3.

 

Ho­rams Pri­vat­kli­nik lag west­lich des Städt­chens War­ren­ton am Ran­de des Shen­an­doah-Parks.

Bis nach Wa­shing­ton wa­ren es nur et­wa sech­zig Mei­len in ge­ra­der Luft­li­nie. Man hat­te mir einen mo­der­nen Flug­schrau­ber ge­schickt; ei­ne Kom­bi­na­ti­on zwi­schen Starr­flüg­ler und Hub­schrau­ber.

Schwei­gend saß ich ne­ben dem Pi­lo­ten in der ge­räu­mi­gen Kan­zel. Rechts hin­ter mir er­kann­te ich die Trag­flä­che mit dem Steu­er­bord-Staustrahl­trieb­werk.

Flug­schrau­ber die­ser kon­struk­ti­ven Aus­le­gung lan­de­ten und star­te­ten mit Hil­fe von zwei ge­gen­läu­fi­gen, hoch­tou­ri­gen Ro­tor­dreh­krän­zen. Erst in der Luft be­gan­nen die bei­den Strahl­trieb­wer­ke für den Rei­se­flug zu ar­bei­ten. So­bald die Flä­chen ge­nü­gend Auf­trieb er­zeug­ten, wur­den die Hub­ro­to­ren in den Rumpf­wulst ein­ge­fah­ren. Der He­li­ko­pter ver­wan­del­te sich da­durch in ei­ne nor­ma­le Ma­schi­ne. Die Vor­tei­le la­gen auf der Hand.

Das klei­ne Luft­fahr­zeug er­reich­te einen Rei­se­schnitt von vier­hun­dert Mei­len. Schon we­ni­ge Au­gen­bli­cke nach dem Senk­recht­start ka­men wir über Wa­shing­ton an.

Wir um­flo­gen in wei­tem Bo­gen den neu­en, nur für die großen Stra­to-Li­ner be­stimm­ten Flug­ha­fen. Ich sah das Pen­ta­gon und die an­de­ren Re­gie­rungs­ge­bäu­de; aber ich be­merk­te auch die auf­zu­cken­de Lam­pe, die mir be­wies, daß wir un­ter Ra­dar­or­tung stan­den.

Der Pi­lot lä­chel­te. Ich ahn­te sei­ne Ge­dan­ken­gän­ge. Selbst­ver­ständ­lich war das Über­flie­gen des Re­gie­rungs­vier­tels ver­bo­ten. Die­se Vor­schrift galt so­gar für die Ma­schi­nen des FBI. Nur wir konn­ten not­falls das Sperr­ge­biet über­que­ren. Die­se Son­der­ge­neh­mi­gung war auf die Voll­mach­ten der »Ge­hei­men-Wis­sen­schaft­li­chen-Ab­wehr« zu­rück­zu­füh­ren.

»Ich wer­de die Ecke vor­sichts­hal­ber um­flie­gen, Sir«, er­klär­te der Pi­lot. Ich kann­te ihn nur flüch­tig. Er ge­hör­te je­den­falls zur GWA, und das ge­nüg­te mir. So­lan­ge die­se Or­ga­ni­sa­ti­on be­stand, war aus ih­ren Rei­hen noch kein Ver­rä­ter her­vor­ge­gan­gen. Be­ste­chun­gen wa­ren na­he­zu un­denk­bar und auch nie­mals vor­ge­kom­men. Wir hat­ten es nicht nö­tig, Fremd­gel­der an­zu­neh­men, da un­ser Ge­halt so hoch war, daß sich je­der von uns hät­te leis­ten kön­nen, jähr­lich ei­ne an­de­re Vil­la mit Schwimm­bad, Hub­schrau­ber-Lan­de­dach und sons­ti­gen Lu­xus­ein­rich­tun­gen zu er­wer­ben.

In­so­fern war man in Wa­shing­ton klug ge­wor­den! Einen schlecht be­zahl­ten GWA-Agen­ten gab es nicht. In­fol­ge­des­sen ka­men un­se­re Mit­ar­bei­ter kaum auf den Ge­dan­ken, durch Be­ste­chungs­gel­der noch bes­ser le­ben zu kön­nen.

Wir um­flo­gen das Re­gie­rungs­dis­trikt, da die Ma­schi­ne nicht die Kenn­zei­chen der GWA trug. Ich war un­auf­fäl­lig ab­ge­holt wor­den. In der Kli­nik hat­te man kei­ne Ah­nung, daß der höf­li­che und dienst­be­rei­te Pi­lot nicht mein An­ge­stell­ter war.

Sei­nen Na­men kann­te ich nicht, so wie er auch mei­nen nicht kann­te. In­ner­halb der GWA gab es nur einen Mann, der über sämt­li­che Agen­ten in je­der Hin­sicht in­for­miert war: Der Chef!

Wenn wir im Haupt­quar­tier zu tun hat­ten, gin­gen wir in den lan­gen Gän­gen an­ein­an­der vor­bei, oh­ne zu wis­sen, wem wir be­geg­ne­ten. Wir wuß­ten nur, daß wir einen Mit­ar­bei­ter ge­se­hen hat­ten; mehr nicht.

Die Si­cher­heits­vor­schrif­ten for­der­ten die ab­so­lu­te An­ony­mi­tät. Nie­mand durf­te in der La­ge sein, an­de­re Per­so­nen even­tu­ell iden­ti­fi­zie­ren zu kön­nen.

Der Pi­lot sag­te ›Sir‹ zu mir. Ich da­ge­gen ver­mied ei­ne di­rek­te An­re­de. An sich war mir die­se Ge­heim­nis­krä­me­rei schon im­mer läs­tig ge­we­sen, doch ich wuß­te an­de­rer­seits, daß die Maß­nah­me für uns ei­ne Art Le­bens­ver­si­che­rung be­deu­te­te.

Die Hub­ro­to­ren wa­ren wie­der aus­ge­fah­ren wor­den. Die Rei­se­trieb­wer­ke lie­fen aus. Die Fahrt war zu ge­ring ge­wor­den, als daß die Trag­flä­chen das Ge­wicht der Ma­schi­ne noch in der Luft hät­ten hal­ten kön­nen.

Wir über­flo­gen im Lang­sam­flug aus­ge­dehn­te Vil­len­ko­lo­ni­en, bis an der Pe­ri­phe­rie ei­ni­ge un­schö­ne Be­ton­ge­bäu­de auf­tauch­ten. Sie bil­de­ten ein großes Vier­eck. Von oben be­trach­tet schi­en es, als ha­be sie ein Rie­se ins of­fe­ne Land hin­ein­ge­stellt.

Das war das Haupt­quar­tier der »Ge­hei­men-Wis­sen­schaft­li­chen-Ab­wehr«, die ih­ren Na­men nicht um­sonst trug.

Es gab in der Welt kei­ne Or­ga­ni­sa­ti­on, die sich mit der GWA hät­te ver­glei­chen kön­nen. Sie war aus der Ge­hei­men Bun­des­kri­mi­nal­po­li­zei her­vor­ge­gan­gen.

Die GWA ver­füg­te über ab­wehr­tech­ni­sche Ein­rich­tun­gen, die den Staat zir­ka fünf­hun­dert Mil­li­ar­den Dol­lar ge­kos­tet hat­ten. Die wis­sen­schaft­li­chen Me­tho­den mo­der­ner Ver­bre­chens­be­kämp­fung wa­ren in un­se­ren La­bors bis zur Vollen­dung ent­wi­ckelt wor­den. Es gab kein na­tur­wis­sen­schaft­li­ches oder tech­no­lo­gi­sches Fach­ge­biet, das von den aus­ge­such­ten Kön­nern die­ser Son­der­ab­tei­lung nicht be­herrscht wur­de. Wir ver­füg­ten über mo­d­erns­te Waf­fen, Sen­de­an­la­gen al­ler Art, Schutz- und Test­vor­rich­tun­gen, Er­mitt­lungs­ver­fah­ren und der­art hoch­wer­ti­ge Com­pu­ter­an­la­gen, daß selbst Fach­leu­te zu­tiefst be­ein­druckt wa­ren.

Nir­gends in der Welt exis­tier­te ei­ne Po­li­zei­or­ga­ni­sa­ti­on, die sich rüh­men konn­te, mit der­ar­ti­gen Mit­teln aus­ge­rüs­tet zu sein. Al­lei­ne un­se­re rie­si­gen Elek­tro­nen­ge­hir­ne zur Lö­sung kom­pli­zier­ter Vor­gän­ge und zur Wahr­schein­lich­keits­aus­wer­tung dif­fi­zi­ler Fäl­le wa­ren Wun­der­wer­ke.

In den Be­ton­ge­bäu­den gab es mehr For­schungs­stät­ten als Bü­ros. Ich wuß­te, daß die ak­ti­ven Mit­glie­der der GWA nicht mehr als fünf­hun­dert Män­ner und Frau­en zähl­ten. Au­ßer­dem wa­ren noch un­ge­fähr fünf­tau­send Tech­ni­ker und Wis­sen­schaft­ler al­ler Fach­rich­tun­gen für die GWA tä­tig. Sie wer­te­ten das aus, was wir bei un­se­ren schwe­ren Ein­sät­zen er­mit­tel­ten.

GWA-Spe­zia­lis­ten be­sa­ßen Son­der­voll­mach­ten, die sie in eng be­grenz­ten Not­fäl­len un­ter an­de­rem er­mäch­tig­ten, höchs­te Mi­li­tärs und Po­li­ti­ker zu ver­haf­ten. Es war ei­gent­lich un­faß­bar, welch ein macht­vol­les und prä­zi­se rea­gie­ren­des In­stru­ment der Chef ge­schaf­fen hat­te. Er hat­te sei­nen Lehr­meis­ter, John Ed­gar Hoo­ver, der einst die be­rühm­te Bun­des­kri­mi­nal­po­li­zei, das FBI, ge­grün­det hat­te, weit über­flü­gelt.

En­de der acht­zi­ger Jah­re hat­te der »Al­te«, wie er von uns ge­nannt wur­de, sei­ne Ide­en in die Tat um­set­zen kön­nen. Da­zu wa­ren ihm Mil­li­ar­den zur Ver­fü­gung ge­stellt wor­den.

