Das zweite Jubiläum




Am nächsten Tag war es so weit. Da kannten wir uns genau zwei Monate. Zwei aufregende, interessante, schöne, spannende, manchmal auch nervende, zweifelnde, aufreibende Monate. Zwei wunderbare Monate meines Lebens. Was hatte sich geändert? Viel. Eigentlich alles. Es gab keine langweiligen Single-Sonntage mehr. Ich lernte kochen. Ich hatte Platz gemacht im Kleiderschrank und im Bad.
Ich war sieben Jahre lang Single. Ich hatte Spaß gehabt, Sex, es gab einsame Nächte, eine Menge magische Rituale, spirituelle Momente mit meinen schwulen Freunden, wunderbare Weiberabende, die erst morgens um fünf in Karaoke-Gegröle endeten. Kurz, es war gut.
Was es nicht gab, war der Eine. Den, den man anruft, wenn die eigene Mutter spinnt, wenn der Hund stirbt, wenn der Bauch wehtut oder wenn man glaubt, vor Glück zu platzen, weil endlich, endlich der lang ersehnte Vertrag da ist.
Was ist besser? Das Abenteuer? Der Spaß der Nacht? Der Luxus von Gesichtscreme und Wollsocken in Seidenbettwäsche? Oder das vertraute Atmen aus dem Nachbarbett, das zärtliche »Guten Morgen, Schatz« und die Gewissheit, Silvester um Punkt 12 Uhr von dem Menschen geküsst zu werden, den man liebt.
Jetzt endlich mal verliebt. Immer noch. Und ich erlebte den Himmel und die Hölle gleichermaßen. Wie sehr wünschte ich mir, dass alles wäre wie bei Doris Days »Ein Pyjama für zwei«. Doch was hatte ich? Liebe, Liebe, Liebe und Ängste, Ängste, Ängste. Und auch Stress! Vieles stresste mich auf einmal. Seine sechs Jahre weniger, meine Oberschenkel, seine Freunde, meine Mutter, seine Vorliebe für Fußball im Fernsehen und meine drohende Lieblingsserien-Fernsehabstinenz. Manchmal fürchtete ich, nie mehr bedenkenlos meine »Golden Girls« oder die »Simpsons« nachts im Bett (natürlich!) sehen zu können.
Eigentlich wollte ich jetzt am liebsten in die Kirche gehen und eine Kerze anzünden. Aber es regnete, außerdem bin ich vor zwei Jahren aus diesem Verein ausgetreten. Das muss man sich mal vorstellen: Da heiratet meine Freundin kirchlich, und die Pfarrerin beginnt allen Ernstes ihre Rede mit folgenden Worten: »Liebes Brautpaar, liebe Gäste. Normalerweise steht das Brautpaar im Mittelpunkt. So soll es auch heute sein. Aber ich möchte gerne mit dieser Orgel dort oben beginnen. Schön, ne? Ja, aber leider ist sie aus Plastik. Wir wünschen sie uns aus Holz. Und dafür brauchen wir Ihre Kollekte.« Bei meiner Konfirmation war genau der gleiche Mist. Meine Mutter, in Hütchen und Kostümchen, steckte sich voller Vorfreude drei Taschentücher in ihr Täschchen. Auf Tränenbäche vorbereitet, konnte sie enttäuscht nicht ein einziges Tröpfchen vergießen. Unser Pfarrer zählte die ganze Zeit auf, woran es seiner Kirche mangelte: Das Dach musste repariert werden, die Scheiben waren marode und überhaupt. Damals war ich zu jung, um eine Entscheidung zu treffen. Diesmal bin ich zwei Tage nach der Hochzeit ausgetreten.
Ich zündete trotzdem eine Kerze an und stellte sie ins Küchenfenster. Der liebe Gott ist ja überall.
Manchmal frage ich mich auch, wie es meinem Liebsten geht. Gut natürlich, ich bin ja seine Freundin. Aber auch er hat Platz gemacht im Kleiderschrank und im Bad, aber vor allem in seinem Leben. Er schenkt mir seine Zeit, sein Vertrauen und seine Geduld (und die braucht er auch - nicht nur wegen meiner mangelnden Kochkünste). Da kommt ja auch eine Riesenwand auf ihn zu - da ist eine sieben Jahre lang Single, sechs Jahre älter, komplett neurotisch, aber genauso wie Julia Roberts in »Notting Hill« doch einfach »nur ein Mädchen, das geliebt werden möchte«. Für diesen Satz sollte ich mir das mit der Kerze noch mal überlegen und dem Universum schwören, nie wieder so einen Scheiß zu schreiben.
