Nein, Mama, ich bin nicht
schwanger!
»Schwarzwälder Kirsch? Oder Käsekuchen mit
Sahne?«
»Ach herrje, wissen Sie was, ich nehm von jedem ein
Stückchen!« Vor Vorfreude tropfte mir der Zahn. »Dazu einen Latte
macchiato - aber bitte mit Süßstoff! Und eine Cola zum
hinterherspülen. Na, Mama, was nimmt du denn? Oder machste gerade
mal wieder Diät?«
Ich stand mit meiner Mutter in einem knuffigen
Oma-Café. Es war voll. An den winzigen Tischchen Leutchen so um die
70, die Damen mit Hütchen beim Teechen. Die, die keine trugen,
präsentierten das weiße Haupthaar, Silber gespült mit dem Stich
Lila. Ganz Verrückte trugen blau. Die Luft war rauchgeschwängert,
eigentlich konnte man kaum atmen, und reden konnte man auch nicht,
weil’s viel zu laut war. Da hier alle schrien, schrien wir mit. Die
Kellnerin war blond gefärbt, um die 50, trug pinkfarbenen Nagellack
und Gesundheitsschuhe. Klar, bei dem Programm, was die hier so
ablaufen musste.
Als der Kuchen zehn Minuten später vor uns stand -
ich gerade das erste Stück auf der winzigen Gabel Richtung Mund
balanciert -, platzte es aus meiner Mutter raus: »Ich weiß es ganz
genau. Du kannst mir nichts vormachen. Ich bin deine Mutter, ich
habe dich geboren. Also sag schon … Wann?«
Ich stopfte mir weiter den Kuchen rein, ohne den
seltsamen Worten meiner Mutter irgendeine Beachtung zu schenken.
Wie oft hat sie mich schon vorm Altar, mit Brautkleid, Schleier
und sogar passendem Mann gesehen.
Jaja, ich weiß, sie will, dass ich endlich mal
sesshaft werde, so mit Reihenhäuschen und Garten. Mütter können
erst wieder ausatmen, wenn die Töchter tatsächlich unter der Haube
sind. Sie wollen dann endlich die Verantwortung an den
Schwiegersohn abgeben.
Genug gewickelt, gefüttert, gehätschelt, gekocht,
geliebt, gepflegt, Schularbeiten beaufsichtigt, aufs Leben
vorbereitet, sich mit der Pubertät rumgeschlagen, Sorgen gemacht,
das Studium begleitet, bei Liebeskummer getröstet, Wäsche
gewaschen, Behördenkram erledigt, gezahlt. Irgendwann reicht’s
dann.
Nicht, dass wir erwachsenen Mädels noch jeden Tag
nach Mama schreien würden. Aber Mütter sind halt ihr Leben lang
Mütter und kommen auch ungerufen immer wieder auf den Plan.
Da saßen wir beide nun friedlich, und dann kam der
nächste Hammer: »Kind, ich hatte erst gedacht, du bist nur so
einfach bisschen propperer geworden. Na, nun komm, rück schon raus
mit der Sprache. Deine Augen verraten es doch sowieso schon. Du
hast nämlich diesen bestimmten seligen Blick...«
»Mama, wir können jetzt noch eine Stunde »Ich sehe
was, was du nicht siehst« spielen - wir können die Nummer aber auch
abkürzen. Was is?«
»Ich habe mit der Tante Carla schon drüber
gesprochen. Du, die ist froh! Die hat auch gesagt: ›Da is se aber
uffn letzten Zuch uffjesprungen.‹«<
Ich guckte ratlos. Wieso denn jetzt Tante Carla?
Und welcher Zug? Hatte hier irgendjemand vor zu verreisen? »Mama,
wenn du mir jetzt nicht sagst, was los ist, mach ich Blubberblasen
mit dem Strohhalm in meiner Cola! Und zwar so, dass dein Stück
Torte Schwimmflügel braucht!« Ich wurde trotzig. Da kann ich noch
so alt werden, das Kind mit dieser Eigenschaft in mir wird nie
erwachsen.
