* 2 *
Für einen Sekundenbruchteil brach die Stromversorgung zusammen, und das Licht ging aus. Tash saß im Dunkeln. Einen Augenblick später brannten die Lampen wieder, doch die HoloNet-Verbindung war unterbrochen.
„Oh, verdammter Laser“, murmelte sie in sich hinein. „Zak, das wirst du teuer bezahlen.“
Ihr Bruder interessierte sich kaum für das Steuern von Schiffen, dagegen war er der geborene Bastler. Tash hätte eine Jahresration oktavianischen Fruchtpuddings gewettet, daß er im Cockpit hockte und die Konsole auseinanderbaute. Wieder wurde das Schiff durchgerüttelt, und Tash sprang vom Schreibtisch auf, schlüpfte durch den Spalt der automatisch aufgleitenden Tür und eilte zur Steuerkanzel.
„Was ist hier oben denn los?“ wollte sie wissen, indem sie den Kontrollraum betrat. Halb erwartete sie, den Navcomputer in Einzelteilen auf dem Fußboden ausgebreitet zu sehen.
Statt dessen hing Zak zusammengesunken über den Kontrollinstrumenten. Sein Kopf lag in seinen verschränkten Armen, sein Gesicht war von seinem wirren braunen Haarschopf verborgen.
„Zak!“ rief sie.
Beim Klang ihrer Stimme hob er benommen den Kopf und blinzelte. „Hey, Tash“, antwortete er verschlafen. „Ich muß wohl ein bißchen gedöst haben.“
„Mir scheint eher, du bist ohnmächtig geworden“, stellte eine tiefe Stimme in Tashs Rücken fest.
Onkel Hoole war hinter ihr aufgetaucht, ohne das geringste Geräusch zu machen. Er gehörte der Shi’ido-Spezies an. Bei diesen Wesen handelte es sich um große graue Humanoide. Heimlichtuerei war eine ihrer herausragendsten Eigenschaften, und außerdem konnten sie nach Belieben die Gestalt wechseln.
Der Shi’ido betrachtete Zak mit seinen dunklen Augen, und seine graue Stirn legte sich in Falten. „Alles in Ordnung mit dir?“
Zak richtete sich auf. Seine Lider waren schwer, und auf seiner Stirn glänzte Schweiß. Dennoch brachte er ein Lächeln zustande. „Mit mir? Natürlich. Mir geht’s prima.“
Die Triebwerke der Shroud heulten überlastet auf. Hoole drängte sich an Tash vorbei und überprüfte die Anzeigen. „Du hast deinen Kopf auf die Schubumkehr gelegt“, sagte Hoole. „Dadurch bekommt der Hyperantrieb viel zuviel Treibstoff.“ Er betätigte mehrere Schalter, und die Shroud flog wieder ruhiger.
Zak rieb sich die Augen und schüttelte den Kopf. „Ich glaube, ich bin reif für ein Nachmittagsschläfchen.“
„Ich würde eher sagen, Vormittagsschläfchen“, gab Tash zurück und zeigte auf die Uhr. Obwohl sie sich mitten in den Tiefen des Weltraums befanden, zeigte der Schiffschronometer GSZ, Galaktische Standardzeit.
Ihr Bruder zuckte mit den Schultern. „Ich war nicht mehr so müde, seit wir damals die Dreihornberge auf Alderaan bestiegen haben.“
Tash und Onkel Hoole wechselten einen besorgten Blick. Zak hatte in letzter Zeit einiges durchgemacht. Bei ihrem letzten Stopp auf einem Planeten war er von einem steckbrieflich gesuchten Kriminellen namens Evazan gekidnappt worden, der sich mit bizarren Experimenten beschäftigte und Tote wieder zum Leben erweckte. Am Ende hatten die beiden Zak mit Hilfe des Kopfgeldjägers Boba Fett retten können. Daraufhin waren sie mit dem Schiff des Kriminellen, der Shroud entkommen.
Trotz der schrecklichen Erlebnisse schien Zak alles ohne ernsthaften Schaden überstanden zu haben. Jetzt allerdings sah er überhaupt nicht gesund aus.
