Als die Norwegian Pearl, ein 294 Meter langes Kreuzfahrtschiff, am 4. November 2006 im niedersächsischen Papenburg in Richtung Nordsee ablegen wollte, gingen kurze Zeit später in vielen Orten Europas die Lichter aus. Teile von Deutschland, Frankreich, Belgien, Italien, Österreich und Spanien sahen sich plötzlich bis zu zwei Stunden von der Stromversorgung abgeschnitten. Der Grund war die vorschriftsmäßige Abschaltung einer Hochspannungsleitung, unter der das Schiff durchfahren sollte. Als Folge brach das Netz zusammen – ein einziger Schalter in Niedersachsen verursachte europaweit chaotische Zustände. Da der Vorfall sich gegen 22:00 Uhr ereignete, saßen Millionen von Menschen schlagartig im Dunkeln.
Drohende Blackouts stellen in einer immer energieabhängigeren Welt eine ernst zu nehmende Gefahr dar, ein Horrorszenario. Wenn man sie dem Gegner in die Schuhe schieben kann, eignen sie sich als schlagkräftige verbale Keule in der Auseinandersetzung um Strom. Wer auf die falsche Energie setzt, rufen die Kontrahenten, dem droht der Totalausfall.
Eines muss man sagen: Es stimmt, dass, wenn wir unsere Stromnetze nicht erneuern und ausbauen, es tatsächlich bald düster aussehen kann. Was nicht stimmt, ist, dass allein die neuen Energieformen für den erforderlichen Um- und Ausbau der Netze verantwortlich sind. Doch viele behaupten genau dies – und gehen noch einen Schritt weiter: Da der Ausbau bisher zu langsam vonstattengehe, müsse man die Produktivität der erneuerbaren Energien bremsen und weiter auf die bewährten Kraftwerke setzen. Diese Argumentation aber ist falsch. Wir könnten keinen Meter mit dem Auto von A nach B fahren, wenn die Straßen nicht ständig instand gehalten und erneuert würden. Doch die Einführung von elektro- und gasbetriebenen Fahrzeugen erfordert deshalb noch lange keine neuen Straßen. Das ist bei der Energie nicht anders. Wo immer wir Strom nutzen, brauchen wir Leitungen, die ihn transportieren. Egal, wie dieser Strom erzeugt wird.
Für den von der Norwegian Pearl verursachten Stromausfall waren allein veraltete und mangelhaft ausgebaute Netze verantwortlich. Kurz nachdem das Malheur passiert war, gab der damalige Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) in einer Pressemitteilung zu Protokoll: »Bisher haben die Stromversorger so getan, als ob ein Netzausbau nur wegen der erneuerbaren Energien erforderlich sei.« Die Stromausfälle machten nun deutlich, dass der Netzausbau notwendig sei, »weil wir in einem europäischen Strommarkt leistungsfähige Netze für den rapide zunehmenden Transport über große Entfernungen brauchen.« Anfang 2008 lag das Durchschnittsalter der Höchstspannungsmasten (380 kV) bei 32 Jahren und das der Hochspannungsmasten (220 kV) bei 50 Jahren. Ganz unabhängig von der Energiewende stellt der Netzaus- und vor allem -umbau ein eigenes, lange geplantes Vorhaben dar. Er ist deshalb nötig, weil Deutschlands Stromnetze in die Jahre gekommen sind. Teil dieses Vorhabens ist eine Netzinfrastruktur, die dem geplanten europaweiten Energiemarkt entspricht, mit kompatiblen Netzen, die über die Grenzen hinweg miteinander verknüpft sind.
