4.

 

»Von un­ge­fähr ha­be ich Sie nicht mit in die Ro­bot­kar­tei ge­nom­men«, fuhr er fort. »Die Bil­der, Be­rich­te, Ver­dachts­mo­men­te und Be­rech­nungs­er­geb­nis­se, die Sie jetzt se­hen und hö­ren wer­den, sind uns seit et­wa drei Wo­chen be­kannt. Wir hät­ten längst zu­ge­schla­gen, wenn es uns mög­lich ge­we­sen wä­re. Es han­delt sich um einen Fall, bei dem die Bun­des­kri­mi­nal­po­li­zei nicht wei­ter­ge­kom­men ist, einen ty­pi­schen GWA-Fall al­so. Wir be­ar­bei­ten ihn prak­tisch vom ers­ten Ta­ge an. Im FBI-Haupt­quar­tier hat man be­grif­fen, daß da­bei kei­ne Lor­bee­ren zu ern­ten sind. Er­gän­zend möch­te ich Ih­nen noch sa­gen, daß nicht nur die Si­cher­heit der USA, son­dern die der ge­sam­ten Er­de auf dem Spiel steht.«

Ich hör­te Han­ni­bal er­regt aus­at­men. Selbst gab ich mich be­tont gleich­mü­tig. Dies war aber nur Mas­ke. Auch in mir brann­te die Fra­ge, was die förm­li­che Ein­lei­tung mit­samt den vor­an­ge­gan­ge­nen Si­cher­heits­maß­nah­men zu be­deu­ten hat­ten. Der Al­te war sonst da­für be­kannt, daß er einen Agen­ten nur in den al­ler­not­wen­digs­ten Wor­ten mit ei­ner Auf­ga­be ver­traut mach­te. Hier han­del­te er ge­gen sei­ne Grund­sät­ze.

Er er­hob sich und trat an das Steu­er-Schalt­ge­rät mit sei­nen un­zäh­li­gen Kon­trol­lam­pen, Ska­len, Schal­tern und Bild­flä­chen. Von dort aus wur­de das Elek­tro­nen­ge­hirn ge­steu­ert.

Er zog ein schma­les Ma­gnet­band aus der Ta­sche. Es war of­fen­sicht­lich in an­de­ren Ab­tei­lun­gen vor­be­rei­tet wor­den.

Re­ling schal­te­te. Zwei grü­ne Lam­pen leuch­te­ten auf. Ab­ge­se­hen von dem Sum­men ei­ni­ger Ge­blä­se ar­bei­te­te das GWA-Su­per­ge­hirn laut­los.

Re­ling leg­te die Mikro­band­spu­le in die Ab­ta­st­au­to­ma­tik. Von nun an hat­ten wir zu war­ten. Das Licht wur­de ab­ge­blen­det. Un­se­re Ses­sel schwan­gen her­um.

Vor uns lag die wand­fül­len­de Bild­flä­che, auf der das er­schei­nen wür­de, was das Ge­hirn wuß­te.

»Pas­sen Sie ge­nau auf«, for­der­te uns der Chef auf. »Sie wer­den spä­ter Fo­to­ko­pi­en der wich­tigs­ten Da­ten er­hal­ten. Ehe Sie das Haupt­quar­tier ver­las­sen, müs­sen die Ko­pi­en vor mei­nen Au­gen ver­nich­tet wer­den.«

Ich be­ob­ach­te­te die Bild­flä­che, auf der plötz­lich Schrift­zei­chen er­schie­nen. Das Ge­hirn hat­te al­so un­ter sei­nen vie­len Mil­lio­nen Da­ten schon die rich­ti­gen her­aus­ge­sucht. Er­le­di­gen Sie so et­was ein­mal in zwan­zig Se­kun­den! Aber nicht nur ein ein­zel­nes Ak­ten­stück, son­dern einen weit­ver­zweig­ten Vor­gang, in dem al­les ent­hal­ten sein muß, was zu dem be­tref­fen­den Fall ge­hört.

»Be­trifft Ein­satz der Agen­ten HC-9 und MA-23 zur be­son­de­ren Ver­wen­dung«, konn­te ich le­sen. »HC, laut Kar­tei Cap­tain Thor Kon­nat, MA-23 laut Kar­tei Han­ni­bal Othel­lo Xer­xes Utan.«

Das Ro­bot­ge­hirn äu­ßer­te sich vor­erst in wei­te­ren Schrift­zei­chen:

»Zu­nächst das Ma­te­ri­al für die bei­den ge­nann­ten Agen­ten in chro­no­lo­gi­scher Fol­ge. Vor­fall ›Dus­ter‹ vom 23. April 2002.«

Vor­fall »Dus­ter«? Was war das?

Ich beug­te mich ge­spannt nach vorn.

Die Schrift ver­schwand. Jetzt tauch­ten auf dem Bild­schirm ge­wal­ti­ge Ge­bäu­de­kom­ple­xe auf, die zu ei­ner Fa­brik mit aus­ge­dehn­ten La­bo­ra­to­ri­en zu ge­hö­ren schie­nen.

Der Com­pu­ter schal­te­te auf akus­ti­sche In­for­ma­ti­on um. Die »Stim­me« klang un­per­sön­lich.

»Sie se­hen die staat­li­chen La­bo­ra­to­ri­en ›Hill­town‹ zur Er­zeu­gung und Neu­ent­wick­lung bak­te­rio­lo­gi­scher Waf­fen«, er­klär­te der Au­to­mat.

Ich at­me­te hef­tig. Hill­town al­so! Die ge­heim­nis­volls­te An­la­ge in den Staa­ten – ir­gend­wo in ei­ner Wüs­te des Süd­wes­tens. Ich wuß­te un­ge­fähr, wel­che grau­en­haf­ten Din­ge dort er­forscht und teil­wei­se fa­bri­ziert wur­den.