Ers­tes Er­geb­nis da­von war die Grün­dung ei­ner Son­der­ab­tei­lung des al­ten FBI. Sie er­hielt die Be­zeich­nung GWA. Bei die­sem Be­griff lag die Be­to­nung auf dem Wort »Wis­sen­schaft­lich«. Wir ar­bei­te­ten mit Me­tho­den, die man frü­her nicht ge­kannt hat­te. Die in GWA-ei­ge­nen Fa­bri­ka­ti­ons­an­la­gen er­zeug­ten Ge­rät­schaf­ten al­ler Art gal­ten als streng ge­heim. Das be­traf vor­dring­lich un­se­re Ein­satzaus­rüs­tung, an de­nen Spe­zia­lis­ten al­ler Fach­ge­bie­te mit­wirk­ten. An­ge­fan­gen von Mi­kro-Fein­me­cha­ni­ker bis zum Kern­phy­si­ker; sie al­le schu­fen Din­ge, die mehr als er­stau­nens­wert wa­ren.

Der or­ga­ni­sa­to­ri­sche Auf­bau, der Ein­satz­be­reich er­for­der­te hoch­qua­li­fi­zier­te Kräf­te, die we­sent­lich mehr be­herr­schen und kön­nen muß­ten, als es von den frü­he­ren FBI-Agen­ten ver­langt wor­den war.

Wäh­rend mei­ner zwölf­jäh­ri­gen Spe­zi­al­aus­bil­dung hat­te ich ein Stu­di­um ab­sol­vie­ren müs­sen, bei dem die fä­higs­ten Köp­fe der Staa­ten und der »Eu­ro­päi­schen Uni­on« mei­ne Leh­rer ge­we­sen wa­ren.

Ich muß­te ler­nen, ler­nen und noch­mals ler­nen. Von GWA-Spe­zia­lis­ten wur­de un­ter an­de­rem ver­langt, astro­no­mi­sche Be­rech­nun­gen er­stel­len und ein Raum­schiff ri­si­ko­los zum Mond brin­gen zu kön­nen.

Von uns wur­de aber auch die Be­herr­schung an­schei­nend un­sin­ni­ger Din­ge ge­for­dert. Sie hat­ten mit wis­sen­schaft­li­cher Me­tho­dik nichts mehr zu tun. So hat­te man mir bei­spiels­wei­se die An­fer­ti­gung ei­ner Zahn­pro­the­se zu­ge­mu­tet. An­schlie­ßend muß­te ich ler­nen, wie man einen Och­sen fach­män­nisch schlach­tet und ver­ar­bei­tet.

Das mag wi­der­sin­nig klin­gen, aber es ge­hör­te zum Aus­bil­dungs­plan. Je­der GWA-Agent hat­te min­des­tens acht Welt­spra­chen zu be­herr­schen. Wenn ich hier al­le Ein­zel­hei­ten auf­zäh­len woll­te, so ent­stün­de dar­aus ein Werk von dem Um­fang ei­nes Le­xi­kons.

Die Kennt­nis­se wur­den uns nicht um­sonst mit auf den Weg ge­ge­ben, denn wir wur­den aus­schließ­lich dort ein­ge­setzt, wo nicht ein­mal die Bun­des­kri­mi­nal­po­li­zei wei­ter­kam. Wenn je­des Mit­tel er­schöpft war, dann rief man nach der GWA. Aus die­sem Grun­de hat­ten wir stets kom­pli­zier­te Fäl­le zu be­ar­bei­ten.

»Nor­ma­le« Ver­bre­chen ge­hör­ten nicht zu un­se­rem Ein­satz­pro­gramm. Wir hat­ten uns we­der um Groß­ein­brü­che zu küm­mern noch um Mor­de oder Bun­des­ver­bre­chen wie Kid­nap­ping. Das wa­ren al­les Fäl­le für aus­ge­spro­che­ne Kri­mi­na­lis­ten, was wir nur in ei­nem be­schränk­ten Um­fan­ge wa­ren.

Wenn aber Spio­na­ge­af­fä­ren auf­ge­rollt wur­den, wenn Din­ge ge­sch­a­hen, die die Si­cher­heit des Lan­des und der Welt be­tra­fen, dann muß­ten wir in den Ein­satz ge­hen. Das ge­hör­te zu un­se­rem Auf­ga­ben­be­reich.

Kein Agent ahn­te je­weils, wo­hin ihn der Al­te schi­cken wür­de, denn die­ser konn­te sei­ne Ent­schei­dun­gen al­lei­ne tref­fen. Nur er kann­te die be­son­de­ren Fä­hig­kei­ten je­des ein­zel­nen Agen­ten. Von je­dem Mann hat­te er et­wa sechs­hun­dert Tes­t­er­geb­nis­se vor­lie­gen, die al­le in den elek­tro­ni­schen Mam­mut­ge­hir­n­en der Ro­botspei­cher fest­ge­hal­ten wa­ren.

Es gab un­zäh­li­ge Din­ge und Ei­gen­schaf­ten, die für die GWA cha­rak­te­ris­tisch wa­ren. Ich ge­hör­te mit zu die­ser Or­ga­ni­sa­ti­on. Das hat­te ich vor ei­ni­gen Ta­gen wie­der ein­mal deut­lich ge­merkt.

Sie brauch­ten mich an­schei­nend, und so hat­ten sie mich kur­zer­hand auf einen Ope­ra­ti­ons­tisch be­or­dert. Schon die­ser Ein­zel­fall war ty­pisch für die Ar­beits­me­tho­den der GWA. Nor­ma­le Men­schen hät­ten an der­art aus­ge­fal­le­ne Din­ge über­haupt nicht ge­dacht. Un­se­re Wis­sen­schaft­ler der Son­der­trup­pe hat­ten es nicht über­se­hen.

Man be­nö­tig­te einen Mann, der für frem­de Wil­len­sein­flüs­se un­emp­find­lich war. Al­so muß­te ein sol­cher Mann her­bei­ge­schafft wer­den! Ich war über­zeugt, daß un­se­re fä­higs­ten Pa­ra­psy­cho­lo­gen die elek­tro­ni­schen Ge­hir­ne be­fragt hat­ten, wel­cher Agent für den Ein­griff in Fra­ge käme. Warum die Gi­gant­ma­schi­nen aus­ge­rech­net mich aus­ge­sucht hat­ten, war mir rät­sel­haft.

Un­ge­dul­dig blick­te ich den Pi­lo­ten an, der sich mir ge­gen­über mit sei­ner Er­ken­nungs­mar­ke aus­ge­wie­sen hat­te. Auch das mag selt­sam klin­gen, da man lo­gi­scher­wei­se fra­gen soll­te, ob die Le­gi­ti­ma­ti­ons­mar­ke ei­nes GWA-Spe­zia­lis­ten von ge­schick­ten Fach­leu­ten nicht nach­ge­ahmt wer­den könn­te.

Das wä­re in un­se­rem Fal­le nur hin­sicht­lich der Gra­vur mög­lich. Die Mar­ken wa­ren rund und vier­zig Mil­li­me­ter im Durch­mes­ser. Auf der Vor­der­sei­te stand GWA zu le­sen. Auf der an­de­ren Sei­te wa­ren die drei Buch­sta­ben ZBV ein­gra­viert.

»Zur be­son­de­ren Ver­wen­dung«, be­deu­te­ten die­se In­itia­len. Da­mit war al­les ge­sagt. Über den Buch­sta­ben war ein ver­schlun­ge­nes Atom­mo­dell ein­ge­prägt. Es galt als Sym­bol der GWA. All das hät­te man zwar fäl­schen kön­nen, nicht aber das Ma­te­ri­al, aus dem die Mar­ken be­stan­den.

Von die­sem Grund­stoff exis­tier­ten auf der Er­de nur knapp vierund­drei­ßig Ki­lo­gramm. Es han­del­te sich um ein sehr schwe­res, aber na­tür­li­ches Ele­ment, das man in win­zi­gen Men­gen auf dem Mond ge­fun­den hat­te. Es war ein Zu­fall ge­we­sen, daß man es über­haupt ent­deckt hat­te, denn es war in ei­nem klei­nen Me­te­or ent­hal­ten, der vor un­be­kann­ten Zeiträu­men auf die Ober­flä­che des Mon­des ge­stürzt war. Wir nann­ten das Ele­ment »Lu­na­ri­um«.

Die­ses Ele­ment, des­sen Ord­nungs­zahl hö­her war als die von Ura­ni­um, war von der GWA be­schlag­nahmt wor­den. Dar­aus wur­den un­se­re Mar­ken ge­fer­tigt. Das Ma­te­ri­al war stark ra­dio­ak­tiv, ein har­ter Gam­ma­strah­ler. Wir muß­ten es in ei­nem Etui aus Po­tro­nin-Plast tra­gen, da­mit uns die Strah­lung nicht ge­fähr­den konn­te. Sie war so kurz­wel­lig, daß sie in kei­nem ir­di­schen La­bo­ra­to­ri­um er­zeugt wer­den konn­te. Aber sie konn­te mit un­se­ren win­zi­gen Spe­zi­al­ge­rä­ten an­ge­mes­sen und elek­tro­nisch aus­ge­wer­tet wer­den. Au­ßer­dem fluo­res­zier­te das Ma­te­ri­al in ei­nem so ei­gen­ar­tig blaß bis gold­ro­ten Farb­ton, daß es völ­lig un­mög­lich war, ein ähn­li­ches Ma­te­ri­al für Be­trugs­zwe­cke her­zu­stel­len.

Das wuß­ten wir! Un­se­re Wis­sen­schaft­ler hat­ten jah­re­lang ei­ne Nach­ah­mung ver­sucht. Es war nicht ein­mal mit ei­ner ge­ziel­ten Kernauf­la­dung ge­lun­gen. Das war der Grund, wes­halb un­se­re Mar­ken als ein­ma­lig gal­ten.

Mein Pi­lot ge­hör­te frag­los zur GWA.

»Wol­len Sie heu­te nicht mehr lan­den?« er­kun­dig­te ich mich un­ge­dul­dig. Der Pi­lot deu­te­te auf das Sicht-Sprech­ge­rät am Ar­ma­tu­ren­brett.