Wer die Netze hat, hat die Macht
In der Blackout-Frage steckt ein energiepolitisches Desaster, bei dem die erneuerbaren Energien allenfalls eine kleine Nebenrolle spielen. Der erste Akt in der jüngeren Geschichte der Energieversorgung begann 1997. Zuvor bestanden in Deutschland seit 1935 sogenannte Gebietsmonopole. Das bedeutete, dass die Energieversorger, meist Stadtwerke, mit den Kommunen Demarkationsverträge und exklusive Konzessionen aushandelten, die für ein in den Verträgen begrenztes Gebiet galten. Auf diese Weise hatte man eine kommunale und damit dezentrale Energieversorgung mit Unternehmen von überschaubarer Größe und zugleich politischen Einfluss auf Preise und Stabilität. Doch bereits in den 1980er Jahren handelte man in der EU eine Richtlinie zur Liberalisierung der Energiewirtschaft in allen Mitgliedsstaaten aus, die für mehr Wettbewerb im Energiemarkt sorgen sollte. Diese europäische Elektrizitätsbinnenmarktsrichtlinie wurde durch ein 1997 beschlossenes Gesetz in nationales Recht umgesetzt. Es handelte sich um die Privatisierung der Energiewirtschaft, und auch ihre Initiatoren erhofften sich davon mehr Wettbewerb und niedrigere Preise für den Verbraucher. Doch diese Hoffnung trog. Das mag vor allem daran gelegen haben, dass die deutsche Regierung Spieler aufs Feld schickte und das Spiel eröffnete, ohne einen Schiedsrichter auf den Platz zu stellen. Die EU-Richtlinie sah nämlich vor, Netzbetreiber und Stromproduzenten entweder zu trennen oder aber den Netzzugang für dritte Stromanbieter staatlich zu kontrollieren, sollten sich die Netze im Besitz eines Stromproduzenten befinden. Auf diese Weise wollte man verhindern, dass große Konzerne entstehen, die durch den Besitz von Kraftwerken und Stromnetzen zu viel Macht anhäuften. Anders als die übrigen EU-Staaten setzte sich Deutschland jedoch über die Vorgaben der Richtlinie hinweg. Und so geschah, was zu befürchten war: Große Energieversorgungsunternehmen, die auch im Besitz der Netze waren, verlangten von der Konkurrenz hohe Nutzungsentgelte und konnten auf diese Weise andere Anbieter vom Markt verdrängen. Es entstand ein Oligopol von wenigen großen Energiekonzernen, die den Strommarkt unter sich aufteilten und den Wettbewerb im Keim erstickten. Von Seiten der Politik griff niemand ein, um das Geschehen zu regeln. – Im Gegenteil: Als das Kartellamt gegen die Vereinigung von Eon mit der Ruhrgas AG Bedenken anmeldete, setzte sich der damalige Wirtschaftsminister Werner Müller darüber hinweg und machte die Fusion per Ministererlass möglich. (Müller war zuvor bei einem der beteiligten Unternehmen angestellt gewesen. – Ein Schelm, wer Böses dabei denkt?) Diese Entwicklung brachte schwerwiegende Folgen mit sich: Die Strompreise sind nach wie vor hoch, weil es keinen echten Wettbewerb gibt. Zugleich wurden die Netze vernachlässigt, weil die Konzerne lieber Gewinne einstrichen, als in neue Leitungen zu investieren.
Die Energieversorgung ist der lebensnotwendige Sauerstoff jeder modernen Gesellschaft; es ist fahrlässig, sie derart unkontrolliert dem Markt zu überlassen. Und es erstaunt, dass die Politik offenbar so naiv war zu glauben, die Wirtschaft würde nicht nur eigene Interessen verfolgen, sondern sich auch für eine sichere Versorgung verantwortlich fühlen.
Auch in der EU beobachtete man kritisch, was in Deutschland passierte. Wiederholt kamen Verwarnungen aus Brüssel, und es wurde bemängelt, dass Deutschlands Wettbewerb nicht funktioniere: Neue Anbieter würden systematisch aus dem Markt verdrängt, die Verbraucherpreise seien zu hoch. Die EU beharrte auf einem Schiedsrichter, der dafür sorgen sollte, dass die Regeln des Wettbewerbs eingehalten würden. Doch erst 2005 beugte sich die deutsche Regierung dem Druck. Als 2006 die sogenannte Bundesnetzagentur endlich ihre Arbeit aufnahm, hatten die Lobbyisten der privaten Energiewirtschaft bereits neun Jahre Zeit gehabt, sich im Politikbetrieb einzunisten.
