Das erste Mal auf der Tanzfläche - mit
ihm!
Sonntagnachmittag, im Fernsehen lief »Dirty
Dancing«. Wie mit 14 saßen Sabrina und ich auf der Couch,
knabberten Nüsse, lutschten Eiskonfekt und sangen mit vollen
Mündern lautstark mit. Wir waren ja alleine. Keine Kerle weit und
breit. Meine Lieblingsstelle, wo er sie im Wasser hochhebt, kennt
jeder! Die beiden üben für ihren großen Auftritt im Nachbarhotel,
nachdem Baby sich mit dem glorreichen Satz »Ich habe eine
Wassermelone getragen« ins Herz von Patrick Swayze und einem
Millionenpublikum katapultiert hatte. »Der kann tanzen. Ich
wünschte, ich hätte einmal so einen Tanzpartner gehabt. Dann hätte
das auch mit meinen Hebeübungen besser geklappt und ich hätte noch
mehr Preise abgesahnt«, sagte Sabrina, und ich konnte mich nur
wundern. Hä, Tanzpartner? »Tja, Schätzchen, sieben Jahre lang
Tanzschule, da hat man schon mal wechselnde Tanzpartner! Habe ich
dir nie von meinen Tanzturnieren erzählt?« Es war an der Zeit, den
Film zu stoppen (wir können ihn ja ohnehin mitsprechen) und sich
aufrecht hinzusetzen! »Du warst in so’ner spießigen Tanzschule? Mit
verpickelten Tanzpartnern? Die hatten doch bestimmt alle Mundgeruch
und ganz fürchterlich schlimme nasse Hände. Igitt, ich möchte
darüber gar nicht nachdenken.«
Sabrina guckte merkwürdig: »Aber alle gehen doch in
die Tanzschule - jedenfalls früher!«
»Ich nicht. Das heißt, ich war drin! Einmal. Mit
15. Ich
ging direkt wieder rückwärts raus. Meine Mutter hat meinen Vater
in der Tanzschule kennen gelernt. Dieser Familientradition konnte
ich angesichts des Tanzpartnermaterials unmöglich folgen.
Schreckliche Jungs saßen da rum. So uncool... Ich war da auch
gerade irre in Michael Z. verknallt, den man nicht mal mit
Folterandrohungen zu einem Tanz im Dreivierteltakt hätte bewegen
können. Der hätte mich sofort verlassen, wenn ich ihm so gekommen
wäre. Mit Stöckelschuhen, Röckchen und einem angetackerten
Dauergrinsen! Außerdem fand ich zusammen tanzen immer schon was für
alte Leute!«
Sabrina reagierte empfindlich. »Du bist ignorant,
arrogant und gerade ziemlich unwissend. Tanzen kann sehr
kommunikativ sein, ist gut für die Körperhaltung, und es gibt
Kaugummis gegen Mundgeruch! Mir hat’s immer irre viel Spaß gemacht.
Auch wenn mich keiner nach meinen Vorstellungen mühelos heben
konnte. Außerdem hast du dann die Chance, mal wenigstens an einen
zu kommen, der tanzen kann. Die meisten Jungs sind doch völlig
untalentiert.«
Das stimmt. Männer und tanzen schließt sich in den
allermeisten Fällen aus! Was eigentlich kein Problem wäre - gäbe es
nicht meine neurotisch-neuralgischen Stresspunkte! Wieso soll ein
Mann gut aussehen beim Tanzen? Ist doch auch schön, wenn es ihm nur
Spaß macht. Haha... Ganz ehrlich: Mir ist es wirklich lieber, mein
aktueller Lebenspartner steht ruhig an der Bar, trinkt lässig einen
Whiskey, guckt mir beim Tanzen zu und sieht dabei umwerfend sexy
aus. Cool, sicher und nicht so verschwitzt! Das hängt natürlich mit
meinen ganz persönlichen Erlebnissen zusammen. Ich kannte da mal
einen, der war recht männlich, eigentlich hässlich, aber auch ganz
gut gebaut. Wenn ich es mir genau überlege, hatte
der ein Gesicht, das nur eine Mutter lieben kann. Aus was für
Gründen auch immer (Körperbau, Stimme, Automarke) hatten wir ein,
zwei Dates. Bis zu diesem denkwürdigen Abend, als wir das erste Mal
tanzen gingen. Da er zum Schwitzen neigte (!), kam er in einem
Muskelshirt und kurzen Jeans - ich schwöre, so was hatte ich noch
nie gesehen. Sobald die Musik spielte, schoss sie ihm wortwörtlich
in Arme und Beine. Wie ein Derwisch wirbelte er über die
Tanzfläche, vollführte merkwürdige Sprünge, riss dabei die Hände in
die Höhe und schüttelte sich wie Jane Fonda in den allerersten
Aerobic-Kursen aus den frühen Achtzigern! Nicht nur, dass er 90
Prozent der Tanzfläche für sich allein beanspruchte, mindestens
vier Gläser und drei Teller von irgendwelchen Tischen fegte - nein,
er schwitzte, schwitzte, schwitzte. Die Niagarafälle waren ein
Tautropfen gegen ihn. Da er sich so schüttelte, hatten wir alle was
davon - der Schweiß spritzte durchs ganze Etablissement. Wie ein
aufgeregtes, aufgezogenes Äffchen schoss er alle zwei Minuten auf
mich zu, spitzte seinen Mund und versuchte mich zu küssen.
