10
Qhuinn und die gesamte Bruderschaft, ausgenommen Butch, materialisierten sich auf einer verschneiten Terrasse. Es war eine piekfeine Gegend, was ihn nicht überraschte. Das Ratstreffen fand auf einem typischen Glymera-Anwesen statt: ein großes, parkähnliches Grundstück, neben der Pforte ein schnuckeliges Cottage wie von einer Ansichtskarte aus den Cotswolds, ein riesiges Backsteinhaus mit Zahnschnittsims, farbenfrohen Fensterläden und Schieferdach.
»Los geht’s«, meinte V und stapfte auf einen Seiteneingang zu.
Die Tür öffnete sich nach dem ersten lauten Klopfen, als wäre das, wie vieles andere, so vereinbart. Aber wow, was für eine Gastgeberin … Die Vampirin in der Tür trug ein langes schwarzes Abendkleid, das bis zum Nabel ausgeschnitten war, und dazu ein Diamantcollier so dick wie das Halsband eines Dobermanns. Außerdem hatte sie sich mit einem Parfüm eingenebelt, das Qhuinn fast umwarf, obwohl er noch im Freien stand.
»Ich bin bereit für Euch«, sagte sie mit tiefer, rauchiger Stimme.
Qhuinn runzelte die Stirn. Selbst in ihrem Designerkleid wirkte sie nuttig auf ihn. Doch das war nicht sein Problem.
Nacheinander betraten sie eine Art Wintergarten. Übergroße Topfpflanzen und ein Flügel deuteten darauf hin, dass man hier gesellige Abende abhielt, bei denen die Gäste dem Gejaule irgendeines Opernsängers zuhören mussten.
Würg.
»Hier entlang.« Ihre Gastgeberin vollführte eine ausladende Geste mit ihrer funkelnden Hand.
Sie zog eine penetrante Duftwolke hinter sich her – vielleicht war es nicht einmal nur ein Parfüm, sondern ein Potpourri aus allem möglichen Pflegescheiß – und wackelte aufreizend mit den Hüften, als hoffte sie, dass alle sabbernd ihren Arsch anglotzten.
Irrtum. So wie die anderen sah Qhuinn in alle Ecken und Winkel, bereit, scharf zu schießen und erst danach etwaige Fragen zu stellen.
Schließlich kamen sie in ein Foyer mit Ölgemälden, die von der Decke aus angestrahlt wurden, dunkelroten Orientteppichen und …
Scheiße, dieser Spiegel sah genauso aus wie der im Haus seiner Eltern. Er hing an der gleichen Stelle, war genauso hoch, hatte den gleichen verzierten Goldrahmen.
Qhuinn wurde ganz anders.
So vieles hier erinnerte ihn an das Haus seiner Kindheit und Jugend: Alles war an seinem Platz, die Einrichtung hob sich meilenweit vom Mittelstand ab, war aber kein bisschen übertrieben oder protzig. Weit gefehlt, das hier war eine unaufdringliche Melange aus altem Reichtum und klassischem Stilbewusstsein, das nur vererbt und nicht gelehrt werden konnte.
Er sah sich nach Blay um.
Der Kerl war ganz bei seinem Job, blieb auf der Hut, suchte alles ab.
Blays Mom und Dad waren nicht ganz so reich. Doch in ihrem Haus war es so viel angenehmer gewesen. Wärmer – und das nicht wegen der Heizung.
Wie ging es Blays Eltern?, fragte er sich unvermittelt. Er hatte fast mehr Zeit unter ihrem Dach verbracht als unter dem eigenen, und sie fehlten ihm. Das letzte Mal hatte er sie gesehen … Mann, vor langer Zeit. Vielleicht in der Nacht der Plünderungen, als Blays Vater vom Anzugträger zum Pitbull geworden war. Danach waren die beiden in ihr sicheres Haus aufs Land gezogen, und im Anschluss hatten Qhuinn und Blay sich vollkommen entfremdet.
Hoffentlich ging es ihnen gut.
Plötzlich sah er wieder Blay und Saxton vor sich, wie sie in Blays Zimmer voreinander standen und sich an Brust und Hüfte berührten.
Verdammt … das hatte wehgetan.
Er hasste ausgleichende Gerechtigkeit.
