3
Qhuinn erwachte mit einem Ständer.
Er lag auf dem Rücken, und seine Hüften wiegten sich ohne sein Zutun, sodass seine Erektion sich an Daunendecke und Laken rieb. Einen Moment lang verharrte er in diesem halbwachen Dämmerzustand und stellte sich vor, es wäre Blay, der ihn da streichelte, der seine Hand an ihm auf und ab gleiten ließ … als Vorspiel zu Aktivitäten, die den Mund einschlossen.
Erst als er die Finger in dem roten Haarschopf vergraben wollte, wurde ihm bewusst, dass er alleine war: Seine Hände griffen lediglich in das Laken.
Da er die Hoffnung nicht aufgab, streckte er den Arm aus und tastete neben sich im Bett herum, in der Erwartung, auf den warmen Körper des Freundes zu stoßen.
Doch er fand nichts als Laken. Kalte Laken.
»Scheiße«, keuchte er.
Als er die Augen aufschlug, traf ihn die Realität wie ein Fausthieb. Schlagartig sank seine Erektion in sich zusammen.
Obwohl sie zweimal übereinander hergefallen waren, wachte Blay in diesem Moment neben Saxton auf.
Hatte vermutlich Sex mit ihm.
Verflucht, ihm wurde schlecht.
Die Vorstellung, dass Blay einen anderen berührte, einen anderen ritt, einen anderen mit Händen und Zunge befriedigte – seinen verfickten Cousin, um genau zu sein –, war beinahe so unerträglich wie die Sache mit Layla. Denn dank der jüngsten Ereignisse übte Blay nun eine noch viel größere Anziehung auf Qhuinn aus, statt uninteressant geworden zu sein.
Super. Noch so eine freudige Entwicklung.
Völlig antriebslos schleppte Qhuinn sich vom Bett ins Bad. Eigentlich wollte er kein Licht anmachen, wollte nicht sehen, wie beschissen er aussah, aber rasieren rein nach Gefühl wäre auch nicht gerade clever gewesen.
Also betätigte er den Schalter und blinzelte ins Licht, während hinter seinen Augäpfeln ein pochender Schmerz einsetzte. Zweifellos sollte er wieder einmal etwas essen, aber Scheiße, die permanenten Forderungen seines Körpers gingen ihm allmählich auf den Zeiger.
Er ließ das Waschbecken volllaufen, gab einen Klacks Rasiergel in die hohle Hand und verrieb ihn zu Schaum. Dabei dachte er an seinen Cousin. Obwohl er es nicht wusste, hatte er den Verdacht, dass Saxton einen altmodischen Rasierpinsel benutzte, um sich Kinn und Wangen einzuseifen. Und keinen Einwegrasierer. Sicher verwendete er ein Barbiermesser mit Perlmuttgriff.
Qhuinns Vater hatte so eines besessen. Und sein Bruder hatte zur Transition ein eigenes geschenkt bekommen, mit seinen Initialen darauf.
Zusammen mit dem Siegelring.
Tja, schön für die beiden. Doch da sie nun tot waren, rasierten sie sich ohnehin nicht mehr.
Er betupfte sich mit Schaum, bis sein Gesicht aussah wie die verschneite Landschaft draußen, und griff nach dem gewöhnlichen Mach 3 mit Wegwerfkopf …
Unvermittelt überlegte er, dass er diesen vielleicht mal wieder wechseln sollte.
Ja, einen frischen, superscharfen, sauberen.
Qhuinn verdrehte die Augen. Es ging doch nichts darüber, sein Selbstwertgefühl durch drei kleine Klingen und einen Gleitkopf zum Ausdruck zu bringen. Eine verdammt bestechende Logik.
Dennoch fing er an, in den Schubladen unter dem Waschtisch herumzukramen, und stieß dabei auf alle möglichen Badezusätze und Kosmetikprodukte, die er nie benutzte oder auch nur ansah.
Als er die letzte Schublade rauszog, die ganz unten, hielt er inne. Stutzte. Bückte sich.
Da war ein kleines schwarzes Samtkästchen, ähnlich einem Behältnis für Schmuck. Doch er besaß keinen Schmuck, und schon gar nicht von Reinhardt, diesem stinkteuren Laden in der Stadt. Da aber sonst niemand in diesem Zimmer wohnte, fragte er sich, ob das Kästchen vielleicht bereits vor seinem Einzug hier gelegen und er es nur nie wahrgenommen hatte.
