwiefern, Maier?«, fragte Kluftinger, bemüht, nun seine Ausführungen stärker zu lenken.
»Also, gegen Steinbock-Reisen und Resona wurden in der Vergangenheit mehrere zivilrechtliche Klagen angestrengt. Bisher aber wurde immer zu Gunsten Sutters entschieden.«
»Worum ging es in den Verfahren?«, wollte Kluftinger wissen.
»Das waren Leute, die mit den Produkten, die sie auf der Kaffeefahrt bestellt hatten, nicht zufrieden waren, oder solche, die kopflos und ohne groß nachzudenken irgendeinen Kaufvertrag unterschrieben haben und nun ewig abstottern sollten. Ich habe mir da zum Beispiel eine Akte angesehen, da hatte eine Frau von achtzig Jahren ein Riesenpaket von sogenannten Wellnessprodukten bestellt und auf Kredit gekauft. Nun wohnte die aber im Altersheim und fast ihre ganze Rente ging für das Heim, die Pflege und so weiter drauf. Sie hätte den ganzen Rest an Sutter zahlen müssen, um die Raten zu tilgen. Die Heimleitung hatte sich für sie eingesetzt und auf Auflösung des Vertrags geklagt. So weit, so gut, die Dame musste dennoch zahlen, die Rechtslage war da ganz eindeutig. Und das war kein Pappenstiel, da ging es um über zehntausend Mark.«
»Zehntausend Mark für diesen Wellnesskrampf?«
»Ja. Sie hatte eine Sprudelanlage für die Badewanne gekauft, obwohl sie nur eine Dusche hatte, mehrere Heizdecken und sage und schreibe fünf Zimmerbrunnen, für jede Feng-Shui-Zone einen.«
»Wie viele solcher Verfahren gab es denn im Laufe der Zeit?«
»Insgesamt fast zehn. Auch wenn die Dinge rechtlich nicht so klar waren – Sutter hatte verdammt gute Anwälte und die Prozessgegner meistens aus Kostengründen nur einen zweitklassigen Winkeladvokaten. Einmal musste ein beinahe Neunzigjähriger die Kosten für eine Reise zahlen, die er nie hätte antreten können – er hatte gedacht, mit der Postkarte würde er an einem Preisausschreiben teilnehmen, dabei hatte er sich damit für eine dreitägige Busreise nach Graubünden angemeldet. Auch diese wäre vollgestopft gewesen mit Verkaufsveranstaltungen und war obendrein viel zu teuer – zum Prozess ist es aber gar nicht mehr gekommen, weil der Mann kurz darauf gestorben ist. Und so oder so ähnlich lag es in allen Fällen, Sutter gab um keinen Preis auch nur einen Millimeter nach und pochte auf sein Recht. Es war absurd, dass die Richter ihm zähneknirschend immer Recht geben mussten.«
»Wie war denn eigentlich Sutters Werdegang? Allzu lange hatte er diese Firma ja noch gar nicht, oder?«, hakte Kluftinger nach, der überrascht war, dass Maier seine anfängliche Nervosität überwunden hatte und nun fast schon professionell wirkte. Lodenbacher hörte ebenfalls sehr aufmerksam zu.
»Nein«, erwiderte Maier, »er hatte die Kaffeefahrten-Firma seit sieben, die für die Magnetfeldprodukte seit etwa vier Jahren.«
»Und was hat Gernot Sutter vorher getrieben?«, bohrte Kluftinger nach.
»Moment.« Maier raschelte wieder in seinem Berg von Zetteln und Notizen. Ohne sein Diktiergerät schien er direkt aufgeschmissen. Kluftinger befürchtete bereits, dass Maier nun wieder den Faden verlieren würde, da fuhr dieser fort: »Auch das habe ich recherchiert. Also, er hat zunächst Versicherungskaufmann gelernt und war dann bei einer italienischen Versicherung in München angestellt. Dort hat er wohl einigermaßen flott Karriere gemacht, zumindest war er schon nach einigen Jahren Leiter einer Abteilung. Er muss ziemlich ehrgeizig gewesen sein. Sein Pech war nur, dass Mitte der achtziger Jahre die Firma ihre Niederlassung in Deutschland dichtgemacht hat und Sutter betriebsbedingt gekündigt wurde.«
Lodenbacher schaltete sich in Sutters Erklärungen ein: »Oba er hot nocha doch glei wieda a Stoih gfundn – do wo er Obteilungsleita war.«
Kluftinger schoss durch den Kopf, dass das nicht zwingend der Fall gewesen sein musste, denn Führungspositionen sprachen seiner Meinung nach nicht zwangsläufig für Kompetenz. Ein kurzes Grinsen huschte über das Gesicht des Kommissars, als er Lodenbacher ansah, dann hörte er Maier sagen: »Eben nicht, Herr Kriminaldirektor, eben nicht. Scheinbar hatte er Probleme, irgendwo unterzukommen. Er war zunächst als freier Versicherungsvertreter unterwegs, aber nur ein knappes Jahr, die Sache lief wohl mehr schlecht als recht. Dann war er Anlageberater, da gab es auch Meinungsverschiedenheiten mit seinem damaligen Kompagnon und er stieg aus der Firma aus. Trotzdem hatte er zunächst finanziell nicht allzu große Probleme, komischerweise eigentlich.«
An dieser Stelle hakte Kluftinger ein. »Wie kam er denn zu diesem Geld?«
»Na ja, er nahm immer wieder Vertreterjobs an. Irgendwann verkaufte er Traktoren für einen italienischen Hersteller, dann vertrieb er Zimmerbrunnen. Er hatte damit sogar einen Stand auf der Festwoche. Ich weiß noch, das war im Zelt bei der Sparkasse, gleich am … «
»Maier … «, unterbrach Kluftinger den Kollegen in einem Ton, der ihn dazu ermahnte, zur Sache zurückzukehren.
»Schon gut, ja. Und in der Zeit baute er offenbar Kontakte zu dieser ›Kaffeefahrten-Mafia‹ auf.«
Maier schien mächtig stolz auf diesen Begriff, und Kluftinger nahm bedauernd zur Kenntnis, dass sein Kollege Lodenbachers Rüffel überraschend gut verdaut hatte und allmählich wieder in Fahrt kam.
»Sutter hat dann jedenfalls vor sieben Jahren die Firma ›Steinbock-Reisen‹ gegründet und diese Ausflugsfahrten veranstaltet. Die gingen manchmal über mehrere Tage, meistens waren es aber Tagesausflüge in alle Himmelsrichtungen. Zuerst lud Sutter dazu externe Präsentatoren ein, die irgendwelche nutzlosen Dinge anboten, dann versuchte er seine eigenen Gesundheitsartikel an den Mann zu bringen. Finanziell stand Sutter dann da wie eine Eins.«
Kluftinger fragte in die Runde, ob die anderen noch Fragen hätten. Die Einzige, die sich zu Wort meldete, war Sandy Henske, die stets ein kurzes Protokoll des »Jour fixe« verfassen musste.
»Also, vielleicht bin ich die einzige hier, die das nicht weiß, aber warum heißen solche Fahrten denn eigentlich ›Kaffeefahrten‹?«, fragte die Dresdnerin in ihrer offenen, etwas naiven Art, die Kluftinger wegen einer unbestreitbaren Originalität mehr und mehr zu schätzen wusste.
Die Kollegen grinsten sich an und Lodenbacher lachte in sich hinein. Kluftinger holte Luft und wollte gerade zur Antwort ansetzen, da hielt er mit geöffnetem Mund inne: Er hatte keine Ahnung. Den Begriff Kaffeefahrt hatte er noch nie hinterfragt. Da aber Lodenbacher die in Kluftingers Augen nun mehr als berechtigte Frage der Schreibkraft offenbar sehr amüsant fand, beschloss er, ihm die Antwort zu überlassen.
»Wenn Sie unserer lieben Frau Henske das erklären wollen?«, sagte er deshalb.
Sofort verschwand das Lächeln aus Lodenbachers Gesicht und er wurde blass.
»I … oiso, I moan … «, druckste er herum, winkte dann aber ab und schnaubte: »Dös is doch jetzt wurscht. Schaugn ma, dass ma featig wearn. Dös is füas Protokoi überhaupts ned wichtig.«
Kluftinger nickte und freute sich ein bisschen, dass nun nicht Sandy, sondern der Chef als Depp dastand. Auch wenn er dafür sicher bald würde büßen müssen. Und tatsächlich ließ die Retourkutsche nicht lange auf sich warten.
Als Kluftinger nämlich zur Präsentation der Rechercheergebnisse zu Sutters privatem Umfeld überleitete, wurde er von Lodenbacher unterbrochen. Zu den Ermittlungen in Bezug auf Sutters Firmen habe er noch etwas anzumerken. Kluftinger wusste sofort, worum es ging: Sutters Mitarbeiterin hatte angerufen und den Leiter der Polizeidirektion Kempten verlangt, um zu fragen, ob es mit der Herausgabe der Akten an die Polizei seine Richtigkeit habe. Lodenbacher fuhr fort, er habe die beiden ermittelnden Beamten zwar schweren Herzens gedeckt. Er werde aber in Zukunft keinesfalls mehr Kopf und Kragen riskieren, um schlampige Mitarbeiter in Schutz zu nehmen. Er wisse wohl, von wem dieser Schlendrian ausgehe. Und auch wenn er Kluftinger dabei nicht ansah, wussten doch alle im Raum, um wen es ging.
Manche meinten wohl, sie seien Schimanski und könnten ohne Vorschriften ermitteln, ließ Lodenbacher weiter Dampf ab, aber Kempten sei eben nicht Berlin. Kluftinger freute sich derweil über die Tatsache, dass Schimanski, der Duisburger Tatort-Kommissar, zwar noch nie im Allgäu, aber eben auch noch nie in Berlin ermittelt hatte, und ertrug auch diese Standpauke, ohne sie sich im Geringsten zu Herzen zu nehmen.
Als Lodenbacher fertig war und sich schnaubend wieder setzte, sagte Kluftinger lediglich »Hm-hm«, nickte und bat Strobl, seinen Bericht über Sutters Privatleben abzugeben. Ein Verhältnis mit dem französischen Au-pair-Mädchen sei seiner Meinung nach ausgeschlossen, begann der. Sutter habe offenbar eine glückliche Ehe geführt. Überhaupt sei Sutter im Privaten ein überaus korrekter und integrer Mann gewesen.
»Er war sehr angesehen in Durach, die Leute, die wir befragt haben, sprachen immer von einer netten Familie. Sutter war im Förderverein der freiwilligen Feuerwehr, im Elternbeirat, hatte schon für den Gemeinderat kandidiert, war aber knapp gescheitert. Er muss auch ein guter Vater gewesen sein. Die Sutters waren wirklich eine Art ›Rama-Familie‹.«
In diesem Moment wurde Sandy Henske wieder unruhig und schaute Hilfe suchend zu Kluftinger, der sofort verstand.