Weitere Fehlentwicklungen
Im Hinblick auf die Stromnetze gab es eine weitere Fehlentwicklung – und erst hier kommen die erneuerbaren Energien ins Spiel: Die Politik entschloss sich zwar, deren Ausbau zu fördern, sie unterließ es jedoch, sich auch um die erforderlichen zusätzlichen Netze zu kümmern. So haben einerseits Nachlässigkeiten und Mauscheleien zwischen Politik und Wirtschaft und andererseits die Halbherzigkeit beim Ausbau von Transportwegen speziell für erneuerbare Energien in eine recht verfahrene Situation geführt. Inzwischen herrscht ein Chaos, das jede der so dringend erforderlichen Maßnahmen zur Erneuerung der Netzinfrastruktur ausbremst. Niemand fühlt sich verantwortlich, niemand zuständig, solange es nicht um die Wahrung der eigenen Interessen geht. Dabei wird es nicht eben übersichtlicher, je mehr Mitspieler beteiligt sind: Die Verantwortung für die Energieversorgung liegt zum Teil bei der privaten Wirtschaft, zum Teil beim Staat, manche Vorgaben kommen aus der EU, und auch der Bürgerwille schaltet sich hin und wieder ein – was nach der Katastrophe in Fukushima und der anschließenden Landtagswahl in Baden-Württemberg besonders deutlich wurde. Doch Wirtschaft und Politik verfolgen unterschiedliche Ziele, mit dem Ergebnis, dass unter anderem der Ausbau der deutschen Stromnetze seit gut zehn Jahren blockiert wird. Die Energiewirtschaft nutzt diese Blockadehaltung als Mittel zum Boykott, um so die Umstellung auf erneuerbare Energien zu torpedieren – denn natürlich muss diese scheitern, wenn der Strom am Ende nicht beim Verbraucher ankommt. Dieser Boykott war möglich, weil man bei der Privatisierung auch das komplette Hochspannungsnetz unter den großen der Branche, Eon, RWE, EnBW und Vattenfall Europe, in vier sogenannte Regelzonen aufgeteilt hatte. Die Konzerne nutzten ihre Monopolstellung einerseits zur Abschottung des Marktes, andererseits kümmerten sie sich nicht um die Netze. Wieder schritt die EU ein, die wiederholt und immer massiver auf das sogenannte Unbundling im Energiemarkt drang, das Entflechten des zusammengeballten Machtknäuels, und die damit eine zumindest eigentumsrechtliche Trennung von Stromproduktion, Vertrieb und Netzen einforderte.
Doch auch dieser Schritt wurde eher notgedrungen und vor allem halbherzig umgesetzt, denn die meisten Konzerne lagerten die Netze einfach in Tochtergesellschaften aus: Vattenfall gründete zu diesem Zweck das Unternehmen 50 Hertz, RWE gründete Amprion. Allein Eon gab seine Netze in wirklich fremde Hände ab, und zwar an den Konzern Tennet, ein holländisches Staatsunternehmen. Dies hatte die pikante Konsequenz, dass der Ausbau der im Besitz von Tennet befindlichen deutschen Netze im holländischen Staatshaushalt verhandelt wird: Da das Unternehmen, das die Netze im Nordwesten Deutschlands besitzt, den Kapitalbedarf offensichtlich unterschätzt hat, müssen die zusätzlich benötigten Mittel nun erst durch den Staatshaushalt freigegeben werden. Der Ausgang ist ungewiss, und damit liegt der Ausbau der Eon-Netze bis auf weiteres auf Eis.
