32.

»Hi.« Da war er und grinste. Seine hellbraunen Augen verschwanden fast unter den langen Ponyhaaren. Sein Gesicht war anders, als ich es in Erinnerung hatte, irgendwie kam er mir größer vor, erwachsener. Ich suchte in seinem Blick nach der Vertrautheit, nach dem Verstehen zwischen uns. Nach jenem Moment auf dem Dach. Er lächelte breit.

War es da? War es nicht da?

»Pi, schön, dass du wieder da bist.« Dann küsste er mich auf die Wange und flüsterte: »Na, meine Süße?« in mein Ohr.

Es war herrlich, aber ich wurde das Gefühl nicht los, dass etwas daran falsch war.

Mein neues Outfit versetzte sogar die himmlisch schöne Peace in Ekstase. »Oh, was hast du da bloß an? Das ist der absolute Wahnsinn! Oh Pi, die Schuhe! Schau dir bloß deine Schuhe an!«

Auch die anderen aus meiner Klasse reagierten heftiger als meine eigene Mutter. Charity gluckste und tänzelte um mich herum. »Unser lieber Tollpatsch ist noch am Leben! Wieso trägst du eine Hose von Kids-for-freedom?«

Jupiter lächelte selig; er schien mich wirklich zu mögen. Merkur hackte sich in den Lehrercomputer ein und schrieb »Sie ist wieder da« an die Tafel.

»Was ist denn hier los?« Mit schwungvollen Schritten betrat Gandhi den Raum. »Alle auf ihre Plätze. Peas Friedrichs, wir freuen uns über deine Auferstehung. Wenn du dich bitte trotzdem setzen könntest, damit wir mit dem Unterricht beginnen können?«

»Ja«, sagte ich, »natürlich.«

Lucky saß weiter vorne, zwischen den anderen Jungs. Ich wartete darauf, dass er sich zu mir umdrehte. Meine Blicke setzten seinen Rücken in Brand, verfingen sich in seinen braunen Haaren, aber er merkte nichts davon.

»Hast du deinen Tom vergessen?«, fragte Moon. »Macht nichts, mein Schusselchen. Kannst bei mir mit reingucken.«

Doch, jetzt. Lucky blickte über seine Schulter und blinzelte mir zu.

»Pi? Hier spielt die Musik. Versuch wenigstens, mitzumachen.«

Es war alles wie immer. Moon, lachend, strahlend wie ein Sommertag am See, wie das Licht auf den Wellen. Glück ging von ihr aus, und in der Freundlichkeit und Barmherzigkeit, mit der sie mich überschüttete, lag kein Groll. Keine Schatten von Hass und Verrat und von jener Nacht, in der Star gestorben war. Sie behandelte mich wie immer – wie die kleine dumme Freundin, die nichts auf die Reihe bekam.

Lucky blödelte mit Merkur herum. Es fiel mir schwer, ihn nicht die ganze Zeit zu beobachten.

»Du erinnerst dich aber schon noch an alles?«, fragte ich Moon, obwohl wir uns eigentlich mit der Wirkung von Farben beschäftigen sollten und Gandhi in etwa einer halben Stunde Vorschläge für die Verschönerung der Glückshalle erwartete.

»Ja«, antwortete Moon, während sie die Farbblätter auf dem Tisch in eine Reihe legte. »Das da, was meinst du? So ein sanftes Aprikosenrosa. Das beruhigt das Gemüt.«

»Moon«, versuchte ich es noch einmal. »Was ist passiert, nachdem Orion und ich durchs Tor gelaufen sind? Was haben sie mit euch gemacht?«

»Was schon?«, fragte sie. »Herr Stiller und Frau Zuckermann haben uns zurückgebracht. Wir haben unsere Glücksgabe bekommen, und jetzt geht es uns wieder gut. Wir sind glücklich. Sie haben uns ein spezielles Medikament gegeben, um zu verhindern, dass das Erlebnis der wilden Gefühle auf die nächste Generation überspringen kann. Daher dürfen wir nicht darüber reden, sonst nimmt man uns aus dem Partnerprogramm.«

»Das ist Schwachsinn«, sagte ich. »Wilde Gefühle werden nicht vererbt. Nur das Menschsein.«