Das Bild wech­sel­te stän­dig. Wir sa­hen Ge­bäu­de und Si­cher­heits­ein­rich­tun­gen; schließ­lich einen lang­ge­streck­ten Flach­bau.

»For­schungs­la­bor 22-B. Spe­zi­ell ein­ge­rich­tet zur Züch­tung von Kul­tu­ren, die aus künst­lich er­zeug­ten Mu­ta­tio­nen wei­ter­ent­wi­ckelt wur­den, aber auch von sol­chen, die nicht von der Er­de stam­men.«

Bei die­sen An­ga­ben schloß ich die Au­gen. Mu­ta­tio­nen von Vi­ren, die man kaum in ih­rer nor­ma­len Form be­kämp­fen konn­te, wa­ren in die­sen La­bors ge­züch­tet wor­den.

Der Al­te schau­te mich prü­fend an. Ich konn­te es trotz des Däm­mer­lich­tes gut er­ken­nen.

»Was be­deu­tet das?« flüs­ter­te ich hei­ser.

»War­ten Sie ab.«

Das Bild blen­de­te in das In­ne­re des La­bors um. Wir sa­hen große Sä­le, Brut­schrän­ke und Wis­sen­schaft­ler, die sich in ih­ren Schutz­klei­dun­gen schwer­fäl­lig be­weg­ten.

Schließ­lich tauch­ten Kel­ler­räu­me auf, in de­nen eben­falls Brut­schrän­ke und Re­ga­le mit Er­re­ger­kul­tu­ren auf­ge­stellt wa­ren. Die dort be­schäf­tig­ten Men­schen gli­chen ge­pan­zer­ten Un­ge­heu­ern. Ich be­merk­te so­fort, daß sie über ih­ren nor­ma­len Schutz­an­zü­gen noch­mals Kom­bi­na­tio­nen tru­gen, die sie ge­gen ra­dio­ak­ti­ve Strah­lun­gen schütz­ten. Sie tru­gen Hel­me und schie­nen über ein aut­ar­kes Le­bens­er­hal­tungs­sys­tem zu at­men.

»Warum Strahl­schutz­klei­dung?« frag­te Han­ni­bal ver­stört. »Seit wann trägt man die in bak­te­rio­lo­gi­schen La­bors?«

Der Al­te er­wi­der­te nichts, doch da­für klan­gen wie­der die me­tal­li­schen Lau­te des Ro­bot­ge­hirns auf.

»Zucht­la­bor 13-L-1. Ge­heims­te For­schungs­stät­te des Wer­kes. Sie se­hen das Vi­rus-Lu­na­ris in drei­mil­lio­nen­fa­cher Ver­grö­ße­rung.«

Ein kreis­för­mi­ges Bild tauch­te auf. Es war, als sä­he man in ei­nes der mo­d­erns­ten Elek­tro­nen­mi­kro­sko­pe. Ich er­kann­te ein Ge­wim­mel von sechs­e­cki­gen Kleinst­le­be­we­sen, die trotz der enor­men Ver­grö­ße­rung kaum zu er­ken­nen wa­ren.

»Das Vi­rus-Lu­na­ris, vor ei­nem Jahr in ei­nem der Mond­berg­wer­ke ent­deckt. Es han­delt sich um ei­ne au­ßer­ir­di­sche Le­bens­form, die man je­doch auch in den mo­der­nen La­bors der Er­de züch­ten kann. Das Vi­rus-Lu­na­ris ist das ge­fähr­lichs­te Kleinst­le­be­we­sen, das der Wis­sen­schaft je­mals be­kannt wur­de. Es ist un­emp­find­lich ge­gen das ab­so­lu­te Va­ku­um. Bei et­wa mi­nus zwei­hun­dert­zehn Grad Cel­si­us tritt ei­ne Er­star­rung ein, die sich bei nach­fol­gen­der Er­wär­mung wie­der löst. Hit­zeun­emp­find­lich bis zu Tem­pe­ra­tu­ren von plus fünf­hun­dertzwei­und­drei­ßig Grad Cel­si­us. Das Vi­rus ver­brei­tet und ver­mehrt sich un­ge­heu­er rasch, so­bald es mit der ir­di­schen At­mo­sphä­re in Be­rüh­rung kommt. Ver­su­che mit an­de­ren Gas­zu­sam­men­set­zun­gen ha­ben be­wie­sen, daß der Er­re­ger auch in ei­ner Me­thanat­mo­sphä­re le­bens­fä­hig ist. Ei­ne Sau­er­stof­fat­mo­sphä­re wie die der Er­de ist je­doch sein güns­tigs­tes Aus­brei­tungs­feld.«

Das Bild wech­sel­te. Ein an­de­rer Aus­schnitt er­schi­en. Dar­auf schim­mer­ten die teuf­li­schen Kleinst­le­be­we­sen in strah­lend blau­en Far­ben.

»Die Kon­trast­fär­bung ist ge­lun­gen«, fuhr das Gi­gan­ten­ge­hirn mo­no­ton fort. »Zucht­la­bor 13-L-1 ist ab­so­lut luft­leer ge­pumpt wor­den, um ei­ne un­will­kom­me­ne Ver­brei­tung des Vi­rus zu ver­hin­dern. Die aus­ge­dehn­ten Ver­suchs­rei­hen ha­ben zwei be­mer­kens­wer­te Ei­gen­schaf­ten des Vi­rus er­ge­ben. So­bald es mit der nor­ma­len Luft in Be­rüh­rung kam, brei­te­te es sich schnell aus ver­seuch­te da­bei das Ver­suchs­ge­biet. Nach et­wa zehn Stun­den konn­te aber fest­ge­stellt wer­den, daß die vor­her so vi­ta­len Vi­ren abstar­ben. Die letz­ten Ex­pe­ri­men­te be­wie­sen, daß die­ser Vor­gang in der zwei­ten Ei­gen­schaft des Vi­rus be­grün­det liegt.«

Ein neu­es Bild zeig­te einen Land­strich, auf dem nichts mehr blüh­te und grün­te. Die Bäu­me wa­ren schwarz, tot und ver­dorrt. Kein Gräs­chen leb­te mehr. Es war, als er­blick­te man ei­ne Land­schaft aus der Un­ter­welt.