Schon vor Jahren erstellte die Deutsche Energie-Agentur (dena) Studien, und jüngst legte auch die Bundesnetzagentur Pläne vor, wie der Ausbau der Netze konkret gestaltet werden soll. Doch das Problem der Zuständigkeit ist damit immer noch nicht gelöst. Als untergeordnete Behörde des Bundeswirtschaftsministeriums hat die dena nur beratende, aber keine ausführende Kompetenz, während die Bundesnetzagentur zwar die verantwortliche Verwaltungsinstitution darstellt, als solche jedoch die Unternehmen auch nicht zum Handeln zwingen kann. Und so liegen die Pläne bisher auf den Schreibtischen, werden aber nur unzureichend umgesetzt. Im Gegenteil: Die Netzbetreiber wissen als Tochtergesellschaften der großen Konzerne immer noch genau, wessen Eltern Kind sie sind. Im Juni 2012 legte der BUND einen Bericht vor, der belegt, dass sie eigene Pläne zum Netzausbau verfolgen, die von den Zielen der Bundesregierung stark abweichen. Diese Pläne zeigen, dass die Netzbetreiber offenbar von wesentlich höheren Strommengen ausgehen, die Deutschland angeblich noch im Jahr 2022 aus Kohlekraftwerken beziehen wird. Es sieht ganz danach aus, als rechneten die Konzerne fest damit, dass ihre Strategie aufgehen wird, die Energiewende lahmzulegen und in den nächsten zehn Jahren einen möglichst großen Park aus alten und neuen Kohlekraftwerken zu schaffen.
Vom Stillstand auf Deutschlands maroden Stromautobahnen oder einfach ihrem Fehlen sind inzwischen jedoch auch die großen Energieversorger selbst betroffen. – Was natürlich kein Problem ist, wenn man in der Politik die richtigen Freunde hat. Nachdem die Konzerne inzwischen selbst große Offshore-Windanlagen gebaut haben, sehen auch sie sich mit der Tatsache konfrontiert, dass sie den Strom nicht liefern können, weil die Leitungen dazu noch fehlen.
Hier stellt sich die Frage der Haftung: Wer ist dafür verantwortlich? Wer trägt die entstandenen finanziellen Verluste? Die Antwort liegt auf der Hand, und inzwischen haben auch Sie als Leser das Spiel verstanden. Wirtschaftsminister Philipp Rösler schlägt vor, die Kosten auf den Strompreis umzulegen und damit dem Verbraucher aufzubürden. Diesem wird mit der bitteren Pille zugleich das Märchen aufgetischt, es seien die erneuerbaren Energien, die den Strom so teuer machten. – Man muss sich das einmal vor Augen halten: Über Jahre hinweg haben die Konzerne, die im Besitz der Netze waren, nur notdürftig in deren Erhalt investiert und stattdessen höhere Gewinne eingefahren. Und nun schieben sie die finanzielle Last der Sanierung der Politik und damit den Verbrauchern zu. Da möchte man fast sagen: Was für ein Glück für die Monopolisten, dass die EU noch rechtzeitig für die eigentumsrechtliche Trennung gesorgt hat. Und noch besser trifft es sich, dass man für die Kosten den Ökostrom anschwärzen kann.
Doch, auch ohne den Bau von Offshore-Windparks würde Deutschland riesige Stromtrassen benötigen, um die im Norden erzeugte Windenergie nach Süden zu transportieren. Denn nicht die Art und Weise der Energieerzeugung, sondern der Ort, an dem sie produziert wird, entscheidet, welche Transportwege gebraucht werden. Durch die Abschaltung der Atomkraftwerke im Süden Deutschlands entstehen dort Versorgungslücken, die durch Strom aus dem Norden ausgeglichen werden müssen. Einige Kohlekraftwerke, die geplant waren, ehe die Konzerne auf große Offshore-Windparks umrüsteten, sind in Norddeutschland, meist in Küstennähe, entstanden, denn hier können die Kosten für den Transport der importierten Kohle niedrig gehalten werden. Auch für den aus Kohle gewonnenen Strom hätte man also neue Nord-Süd-Verbindungen bauen müssen.