Qhuinn riss sich von seinen Gedanken los und folgte den wackelnden Hüften und der Bruderschaft in ein sehr großes Esszimmer, das nach Tohrs Anweisungen hergerichtet worden war: die Vorhänge vor den Fenstern zum Garten waren zugezogen, und eine Schwingtür, die wohl in die Küche führte, mit einer schweren alten Anrichte verstellt. Der Tisch, der vermutlich in der Mitte des Raums gestanden hatte, war weg, dafür standen fünfundzwanzig identische Mahagonistühle mit roten Seidenpolstern aufgereiht mit Blick auf den marmornen Kamin.
Wrath würde vor dem Kamin stehen, um seine Ansprache zu halten, und Qhuinn überprüfte, ob der stählerne Rauchabzug geschlossen war. Er war es.
Rechts und links vom Kamin führten getäfelte Türen in einen altmodischen Empfangssalon. Qhuinn, John Matthew und Rhage inspizierten ihn und verriegelten dann die Türen. Qhuinn postierte sich vor der linken, John Matthew vor der rechten.
»Ich gehe davon aus, dass alles zu Eurer Zufriedenheit ist«, sagte die Frau.
Rehv stellte sich vor den Kamin und blickte auf die leeren Stuhlreihen. »Wo ist dein Hellren?«
»Oben.«
»Hol ihn runter. Jetzt. Sonst riskiert er eine Kugel in die Brust, wenn er sich bewegt.«
Die Augen der Vampirin weiteten sich, und als sie diesmal loslief, wackelte sie nicht mit den Hüften oder warf ihr Haar über die Schultern. Offensichtlich hatte sie die Botschaft verstanden und wollte, dass ihr Hellren die Nacht überlebte.
Sie warteten. Qhuinn behielt die Waffe in der Hand, blickte in den Raum und lauschte auf alles Ungewöhnliche.
Nichts.
Was wohl hieß, dass ihre Gastgeber alle Anweisungen befolgt hatten …
Ein merkwürdiges Unbehagen breitete sich über seinen Rücken aus. Qhuinn runzelte die Stirn und schaltete von Alarmbereitschaft auf maximale Gefahrenstufe. Rechts vom Kamin schien John ein ähnliches Signal zu empfangen. Er hob die Waffe und verengte die Augen.
Mit einem Mal wurden Qhuinns Knöchel von kaltem Nebel umweht.
»Ich habe zwei spezielle Gäste dazugeladen«, kommentierte Rehv trocken.
In diesem Moment stiegen zwei Nebelsäulen vom Boden auf, und in den Wirbeln bildeten sich Gestalten … die Qhuinn sofort erkannte.
Gott sei Dank.
Ohne Payne hatte er das Gefühl gehabt, dass sie etwas dünn besetzt waren, trotz der Stärke der Bruderschaft. Doch als Trez und iAm erschienen, atmete er auf.
Die zwei Brüder waren eiskalte Killer, die man sich nicht als Gegner wünschte. Glücklicherweise war Rehvenge seit Langem mit den Schatten verbündet, und aufgrund seiner Verbindung zu Wrath und den Black Daggern waren die beiden wohl bereit, der Bruderschaft ein wenig unter die Arme zu greifen.
Qhuinn ging auf sie zu und begrüßte sie auf die gleiche Weise wie die anderen, mit Handschlag, kurzem Ruck und Schulterklopfen. »Hey, Mann, wie geht es euch …«
»Wie läuft’s denn so …«
»Alles klar bei euch …«
Nach der Begrüßung sah Trez sich um. »Okay, wir bleiben unsichtbar, es sei denn, wir werden gebraucht. Aber verlasst euch drauf: Wir sind da.«
Die Brüder bedankten sich, dann unterhielt Rehv sich noch kurz privat mit den Schatten … bevor sie sich wieder in Nebel auflösten und über den Boden wallten. Doch jetzt hatte der kalte Luftzug etwas Beruhigendes.
Es war perfektes Timing. Keine Minute später kam die Dame des Hauses mit einem gebrechlichen Vampir an der Seite zurück. In Anbetracht des Alterungsprozesses, der bei Vampiren erst in der letzten Lebensphase eintrat und mit einem schnellen körperlichen Verfall einherging, gab Qhuinn dem Kerl noch fünf Jahre zu leben. Zehn, wenn es hoch kam.
Man begrüßte sich und wechselte ein paar Worte, doch all dem schenkte Qhuinn keine Beachtung. Er war mehr darum besorgt, ob der Rest des Hauses leer war.
