Johns Täuschungsmanöver
19.32 Uhr
Abend des 17. griffen sie an. Als es losging. sahen wir es über die Thermalkameras und die nicht abgedeckte Hauptkamera. Sie kamen in Scharen an den Schacht, in den schon zahlreiche Untote gefallen waren. Johns Thermalkamera hatte ein paar Minuten später einen Ausfall. Zehn Minuten später betastete ich mit Handschuhen die Schachtluke. Sie war sehr dick und robust, doch die Hitze des Feuers auf der anderen Seite war immens. Die Fremden verbrannten die Untoten unten im Schacht, die durch die Tür wollten, hinter der ich stand.
Wir brauchten einen Plan. John meldete, er hätte, bevor die Thermalkamera den Geist aufgab, vier Männer gesehen, die eine große Kiste zum nun zerstörten Maschendrahtzaun trugen. Vermutlich war die Kiste eine Art Schneidewerkzeug. Während der vorhergehenden vierundzwanzig Stunden (in der Nacht vom 16. auf den 17.) hatte ich gesehen, dass sie mit der Herdentaktik fortgefahren waren, um die Untoten folgsam zu halten.
Zu ihrem Konvoi gehörte ebenfalls ein großer Tankwagen mit achtzehn Rädern. Dies erkannten wir auf einem Satellitenbild, bevor der Himmel sich bewölkte. Ich schätzte die Anzahl der Fremden auf fünfzig. Dazu gehörten etwa zwanzig Fahrzeuge.
Wir lauschten der CB- Frequenz, um an Informationen zu gelangen. Natürlich hörten wir, dass sie sich miteinander verständigten. Der von ihnen verwendete Code klang sehr vertraut, fast so wie die Abkürzungssprache, die wir vor ein paar Wochen aufgefangen hatten. Sie hätten sich aber auch auf Chinesisch verständigen können. Im Moment spielte es keine Rolle. Nach dem thermalen Whiteout zu urteilen, der die Kamera am Schacht hatte verrecken lassen, brannte das Feuer noch. Ich musste mir eine Möglichkeit ausdenken, nach oben zu gehen, ohne entdeckt zu werden und die Fremden derart zu desorientieren, dass sie aufgaben. Um das durchzuziehen, mussten wir alle ran.
Mein Plan sah wie folgt aus: Ich wies Janet an, zu einer bestimmten Zeit einen Funkspruch an die Marodeure abzusetzen. Der Spruch sollte ihnen mitteilen, dass dies ein Regierungsstützpunkt sei, der mehr als hundert schwer bewaffnete Soldaten beherberge. Zögen sie sich nicht zurück, seien die Soldaten autorisiert, mit tödlicher Gewalt vorzugehen. Sie war instruiert, den Spruch genau fünfundvierzig Minuten nach unserem heimlichen Aufstieg auf der Frequenz der Marodeure zu senden.
John und ich dachten an den Tag zurück, an dem wir Hotel 23 gefunden hatten. Wir hatten in einem kleinen, mit Maschendraht abgezäunten Gebiet geschlafen, in dessen Mitte sich ein großer Einsteigdeckel befand. Danach hatten wir entdeckt, dass es sich bei dem Deckel um eine Ersatz-Fluchtluke handelte, vorgesehen für den Fall, dass die anderen nicht mehr verwendbar waren. Der Deckel lag so weit vom Raketenschacht und dem Haupteingang entfernt, dass die Chancen gut standen, dass niemand ihn entdeckt hatte.
Die Frauen bewaffneten sich mit Gewehren und Schrotflinten. Ich wies sie an, die Flinten nicht in metallisch verkleideten Räumen einzusetzen. Wenn man eine Schrotflinte bei 45 Grad auf den Boden richtete, prallten die Zwölfkaliber-Kügelchen ab und zerfetzten alles vor ihnen in dem mit Metall ummantelten Gang. Diese Taktik hatte ich in der Anti- Terror- Ausbildung gelernt, um terroristische Enterkommandos zu hindern, an Bord unserer Schiffe zu gelangen. Wandte man diese Taktik an, brauchte man das Ziel nicht mal zu sehen.
Ich schnappte mir das M-16 mit dem M-203- Werfer, alle Munition, die ich brauchte, eine Decke und mein NSG. John und William nahmen die M-16, zwei M-9-Pistolen und das Fernglas. Wir eilten zum Notausgang und dann etwa vierhundert Meter durch einen finsteren Tunnel.
Einige der Glühbirnen da unten waren durchgebrannt, deswegen musste ich dauernd auf Nachtsicht umschalten, um John und William zur Luke zu geleiten. Johns Hand war ständig auf meiner Schulter. Ich konnte die Furcht in der Luft riechen. Wir hatten alle Angst. Niemand wollte einen anderen Menschen töten, doch nun stand unser Überleben auf dem Spiel.
Wir konnten mit denen, die uns Übles wollten, kein Risiko eingehen. Wir kamen an die Luke. Janet würde gleich mit ihrem Armbanduhren- Countdown beginnen. Ich schaute auf die Uhr. Es war 21.55 Uhr. Um 22.40 sollte sie den Funkspruch absetzen. Wir konnten nicht riskieren, den hydraulischen Motor anzuwerfen, um die schwere Bodenluke zu öffnen. Hier, so schien es, gab es für alles ein Ersatzsystem. Wir öffneten die Bodenluke mit der Handkurbel nach zweiundsechzig Umdrehungen siebzig Zentimeter weit. Es war eine mondlose, ziemlich bewölkte Nacht. Vor dem Zaun, hinter dem wir uns befanden, leuchtete der brennende Schacht knapp oberhalb des Hügels in der Ferne.