Auf der politischen Ebene stellt sich die Frage, ob es gelingen wird, das bestehende Kompetenzgewirr endlich aufzulösen. Vieles spricht für die Einrichtung eines Energieministeriums bzw. dafür, die Steuerung der hochkomplexen Aufgaben in eine Hand zu legen, darunter auch den Ausbau der Netzinfrastruktur. Ein neues Ministerium allein kann jedoch noch keine Gewähr dafür bieten, dass das Kartell der »großen Vier« damit endlich in die Schranken gewiesen würde.
Die Netzinfrastruktur der Zukunft müsste so beschaffen sein, dass sie drei Funktionen erfüllt: Erstens muss es eine engere Verknüpfung mit anderen europäischen Netzen geben, um den Handel zwischen den EU-Staaten zu verbessern und Engpässe ausgleichen zu können. Zweitens werden neue Stromleitungen benötigt, um die erneuerbaren Energien zu integrieren und den Wettbewerb auf dem Strommarkt zu verbessern. Und drittens sollten nicht nur große Konzerne, sondern möglichst viele Anbieter Strom in die Netze einspeisen können.
Für diese Aufgaben bedarf es neben den großen Stromtrassen, die vor allem für den Transport über lange Strecken hinweg notwendig sind, vieler kleiner, dezentraler Verteilnetze mit Niedrigspannung für den Transport von vor Ort produziertem Strom, wie beispielsweise Solarenergie oder Biomasse. Insgesamt werden wir in Zukunft sogenannte Smart Grids, intelligente Stromnetze, benötigen, die das Zusammenspiel zwischen den verschiedenen Energieformen bei der Erzeugung, der Speicherung, der Verteilung und dem Verbrauch optimal regeln.
Zwischen den Befürwortern von nachhaltigen Energiequellen ist über die Gestaltung des Stromnetzausbaus inzwischen selbst eine Auseinandersetzung entbrannt. Und wieder stehen sich die großen Energieversorger auf der einen Seite und eine wachsende Zahl mittelständischer und kleiner Unternehmen auf der anderen Seite gegenüber. Die einen haben die Mittel für riesige, kostenintensive Offshore-Windanlagen und können damit große Strommengen produzieren, die anderen erzeugen mit Photovoltaik- und Biogas- oder kleineren Windanlagen geringere Energiemengen, die sie meist vor Ort oder in die unmittelbare Umgebung abgeben. Gegen die großen Anlagen und die dafür notwendigen Stromtrassen ziehen Umweltschützer zu Felde, die eine Verschandelung der Landschaft sowie die magnetischen Felder solcher Hochspannungsautobahnen fürchten.
Die Speicher der Zukunft
Die Antwort auf die Frage, ob Deutschlands Energieversorgung aufgrund einer zu hastigen Umstellung auf grüne Energien Blackouts drohen, lautet also: Nein, es drohen keine Blackouts – zumindest nicht wegen der Umstellung auf neue Energieformen. Richtig ist, dass unsere Stromnetze sich in einem maroden Zustand befinden und die Ausweitung des Strommarkts auf ganz Europa neue, zusätzliche Netze erfordert. Es könnte dunkel werden, wenn den Absichtsbekundungen und Plänen nicht bald Taten folgen. Richtig ist auch, dass die neuen Energieformen zusätzliche Netze benötigen und diese auch den spezifischen Bedingungen der Produktion von erneuerbaren Energien entsprechen müssen.