»Sie se­hen das Ver­suchs­ge­län­de, über dem ver­seuch­ter Staub ab­ge­bla­sen wur­de. Das Vi­rus-Lu­na­ris ist von Na­tur aus ein Gam­ma­strah­ler. Sei­ne Ra­dio­ak­ti­vi­tät stei­gert sich bei dem Ex­pan­si­ons­vor­gang ex­plo­si­ons­ar­tig bis zu Wer­ten von vier­hun­dertzwan­zig Rönt­gen­ein­hei­ten. Der Er­re­ger scheint al­le in ihm woh­nen­de ra­dio­ak­ti­ve Ener­gie in­ner­halb von zehn Stun­den ab­zu­ge­ben. Dies wird als Ur­sa­che für sein Ab­ster­ben an­ge­se­hen.«

Ich stöhn­te un­ter­drückt und krampf­te die Hän­de um die Ses­sel­leh­ne. Un­faß­lich! Ich woll­te und konn­te es nicht glau­ben.

Der Com­pu­ter fuhr mit sei­nem Be­richt fort. Mo­no­ton ka­men die ge­nau­en Da­ten über die­se höl­li­sche Le­bens­form aus den Laut­spre­chern. Wir wur­den im­mer wie­der mit Bil­dern aus Land­schaf­ten kon­fron­tiert, die mit dem Vi­rus »be­han­delt« wor­den wa­ren. Dem­nach stand es fest, daß sich die Vi­ren, die in nur zwei Ku­bik­zen­ti­me­ter Staub ent­hal­ten wa­ren, nach dem Ein­tritt in die sau­er­stoff­rei­che At­mo­sphä­re so enorm und rasch ver­mehr­ten, daß sie in ei­nem Zeit­raum von et­wa zehn Stun­den ei­ne Flä­che von hun­dert Qua­drat­ki­lo­me­ter ver­nich­te­ten.

Dann star­ben sie plötz­lich ab. Ihr grau­si­ges Werk war auf die sehr star­ke Ra­dio­ak­ti­vi­tät zu­rück­zu­füh­ren, doch lag der se­kun­däre Wir­kungs­be­reich in dem fast schlag­ar­ti­gen Auf­tre­ten ei­ner Seu­che, die auf der Er­de voll­kom­men un­be­kannt war.

Ich sah be­fal­le­ne Ver­suchs­tie­re. Sie hat­ten sich in un­för­mig auf­ge­bläh­te Ko­los­se ver­wan­delt. Ih­re schwam­mig ge­wor­de­nen Kör­per wa­ren mit faust­di­cken Bla­sen über­sät. Die Beu­len zer­platz­ten nach kur­z­er Zeit und son­der­ten ei­ne weiß­li­che Flüs­sig­keit ab.

»Das Vi­rus-Lu­na­ris wä­re auch töd­lich, wenn es nicht die Ei­gen­schaft ei­ner na­tür­li­chen Ra­dio­ak­ti­vi­tät be­sä­ße«, er­klär­te das Ge­hirn so kalt und sach­lich, wie es nur ei­ne Ma­schi­ne kann.

»Die Lu­na­ris-Seu­che greift nicht nur Men­schen, son­dern auch Tie­re an. Pflan­zen wer­den da­von nicht be­rührt. Für die Ver­nich­tung der Flo­ra sorgt die Ra­dio­ak­ti­vi­tät. Bei ei­ner bak­te­rio­lo­gi­schen Kriegs­füh­rung könn­te es mit Hil­fe ei­ni­ger Vi­ren-Staub­bom­ben leicht ge­lin­gen, einen Kon­ti­nent von der Grö­ßen­ord­nung Asi­ens im Zeit­raum von zehn Stun­den in ei­ne to­ta­le Wüs­te zu ver­wan­deln. Die von dem Vi­rus ab­ge­ge­be­ne Ra­dio­ak­ti­vi­tät nimmt nach we­ni­gen Ta­gen wie­der ab. Es ent­ste­hen kei­ner­lei Spalt­pro­duk­te mit ho­hen Halb­werts­zei­ten. Ei­ne Ver­seu­chung der At­mo­sphä­re ist kei­nes­falls zu be­fürch­ten. Die Vor­tei­le die­ser bak­te­rio­lo­gi­schen Waf­fe lie­gen klar auf der Hand. To­ta­le Aus­rot­tung von Mensch und Tier – to­ta­le Ab­tö­tung der ge­sam­ten Flo­ra. So­weit der Be­richt über die Wir­kungs­wei­se des Vi­rus-Lu­na­ris.«

Die schreck­li­chen Bil­der ver­schwan­den end­lich. Die Ro­bot­stim­me ver­stumm­te. Es war wie ei­ne Er­lö­sung.

Ich war schweiß­ge­ba­det. Mein Ver­stand wei­ger­te sich, das Ent­setz­li­che als Rea­li­tät auf­zu­neh­men. Leut­nant Utan war lei­chen­blaß. Auf sei­ner Stirn perl­ten eben­falls Schweiß­trop­fen.

Der Chef un­ter­brach die Vor­füh­rung und wand­te uns sein Ge­sicht zu. Es ver­riet nichts von sei­nen Ge­füh­len.