»Hör auf, Pi. Lass uns arbeiten.«

»Moon.« Ich konnte nicht aufhören. Wie denn? Wie konnte ich so tun, als sei nichts passiert? »Du hast Gefühle, selbst jetzt noch, sonst hättest du keine Angst vor den Konsequenzen, oder?«

Gandhi tauchte vor unserem Tisch auf. »Alles in Ordnung?«

»Natürlich.« Moon lächelte ihn an, ihr Blick konnte Herzen zum Schmelzen bringen. »Ich habe die absolut passende Farbe für die Außenwand. Sehen Sie selbst!«

In der Pause versuchte ich mit Lucky zu reden. Es war unmöglich, denn Moon ließ sich nicht abschütteln. Sie tänzelte um mich herum, gnadenlos aufgedreht. Der Verdacht kam mir, ob man irgendwas an ihrer Dosis geändert hatte – oder hatte ich bloß vergessen, wie anstrengend sie war? Hatte meine graue Wolke, die alles gedämpft hatte, auch Moons albernes Getue erst erträglich gemacht?

Lucky stand herum, grinste, drehte sich nach allen Mädchen um, die in der Nähe waren. Zwinkerte mir mehrmals zu. Er sprach wenig, und alle meine Versuche, das Gespräch auf unsere Flucht zu bringen, blockte Moon sofort ab. Keiner der beiden fragte nach Orion. Keiner wollte wissen, wie es mir in der Wildnis ergangen war, wie es dort wirklich war, und sie winkten auch ab, als ich meine Rückkehr schildern wollte. Das Einzige, was Moon faszinierte, war meine megacoole Kids-for-freedom-Ausstattung. Sie sprang fast in die Luft, als ich beiläufig erwähnte, dass ich Truth Mozart begegnet war.

Eine weinende, verzweifelte Frau, die von mir wissen wollte, ob ihre Tochter noch lebte.

»Das haben die mir geschenkt«, sagte ich. Sie wollten nichts wissen? Gut, dann würde ich eben nichts erzählen. »Weil ich quasi verlorengegangen war.«

»Hast du ein Autogramm gekriegt?« Moon hakte sich bei mir unter, zog mich weiter auf den Schulhof, fort von Lucky, der die Gelegenheit nutzte, um einer Gruppe kichernder Mädchen zu folgen.

»Nein, aber wenn ich wieder Besuch von … von den Beamten bekomme, kann ich ja danach fragen.«

»Warum solltest du Besuch bekommen? Du bist ja wieder da. Wir leben einfach weiter, wie vorher.«

Hörte ich Verzweiflung in ihrer Stimme? Das musste ein Irrtum sein. Moon war randvoll mit Glück. Nein, korrigierte ich mich, mit dem, was man hier für Glück hielt. Mehr war es nicht. Eine billige Zufriedenheit, ein albernes Grinsen. Es war nicht echt.

Erstaunlicherweise wäre mir die Moon aus unserer Fluchtnacht, die hasserfüllte, zornige Moon, lieber gewesen als diese eifrige Freundin. Dann lieber die Verräterin. Es hatte mich erschreckt, es war gewesen, als würde ein Teil von mir sterben. Aber diese Moon, die Liebenswürdigkeit in Person, war bloß eine Schauspielerin, die sich künstliche Tränen an die Wangen klebte.

»Es gibt noch ein paar Dinge zu klären«, sagte ich. »Sie haben angedroht, dass sie noch mal mit mir reden.«

Es war noch nicht vorbei. Dr. Mozart hatte mich nur gehen lassen, weil er auf diese Weise an seine Antworten kommen wollte, und er hatte es eilig.

»Oh, da sind sie schon«, meinte Moon mit einer Spur Eifersucht in der Stimme. »Du bist ja fast eine Prominente, Pi, wer hätte das gedacht?«

Eine Gruppe wichtig aussehender Leute marschierte über den Schulhof. Überall, wo sie vorbeikamen, brandete Applaus auf.

»Sie ist es!« Moon keuchte plötzlich auf. »Truth Mozart. Frühlingswetter, sie kommt selbst!«

Die erfolgreiche Designerin höchstpersönlich, flankiert von graugekleideten Herren sowie einer Dame, die ich schon von weitem als Happiness Zuckermann erkannte. Das Kichern und Kreischen der Mädchen breitete sich wie eine Welle aus. Die Frau des Ministers wirkte heute ganz anders als gestern, von einer freundlichen und zugleich distanzierten Höflichkeit. Man sah ihr die Tränen nicht an. Lächelnd nahm sie die Huldigungen ihrer Fans entgegen und schrieb Autogramme.