Die Angst vor Blackouts bezieht sich indessen nicht nur auf die Infrastruktur unserer Stromnetze – und hier wird sie tatsächlich ein Thema, das die erneuerbaren Energien betrifft: Ein anderes Problem besteht in den Speichermöglichkeiten von Energie. Wind und Sonne wird es zwar bis in alle Ewigkeit geben, dafür aber nicht zu jeder Zeit. Nach dem aktuellen Forschungsstand können wir überschüssig produzierte Energie bisher nur in Pumpspeicherkraftwerken sammeln. Die Energie wird hier durch das Hinaufpumpen von Wasser gespeichert. Wenn das Wasser wieder hinabfließt, kann mit Hilfe von Turbinen und Generatoren Strom produziert werden. Für diese Technologie bedarf es daher eines Gefälles, und da wir in Deutschland etwa im Vergleich zu Skandinavien oder den Alpenländern wenig starke Gefälle haben, müssen andere Lösungen gefunden werden. Um große Energiemengen zu speichern, wird es auf Dauer notwendig sein, Verbindungen zu Speicherkraftwerken in südlichen oder nördlichen Nachbarländern aufzubauen. Für die Schweiz allerdings, die wie Deutschland aus der Atomkraft aussteigt, gilt, dass hier eigene Pumpspeicherkapazitäten benötigt werden. Begrenzte Möglichkeiten für solche Kraftwerke gibt es in Österreich. Derzeit aber soll bei uns mit dem baden-württembergischen Schluchseewerk das größte Pumpspeicherkraftwerk Europas entstehen. Doch hier und auch in Bayern wehren sich Umweltschützer inzwischen gegen derartige Großprojekte, da sie die mit solchen Kraftwerken verbundenen Eingriffe in Natur und Landschaft fürchten. Sie setzen dagegen auf erneuerbare Energien vor Ort, mit möglichst vielen kleinen Produktionsquellen, wie die Solarzelle auf dem eigenen Dach, mit der ein Haus zum Selbstversorger werden kann (und damit heute schon Strom unter dem Marktpreis nutzt). Allerdings sind die technologischen Möglichkeiten zur Speicherung von Energie noch lange nicht abschließend erforscht – im Gegenteil: Pumpspeicherkraftwerke sind momentan die einzig wirtschaftliche Form, doch es gibt längst weitere Technologien. Nur sind Batterien, Wasserstoff und Biogas als gespeicherte Energien bisher noch wesentlich teurer, und sie werden erst rentabel, wenn Strom aus erneuerbaren Energien im Überschuss vorhanden ist. Die Speicherung von Energie wird in den nächsten Jahrzehnten technologisch weiterentwickelt und somit auch wirtschaftlicher werden. Eine zusätzliche Möglichkeit, überschüssige Energien zu nutzen, wird dann auch darin bestehen, sie in Kraftstoffe umzuwandeln und zur Fortbewegung einzusetzen – sofern sich die Politik dazu entschließt, in diese Forschung wieder stärker zu investieren.
Eine der erneuerbaren Energieformen wird allerdings schon heute gespeichert: die Energie aus Biogas und Biomasse. Zwar ist auch diese Technik noch vergleichsweise teuer, dennoch kann sie, wenn sie Pflanzen- oder Tierabfälle nutzt, nachhaltig Energie speichern. Der Vorteil: Man kann die vorhandene Infrastruktur nutzen, denn Pipelines für Gas sind ausreichend vorhanden. Doch steht diese Energieform heftig in der Kritik. Es ist die sogenannte Tank-oder-Teller-Diskussion darüber, ob zum Betrieb von Biogasanlagen Nahrungsmittel missbraucht würden. Doch auch in dieser Debatte wird vieles verzerrt dargestellt, denn statt mit Mais oder Raps können die Anlagen auch mit anderen Energiequellen betrieben werden. Das beweist seit neuestem ein niedersächsischer Bäcker, der gemeinsam mit anderen Unternehmern seiner Zunft eine kleine Biogasanlage betreibt, die alte, nicht mehr verkäufliche Brötchen in Energie umwandelt. Für diese Form der Energieerzeugung eignen sich auch viele andere Arten von Resten und Abfällen, wodurch sie als besonders nachhaltig gelten kann.
Ein weiterer Irrtum besteht darin, dass Massentierhaltung als eine Folge der Biogasproduktion angesehen wird. Es ist jedoch umgekehrt: Die Massentierhaltung gab es lange vor der Errichtung der ersten Biogasanlagen. Nur werden jetzt die Abfälle genutzt, die vorher auf die Felder gestreut wurden, um daraus Biogas zu produzieren.