Irgendwann habe ich ihm dann den Rücken zugedreht, um eine
Viertelstunde später völlig und für immer aus seinem Leben zu
verschwinden. Ich hoffte, dass ich so was nie, nie, nie wieder
erleben muss. Tja, aber dann kam Oliver M.
Ich werde nicht müde, bei meinen Freundinnen zu
betonen, dass es sich hierbei um eine Affäre und NICHT um eine
Beziehung gehandelt hatte! Ich erzähle hier nur eine Geschichte -
und Sie werden mich verstehen. Die erklärt so vieles. Wir gingen
tanzen, nachdem ich mir schon vorher zwei Stunden lang ihn und
seine bekloppten Geschäftspartner reingezogen hatte. Ort des
Geschehens war ein nobler Tennisclub, große Party, geschlossene
Gesellschaft, nette,
fröhliche Leute ohne viel Tamtam, einfach nur gute Laune und Spaß
beim Tanzen. Und den hatte ich auch - bis plötzlich ein
menschlicher Kreisel mit den PS-Zahlen eines Ferraris an mir
vorbeisauste. Es machte tatsächlich ein Geräusch wie bei der Formel
Eins. Wwwwwmmmmm! Und noch mal wwwmmmmmm. Jetzt blieb dieses
seltsame Wesen von einem anderen Stern punktgenau vor mir stehen.
Er sah aus wie Oliver. Oliver! Meine Affäre! Dann begann er sich
auf mich zuzubewegen. Im Nachhinein nannte er es TANZEN! Mein Gott!
Während er mit dem Unterleib zuerst auf mich zurobbte, suchte ich
verzweifelt nach Ronja. Sie musste mich aus dieser
hochnotpeinlichen Situation retten! Was ich nicht wusste, war, dass
sie schon längst hinter mir stand und genauso blöde guckte wie
ich.
Er ließ sich keine Minute von seinen abscheulichen
Plänen ablenken und machte weiter mit diesem Balztanz. Hüftkreisend
öffnete er wie eine Stangentänzerin den obersten Knopf seiner
Jeansjacke. Knopf für Knopf arbeitete er sich vor und ließ dabei
(ich schwöre, dass es stimmt!) seine Zunge über die Lippen kreisen.
Als die Jacke auf war, riss er sie von den Schultern und wirbelte
damit wie der Bademeister beim Saunaaufguss mit dem Handtuch durch
die Luft - alle anderen Tänzer bekamen die Jacke um die Ohren
gehauen, und die Stimmung ebbte merklich ab. Das Gleiche machte er
anschließend mit dem Hemd. Als er nur noch im T-Shirt dastand,
glich ich einer Salzsäule - starr vor Schreck und Entsetzen. Ronja.
Ronja! Mach was, stammelte ich. Ronja nahm meinen Arm, zog mich von
der Tanzfläche. Und dieses Urviech schoss wieder hinterher.
Wwwwwmmmm. Ich befürchtete schon, dass jetzt seine Hose dran wäre.
In diesem Augenblick rannte ich panisch aufs Damenklo und
verschanzte mich hinter der sichersten Tür. Nach einer Stunde war
er
endlich weg, die Luft rein, ich ging und wollte nie mehr wieder in
meinem Leben diesen Tennisclub betreten.
»Warst du schon mal mit deinem Liebsten tanzen?«,
quasselte mir Sabrina in meine Horrorszenarien. »Ach herrje, nee«,
stotterte ich und musste den Film in meinem Kopf jetzt sofort
stoppen. »Och, mach mal. Wer weiß, was dein Supertyp auf der
Tanzfläche so draufhat!« 30 Alarmglocken schrillten in meinem Kopf,
und vor meinem geistigen Auge stellten sich 50 Stoppschilder auf!
Was war, wenn er auch so ein Oliver-Tanztyp wäre? Wenn er mir den
John Travolta machen wollte? Eine Mischung aus King Kong und dem
Starballett-Tänzer aus dem Berliner Friedrichstadtpalast? Nein, so
war er nicht! So durfte er nicht sein. Mein Liebster würde mit
Sicherheit zu den Männern gehören, die lässig an der Bar stehen...