»Fas­sen Sie sich, mei­ne Her­ren! Der Com­pu­ter hat Ih­nen nur vor­ge­führt, was wir in ihm ver­an­kert ha­ben. Wir al­le wis­sen, daß die­se nich­tir­di­sche Le­bens­form die furcht­bars­te Waf­fe ist, über die Men­schen je­mals ver­fügt ha­ben. Da­ge­gen ver­blaßt selbst die Koh­len­stoff­bom­be. Un­ser Kal­ter Krieg mit dem ›Asia­ti­schen Staa­ten­bund‹ mach­te die Ent­wick­lung von Waf­fen er­for­der­lich, de­ren even­tu­el­le An­wen­dung uns die Ge­wiß­heit gibt, daß wir da­bei nicht die Er­de und die ge­sam­te Mensch­heit ver­nich­ten. Dies wä­re bei C-Bom­ben­ex­plo­sio­nen der Fall. Bak­te­rio­lo­gi­sche Kampf­stof­fe wer­den auch in Großasi­en ent­wi­ckelt des­sen kön­nen sie si­cher sein! Man ist im­mer­hin so klug ge­wor­den, ein­zu­se­hen, daß ein even­tu­el­ler Atom­krieg das mensch­li­che Le­ben er­lö­schen lie­ße. Al­so sucht man nach Aus­weich­lö­sun­gen; nach Ver­nich­tungs­mit­teln, die kei­nen Welt­un­ter­gang her­vor­ru­fen, die aber trotz­dem einen Kon­ti­nent in Stun­den ab­tö­ten kön­nen mit al­lem, was dar­auf läuft, kriecht und fliegt. Das, mei­ne Her­ren, sind die Tat­sa­chen, de­nen wir ins Au­ge se­hen müs­sen. Kom­men wir nun zum Fall ›Dus­ter‹, von dem das Ge­hirn an­fäng­lich ge­spro­chen hat.«

Der Rie­sen­au­to­mat nahm sei­ne Be­richt­er­stat­tung wie­der auf. Die Bild­flä­che blieb je­doch vor­läu­fig dun­kel und zeig­te nichts.

»Am 23. April 2002 wur­den drei nam­haf­te Wis­sen­schaft­ler der staat­li­chen La­bo­ra­to­ri­en in Hill­town ge­tö­tet. In der Nacht vom 22. zum 23. April ge­lang es meh­re­ren noch un­be­kann­ten Agen­ten in das Zucht­la­bor ein­zu­drin­gen und ei­ne Kul­tur des Vi­rus-Lu­na­ris zu ent­wen­den. Die Ra­dar­über­wa­chung hat­te den An­flug des Flug­schrau­bers nicht fest­stel­len kön­nen.

Es muß er­mit­telt wer­den, auf wel­chem We­ge die Agen­ten in das streng be­wach­te Werk hin­ein­ka­men. Die Lö­sung die­ser Fra­ge wird den Agen­ten HC-9 und MA-23 als zu­sätz­li­che Auf­ga­be über­tra­gen. Der Flug­schrau­ber konn­te dar­über hin­aus wie­der star­ten, oh­ne daß ei­ne recht­zei­ti­ge Ab­wehr er­folg­te.

Es steht fest, daß von der Ma­schi­ne Vi­rus­staub ab­ge­las­sen wur­de. Der sich aus­brei­ten­de Er­re­ger ver­seuch­te die ge­sam­te Um­ge­bung. Zum Glück tra­gen die Wis­sen­schaft­ler und La­bo­ran­ten auch wäh­rend der Nacht ih­re schwe­ren Vi­rus- und Strahl­schutz-Kom­bi­na­tio­nen. Sie ent­gin­gen da­durch dem Ver­der­ben. Die drei Wis­sen­schaft­ler, die als Gäs­te von der Bo­ston-Uni­ver­si­ty ge­kom­men wa­ren, hat­ten ih­re Schutz­an­zü­ge ab­ge­legt. Es ist für einen Un­ge­üb­ten fast un­mög­lich, in dem gro­ben Ma­te­ri­al ei­nes sol­chen An­zu­ges ein­zu­schla­fen. Da das Gä­stehaus ei­ni­ge Ki­lo­me­ter von dem Ge­heim­la­bor ent­fernt liegt, wä­re den Män­nern nor­ma­ler­wei­se nichts pas­siert. Aber der Staub, der kurz nach dem Start des frem­den Flug­schrau­bers über das Ge­län­de weh­te, brach­te den drei Be­su­chern die Lu­na-Seu­che und da­mit den Tod.

Sie se­hen jetzt Auf­nah­men, die von der Ge­hei­men Bun­des­kri­mi­nal­po­li­zei drei Stun­den nach der Ka­ta­stro­phe ge­macht wur­den.«

Ich fühl­te nur noch Grau­en und Ent­set­zen, ob­wohl ich mir ein­ge­bil­det hat­te, ich wä­re ein har­ter und emp­fin­dungs­lo­ser GWA-Spe­zia­list.

Mei­ne Au­gen wei­te­ten sich, als das Werk wie­der auf­tauch­te. Schwarz – tot, von Ra­dio­ak­ti­vi­tät ver­brannt. Das um­lie­gen­de Land war ei­ne Wüs­te mit ab­ge­stor­be­nen Bäu­men, Bü­schen und Grä­sern.

Dann sah ich die drei Men­schen, die sich in je­ner Nacht oh­ne Schutz­an­zü­ge im Werk auf­ge­hal­ten hat­ten. Sie gli­chen auf­ge­dun­se­nen Un­ge­heu­ern. Män­ner in Schutz­an­zü­gen ver­such­ten den Kran­ken zu hel­fen.