Mit Hilfe der aus dem Bunker mitgenommenen Decke kletterten wir über den Stacheldrahtzaun. Nun waren wir auf der anderen Seite. An unserem Standort regten sich nirgendwo irgendwelche Untote. Wir huschten geduckt die Böschung hinauf, damit wir mit den Banditen auf Augenhöhe kamen. Da waren sie. Mit Hilfe des Fernglases begann ich, sie zu zählen. Es waren insgesamt fünfundvierzig. Viele Fahrzeuge, mit denen sie gekommen waren, sahen ziemlich teuer aus. Viele gehörten zu den Marken Land Rover und Hummer. Die Fremden hatten sich alle in der Nähe ihrer Fahrzeuge und des riesigen Tankwagens am Zaun versammelt.
In diesem Moment wusste ich nicht weiter. Sie waren uns zahlenmäßig so hoch überlegen, dass wir in einem Feuergefecht nur verlieren konnten. Wir konnten nur auf Janets Funkbotschaft warten und hoffen, dass sie den Schwanz einzogen. Es war 22.15 Uhr. Ich konnte sie aus der Ferne leise reden hören. Ich schaltete wieder auf das NSG um, um dunkle Ecken vor dem brennenden Schacht zu begutachten. Komisch - ich konnte die Säcke sehen, die vom Infrarotstrahl der darunter befindlichen Kameras erhellt wurden. Die über die Kameras gezogenen Säcke sahen aus wie eine grüne Version der alten Propan-Campingleuchten.
Es war 22.35 Uhr. Minuten kamen mir wie Stunden vor. In fünf Minuten wüssten wir, mit wem wir es zu tun hatten. Die Marodeure waren in Jeans und Tarnhosen gekleidet. Viele waren dick und unförmig. Wampen hingen über ihre Hosengürtel. Was aber keine Rolle spielte, denn man braucht keinen dünnen Finger, um einen Abzug zu betätigen und sein Ziel zu treffen.
Und weiter lief die Zeit: 22.40 Uhr. Ich schaute auf meine Armbanduhr und nickte John und William zu, damit sie ruhig blieben. Nichts. Nichts deutete an, dass die Fremden Janets Funkspruch erhalten hatten. Dann ging es los. Ich hörte die Gruppe einstimmig »Sch-sch-sch!« machen, als jeder allen anderen verdeutlichen wollte, still zu sein. Dann: lautes Gelächter. Und eine Stimme, die schrie: »LECK MICH, DU SCHLAMPE! IHR HABT ES. UND WIR WOLLEN ES HABEN!« Dann folgte erneut lautes Gelächter. Jemand fluchte. Es wurde in die Luft geschossen.
Ich musste Williams Arm packen, um ihn daran zu hindern, sich in seinem Zorn aufzurichten. Die Flammen wurden kleiner. Ich konnte ihre Spitzen nicht mehr sehen. Das Feuer sank unter den Schachtrand. Die Zeit war um. Durch das Fernglas sah ich, dass irgendein Schweiß- oder Schneidegerät hinter die Umzäunung gebracht wurde. Diese Männer wollten uns tot sehen.
Es war eine Frage des Überlebens der Stärkeren. Ich fasste einen Entschluss. Statt im Inneren des Bunkers darauf zu warten, dass sie uns überwältigten, wollte ich zuschlagen, solange sie dicht zusammenstanden. Mein Beschluss wird mich mein Leben lang verfolgen. Ich wies John und William an, sich klein zu machen. Dann lud ich den M-16- Granatwerfer. Ich wusste, wie weit ich von dem Tankwagen entfernt war. Ich justierte das Zielfernrohr auf ein Hundert- Meter- Ziel. Ich saß einen Augenblick da und überlegte, um meinen Beschluss nochmal zu überdenken. Mehr Zeit zum Nachdenken hatte ich nicht. Ich konnte nicht mehr zögern ... und drückte ab.
Die Granate pfiff durch die Luft auf den Tankwagen zu. Sie schlug zwei bis drei Meter außerhalb der Mitte des Sattelschleppers auf, detonierte und jagte viele hundert stählerne Splitter in die Metallhaut des Tankwagens. in dem sich x- tausend Liter Benzin befanden. Dann folgte eine gigantische Explosion. Was danach passierte, weiß ich nicht mehr.
In meiner nächsten Erinnerung wechseln John und William sich damit ab, mich am Stacheldrahtzaun wiederzubeleben. Später erfuhr ich, dass die Druckwelle der Sprengung mich von den Beinen gerissen und zehn Meter nach hinten in den unteren Teil des Zauns geschleudert hatte. Ich hätte Schwein gehabt, weil ich in die Mittelsektion des Zauns und nicht gegen einen Pfosten oder in den Stacheldraht geflogen war.
Seit diesem Tag liege ich im Bett und erhole mich von Verbrennungen sowie - wie Janet diagnostizierte - einer Gehirnerschütterung. John und William haben mich ins Kommandozentrum zurückgetragen und dem Rest der Marodeure einen weiteren Funkspruch gesandt. Wir sind davon ausgegangen, dass einige von ihnen in ihrer Funktion als »Schäfer« unterwegs waren. John hat folgende Botschaft über alle zur Verfügung stehenden Frequenzen gesandt:
»An die Lumpenbande, die sich kürzlich bemüßigt fühlte, sich der Raketenabschussbasis der Regierung gegenüber feindselig zu zeigen: Lasst euch sagen, dass vier Apache-Hubschrauber in dieses Gebiet unterwegs sind, um alle feindlichen Streitkräfte im näheren Umkreis zu neutralisieren. Alle weiteren Feindseligkeiten Ihrer Fraktion müssen mit maximaler Vergeltung rechnen.«