Ziehen wir mal Bilanz: Er ist immer noch bei mir. Das ist schon mal sehr gut! Er ist bei weitem nicht so empfindlich wie ich, er ist cool und gelassen genug, meine Spinnereien zu ertragen (Gut, mindestens die Hälfte bekommt er ja gar nicht mit! Die laufen ja als Film in meinem Kopf ab!) Aber wenn er sie mitbekommt, dann liebt er sie sogar. Noch! Er weiß, wie ich aussehe mit erhöhter Temperatur und kurz vorm Ableben, er kennt mich morgens, mittags, abends, nachts, und ich weiß, dass er doch Geräusche macht! Ha! Er schnarcht. Manchmal. Okay, er röchelt eher, vor allem, wenn er erkältet ist. Aber Geräusch bleibt Geräusch. Und seltsamerweise kann ich damit leben, manchmal beruhigt es mich sogar. Ich habe seine Familie schon kennen gelernt und hatte Spaß. Irgendwie. Wenn man auf Geschichten über Hundesterbehilfe steht... Und wir haben geklärt, was wir mögen und was nicht. Ich muss jetzt keinen Fußball mehr gucken.
Kurz - wir können miteinander reden. Das sind gute Voraussetzungen, das zweite Jubiläum zu feiern und sich auf das dritte zu freuen.
90 Tage auf Bewaehrung
fish_9783641031916_oeb_cover_r1.html
Section0001.html
fish_9783641031916_oeb_toc_r1.html
fish_9783641031916_oeb_fm1_r1.html
fish_9783641031916_oeb_ata_r1.html
fish_9783641031916_oeb_ded_r1.html
fish_9783641031916_oeb_fm2_r1.html
fish_9783641031916_oeb_frw_r1.html
fish_9783641031916_oeb_p01_r1.html
fish_9783641031916_oeb_c01_r1.html
fish_9783641031916_oeb_c02_r1.html
fish_9783641031916_oeb_c03_r1.html
fish_9783641031916_oeb_c04_r1.html
fish_9783641031916_oeb_c05_r1.html
fish_9783641031916_oeb_c06_r1.html
fish_9783641031916_oeb_c07_r1.html
fish_9783641031916_oeb_c08_r1.html
fish_9783641031916_oeb_c09_r1.html
fish_9783641031916_oeb_c10_r1.html
fish_9783641031916_oeb_c11_r1.html
fish_9783641031916_oeb_c12_r1.html
fish_9783641031916_oeb_c13_r1.html
fish_9783641031916_oeb_c14_r1.html
fish_9783641031916_oeb_c15_r1.html
fish_9783641031916_oeb_p02_r1.html
fish_9783641031916_oeb_c16_r1.html
fish_9783641031916_oeb_c17_r1.html
fish_9783641031916_oeb_c18_r1.html
fish_9783641031916_oeb_c19_r1.html
fish_9783641031916_oeb_c20_r1.html
fish_9783641031916_oeb_c21_r1.html
fish_9783641031916_oeb_c22_r1.html
fish_9783641031916_oeb_c23_r1.html
fish_9783641031916_oeb_c24_r1.html
fish_9783641031916_oeb_c25_r1.html
fish_9783641031916_oeb_c26_r1.html
fish_9783641031916_oeb_c27_r1.html
fish_9783641031916_oeb_c28_r1.html
fish_9783641031916_oeb_c29_r1.html
fish_9783641031916_oeb_p03_r1.html
fish_9783641031916_oeb_c30_r1.html
fish_9783641031916_oeb_c31_r1.html
fish_9783641031916_oeb_c32_r1.html
fish_9783641031916_oeb_c33_r1.html
fish_9783641031916_oeb_c34_r1.html
fish_9783641031916_oeb_c35_r1.html
fish_9783641031916_oeb_c36_r1.html
fish_9783641031916_oeb_c37_r1.html
fish_9783641031916_oeb_c38_r1.html
fish_9783641031916_oeb_c39_r1.html
fish_9783641031916_oeb_c40_r1.html
fish_9783641031916_oeb_c41_r1.html
fish_9783641031916_oeb_bm1_r1.html
fish_9783641031916_oeb_bm2_r1.html
fish_9783641031916_oeb_cop_r1.html