»Ich ha­be mei­ne An­kunft ge­mel­det, Sir. An­schei­nend über­prüft man zur Zeit die Iden­ti­tät der Ma­schi­ne. Die In­nen­auf­nah­me läuft.«

Na­tür­lich, ich hät­te dar­an den­ken sol­len. Die ein­ge­bau­ten Mi­kro­ob­jek­ti­ve der Fern­seh­ka­me­ra er­faß­ten je­den Win­kel der Ka­bi­ne und des La­de­raums. Wir wur­den ›fer­n­ana­ly­siert‹, wie das all­ge­mein üb­lich war. Glau­ben Sie nur nicht, es sei so ein­fach, ins Haupt­quar­tier der GWA vor­zu­drin­gen. Eher hät­ten Sie un­be­merkt zum Prä­si­den­ten der USA kom­men, ihm die Zi­gar­re aus dem Mund steh­len und un­ge­se­hen wie­der ver­schwin­den kön­nen.

Wir muß­ten noch ei­ni­ge Au­gen­bli­cke war­ten. In­zwi­schen um­kreis­ten wir stän­dig die rie­si­gen Ge­bäu­de. Plötz­lich flamm­te un­ser Bild­schirm auf. Auf ihm er­schi­en das aus­drucks­lo­se Ge­sicht ei­nes Man­nes, den ich – na­tür­lich – nie­mals zu­vor ge­se­hen hat­te.

»HC-9, Sie kön­nen lan­den. Be­nut­zen Sie Dach­flä­che K-3 und fol­gen Sie dort Ih­ren Be­glei­tern. En­de!«

Das war al­les, was der Mann ge­sagt hat­te, doch mir reich­te es. Auch die pas­si­ven Mit­glie­der der GWA wa­ren äu­ßerst vor­sich­tig, da es in die­ser schö­nen Welt ge­nü­gend Leu­te gab, die auf die Ver­nich­tung des GWA-Haupt­quar­tiers mehr Wert ge­legt hät­ten als auf die Aus­schal­tung des ge­heims­ten Atom­werks der USA. Das Mo­tiv lag auf der Hand.

»Na, end­lich«, äu­ßer­te der Mann ne­ben mir, von dem ich nicht wuß­te, ob er eben­falls ein ak­ti­ver Agent mit Son­der­schu­lung oder nur Pi­lot war. Bei uns war al­les un­durch­sich­tig und rät­sel­haft.

Wir flo­gen über den ers­ten Ge­bäu­de­rie­sen hin­weg, über­quer­ten große Hö­fe mit ge­pfleg­ten Grün­an­la­gen und hiel­ten auf den Turm­bau zu, der mit sei­nen ein­hun­dert­fünf­un­dacht­zig Stock­wer­ken die an­de­ren Kom­ple­xe weit über­rag­te. Dort oben, in den höchs­ten Eta­gen, la­gen die Amts­räu­me des Chefs. Au­ßer­dem be­fan­den sich dort ei­ni­ge un­ter­ge­ord­ne­te Ro­bot­kar­tei­en. Frem­de Agen­ten hät­ten den­noch Mil­lio­nen ge­op­fert, um nur ein­mal die Ab­ruftas­te der Band­spei­cher be­tä­ti­gen zu dür­fen.

Ich be­merk­te, daß mich der Pi­lot re­spekt­voll an­sah. Wenn er von nun an »Sir« sag­te, so klang es nicht mehr mo­no­ton und wie au­to­ma­tisch, son­dern mit ei­nem Un­ter­ton ech­ter Hoch­ach­tung.

»Sir«, sag­ten wir nor­ma­ler­wei­se zu je­dem Mit­ar­bei­ter. Da­bei wuß­ten wir nie­mals, ob wir nun einen Vor­ge­setz­ten oder einen Mann im Mann­schafts­dienst­grad an­spra­chen.

Ich schmun­zel­te und fuhr mit der Hand­flä­che über mein Haar. Die Kopf­wun­den wa­ren sorg­fäl­tig ver­heilt. Ich spür­te auch kei­ne Druck­schmer­zen mehr. Pro­fes­sor Dr. Gre­go­ry Ho­ram war ei­ne wirk­li­che Ka­pa­zi­tät, wie das von ei­nem Mit­ar­bei­ter der GWA auch nicht an­ders zu er­war­ten war.

Die Strahl­tur­bi­ne der Ro­tor­krän­ze wur­de im Ar­beits­ge­räusch et­was lau­ter, als der Pi­lot die Ma­schi­ne ein­pen­del­te. Un­ter uns er­streck­te sich der Dach­lan­de­platz K-3, der zu je­nem Bau­werk ge­hör­te, das wir ›Vam­pir­turm‹ nann­ten. K-3 durf­te nur von Leu­ten be­nutzt wer­den, die zum Chef be­stellt wa­ren.

In mir wuchs ei­ne bei­na­he un­er­träg­li­che Span­nung. Ich hat­te noch im­mer kei­ne Ah­nung, worum es sich ei­gent­lich han­del­te. Warum hat­te man mich durch ei­ne sol­che Höl­le ge­hen las­sen? Das muß­te einen schwer­wie­gen­den Grund ha­ben!

Die Ma­schi­ne setz­te sanft auf. Das Trieb­werk ver­stumm­te. Laut­los öff­ne­te sich die hy­drau­lisch be­weg­te Schie­be­tür. Ich klet­ter­te hin­aus.

Die war­ten­den Män­ner nick­ten nur. Ich wink­te grü­ßend. Sie wa­ren jung, hart; mit wach­sa­men Au­gen und durch­trai­nier­ten Kör­pern.

»Darf ich um Ih­re ID-Mar­ke bit­ten, Sir?« for­der­te ei­ner von ih­nen. Sie durf­ten mir noch nicht trau­en.

Ich nick­te, griff in die Hüft­ta­sche und zog das ab­schir­men­de Po­tro­nin-Etui her­aus. Es klapp­te auf. Vor ih­ren Au­gen flim­mer­te die Lu­na­ri­um-Schei­be. Das Ma­te­ri­al war wahr­schein­lich Mil­lio­nen Jah­re lang im Wel­ten­raum un­ter­wegs ge­we­sen, bis es von der Schwer­kraft des Mon­des ein­ge­fan­gen wor­den und auf sei­ne Ober­flä­che ab­ge­stürzt war.

Sie ana­ly­sier­ten die Schwin­gungs­fre­quenz mit ih­ren nur knopf­großen Mi­kro­tas­tern. Erst nach der Über­prü­fung ver­hiel­ten sie sich et­was per­sön­li­cher.

»In Ord­nung, Sir. Muß­te sein«, mein­te der Grö­ße­re. »Der Al­te … . ich mei­ne, der Chef, möch­te Sie spre­chen. Es steht Ih­nen je­doch frei, sich vor­her et­was aus­zu­ru­hen. Wenn Sie es wün­schen!«

Ich wink­te ab.

»Wie rück­sichts­voll! Dan­ke. Brin­gen Sie mich zu ihm.«

Ein drit­ter Mann hob mein Ge­päck aus der Ma­schi­ne. Sie star­te­te so­fort wie­der. Der Pi­lot durf­te die­sen Lan­de­platz nicht blo­ckie­ren.

Wir be­tra­ten den nach un­ten füh­ren­den Ex­preß­lift. Vor­her muß­ten wir einen ge­pan­zer­ten Zu­brin­ger­gang durch­schrei­ten, des­sen Wän­de sich im Ernst­fal­le in ei­ne feu­er­spei­en­de Fes­tung ver­wan­deln konn­ten. Ich wuß­te, daß wir von vie­len Au­gen be­ob­ach­tet wur­den. Wie­der ein­mal frag­te ich mich, ob der­ar­ti­ge Vor­sichts­maß­nah­men nicht über­trie­ben wa­ren, oder ob sie als un­er­läß­lich ein­ge­stuft wer­den muß­ten.

Über die Sprüh­dü­sen der Säu­re­strah­ler sah ich hin­weg. Ihr Höl­len­se­gen konn­te bes­ten Stahl in kür­zes­ter Frist zu ko­chen­den Ne­beln ver­wan­deln. We­he dem un­will­kom­me­nen Ein­dring­ling, der da hin­ein­lief! Ich hat­te es er­lebt, wie sich Kör­per in knapp zwei Mi­nu­ten in ei­ne wal­len­de und bro­deln­de Mas­se auf­ge­löst hat­ten.

Die­se Din­ge be­schäf­tig­ten mich im­mer wie­der, wenn ich zum Al­ten be­foh­len wur­de.

Am En­de des Gan­ges pas­sier­ten wir ei­ne Durch­leuch­tungs­schleu­se. Erst da­nach konn­ten wir den Lift be­tre­ten, der eben­falls mit Auf­nah­mel­in­sen aus­ge­stat­tet war.

»Ken­nen Sie einen neu­en Witz über den Al­ten?« er­kun­dig­te ich mich.

Mei­ne Be­glei­ter be­gan­nen ver­ständ­nis­voll zu grin­sen. Der wach­sa­me Aus­druck in ih­ren Au­gen er­losch. Ei­ner bot mir ei­ne Zi­ga­ret­te an. Jetzt wa­ren wir nicht mehr Agent Nr. X … Y … Z, son­dern nur noch Freun­de, die al­le der glei­chen Auf­ga­be nach­gin­gen. Wir haß­ten und be­kämpf­ten das Ver­bre­chen, die Ge­mein­heit und die bru­ta­len Me­tho­den ge­winn­süch­ti­ger Men­schen.

Amü­siert er­zähl­te man mir die neues­ten An­ek­do­ten über den Chef. In die­sen Au­gen­bli­cken wa­ren wir jun­ge Män­ner. Sonst nichts! Als wir den Lift ver­lie­ßen und durch Panzer­gän­ge mit wei­te­ren Si­cher­heits­vor­rich­tun­gen schrit­ten, hat­te der Ernst die Hei­ter­keit schon wie­der ver­drängt.