„Auf gar keinen Fall“, widersprach Zak, als Tash ihm nun ihre Vermutung verkündete, er könne vielleicht wegen dieser Ereignisse krank geworden sein. „Ganz bestimmt, ich bin in so gutem Zustand wie ein Kreuzer des Imperiums.“ Er sprang auf und drehte sich wackelig auf einem Fuß zu seiner Schwester um. „Vermutlich brauche ich nur ein bißchen Schlaf.“ Und als wolle er das bestätigen, zog er an Tash und Hoole vorbei und machte sich den Korridor entlang zum Aufenthaltsraum auf.
Hoole starrte ihm hinterher. „Ich fürchte, bislang habe ich mich noch nicht lange genug in der Gegenwart von Menschen aufgehalten, um ihre Physiologie genau zu verstehen“, wandte er sich an Tash. „Ist ein solches Verhalten normal?“
„Ich weiß nicht“, erwiderte sie. „Auf Alderaan wußte Mom immer, ob wir krank waren oder nicht.“
Der Gedanke an ihre Mutter versetzte ihr einen tiefen Stich. Ihre Eltern waren tot, was sie dem Imperium zu verdanken hatte. Sie hatten sich auf dem Planeten Alderaan aufgehalten, als dieser vor sechs Monaten vom Todesstern in die Luft gejagt worden war. „Ich glaube… ich glaube, wenn sie hier wäre, würde sie sagen, Zak bekommt wohl eine Grippe.“
„Hoffen wir, daß es nichts Schlimmeres wird“, meinte Hoole. „Zak war Evazan eine ganze Weile lang ausgeliefert, ehe wir ihn befreien konnten.“
„Denkst du, Evazan hat vielleicht etwas mit ihm angestellt, von dem wir nichts wissen?“
„Das kann ich nicht mit Sicherheit sagen“, erwiderte der Shi’ido, mehr an sich selbst gerichtet. „Wir wollen mal sehen, was DV-9 in Evazans Computerdateien gefunden hat.“
Evazan war auch unter dem Namen Dr. Tod bekannt, und es war kaum zu übersehen, daß ihm dieses Schiff früher gehört hatte. Die Gänge waren dunkel und kaum beleuchtet. Die einfachen Sofas im Aufenthaltsraum waren verschlissen und durchgesessen. Dahinter lag ein Laboratorium. Hoole und sein Assistenzdroide DV-9 hatten viele Reagenzgläser mit seltsamen Proben entsorgt und das Laboratorium so gut es ging gereinigt, dennoch fanden sich überall an den Wänden und auf den Arbeitstischen Flecken, über deren Herkunft Tash lieber nichts Näheres erfahren mochte.
Technisch gesehen war die Shroud jedoch ein hervorragendes Schiff mit einem extrem leistungsfähigen Computersystem und riesigen Datenbänken, die bis zum letzten mit Informationen gefüllt waren.
Als sie das Laboratorium betraten, arbeitete Deevee am Computer, während Zak hinter ihm hockte.
„Zak, du solltest wirklich ins Bett gehen“, riet Tash ihm.
„Aber sieh doch mal, was Deevee gefunden hat“, gab er zurück.
Deevee war so entwickelt worden, daß er menschliches Verhalten nachahmen konnte. Er legte den silbernen Kopf schief. „In der Tat, dieser Fund ist äußerst merkwürdig.“
„Hast du Zugang zu den Daten bekommen?“ erkundigte sich Hoole.
„Gewissermaßen“, antwortete Deevee. „Die Dateien sind mit einem Paßwort gesichert. Meine komplexen Logik-Schaltkreise waren schon ein bißchen eingerostet, weil ich sie in letzter Zeit so selten nutzen durfte.“ Mißbilligend blickte der Droide zu Tash und Zak. Deevee hatte jahrelang als Hooles Forschungsassistent gearbeitet. Seit dem Tag, an dem der Shi’ido seine Nichte und seinen Neffen bei sich aufgenommen hatte, mußte er jedoch ständig ihr Kindermädchen spielen, und mit dieser Rolle war er ganz und gar nicht einverstanden. Daher ließ er sich keine Gelegenheit entgehen, wieder einmal ein bißchen wissenschaftliche Forschung zu betreiben, wofür er ja auch eigentlich entwickelt worden war. „Trotzdem habe ich schon einiges an schwerer Arbeit erledigen können.“ Der Droide warf sich voller Stolz in die Brust. „Es war außerordentlich kompliziert, dieses Paßwort zu entschlüsseln, aber, wie ihr ja wißt…“
Jetzt kommt ‘s, dachte Tash.