Kalt, sach­lich und mit­leid­los fuhr das Ge­hirn fort:

»Dies ist ein Bei­spiel von der Wir­kungs­wei­se des Vi­rus-Lu­na­ris auf hoch­ste­hen­de, le­ben­de Or­ga­nis­men. Die Die­be woll­ten mit dem Ab­bla­sen des Stau­bes ei­ne so­for­ti­ge Ver­fol­gung ver­hin­dern. Die Nach­for­schun­gen der GWA be­wei­sen, daß es sich bei dem Vor­fall ›Dus­ter‹ um ein plan­mä­ßi­ges Ver­bre­chen han­del­te, das mit größ­ter Kon­se­quenz durch­ge­führt wur­de. Die Fol­ge­run­gen, die sich aus dem Dieb­stahl ei­nes Zucht­be­häl­ters er­ge­ben, lie­gen auf der Hand. Noch nie war die Mensch­heit so ge­fähr­det wie jetzt.«

End­lich ver­schwan­den die grau­en­haf­ten Sze­nen. Das Licht blen­de­te wie­der auf. Rat­los blick­te ich auf den Chef, der mit lei­ser Stim­me er­klär­te:

»Der An­schlag auf das Werk war ein vol­ler Er­folg. Jetzt liegt es an uns, die At­ten­tä­ter zu fin­den und sie mit­samt dem Brut­kas­ten un­schäd­lich zu ma­chen. Kon­nat, Sie er­hal­ten hier­mit Voll­mach­ten, wie sie ein GWA-Spe­zia­list noch nie­mals be­kom­men hat. Wenn Sie hun­dert Mil­lio­nen Dol­lar be­nö­ti­gen, dann ge­nügt Ihr Scheck, und die Sum­me wird oh­ne Ge­gen­fra­ge aus­ge­zahlt. Wenn Sie fünf­zig Atom-U-Boo­te an­for­dern, so wer­den die Boo­te aus­lau­fen. Soll­ten Sie bei Ih­ren Nach­for­schun­gen fest­stel­len, daß höchs­te Per­sön­lich­kei­ten in die Af­fä­re ver­wi­ckelt sind, so wer­den die­se Leu­te bis zur end­gül­ti­gen Klä­rung spur­los ver­schwin­den. Sie brau­chen in kei­nem Fal­le bei mir oder in Wa­shing­ton be­son­de­re Ge­neh­mi­gun­gen ein­zu­ho­len. Be­grei­fen Sie die Be­deu­tung der Maß­nah­me, Kon­nat, die ich Ih­nen so­eben mit­ge­teilt ha­be?«

Sei­ne Au­gen schie­nen zu glü­hen. Der Atem kam stoß­wei­se. Un­gläu­big sah ich auf den Mann, der über mehr Voll­mach­ten ver­füg­te, als der Prä­si­dent der Staa­ten.

»Kon­nat, wenn es Ih­nen nicht ge­lingt, die Kul­tu­ren zu­rück­zu­brin­gen, oder sie zu ver­nich­ten, wird man mit ei­nem An­griffs­krieg be­gin­nen! Muß ich Ih­nen sa­gen, daß man drü­ben nur war­tet, bis man ei­ne sol­che Waf­fe in den Hän­den hält? Ei­ne Waf­fe, die den ei­ge­nen Fort­be­stand ga­ran­tiert, die aber zur to­ta­len Ver­nich­tung des Geg­ners führt?«

Ich war de­pri­miert. Mit ei­ner sol­chen Ent­wick­lung hat­te ich nicht ge­rech­net.

Han­ni­bal hat­te sei­ne Fas­sung schnel­ler wie­der­ge­won­nen. Sein Ge­sicht war mas­ken­starr.

»Okay, fan­gen wir an, Chef! Ha­ben Sie An­halts­punk­te, auf die Sie uns an­set­zen kön­nen?«

»Ja, die ha­ben wir. Es sind in­zwi­schen drei Wo­chen ver­gan­gen. Wir ha­ben die Zeit nicht un­ge­nutzt ver­strei­chen las­sen. Kon­nat, Sie wer­den noch in der kom­men­den Nacht ver­haf­tet. Man wird Sie we­gen Hoch­ver­rat an­kla­gen. Sie sind von nun an Dr. Ten­sin, Dok­tor Bob Ten­sin. Sie ha­ben un­er­laubt und mit ver­bre­che­ri­schen Ab­sich­ten ein phy­si­ka­li­sches La­bor un­ter­hal­ten. Sie sind ver­mö­gend. Sie sind Kern­phy­si­ker. Ih­re Kennt­nis­se ha­ben Sie sich in den staat­li­chen Atom­wer­ken von ›Hell­ga­te Point‹ er­wor­ben, ehe Sie aus dem Staats­dienst aus­schie­den. Sie ha­ben sich da­mit be­schäf­tigt, einen Pho­to­nen­re­flek­tor zu ent­wi­ckeln, der als Ab­wehr­waf­fe ge­gen über­schall­schnel­le Ra­ke­ten­ge­schos­se und Flug­zeu­ge die­nen kann. Fer­ner las­sen sich durch den da­bei ent­ste­hen­den Strahl­druck be­lie­bi­ge Staub­men­gen über wei­te Land­stri­che bla­sen.

Nun, Dr. Bob Ten­sin, mei­nen Sie nicht auch, daß man sich in Asi­en für einen sol­chen Re­flek­tor in­ter­es­sie­ren könn­te? Da­mit wä­re es bei­spiels­wei­se ein­fach, mi­kro­sko­pisch fei­ne Staub­men­gen von ei­nem U-Boot aus in die höchs­ten Luft­schich­ten über den USA zu bla­sen. Man könn­te uns mit dem Vi­rus-Lu­na­ris ver­seu­chen. Or­tungs­si­che­rer als je­de Ra­ke­te! Un­ser Früh­warn­sys­tem wä­re zweck­los ge­wor­den. Was hal­ten Sie da­von, Dok­tor?«

Ich ver­stand! Ich be­griff blitz­ar­tig. Es war un­heim­lich, auf wel­che Ide­en Re­ling kam.