Wir pas­sier­ten ei­ne me­ter­star­ke Tür aus mo­le­ku­lar­ver­dich­te­tem Edel­stahl. Man konn­te sie nur von in­nen öff­nen. Ein Kor­ri­dor mit Au­to­mat­kon­trol­len folg­te. Dann stan­den wir end­gül­tig vor dem Hei­lig­tum des »Vam­pir­tur­mes«.

Hin­ter der zwei­ten Pan­zer­pfor­te la­gen die Diensträu­me des Chefs und die Hal­len mit den Ro­bot­kar­tei­en.

Ich stell­te mich vor das Auf­nah­me­ge­rät. Nach er­folg­ter In­di­vi­dual­aus­wer­tung schwang das kreis­för­mi­ge Schott auf. Mei­ne Be­glei­ter klopf­ten mir auf die Schul­ter und wünsch­ten mir viel Glück. Der Blon­de flüs­ter­te mir noch zu:

»Viel­leicht se­hen wir uns noch­mal, Sir. Ha­ben Sie schon un­ser neu­es Schwimm­bad aus­pro­biert? Wel­len­gang wie vor Ha­waii!«

»Ich wer­de es mir über­le­gen. Auf Wie­der­se­hen und vie­len Dank für die Er­zäh­lung.«

Sie lach­ten, und auch ich konn­te mei­nen Ge­füh­len kei­nen Zwang an­tun.

Ich trat ein. Hin­ter mir schloß sich ei­ne Pan­zer­tür, die man mit kei­ner nor­ma­len Spreng­la­dung öff­nen konn­te. Da­zu wä­ren schon die Ge­wal­ten ei­ner klei­nen Kern­waf­fe not­wen­dig ge­we­sen.

Ich er­wäh­ne das nur in­for­ma­to­risch, weil Sie viel­leicht nicht wis­sen, was man un­ter mo­le­ku­lar­ver­dich­te­tem Stahl zu ver­ste­hen hat. Sein Schmelz­punkt liegt bei vier­zehn­tau­send Hit­ze­gra­den; in Cel­si­us ge­mes­sen! Von sei­ner Fes­tig­keit will ich gar nicht re­den. Aus dem glei­chen Ma­te­ri­al wur­den die Zel­len und Trieb­wer­ke der neu­en Raum­schif­fe her­ge­stellt. Ei­ne Ton­ne Tri­mol­ni­tal-Stahl kos­te­te vier­hun­dertzwei­und­drei­ßig­tau­send Dol­lar; ei­ne kost­spie­li­ge An­ge­le­gen­heit.

Ich be­trat den mo­dern ein­ge­rich­te­ten Vor­raum, in dem mich ei­ne adret­te, gut aus­se­hen­de jun­ge Da­me emp­fing. Sie lä­chel­te; na­he­zu ein Wun­der bei der all­ge­gen­wär­ti­gen Ste­ri­li­tät und tech­ni­fi­zier­ten Un­per­sön­lich­keit, die hier herrsch­te.

»Dürf­te ich Ih­re ID-Mar­ke se­hen Miss?« sprach sich sie an. »Sie wir­ken ge­fähr­lich.«

Ihr Lä­cheln schi­en zu ge­frie­ren. Sie wies auf ih­re Po­si­ti­on und die da­mit ver­bun­de­ne Über­prü­fung hin. Mein hin­ter­grün­di­ges Kom­pli­ment über ih­re Ge­fähr­lich­keit hat­te sie ein­fach über­hört. Das miß­fiel mir. Wie lan­ge dau­er­te es, bis in die­sen Hal­len Men­schen mensch­lich wur­den?

Ehe sie mich an­mel­den konn­te, er­tön­te aus dem Laut­spre­cher über der Ver­bin­dungs­tür ei­ne tie­fe Stim­me. Ich er­kann­te das Or­gan des Al­ten, der mich – wie ge­wohnt – un­freund­lich an­fuhr:

»Un­ter­las­sen Sie Ih­re selt­sa­men Scher­ze, Mil­ler. Kom­men Sie rein. Oder soll ich Ih­nen ei­ne Ein­la­dung schi­cken? Miss Mil­ler, sor­gen Sie ge­fäl­ligst da­für, daß die­ser Jüng­ling nicht noch mal aus der Rol­le fällt.«

Ich ver­zog das Ge­sicht. Zum Teu­fel, in dem Bau schi­en je­der und je­de »Mil­ler« zu hei­ßen.

»An­ge­nehm, eben­falls Mil­ler«, sag­te sie iro­nisch. »Be­neh­men Sie sich bit­te. Sie sind dienst­lich hier.«

Im Laut­spre­cher zisch­te et­was. Das Ge­räusch konn­te nur der Chef ver­ur­sacht ha­ben. Ich be­eil­te mich, durch die au­to­ma­tisch auf­glei­ten­den Dop­pel­tü­ren zu ge­hen. Vor mir be­fand sich ein fens­ter­lo­ser Saal. Das Feh­len des na­tür­li­chen Son­nen­lich­tes be­merk­te man aber kaum, da drei Bild­wän­de und ei­ne duft­va­ria­ble Kli­ma­an­la­ge den Ein­druck ver­mit­tel­ten, als lä­ge der Raum in ei­nem ge­pfleg­ten Park.

Hin­ter dem, den Blick auf sich zie­hen­den, Schreib­tisch, der zur Hälf­te mit Vi­si­phon­ge­rä­ten, Kipp­schal­tern und Fern­meß­in­stru­men­ten über­häuft war, saß ein un­ter­setz­ter, breit­schult­ri­ger Mann. Sein Ge­sicht war tief ge­bräunt. Me­lier­te Bors­ten­haa­re und ein strup­pi­ger Ober­lip­pen­bart vollen­de­ten den Ein­druck, ei­nem von Wind und Wet­ter ge­gerb­ten See­mann al­ter Prä­gung ge­gen­über­zu­ste­hen.

In den grau­en Au­gen lag ein iro­ni­scher Schim­mer. Die Hän­de ruh­ten ge­ballt auf dem me­tal­le­nen Un­ge­tüm, zu dem er Schreib­tisch sag­te.

Das war Vier-Ster­ne-Ge­ne­ral Ar­nold G. Re­ling, Ober­be­fehls­ha­ber und Grün­der der GWA. Das war der Mann mit den weit­rei­chends­ten Voll­mach­ten der ame­ri­ka­ni­schen Ge­schich­te.

Prü­fend sah mich der Chef an. Ich ver­beug­te mich und heu­chel­te Un­be­fan­gen­heit. Schließ­lich kann­te ich Ge­ne­ral Re­ling schon seit et­wa vier­zehn Jah­ren. Er war mit mei­nem Va­ter be­freun­det ge­we­sen. Das war auch der Grund, warum ich mich da­mals zur Auf­nah­me­prü­fung an­ge­mel­det hat­te.

Ich woll­te et­was sa­gen, als er grol­lend rief:

»Kei­ne Be­mer­kun­gen, bit­te, Sie so­ge­nann­ter Spaß­vo­gel. Spre­chen Sie kein Wort, son­dern pas­sen Sie auf.«

Einen GWA-Agen­ten kann so schnell nichts ver­blüf­fen. Ich schwieg und be­müh­te mich, mög­lichst ernst­haft zu wir­ken.

Spaß­vo­gel hat­te er mich ge­nannt! Nun, er schi­en wie­der ein­mal in Fahrt zu sein.

»Von wem stamm­te der Witz, der Ih­nen im Lift er­zählt wur­de?« frag­te er auf­ge­bracht. »Oder glau­ben Sie et­wa, die Schil­de­rung ent­sprä­che der Wahr­heit?«

Ich mach­te »hmmm« und flüs­ter­te:

»Ich darf nicht spre­chen Sir. Ihr Be­fehl.«

Er starr­te mich un­be­wegt an, doch in sei­nem Ge­sicht zuck­te es ver­däch­tig. Wenn man mit dem Al­ten al­lei­ne war, gab er sich im­mer mensch­lich. Nur drau­ßen war er der har­te, eis­kal­te und un­ge­mein lo­gisch den­ken­de Vor­ge­setz­te.

»Sie sol­len auch wei­ter­hin schwei­gen. War­ten Sie.«

Er be­rühr­te einen Knopf. Rechts von mir öff­ne­te sich ei­ne Tür. Zwei Män­ner tra­ten ein, von de­nen ei­ner be­son­ders be­mer­kens­wert war.

Er war klein, dun­kel­häu­tig und schmäch­tig. Sein Ge­sicht wur­de von zwei großen Au­gen ge­prägt. Sie schie­nen ein ver­zeh­ren­des Feu­er aus­zu­strah­len. Er sah wie ein Eu­ra­sier aus. Ir­gend­wie wirk­te er un­heim­lich.

Er sah mich nicht di­rekt an. Der an­de­re Mann war hoch­ge­wach­sen und mach­te auf mich den Ein­druck ei­nes welt­weit er­fah­re­nen In­tel­lek­tu­el­len.

Ge­ne­ral Re­ling stell­te mir die Män­ner nicht vor. Er gab dem Schmäch­ti­gen ein Hand­zei­chen und deu­te­te mit dem Kopf auf mich. Lang­sam dreh­te sich der Eu­ra­sier um – und plötz­lich war mir, als fie­le ich in einen Ab­grund.

Es wa­ren sei­ne Au­gen; sei­ne großen, bren­nen­den und zwin­gen­den Au­gen, von de­nen ich ge­fes­selt wur­de. Ich fühl­te mich ver­wirrt. Selt­sa­me Ge­füh­le woll­ten mich über­man­nen. In­stink­tiv auf­be­geh­rend, rang ich um mei­ne Fas­sung. Dann war ich wie­der psy­chisch voll­kom­men klar.

Ge­las­sen blick­te ich in die­se bren­nen­den Au­gen, steck­te os­ten­ta­tiv die Hän­de in die Ta­schen und er­kun­dig­te mich, ob er et­was da­ge­gen hät­te, wenn ich mir ei­ne Zi­ga­ret­te an­zün­de­te.

Sein Ge­sicht ver­zerr­te sich. Die dunkle Haut ver­färb­te sich grau­weiß. Schweiß­trop­fen perl­ten auf sei­ner Stirn. Die klei­ne Ge­stalt krampf­te sich zu­sam­men, starr sah er mich an.