Der ganze Auftritt schien mit mir überhaupt nichts zu tun zu haben.

Die Pausenklingel rief uns nach drinnen, aber natürlich kümmerte sich niemand darum. Erst als die Lehrer nach und nach auftauchten, um ihre außer Rand und Band geratenen Schüler in die Klassenzimmer zu holen, löste sich die Menge auf. Folgsam trotteten wir hinter Gandhi her, der einen Moment wartete, bis sich alle beruhigt hatten, und dann das Ergebnis unserer Gruppenarbeit verkündete.

»Moon und Peas haben gewonnen«, sagte er. »Nach einer kurzen Beratung mit den anderen Lehrern wurde ihrem gemeinsamen Vorschlag, für die Außenwand der Glückshalle ein sanftes Aprikosenorange zu verwenden, der erste Preis verliehen.«

Charity meldete sich. »Worin besteht denn der erste Preis?«

»In einem persönlichen Treffen mit Truth Mozart, die zum Komitee der Verschönerung unserer Glückshalle gehört«, erklärte Gandhi.

Vor Begeisterung klatschte Moon in die Hände. Es kam mir kindisch und albern vor, aber ich lächelte und versuchte, Freude zu heucheln.

»Ich bringe euch hin«, kündigte Gandhi an. »In der Zwischenzeit bearbeiten die anderen schon einmal Seite dreiundzwanzig.«

Im Flur war es still. Moons Absätze klackerten auf dem Boden. Das war neu. Früher hatte sie eigentlich nie so hohe, lärmende Schuhe getragen. Ich sah sie von der Seite her an und dachte an Savannah und ob es Frau Mozart nicht aus der Fassung bringen würde, einem Mädchen gegenüberzusitzen, das aussah wie ihre Tochter. Damit rechnete sie bestimmt nicht.

Allerdings wusste Happiness Bescheid über die Ähnlichkeit. Hatten sie Moon am Ende absichtlich mit mir zusammen für diese Ehrung ausgewählt?

»Zuerst du, Moon«, sagte Gandhi, als wir an der Tür zur Aula stehenblieben. Ein graugewandeter Herr stand draußen herum und schien sich für alles zu interessieren außer für uns.

»Dürfen wir denn nicht zusammen rein?«, zwitscherte Moon.

Gandhi schüttelte den Kopf. »Sie machen es lieber nacheinander, damit jedem von euch die volle Aufmerksamkeit zuteilwerden kann.«

Ich konnte einen raschen Blick in die Aula werfen, als die Tür sich öffnete. Die grauen Herren saßen am Fenster, Truth Mozart wie eine Schülerin auf der Bühne, sie ließ die Beine lässig über die Kante baumeln. Wie eine gute Freundin.

Der umherspähende Wächter machte mich nervös, daher war ich einverstanden, als Gandhi vorschlug, drüben am Kaffeeautomaten zu warten.

»Du musst etwas besser darauf achten, wie du dich gibst, Peas«, sagte er mit gedämpfter Stimme, während die schlammbraune Flüssigkeit in den Becher tropfte.

»Was?«

»Du benimmst dich anders als sonst. Deine Blicke. Wie du sprichst. Wie du gehst.« Er zählte seine Einwände gegen mein Benehmen hastig auf, was mir einerseits klar machte, wie sehr die Zeit drängte, andererseits eine Rückfrage in mir entstehen ließ, mit der er wohl nicht gerechnet hatte: »Und Sie?«

Er schüttelte den Kopf. Schlagartig nahm sein Gesicht wieder den üblichen amüsierten Ausdruck an. »Um mich geht es hier nicht, danke der Nachfrage. Ich kann nicht mehr tun, als dich zu warnen. Spiel mit. Spiel besser. Ich bin davon überzeugt, dass du das kannst.«

»Peas Friedrichs?«, rief der Wächter laut über den hallenden Korridor. »Du bist dran.«

Moon schwebte aus der Aula, ein verzücktes Glänzen in den Augen.

Ich nahm mir Gandhis Rat zu Herzen – über meinen Lehrer konnte ich mir später noch den Kopf zerbrechen –, rempelte mit der Schulter gegen den Türrahmen und schlitterte über den glatten Parkettboden der Aula direkt bis vor Truth Mozarts hochgezogene Brauen.