Hoffte ich. Aber im dritten Monat unserer Beziehung fühlte ich mich
stark genug, das auszutesten. Wenn ich hingucken konnte und mich
nicht fremd schämen musste, dann wusste ich, dass ich ihn wirklich
liebte. (Auch dieses Entscheidungskriterium durfte meine
Analytikerin Frau S. niemals erfahren! Meine Mutter übrigens auch
nicht. Und wenn ich’s mir recht überlege, eigentlich
niemand.)
Keine zwei Wochen später waren mein Liebster und
ich eingeladen - große Party, nette Leute, gute Musik und eine
extra freigeschaufelte Tanzfläche. Die Stunde der Wahrheit. Ich
gebe zu, dass ich nicht mehr ganz so mutig war wie noch vor kurzem.
Zunächst verschwand ich am Büfett und blieb dann fast zwei Stunden
in der Küche sitzen. Küchen sind sowieso auf Partys der beliebteste
Ort und gewöhnlich am weitesten von der Tanzfläche entfernt. Wenn
dann die Tanzfläche nicht in die Küche kommt - in Form einer höchst
peinlichen Polonaise. Im Kindergarten habe ich Polonaisen
schon gehasst. Und diesem Werner Böhm möchte ich im Nachhinein
noch etwas Schlimmes antun: »...fasst der Heidi von hinten an die
Schulter.« Was ist denn das für’n Scheiß? Auf jeden Fall kam die
Polonaise, und irgendwelche Hände rissen meinen Liebsten und mich
einfach mit. Durchs Wohnzimmer, durchs Klo, am Schlafzimmer links
vorbei, über’n Balkon bis in die Bibliothek. Über Stühle und
Tische, hoch und nieder, immer wieder. Als diese entwürdigende
Menschenkette endlich stoppte, standen wir zufällig auf der
Tanzfläche, und Kylie Minogue begann »Cant Get You out of my Head«
zu singen. Was war ich unentspannt. Von all diesen Ängsten wusste
mein Liebster natürlich nichts. Er hüpfte irgendwie im Takt der
Musik. Ja, er hüpfte. Ich schloss die Augen, mache ich sowieso
gerne beim Tanzen. Lalalala... Zwischendurch blinzelte ich durch
die fast geschlossenen Augenlider, um dann doch mal wahrzunehmen,
was der Hüpfer vor mir so alles tat. Dazu muss ich sagen: ER war
völlig normal, wie Männer halt so tanzen. ICH dagegen muss
ausgesehen haben wie die dicke, rothaarige, zahnbespangte
dreizehnjährige Pfarrerstochter, die zum ersten Mal rausgelassen
wird. Verstehen Sie mich nicht falsch - ich bin auf der Tanzfläche
sonst alles andere als verklemmt - ich flirte, ich spiele, ich kann
Ihnen jede Rolle auf der Tanzfläche geben. Mit allen anderen
Menschen - nur verdammt noch mal, warum nicht heute und hier mit
meinem Liebsten? Ich war trotzdem fest überzeugt, dieses Programm
hier heute Abend durchzuziehen - er sollte sich frei wie ein
Vögelchen bewegen können, ohne dass ich ihn wie beim Turnier nach
Pflicht und Kür, Haltung und Technik bewerten wollte. Das konnte
ich später immer noch tun, wenn unsere Beziehung etwas gefestigter
war.
»Was? Echt? Der hat getanzt... Das ist ja super!«,
sagte Sabrina am Telefon.
»Echt, findste? Ist das nicht ein bisschen
peinlich?«, stotterte ich ziemlich ratlos.
»Ach nö, Süße! Die meisten Frauen wären froh, wenn
sie einen hätten, der gerne tanzt. Und wenn er seine Klamotten
dabei angelassen hat und nicht schwitzte wie ein Puma (schwitzen
die überhaupt?) - ist doch schon mal prima.«
Ich musste auflegen, mein Liebster kam. Er summte
»Strangers in the Night« vor sich hin, hatte eine Rose in den
Zähnen - oha, ein Moment, der auch wieder hätte peinlich werden
können, wenn man seinen eigenen Verkrampfungen und Verklemmungen
nachgibt. Aber es ist niemals peinlich, wenn man, statt
nachzudenken und ständig alles zu analysieren, einfach mal
mitmacht. Er riss mich an sich, und wir tanzten nach seinem Summen
irgendeine Art von Walzer.
Endlich! Ein Mann der selbstbewusst mit mir tanzte
und mich dabei zu führen wusste. In diesem Fall direkt ins
Schlafzimmer!