»Sind irgendwelche Doggen hier?«, erkundigte Rehv sich, während die Gastgeberin ihren Tattergreis auf einen der Stühle setzte.
»Wie angeordnet wurden sie für diesen Teil des Abends alle fortgeschickt.«
V nickte Phury und Z zu. »Wir drei durchsuchen das Haus und sehen nach, ob es stimmt.«
Obwohl Blay voll auf seine Fähigkeiten vertraute, genauso wie auf die der Bruderschaft und die von John Matthew und Qhuinn, ging es ihm gleich viel besser, als er von der Anwesenheit der Schatten erfuhr. Trez und iAm waren nicht nur ausgezeichnete Kämpfer und eine echte Gefahr für jeden, den sie zu ihrem Feind erklärten, sie hatten auch noch einen entscheidenden Vorteil gegenüber der Bruderschaft: Sie konnten sich unsichtbar machen.
Blay wusste zwar nicht, ob sie in diesem Zustand auch zupacken konnten, aber das machte nichts. Jeder, der hier hereinplatzte – beispielsweise Xcors Bande –, konnte bei seinem Schlachtplan nur die sichtbaren Krieger berücksichtigen.
Nicht aber diese zwei Brüder.
Das war gut.
In diesem Moment kamen V, Phury und Z von ihrem Rundgang zurück – Butch war ebenfalls dabei, er musste wohl gerade mit dem Wagen angekommen sein.
»Alles sauber.«
Es entstand eine kurze Pause. Dann ging Tohr wie vereinbart an die Haustür und öffnete sie für Wrath.
Showtime, dachte Blay, und seine Augen schweiften kurz in Qhuinns Richtung ab, bevor er sich wieder konzentrierte.
Tohr und der König kamen Seite an Seite ins Esszimmer. Sie steckten die Köpfe zusammen, als seien sie in ein Gespräch vertieft, und Tohrs Hand lag auf Wraths Unterarm, als wollte er seinen Worten Nachdruck verleihen.
Doch das Ganze war nur Theater für die Gastgeber.
In Wirklichkeit dirigierte Tohr den König am Arm zum Kamin und in die richtige Position, während sich die Unterhaltung darum drehte, wo die beiden Gastgeber saßen, die Stühle standen und sich die Brüder und Kämpfer verteilt hatten – und die zwei Schatten.
Wrath nickte und wandte den Kopf hierhin und dorthin, als würde er sich umsehen. Dann begrüßte er die Gastgeber, die zu ihm geführt wurden, um den riesigen schwarzen Diamanten an seinem Ring zu küssen.
Bald darauf trudelte die Crème de la Crème der Glymera ein. Von seinem Platz vor den Fenstern im hinteren Teil des Raums aus hatte Blay beste Sicht auf die Gesellschaft. Himmel, an ein paar von ihnen erinnerte er sich aus der Zeit vor den Plünderungen, bevor er ins Haus der Bruderschaft gezogen war, um an der Seite der Brüder zu kämpfen. Seine Eltern gehörten nicht zum oberen Zirkel, sondern waren eher im Umfeld angesiedelt – dennoch stammten sie aus angesehenen Familien und wurden zu zahlreichen Festivitäten in den großen Häusern eingeladen.
Diese Leute waren Blay also nicht unbekannt.
Aber er hatte sie ganz bestimmt nicht vermisst.
Vielmehr schmunzelte er in sich hinein, als eine Reihe von Vampirinnen irritiert auf ihr vornehmes Schuhwerk blickten, wie sie die Louboutins hoben und schüttelten … als spürten sie den kalten Hauch der Schatten.
Havers kam an und wirkte etwas zerfahren. Zweifellos machte es den Heiler nervös, seine Schwester wiederzusehen, und dazu hatte er guten Grund. Soweit Blay informiert war, hatte Marissa ihm beim letzten großen Ratstreffen gründlich die Leviten gelesen.
Schade, dass Blay das verpasst hatte.
Kurz nach ihrem Bruder traf Marissa ein. Butch ging ihr entgegen und begrüßte sie mit einem innigen Kuss, bevor er sie an seinem schützenden Arm zu einem Platz in der Nähe seines Standorts führte. Er rückte ihr den Stuhl zurecht und blieb neben ihr stehen, groß, stark und bedrohlich … umso mehr, als er Havers Blick begegnete und mit gebleckten Fängen lächelte.