»Bilderbuchfamilie«, flüsterte er ihr zu. Den Ausdruck kannte auch sie.
Strobl lobte weiter den Familiensinn des Ermordeten, als das Telefon im Konferenzraum klingelte. Sandy hob ab und winkte nach einigen Sekunden den Kommissar aufgeregt ans Telefon.
***
Einige Minuten später saß Kluftinger mit der Frau des Mordopfers in seinem Büro und schenkte ihr ein Glas Mineralwasser ein. Die wichtigsten Punkte waren in der Konferenz bereits besprochen worden und so war er richtiggehend froh, dass man ihm am Telefon mitgeteilt hatte, Frau Sutter sei in die Polizeidirektion gekommen und wolle unbedingt mit ihm sprechen. Auf diese Weise sparte er sich auch weitere Bußpredigten auf Niederbairisch.
Sophie Sutter trug einen schwarzen Hosenanzug und wirkte auf den ersten Blick gefasst, auch wenn ihr die Betroffenheit deutlich anzumerken war.
»Frau Sutter, wie geht es Ihnen?«, fing Kluftinger, sich erneut ganz auf eine psychologische Fortbildung besinnend, sanft und verständnisvoll an, um »das Eis zu brechen«.
»Es könnte besser sein, Herr Kommissar, das können Sie sich sicher vorstellen. Aber ich habe zwei Kinder, irgendwie muss das Leben für uns trotzdem weitergehen. Haben Sie schon Fortschritte gemacht in den Ermittlungen?«
»Ja gut, Frau Sutter, also, wir sind dabei.«
An Kluftingers eher inhaltsarmem Satz schien sie sofort zu merken, dass es nicht wirklich vorwärts ging.
»Herr Hauptkommissar«, fuhr sie fort und Kluftinger wunderte sich darüber, dass Sophie Sutter die korrekte Amtsbezeichnung kannte, die weder er noch seine Kollegen verwendeten. »Sie müssen mir versprechen, dass Sie den Täter finden.«
»Ja, Frau Sutter, das verspreche ich Ihnen. Verlassen Sie sich auf uns. Wir haben bisher fast alle Fälle aufgeklärt.«
Dass es in Kempten dennoch Tötungsdelikte gab, die seit zwanzig oder mehr Jahren ungeklärt waren, deren Akten immer wieder herausgezogen und mit aktuellen kriminaltechnischen Methoden überprüft wurden, musste er ihr ja nicht auf die Nase binden.
»Gut, wenn Sie das sagen, wo Sie doch der Leiter des Kommissariates sind, dann will ich Ihnen glauben.«
Wieder stutzte Kluftinger. Frau Sutter wusste sogar um die innere Organisationsstruktur der Kripo Kempten. Eigentlich war es nicht schwierig, schließlich stand sein Dienstgrad an der Tür zu seinem Büro. Für eine Frau in ihrer Situation aber beobachtete sie ihre Umwelt überaus genau und mit einem Blick für Details. Vielleicht wäre sie eine gute Kriminalerin geworden …
»Gernots Mörder muss büßen dafür, dass er uns das Liebste genommen hat. Solange dieses Monster frei herumläuft, können wir alle nicht in Frieden leben.« Sie zog einen Zettel aus ihrer Handtasche und faltete ihn auf, während sie ein bedeutungsschweres Gesicht machte.
»Schauen Sie, Herr Hauptkommissar, Sie hatten mich gefragt, ob Gernot Feinde gehabt hat, und ich habe mir darüber so meine Gedanken gemacht.« Sie legte ihm eine handgeschriebene Liste hin und fuhr fort: »Das sind vierzehn Personen, die möglicherweise für den Mord in Frage kämen.«
Noch bevor Kluftinger in irgendeiner Weise seinem großen Erstaunen Ausdruck verleihen konnte, redete sie weiter: »Ich habe bei jeder Person hingeschrieben, welches Motiv er oder sie haben könnte. Schauen Sie, der erste zum Beispiel, der ist Parteivorsitzender der gegnerischen Partei meines Mannes und der wollte auch verhindern, dass mein Mann für den Gemeinderat kandidiert. Dann wäre da unser Nachbar, dem wir die Unterschrift für einen Anbau, der direkt auf unserer Grundstücksgrenze gestanden hätte, verweigert haben. Dann haben wir da noch … «
»Frau Sutter«, versuchte Kluftinger den Redefluss der Frau zu bremsen, »das sind sicher Gründe, weshalb man auf jemanden eine rechte Wut hat oder jemandem böse ist, aber für einen Mord?«
»Man weiß doch nie, was in Menschen vorgeht«, warf Sophie Sutter ein und redete weiter von Vereinskollegen, die immer wieder beim Tennis unterlegen waren, vom bald achtzigjährigen Großonkel des Opfers, mit dem es Streitigkeiten über ein Grundstück gegeben hatte, das in gemeinsamem Familienbesitz war.
Offenbar war mit Frau Sutter etwas die Miss Marple durchgegangen. Er revidierte sein Urteil über ihren Spürsinn. Aber er kannte dieses Phänomen: Hinterbliebene von Mordopfern sahen bis zur Klärung des Falls oft in allen und jedem einen potenziellen Mörder. Nicht selten endete das in einer ausgewachsenen Paranoia.
Kluftinger versuchte deswegen, Verständnis zu zeigen: »Frau Sutter, wir werden diesen Hinweisen natürlich nachgehen, aber … « Mitten in dieses schwierige »aber«, das deutlich, aber nicht verletzend, das professionell, aber nicht überheblich klingen sollte, mitten in diese psychologisch schwierige Konjunktion platzte Maier, der kurz anklopfte und dann sofort gleichsam mit der Tür ins Zimmer fiel. Kluftinger warf ihm einen kurzen, bösen Blick zu und gab ihm zu verstehen, dass, was immer er wollte, es nicht so wichtig sein konnte, dass es eine Störung in diesem Moment rechtfertigte.
»Aber … es wird wahrscheinlich … «, fuhr Kluftinger fort und ließ Maier einfach links liegen.
Maier blieb aber im Zimmer und machte wilde Gesten in Kluftingers Richtung und hampelte dabei ungeduldig von einem Bein auf das andere. Offenbar wollte er seinen Vorgesetzten allein sprechen.
»Nun ja, wahrscheinlich werden wir bei diesen Verdächtigen nicht allzu viel Erfolg haben, denn das sind nicht gerade die klassischen Mordmotive. Aber herzlichen Dank für Ihre Mühe, Frau Sutter. Sie haben uns bestimmt weitergeholfen.«
Maier hatte nun begonnen, mit den Fingern zu schnippen und seltsam zu zischen: »Psst« und »Gssst« und ein undefinierbares Pfeifen presste er zwischen den Lippen hervor, so dass sich nun auch Sophie Sutter zu ihm umdrehte. Kluftinger jedoch beachtete ihn nicht, und da Maier sich nicht traute, seinen Chef zu unterbrechen und sich dadurch womöglich einen weiteren Rüffel eines Vorgesetzten einzufangen, zog er schließlich nach einer weiteren Minute Zischen und Schnalzen mit hängenden Schultern ab.
Kluftinger seufzte und zuckte seiner Zeugin gegenüber entschuldigend mit den Achseln. Er wollte sie gerade über das Verhältnis des Opfers zu seinen Schwiegereltern befragen, als das Telefon klingelte. Auf dem Display stand die Nummer von Maiers Apparat.
Der Kommissar hob erbost ab und bevor sein Gesprächspartner irgend etwas sagen konnte, zischte Kluftinger in den Hörer: »Kreuzkruzifix, Maier, jetzt nicht. Hab ich mich klar genug ausgedrückt?«
Mit lautem Krachen landete der Telefonhörer wieder auf der Gabel.
»Entschuldigung, Frau Sutter, mein Personal hat manchmal … «, sagte Kluftinger und fand selbst, dass er dabei wie ein Firmenchef im Kaiserreich klang.
»Sie sagen also, Ihr Mann hat sich gut mit Ihren Eltern und Ihrer Familie verstanden?«, nahm er das Gespräch wieder auf.
»Ja, und alle akzeptierten und mochten ihn ohne Vorbehalte.«
»Haben Ihre Eltern Ihnen beim Hausbau … «
Ein erneutes Läuten des Telefons unterbrach den Kommissar mitten im Satz. Auf dem Display stand »ISDN Wechsel«, was bedeutete, dass diesmal nicht vom Präsidium, sondern von außerhalb angerufen wurde.
» … geholfen, das heißt, finanziell unter die Arme gegriffen?«
»Gehen Sie doch ran, Herr Hauptkommissar, vielleicht ist es wichtig.«
Mit einer gemurmelten Entschuldigung nahm Kluftinger ab.
»Ja, Kluftinger? Maier, ja Kruzitürken, was … «
Auf diese Worte trat eine längere Stille ein und Frau Sutter konnte beobachten, wie Kluftingers Gesichtsausdruck immer verkniffener wurde.
»Jetzt grad? … Wieder? … Mein Gott! … Und wo? … Bei Weitnau? … Ja, ich komm mit.«
Während des letzten Teils des Gesprächs wurden die Pausen, in denen Kluftinger nichts mehr von sich gab, immer länger. Sophie Sutter sah, dass ihn das Telefonat schockiert hatte. Mit einem Schlag war alle Wut, alle Aggression aus seiner Stimme verschwunden und jegliche Farbe aus seinem Gesicht gewichen. Seine eben noch rosigen Wangen waren nun fahl, seine Nasenflügel weiteten sich, seine Kiefermuskulatur begann zu arbeiten und er atmete schwer. Langsam legte er den Hörer auf, sah Frau Sutter abwesend an und gab ihr zu verstehen, dass er dringend weg müsse und dass er sie auf dem Laufenden halte. Sie fragte noch, ob das Telefonat etwas mit ihrem Fall zu tun hätte, bekam aber keine Auskunft mehr. Mit einem hektischen »Auf Wiedersehen« blieb sie allein im Zimmer zurück. Etwas Schreckliches musste passiert sein.
***
Die Fahrt nach Waltrams bei Weitnau dauerte nur etwa fünfundzwanzig Minuten. Fünfundzwanzig Minuten, in denen keiner der drei Kemptener Kommissare auch nur ein Wort sagte. Vielleicht kam ihnen die Zeit bis zu ihrer Ankunft deswegen so lange vor. Kluftinger hatte sogar das Magnetblaulicht auf dem Dach seines Wagens befestigt, was er eigentlich sehr ungern machte, da er sich normalerweise lieber unauffällig durch die Straßen bewegte. Erst als sie von der Hauptstraße abbogen und auf einer kurvigen Straße auf ein Wäldchen hinter der kleinen Ortschaft zufuhren, durchbrach Maier mit einem »Das sind sie« das Schweigen im Auto. Sein ausgestreckter Zeigefinger wies auf die beiden Beamten, die dort standen, wo ein schmaler Feldweg im Wald verschwand. Ein Mann in Zivil stand bei ihnen.