»Wie schön, dich wiederzusehen, Peas.«

Was hatte sie vorhin gefühlt, als Moon vor ihr gestanden hatte? Wie schaffte sie es, so zu tun, als wäre ihr das makellose Antlitz meiner Freundin gleichgültig, das dem ihrer Tochter so sehr glich? Ich versuchte mich zu erinnern. An die Pi, die, in ihre graue Wolke gehüllt, durch eine seltsame, wabernde Welt tappte und keinen Zugriff auf ihre klaren Gedanken hatte.

»Die Sachen sind toll«, plapperte ich drauflos. Schämen konnte ich mich später noch deswegen. »Nochmals vielen Dank. Alle beneiden mich darum und wollen wissen, wo ich sie herhabe.«

Frau Mozart lächelte dünn. In ihren blauen Augen wohnte eine Jägerin.

»Erinnerst du dich gerne an deine Zeit in der Wildnis, Peas?«

Als ob es Jahre her wäre und nicht erst vorgestern.

»Ich weiß nicht. Ich denke da gar nicht drüber nach«, stammelte ich und tat, als würden mich die tablettenförmigen Knöpfe ihrer pfefferminzduftenden Jacke überaus faszinieren.

»Gut«, sagte sie gefasst. »Aber sicherlich weißt du noch, wie es war. Die Bäume. Der Hubschrauber. Die wilden Männer.«

»Ja, klar«, antwortete ich artig. »Aber es ist irgendwie leicht verschwommen. So wie in einem Film, den man mal gesehen hat, wissen Sie?«

»Ja«, sagte sie. »Du bist ein braves Kind, Peas. Kannst du mir sagen, was die wilden Männer mit dem Mädchen gemacht haben? Mit dem blonden Mädchen, das so aussieht wie deine Freundin.«

Happiness Zuckermann trat ein paar Schritte näher, so langsam und leise, als würde sie auf Rollen herangleiten. Ihrem hübschen, leicht verkniffenen Gesicht gelang ein Lächeln. Ich spürte ihre Anspannung fast noch deutlicher als bei Savannahs Mutter. »Vielleicht sollte ich das übernehmen. Wenn sie etwas sagt, dass Sie lieber nicht hören wollen …«

»Mein Mann hat mich geschickt, genau deswegen. Für jedes Detail.« Die Designerin ließ sich nicht beirren. »Nun wieder zu dir, Peas. Wenn ich zufrieden bin, schenke ich dir noch einen Mantel aus meiner aktuellen Winter-Kollektion. Wie fändest du das?«

»Herrlich«, sagte ich und dachte an Ricarda und Jeskas alten Mantel in unserem Zelt. An Benni auf seiner Matte. An seinen kleinen, mageren Körper in meinen Armen. An Gabriel und wie glücklich er über die Jacke aus Fellfetzen gewesen war.

»Da war kein Mädchen wie Moon.« Ich sprach in die erwartungsvollen, kalten Augen der Mutter. Sie hatten alle solche Augen, die Mozarts. Blau. Heller und intensiver als Moons Augen. Kühl. Martys Augen waren blasser, grauer, nicht ganz so strahlend. Ernster. Vielleicht würde er nie so gut lügen können. Nie so perfekt sein. Nie so verächtlich wie sein älterer Bruder. Du machst mich krank, Savannah … Hoffentlich würde Marty nie so eine Stimme haben, eine Stimme wie splitterndes Eis.

»Das hätte ich doch gemerkt«, sagte ich und hoffte, dass ich nicht zu dick auftrug, dass Gandhis Rat mich weiterbrachte. »Die waren alle viel hässlicher als wir in Neustadt. Mit schmutzigen, strähnigen Haaren.«

Ich dachte nicht: Vergib mir, Jeska. Ich hörte auf, an sie zu denken. Stattdessen war ich Pi, benebelt, dumm, und doch nie so glücklich wie alle anderen. »Hier sind die Häuser viel hübscher.«

»Sie war da!« Frau Mozart beugte sich vor. Selbst ihr Atem roch nach Pfefferminz. »Sie war da, verdammt noch mal!«

»Vielleicht hast du sie nicht erkannt, weil sie einen Helm trug«, warf Happiness ein.