„… ist mein Computergehirn für solche wirklich schwere Arbeit ausgelegt, und ich habe es herausbekommen.“
„Das Ganze heißt Projekt Sternenschrei“, verkündete Zak.
„Dann können wir die Dateien also lesen?“ wollte Tash wissen.
Deevee schaute plötzlich ernüchtert drein. „Nun, ja – nein. Dieser Evazan muß ziemlich paranoid gewesen sein. Er hat die Dateien nicht nur mit einem Paßwort gesichert, er hatte zudem alle Daten codiert.“
Tash blickte Hoole, der den Computerbildschirm betrachtete, über die Schulter. Zeilenweise liefen Kauderwelsch und Zahlenkolonnen von rechts nach links über den Monitor.
„Kannst du diesen Code knacken?“ fragte Hoole.
„Da bin ich mir noch nicht sicher“, gestand der Droide.
„Was?“ Tash konnte nicht widerstehen, ihn aufzuziehen. „Auch mit deinem Superelektronengehirn nicht?“
Deevee schnaubte. „Nicht einmal ein Protokolldroide wäre in der Lage, diese Sprache zu übersetzen. Und meine Fähigkeiten übertrifft der Code bei weitem. Ich fürchte, mehr als die Wörter Projekt Sternenschrei kann ich nicht herausbekommen.“
„Und was soll dieses Projekt Sternenschrei darstellen?“ fragte Tash.
„Das dürfte vermutlich nicht für euch bestimmt sein“, sagte Hoole.
„Ich wette, ich könnte den Code knacken“, prahlte Zak. „Ohne Problem.“
„Du kannst dich ja kaum auf den Beinen halten“, hielt Tash ihm entgegen.
„Tash hat recht“, stimmte ihr Hoole zu. „Zak, ich denke, du solltest besser in dein Zimmer gehen und dich hinlegen. Ein bißchen Ruhe kann dir nicht schaden.“
Zu Tashs Überraschung widersprach ihr Bruder nicht. Er nickte nur und verließ den Raum. Sobald er draußen war, fragte sie Hoole: „Falls Zak tatsächlich krank ist, könnten wir vielleicht in den Dateien Hilfe für ihn finden.“
Sie erwähnte nicht, aus welchem weiteren Grund sie die Dateien unbedingt lesen wollte: Zak hatte nämlich herausbekommen, daß Evazan seine schrecklichen Experimente für jemanden vom Imperium durchführte. Und diese Dateien enthielten vielleicht Informationen über Aktivitäten des Imperiums, Informationen, die sie benutzen konnte, um sich zu rächen.
Bisher hatte Tash nie an Rache gedacht. Zu Hause auf Alderaan hatte sie so gut wie keine Feinde gehabt, und Freunden, die sie versehentlich verletzt oder auf die Palme gebracht hatten, versuchte sie immer zu verzeihen.
Das Imperium dagegen hatte ihr Leben zerstört. In einem einzigen gnadenlosen Augenblick hatte der Todesstern ihre Freunde, ihre Familie, ihre gesamte Welt ausgelöscht. Nachdem der Schock über die Tragödie nachgelassen hatte, verwandelte sich Tashs Trauer langsam in Wut. Kürzlich hatte sie zum ersten Mal darüber nachgedacht, wie sie es dem Imperium heimzahlen könnte. Seit einiger Zeit träumte sie nun davon, ein Jedi-Ritter zu werden und gegen den verhaßten Feind in den Krieg zu ziehen.
Die Jedi allerdings waren ausgestorben. Das Imperium hatte sie verfolgt und beseitigt. Tash wußte daher, sie mußte sich einen anderen Weg überlegen, wie sie den Feind bekämpfen konnte, und diese Dateien gaben ihr vielleicht eine Waffe in die Hand. Falls sie die Dokumente dechiffrierte und dann der Rebellenallianz übermittelte, würde sie so den Mördern, die ihre Heimatwelt vernichtet hatten, einen heftigen Schlag versetzen.