Ich rauch­te mit Ge­nuß und lä­chel­te still in mich hin­ein. Ich wuß­te ge­nau, was die Ge­schich­te zu be­deu­ten hat­te.

Der Mann be­gann zu stöh­nen. Plötz­lich er­klang die Stim­me des Al­ten.

»Hö­ren Sie auf, Dok­tor. Wenn Sie so wei­ter­ma­chen, ver­lie­re ich mei­nen bes­ten Psych­ia­ter. Hö­ren Sie auf.«

Der klei­ne Mann stöhn­te noch­mals und fuhr sich mit der Hand über Stirn und Au­gen. Dann sank er in ei­nem Ses­sel zu­sam­men. Er schi­en rest­los er­schöpft zu sein.

»Das ist Dr. Hat­teras, Fach­arzt für Psy­cho­the­ra­pie«, er­klär­te Ge­ne­ral Re­ling, an­schei­nend be­frie­digt. »Es gibt auf die­ser Welt kei­nen Men­schen, des­sen pa­ra­psy­chi­sche Fä­hig­kei­ten stär­ker sind. Er hat al­le ver­füg­ba­ren Kräf­te auf­ge­bo­ten, um Sie zu hyp­no­ti­sie­ren. Wie konn­ten Sie das aus­hal­ten?«

Ich zuck­te mit den Schul­tern. Of­fen­bar er­regt er­griff Dr. Hat­teras’ Be­glei­ter das Wort.

»Sir, was ha­ben Sie ver­spürt? Ha­ben Sie sich un­wohl ge­fühlt? War Ih­nen, als wä­re et­was Frem­des – et­was, was Sie nicht mit Ih­rem vol­len Be­wußt­sein er­fas­sen konn­ten, in Ihr per­sön­li­ches Ich ein­ge­drun­gen? Spre­chen Sie! Ich bin noch kei­nem Men­schen be­geg­net, der fä­hig ge­we­sen wä­re, die Kräf­te mei­nes Kol­le­gen zu neu­tra­li­sie­ren. Ich kann Ih­nen ver­si­chern, daß es kei­nen bes­se­ren Mann auf die­sem wis­sen­schaft­li­chen Grenz­ge­biet gibt.«

Ich ju­bel­te in­ner­lich. Dank­bar dach­te ich an Pro­fes­sor Dr. Geoffry H. Ho­ram, der mir zwei win­zi­ge Ner­ven­fa­sern in­ner­halb mei­nes Groß­hirns durch­trennt hat­te. Ihm hat­te ich die­ses so­ge­nann­te ›Phä­no­men‹ zu ver­dan­ken.

Der Al­te sah mich war­nend an. An sei­nem Blick er­kann­te ich, daß die bei­den Wis­sen­schaft­ler über mei­ne Ope­ra­ti­on nicht un­ter­rich­tet wa­ren. Kein Wun­der, daß mei­ne Re­ak­ti­on für sie un­be­greif­lich er­schi­en.

»In Ord­nung, Dok­tor«, be­sänf­tig­te Re­ling. »Be­gin­nen Sie bit­te mit dem zwei­ten Ver­such, aber dies­mal mit ei­ner Dro­ge. Mil­ler, zie­hen Sie Ih­re Ja­cke aus und ent­blö­ßen Sie den rech­ten Arm.«

Ich ge­horch­te wi­der­stre­bend. Der schlan­ke Mann be­fand sich in ei­ner Art fie­ber­haf­ter Er­re­gung. Er füll­te ei­ne In­jek­ti­onss­prit­ze mit ei­ner zart­blau­en Flüs­sig­keit. Ich be­gann zu tran­spi­rie­ren, als ich das Mit­tel sah. Es han­del­te sich um Ra­low­gal­tin, be­nannt nach dem Ent­de­cker Ra­low. Wir kann­ten und fürch­te­ten es als Ver­hör­dro­ge, die man zur Aus­schal­tung der mensch­li­chen Wil­lens­kraft ent­wi­ckelt hat­te. Ich hat­te be­reits ein­mal ih­re Wir­kung er­lebt und un­ter ih­rem Ein­fluß al­les aus­ge­sagt, was man von mir wis­sen woll­te.

Ich blieb ste­hen, als er mir die Na­del in die Ve­ne ein­führ­te und den In­halt sehr rasch inji­zier­te. Er preß­te mir einen des­in­fi­zie­ren­den Tup­fer auf den Ein­stich und führ­te mich zu ei­nem Ses­sel, in dem ich be­tont ge­las­sen Platz nahm. Da­bei fiel mir ein, daß mich der Al­te schon wie­der ei­nem nicht un­ge­fähr­li­chen Ex­pe­ri­ment aus­setz­te. Ich warf ihm einen un­freund­li­chen Blick zu. Er räus­per­te sich.

Sie be­ob­ach­te­ten mich an­ge­spannt. Un­auf­hör­lich sa­hen sie auf die Uhr.

Nach drei Mi­nu­ten wur­de mir übel. Ich muß­te mich an­stren­gen, mich nicht zu über­ge­ben. Das war auch al­les. Mir war, als hät­te ich et­was zu­viel ge­trun­ken.

»Wer sind Sie?« er­öff­ne­te Dr. Hat­teras sei­ne Be­fra­gung. »Was ha­ben Sie vor ei­ner Stun­de ge­tan? Wann wur­den Sie ge­bo­ren?«

Die Fra­gen ver­rie­ten mir, daß sie mich für er­le­digt hiel­ten. Bei je­dem an­de­ren Men­schen wä­re das auch un­wei­ger­lich der Fall ge­we­sen.

Ich über­wand mei­ne Übel­keit und stöhn­te:

»Fra­gen die­ser Art sind in­ner­halb der GWA-Ge­mäu­er an­stö­ßig. Ge­bo­ren wer­de ich wahr­schein­lich über­mor­gen. Dem­zu­fol­ge war ich vor ei­ner Stun­de noch gar nicht auf der Welt. Mein Na­me ist Mil­ler, so­gar mit zwei ›L‹. Hät­ten Sie nun et­was da­ge­gen ein­zu­wen­den, wenn ich mei­nen ri­si­ko­freu­di­gen Vor­ge­setz­ten um ei­ne hal­be Fla­sche Whis­ky er­leich­te­re? Mir ist näm­lich ziem­lich übel. Ra­low­gal­tin schä­digt den Kreis­lauf. Wuß­ten Sie das nicht?«

Dr. Hat­teras und sei­nem Kol­le­gen blieb fast das Herz ste­hen. Das war we­nigs­tens mein Ein­druck.

Ein Grin­sen husch­te über das Ge­sicht des Al­ten. Die bei­den Psych­ia­ter ver­such­ten mit der­art kom­pli­zier­ten Fach­aus­drücken ei­ne Er­klä­rung zu fin­den, daß mei­ne Übel­keit al­lei­ne vom Zu­hö­ren stär­ker wur­de.

Der Al­te reich­te mir ei­ne kaum an­ge­bro­che­ne Fla­sche. Ich nahm sie dank­bar ent­ge­gen.

»Le­gen Sie sich auf den Bo­den«, for­der­te mich Dr. Hat­teras auf. »Sie sind ei­ne Hen­ne. Le­gen Sie sich hin und ga­ckern Sie. Sie sol­len ga­ckern!«

Ich fühl­te mich schon wie­der recht wohl. Re­lings ›Kreis­l­auf­trop­fen‹ wa­ren erst­klas­sig.

»Doc, Sie soll­ten dar­auf ach­ten, bei die­sem Ex­pe­ri­ment kei­nen Schock zu er­lei­den. Wir brau­chen Sie noch. Wenn Sie aber un­be­dingt ein Ga­ckern hö­ren wol­len – bit­te!«

Ich ga­cker­te. Na­tur­ge­treu!

»Le­gen Sie nur kein Ei!« be­schwor mich der Al­te.

»Un­be­ein­fluß­bar«, stell­te Hat­teras ver­wirrt fest. »Rät­sel­haft. Ver­ste­hen Sie das, Men­chin?«

»Wir soll­ten die Am­pul­len auf ih­ren In­halt über­prü­fen«, for­der­te Dr. Men­chin. »Un­sach­ge­mä­ße La­ge­rung, un­wirk­sam ge­wor­den … . vie­le Mög­lich­kei­ten.«

Der Al­te ret­te mich vor den bei­den Wis­sen­schaft­lern, in­dem er sie freund­lich aber be­stimmt hin­aus­kom­pli­men­tier­te.

Auf­at­mend strich er sich über die Stirn. An­schlie­ßend be­gann er zu la­chen, wie ich es noch nie von ihm ge­hört hat­te. Er schi­en sich köst­lich zu amü­sie­ren. War das noch der eis­kal­te und im­mer be­herrsch­te Chef der all­mäch­ti­gen GWA?

Ich sah ihn be­sorgt an, wor­auf er fast schrie:

»Sie sind die größ­te Ra­ri­tät der Wis­sen­schaft­li­chen Ab­wehr. Ist die Wir­kung denn tat­säch­lich so durch­schla­gend? Ich kann es kaum glau­ben. Sie ha­ben nicht ein­mal auf Ra­low­gal­tin rea­giert.«

»Sie ma­chen mir Spaß, Chef! Erst schi­cken Sie mich durch die Höl­le, und dann wun­dern Sie sich, daß ich nun Ei­gen­schaf­ten be­sit­ze, über die an­de­re Leu­te nicht ver­fü­gen.«

Er wur­de schlag­ar­tig ernst. Fast be­schwö­rend, erst­mals mei­nen Na­men nen­nend, kam er zur Sa­che.

»Kon­nat, Sie ah­nen nicht, was das für uns be­deu­tet! Ich ha­be vier­zehn Män­ner zu Pro­fes­sor Ho­ram ge­schickt. Je­der war vor­her hun­dert­fach ge­tes­tet wor­den. Die Ro­bot­aus­wer­tung be­stä­tig­te den Er­folg mit achtund­neun­zig­pro­zen­ti­ger Si­cher­heit. Trotz­dem kam au­ßer Ih­nen nur noch ein Mann durch. Die an­de­ren Jungs …!«

Er un­ter­brach sich. Ich wuß­te, wes­halb er plötz­lich so be­drückt war. Er brauch­te nicht wei­ter­zu­spre­chen.