»Ein­ver­stan­den, Sir. Ich bin Dr. Ten­sin. Hat es den Mann ein­mal ge­ge­ben? Wie sah er aus? Was wuß­te und was konn­te er wirk­lich? Kann ich die tech­ni­schen Un­ter­la­gen über einen Pho­to­nen­re­flek­tor ein­se­hen?«

»Al­les vor­han­den. Dr. Ten­sin hat ge­lebt. Spe­zi­al­agent TS-19 er­schoß ihn. Sie flie­gen heu­te noch zu sei­nen ehe­ma­li­gen La­bors. Al­les ist vor­be­rei­tet. Dort wer­den Sie von zwei Be­am­ten der Ge­hei­men Bun­des­kri­mi­nal­po­li­zei ver­haf­tet und nach Wa­shing­ton zu­rück­ge­bracht. Ich wer­de die Ver­hand­lung vor dem Obers­ten Bun­des­ge­richts­hof so be­schleu­ni­gen, daß Sie so­fort ab­ge­ur­teilt wer­den. Nie­mand wird et­was wis­sen; nur ich bin in­for­miert. Er­war­ten Sie kei­ne sanf­te Be­hand­lung. Hof­fen Sie auch nicht auf das ver­steck­te Au­gen­zwin­kern ei­nes Ka­me­ra­den. Nie­mand darf ah­nen, daß Sie Cap­tain Thor Kon­nat sind. Sie sind ein Ver­bre­cher, ein Hoch­ver­rä­ter und ein Sa­bo­teur an der Mensch­heit. Die Un­ter­la­gen be­kom­men Sie so­fort. Das Ro­bot­ge­hirn wird Sie ge­naues­tens un­ter­wei­sen. Wenn Sie ver­ur­teilt sind, wird Ih­re Auf­ga­be be­gin­nen. Sind un­se­re Geg­ner Agen­ten des ›Asia­ti­schen Staa­ten­bun­des‹, dann wird man auf Sie größ­ten Wert le­gen. Schlei­chen Sie sich ein. Spie­len Sie mit. Ihr Ge­hirn ist prä­pa­riert. Da­her wird Sie nie­mand aus­fra­gen kön­nen. Sie sind und blei­ben Dr. Ten­sin. Ist so­weit al­les klar, Kon­nat?«

»Al­les klar«, be­stä­tig­te ich.

»Mei­ne Auf­ga­be, Chef?« frag­te Han­ni­bal.

»Sie wer­den zu­sam­men mit Kon­nat ver­haf­tet wer­den«, er­klär­te Ge­ne­ral Re­ling. »Sie tra­ten bis­lang als Chef­pi­lot ei­ner Mondra­ke­te auf. Das kön­nen wir ein­pla­nen. In Lu­na-Ci­ty sind ins­ge­samt zwei­hun­dert­vierun­dacht­zig Ki­lo­gramm Plu­to­ni­um ge­stoh­len wor­den. Wir ha­ben den wirk­li­chen Tä­ter ge­faßt; von nun an wer­den Sie der Gau­ner sein.«

»Herr­lich, wie ich mich füh­le«, äu­ßer­te Han­ni­bal. »Wie geht’s wei­ter?«

»Der an­geb­li­che Dr. Ten­sin ist Ihr Freund. An ihn ha­ben Sie das ent­wen­de­te Plu­to­ni­um ge­lie­fert, da er es für sei­ne Ex­pe­ri­men­te be­nö­tig­te. Sie ha­ben ihm das Ma­te­ri­al bei je­der Rei­se in klei­nen Men­gen mit­ge­bracht. Ge­naue An­wei­sun­gen dar­über er­hal­ten Sie noch. Es darf nir­gends ei­ne Lücke ent­ste­hen. Sie wer­den sich bei Ih­rem Freund auf­hal­ten und mit ihm ver­haf­tet wer­den. Die Ge­hei­me Bun­des­kri­mi­nal­po­li­zei be­sitzt be­reits al­le Un­ter­la­gen und Be­weis­mit­tel. In den La­bors steht der fast fer­ti­ge Pho­to­nen­strah­ler. Das Plu­to­ni­um wird auch ge­fun­den wer­den. Sie, Kon­nat, wer­den das Ge­rät in die Luft spren­gen, so­bald die Be­am­ten des FBI an­kom­men. Er­ge­ben Sie sich recht­zei­tig, da­mit Sie nicht er­schos­sen wer­den. Ich kann Ih­nen nicht hel­fen. Das wä­re al­les. Noch Fra­gen?«

Zum Teu­fel – und ob ich noch Fra­gen hat­te!

Nun, mein Wis­sens­durst wur­de ge­stillt. Fünf Stun­den lang sa­ßen wir im Vor­führ­saal der Ro­bot­kar­tei bei­sam­men und spiel­ten Punkt für Punkt durch. Al­le Mög­lich­kei­ten wur­den mit der be­kann­ten Gründ­lich­keit der GWA er­wo­gen, ab­ge­mes­sen und be­rück­sich­tigt.

Als wir wie­der in das Bü­ro des Al­ten zu­rück­kehr­ten, wa­ren wir er­schöpft. In un­se­ren Köp­fen schwirr­ten zahl­rei­che Da­ten, die ab­wech­selnd von den Bil­dern ver­drängt wur­den, die wir ge­se­hen hat­ten.