Sonst war noch niemand zu sehen, sie waren offenbar schneller als die anderen alarmierten Kollegen gewesen. Als sie aus dem Wagen gestiegen waren und die kleine Gruppe am Fuß des bewaldeten Hügels erreicht hatten, begann einer der Beamten, den Kluftinger nicht kannte, grußlos und hastig zu sprechen: »Das ist Herr Preising. Er hat sie gefunden und uns angerufen. Offenbar beim Pilzesuchen. Als wir gekommen sind, haben wir gleich gesehen, was los war. Deswegen haben wir Sie auch sofort verständigt.«
Der Polizist schaute Kluftinger gespannt an, ganz, als erwarte er eine Anerkennung für sein Handeln oder zumindest eine Bestätigung, alles richtig gemacht zu haben.
»Was angefasst?«, brummte Kluftinger.
»Was … ich, ich hab Sie nicht verstanden«, antwortete der Polizist unsicher. Diese Unsicherheit verstärkte sich noch, als Maier ihm ein Tonbandgerät direkt unter die Nase hielt. Zwar waren die Beamten seit einiger Zeit gehalten, wichtige Einzelheiten auf Tonband zu konservieren; dass man aber Äußerungen von Kollegen aufzeichnete, war nicht nur unüblich, sondern galt geradezu als unhöflich. Maier lieferte damit den Lästereien vor allem der uniformierten Polizisten, bei denen er nicht viele Freunde hatte, neue Nahrung. Aber seit er sich auch noch selbst ein teures Digital-Gerät angeschafft hatte, machte seine Aufzeichnungswut vor niemandem mehr halt.
»Ob Sie was an-ge-fasst haben!«
»Nein, na ja, also nicht mehr als nötig. Dann haben wir uns sofort entfernt und alles so liegen gelassen, wie es war. Seitdem ist auch niemand mehr vorbeigekommen.«
Kluftinger wollte sich schon wegdrehen, da deutete ihm Strobl an, dass er doch noch etwas Versöhnliches zu den Männern sagen solle.
»Gut gemacht«, setzte er deswegen kaum hörbar hinzu.
Dann wandte er sich an den Mann, der ihm eben mit dem Namen Preising vorgestellt worden war.
»Was wollten Sie denn hier draußen?«, fragte er ihn, ohne sich vorzustellen. Im Augenwinkel nahm er wahr, dass sich Maiers Hand mit dem Diktiergerät über seine rechte Schulter schob.
»Ich bin Pilzsucher, müssen Sie wissen«, antwortete der Mann, ein unauffälliger Typ mit roter Regenjacke. Kluftinger wunderte sich, dass er so gefasst klang. Bevor er nachhaken konnte, fuhr er fort: »Ich bin da runtergestiegen, weil ich da eine gute Steinpilz-Stelle kenne. Und späte Heidelbeeren gibt’s hier auch.«
Kluftinger blickte sich um und sah tatsächlich überall ganze Teppiche der kleinen schwarzen Früchte. Noch bevor er darauf hinweisen konnte, dass das im Moment aber nichts zur Sache tue, zog Preising aus einer Tüte ein Gebilde aus Holz und Nägeln, das Kluftinger als so genannten Heidelbeerkamm identifizierte.
»Ich gebe offen zu, ich habe nicht gepflückt, sondern gekämmt. Ich weiß, dass man das wegen dem Naturschutz nicht darf, aber beim Pflücken geht ja nichts vorwärts. Und die paar Blätter, die man mit abreißt, die kommen schon wieder nach. Das hat aber hoffentlich keine Konsequenzen für mich … «
Kluftinger blickte zu Strobl. Der schüttelte irritiert den Kopf und zuckte mit den Achseln.
»Jedenfalls lag sie da. Und da hab ich Sie angerufen.«
»Sie haben gleich uns angerufen? Nicht erst einen Krankenwagen?«
»Also, nichts für ungut, aber vielleicht sollten Sie sich das Ganze erst mal anschauen. Dann können Sie mitreden.«
Kluftinger gefiel der Ton des Pilzsuchers überhaupt nicht. Außerdem hatte er selten einen Menschen getroffen, der so ungerührt auf einen derartigen Fund reagiert hatte, wie Preising. Außer seinen Heidelbeeren und den Pilzen schien ihn herzlich wenig zu interessieren.
»Maier … «, sagte der Kommissar nur und wies mit dem Kopf in Preisings Richtung. Maier deutete die Geste als Aufforderung, den Mann einer eingehenden Befragung zu unterziehen. Kluftinger wollte sich, wie von dem Pilzsucher vorgeschlagen, nun selbst ein Bild von der Lage machen.
Zusammen mit Strobl und dem uniformierten Beamten stapfte er den Weg entlang. Er hörte das Plätschern des Baches, der hier von Bäumen geschützt talwärts lief. Plötzlich blieb der Polizist stehen: »Da unten.«
Er hatte sein Gesicht Kluftinger zugewandt und zeigte über seine Schulter. Augenscheinlich war er nicht erpicht darauf, noch einmal das zu sehen, was Kluftinger nun erblickte: Sie standen an der Stelle, die vom Bach aus gesehen am höchsten lag. Ein etwa fünfzehn Meter hoher Abhang fiel ab zum eng geschlängelten Bachbett; auf der anderen Seite führte ein nur unwesentlich niedrigerer Hang wieder hinauf. Das alles nahm Kluftinger aber nur im Unterbewusstsein wahr. Denn sein Blick war fixiert auf den leblosen Körper, der dort unten lag. Vom Telefon wusste er schon, dass es sich dabei um eine Frau handelte. Erkennen konnte er das nämlich nicht. Sie lag auf dem Bauch und nur die untere Hälfte ihres Körpers war zu sehen. Gesicht und Oberkörper waren in den Bach getaucht.
Kluftinger brauchte ein paar Atemzüge, ehe er wieder klar denken konnte. Er hatte während der Fahrt versucht, sich auf die Situation vorzubereiten, aber nun musste er erkennen, dass er kläglich gescheitert war. Erstaunlicherweise wurde ihm nicht übel. Vielmehr fingen seine Knie an zu zittern und kalter Schweiß trat auf seine Stirn. Er strich sich fahrig mit einer Hand durchs Haar und schaute Strobl an. Der schien ebenfalls wie erstarrt. Kluftinger zwang sich, sein Standardprogramm für solche Situationen abzuspulen, um so die Fassung wieder zu finden. Er schloss die Augen, massierte seine Nasenwurzel und zählte innerlich langsam bis zehn. Dann trat er an den Rand des Abhangs und machte sich daran, hinunterzusteigen. Eine Hand auf seiner Schulter hielt ihn jedoch zurück.
»Lass. Die Spurensicherung … « sagte Strobl.
»Natürlich … « Kluftinger schüttelte über sich selbst den Kopf. Dass er beinahe einen solchen Anfängerfehler begangen hätte, führte ihm deutlich vor Augen, dass er am Rande seiner psychischen Belastbarkeit angelangt war. Er gab dem Uniformierten das Zeichen, mit der »Flatterleine«, dem rot-weiß gestreiften Plastikband mit der Aufschrift »Polizeiabsperrung«, das ganze Gebiet weiträumig abzusperren. Mit gesenktem Kopf trottete er dann in Richtung Wagen.
Er hatte das kleine Wäldchen, das nicht mehr als das von Bäumen gesäumte Ufer eines Baches war, noch nicht verlassen, da sah er schon die Kollegen aus Kempten vorfahren. Drei Streifenwagen, ein weinroter Audi und etwas weiter hinten ein Leichenwagen.
Aus dem Audi hüpfte ungelenk eine kleine Gestalt mit grünkarierten Hosen und einer dicken Hornbrille.
»Willi … «, sagte Kluftinger erleichtert und bekam als Gegengruß ein Kopfnicken. Renn kannte den Kommissar gut, er wusste, dass sein Magen bei Leichenfunden nicht immer mitspielte, aber er erkannte auch, dass er heute besonders mitgenommen aussah.
»Nicht gut?«, fragte er deshalb.
»Gar nicht gut«, antwortete Kluftinger.
***
Etwa eine Stunde später winkte Renn in seinem weißen Ganzkörperanzug mit Kapuze Kluftinger zu, dass er nun herunterkommen könne. Kluftinger hatte die ganze Zeit am oberen Ende des Abhangs gestanden und ihm und seinen Männern zugesehen. Hatte fasziniert beobachtet, wie sie wie Astronauten durch den Wald stapften, den Kreis um die Leiche immer enger zogen, wie sie alles, was ihnen irgendwie auffiel, feinsäuberlich in Tüten verpackten und beschrifteten. Er war hellhörig geworden, als Renn einmal ausrief »Ich hab was!« und hatte dann atemlos verfolgt, wie sie mit einem kleinen Mehlsieb vorsichtig eine staubige Substanz in einen Fußabdruck füllten, ihn mit Wasser begossen und schließlich ein Modell einer Sohle verpackten. »Alles, von dem wir nicht ausschließen können, dass es eine Spur ist, ist eine Spur«, sagte Renn immer, und Kluftinger war beruhigt, dass er heute hier war. Er wusste: Wenn es etwas zu finden gab, Willi würde es finden.
»Klufti, du kannst jetzt kommen«, schallte es plötzlich durch das Wäldchen. Georg Böhm, der inzwischen auch aus Memmingen eingetroffen war, gab das Startzeichen für den Kommissar, sich den Tatort genauer anzusehen.
»Auf geht’s«, hörte er nun auch Strobl hinter sich sagen. Zusammen mit Maier machte er sich bereits auf den Weg nach unten. Sie hangelten sich von Baum zu Baum, denn der Boden war durch die Feuchtigkeit und das Laub, das überall herumlag, glitschig und der Abhang war steil. Kluftingers Technik in solchen Fällen war, sich praktisch mit einem Fuß auf einen Stamm fallen zu lasen, um dann den nächstgelegenen Baum weiter unten auszumachen, der ihn wieder ein paar Schritte weiter bringen würde. Strobl und Maier waren bereits unten angekommen, als Kluftingers Technik versagte: Er verpasste seinen anvisierten Baum, geriet ins Straucheln und legte die letzten vier Meter auf dem Hosenboden zurück.
»Kreuzkruzifix«, fluchte er in die Stille und alle Köpfe ruckten herum. Er bekam einen roten Kopf, weil er mit seinem Fluchen genau das erreicht hatte, was er eigentlich vermeiden wollte: dass jeder sah, wie blöd er sich angestellt hatte. Dennoch lachte keiner. Maiers ausgestreckte Hand schlug der Kommissar mit einem ärgerlichen »Geht schon« aus, wobei sich sein Ärger hauptsächlich gegen sich selbst richtete.