Er holte das Schächtelchen raus, klappte den Deckel auf und …
»Ach, sieh mal einer an.«
Darin lagen die stahlgrauen Ohrringe und der Hufeisenstecker, den er früher immer in der Unterlippe getragen hatte, als handelte es sich um kostbare Stücke.
Fritz musste sie bei einer nächtlichen Putzaktion aufgesammelt und in dieses Kästchen gelegt haben. Anders konnte Qhuinn es sich nicht erklären – denn er hatte sich ganz gewiss nicht mehr darum gekümmert, seit er sie nach und nach rausgenommen hatte. Er hatte sie einfach ganz hinten in das Badezimmerschränkchen geworfen.
Qhuinn betastete die stählernen Stecker und erinnerte sich, wie er sie gekauft und angelegt hatte. Sein Vater war entsetzt gewesen, seine Mutter auch – sie war vom Letzten Mahl aufgestanden und hatte sich für vierundzwanzig Stunden in ihre Privatgemächer zurückgezogen, nachdem er mit den Dingern im Esszimmer eingelaufen war.
Im Piercingstudio hatte man ihm gesagt, dass er warten solle und die frisch gestochenen Löcher erst heilen müssten, ehe er die medizinischen Stecker gegen die anderen austauschte. Doch dieser Rat mochte für Menschen gelten. Bei ihm war nach ein paar Stunden alles verheilt, und er hatte seine eigenen Stecker eingesetzt.
Bei Blay auf dem Klo, um genau zu sein.
Qhuinn zog die Stirn in Falten und erinnerte sich an den Moment, als er aus der Toilette ins Schlafzimmer seines Kumpels getreten war. Blay hatte mit einem Corona auf dem Bett gesessen und ferngesehen. Er hatte sich nach ihm umgeschaut, und sein Ausdruck war offen und gelöst gewesen – bis er Qhuinn sah.
Da hatte seine Miene sich unmerklich verhärtet. So dezent, dass es nur jemandem auffallen konnte, der ihn wirklich sehr gut kannte. Aber Qhuinn war es nicht entgangen.
Damals hatte er geglaubt, dass dieser Goth-Look vielleicht eine Spur zu krass für seinen konservativen Freund war. Doch als er jetzt an diese Szene zurückdachte, erinnerte er sich an ein weiteres Detail: Blay hatte sich wieder dem Fernseher zugewandt … und sich beiläufig ein Kissen in den Schoß gestopft.
Er musste hart geworden sein.
Als Qhuinn sich dies vergegenwärtigte, schwoll auch sein Schwanz aufs Neue an.
Doch das war reine Zeitverschwendung.
Er starrte die verdammten Ohrringe an und dachte an seine Rebellion und die Wut und die verkorksten Vorstellungen, was ihm zu einem glücklichen Leben fehlte.
Eine Vampirin. Wenn er eine fand, die ihn akzeptierte.
Er hatte sich etwas vorgemacht.
Schon komisch. Feigheit gab es in allen erdenklichen Ausformungen. Man musste nicht bibbernd in der Ecke kauern wie ein Jammerlappen. O nein. Man konnte ein vorlauter Muskelprotz sein, der einen auf harten Kerl machte, das Gesicht voller Piercings, und der Welt mit einem abfälligen Lächeln entgegentreten … und trotzdem nichts als ein erbärmlicher Feigling sein. Denn Saxton mochte zwar Dreiteiler mit Krawatten und Loafers tragen, er stand aber dennoch zu dem, was er war, und hatte keine Angst, sich zu nehmen, was er wollte.
Prompt wachte er zusammen mit Blay im Bett auf.
Qhuinn schloss das Kästchen und steckte es zurück in die Schublade. Dann sah er in den Spiegel. Was wollte er gleich wieder hier?, fragte er sich und betrachtete sein Gesicht.
Ach ja. Rasieren.
Das war’s.
Ungefähr zwanzig Minuten später verließ Qhuinn sein Zimmer. Er ging den Flur mit den Statuen runter, vorbei an der geschlossenen Tür von Wrath’ Arbeitszimmer und weiter.
Es war unmöglich, in den Salon im ersten Stock zu schauen und nicht an den unglaublichen Sex mit Blay vor nur wenigen Stunden zu denken. Besonders schwer fiel es ihm, cool zu bleiben, als das Sofa in Sicht kam.
Er würde dieses Möbelstück nie mehr mit den gleichen Augen sehen können. Scheiße, vielleicht waren alle Sitzgarnituren für ihn verdorben, auf ewig.
Vor Laylas Zimmer blieb er stehen und legte das Ohr an die Kassettentür. Nichts zu hören, doch er fragte sich, was er eigentlich glaubte, auf diese Weise herauszufinden.