Wir konn­ten zwei Stun­den schla­fen. Dann star­te­te die Ma­schi­ne. Es war ein Tur­bo­bom­ber mit zu­sätz­li­chen Staustrahl­trieb­wer­ken, die erst bei sechs­hun­dert km/h zu ar­bei­ten be­gan­nen. Die Ma­schi­ne ge­hör­te der GWA. An Bord be­fand sich je­ner Pi­lot, den ich be­reits beim Flug zum Chef ken­nen­ge­lernt hat­te. Er stell­te kei­ne Fra­gen.

Mit acht­fa­cher Schall­ge­schwin­dig­keit ras­ten wir an den Gren­zen der obe­ren Stra­to­sphä­re nach Wes­ten. Die Zei­ten der so­ge­nann­ten »schnel­len« Bom­ber der tak­ti­schen Luft­waf­fe mit nur zwei­ein­halb­fa­cher Schall­ge­schwin­dig­keit wa­ren lan­ge vor­bei.

Un­se­re Ma­schi­ne über­brück­te die Ent­fer­nung von drei­ein­halb­tau­send Ki­lo­me­tern in zwan­zig Mi­nu­ten. Un­ser Ziel lag im west­li­chen Ne­va­da; un­mit­tel­bar in dem Land­strich, den man »Großes Ne­va­da­be­cken« nennt.

Dort be­fand sich auch der neue Raum­flug­ha­fen, auf dem die Ra­ke­ten zur Ver­sor­gung der bei­den ame­ri­ka­ni­schen Raum­sta­tio­nen star­te­ten. Neu­er­dings war man da­zu über­ge­gan­gen, die plan­mä­ßi­gen Mond­schif­fe eben­falls von den »Ne­va­da-Fields« aus star­ten zu las­sen. Vor zwan­zig Jah­ren wä­re es ein Ding der Un­mög­lich­keit ge­we­sen, da man da­mals noch nicht über die neu­en che­mi­schen Treib­stof­fe und Atom­strahl­trieb­wer­ke ver­füg­te. Heu­te wa­ren wir so­weit, mit ei­ner ver­hält­nis­mä­ßig klei­nen Zwei­stu­fen-Ra­ke­te den Mond di­rekt an­flie­gen zu kön­nen. Frü­her wa­ren die Moon-Li­ner von der Kreis­bahn der Raum­sta­ti­on aus ge­st­ar­tet.

Wir um­flo­gen den Raum­ha­fen in ei­nem so wei­ten Bo­gen, daß wir ei­ne pein­li­che Kon­trol­le nicht zu be­fürch­ten brauch­ten. Ge­or­tet wur­den wir oh­ne­hin.

Un­ter uns tauch­te der Wal­ker-See auf. An sei­nem nörd­li­chen Ufer lag die klei­ne Stadt Schurz.

Das war un­ser Ziel. Et­was wei­ter west­lich be­gan­nen schon die Aus­läu­fer der Si­er­ra Ne­va­da; da­hin­ter er­streck­te sich Ka­li­for­ni­en.

Der Flug war rei­bungs­los ver­lau­fen. Als die Ma­schi­ne mit wir­beln­den Ro­tor­krän­zen auf den kah­len Fels­bo­den hin­ab­sank, war es schon dun­kel.

Wir stie­gen aus, ver­ab­schie­de­ten uns und schrit­ten auf das große Ge­bäu­de zu, das sich dicht an einen fel­si­gen Ab­hang schmieg­te. Die­ses ein­sam ge­le­ge­ne Haus hat­te sich Dr. Ten­sin als Do­mi­zil aus­ge­wählt. Es war un­be­wacht. Kein Mensch be­geg­ne­te uns. Der Chef hat­te da­für ge­sorgt, daß uns nie­mand be­ob­ach­ten konn­te.

»Un­ter mei­ner Kopf­haut juckt es«, mein­te Han­ni­bal, als wir ein­tra­ten und das Licht ein­schal­te­ten. »Wenn das gut­geht, will ich …!«

»Han­ni­bal der Große hei­ßen«, vollen­de­te ich den Satz. »Hal­te jetzt kei­ne Wahl­re­den, son­dern kon­zen­trie­re dich auf dei­ne Auf­ga­be. Wo ist die Ta­sche mit der Spreng­la­dung? Sie wird hoch­ge­hen, so­bald die Män­ner vom FBI auf­tau­chen. Der Pho­to­nen­re­flek­tor muß ver­nich­tet wer­den. Die Un­ter­la­gen ha­ben wir oh­ne­hin.«

Wir wuß­ten, wo­hin wir zu ge­hen hat­ten. Wir öff­ne­ten die ge­tarn­te, zu den Kel­ler­räu­men hin­un­ter­füh­ren­de Tür. Von dort aus er­reich­ten wir die na­tür­li­chen Höh­len, in de­nen Dr. Ten­sin ei­gen­mäch­tig und ent­ge­gen den in­ter­na­tio­na­len Be­stim­mun­gen ex­pe­ri­men­tiert hat­te.

Die Ein­rich­tung war be­ein­dru­ckend; die Ge­rä­te auf dem neues­ten Stand. Ich prüf­te sie durch und sah mir das un­för­mi­ge Ge­bil­de an, das na­he­zu vollen­det in dem La­bor stand. Der Re­flek­tor soll­te einen Strahl­schub von sechs­hun­dertzwan­zig­tau­send Me­ga­pond ha­ben. Das hat­te un­ser Ro­bot­ge­hirn be­haup­tet.

Ich brach­te die Spreng­la­dung an und zog die Lei­tung durch den Kel­ler hin­durch bis hin­auf ins Haus.