Blay erfasste ein Anflug von Neid auf dieses Paar. Natürlich nicht wegen des Zerwürfnisses mit der Familie, aber, ach … öffentlich mit dem Partner auftreten zu können, seine Zuneigung zeigen zu dürfen, als Paar respektiert zu werden. Für heterosexuelle Paare war es das Normalste der Welt, weil sie es nicht anders kannten. Die Glymera hieß ihre Beziehungen gut, selbst wenn die Paare sich nicht liebten, einander betrogen oder auf andere Weise etwas vorheuchelten.
Aber zwei männliche Vampire?
Ausgeschlossen.
Nur ein Grund mehr, die Glymera zu verachten, sagte er sich. Obwohl er sich eigentlich nicht um Diskriminierung sorgen musste. Seine große Liebe würde niemals öffentlich neben ihm stehen, aber nicht, weil es Qhuinn scheißegal war, was andere über ihn dachten. Erstens zeigte er seine Gefühle nie in der Öffentlichkeit, und zweitens war man allein wegen Sex noch lange kein Paar.
Sonst wäre Qhuinn mit halb Caldwell verlobt, verflucht noch mal.
Aber was sollte das alles?
Schließlich war er längst über diese Spinnerei hinweg.
Ehrlich.
Total …
»Klappe«, ermahnte er sich, als das letzte Ratsmitglied eintraf.
Rehv verlor keine Zeit. Mit jeder Sekunde, die Wrath vor der Versammlung stand, war er angreifbar und lief auch noch Gefahr, seine Blindheit zu verraten.
Der König der Symphathen wandte sich den Ratsmitgliedern zu und taxierte sie mit seinen violetten Augen, ein routiniertes Lächeln auf den Lippen. »Ich rufe den Rat zur Ordnung. Wir schreiben heute den …«
Während der Vorrede ließ Blay seine Augen über die Hinterköpfe der Ratsmitglieder wandern und überprüfte die Haltung von Armen und Händen oder ob irgendwer Anzeichen von Nervosität zeigte. Natürlich waren alle in Samt und Seide erschienen, die Frauen hatten sich mit Juwelen behängt, die Männer mit goldenen Taschenuhren. Doch die letzte offizielle Zusammenkunft lag eben auch schon eine Weile zurück, und das bedeutete, dass sie einander schmerzlich lange nicht gegenseitig hatten übertreffen können.
» … unseren Anführer Wrath, Sohn des Wrath.«
Nachdem die Ratsmitglieder höflich applaudiert und sich etwas aufrechter hingesetzt hatten, trat Wrath einen Schritt nach vorn.
Mann, ob nun blind oder nicht, er machte zweifelsohne den Eindruck einer Naturgewalt: Obwohl der König keinen hermelinbesetzten Umhang oder dergleichen trug, war er unverkennbar der Machtinhaber. Durch seine riesenhafte Gestalt, die lange dunkle Mähne und die schwarze Panoramasonnenbrille wirkte er eher wie eine Bedrohung als wie ein Monarch.
Und genau das war der Zweck der Übung.
Herrschaft basierte zum großen Teil auf der äußeren Wahrnehmung, was insbesondere für die Glymera galt – und niemand konnte bezweifeln, dass Wrath Macht und Autorität verkörperte.
Diese tiefe, herrische Stimme tat ihr Übriges.
»Mir ist bewusst, dass ich euch lange nicht gesehen habe. Die Plünderungen vor nun bald zwei Jahren haben viele eurer Familien hart getroffen, und ich teile euren Schmerz. Auch ich habe meine Familie bei einem Überfall der Lesser verloren, daher weiß ich genau, was ihr durchmacht und wie schwer es ist, neue Ordnung in euer Leben zu bringen.«
Ein Vampir in der vorderen Reihe rutschte auf seinem Stuhl umher …
Aber er setzte sich nur anders hin und griff nicht nach einer Waffe.
Blay entspannte sich, so wie ein paar andere auch. Verdammt, er konnte es kaum erwarten, dass dieses Treffen vorbei war und sie Wrath wieder sicher zu Hause hatten.