Er klopfte leise. Als keine Antwort kam, schnürte ihm eine plötzliche, irrationale Angst die Kehle zu, und er stieß die Tür auf.
Licht strömte in die Dunkelheit.
Sein erster Gedanke war, dass sie tot war, dass dieser Penner von Havers gelogen hatte und sie an den Folgen des Schwangerschaftsverlusts gestorben war: Layla lag reglos in den Kissen, den Mund leicht geöffnet, die Hände über der Brust gefaltet, wie von einem Bestattungsunternehmer arrangiert, der Respekt für seine Toten hatte.
Doch … etwas hatte sich geändert, und es dauerte eine Weile, bis ihm klar wurde, was es war.
Der penetrante Geruch von Blut war fort. Genau genommen lag nur ihr feiner Zimtduft in der Luft und erfrischte es auf eine Art, dass das ganze Zimmer heller wirkte.
War der Schwangerschaftsabbruch endlich überstanden?
»Layla?«, sagte er, obwohl er versprochen hatte, sie nicht zu wecken, wenn sie schlief.
Erleichtert sah er, wie ihre Brauen zuckten, als ihr Unterbewusstsein ihren Namen selbst im Schlaf registrierte.
Er hatte den Eindruck, dass sie aufwachen würde, wenn er sie noch einmal rief.
Doch es erschien ihm grausam, sie aus dem Schlaf zu reißen. Denn was erwartete sie beim Erwachen? Schmerzen? Ein Gefühl des Verlustes?
Vergiss es.
Qhuinn zog sich leise zurück, schloss die Tür und stand einfach nur da. Er wusste nicht so recht, was er mit sich anfangen sollte. Wrath hatte ihm gesagt, er solle zu Hause bleiben, selbst wenn John Matthew das Haus verließ – was vermutlich eine Art Sonderurlaub von seinen Ahstrux-nohtrum-Pflichten aufgrund von Laylas Zustand war. Und er war froh darüber. Er konnte so gut wie nichts für Layla tun – auf diese Weise war er wenigstens in ihrer Nähe, für den Fall, dass sie irgendetwas brauchte. Etwas zu trinken. Aspirin. Eine Schulter, an der sie sich ausheulen konnte.
Das ist dein Werk, klangen ihm die Worte von Phury im Kopf.
Dem Uhrenschlag aus diesem gottverlassenen Salon nach zu schließen, hatte er wohl das Erste Mahl verpasst. Neun Uhr. Ja, er hatte es verschlafen, und das war nur gut so. Eine Dreiviertelstunde an der Tafel zu sitzen, in Gesellschaft von zwei Dutzend Hausbewohnern, die sich bemühten, ihn nicht anzustarren, hätte ihn vermutlich in den Wahnsinn getrieben.
Jemand lief unten durch die Eingangshalle, und er hob den Kopf.
Ohne groß darüber nachzudenken, ging er zur Balustrade und sah hinab.
Payne, Vs knallharte Schwester, kam aus dem Esszimmer.
Er kannte sie nicht sonderlich gut, hatte aber einen Höllenrespekt vor ihr. Kein Wunder, so wie sie sich im Einsatz schlug … tough, supertough. Doch im Moment sah Dr. Manellos Shellan aus, als hätte man sie in einer Kneipe vermöbelt: Sie schlurfte in gebeugter Haltung über das Bodenmosaik, am Arm ihres Hellren, der alles zu sein schien, was sie noch aufrecht hielt.
War sie in einen Kampf geraten?
Er roch kein Blut.
Dr. Manello sagte etwas zu ihr, das nicht bis zu Qhuinn drang, doch dann nickte er in Richtung Billardzimmer – als würde er vorschlagen, dorthin zu gehen.
Sie bewegten sich im Schneckentempo darauf zu.
Da er niemanden sehen wollte, trat Qhuinn vom Geländer zurück und wartete, bis die Luft wieder rein war. Dann joggte er die große Freitreppe hinunter.
Essen. Training. Noch einmal nach Layla sehen.
Das war sein Programm für die Nacht.
Er ging Richtung Küche und ertappte sich bei dem Gedanken, wo Blay stecken mochte. Was er wohl gerade tat. Ob er draußen war und kämpfte oder heute frei hatte und …
Weil er aber nicht wusste, wo Saxton sich aufhielt, führte er diese Überlegung nicht weiter.
Denn hätte Qhuinn die Möglichkeit gehabt, sich mit Blay zurückzuziehen, hätte er genau gewusst, was er tun würde.
Und Saxton, sein nervtötender Cousin, war kein Idiot.