„Natürlich hast du recht, was Zak betrifft“, meinte Hoole. „Aber ich wüßte nicht, wie wir diesen Code knacken könnten.“
„Ich kenne jemanden, der das schafft“, sagte Tash. „Machtfluß.“
Hooles Gesicht wurde noch strenger als gewöhnlich. „Tash, das HoloNet ist sicherlich ein nettes Spielzeug zur Unterhaltung und zum Lernen, aber die Freundschaften, die du da knüpfst, finden keineswegs meine Zustimmung. Du weißt doch nie, mit wem du dich unterhältst. Vielleicht ist dieser Machtfluß nur ein Witzbold oder ein Unruhestifter.“
„Nein, das ist er bestimmt nicht!“ fuhr Tash auf. Sie riß sich zusammen. Machtfluß war vertrauenswürdig, das war ihr klar, aber gleichzeitig wußte sie, daß sie bei Onkel Hoole mit gewichtigeren Argumenten aufwarten mußte. „Er kennt sich sehr gut mit Codes aus. Ein Versuch kann doch nicht schaden.“
„Also gut“, ließ ihr Hoole seufzend ihren Willen. „Trotzdem wirst du mir alle Informationen, die er dir gibt, vorher zeigen. Darauf bestehe ich.“ Er reichte Tash eine Datendisk mit den verschlüsselten Dateien. Das Mädchen kehrte zurück in ihre Kabine und setzte sich an den Schreibtisch.
Sie tippte verschiedene Befehle ein und stellte die Verbindung zum HoloNet wieder her. Schließlich gab sie ihren Codenamen ein und schrieb:
AN MACHTFLUSS. ICH BRAUCHE DEINE HILFE.
Falls ihr jemand helfen konnte, dann Machtfluß. Er – oder sie – verbreitete oft Informationen über illegale Aktivitäten des Imperiums oder auch politische Botschaften. Machtfluß gehörte zu jener Art Personen, die Tash vor sechs Monaten noch ignoriert hätte. Aber vor sechs Monaten hatten ihre Eltern auch noch gelebt.
Für sie stand jedenfalls eins außer Frage: Machtfluß war ein Rebell, der sich vor dem Imperium auf der Flucht befand.
HALLO, SUCHER. Der Satz blinkte auf ihrem Bildschirm. SCHÖN, DASS DU WIEDER DA BIST.
Rasch tippte Tash ein: BRAUCHE EINIGE DATEIEN ENTSCHLÜSSELT. UND AUSSERDEM INFORMATIONEN ÜBER DAS ‘PROJEKT STERNENSCHREI’. VIELLEICHT DOKUMENTE DES IMPERIUMS.
Nach einer Pause leuchtete die Antwort auf: BIN MIR IM UNKLAREN, OB DIE ÜBERTRAGUNG SICHER IST. MÖGLICHERWEISE WIRD MEINE FREQUENZ ÜBERWACHT.
Tash brannte jedoch darauf zu erfahren, worum es bei diesen Experimenten ging, und sie wollte vor allem wissen, ob sich Zak in ernsthafter Gefahr befand. ES IST ABER DRINGEND!
ICH LADE DIE DATEIEN. FALLS ICH ENTDECKT WERDE, MUSS ICH ABBRECHEN.
Tash schob die Datendisk in ihren Computer und bestätigte. Augenblicklich wurden die Dateien quer durch die Galaxis geschickt. Irgendwo dort draußen auf einer der hunderttausend Welten empfing Machtfluß ihre Daten.
Plötzlich begann ihre Computer wild zu piepen. Der Bildschirm wurde dunkel. Als er wieder aufflammte, schienen die Worte darauf zu zittern.
WURDE ENTDECKT! HABE EINEN TEIL DEINER DATEN EMPFANGEN. MELDE MICH WIEDER.
Damit endete die Nachricht.
Tash wollte noch eine Botschaft hinterherschicken. Vielleicht brauchte Machtfluß Hilfe. Falls man ihn erwischte, war das ihre Schuld.
Doch ehe sie auch nur ein einzige Wort tippen konnte, schob sich ihre Kabinentür auf. Zak stand auf der Schwelle. Aus seinem Gesicht war alles Blut gewichen, und er war schweißüberströmt.
Tash sprang auf und sah ihren Bruder entsetzt an. „Ich glaube…“, sagte er schwach. „Ich glaube, mir geht’s nicht so gut.“ Und damit brach er zusammen.