Mama holte tief Luft und riss mir den Strohhalm
aus’m Schnabel. »Ich freue mich jetzt schon, wenn du mit deinem
Kind hier sitzt und dir so was anhören musst!«
Da kann sie aber noch lange drauf warten. Ich und
Kinder! Und genau das sagte ich: »Ich und Kinder?«
Mamas Augen leuchteten, und sie schrie voller
Entzücken: »ZWILLINGE!« So, das hatte jetzt auch die Dame da hinten
mit dem defekten Hörgerät verstanden. Mutter bestellte sofort einen
Fernet Branca - natürlich einen doppelten, dem Anlass angemessen.
»Zwillinge... Klar, bist ja auch dran. Dein Opa war ein Zwilling
und deine Tante aus Pommern.« Jetzt begriff auch ich langsam, was
meine Mutter mir da in den Bauch reden wollte: Sie dachte, ich sei
schwanger! Hilfe. Eine totale Unverschämtheit wegen der zwei, drei
Kilos zu viel!
Wir sollten eine ganze Pulle Fernet Branca
bestellen. »Nein, Mama, ich bin nicht schwanger!«
Ihr Gesicht vereiste, und das Entsetzen über
Weltkriege, Umweltverschmutzung, Vogelgrippe und Rechtschreibreform
verblasste total angesichts dieser Nachricht. »Aber ich dachte,
weil du doch... Hast du denn nicht... Wieso aber dann... Gott, bist
du dick geworden!« Zwei Pullen. Eine für sie, eine für mich!
Kein Kind, aber eine Idee wurde geboren. Und ich
dachte an Kerstin, drei Kinder von - zum Glück! - nur zwei Männern.
Ich erinnerte mich an ihre strahlenden Augen, die kugelrunden
Bäuche, die zärtlichen Vorbereitungen auf den kleinen neuen
Erdenbürger, das Einkaufen von Bettchen,
Wagen, Stramplern, Fläschchen, Nuckis... Es war wirklich
erstaunlich, sie nahm auch immer nur am Bauch zu, von hinten sah
man gar nichts. Und dann diese winzig kleinen Babys an ihrem
prallen Busen. Junge Mütter haben eine wunderbare Ausstrahlung. Und
es macht auch gar nichts, dass sie völlig fertig aussehen und ab
jetzt keine Bluse, kein T-Shirt mehr ohne Babybrei oder Kotze
tragen, nie mehr zum Friseur kommen, völlig verschlampt rumlaufen,
Sex nur noch aus Filmen kennen, zur Rückbildungsgymnastik rennen
und trotzdem aussehen wie mitten in der Schwangerschaft.
Okay, reden wir über Hormone. Frisch Verliebte
haben einen permanenten Hormonüberschuss. Sie sind verwirrt und im
Ausnahmezustand. Was dazu führt, dass die Gedanken Karussell
fahren.
Als ich meinen Liebsten gerade zwei Wochen kannte,
waren wir wie alle frisch verliebten Paare natürlich im Zoo. Sie
glauben gar nicht, wie mich die nölenden Kinder anderer Leute
genervt haben. Dieses ständige Rumgezuppel an den Eltern, immer
noch mehr Geld für Eis und den Futterautomaten, sie übervölkerten
den Streichelzoo, die Toiletten und den Pommeskiosk. Es wäre mir im
Traum nicht eingefallen, die Pille abzusetzen und meinen Liebsten
mit einem Kind zu teilen - Aufmerksamkeit, Liebe, Zeit,
Zärtlichkeit, na alles halt!
Tatattataaa… Wie bekloppt ist man denn, wenn man
unter einem gewissen Hormonzwang steht? Jetzt, nur wenige Wochen
nach diesem Zoobesuch, war nämlich alles anders. Letztens verliebte
ich mich glatt noch mal in ihn, als ich ihn beobachtete, wie
entzückend er mit einem fremden Kind spielte und ihm erklärte,
wieso dieses Blatt Papier mal ein Baum war! Der geborene Vater.
Dieser Mann musste
viele Kinder haben. Eigene! Und ich, ich allein, wollte ihm diese
Kinder schenken! Ich informierte sofort meine Analytikerin Frau S.