Ein­dring­lich sah er mich an.

»Kon­nat, glau­ben Sie mir, ich ha­be al­len Män­nern au­ßer Ih­nen ge­sagt, wie ge­fähr­lich der Ein­griff ist! Sie ha­ben es frei­wil­lig ge­tan, weil sie GWA-Leu­te wa­ren. Ich soll­te nicht er­schüt­tert sein und bin es trotz­dem. Mit Ih­nen konn­te ich über die Ope­ra­ti­on nicht spre­chen. Ich hat­te nicht den Mut da­zu. Ih­re Tes­t­er­geb­nis­se wa­ren die bes­ten von al­len. Sie hat­ten gu­te Chan­cen. Des­halb ha­be ich mich ent­schlos­sen, oh­ne Ihr Wis­sen zu han­deln. Wenn Sie sich ge­wei­gert hät­ten – ich hät­te Sie nicht ge­zwun­gen! Ich ha­be ge­bangt, bis die ers­ten Nach­rich­ten von Ho­ram ein­tra­fen. Ihr Va­ter war mein Freund. Als Sie da­mals zu mir ka­men, wa­ren Sie ein jun­ger Mann von acht­zehn Jah­ren. Nun ar­bei­ten Sie schon seit vier Jah­ren für die GWA. Sie ha­ben Er­fol­ge er­run­gen, die selbst Ih­re äl­tes­ten Kol­le­gen nicht auf­wei­sen kön­nen. Ich setz­te all mei­ne Hoff­nun­gen auf Sie, denn Sie wur­den von den Elek­tro­ni­ken – ich er­wähn­te es be­reits – als be­son­ders ge­eig­net be­zeich­net. Das und Ih­re großen Fä­hig­kei­ten stem­peln Sie zu dem Mann, den ich un­be­dingt brau­che. Sie ah­nen nicht, was hin­ter den Ku­lis­sen wie­der ein­mal ge­spielt wird.«

Ich schwieg, so hat­te ich ihn noch nie­mals »ken­nen­ge­lernt«. Mir war, als brauch­te er je­mand, vor dem er sein Herz aus­schüt­ten konn­te.

Es wur­de still in dem großen Raum. Nur das Sum­men der Kli­ma­an­la­ge war zu hö­ren.

»Es ist in Ord­nung, Sir. Kann ich nun er­fah­ren, was die Maß­nah­men zu be­deu­ten ha­ben?«

Plötz­lich wur­de er wie­der zu dem Vor­ge­setz­ten mit dem un­durch­dring­li­chen Ge­sichts­aus­druck. Er ver­barg sei­ne in­ners­ten Ge­füh­le hin­ter sei­ner har­ten Scha­le, die kaum je­mand so durch­läs­sig ge­se­hen ha­ben moch­te wie ich vor we­ni­gen Au­gen­bli­cken.

Ich fühl­te aber, daß er dank­bar war. Er war nie ein Freund vie­ler Wor­te oder groß­ar­ti­ger Be­teue­run­gen ge­we­sen.

»Vor Ih­nen liegt ei­ne ge­wal­ti­ge Auf­ga­be, Kon­nat. Sie wer­den noch al­ler­lei er­dul­den müs­sen. Man wird Sie ver­ach­ten, ver­ur­tei­len; in den Schmutz zie­hen und in der Welt­pres­se als Ver­bre­cher an der Mensch­lich­keit ab­stem­peln. Ich darf we­der ein­grei­fen noch öf­fent­lich er­klä­ren, wer Sie in Wirk­lich­keit sind. Es ist al­les vor­be­rei­tet. Sie kön­nen sich dar­auf ver­las­sen, daß wir kein De­tail über­se­hen ha­ben. Wir ha­ben ex­ak­te Ar­beit ge­leis­tet. Die Zeit drängt.«

Ich glaub­te sei­nen Wor­ten vor­be­halt­los! Aber wie war das mit der Ver­dam­mung zu ver­ste­hen? Bei dem Ge­dan­ken re­bel­lier­te mein Ma­gen, der in­fol­ge der In­jek­ti­on noch im­mer an­ge­grif­fen war.

Ich woll­te et­was er­wi­dern, doch er wink­te kurz ab. Dann drück­te er auf einen Schal­ter.

»Miss Bo­gard, schi­cken Sie den Leut­nant her­ein. Er soll sich be­ei­len.«

Aha, al­so Bo­gard hieß die jun­ge Da­me. Ich lä­chel­te. Ge­ne­ral Re­ling schau­te mich durch­drin­gend an.

»Sie se­hen zwar gut aus! Sie sind durch und durch männ­lich. Ihr Ge­sicht wirkt bei ver­schie­de­nen Ge­le­gen­hei­ten et­was bru­tal. Sie sind groß, ha­ben brei­te Schul­tern mit mus­ku­lö­sen Ar­men und fes­te Hän­de. Kurz, Sie sind ein Typ, der je­de Frau an­zieht. Aber mei­ne Mit­ar­bei­te­rin­nen sind für Sie ta­bu. Das ist ein Be­fehl! Ha­ben wir uns ver­stan­den?«

Das war deut­lich ge­we­sen. Die­ser Mann be­saß die An­ge­wohn­heit, harm­lo­se Men­schen in ih­rem in­ners­ten Ich zu er­ken­nen.

»Wo bleibt MA-23, Miss Bo­gard?« rief Ge­ne­ral Re­ling un­ge­dul­dig in das Mi­kro­phon.

»So­fort, Sir«, er­klang ih­re Stim­me im Laut­spre­cher. »Er be­tritt so­eben die Strahl­schleu­se.«

Der Al­te nick­te geis­tes­ab­we­send und zog sei­ne Uni­formja­cke glatt. Auf dem lin­ken Är­mel schim­mer­te das GWA-Sym­bol.

»Wer ist das?« frag­te ich. »MA-23, noch nie ge­hört. Ein Agent, der auf dem Mond ein­ge­setzt wird?«

»Sie dür­fen aus­nahms­wei­se Fra­gen stel­len, denn Sie wer­den mit dem Mann zu­sam­men­ar­bei­ten«, ent­geg­ne­te er knapp. »MA-23 ist ein Jahr lang als Chef­pi­lot und Astro­na­vi­ga­tor auf dem Mond­ba­sis-Ver­sor­gungs­schiff R-95 ge­flo­gen. Zu­ver­läs­sig, ak­tiv, tüch­tig! Wir be­nö­ti­gen ihn drin­gend. MA-23 hat auf dem Erdtra­ban­ten zwei An­schlä­ge auf­ge­deckt, die sich ge­gen un­se­re neu­en Uran-Ver­wer­tungs­an­la­gen rich­te­ten. Ha­ben Sie da­von ge­hört?«

Ich nick­te. Der Ein­satz war nicht ein­fach ge­we­sen. Et­wa zur glei­chen Zeit hat­te ich in Asi­en an­de­re Auf­trä­ge zu er­le­di­gen ge­habt.

»Schön, Sie wer­den al­so mit ihm ar­bei­ten. Er gibt sich be­tont ei­gen­ar­tig. Wenn er sei­ne Auf­ga­ben nicht so her­vor­ra­gend lös­te, hät­te ich ihn längst aus dem ak­ti­ven Dienst ent­las­sen. Er hat ein lo­cke­res Mund­werk. Dies ist aber ei­ne an­ge­bo­re­ne und des­halb psy­cho­lo­gisch be­grün­de­te Ei­gen­schaft, die wir nicht än­dern kön­nen. Sie wis­sen, wel­chen Wert ich dar­auf le­ge, mei­ne Leu­te nicht in ei­ne Scha­blo­ne zu pres­sen. Je­der­mann soll und muß sei­ne In­di­vi­dua­li­tät be­hal­ten. Auch Sie ha­ben Ih­re Ei­gen­ar­ten, Kon­nat! Sehr re­spekt­voll sind Sie auch nicht.«

Ich hus­te­te de­zent. Re­ling kam all­mäh­lich in Fahrt.

»Ich weiß aber, was ein Be­fehl be­deu­tet, Chef. Kann man sich mit dem Kol­le­gen ver­tra­gen?«

Er schmun­zel­te hin­ter­grün­dig. Von da an wur­de ich ner­vös. Wenn der Al­te der­art die Lip­pen ver­zog, hat­te er einen di­cken Trumpf in der Hand.

»War­ten Sie ab! Es dürf­te we­sent­lich auf Sie an­kom­men. Wenn Sie MA-23 nicht ge­fal­len, wird er es Ih­nen in al­ler Of­fen­heit sa­gen und sich nicht dar­an sto­ßen, daß Sie ein Cap­tain sind. Er­war­ten Sie kei­ne Un­ter­wür­fig­keit und for­dern Sie auch kei­ne. Das be­deu­tet nicht, daß er sich Ih­ren An­wei­sun­gen wi­der­set­zen wür­de; aber er legt Wert dar­auf, sei­ne Gleich­wer­tig­keit stän­dig zu de­mons­trie­ren. Die­se Hal­tung ist auf sei­ne phy­si­schen Män­gel zu­rück­zu­füh­ren. Das be­haup­ten we­nigs­tens un­se­re Psy­cho­lo­gen.«

Hmmm – phy­si­sche, al­so kör­per­li­che Män­gel. Ich war neu­gie­rig, die­sen Mann ken­nen­zu­ler­nen.

All­mäh­lich kehr­te mein Wohl­be­fin­den zu­rück. Die Wir­kung der Ra­low­gal­tin-In­jek­ti­on klang ab. Zö­gernd frag­te ich:

»Sie spra­chen von ei­nem Mann, der au­ßer mir den Ein­griff eben­falls über­stan­den hät­te. Ist das et­wa mein son­der­ba­rer Kol­le­ge?«

»Er ist es. Er­staun­lich, daß er es durch­ge­hal­ten hat. In ihm steckt mehr, als man beim ers­ten Blick ver­mu­ten könn­te.«

»MA-23 ist im Vor­raum Sir«, mel­de­te sich die Vor­zim­mer­da­me über den Laut­spre­cher.