Da Gaspipelines eine bereits praktikable Lösung für die Speicherung von Energie bieten, hoffen manche auf die sogenannte Power-to-Gas-Technologie. Diese kann Strom aus erneuerbaren Energien in Wasserstoff oder synthetisches Erdgas umwandeln, welche anschließend in das Erdgasnetz transportiert und dort gespeichert werden. Noch ist diese Methode der Stromgewinnung teuer, wobei sie sich bereits lohnt, wenn es einen Überschuss an Strom aus erneuerbaren Energien gibt. Auf lange Sicht könnte sich damit eine Alternative zu den Pumpspeicherkraftwerken als Reservoir für erneuerbare Energien bieten.
Solange sich Speichermöglichkeiten und damit die vollständige Versorgung durch erneuerbare Energien noch in der Entwicklungsphase befinden, ist es notwendig, auf eine sinnvolle Mischung aus Energieformen zu setzen, die einerseits möglichst umweltfreundlich ausfallen, andererseits aber auch die Sicherheit nicht gefährden sollte. Da die meisten der bald vom Netz gehenden Atomkraftwerke in Süddeutschland stehen, wird das Problem drohender Blackouts dort heute schon besonders ernst genommen. Bayern und Baden-Württemberg setzen auf eine vernünftige Strategie, indem sie planen, klimafreundliche Gaskraftwerke mit dezentralen Netzen und Speichern sowie erneuerbarer Energie aus Windparks zu kombinieren. Hier tauchen derzeit jedoch neue Schwierigkeiten auf, da sich die Energieproduktion aus Gas für die Betreiber wirtschaftlich nicht rechnet. Dass so manche Pläne für neue Gaskraftwerke im Moment noch in der Schublade liegen, ist darin begründet, dass die Gaspreise in Deutschland zu hoch sind, während die CO2-Preise zu niedrig ausfallen – womit wir wieder bei der Kohlekraftlobby wären, die sich bisher erfolgreich gegen höhere CO2-Abgaben stellt. International aber ist Gas wesentlich günstiger als in Deutschland, weil es Überkapazitäten gibt. Das liegt daran, dass Deutschland rund ein Drittel seines Gases aus Russland bezieht. Russische Gasunternehmen setzen jedoch verstärkt auf die sogenannte Ölpreisbindung, in der der Gaspreis in einer gewissen zeitlichen Abfolge dem Ölpreis folgt. Diese Regelung stammt noch aus den 1960er Jahren, als man verhindern wollte, dass Gas als billiges Konkurrenzprodukt vor allem auf dem Wärmemarkt auftritt. Noch heute ist Deutschland an solche Verträge mit Russland gebunden und muss Gas deshalb zu einem überhöhten Preis abnehmen. Zwar ist es Eon im Sommer 2012 gelungen, mit dem russischen Konzern Gazprom neue Konditionen zu verhandeln, doch andere Konzerne ringen nach wie vor mit den Knebelkonditionen des alten Vertrages. – Und dann passierte wieder das Übliche: Der neue Deal mit Gazprom hat dem Unternehmen Milliardengewinne eingebracht, doch die Gaspreise für den Verbraucher wurden angehoben. An diesem Beispiel wird auf wunderbare Weise sichtbar, dass die Unternehmen die Preise erhöhen, weil sie Gewinne machen wollen – und dass sie das bei der Energie hemmungslos tun können, weil der Wettbewerb fehlt. Anders als beim Gas wird ihnen dabei noch eine Steilvorlage geboten, wenn es darum geht, Strompreiserhöhungen medienwirksam zu verkaufen. Denn hier hat man ja einen Schuldigen: die angeblich vom Staat subventionierten erneuerbaren Energien oder auch den teuren Netzausbau. Eine Lüge, die inzwischen so breite Akzeptanz gefunden hat, dass sich die ZEIT dazu veranlasst sah, Ende August 2012 ein großes Dossier mit dem Titel »Die Strompreislüge« zu veröffentlichen.