»Na, mit der Pause warten wir lieber noch ein bisschen, oder?«, sagte Willi Renn und blinzelte den Kommissar kampfeslustig an. Er sah aus wie eine Zeichentrickfigur, die Kluftinger kannte, mit seinem Astronautenanzug und der dicken Brille.
Kluftinger ging gar nicht auf die kleine Stichelei ein. Er trat zu der Gruppe Weißkittel und sagte, weil ihm nichts Besseres einfiel: »Wie schaut’s aus?«
»Schlecht. Wir haben wohl einen Serientäter.«
Jetzt fiel es dem Kommissar ein: Renn sah aus wie die Stubenfliege Puck aus »Biene Maja«.
»Ja, das hab ich ja schon am Telefon gehört. Aber wie kommt ihr darauf?«
Böhm ging einen Schritt zur Seite. Jetzt hatte Kluftinger einen guten Blick auf die Leiche. Er schluckte. Sie lag bereits ohne Kleidung da, eine Tatsache, an die sich der Kommissar nie gewöhnen würde. Um vor Ort wichtige Spuren zu sichern, wurden Leichen immer gleich am Tatort untersucht und dabei auch ausgezogen. Es schüttelte den Kommissar. Der Zustand der Toten ließ – gelinde gesagt – darauf schließen, dass sie nicht erst seit gestern hier lag. Sie wies neben deutlichen Verfallserscheinungen auch Fressspuren auf. Kluftinger schwankte leicht, fing sich aber wieder und spürte kalten Schweiß seinen Nacken hinunterlaufen.
»Warte, bis du das siehst«, sagte Böhm und drehte ihren Kopf um. In ihrer Stirn klafften zwei große Wunden. Weil er den Kopf halb weggedreht hatte und sie nur aus dem Augenwinkel ansah, brauchte Kluftinger ein paar Sekunden, um zu erkennen, dass es keine normalen Wunden waren. Auf ihrer Stirn war die Zahl 11 eingeritzt.
»Übrigens die gleiche Schnittwunde am Hals.«
Der schreckliche Anblick ließ Kluftinger nun doch einen nie gekannten Brechreiz verspüren. Er hatte versucht, nicht so genau hinzusehen, aber jetzt, als Böhm den Kopf schon längst wieder umgedreht hatte und er gar nicht mehr hinschaute, war es, als habe sich der Anblick wie ein Foto vor seine Augen geschoben. Er wurde ihn nicht mehr los: Das Gesicht der Frau war kalkweiß, die Lippen blau. Strähnige Haare klebten an ihrem Kopf, der seltsam aufgedunsen war. Der Kommissar schloss die Augen, doch das Bild blieb. Er streckte einen Arm aus und stützte sich am Baum neben ihm. Dann hatte er die Übelkeitsattacke niedergekämpft. Doch ein leichter Schwindel blieb. Und er wusste auch, weswegen. Schuld war die Erkenntnis, dass er es tatsächlich mit dem gleichen Mörder zu tun haben musste. Ein Serientäter – schlimmer hätte es nicht kommen können.
Dieser Gedanke ließ sein Hirn langsam wieder anfangen zu arbeiten.
»Wie lange liegt sie schon hier?«, wollte er von Böhm wissen, der gerade dem örtlichen Bestatter bedeutete, herunterzukommen und die Leiche mitzunehmen. Doch der schien wie festgewachsen und blickte entsetzt vom Abhang herunter auf die Leiche. Es beruhigte den Kommissar etwas, dass selbst so ein »Profi« mit solchen Anblicken noch seine Probleme haben konnte.
»Das ist verdammt schwer zu sagen. Die Umstände, das Wasser … Ist ja sozusagen nur eine halbe Wasserleiche, der Unterkörper hat schließlich an der Luft gelegen. Und unten waren schon diverse Tierchen dran, nicht nur die Insekten. Also ich würde sagen, auch nach den Hämatomen von den Fesselspuren an den Handgelenken zu urteilen … eine Woche vielleicht. Möglicherweise auch etwas kürzer. Aber nach der Obduktion werde ich genauere Hinweise haben.«
Kluftinger durchfuhr es wie ein Blitz.
»Was hast du gerade gesagt?«, fragte er schnell.
»Na, dass sie vielleicht eine Woche … «
Kluftinger ließ ihn nicht ausreden: »Nein, danach. Danach!«
Der Kommissar war aufgeregt, weil irgendetwas, was Böhm gesagt hatte, eine Saite in ihm zum Klingen gebracht hatte. Ein Gedanke hatte für den Bruchteil einer Sekunde sein Bewusstsein gestreift und war wieder verschwunden. Ein wichtiger Gedanke.
Böhm wusste nicht, worauf der Kripobeamte hinaus wollte. Deswegen wiederholte er einfach seinen letzten Satz: »Ich habe gesagt, dass ich nach der Obduktion Hinweise darauf … «
Wieder unterbrach ihn Kluftinger.
»Der Hinweis … «, flüsterte er. »Natürlich. Der Hinweis!«
Die Umstehenden blickten sich fragend an.
»Beim letzten Mal hat der Mörder uns einen Hinweis hinterlassen. Ich meine, zusätzlich zur Krähe. Auch wenn wir ihn noch nicht verstanden haben – wenn es der Gleiche ist, dann hat er vielleicht auch jetzt etwas dagelassen.« Seine professionelle Denkweise verdrängte den Gedanken an den grausigen Fund. Kluftinger stand jetzt regelrecht unter Strom.
»Wir haben nichts gefunden«, wandte Renn ein, der nun seine Kapuze abstreifte. Auf seiner Glatze hatten sich unzählige Schweißtröpfchen gebildet.
Kluftinger sah sich um.
»Habt ihr alles abgesucht … ?«
»Natürlich. Sogar auf den Knien sind wir gerobbt.«
»Zefix, das wäre jetzt auch zu schön gewesen.«
Kluftinger fuhr sich mit der Hand übers Gesicht. Er wirkte konzentriert. Keiner sprach ihn an. Sie warteten alle auf einen seiner berüchtigten Geistesblitze. Und sie wurden nicht enttäuscht. Plötzlich riss Kluftinger die Augen weit auf und richtete den Blick nach oben. »Wenn ihr hier was hinterlassen wolltet, das gefunden werden soll, wo würdet ihr es platzieren?«, fragte er in die Runde und hielt seinen Kopf weiter im Nacken. »Natürlich«, sagte Renn und schlug sich mit der flachen Hand auf die Stirn. Dann blickte auch er nach oben.
Nach und nach taten es ihm alle gleich, auch Maier, obwohl er keine Ahnung hatte, warum alle in den Himmel starrten. Aber da das anscheinend alle außer ihm wussten, behielt er das für sich.
»Da! Da oben!«, rief Kluftinger plötzlich und zeigte auf eine Tanne. Er rannte hinüber und schob ein paar Zweige zur Seite. Nun sahen es auch die anderen. Ein paar Zentimeter über Kluftingers Kopf, an einem verödeten Ast, hing etwas.
»Eine Handtasche«, sagte Kluftinger und streckte die Hand danach aus.
»Finger weg!«, gellte ein Schrei durch den Wald und ließ nicht nur Kluftinger zusammenzucken. Normalerweise würde er so nicht mit sich reden lassen, aber er wusste, dass ihn Willi Renn, von dem der Schrei gekommen war, vor einer Dummheit bewahrt hatte. Zum zweiten Mal an diesem Tag hätte er die Arbeit des Erkennungsdienstes beinahe wesentlich erschwert.
»Die wird jetzt erst einmal eingetütet«, sagte Renn, der inzwischen neben dem Kommissar stand, und öffnete eine Plastiktüte. Dann machte er mit dem Kopf eine Bewegung nach unten, was Kluftinger als Aufforderung deutete, die Tasche hineinzulegen.
»Aber du hast doch grad gesagt, ich soll sie nicht anfassen«, protestierte er.
»Dann nimm halt einen Stock oder so was«, sagte Renn mit einem Seufzen.
Wie einen Lehrbub wollte sich Kluftinger aber doch nicht behandeln lassen. Deswegen antwortete er: »Ich soll sie dir ja nur holen, weil du mit deinen Einsfuffzig gar nicht hin kommst.« Dann nahm er einen Ast vom Boden, gabelte die Tasche auf und ließ sie in die Tüte gleiten.
»Muss ich ja auch gar nicht, wenn man seine Hiwis hat«, grinste Renn, als er das Plastik verschloss.
Kluftinger wollte es nicht auf ein weiteres Wortgefecht ankommen lassen, deswegen wechselte er das Thema: »Kann ich mal reinschauen?«
Renn blickte ihn über den Rand seiner Brille hinweg skeptisch an.
»Ungern.«
»Nur kurz. Wegen dem Hinweis.«
Renn legte die Stirn in Falten. »Also gut. Aber nix ohne Handschuhe anfassen.«
Kluftinger überhörte den Tonfall des Erkennungsdienstlers und nickte.
Als Renn die Tasche öffnete, wobei er sie in der Plastiktüte beließ, senkten sie beide den Kopf darüber. Sie erblickten allerlei handtaschentypische Dinge wie Taschentücher, Lippenstift, Schlüssel, einen Geldbeutel … Der Geldbeutel! Gleichzeitig blickten sich die beiden Polizeibeamten an. Renn nickte noch einmal, griff mit seinem behandschuhten Arm in die Tasche und öffnete das Portemonnaie. In einem durchsichtigen Fach steckte eine Visitenkarte. Kluftinger las laut vor: »Michaela Heiligenfeld. Autorin, Frauenheilkunde.«
Der Kommissar hielt kurz inne. Der Name kam ihm bekannt vor, aber im Moment konnte er ihn nicht einordnen. Auch Willi Renn schien zu überlegen, doch auch er kam zu keinem Ergebnis.
»Heiligenfeld, Michaela«, schrie Kluftinger über seine Schulter.
»Habt ihr das?«
»Haben wir, haben wir«, antwortete Maier dienstbeflissen in seinem Rücken. Dann hörte Kluftinger, wie er den Namen nach einem metallischen Knacken noch einmal leise wiederholte. Ein kurzes Grinsen huschte über Kluftinger Gesicht: Maier konnte sich einfach keine Namen merken, er sprach sie immer auf Band.
»Bitte, ich möchte so schnell wie möglich wissen, was sonst noch in der Tasche ist«, wandte sich der Kommissar noch einmal an Renn.
»Kein Problem, die knöpf ich mir morgen gleich als Erstes vor.«
»Nix da, morgen. Heute. Jetzt gleich, wenn wir zurückkommen.«
»Auch gut, dann eben gleich. Soll mir recht sein.«
»Ruf mich doch bitte an, wenn’s so weit ist, ich wär gern dabei.«
»Auch das, Kollege.«
Mit einem Kopfnicken in Willi Renns Richtung drehte er sich um und ging.