Ge­ne­ral Re­ling be­tä­tig­te den Öff­nungs­kon­takt.

»Soll ’rein­kom­men.«

Die Dop­pel­tü­ren schwan­gen auf. Ich ver­nahm Schrit­te. Es hör­te sich an, als käme ei­ne Frau her­ein.

»He­lau­u­uu …« rief ei­ne Stim­me, die rauh und hei­ser klang. »Ah, das ist gut. Hier trinkt je­mand schar­fe Sa­chen. Hät­ten Sie et­was da­ge­gen ein­zu­wen­den, Chef, wenn ich mich da­zu ein­la­de?«

Ich er­starr­te. Sprach­los blick­te ich den Al­ten an.

Tat­säch­lich, der Be­su­cher zeig­te kei­ne Spur von Re­spekt. Ich hät­te es nie­mals ge­wagt, mei­nen höchs­ten Vor­ge­setz­ten so zu be­grü­ßen.

Ge­ne­ral Re­ling setz­te sei­ne grim­migs­te Mie­ne auf, aber das schi­en un­se­ren Gast nicht zu stö­ren. Er lach­te ver­gnügt. Lang­sam dreh­te ich mich um. Was ich sah, war un­glaub­lich.

Ich schloß die Au­gen, öff­ne­te sie aber so­fort wie­der. Nein, so ein Ge­schöpf hat­te ich noch nie ge­se­hen. Agent MA-23 war in ei­ner reich­lich sa­lop­pen Frei­zeit­ja­cke und ka­rier­ten Röh­ren­ho­sen er­schie­nen. Die Hän­de hat­te er bis zu den Ell­bo­gen in den Ta­schen ver­senkt. In re­gel­mä­ßi­ge Ab­stän­den voll­führ­te er mit den Schul­tern Be­we­gun­gen, als be­müh­te er sich, die über­mä­ßig wat­tier­ten Schul­ter­tei­le sei­ner Ja­cke in die rich­ti­ge La­ge zu rücken.

Ein La­chen glitt über sein Ge­sicht. Als er mich an­sah, schie­nen tau­send Teu­fel in sei­nen Au­gen zu tan­zen. Sie wa­ren hell­blau und zeig­ten einen ver­schmitz­ten Aus­druck.

Sei­ne Haut schi­en nur aus Fal­ten und Run­zeln zu be­ste­hen. Au­ßer­dem war sie mit zahl­rei­chen Som­mer­spros­sen über­sät. Er hat­te rostro­te Haa­re und ei­ne nach oben ge­wölb­te Stubs­na­se mit un­ge­heu­er großen Öff­nun­gen.

Wenn MA-23 nur nicht so un­ver­schämt ge­grinst hät­te! Es war ei­ne di­rek­te Her­aus­for­de­rung, zu­mal sei­ne Lip­pen über­mä­ßig breit aus­ge­bil­det wa­ren. Wenn er lach­te, muß­ten sei­ne Se­gel­oh­ren Be­such er­hal­ten. Der­art rie­si­ge Ge­bil­de hat­te ich bis­lang nur auf Ka­ri­ka­tu­ren ge­se­hen.

Sei­ne Hal­tung konn­te man nur mit ei­nem Fra­ge­zei­chen ver­glei­chen. Von Fi­gur war er ein dür­rer Zwerg. Er konn­te mir bes­ten­falls bis an die Schul­tern rei­chen.

Ich war er­schüt­tert.

Agent MA-23 stand ru­hig im Zim­mer. Er schi­en nicht dar­an zu den­ken, die Hän­de aus den Ta­schen zu neh­men. Sein Grin­sen wirk­te all­mäh­lich an­ste­ckend.

Ich kniff die Au­gen zu­sam­men und sah den Ge­ne­ral an. In des­sen Au­gen lag ein Schim­mer, der in mir den Ein­druck er­weck­te, als wür­de er sich in­ner­lich köst­lich amü­sie­ren.

Hin­ter mir lach­te mein zu­künf­ti­ger Mit­ar­bei­ter so schau­er­lich, daß mir ei­ne Gän­se­haut über den Rücken lief. Und mit ihm soll­te ich in den Ein­satz ge­hen!

Der Al­te räus­per­te sich.

»Neh­men Sie ge­fäl­ligst die Hän­de aus den Ho­sen­ta­schen. Leut­nant! Set­zen Sie sich und spre­chen Sie erst, wenn Sie da­zu auf­ge­for­dert wer­den.«

»Wenn Sie mei­nen, Chef!« krächz­te mein Kol­le­ge. Bei die­ser Ant­wort be­gann ich zu la­chen. Ich konn­te mich nicht mehr be­herr­schen. Ich war ge­spannt, wie lan­ge sich der Al­te sol­che Tö­ne ge­fal­len las­sen wür­de. Er schi­en aber von die­sem GWA-Agen­ten al­ler­hand ge­wöhnt zu sein.

Der Bur­sche schnup­per­te in der Luft her­um. Es hör­te sich an, als wä­ren zehn Bull­dog­gen im Zim­mer. An­schei­nend soll­te das ei­ne ›stil­le‹ Auf­for­de­rung zum Spen­die­ren ei­nes Whis­kys sein. Dann setz­te er sich in den an­de­ren Ses­sel vor dem Schreib­tisch.

Af­fek­tiert schlug er die Bei­ne über­ein­an­der und be­tupf­te sei­ne Lip­pen mit den Fin­ger­spit­zen.

Ich muß­te mei­ne gan­ze Wil­lens­kraft auf­bie­ten, um mich ei­ni­ger­ma­ßen zu be­herr­schen. Das war be­stimmt der selt­sams­te Agent, der je­mals zur GWA ge­hört hat­te.

Re­lings Ver­hal­ten wur­de im­mer ab­wei­sen­der. Sei­ne dro­hen­den Bli­cke schie­nen ih­re Wir­kung je­doch zu ver­feh­len. Der Leut­nant ver­än­der­te sei­ne Mi­mik um kei­ne Nu­an­ce.

Re­ling stell­te uns vor.

»Kon­nat, das ist Agent MA-23, laut Ro­bot­kar­tei GWA-Leut­nant Utan.«

Utan hieß mein neu­er Be­glei­ter al­so. Einen tref­fen­de­ren Na­men hät­te er gar nicht ha­ben kön­nen. Ich muß­te un­will­kür­lich an einen Orang-Utan den­ken, die ma­lai­ische Be­zeich­nung für ei­ne Af­fen­gat­tung. ›Wald­mensch‹ heißt das in der Über­set­zung.

Die Lip­pen un­se­res Al­ten zuck­ten ver­däch­tig. Ich woll­te mich zu­sam­men­neh­men und we­nigs­tens den not­wen­digs­ten Takt be­wah­ren, als mich der Zwerg voll­stän­dig aus der Fas­sung brach­te.

»Bit­te voll­stän­di­ger, Chef«, em­pör­te sich Utan. »Ich ha­be ein Recht dar­auf, mit mei­nem voll­stän­di­gen Na­men vor­ge­stellt zu wer­den. Ich bin Han­ni­bal Othel­lo Xer­xes Utan. Es ge­nügt, wenn Sie Han­ni­bal zu mir sa­gen, lie­ber Kon­nat.«

Jetzt war ich über­for­dert und lach­te schal­lend. Auch der Al­te kämpf­te ver­geb­lich um sei­ne Be­herr­schung.

»Wer hat Ih­nen denn die­se sin­ni­gen Na­men ge­ge­ben«, er­kun­dig­te ich mich, nach­dem ich mich et­was be­ru­higt hat­te.

»Mei­ne Frau Mut­ter«, er­klär­te er ho­heits­voll. »Sie war ei­ne ge­bil­de­te Frau und hat von an­ti­ken Feld­her­ren und Kö­ni­gen viel ge­hal­ten. Auch mit Sha­ke­s­pea­re war sie ver­traut!«

Ge­ne­ral Re­ling und ich bra­chen er­neut in Ge­läch­ter aus.

»Potz Blitz, was schrei­et Ihr mir so ins An­ge­sicht? Was ficht euch an?« rief der Klei­ne da­zwi­schen.

»Was soll das nun wie­der«, stöhn­te ich. »Sind Sie über­ge­schnappt?«

»Nee«, feix­te er. »Auf Grund mei­ner be­deu­tungs­vol­len Na­men füh­le ich mich je­doch ge­nö­tigt, mich ge­le­gent­lich in ei­ner spät-mit­tel­al­ter­li­chen Aus­drucks­wei­se zu äu­ßern. Fin­den Sie mich nicht ein­ma­lig?«

Ich will es kurz ma­chen! Ich brauch­te zehn Mi­nu­ten, bis ich mich ei­ni­ger­ma­ßen er­holt hat­te. Der Bur­sche hat­te ein Ge­müt! In­zwi­schen hat­te ich er­kannt, daß sein äu­ße­rer Aus­druck in der Tat täusch­te. Han­ni­bal wuß­te ge­nau, was er tat und sprach. Sein Ge­ba­ren war wei­ter nichts als ei­ne vor­züg­li­che Mas­ke. Das muß­te ich neid­los an­er­ken­nen. Wenn die­ser Mann sei­ne Geg­ner nicht täu­schen konn­te, dann konn­te das nie­mand.

Ich sah ihn aus vor La­chen trä­nen­den Au­gen an und reich­te ihm die Fla­sche hin­über. Er nahm sie er­freut in Emp­fang.

»Er­sti­cken Sie nicht an dem schar­fen Stoff, ed­ler Lö­we von Kar­tha­go. Ich bin üb­ri­gens Cap­tain Thor Kon­nat. Mein Ar­beits­ge­biet lag bis­her in Ost­asi­en.«

Er pfiff schrill und laut. Für we­ni­ge Se­kun­den ver­schwand sei­ne Hei­ter­keit. Sei­ne hel­len Au­gen blick­ten scharf und in­tel­li­gent.