Wir war­te­ten in fie­ber­haf­ter Er­re­gung und lausch­ten auf des Brum­men von Mo­to­ren. Wenn al­les plan­mä­ßig ver­lief, muß­ten sie jetzt da sein. Wir hör­ten sie aber erst, als sie sich schon dicht vor der Tür be­fan­den.

Se­kun­den spä­ter flog sie mit ei­nem Teil der Haus­wand in die Luft. Ein star­ker Laut­spre­cher klang auf.

»Dok­tor Ten­sin, wir sind dar­über in­for­miert, daß Sie sich im Haus auf­hal­ten. Wir ken­nen auch Ih­re ver­steck­ten La­bors. Hier Ma­jor Ga­ry von der Ge­hei­men Bun­des­kri­mi­nal­po­li­zei. Ich for­de­re Sie auf, mit er­ho­be­nen Hän­den aus dem Haus zu kom­men. Ein Fluch­ver­such ist zweck­los. Wir ha­ben das Ge­bäu­de um­stellt und auch den Not­aus­gang ge­sperrt. Ich be­wil­li­ge Ih­nen drei Mi­nu­ten Be­denk­zeit. Soll­ten Sie bis da­hin nicht ka­pi­tu­lie­ren, wer­de ich den Feu­er­be­fehl ge­ben.«

Als der Laut­spre­cher ver­stumm­te, be­gann Han­ni­bal zu grin­sen.

»Das ist aber ein net­ter Zeit­ge­nos­se! War­ten wir die drei Mi­nu­ten ab?«

»Lo­gisch«, brumm­te ich. »Könn­te Ver­dacht er­re­gen, wenn wir zu schnell her­aus­kom­men.«

Wir war­te­ten so­gar noch et­was län­ger. Plötz­lich be­gann es zu kra­chen. Ei­ni­ge Ex­plo­si­onsgar­ben aus schwe­ren Ma­schi­nen­ka­ra­bi­nern peitsch­ten durch das Loch in die Vor­hal­le hin­ein. Dort de­to­nier­ten die Ge­schos­se. Un­mit­tel­bar da­nach brüll­te die Stim­me er­neut:

»Das war die letz­te War­nung! Kom­men Sie her­aus, oder wir ho­len Sie.«

Han­ni­bal gähn­te see­len­ru­hig. Ich drück­te auf den Zünd­kon­takt. Tief im Berg groll­te dumpf ei­ne De­to­na­ti­on auf. Sie gab mir die Ge­wiß­heit, daß der Strah­ler zer­stört war. Drau­ßen blieb al­les still.

»Hier spricht Dok­tor Ten­sin. Wir er­ge­ben uns. Schie­ßen Sie nicht.«

Zwei Mi­nu­ten spä­ter wa­ren wir ver­haf­tet. Der Ma­jor stell­te mit Ge­nug­tu­ung fest, daß er auch Han­ni­bal ge­faßt hat­te. Er stand als »Mi­cha­el Hollak« eben­falls auf der Fahn­dungs­lis­te. Un­ter die­sem Na­men soll­te Han­ni­bal die Mondra­ke­te ge­flo­gen ha­ben.

Wir ga­ben uns wort­karg, ver­wei­ger­ten je­de Aus­sa­ge und lach­ten her­aus­for­dernd, als die FBI-Be­am­ten hus­tend aus dem La­bor zu­rück­ka­men.

»Sie hät­ten sich be­ei­len müs­sen, mein Lie­ber«, sag­te ich iro­nisch zu dem Ma­jor. Er starr­te mich wü­tend an.

»Ih­nen wird das La­chen ver­ge­hen, Dok­tor Ten­sin! Ich brin­ge sie so­fort nach Wa­shing­ton. Wir ha­ben acht­zehn Ki­lo­gramm Plu­to­ni­um ge­fun­den. Woll­ten Sie Atom­bom­ben fa­bri­zie­ren? Na­tür­lich, was sonst! Für wen woll­ten Sie die Kern­waf­fen her­stel­len? Wer ist Ihr Auf­trag­ge­ber? Wer fi­nan­zier­te Ih­re La­bors?«

Ich zerr­te an mei­nen Hand­schel­len. Wo­her die Pres­se­fo­to­gra­fen so schnell ge­kom­men wa­ren, konn­te ich mir vor­stel­len. Ich lä­chel­te ar­ro­gant in die Ka­me­ra­ob­jek­ti­ve.

Wun­der­bar! Das hat­te ich dem Chef zu ver­dan­ken! Schon in den Früh­aus­ga­ben al­ler großen Welt­zei­tun­gen wür­de mein Bild zu se­hen sein.

Drei Stun­den spä­ter flo­gen wir mit ei­ner Po­li­zei­ma­schi­ne ab. Es war ein Groß­trans­por­ter, der mit nur drei­fa­cher Schall­ge­schwin­dig­keit flog. Trotz­dem dau­er­te die Rei­se nicht lan­ge. In­fol­ge der Er­eig­nis­se leg­te ich in­ner­halb von we­ni­gen Stun­den den Weg zwei­mal zu­rück.

Das un­glaub­lich kom­pli­zier­te und doch so macht­vol­le Rä­der­werk der Ge­hei­men-Wis­sen­schaft­li­chen-Ab­wehr war an­ge­lau­fen. Es lief so­gar schon auf vol­len Tou­ren; doch das wuß­ten die FBI-Leu­te nicht.

Wir wur­den ver­hört und noch­mals ver­hört. Die Be­wei­se wa­ren er­drückend. Lang­sam und wi­der­wil­lig gab ich mei­ne »Schand­ta­ten« zu. Auch Han­ni­bal wur­de über­führt.

Kurz nach Ta­ges­an­bruch wur­den un­se­re Ak­ten an die Staats­an­walt­schaft wei­ter­ge­ge­ben.