»Abmarsch, Männer«, rief er Strobl und Maier hinter sich zu, ohne sich umzudrehen.
Das Erklimmen des kleinen Anstiegs kostete Kluftinger zwar Kraft, aber die vermehrte Sauerstoffzufuhr löste auch etwas den Schleier, der sein Gehirn einzunebeln schien. Es ging ihm jetzt etwas besser. Dennoch erschrak er fürchterlich, als er beim Aufstieg mit seiner Hand in etwas Kühles, Glitschiges fasste. Als hätte ein Hund nach ihr geschnappt, zog er sie blitzartig zurück und hätte dabei fast wieder das Gleichgewicht verloren, hätte ein Baum in seinem Rücken nicht einen nochmaligen Sturz verhindert. Als er sich mit angewidert verzogenem Gesicht und auf alles gefasst die Stelle betrachtete, an der sich eben noch seine Hand befunden hatte, seufzte er erleichtert auf. Er hatte einen Steinpilz zerdrückt. Der Pilzsucher hatte Recht gehabt, hier konnte man tatsächlich noch fündig werden. Er selbst hatte fürs Pilzesuchen nie viel übrig gehabt, was vor allem daran lag, dass er nie welche fand. Er hatte sich eine Zeit lang an erfahrene Pilzsucher gehängt, aber selbst wenn er unmittelbar neben ihnen herlief, erspähten die immer zuerst etwas und sein Korb blieb meist leer. Diese Stelle entpuppte sich aber selbst für ihn als ein sicherer Tipp und er nahm sich vor, hier wieder einmal herzukommen – allerdings frühestens in einem Jahr, wenn auch die letzten Spuren der Leiche von der Natur beseitigt sein würden.
Als er schließlich am Rand des Abhangs angekommen war und nach unten blickte, tat es ihm um den schönen Pilz fast ein bisschen leid. Und er stellte mit Schrecken fest, dass der eben gefundene tote Menschenkörper keine derartigen Gefühle in ihm auslöste. Er beruhigte sich damit, dass er sich sagte, sein Mitgefühl sei in diesem Fall nur vom Grauen und der Übelkeit verschüttet worden.
Beim Einsteigen ins Auto bekam er noch mit, wie der Pilzsucher sich offenbar weigerte, den Tatort zu verlassen, und darauf beharrte, nach dem Abzug der Polizisten weiter auf Suche gehen zu dürfen. Kopfschüttelnd schlug Kluftinger die Tür des Passats zu.
***
Es war etwa halb fünf, als Kluftinger zusammen mit Willi Renn, dem Leiter des Kommissariats »Erkennungsdienst – K3«, dessen Büro in der Polizeidirektion Kempten betrat. Die Asservate des neuerlichen Mordfalles hatte Willi in einer großen Aluminiumkiste verpackt und Kluftinger brannte vor allem darauf, den Inhalt der Damenhandtasche genauer in Augenschein nehmen zu können. Unruhig wippte er deshalb mit den Füßen, als sich Willi eine Schutzhaube und Handschuhe überzog und sich an einen zum Labortisch umfunktionierten Schreibtisch setzte. Auch Kluftinger zog eine Haube auf und kam nach einem flüchtigen Blick in den Spiegel zu dem Schluss, dass er darin reichlich behämmert aussah. Aber darauf kam es nun auch nicht mehr an: Um seinen beim Sturz am Tatort dunkel verfärbten Hosenboden zu kaschieren, hatte er seinen Pullover um die Hüften gebunden, was er bei Männern in seinem Alter sonst immer als »affig« bezeichnete.
Während Willi Renn sich die Instrumente für die Untersuchung der Fundgegenstände zurecht legte, sah sich der Kommissar in dem kleinen Raum um. Er wirkte fast wie ein ganz normales Büro mit dem hölzernen Schreibtisch, der Schreibmaschine und dem Regal voller Akten. Allerdings gab es doch ein paar kleine Unterschiede. Da war zum einen die Kamera, die an die Schreibtischplatte montiert war, und die wie Röntgenaufnahmen wirkenden, abfotografierten Funde der Spurensicherung an der Wand, die die Aufmerksamkeit des Kommissars jedes Mal gefangen nahmen, wenn er Willi hier besuchte. Nein, für den sanften Schauder, der ihm auch jetzt wieder den Rücken hinunterlief, waren die Glasvitrinen im anderen Zimmer verantwortlich, dessen türloser Durchgang den Blick aller anzog, die hier hereinkamen. Neben Reagenzgläsern und allerlei technischem Gerät standen dort große Einmachgläser, in denen in einer gelblichen Flüssigkeit einzelne Finger, eine ganze Hand und noch andere, auf den ersten Blick nicht identifizierbare, aber ganz offenbar organische Objekte schwammen, von denen Kluftinger gar nicht wissen wollte, von welchen Teilen des Körpers sie stammten. Daneben stand ein Schädelskelett, in dessen rechter Seite ein großes Loch klaffte, das über die Schläfen bis zum Oberkiefer verlief.
Diese makabre Sammlung setzte sich aus Überbleibseln früherer Ermittlungen zusammen. Willi hatte dafür sogar über die Mauern der Polizei hinaus einen gewissen Ruf erlangt, da in einem Zeitungsbericht über seine Arbeit einmal eben jenes Gruselkabinett erwähnt worden war. Und Willi, eine Kapazität auf seinem Gebiet, sagte man nach, ein etwas sonderbarer eigenbrötlerischer Leichenfledderer zu sein. Ihn störte das nicht: Diejenigen, die ihn kannten, schätzten ihn sowieso, und bei den anderen verlieh ihm dieser Ruf einen spürbaren Respekt.
Kluftinger fühlte sich hier nicht besonders wohl. Selbst die Schaufensterpuppe, der des Öfteren die Kleidung von Mordopfern übergezogen wurde, um sie so besser fotografieren zu können, wirkte hier irgendwie unheimlich. Wenn er daran dachte, dass Willi hier, im Angesicht abgetrennter Gliedmaßen und Totenschädel, oft die ganze Nacht verbrachte, wurde ihm ganz anders zumute. Er hätte das nicht ausgehalten, vor allem nach Einbruch der Dunkelheit nicht.
Er fragte sich, was sich wohl die Straftäter dachten, die hier »erkennungsdienstlich behandelt« wurden. Man fotografierte sie von vorn, im Profil und im Halbprofil und nahm ihre Fingerabdrücke, was in Kempten noch immer mit Papier, Stempelkissen und Druckerschwärze geschah. Zwar war das K3 vor einigen Wochen mit einem neuen Fingerscanner ausgerüstet worden. Da Willi den aber noch nicht ausgepackt hatte, roch es im Raum immer noch nach Farbe – ein Geruch, für den der Kommissar nicht undankbar war, denn er wollte sich in Anbetracht der Einmachgläser im angrenzenden Zimmer nicht vorstellen, wonach es hier drin sonst gerochen hätte.
Dann wurde seine Aufmerksamkeit wieder auf Willi Renns Schreibtisch gelenkt.
»So, Klufti, dann öffnen wir mal unsere Schatztruhe!«, sagte er und ging nach nebenan. Kluftinger folgte ihm bewundernd. Er hatte großen Respekt vor der Fähigkeit seines Kollegen, die bisweilen äußerst unangenehmen Eindrücke seines Berufslebens wegzustecken. Gerade noch hatte er eine Leiche entkleidet, die seit einer Woche im Wald gelegen hatte, hatte sie untersucht und nun hatte er bereits wieder lockere Sprüche auf den Lippen.
Kluftingers Adrenalinspiegel stieg, als Willi den Deckel der Kiste hob. Seine Wangen fingen an zu glühen, wurden rot, wie immer, wenn er angespannt war.
Zunächst räumte der Spurensicherer einige Bögen schwarzen Kartons aus der Kiste, auf denen transparente Klebebänder hafteten.
»Jede Menge Tesafilm«, seufzte Willi, »das heißt wieder eine Weile am Mikroskop sitzen und Fasern zählen.«
Willi wühlte weiter zahllose Plastikbeutel aus der Kiste, bis er schließlich den mit der Handtasche gefunden hatte. Er ging damit zu einem kleinen Tischchen und Kluftinger folgte ihm. Er wollte jetzt nichts verpassen. Er sah Willi über die Schulter, aber schon bewegte sich der wieder zu einer Arbeitsplatte, auf die er nun den Inhalt der Tasche auszubreiten begann. Kluftinger ging ihm nach und handelte sich dabei einen bösen Blick Willis ein, der sich durch allzu viel körperliche Nähe schnell bedrängt fühlte. Kluftinger verstand sofort und wich etwas zurück.
Mit spitzen Fingern beförderte Willi einige Gegenstände ans Tageslicht: einen Lippenstift, ein Schminkmäppchen, ein Feuerzeug, mehrere Bonbons verschiedener Marken, zwei Päckchen Taschentücher.
»Klassische Weiberutensilien, würd ich sagen«, kommentierte Willi gelassen. »Nichts Spektakuläres dabei, oder? Was die Frauen immer mit ihren Taschen haben. Als ob man das nicht alles in die Hosentasche oder die Jacke stecken könnte, wie es unsereiner auch macht.«
»Hm-hm.« Kluftinger war nicht nach Smalltalk zumute.
»Vielleicht haben sie die Dinger auch nur, um uns zu demütigen.«
»Hmm?«, brummte Kluftinger, der nicht richtig zugehört hatte. Willi legte die Tasche beiseite und holte tief Luft. Kluftinger fürchtete, dass nun eine der bisweilen fast philosophischen Betrachtungen seines Kollegen über das Alltagsleben folgen würde, die Kluftinger eigentlich durchaus schätzte – unter anderen Umständen jedenfalls.
»Schau dich doch mal am Wochenende in der Stadt um: Da siehst du massenhaft Männer in gesetztem Alter, die Damenhandtaschen tragen! Meistens stehen die vor einem Geschäft oder in einer Ecke der Wäscheabteilung herum. Sie müssen die Taschen ja ›nur mal schnell halten‹, weil ihre besseren Hälften gerade in der Umkleidekabine weilen oder die Sonderangebotstische durchwühlen. Irgendwie entmannt wirken die mit ihren femininen Täschchen. Am schlimmsten sind aber die dran, die die großen Ledertaschen tragen müssen, weil die Frauen sie mit Einkäufen vollgepackt haben und nun nicht mehr rumschleppen wollen.«
Kluftinger lächelte gezwungen.
Willi merkte, dass sein Exkurs nicht auf Interesse stieß, und wandte sich wieder dem Inhalt der Tasche zu.