über diese wundersame Veränderung in meinem Wesen. Sie reagierte
wie gewohnt gar nicht. Bis auf ein »Glauben Sie mir, Sie sind nicht
die einzige Frau, die sich aus Liebe fortpflanzen möchte« kam
nichts.
Gott, war sie denn niemals zu einer normalen
Reaktion zu bewegen? Sind das nicht die ewig kontrollierten Frauen,
die sich dann in Diskos die Klamotten vom Leib reißen und auf dem
Tisch tanzen. (Ich wollte erst pinkeln schreiben, habe mich aber
nicht getraut!)
Plötzlich hörte ich etwas ticken. Ganz so wie das
Krokodil bei Peter Pan. Tick, Tack, Tick. Hilfe, meine biologische
Uhr! Um Himmels willen. Ich dachte immer, ich hätte keine. Und
jetzt, angesichts meiner veränderten Lebenssituation, musste auch
ich mir die Frage stellen, wie viel Zeit mir noch blieb, um eine
Fußballmannschaft in die Welt zu setzen!
Okay, drei Pullen von dem Fernet-Zeug. Wobei -
Alkohol und Schwangerschaften schließen sich bekanntermaßen ja aus.
Ich war in einer Zwickmühle und offensichtlich mal wieder kurz vor
einem Hysterieausbruch!
In dieser Panik schrieb ich meinem Liebsten eine
SMS: WILLST DU EIGENTLICH KINDER??? Gedankenlos und
unverantwortlich von mir, wie sich zehn Sekunden später
rausstellte. »ICH WERDE VATER!?« Schöne Scheiße, noch jemand auf
dem Irrweg. Ja, sind denn jetzt alle durchgeknallt? Ihm jetzt nur
zu schreiben, dass es sich um einen fatalen Irrtum handelte,
brachte ich nicht übers Herz. Ich rief ihn an.
»Nein, Schatz, ich bin nicht schwanger. Ich dachte
nur...«
»Okay, Süße. Du bist eine wunderbare Frau, und ich
kann
mir dich als italienische Mama mit vielen Bambini, dickem Busen
und brodelnder Pasta auf dem Herd fantastisch vorstellen. Aber gib
uns einfach noch ein bisschen mehr Zeit, uns als Paar kennen zu
lernen und zu entdecken. Diese Zeit gehört jetzt erst mal nur uns,
die möchte ich mit dir ganz alleine haben. Ich liebe dich!«
Nachdem ich meine angetrunkene und immer noch
schwer enttäuschte Mutter zu Hause abgesetzt hatte, ging ich noch
schnell in den Supermarkt - Gemüse kaufen. Für den Fall der Fälle
wollte ich schon mal mit der gesunden Ernährung anfangen. Es war
rappelvoll. Hinter mir am Fleischstand schubste mir eine junge
Mutter mit zwei kreischenden Kleinkindern ihren Wagen in die
Hacken. Als ich gerade losbrüllen wollte, übernahm das an meiner
statt eines der Kinder. Voller Wut schmiss sich der kleine Junge
auf den Boden, strampelte mit den Füßen, schrie irgendetwas von
»Ich will Schokolade und keine blöde Wurst!« (so was kannte ich nur
aus Filmen), während das noch kleinere Mädchen in aller Seelenruhe
die noch nicht bezahlten Wattepads in eine Million Einzelteile
zerpflückte. Ich wäre jetzt weinend zusammengebrochen - als Mutter
DIESER Kinder! Die echte Mutter ignorierte ihren schreienden Sohn,
sammelte die Wattewolken ein, zog ihrer Tochter Handschuhe an und
bestellte 500 Gramm Gehacktes. War ich froh, dass sich mein
Kinderwunsch a) noch nicht erfüllt hatte und b) gerade in Luft
auflöste... Vorerst!
Vergnügt und erleichtert griff ich nach dieser
Erkenntnis ins Regal mit der Schokolade. Als ich plötzlich noch mal
kurz meine Mutter hörte: Gott, bist du dick geworden!« Ich legte
die Schokolade wieder zurück. Okay, daran kann ich ja arbeiten,
Mutter!