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Am nächsten Morgen, es war Donnerstag, der 5. November, veröffentlichten die örtlichen Tageszeitungen Franziskas Foto. Die begleitenden Artikel beschrieben nüchtern, dass Franziska Bellgardt die in den bisherigen Berichten namentlich anonym gebliebene Frau war, die am Freitag, 23. Oktober im Bahnhof Dortmund-Kurl vom Zug überfahren worden war. Erstmals legte sich die ermittelnde Staatsanwaltschaft auch darauf fest, dass es sich um ein Verbrechen gehandelt habe, und bat um Hinweise, wer Franziska ab Anfang August, wann, wo und mit wem in Begleitung gesehen habe und lobte für sachdienliche Informationen einen stattlichen Betrag aus. Die von der Staatsanwaltschaft redaktionell vorbereiteten Beiträge wiesen darauf hin, dass die gesuchte Begleitperson als Täter in Betracht komme, aber nicht zwingend der Täter gewesen sein müsse.

Bis zum Wochenende ging eine Vielzahl von Hinweisen ein, deren Überprüfung jedoch im Sande verlief. Teilweise war die vermeintlich erkannte Person nicht Franziska, teilweise verloren sich die Hinweise in dem diffusen Bewusstsein, sie oder eine ihr ähnlich sehende Frau in den letzten Wochen irgendwo gesehen zu haben. Ylberi wusste, wie sehr die Erinnerung täuschen konnte, dankte freundlich für die Hilfe und sammelte die über die Aussagen gefertigten Protokolle, ohne sie zunächst weiter zu beachten. Die einzige wertvolle Aussage stammte von drei 15-jährigen Schülerinnen, die am Donnerstag, 27. August, das Freibad Stockheide besucht und Kopfsprünge vom Dreimeterbrett geübt hatten.

Ylberi las aufmerksam den vom Kommissariat gefertigten Bericht:

Eines der Mädchen, die Zeugin Jessica Schneider, hatte eine Digitalkamera bei sich, und so fotografierten sich die Mädchen wechselseitig, wie sie vom Brett ins Wasser sprangen. Dies hatte eine Frau beobachtet, die mit ihrem Freund auf einer Wolldecke in der Nähe der Mädchen auf dem das Becken umgebenden Rasen lag und sich anbot, mit der Kamera alle drei Mädchen zu fotografieren, wenn sie zu dritt ins Wasser sprangen. Die Mädchen waren davon begeistert und ließen sich gleich mehrfach ablichten. Als sie genug davon hatten, bat der Mann darum, dass die Mädchen ihn und seine Freundin beim Sprung fotografieren, was die Mädchen verwunderte, aber wunschgemäß taten. Der Mann betrachtete anschließend die von insgesamt drei Sprüngen gefertigten Bilder. Er bat, eines zu löschen, weil er darauf, wie er sich ausdrückte, dumm aussehe. Er soll dafür auch irgendeinen französisch klingenden Begriff gebraucht haben. Die Mädchen löschten daraufhin in seinem Beisein dieses Bild. Die zwei Bilder von den beiden anderen Sprüngen gefielen dem Mann, und er bat darum, sie per E-Mail erhalten zu dürfen. Die von ihm angegebene E-Mail-Adresse, die sich Jessica Schneider notierte, war jedoch falsch. Nachdem sich die Bilder nicht verschicken ließen, ließ Jessica die Sache auf sich beruhen. Die Fotos von dem Paar sind noch in Jessicas Kamera gespeichert und konnten gesichert werden. Die Auswertung ergab, dass die auf dem Foto abgelichtete Frau zweifelsfrei Franziska Bellgardt ist. Man erkennt ihr Gesicht, das sie während des Sprunges der Kamera zuwandte. Ihr Begleiter kann auf den Bildern nicht eindeutig erkannt werden. Er befand sich beim Sprung rechts neben Franziska Bellgardt und wird von dieser auf dem Foto teilweise verdeckt. Im Gegensatz zu Frau Bellgardt wandte er sein Gesicht auch nicht der Kamera zu, mit der Jessica Schneider aus rückwärtiger Position, nämlich links neben dem Sprungturm mit Blick in das Schwimmbecken, fotografierte. Weder die Zeugin Schneider noch ihre Freundinnen konnten zum Aussehen des Begleiters von Franziska Bellgardt nähere Angaben machen. Nach Vorlage des Passfotos von Pierre Brossard erklärten sie übereinstimmend, dass der Mann Herrn Brossard durchaus ähnlich sehe. Sie könnten dies aber nicht mit Sicherheit sagen. Die Mädchen schätzten ihn auf etwa 50 oder älter, was aber im Hinblick auf ein abweichendes Altersempfinden der jungen Zeuginnen nicht entscheidend sein mag. In deutlicher Erinnerung ist allen dreien vor allem der französische Akzent. Die Körperlänge des Begleiters von Frau Bellgardt kann aus den Bildern nicht ermittelt werden. Bei beiden fotografisch dokumentierten Sprüngen hielt er die Beine stark angewinkelt und auch den Kopf nach vorn gebeugt. Genaue Feststellungen sind auch im Hinblick auf den Umstand, dass Frau Bellgardt auf den Fotos den Körper ihres Begleiters weitgehend verdeckt, nicht möglich. Die genaue Analyse zeigt auf einem Bild auf seinem linken Schulterblatt einen Fleck, der eine Warze, ein Bluterguss oder ein Muttermal sein könnte. Nach Angaben von Frau Rühl-Brossard, die sich insoweit über ihren Anwalt Hubert Löffke äußerte, habe ihr Mann an der bezeichneten Körperstelle keine derartige Auffälligkeit. Es konnten auch keine entsprechenden ärztlichen Befunde sichergestellt werden. Pierre Brossard hat, soweit bekannt, keinen Arzt, bei dem er sich in Behandlung befindet oder befand.