»So, da hätten wir noch einen Rezeptblock von Frau Dr. Heiligenfeld. Stand denn auf der Visitenkarte, dass sie Ärztin war? Ich dachte, sie war Autorin … «
Auch Kluftinger konnte sich keinen Reim darauf machen. Wieder meldete sich das unbestimmte Gefühl, von einer Dr. Heiligenfeld schon einmal gehört zu haben. Willi reichte Kluftinger den Block, den die Tote wohl nur für Notizen genutzt hatte. Auf den ersten Seiten fanden sich einige Telefonnummern, was dann kam, wirkte wie die Mitschrift eines Seminars für Homöopathie: Kluftinger wusste, dass man bei dieser Art von Naturheilkunde mit Globuli und Potenzen hantierte, und diese Wörter tauchten mehrmals auf, wenn auch die Handschrift schwer zu entziffern war. Er war noch damit beschäftigt, zu überlegen, inwiefern diese Spuren verwertbar seien, und beschloss, alsbald alle Telefonnummern überprüfen zu lassen, da gab Willi ein vielversprechendes Raunen von sich.
»Hast du noch was?«, fragte Kluftinger aufgeregt.
»Ich würde mal sagen, das erinnert uns an was, oder?«, triumphierte Kluftingers Kollege und hielt eine Fotografie hoch. Kluftinger verstand das als Aufforderung, sie näher zu betrachten, und nahm sie ihm aus der Hand, was Renn wiederum veranlasste, sie ihm blitzschnell wieder zu entreißen.
»Herrgott, Klufti. Das Berühren mit den Pfoten ist verboten. Nur mit den Augen anschauen!«
Nur Willi durfte ihn so zurechtweisen.
»Schon gut, Herr Lehrer«, erwiderte Kluftinger gequält und beugte sich dann tief über das gefundene Foto, das Renn mit der Rückseite nach oben auf den Tisch gelegt hatte.
»Kreuzkruzifix!«, entfuhr es ihm. Auf dem Papier stand ohne weiteren Kommentar eine Zahlenkombination: III/2:4.(32). Sie las sich ähnlich wie die, die sie in Sutters Auto gefunden hatten. Wieder so ein kryptischer Hinweis, der ihm kein bisschen weiterhalf.
»Dreh es um, Willi … «
Was Kluftinger nun sah, half ihm etwa ebenso viel weiter wie die Zahlenkombinationen. Das Foto zeigte eine geschnitzte Holzstatue, nicht bemalt, sondern in einem honigfarbenen Braunton. Ob dieses Foto darauf hinweisen sollte, dass es sich bei den Zahlen um Bibelstellen handelte? Oder gar um Koransuren? Kluftinger wollte dem heute noch nachgehen.
Der Mönch oder Heilige auf dem Bild hatte die Hände gefaltet und trug eine Kapuze.
»Sagt dir das Bild was?«, fragte Kluftinger, ohne von der Fotografie aufzusehen.
»Nie gesehen.«
»Ich frag gleich mal rum, wer oder wo das sein könnte«, sagte der Kommissar, griff nach dem Bild und bekam dafür einen Schlag auf die Finger.
»Erst schau ma uns das mal ganz genau an. Wenn wir außer deinen Grabschern noch was drauf finden!«, dozierte Willi.
Kluftinger ärgerte sich über Willi, dessen Reaktion er überzogen fand. Wenn es um Spuren ging, wirkte er auf Kluftinger manchmal wie ein Besessener. Schon oft hatte er ihn mit hochrotem Kopf aus voller Kehle brüllend am Tatort gesehen, weil jemand die Absperrung, die er gezogen hatte, ohne seine Erlaubnis passiert hatte.
Kluftinger machte ein beleidigtes Doppelkinn und zog sich wortlos in eine Ecke des Labors zurück, von wo aus er Willi missmutig dabei zusah, wie er akribisch die Fotografie untersuchte.
Zunächst besah er sich unter einer großen, am Tisch installierten Lupe die Oberfläche und nahm dann an einer Stelle vorsichtig mit einem Klebestreifen eine Kontaktprobe. Dann bestäubte er das Bild mit silbern glänzendem Pulver, das er mit einer Art Rasierpinsel aus feinsten Haaren auftrug. Das Pulver blies er vorsichtig ab und heftete wieder einen Klebestreifen auf das Bild, den er abzog und unter sein Mikroskop legte. Er drehte sich nunmehr zu Kluftinger um und zeigte in Richtung des Stempelkissens, das für die Fingerabdrücke bereit lag. Kluftinger verstand nicht sofort und Willi setzte hinzu: »Reinhalten!«
Jetzt dämmerte es dem Kommissar. Das sollte wohl die Strafe für seinen Fauxpas von eben sein: Aber er gönnte Willi diese subtile Rache, zum einen, weil er heute nicht noch einmal mit ihm zusammenrauschen wollte, zum anderen, weil er sich auch ein bisschen selbst für seine Tollpatschigkeit bestrafen wollte. Den schwarzen Finger, mit dem er nun für den Rest des Tages würde herumlaufen müssen, sah er auch als Mahnung an sich selbst. Noch einmal würde ihm so etwas nicht passieren. Deswegen verkniff er sich die Bemerkung, dass seines Wissens nach die Abdrücke aller Kriminalbeamten im Computer gespeichert seien, um sie gegebenenfalls von echten Spuren unterscheiden zu können. Er nahm sich also die Abdrücke und brachte Willi Renn den Papierstreifen.
Etwas überrascht, dass Kluftinger seiner Anweisung tatsächlich Folge geleistet hatte, und nach ein paar kurzen Blicken zwischen Blatt und Fotografie brummte er jetzt gar nicht mehr so unfreundlich:
»Mein Gott, da brauch ich kein Mikroskop. Das sieht ein Blinder mit Krückstock, dass das Kluftingers Wurstfinger sind auf dem Bild. Ansonsten hab ich nichts Verwertbares. Leider.«
Willi reichte ihm das Bild mit den Worten: »So, jetzt kannst du von mir aus Brotzeit drauf machen.«
***
Bedächtig, mit schweren Schritten und hängendem Kopf, stieg der Kommissar einen Stock höher zu den Büros seiner Abteilung. Für einen kurzen Augenblick wurde ihm die mögliche Tragweite des heutigen Tages bewusst: Wie Blei lastete auf seinen Schultern die Erkenntnis, dass ein und derselbe Mörder bereits zwei Menschen auf dem Gewissen hatte. Er trug schwer an der Verantwortung, den oder die Täter so schnell wie möglich dingfest zu machen, und es versetzte ihm einen Stich, wenn er daran dachte, wie sehr sie noch im Dunkeln tappten. Und nun wieder dieser seltsame, undurchschaubare Hinweis. Kluftinger seufzte und atmete schwer, als er die Glastür aufstieß, die den Weg zu den kleinen Büros seiner Mitarbeiter freigab.
Dort unterhielten sich Hefele und Strobl gerade leise miteinander, Maier nestelte missmutig an seinem Diktiergerät herum. Offenbar waren die Kollegen dabei, den Bericht über das heutige Geschehen für das Schreibbüro aufzusprechen. Maier als Diktiergeräte-Fan war dann immer der »Chef-Tontechniker«. Deswegen machte es ihm auch nichts aus, dass er seine digitalen Aufnahmen immer auf ein analoges Gerät überspielen musste, weil im Schreibbüro nur Kassetten angenommen wurden. Heute aber schien sein »Wunderwerk der Digitaltechnik«, wie er es erst bezeichnet hatte, ein ernst zu nehmendes Problem zu haben: Zwei Batterien lagen auf Maiers Schreibunterlage und der Beamte hatte alle losen Teile des Diktiergeräts entfernt. Während er mit einer Hand nervös auf das Gerät klopfte, blätterte er mit der anderen in einer kleingedruckten Gebrauchsanweisung. Ständig murmelte er irgendetwas vor sich hin und schien Kluftingers Erscheinen gar nicht zu bemerken. Stattdessen kam nun Strobl auf ihn zu, zog die Brauen hoch, zeigte mit dem Kopf in Richtung Maier und schüttelte dann mehrmals den Kopf. Kluftinger nickte nur. In diesem Fall verstanden sie sich ganz ohne Worte.
»Stell dir vor, wer unsere Tote ist! Du wirst überrascht sein!«
»Frau Heiligenfeld«, sagte Kluftinger, »das hab ich doch vorher schon gesagt.«
»Dr. Heiligenfeld, die Frauenärztin.«
»Ich weiß. Hast du nicht zugehört, als ich ihre Karte vorgelesen habe?«
»Doch, doch. Ich meine: die Frauenärztin. Aus Füssen. Die Abtreibungsärztin!«, versetzte Strobl ungeduldig.
»Hör auf!«, klang Kluftinger nun endlich wirklich überrascht. Jetzt war auch bei ihm der Groschen gefallen. Der Name war ihm ja gleich so bekannt vorgekommen. »Stimmt. Das war damals eine große Sache. So in den Achtzigern, oder? Drum also jetzt Autorin.«
Und nach einer kurzen Denkpause fügte er hinzu: »Dann ist sie ja sozusagen prominent. Das auch noch! Ihr klärt bitte alles Nötige zum Privatleben. Habt ihr Angehörige erreicht?«
»Sie lebt allein. Da kommen wir wohl erst morgen weiter.«
»Alles klar.«
Dann hielt Kluftinger seinem Kollegen das Foto aus der Tasche unter die Nase: »Sieh dir das mal an, Eugen.«
Der nahm es in die Hand und besah es sich genau. Derweilen durchbrach von hinten ein verzweifeltes »Herrgottsakra« die Stille. Maier hatte wohl tiefergehende technische Probleme.
»Sagt mir nix.« Strobl schüttelte den Kopf.
»Frag doch mal an Pfarrer«, riet er. Aus Strobls Hand wurde die Abbildung an Hefele gereicht, der sie in Ermangelung seiner Lesebrille weit vom Körper weghielt.
»Vielleicht in der Lorenzkirche? Oder der St.-Mang-Kirche?«
Strobl schloss das mit Sicherheit aus. Hefele ging mit der Fotografie zu Maier, der mittlerweile von heftigem Fluchen begleitet den gesamten Bericht aus Versehen gelöscht hatte. Er sah nur flüchtig auf und verkündete stolz, als wäre es die Entdeckung des Tages, es könne sich ja um einen Heiligen oder etwas Ähnliches handeln. Vielleicht stehe er in einer Kirche oder einem Kloster, man müsse halt mal rumfragen.
Wenn er sich mit seinen Diktiergeräten beschäftigte, blendete er seine Umwelt aus.
Kluftinger nahm das Bild wieder an sich, steckte es in die Tasche seines Jankers, zog es aber rasch wieder heraus, als Sandy Henske das Zimmer betrat. Vielleicht konnte sie etwas damit anfangen? Man konnte ja nie wissen. Sandy nahm sich das Foto und roch erst einmal daran, was Strobl mit einem Kopfschütteln bedachte.