»Als ich den Helm genommen habe, war da kein Mädchen.«

Die beiden Frauen sahen sich an. »Wenn sie Savannah nicht in ihr Dorf gebracht haben, ist sie tot«, flüsterte Frau Mozart.

»Nein«, widersprach Happiness. »Das muss gar nichts heißen. Und sie haben gar keine richtigen Dörfer da draußen.«

»Meine einzige Tochter liegt irgendwo in einem Gebüsch, nackt und geschändet.« Frau Mozart schüttelte die Hand der Beamtin ab und wandte sich wieder mir zu. »Warum hast du das gemacht? Den Helm und die Kleidung genommen? Hattest du keine Angst vor dem Hubschrauber? Vor den Jägern?«

»Aber ich gehöre doch hierher«, sagte ich treuherzig. Es gelang mir, ihren Blick auszuhalten. Ich verbannte jedes Gefühl aus mir, wehrte alle Gedanken ab. Einen Moment lang war ich so ehrlich, wie ich nur konnte. Meine Sehnsucht nach zu Hause, mein Heimweh. Dieser Wunsch, endlich wieder zurückzukommen und wieder ich zu sein, dieser bittere, schmerzende Wunsch, der mich zerriss. Lucky. Und bitte nichts mehr fühlen, nie wieder irgendetwas fühlen.

»Sie weiß nichts«, meldete Happiness sich wieder zu Wort. »Wenn, würde sie es Ihnen sagen.«

Gesegnet seiest du, graugewandete Regierungsbeamtin, für deine unaussprechliche Ignoranz.

»Wenn sie tot ist, werden sie bezahlen«, flüsterte Truth Mozart. »Sie alle.«

Trotz des Entsetzens, das mich überkam, gelang es mir, den freundlichen, törichten Blick beizubehalten.

Hätte ich lieber behaupten sollen, Savannah würde noch leben? Sollte ich ihr schildern, wie ich Orion davon abgehalten hatte, die Jägerin zu erwürgen, und wie Orion Gabriel überzeugt hatte, sie könnte eine nützliche Geisel sein? Sollte ich damit drohen, ihre Tochter könnte getötet werden, wenn die Regs neue Jäger schickten? Sollte ich vielleicht gar den Vorschlag machen, dass sie mich und meine Eltern und Lucky gehen lassen sollten, im Austausch für das Kind des Glücksministers? Aber ich wusste nicht, ob Savannah noch lebte. Und wie das Ganze funktionieren könnte, ohne dass meine Freunde dort draußen niedergeschossen wurden.

»Wo sind sie?«, fragte Happiness. »Ihr gehört zu Paulus, stimmt’s? Welche Untergruppe?«

»Untergruppe?«, fragte ich blöde.

»Du weißt schon. Hirsche, Rehe, Wildschweine. Was?«

Wenn ich zum Beispiel den Wildschweinen die Schuld gab und die Jäger diese Gruppe suchten und umbrachten, würde ich damit leben können? Ich befand mich in der Zwickmühle; was auch immer ich sagte, war falsch.

»Ach so. Die Damhirsche«, antwortete ich. »Sie haben sich Damhirsche genannt.«

»Wo sind sie? Am See ist niemand mehr.«

»Ich weiß nicht …« Ich rieb mir die Schläfen. »Ich glaube, sie haben es erwähnt. Aber ich kann mich beim besten Willen nicht erinnern.«

Truth Mozart nickte. Sie war nicht zufrieden, aber sie brachte ein Lächeln zustande. »Danke, meine Liebe. Du darfst jetzt wieder zurück in deine Klasse gehen. Wenn es dir wieder einfällt, bekommst du den Mantel. Hier, ein kleiner Vorgeschmack.« Sie überreichte mir einen nagelneuen Tom. Das neueste Modell in einem so hellen Rosa, dass er beinahe weiß war. Sobald ich ihn berührte, leuchtete er auf und die Worte erschienen: »Du hast einen Kredit von dreihundert Mariolen im Haus Kids-for-freedom! Herzlichen Glückwunsch!«

Bevor ich meine Dankbarkeit beteuern konnte, bugsierte Happiness mich schon zur Tür.

Also ging ich zurück in meine Klasse, an Luckys Tisch vorbei, an seinem Zwinkern, seinem verschwörerischen Lächeln, zu Moon.

Ein Gefühl, als würde ich in der Falle sitzen.