»Al­ler­hand«, sag­te er kurz. »Da­nach wa­ren Sie der Mann, der das nord­chi­ne­si­sche Atom­werk aus­fin­dig ge­macht hat, das von der in­ter­na­tio­na­len Atom­kon­troll­kom­mis­si­on nicht ge­neh­migt war. Als das Werk in die Luft flog, war ich ge­ra­de auf Raum­sta­ti­on Ter­ra II. Ich ha­be den Atom­pilz mit blo­ßen Au­gen se­hen kön­nen. Al­ler­hand! Freut mich, daß ich Ih­nen zu­ge­teilt wur­de.«

»Die ers­ten ver­nünf­ti­gen Wor­te seit Ih­rem Ein­tritt«, be­merk­te der Chef. »Cap­tain Kon­nat ist der an­de­re Agent, der au­ßer Ih­nen den Ein­griff über­stan­den hat.«

Der Klei­ne mus­ter­te mich ab­schät­zend.

»Al­so sind auch Sie durch die Höl­le ge­gan­gen«, flüs­ter­te er. »Eben erst an­ge­kom­men, oder wa­ren Sie schon vor mir dran?«

»Heu­te ent­las­sen wor­den«, warf Ge­ne­ral Re­ling ein. »Es war höchs­te Zeit. Sie müs­sen mit Ih­rer Ar­beit be­gin­nen. Sie ha­ben sich ab so­fort zu du­zen, da­mit Sie sich dar­an ge­wöh­nen. Das ist ein Be­fehl!«

Ich run­zel­te die Stirn. Der Klei­ne wand­te kei­nen Blick von mir. Seuf­zend hielt ich ihm die Rech­te hin, in der sei­ne Hand fast ver­schwand.

»Okay«, lach­te er. »Ich bin al­so Han­ni­bal. Zu dir sa­ge ich Lan­ger; das liegt mir bes­ser als dein Göt­ter­na­me. Dei­ne Mut­ter hat sich wohl an die nor­di­sche My­tho­lo­gie ge­hal­ten, was? Wir sind al­so art­ver­wandt. Das ge­fällt mir.«

Der Al­te er­hob sich und be­en­de­te un­se­re Un­ter­hal­tung.

»Kom­men Sie mit. Ich wer­de Sie mit Ih­rer Auf­ga­be ver­traut ma­chen. Wir müs­sen da­zu die elek­tro­ni­sche Da­ten­aus­wer­tung in An­spruch neh­men.«

Mir stock­te der Atem. Dem Zwerg er­ging es eben­so. Sprach­los sah er mich an.

Er hat­te auch al­len Grund da­zu, denn ich konn­te mich nicht er­in­nern, daß der Chef je­mals zwei Män­ner in das Al­ler­hei­ligs­te der GWA mit­ge­nom­men hat­te. Schlag­ar­tig er­kann­te ich, wie wich­tig und be­deu­tungs­voll die Auf­ga­be sein muß­te, an de­ren Lö­sung wir ar­bei­ten soll­ten.

In­ner­lich be­gann ich zu vi­brie­ren, als der Ge­ne­ral an einen schwe­ren Tre­sor trat, dem er ein Schlüs­sel­ge­rät ent­nahm.

Es war ein win­zi­ges und äu­ßerst kom­pli­zier­tes Elek­tro­nen­ge­hirn, in des­sen Ka­pa­zi­tro­nen der Kode ent­hal­ten war, mit dem man je­ne Pan­zer­schot­te öff­nen konn­te, die zu den Sä­len mit der Ro­bot­kar­tei führ­ten. Die Schlös­ser, die mit dem Ko­de­ge­rät gleich­ge­schal­tet wa­ren, rea­gier­ten auf den mil­lio­nen­fach zer­hack­ten Im­pulss­trom, der al­lei­ne ei­ne Aus­lö­sung der Öff­nungs­kon­tak­te be­wir­ken konn­te.

Wort­los steck­te Ge­ne­ral Re­ling das rohr­för­mi­ge Ge­rät in sei­ne kur­ze Uni­formja­cke und gab uns einen Wink. Er muß­te be­merkt ha­ben, daß wir mehr als sprach­los wa­ren, aber er un­ter­ließ je­de Be­mer­kung.

Wel­ches Ver­trau­en muß­te uns die­ser sonst so arg­wöh­ni­sche Mann ent­ge­gen­brin­gen!

Er schnall­te sich den Waf­fen­gür­tel um die Hüf­ten. In dem Half­ter steck­te ei­ner der grau­en­haf­ten Säu­re­strah­ler. Die Waf­fe war groß und durch den Preß­zy­lin­der un­hand­lich. Sie war auch nur im Nah­kampf zu ge­brau­chen. Al­ler­dings war sie dann von ver­hee­ren­der Wir­kung.

Er wuß­te, daß wir un­be­waff­net wa­ren. Den­noch schi­en er die­se Vor­sichts­maß­nah­me für rich­tig zu hal­ten.

Han­ni­bal ver­zog die Lip­pen, un­ter­drück­te aber je­de Be­mer­kung.

Re­ling öff­ne­te ei­ne schwe­re Stahl­tür. Sie glitt in die Wand zu­rück und gab einen schma­len Be­ton­gang frei, in des­sen Wän­den die ver­schie­den­ar­tigs­ten Ver­nich­tungs­waf­fen in­stal­liert wa­ren. Fern­seh­ka­me­ras über­wach­ten lau­fend die­sen ein­zi­gen Zu­gang zu den Ro­bot­kar­tei­en. Aus die­sem Grun­de konn­te auch der Chef nicht ein­fach ein­tre­ten. Über ein Sichtsprech­ge­rät gab er ei­ni­ge Be­feh­le an die Män­ner der Wa­che, die in ei­nem an­de­ren Raum hin­ter ih­ren Bild­schir­men sa­ßen und un­abläs­sig den Zu­gang be­ob­ach­te­ten.

Kur­ze Be­stä­ti­gun­gen klan­gen aus den Laut­spre­chern. Der Al­te schritt vor­an.

Wir folg­ten mit ge­misch­ten Ge­füh­len. Im­mer wie­der muß­te ich auf die ge­pan­zer­ten Sprüh­dü­sen der ein­ge­bau­ten Säu­re­strah­ler bli­cken. Ich sah auch die Mün­dun­gen der Ma­schi­nen­ka­no­nen und die Elek­tro­den der Licht­bo­gen-Strahl­schir­me, die mit Tem­pe­ra­tu­ren von fünf­zig­tau­send Grad Cel­si­us und Strom­stär­ken von ein­tau­send­fünf­hun­dert Am­pe­re ar­bei­te­ten.

Wenn ein Frem­der oh­ne Ge­neh­mi­gung ein­drang, war er ret­tungs­los ver­lo­ren. Es war ein selt­sa­mes Ge­fühl, un­ter und an den töd­li­chen Si­che­run­gen vor­bei­zu­ge­hen, die sich teil­wei­se au­to­ma­tisch aus­lös­ten, wenn sie nicht vor­her aus­ge­schal­tet wor­den wa­ren.

Ge­ne­ral Re­ling öff­ne­te mit dem Schlüs­sel­ge­rät ins­ge­samt vier Pan­zer­tü­ren aus Tri­mol­ni­tal-Stahl. Da­bei mein­te er:

»Wenn es ei­nem Un­be­fug­ten ein­mal wi­der Er­war­ten ge­lin­gen soll­te, al­le Ab­weh­rein­hei­ten zu über­win­den und über­dies die Schot­ten zu öff­nen, dann wür­den die Spei­cher­da­ten au­to­ma­tisch ge­löscht. Für die­sen Fall ha­ben wir be­son­de­re Vor­keh­run­gen ge­trof­fen. Die Kar­tei ist das ei­gent­li­che Herz der GWA. In ihr sind nicht nur die Na­men, Bil­der, Fin­ger­ab­drücke, Blut­grup­pen und Ge­hirn­wel­len­län­gen un­se­rer Agen­ten fest­ge­hal­ten, son­dern auch sämt­li­che Un­ter­la­gen, Er­geb­nis­se und Ge­heim­nach­rich­ten, die die GWA je­mals er­hal­ten hat. Sie wis­sen, was das be­deu­tet!«

O ja, das wuß­ten wir sehr gut.

Nach zehn Mi­nu­ten be­tra­ten wir einen klei­nen Vor­raum, an­schlie­ßend einen qua­dra­ti­schen Saal von rie­si­gen Aus­ma­ßen. Er war hell er­leuch­tet. Auch hier droh­ten au­to­ma­ti­sche Ab­wehr­waf­fen. Auf der gan­zen Welt gab es kein Ar­chiv, das so stark ab­ge­si­chert war.

Ich er­blick­te die elek­tro­ni­sche Ro­bot­kar­tei. Sie war nichts an­de­res als ein viel­sei­ti­ges und hoch­wer­ti­ges Elek­tro­nen­ge­hirn. Ich be­trach­te­te die Ma­schi­ne­nun­ge­heu­er und die Schalt­ti­sche, von de­nen aus die Pro­gram­mie­run­gen vor­ge­nom­men wur­den.

Die Kar­tei be­stand aus zahl­rei­chen Groß­rech­nern für ver­schie­den­ar­ti­ge Auf­ga­ben. Mit Hil­fe ei­ner ko­or­di­nie­ren­den Syn­chron­schal­tung konn­ten in Mi­nu­ten Pro­ble­me ge­löst wer­den, an de­nen hun­dert Ma­the­ma­ti­ker vom For­mat ei­nes Ein­stein Jahr­zehn­te hät­ten ar­bei­ten müs­sen.

Ich war über­rascht. So­gar Han­ni­bal mach­te kei­ne un­pas­sen­de Be­mer­kung.

Wir wa­ren al­lein. Re­ling schal­te­te die Auf­nah­me­mi­kro­pho­ne der akus­ti­schen Über­wa­chung ab. Von nun an konn­te nie­mand mehr mit­hö­ren, was in dem Saal ge­spro­chen wur­de.

Er bot uns zwei Kon­tu­ren­ses­sel vor dem großen Schal­t­ag­gre­gat an und setz­te sich eben­falls.

»Wir wol­len be­gin­nen, mei­ne Her­ren. Ich ma­che es so kurz wie mög­lich, denn sehr viel kann ich Ih­nen noch nicht sa­gen. Das, was ich wis­sen will, müs­sen Sie erst her­aus­fin­den.«