Maier hatte derweil zweimal unbemerkt etwas gemurmelt und artikulierte dieselben Worte nun energischer: »Che-hef: Der Bönsch hat doch unlängst diesen Kunstraub gehabt, wo ein Allgäuer Ehepaar etwas aus dem schwedischen Museum geklaut hat. Vom König. Der kennt sich aus mit Kunst, vielleicht weiß der was.«
***
Einen Stock tiefer beugte sich Bönsch, der Mittvierziger mit der randlosen Brille, den sie »den Feingeist« nannten, lange über das Bild, hielt es gegen das Licht, wendete es, legte es schließlich auf den Schreibtisch und fällte sein Urteil: Möglicherweise stehe die Figur in einem Museum. Oder in einer Kirche.
***
Kluftinger hätte, als er um kurz nach sechs Uhr abends in sein Auto stieg, nicht mehr sagen können, wer von den Kollegen aus den verschiedensten Abteilungen von der Hundestaffel bis zum Streifendienst welche Vermutung bezüglich der Fotografie angestellt hatte. Fast alle aber meinten, man werde die abgebildete hölzerne Figur bestimmt in einer Kirche finden. Er war froh, als er in die Straße zu seinem Haus einbog. Dr. Langhammer kam ihm dort auf einem voll gefederten Mountainbike entgegen – offensichtlich vom Tennisplatz, denn er war mit einer engen weißen Sporthose bekleidet und aus seinem Rucksack ragte das Ende eines Schlägers. Natürlich bemerkte er Kluftinger, grüßte sportsmännisch und schien sich über die scheinheilige Erwiderung durch den Kommissar zu freuen.
Ob der Quizkönig wohl wusste, woher die Figur kam?, schoss es Kluftinger durch den Kopf. Niemals, verwarf er den Gedanken sofort wieder, noch bevor er ihn richtig zu Ende gedacht hatte. Die mögliche Lösung des Rätsels hätte den wahrscheinlich immerwährenden Triumph des Doktors kaum gerechtfertigt. Er beschloss deswegen, Langhammer als Joker und allerletzte Möglichkeit in der Hinterhand zu behalten.
Das Läuten der großen Kirchturmuhr, es war Viertel nach sechs, brachte den Kommissar auf eine andere Idee: Vielleicht könnte er ja beim Altusrieder Pfarrer wegen des Bildes einmal nachfragen. Der war schließlich, auch wenn er mangels Einfühlungsvermögen nach Kluftingers Meinung seinen Beruf verfehlt hatte, sozusagen Experte für Sakralbauten.
***
Im Pfarrheim bekam er von der Haushälterin die Information, dass der Pfarrer in der Kirche gerade den Erntedankaltar für die Messe am Sonntag vorbereite. Auf dem kurzen Weg in das gegenüberliegende Gotteshaus hörte er schon vom schweren Eingangsportal aus, was innen gerade auf dem Programm stand. Das gleichförmige Gemurmel, das gedämpft nach außen drang, gehörte unverkennbar zu den von Kluftinger am meisten gehassten Ritualen der katholischen Kirche: dem Rosenkranz. Er versuchte die Türe leise zu öffnen, was ihm jedoch gründlich misslang, und so wurde er sofort von einem Dutzend Augenpaaren entgeistert gemustert. Der Zirkel, der sich zu diesem täglichen Ritus zusammenfand, war offensichtlich keinen Besuch von Außenstehenden gewohnt. Ihren gleichförmigen Gesang jedoch unterbrachen sie nicht.
Kluftinger tauchte seine Fingerspitzen in den Weihwasserbehälter, deutete mit fahrigen Bewegungen ein Kreuzzeichen an und nickte den Augenpaaren zu. Sofort wendeten sich diese von ihm ab und blickten in Richtung Altar.
Kluftinger musste wegen der massiven Säulen, die das Kirchenschiff trugen, ein paar Schritte gehen, um ebenfalls nach vorn sehen zu können. Vom Pfarrer keine Spur. Sein Blick fiel auf einen Kürbis und einen Korb mit Ähren, die ganz vorn in der Kirche standen – die ersten Utensilien für die Erntedank-Dekoration, von der die Haushälterin gesprochen hatte.
Da er den Pfarrer noch in der Sakristei vermutete, nahm Kluftinger in einer der Kirchenbänke auf der rechten Seite Platz. Als er sich umsah, bemerkte er, dass er der Einzige in dieser Hälfte war. Die Rosenkranz-Besucher waren allesamt Frauen und hatten sich in Dreier- und Zweiergruppen auf der linken Seite verteilt. Die meisten hatten ihre Köpfe inzwischen wieder gesenkt und blickten mit leeren Augen auf die Kette, die sie in ihrem Schoß zwischen den Fingern zwirbelten. Der Kommissar schätzte das Durchschnittsalter der Anwesenden auf knappe Siebzig – er hatte es mit seinem Besuch gerade erheblich gesenkt.
Die Frauen, von denen viele dicke Strickjacken in dunklen Farbtönen trugen und mit ihren dauergewellten Haaren nicht nur die Leidenschaft für den Rosenkranz teilten, sondern scheinbar auch den gleichen Frisör hatten, hatten sich in zwei Gruppen aufgeteilt: Die drei in der ersten Reihe begannen, worauf die restlichen Anwesenden etwa zwei Oktaven tiefer antworteten.
Kluftinger beschäftigte die Frage, was einen dazu veranlassen konnte, derart schöne Gebete wie das »Vater Unser« völlig ohne Modulation herunterzuleiern. Er hatte anfangs Mühe, sich einzuhören und die Worte voneinander zu unterscheiden. Als er es schließlich geschafft hatte, musste er lächeln: Die Betenden reicherten den Gesang mit Allgäuer Dialekt an: »Gegrüsetseischdumariavolldergnade. Derherrischmitdir … «
Er hatte einmal gehört, dass dieses ständige Herunterrasseln immer derselben Texte eine geradezu meditative Wirkung auf Betende ausüben konnte. Nicht so bei ihm: Ungeduldig hatte er als Kind immer die verbleibenden Kügelchen an der Gebetskette gezählt und sich ausgerechnet, wie lange er noch würde aushalten müssen.
Auch heute stellte sich bei ihm keine Gelassenheit ein, was aber eher daran lag, dass er mit einem bestimmten Anliegen hierher gekommen war. Genau in diesem Moment kam der Pfarrer mit einem Korb voller Äpfel und Birnen herein. Gleichzeitig wurde auch der Singsang lauter und büßte etwas an Gleichförmigkeit ein. Die Blicke der alten Frauen hefteten sich an den Geistlichen, als erwarteten sie ein Lob für ihr fleißiges Beten.
Mit einem Räuspern machte auch der Kommissar auf sich aufmerksam. Doch der Geistliche reagierte nicht, er kniete nun vor dem Altar und schichtete dekorativ die Früchte um. Immer wieder hielt er inne, legte den Kopf zurück und besah sein Werk.
Kluftinger räusperte sich erneut, und als das nichts nützte, hustete er ein paar Mal in seine Hand. Noch immer nahm der Pfarrer keine Notiz von ihm. Vielleicht die falschen Zeichen, dachte Kluftinger, schließlich gehörten Husten und Räuspern zur Grundmelodie eines jeden sonntäglichen Gottesdienstes. Pfarrer waren auf diesem Ohr wahrscheinlich längst taub. Also kniete sich Kluftinger geräuschvoll hin, schlug ein Gesangbuch auf, das in seiner Reihe gelegen hatte, und blätterte hörbar darin herum. Auf solche Störungen reagierte der Priester allergisch, das wusste er. Mit einer missbilligend nach oben gezogenen Augenbraue drehte der sich tatsächlich zu dem Störenfried um. Als sich ihre Blicke trafen, zeigte Kluftinger immer wieder mit dem Zeigefinger zuerst auf sich und dann auf sein Gegenüber, um dem Pfarrer anzudeuten, dass er ihn sprechen wolle.
Ungerührt von Kluftingers Gestikulieren wandte sich der Pfarrer kopfschüttelnd wieder seiner Arbeit zu. Dem Kommissar stieg die Zornesröte ins Gesicht. Doch seine Wut wurde von einem stechenden Schmerz überlagert, der ihm ohne Vorwarnung ins Knie schoss. Sofort erhob er sich und setzte sich in die Bank.
Dass sich sein Knie ausgerechnet jetzt bemerkbar gemacht hatte, fand er geradezu komisch, denn die Verletzung, die es derart lädiert hatte, dass er viele Monate danach noch daran laborierte, hatte er sich ebenfalls in Anwesenheit des Pfarrers zugezogen. Seitdem – Kluftinger hatte damals in den Augen des Geistlichen eine Beerdigung »entweiht« – standen die beiden auf Kriegsfuß. Vergeblich hatte der Kommissar seither auf das Einsetzen der quasi berufsbedingten Nachsicht des Pfarrers gewartet.
Er überlegte sich, ob er vielleicht später noch einmal wiederkommen oder den Priester ganz als Informationsquelle streichen sollte, ein Seitenblick auf den Rosenkranz einer der Betenden verriet ihm aber, dass das Ende der Prozedur nicht mehr lange auf sich warten lassen würde. Soweit er sehen konnte, waren die Frauen bereits bei den unteren Kügelchen ihrer Gebetsschnur angekommen. Jede Perle bedeutete ein »Gegrüßet seist du, Maria«, daran erinnerte sich Kluftinger. Gerade erklangen die letzten Zeilen des Gebetsreigens: »Führe alle Seelen in den Himmel, besonders jene, die deiner Barmherzigkeit am meisten bedürfen.«
Kluftinger setzte ein erleichtertes »Amen« hinzu, stand auf und bekreuzigte sich. Dabei fragte er sich, ob diese Worte auch für den Mörder galten, hinter dem er gerade her war. Er erhob sich aus seiner Bank und ging auf den Pfarrer zu, der ihn nach wie vor keines Blickes würdigte, während die Frauen die Kirche verließen.
»Herr … Herr Pfarrer«, begann Kluftinger sanft und beseelt von den gerade gehörten Gebeten mit dem festen Vorsatz, das Kriegsbeil mit dem Geistlichen zu begraben.
Der drehte sich um, zog seine Augenbrauen nach oben und antwortete mit einem langgezogenen »Hm?«
»Herr Pfarrer, ich bräuchte da mal Ihre Hilfe. Schauen Sie sich doch bitte grad mal das Bild da an … hier. Können Sie mir vielleicht sagen, wo das da ist?«
Er reichte dem Geistlichen die Fotografie, die der sich sehr lange ansah, dabei mehrmals tief ein- und ausatmete, sie ihm schließlich zurückgab und antwortete: »Nein. Auf Wiedersehen.«
Dann machte er auf dem Absatz kehrt, stolzierte am Altar vorbei, verneigte sich vor dem Kreuz und verschwand in der Sakristei.