»Viele von euch kannten meinen Vater gut und erinnern sich an seine Regierungszeit im Alten Land. Mein Vater war ein weiser und maßvoller Anführer, ein Gentleman von klarem Verstand und königlichem Betragen, der sich ganz dem Wohl seiner Spezies und ihrer Bürger verschrieben hatte.« Wrath legte eine Kunstpause ein, und sein Blick hinter der Sonnenbrille schien durch den Raum zu wandern. »Ein paar der Eigenschaften meines Vaters teile ich … aber nicht alle. Denn ich bin nicht maßvoll. Ich bin nicht versöhnlich. Ich bin ein Mann des Krieges, nicht des Friedens.«
Mit diesen Worten zog Wrath einen seiner schwarzen Dolche aus der Scheide, und die dunkle Klinge blitzte im Licht der Kristallglaslüster an der Decke. Ein kollektives Schaudern zog sich durch die Reihen der erfolgsverwöhnten Schnösel vor ihm.
»Ich kann mit Konflikten leben, seien sie gesetzlicher oder lebensbedrohlicher Art. Mein Vater war Vermittler und Brückenbauer. Ich schaufle Gräber. Mein Vater hat mit Worten überzeugt. Ich mit Taten. Mein Vater war ein König, der gerne mit euch zu Tisch saß und stundenlang über Feinheiten diskutierte. Ich bin anders.«
Ja, wow. Eine solche Ansprache hatte der Rat bestimmt noch nie gehört. Aber Blay verstand den Ansatz. Vor der Glymera durfte man keine Schwäche zeigen. Denn das Gesetz allein konnte den Thron von Wrath nicht mehr sicher garantieren.
Angst hatte da schon bessere Chancen.
»Doch eines haben mein Vater und ich gemeinsam.« Wrath senkte den Kopf, als würde er auf die schwarze Klinge blicken. »Durch meinen Vater kamen acht eurer Angehörigen zu Tode.«
Die Ratsmitglieder schnappten nach Luft. Wrath redete ungerührt weiter.
»Im Laufe der Regentschaft meines Vaters wurden acht Anschläge auf sein Leben unternommen, und ganz gleich, wie lange es dauerte, ob Tage, Wochen oder Monate, er machte es sich zur Aufgabe, die Schuldigen zu finden … er jagte jeden Einzelnen persönlich und tötete ihn. Ihr kennt vielleicht nicht die wahren Geschichten, aber ihr wisst von diesen Toten – die Übeltäter wurden enthauptet und ihre Zungen herausgeschnitten. Sicher wisst ihr, ob ein Angehöriger eurer Familie so beigesetzt wurde.«
Nervöses Herumgerutsche. An mehreren Stellen. Anscheinend wurden Erinnerungen wach.
»Ihr wisst auch, dass diese Todesfälle den Lessern zugeschrieben wurden. Ich sage euch jetzt: Ich kenne die Namen der Betroffenen, und ich weiß, wo ihre Gräber sind, denn mein Vater sorgte dafür, dass ich sie mir einpräge. Das war seine erste Lektion für meine zukünftige Herrschaft. Der König achtet und schützt sein Volk, er hat ihm zu dienen. Verräter jedoch sind das Geschwür einer gesetzestreuen Gesellschaft und gehören ausgemerzt.« Wrath lächelte böse. »Man kann viel über mich sagen, aber ich war ein aufmerksamer Schüler meines Vaters. Und auch das muss euch klar sein – mein Vater, nicht die Bruderschaft, hat diese Hinrichtungen vollstreckt. Ich weiß es, weil er vier der Verräter vor meinen Augen köpfte. So wichtig war ihm diese Lektion.«
Mehrere Vampirinnen rückten näher an den nächstbesten Vampir in ihrer Umgebung heran.
Wrath fuhr fort. »Ich werde nicht zögern, dem Vorbild meines Vaters zu folgen. Ich weiß, ihr alle habt gelitten. Ich kenne eure Nöte und will euch anführen. Doch ich werde nicht zögern, jeglichen Aufstand gegen mich und die Meinen als einen Akt des Verrats zu ahnden.«
Der König senkte das Kinn und schien hinter seiner Sonnenbrille hervorzufunkeln, sodass es selbst Blay einen Adrenalinschub versetzte.
»Und wenn ihr meinen Vater jetzt für grausam gehalten habt, dann zieht euch warm an. Denn neben meiner Vergeltung werden seine Hinrichtungen wie ein Gnadenerlass erscheinen, das schwöre ich bei meiner Familie.«