Kluftinger blieb wie ein Schuljunge im Mittelgang der Kirche zurück. Auf dem Weg nach draußen fiel sein Blick auf den Beichtstuhl und er dachte sich, dass er für all die Verwünschungen, mit denen er den Pfarrer gerade belegte, schleunigst selbst einmal wieder einen solchen aufsuchen sollte.
***
Nachdem Kluftinger an der mit Winter-, Sommer- und Übergangsjacken voll behängten Garderobe nach einigem Suchen doch noch einen Platz für seinen Janker gefunden hatte, fiel das Bild, das ihn heute so beschäftigt hatte, unbemerkt aus der Tasche. Der Kommissar schloss die Wohnzimmertür hinter sich und löschte das Licht im Hausgang. Eine Weile war es dunkel in der Diele, nur dumpf drangen die Stimmen von Erika und ihrem Mann nach draußen.
Plötzlich durchschnitt ein Lichtschein die Finsternis, dann wurde das spärliche Ganglicht eingeschaltet. »Ein fürchterlicher Fall, ausgerechnet du musst den wieder kriegen«, sagte Erika Kluftinger auf dem Weg in die Küche. Noch immer lag das Bild unbemerkt auf dem Boden. Erikas Schritte stoppten kurz vor der Küchentür, machten kehrt und näherten sich der Fotografie. Wortlos hob sie die Abbildung auf, besah sie sich, nahm sie mit in die Küche, goss sich ein Glas stilles Mineralwasser ein, füllte ein weiteres, großes Glas mit Milch und nahm aus dem Kühlschrank ein Stück Zwetschgendatschi mit Butterstreuseln und Mandeln, den ihr Mann so liebte. Sie stellte alles auf ein rotes Sechzigerjahre-Tablett, legte das Foto dazu und ging zurück ins Wohnzimmer.
Kluftinger saß gedankenversunken am Esstisch.
»Du, das hat draußen am Boden gelegen, brauchst du das?«, versetzte Erika nebenbei, als sie Kluftinger die Milch und den Pflaumenkuchen hinschob.
Sein Blick fiel wieder auf das rätselhafte Foto.
»Ach, hör mir auf! Das lag bei der Toten. Wieder ein Hinweis für uns, mit dem ich nicht das Geringste anfangen kann. Ich hab schon alle möglichen Leute gefragt, keiner wusste, wo diese Figur stehen könnte. Wenn wir das wüssten, kämen wir vielleicht ein bisschen weiter«, sagte er und versuchte, das unangenehme Thema für heute zu beenden, indem er ein großes Stück Zwetschgendatschi aufspießte und in den Mund schob.
Erika nahm noch einmal das Bild zur Hand, hob dann den Telefonhörer ab und wählte.
»Sind das die Zwetschgen von meinen Eltern? Die sind fei richtig süß.«
Erika antwortete nicht.
»Wen rufst denn du jetzt an?«
Sie legte einen Finger an die Lippen und gab ihm so zu verstehen, dass er still sein solle.
»Mama, griaß di. Du, entschuldige, dass ich so spät anruf. Hab ich dich geweckt … ?«
Seine Mutter? Warum rief sie um diese Zeit seine Mutter an?
Auch wenn er die Antwort auf Erikas Frage nicht hörte, kannte er sie: Nein, sie habe sie doch nicht geweckt, sie wisse doch, dass sie nicht so früh ins Bett gehe. Nur der Vater sei schon schlafen gegangen. Selbst zu vorgerückter Stunde konnte man im Hause Kluftinger senior noch immer anrufen: Seine Mutter hatte einen ungefähr genau so gesegneten Fernsehschlaf wie seine Frau, eine weitere Parallele, über deren Entdeckung er wie bei allen anderen, auf die er im Laufe der Jahre gestoßen war, zunächst einmal heftig erschrocken war. Sie lag stets bis nach Mitternacht in eine Wolldecke gehüllt auf der Couch und konnte ziemlich gereizt auf die Aufforderung, doch ins Bett zu gehen, reagieren. Fragte man sie, was in den letzten anderthalb Stunden denn im Fernsehen gelaufen sei, sagte sie immer: »Ach, nix G’scheits!«
»Du, Mama, das hört sich jetzt vielleicht komisch an, aber neulich hab ich bei euch doch in so einem Prospekt von einem Kloster geblättert. Wo ihr bei eurem letzten Kirchenchorausflug … ja, genau, wo der Papa nicht mitwollte … wo war das? Genau!«
Erika vermied es, ihren Mann anzusehen. Der hatte zu essen aufgehört und saß erstaunt am Tisch.
»Na. Ich ruf dich morgen an und erklär’ dir alles. Schlaf jetzt gut! Ja, sag ich, pfiati.«
Der Gesichtsausdruck, den Erika ihrem Mann nun bot, zeigte eine Mischung aus Triumph, Freude und Stolz. Ein breites Grinsen zog sich über ihr Gesicht, das Kluftinger in diesem Moment genauso hübsch erschien wie bei ihrem ersten Zusammentreffen.
Erika setzte sich wortlos lächelnd an den Tisch.
»Buxheim. Die Kartause in Buxheim, mein Liebster!«
»Du meinst … «
»Nein, ich meine nicht, ich weiß. Und zwar, dass sich diese Figur hier in der Kartause in Buxheim befindet.« Sie lief nun zu echter Miss-Marple-Form auf. »Du bist ein guter Polizist, mein Schatz, aber wer weiß, was aus mir geworden wäre, wenn ich deinen Beruf ergriffen hätte. Ich beobachte nämlich meine Umwelt. Und merke mir Sachen und präge sie mir ein. Drum wusste ich auch noch, wo ich diese Figur schon einmal gesehen habe. Nämlich in einem Prospekt auf dem Sideboard im Wohnzimmer deiner Eltern. So einfach ist das.«
Kluftinger war baff. Da hatte er sich den ganzen Tag den Kopf zerbrochen, wie er die Gestalt auf dem Bild identifizieren sollte, und jetzt war ihm seine Frau – mit tatkräftiger Hilfe seiner Mutter
– einen kriminalistischen Atemzug voraus. Zweifellos war an der Sache mit der Beobachtungsgabe etwas dran. Wenn er etwas suchte – vorwiegend seinen Geldbeutel, seine Armbanduhr, seinen Autoschlüssel oder sein Handy –, wies ihm seine Frau in achtzig Prozent der Fälle mit knappen Positionsangaben wie »Liegt auf dem Fensterbrett in der Küche« oder »Lag heute früh im Bad« den Weg. Selbst wenn sich die Sachen an den abgelegensten Orten befanden, wie etwa auf der Ofenbank unter dem Sitzkissen, standen die Chancen nicht schlecht, dass Erika darüber im Bilde war. Er konnte sich das nicht erklären. Er hatte noch niemals Notiz davon genommen, wo Erika ihren Ehering ablegte. Er hätte sogar Probleme gehabt, nach mehreren Stunden mit seiner Frau ihre Kleidung zu beschreiben. Er tat ihren Vorsprung auf diesem Gebiet mangels anderer Erklärungen als typisch weibliche Begabung ab. Während er beruflich über ein geradezu fotografisches Gedächtnis verfügte, schaltete es privat bei ihm richtiggehend ab.
»Und du bist dir ganz sicher, dass es die Figur ist?«, fragte er mehr der Form halber, als dass er wirklich daran zweifelte.
»Hundertprozentig.«
Kluftinger schwankte zwischen aufrichtiger Bewunderung und unterdrückten Neidgefühlen: Durch einen Zufall hatte seine Frau ihm stundenlange Ermittlungsarbeit erspart. Zu gerne hätte er die Information sofort nachgeprüft. Wenn ihr Sohn Markus, der sich für den nächsten Tag angekündigt hatte, schon da gewesen wäre und wenn er seinen Laptop dabeigehabt hätte, dann hätte man im Internet … Aber Markus und mit ihm sein tragbarer Computer und das Wissen um die Bedienung des Internets weilten noch beim Studium in Erlangen.
Da kam ihm eine Idee. Buxheim lag gleich bei Memmingen, das wusste er. Mit den Worten »Wart g’rad mal« erhob er sich, ging zum Bücherregal und versuchte in diesem bunten Durcheinander einen Bildband zu finden, den er damals, zum zwanzigjährigen Dienstjubiläum, von Lodenbachers Vorgänger, einem gebürtigen und lokalpatriotischen Memminger, zusammen mit einem Fresskorb und einem Tag Sonderurlaub bekommen hatte. Zwar hatte er in dieses Buch noch nie hineingeschaut, er erinnerte sich aber auch nicht, es an jemanden weiterverschenkt zu haben, wie er es sonst mit ungeliebten Präsenten oft tat. Also musste es sich irgendwo im Bücherregal befinden. Wäre doch gelacht, wenn da diese Kartause nicht auch drin wäre, dachte er. Etwa fünf Minuten – in denen Erika weiterhin still grinsend hinter ihm gesessen hatte – und einige Flüche später lag das Buch vor ihnen auf dem Wohnzimmertisch. Und tatsächlich fanden sie auch eine Abbildung der Kartause und des historischen Chorgestühls. Erika hatte Recht gehabt. Klein, aber eindeutig war zwischen den vielen Holzschnitzereien auch die gesuchte Figur zu sehen.
Während Erika daraufhin zufrieden und mit beharrlichem Grinsen ins Bett ging, hing Kluftinger vor dem aufgeschlagenen Bildband noch eine Weile seinen Gedanken nach.
Er war voll des Respekts und der Zuneigung zu seiner Frau. Es war ein starkes Gefühl, das er vor sich selbst und vor anderen niemals explizit als Liebe bezeichnet hätte. Er war sich aber sicher, dass es nach all den Jahren genau das war. Nie hatte für Kluftinger in Frage gestanden, dass er und Erika zusammengehörten. Das hatte mit Vertrauen und gegenseitiger Wertschätzung zu tun. Und mit Erikas »Alltagsintelligenz«, ihrem Pragmatismus, ihrem Talent, einfache Lösungen zu finden; eine Eigenschaft, die ihm geradezu lebensnotwendig geworden war. Kluftinger grinste, als er an den Satz seiner Mutter denken musste, als Erika zum ersten Mal einen selbstgebackenen Kuchen zu Kluftingers mitgebracht hatte: »Mei, die Erika, des isch halt ein patent’s Mädle!«
Noch völlig mit seinen sentimentalen Reflexionen befasst, ging Kluftinger ins Bad und dann ins Schlafzimmer, wo Erika bereits leise schnarchte. Er küsste sie auf die Wange, bevor er sich auf seine Seite rollte und über den Gedanken an ihre Hochzeitsfeier einschlief, um diese Nacht mit seiner Frau im Takt zu schnarchen.